Das Für und Wider gesetzlicher Mindestlöhne


Seminararbeit, 2007

23 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Problemstellung und Zielsetzung

2. Das Für und Wider gesetzlicher Mindestlöhne
2.1 Definition und Begriffsabgrenzung
2.2 Theoretische Grundlagen der Lohnbildung
2.2.1 Traditionelle neoklassische Lohntheorie
2.2.2 Das Monopsonmodell
2.3 Argumente für die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne
2.4 Argumente gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne
2.5 Empirische Beobachtungen
2.6 Mindestlohnbasierte Lösungsansätze

3. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Problemstellung und Zielsetzung

Im Rahmen der Globalisierung und der zunehmenden Verschärfung des internationalen Wettbewerbs steht Deutschland stetig wachsenden nationalen sowie internationalen Herausforderungen gegenüber. Für viele Menschen stellen die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt, die wachsende Lohnarmut innerhalb der Bevölkerung sowie der Druck aufgrund ausländischer Billiglohnkonkurrenz eine zunehmende Bedrohung dar. Diese Entwicklungen haben die aktuelle Debatte um die flächendeckende Einführung gesetzlicher Mindestlöhne in Deutschland neu entfacht. Die Meinungen zu dieser Thematik gehen jedoch weit auseinander.

Während SPD, Grüne und die Linke mit Verweis auf internationale Erfahrungswerte und empirische Studien die sofortige Einführung gesetzlicher Mindestlöhne fordern, schlagen Unionspolitiker und FDP unter Berücksichtigung nationaler Rahmenbedingungen alternative Modelle zur Lösung dieser Problematik vor. Auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vertreten bei diesem Thema erwartungsgemäß gegensätzliche Auffassungen.

Nachdem im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) bereits seit 1996 gesetzliche Mindestlöhne für das Baugewerbe festgeschrieben sind, wurden im März dieses Jahres auch die Gebäudereinigerbranche in dieses Regelwerk mit einbezogen. Weitere Branchen sollen folgen. Dabei stellt sich jedoch grundsätzlich die Frage, ob die Einführung eines bundesweiten gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland - ob branchenspezifisch oder pauschal - unter Berücksichtigung nationaler Rahmenbedingungen sinnvoll ist.

Im Folgenden sollen das Für und Wider dieser Debatte diskutiert und zu erwartende Folgen und Auswirkungen aufgezeigt werden. Um möglichst realitätsnahe Schlussfolgerungen ziehen zu können, werden zudem empirische Studien herangezogen sowie Lösungsansätze zur Bekämpfung der bereits beschriebenen Problematik dargestellt.

2. Das Für und Wider gesetzlicher Mindestlöhne

Bevor nun vollständig in die Diskussion eingestiegen werden kann, werden für die Debatte relevante Begriffe definiert und verschiedene theoretische Grundmodelle dargestellt.

2.1 Definition und Begriffsabgrenzung

Ein gesetzlicher Mindestlohn beschreibt grundsätzlich das vom Gesetzgeber vorgeschriebene Arbeitsentgelt im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungs­verhältnisses, das nicht unterschritten werden darf. Zunächst erscheint eine solche gesetzliche Regelung nicht notwendig, da sich auf dem Arbeitsmarkt theoretisch gesehen ein markträumender Gleichgewichtslohnsatz aufgrund der Überein­stimmung von Arbeitsangebot und -nachfrage einstellt. Da dessen Höhe das Existenzminimum eines Arbeitnehmers jedoch nicht in allen Fällen gewähr­leistet, gewinnt die Diskussion um die Einführung dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments zunehmend an Bedeutung (Gaul/Hayek, 2005, S. 1). Der Zweck eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns besteht somit in erster Linie in der Sicherung des Existenzminimums durch das Arbeitseinkommen eines abhängig Beschäftigten. Dadurch verspricht man sich eine effektive Bekämpfung der zunehmenden Lohnarmut sowie die Eindämmung des wachsenden Niedriglohnsektors in Deutschland (Bispinck/ Schäfer/Schulten, 2004, S. 575).

Bereits in 20 der nun 27 EU-Mitgliedstaaten sowie in den USA ist ein Mindestlohn gesetzlich verankert, der sich in einer Spanne von 0,47 € pro Stunde (entspricht 82 € pro Monat) in Bulgarien bis zu 8,69 € pro Stunde (entspricht 1.503 € pro Monat) in Luxemburg bewegt (Raddatz/Wolf, 2007, S. 12). Dieser Lohnsatz wird grundsätzlich als Bruttolohn festgelegt und entspricht in etwa zwischen 32 und 55 % des durchschnittlichen Bruttolohnsatzes der jeweiligen Staaten (Kalina/Weinkopf, 2006, S. 7). In den meisten westlichen Ländern mit Ausnahme der USA erfolgt eine regelmäßige Anpassung dieses Satzes an die entsprechenden Lebenshaltungskosten (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 20). Innerhalb der Europäischen Union unterscheidet man drei Gruppen von Ländern mit gesetzlichen Mindestlöhnen. Die erste Gruppe bilden Großbritannien, Irland und Frankreich sowie die Benelux-Staaten mit einem Mindestlohnniveau von über 1.000 € im Monat, gefolgt von deutlich niedrigeren Mindestlöhnen in der mittleren Gruppe mit 437 € bis 668 € im Monat. Diese beinhaltet neben Slowenien alle südeuropäischen Staaten. In der Gruppe der Länder mit dem niedrigsten Mindestlohnniveau von unter 300 € im Monat befinden sich mit Ausnahme von Slowenien schließlich alle mittel- und osteuropäischen Staaten. Die USA liegt mit einem Satz von 735 € pro Monat im oberen Mittelfeld (Schulten, 2006, S. 15).

In den skandinavischen Ländern sowie in Italien, Österreich und Deutschland existieren keine gesetzlichen Mindestlöhne. Hier werden durch tarifvertragliche Regelungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden branchenspezifische Mindestbestimmungen für abhängige Beschäftigungs­verhältnisse ausgehandelt (Gaul/Hayek, 2005, S. 1). Die einzigen Ausnahmen in Deutschland werden durch das im Jahre 1996 verabschiedete Arbeitnehmer­ent­sendegesetztes (AentG) geregelt. Demnach ist für das Bauhaupt- und Baunebengewerbe sowie der Schifffahrtsassistenz ein gesetzlich verankerter Mindestlohn vorgeschrieben (Raddatz/Wolf, 2007, S. 15-16).

2.2 Theoretische Grundlagen der Lohnbildung

In der volkswirtschaftlichen Theorie gibt es zwei grundlegende Modelle, die die Lohntheorie in Abhängigkeit von Arbeitsangebot und –nachfrage erklären und die daraus resultierenden Beschäftigungswirkungen aufzeigen. Hierbei unterscheidet man zwischen der traditionellen neoklassischen Lohntheorie und dem Monopsonmodell. Weitere Theorien wie die Wachstums- und die Effizienzlohntheorie werden im Folgenden zunächst ausgeklammert.

2.2.1 Traditionelle neoklassische Lohntheorie

Die traditionelle neoklassische Lohntheorie unter Annahme eines vollkommenen Marktes ist auf einen berühmten Aufsatz von Stigler im Jahre 1946 mit dem Titel „The economics of minimum wage legislation“ zurückzuführen. Diese besagt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt aufgrund von Angebot und Nachfrage des Faktors Arbeit ein Gleichgewichtslohn einstellt, der im Schnittpunkt dieser beiden Kurven liegt. Die Beschäftigten werden dabei entsprechend ihrer produktiven Leistung für das Unternehmen entlohnt. Ein Überschuss sowie ein Mangel an Arbeitskräften ist daher nur von kurzer Dauer, da der sofort einsetzende Anpassungsmechanismus das Gleichgewicht wiederherstellt (Borjas, 2005, S. 136-137). Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes über dem Niveau des Gleichgewichtslohnsatzes hat in diesem Modell eine Abnahme der Arbeitsnachfrage und somit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge (OECD, 1998, S. 42). Je höher der Mindestlohn, je elastischer Arbeitsnachfrage und je unelastischer das Arbeitsangebot, desto größer ist demnach die Arbeitslosigkeit. Diese Theorie lässt somit auf negative Beschäftigungswirkungen bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes schließen. Einen wesentlichen Kritikpunkt des Modells stellt der theoretische Charakter dar, da die Annahme eines vollkommenen Marktes nicht der Realität entspricht (Borjas, 2005, S. 138).

2.2.2 Das Monopsonmodell

Ein Monopson bezeichnet ein Unternehmen, dass auf dem Arbeitsmarkt als alleiniger Nachfrager einem Arbeitsangebot gegenübersteht, das sich unter den Annahmen vollkommener Konkurrenz ergibt (Ragacs, 2002, S. 12). Im Gegensatz zum traditionellen neoklassische Modell bescheinigt das darauf basierende Monopsonmodell gesetzlichen Mindestlöhnen positive Auswirkungen auf die Beschäftigung. Hier sind die Unternehmen keine Preisnehmer, sondern können die Löhne aufgrund ihrer Marktmacht unterhalb des Gleichgewichtslohns festsetzen. Sie beeinflussen somit das Lohnniveau, da bei zunehmender Arbeitsnachfrage der Lohn steigt und umgekehrt bei Entlassungen von Arbeitskräften das Lohnniveau sinkt. Um den Gewinn zu maximieren stellt der Monopsonist nur solange Arbeitskräfte ein, bis die Grenzkosten den Grenzerlös des Faktors Arbeit nicht überschreiten. Aufgrund der Annahme, dass das Unternehmen allen Beschäftigten den höheren Lohn zahlen muss, liegen die Grenzkosten über dem produktiven Beitrag des zuletzt eingestellten Beschäftigten und somit die gezahlten Löhne unter dem Gleichgewichtslohn. Zudem ist auch das Beschäftigungsniveau geringer als im vollkommenen Markt (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 25-26). Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns führt in diesem Fall zu einer höheren Beschäftigung, die ihr Maximum in dem Lohnniveau erreicht, das dem Gleichgewichtslohn in einem vollkommenen Markt entspricht. Liegt der Mindestlohn jedoch über diesem Gleichgewichtslohn, so steigt die Arbeitslosigkeit über ihr ursprüngliches Niveau hinaus und der erwartete Beschäftigungszuwachs bleibt aus. In diesem Fall kann es sogar zu einem negativen Beschäftigungseffekt kommen. Je elastischer das Arbeitsangebot und je unelastischer die Arbeitsnachfrage, desto größer ist die Spanne, in der Mindestlöhne festgelegt werden können, ohne dass es dabei zu einem Beschäftigungsverlust kommt (OECD, 1998, S. 43-44). In der Realität ist diese Art von Marktmacht eher unwahr­scheinlich, es gibt jedoch Marktkonstellationen, die eine monopson­ähnliche Struktur aufweisen. Dies ist vor allem bei Gruppen von Arbeitskräften mit geringer Mobilität sowie nicht ausreichender Markttransparenz festzustellen. Zudem spielt die Inhomogenität von Arbeitnehmern mit speziellen Qualifikationen, die nur von wenigen Unternehmen nachgefragt werden, eine große Rolle (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 25-26).

2.3 Argumente für die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne

Die Forderung nach Einführung gesetzlicher Mindestlöhne in Deutschland wird seitens der Gewerkschaften und verschiedener politischer Verbände und Parteien im Rahmen der aktuellen Diskussion immer lauter. Die Befürworter begründen diese Notwendigkeit mit der Zunahme der steigenden Niedriglohnbeschäftigung in den letzten Jahren. So lag Deutschland bereits im Jahr 2000 mit 15,7 % Niedriglohnbeschäftigten bezogen auf alle abhängig Beschäftigten schon über dem EU-Durchschnitt von 15,1 % und ist seitdem neben den Niederlanden das einzige europäische Land mit steigender Tendenz in diesem Bereich - im Jahr 2002 lag der Anteil bereits bei 22,1 % . Ein besonders hoher Anteil an Niedriglohnbeschäftigten ist dabei in den Bereichen Erbringung von sonstigen Dienstleistungen, Private Haushalte sowie dem Gastgewerbe zu verzeichnen (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 15-17). Die Ursachen des wachsenden Niedriglohnsektors in Deutschland werden in der anhaltend hohen Arbeitslosenquote sowie in der Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre gesehen. Zudem wird diese Entwicklung mit der Zunahme der Teilzeitarbeit, der Privatisierung öffentlicher Bereiche und den aktuellen Arbeitsmarktreformen, deren Auswirkungen heute jedoch noch nicht konkret abgeschätzt werden können, begründet (Bosch/Kalina, 2005, S. 29-46). Für die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne zur Eindämmung des wachsenden Niedriglohnsektors sprechen nach Ansicht der Befürworter somit eine Reihe von Gründen.

Erstens soll dadurch die Entlohnung von Beschäftigten mit nicht existenz­sichernden Löhnen unterbunden und die daraus resultierende Lohnarmut bekämpft werden. Dieses sozialpolitische Instrument leistet nach Ansicht der Befürworter einen großen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit sowie zur Bekämpfung der Einkommensdiskriminierung vor allem von Frauen, Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten, da dadurch eine weitere Spreizung der qualifikatorischen Lohnstruktur verhindert wird (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006a, S. 402-403). Die Einführung eines Mindestlohns würde demnach zu einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens und einer Verbesserung der Lebensverhältnisse von Beschäftigten im Niedriglohnsektor führen. Das Argument daraus resultierender negativer Beschäftigungseffekte wird mit Verweis auf internationale Erfahrungen sowie der Theorie des Monopsonmodells zu entkräften versucht. Da Beschäftigte im Niedriglohnsektor meist weniger flexibel sind und über eine geringere Markttransparenz verfügen, gehen die Befürworter von monopsonähnlichen Strukturen in weiten Bereichen dieses Sektors aus. In diesem Fall würde es zu keinen Arbeitsplatzverlusten kommen, solange der Mindestlohn den Gleichgewichtslohnsatz nicht übersteigt (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 25-26).

Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass der deutsche Arbeitsmarkt in Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zunehmend Herausforderungen durch Lohndumping ausländischer Arbeitskräfte gegenübersteht. Diese können aufgrund der Rahmenbedingungen in ihrem Heimatland den Faktor Arbeit in Deutschland kostengünstiger anbieten als ein inländischer Arbeitnehmer. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bewirkt eine Entlohnung auf deutschem Niveau und somit eine Eindämmung dieser Niedriglohnkonkurrenz, da den Arbeitgebern dadurch der Anreiz genommen wird, ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen. Aufgrund eines einheitlichen Mindestlohns wären zudem ausländische Anbieter von Gütern und Dienstleistungen gezwungen, ihre Preise anzupassen, was sich wiederum positiv auf die Auftragslage vor allem kleiner und mittelständischer Unternehmen im Inland auswirken würde (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 45-49).

Des Weiteren wird für die Einführung von Mindestlöhnen die Tatsache herangezogen, dass die Tarifbindung in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. So wurden soziale Mindeststandards aufgeweicht und zunehmend tariffreie Branchen geschaffen. Durch die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne soll die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und somit die Tarifautonomie gestärkt werden. Ein Mindestlohn kann Niedriglöhne zunächst in den Bereichen bekämpfen, die keiner Tarifbindung unterliegen bzw. in denen aufgrund gescheiterter Verhandlungen keine Tarifverträge durchgesetzt werden konnten. Weiterhin kann er einkommensverbessernd für abhängig Beschäftigte in Branchen mit relativ niedrigem Tariflohn wirken. Die Tarifmacht der Gewerkschaften kann nach Ansicht der Befürworter dadurch gestärkt werden, dass sie vom Staat im Rahmen institutionalisierter Konsultationsverfahren an der Festlegung der Höhe des Mindestlohns sowie der regelmäßigen Anpassung des Lohnsatzes beteiligt werden. Somit handelt es sich nicht um ein einseitiges Regulierungsinstrument des Staates, sondern um die gegenseitige Ergänzung auf sowohl gesetzlicher als auch tariflicher Ebene. Der Staat setzt zwar die gesetzlichen Rahmenbedingungen, deren Ausgestaltung bleibt jedoch den Sozialpartnern vorbehalten (Bispinck/Schäfer/Schulten, 2004, S. 575).

Die Forderung nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wird oftmals mit der damit einhergehenden Produktivitätssteigerung begründet. Betrachtet man die Effizienzlohntheorie, so steht die produktive Leistung eines Arbeitnehmers in direktem Zusammenhang mit seiner Entlohnung. Lohnsteigerungen können demnach zu einer überproportionalen Zunahme der Arbeitseffizienz führen, während Lohnsenkungen die Produktivität beeinträchtigen (OECD, 1998, S.44). Ein höherer Lohnsatz hat eine höhere Motivation und somit eine geringere Fluktuation der Beschäftigten zur Folge. Damit lohnen sich für Unternehmen auch Humankapitalinvestitionen, die schließlich auch die Produktivität steigern. Aus dieser dynamischen Betrachtungsweise der Effizienzlohntheorie resultiert die Wachstumstheorie, die einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren herstellt. Je höher die Investitionen in das Humankapital, desto höher auch das wirtschaftliche Wachstum, was sich wiederum positiv auf die Beschäftigung auswirken würde (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 26-27).

Weiterhin sehen sich die Befürworter gesetzlicher Mindestlöhne in ihrer Argumentation durch zahlreiche empirische Studien bestätigt. Als Beispiel wird dabei oft Großbritannien angeführt, das seit Einführung gesetzlicher Mindestlöhne im Jahre 1999 eine positive Einkommensentwicklung sowie eine Stabilisierung des Arbeitsmarktes vorweisen kann. Auch der Verweis auf andere europäische Staaten spricht nach Meinung der Befürworter für einen gesetzlichen Mindestlohn (Bosch/Weinkopf, 2006, S.43-44). Auf den empirischen Aspekt wird jedoch im späteren Verlauf der Arbeit näher eingegangen.

2.4 Argumente gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne

Kritiker bestreiten die Lösung der oben beschriebenen Probleme durch die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Ihrer Auffassung nach soll sich basierend auf der traditionellen neoklassischen Lohntheorie ein Gleichgewichtslohnsatz auf dem Markt bilden, der sich an der produktiven Leistung der Arbeitskräfte orientiert. Der Lohn ist der Preis, den ein Unternehmen für die Arbeitsleistung eines Beschäftigten bezahlt. Dass dieser Lohnsatz nicht immer existenzsichernd ist, wird dabei nicht bestritten. Es ist aber nicht Aufgabe der Unternehmen, sondern der Sozialsysteme für eine ausreichende Sicherung der Existenzgrundlage der Bürger zu sorgen. Die von vielen Befürwortern kritisierte Zunahme der qualifikatorischen Lohnspreizung wird in diesem Zusammenhang als unabdingbare Voraussetzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem im Niedriglohnsektor gesehen. Nur wenn die Arbeitskosten die erwirtschaftete Produktivität nicht übersteigen, entstehen und bleiben Arbeitsplätze erhalten (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006, S. 402-403). Zu hohe Löhne, die aus sozialpolitischen Gründen von staatlicher Seite gesetzt werden, führen zwangsläufig zu negativen Beschäftigungseffekten, sei es, weil Unternehmen Verluste erwirtschaften oder über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden müssen. Eine weitere Folge stellt die zunehmende Verlagerung vor allem geringqualifizierter Arbeitsplätze in Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten dar. Die Substitution des Faktors Arbeit durch Kapital ist die Folge. Ein flexibler Preis für die Leistung abhängig Beschäftigter führt unter den Bedingungen des vollkommenden Marktes zu einem markträumenden Gleichgewichtslohnsatz und somit langfristig zu Vollbeschäftigung (Raddatz/Wolf, 2007, S. 6). Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist eine mögliche Zunahme der Schwarzarbeit, die durch Arbeitsmarktre­gulierungen, wie z.B. allgemeinverbindliche Mindestlöhne, begünstigt wird (Enste, 2003, S. 19-22). Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit in Form von Einkommensumverteilung ist aus Sicht der Kritiker kein Argument für die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Die Verantwortung hierfür muss der Staat tragen und darf nicht der Wirtschaft aufgebürdet werden.

Weiterhin bezweifeln die Kritiker in höchstem Maße, dass es sich bei gesetzlichen Mindestlöhnen um ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der zunehmenden Armut handelt. Im europäischen Vergleich ist das Armutsrisiko in Deutschland zwar sehr gering, hat in den letzten Jahren jedoch deutlich zugenommen. Als eine der Hauptursachen dafür wird nicht etwa das geringe Lohnwachstum, sondern die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit genannt. Gesetzliche Mindestlöhne würden diese Situation nicht verbessern, da gerade im Niedriglohnbereich eine Anhebung der Arbeitskosten über das Niveau der Produktivität der Arbeitskräfte zwangsläufig zu Entlassungen führen wird. Als sozialpolitisches Instrument wären Mindestlöhne somit kontraproduktiv, da das effektivste Mittel zur Armutsbekämpfung noch immer die Reintegration in den Arbeitsmarkt ist. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Mindestlöhne am individuellen Bruttostundenlohn und nicht am tatsächlich verfügbaren Einkommen ansetzen. Grundsätzlich ergibt sich Armut über den Haushaltskontext, das heißt man gilt erst dann als arm, wenn das verfügbare Haushaltseinkommen die Armutsschwelle unterschreitet. Dies ist nicht zwingend abhängig vom Bruttolohn eines einzelnen Haushaltsmitgliedes, sondern vom Gesamthaushaltseinkommen. Von Armut betroffen sind vor allem Arbeitslose, Nichterwerbsfähige und Personen, die aufgrund des Haushalts­kontextes in Armut geraten. Diese Erwerbsgruppen würden von einem gesetzlichen Mindestlohn nicht profitieren, sondern sähen sich eher einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt gegenüber. Auf der anderen Seite würden nicht hilfebedürftige Erwerbstätige profitieren, da sie zwar in Relation zum Gleichgewichtslohn niedriger entlohnt werden, jedoch in einem Haushalt mit deutlich höherem verfügbarem Einkommen leben und somit keinen Handlungsbedarf aufweisen. In diese Gruppe fallen z. B. Schüler, die bei ihren Eltern leben und mit einem Nebenjob ihr Taschengeld aufbessern. Selbst wenn man unterstellt, dass Mindestlöhne keine negativen Beschäftigungseffekte hätten, wären sie aufgrund der genannten Argumente kein geeignetes sozialpolitisches Instrument zur Bekämpfung der Armut in Deutschland (Raddatz/Wolf, 2001, S. 9-10).

Zudem stellen gesetzliche Mindestlöhne protektionistische Maßnahmen gegenüber anderen Staaten dar und sind mit Einfuhrzöllen auf den ausländischen Faktor Arbeit vergleichbar. Gerade für den Prozess der europäischen Integration, welcher die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union garantiert, ist dieses Instrument äußerst fragwürdig. Die Abschaffung der Zölle im Warenverkehr wird als eine der zentralen Errungenschaften der EU bezeichnet und hat zu einem deutlichen Wohlfahrtsgewinn innerhalb der europäischen Bevölkerung geführt.

Freihandel basierend auf offenen Märkten und internationaler Arbeitsteilung ist somit die Grundlage unseres Wohlstandes. Durch die Nutzung komparativer Wettbewerbsvorteile besteht die Möglichkeit, ausländische Güter günstig zu importieren sowie im Ausland Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, deren Preis um ein Vielfaches niedriger ist (Raddatz/Wolf, 2007, S. 16-17). Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns würde diesen Wettbewerb eindämmen, was schließlich zu Wohlfahrtseinbußen auch für die Arbeitnehmer als Konsumenten führt, da sich Güter und Dienstleistungen dadurch verteuern würden. Außerdem sind protektionistische Gegenmaßnahmen des Auslandes zu befürchten. Allgemeinverbindliche Mindestlöhne gelten zudem nur für Arbeitnehmer, die häufig beklagte Konkurrenz durch Scheinselbständige kann hierdurch nicht unterbunden werden (Möschel, 2005, S. 1166). Es steht außer Frage, dass durch die ausländische Billiglohnkonkurrenz Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet werden. Die daraus resultierenden positiven Effekte einer solchen Marktöffnung überwiegen jedoch diese Problematik (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006a, S. 404-405).

Ein weiteres Argument gegen die Einführung von Mindestlöhnen ist ein daraus resultierender Eingriff in das hohe Gut der Tarifautonomie sowie eine zunehmende Schwächung der Gewerkschaften. Die Mitgliederzahlen der Arbeitnehmerorganisationen sind seit Jahren rückläufig mit anhaltender Tendenz. Ein gesetzlicher Mindestlohn würde aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsmacht der Tarifpartner vielen Arbeitnehmern den Anreiz nehmen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Zudem verringert sich der Verhandlungsspielraum der Sozialpartner, da ein festgelegter Mindestlohn die Wahrscheinlichkeit auf weitere soziale Zugeständnisse verringert. Es besteht die Gefahr, dass Tarifverträge in verschiedenen Bereichen gekündigt werden, da bereits gesetzliche Regelungen vorhanden sind (Burgess/Usher, 2003, S. 29–30). Die Folge ist der Verlust weiterer Gestaltungskompetenzen der Arbeitnehmervertreter an den Staat und somit eine zunehmende Schwächung der Tarifautonomie (Bispinck/Schäfer/Schulten, 2004, S. 575).

Aus Sicht der Kritiker kann man zusammenfassend feststellen, dass die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne weder ein wirksames Instrument zur Bekämpfung arbeitsmarktpolitischer Probleme noch zu mehr sozialer Gerechtigkeit darstellt und infolgedessen den falschen Ansatz zur Lösung der bestehenden Problematik darstellen.

2.5 Empirische Beobachtungen

In vielen europäischen sowie in zahlreichen weiteren Ländern sind allgemeinverbindliche Mindestlöhne bereits gesetzlich verankert. Empirische Beobachtungen in diesen Staaten werden oft als Argumente für die hier in Deutschland stattfindende Debatte herangezogen. Eine Übertragung dieser Ergebnisse auf den deutschen Arbeitsmarkt ist jedoch nicht uneingeschränkt möglich, da die jeweiligen länderspezifischen politischen sowie ökonomischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind. Die Ergebnisse der in der Vergangenheit bereits durchgeführten Studien differieren teilweise vehement.

Während z. B. Burkhauser/Finegan aufgrund vierzig Jahre empirischer Forschung die weit verbreitete Meinung vertreten, dass gesetzliche Mindestlöhne negative Beschäftigungseffekte zur Folge haben (Burkhauser/ Finegan, 2005, S. 190), existiert bereits eine Vielzahl neuerer Studien, die diese Auffassung widerlegen. So wurden die wohl einflussreichsten Studien in der jüngeren Zeit von Card/Krüger im Jahre 1994 und 1995 in den USA durchgeführt. Diese wiesen sogar positive Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen auf. Im Rahmen einer dieser Studien wurde die Beschäftigungsentwicklung zweier US-Staaten in der Fast-Food-Branche miteinander verglichen. Während New Jersey den Mindestlohn um fast 20 Prozent erhöhte, ließ man ihn im benachbarten Pennsylvania konstant. Es zeigte sich, dass die Beschäftigung in New Jersey trotz eines erhöhten Mindestlohns nicht zurückging, sondern sogar stärker anstieg als in Pennsylvania. Diesen positiven Beschäftigungseffekt versuchte man schließlich dadurch zu erklären, dass der Einfluss von Mindestlöhnen auf die Beschäftigung relativ gering ist (Borjas, 2005, S. 143–144).

Weitere Untersuchungen der beiden Autoren kamen zu ähnlichen Ergebnissen. So wurde empirisch belegt, dass eine Mindestlohnerhöhung in Texas keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Fast-Food-Branche hatte. Auch ein Anstieg des nationalen Mindestlohns im Niedriglohnbereich verschiedener Bundesstaaten verringerte die Beschäftigung nicht. Im Jahre 1998 stellten sie schließlich eine Erhöhung der Beschäftigungsquote der Teenager in Kalifornien bei gleichzeitigem Anstieg des Mindestlohns um 10 Prozent fest (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 27–28). All diese von Card/Krüger in den USA durchgeführten Studium führten somit zum gleichen Ergebnis: Die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne hat keinen negativen Einfluss auf die Beschäftigung.

In den letzten Jahren standen vor allem empirische Untersuchungen von Ragacs und der OECD im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Ergebnisse dieser zahlreichen Studien waren jedoch höchst widersprüchlich. Sie reichen von negativen über neutrale bis zu positiven Beschäftigungseffekten von Mindestlöhnen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, welche methodischen Spezifizierungen getroffen werden. So ist es möglich, dass z. B. nur bestimmte Beschäftigungsgruppen von diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument profitieren (Ragacs, 2003, S. 21). Generell ist jedoch eine einheitliche Wirkung auf die Einkommensverteilung festzustellen. Mindestlöhne bewirken eine Verringerung der Einkommensungleichheit sowie eine Verminderung von Einkommensdifferenzen demographischer Gruppierungen. Weiterhin erhöhen sich die Löhne oberhalb des Mindestlohnes, um die aufgrund der Einführung von Mindestlöhnen verringerten Lohndifferenzen wiederherzustellen. Die Armutsquote wird dadurch nur bedingt verringert, da sich zum einen die Armut über den Haushaltskontext definiert und zum anderen viele arme Haushalte kein Einkommen aus Erwerbsarbeit haben (Bosch/Weinkopf, 2006, S. 28). Im Rahmen ihrer länderübergreifenden Untersuchungen kommt die OECD schließlich zu dem Schluss, dass Mindestlöhne zwar leicht negative Auswirkungen auf die Beschäftigung von Jugendlichen haben, Auswirkungen auf die Beschäftigung junger Erwachsener sowie Erwachsener jedoch nicht festzustellen sind (OECD, 1998, S. 47).

Auch im europäischen Vergleich gibt es Länder, die positive Effekte durch die Einführung von Mindestlöhnen zu verzeichnen haben. Als Erfolgsgeschichte wird in diesem Zusammenhang häufig auf das Beispiel Großbritannien verwiesen. Seitdem im Jahre 1997 von der damaligen Labour-Regierung ein National Minimum Wage (NMW) eingeführt wurde, hat das Land eine kontinuierliche Verringerung der Arbeitslosenquote verzeichnen können. Obwohl der Mindestlohn zwischen 1999 und 2005 um knapp 40 Prozent erhöht wurde, sank im gleichen Zeitraum die Arbeitslosenquote von 6,1 auf 4,6 Prozent (Raddatz/Wolf, 2007, S. 11). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass angelsächsische Länder über ein weitaus geringeres Regulierungsniveau als kontinentaleuropäische Länder verfügen. So ist z. B. der institutionelle Beschäftigungsschutz als äußerst gering einzustufen. Zudem ist in diesen Ländern der Anteil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten äußerst niedrig. Im Gegensatz dazu sehen sich z. B. Frankreich und die Niederlande ähnlichen Rahmenbedingen wie Deutschland gegenüber. So sind dies Länder mit vergleichbarer Arbeitsmarktsituation, die v.a. im Bereich der Geringqualifizierten eine hohe Arbeitslosigkeit aufweisen. In Fall Frankreich empfiehlt die OECD sogar eine Absenkung des gesetzlichen Mindestlohnniveaus, um die Arbeitsmarktsituation zu verbessern (OECD, 2005, S. 117).

Ein durch empirische Untersuchungen eindeutig belegter Beweis für negative Beschäftigungsverhältnisse lässt sich zwar nicht erbringen, doch lässt die Mehrheit der wissenschaftlichen Studien solche befürchten. Die Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland würde daher ein äußerst gewagtes Feldexperiment darstellen, was angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituation sehr kritisch zu bewerten ist (Raddatz/Wolf, 2007, 11). Es ist folglich nicht immer empfehlenswert, verschiedene Länder direkt miteinander zu vergleichen und bewährte nationale Mindestlohnmodelle uneingeschränkt zu übertragen. Um fehlerhafte Schlussfolgerungen im Rahmen solcher empirischer Vergleiche zu vermeiden, sind stets die jeweiligen Rahmenbedingungen der entsprechenden Länder zu berücksichtigen.

2.6 Mindestlohnbasierte Lösungsansätze

Gesetzliche Mindestlöhne können auf verschiedene Weise eingeführt werden. Zum Einen besteht die Möglichkeit eines einheitlichen Mindestlohns, der branchenübergreifende Verbindlichkeit besitzt, und zum Anderen die Möglichkeit branchenspezifischer Mindestlöhne. In beiden Fällen sind die bereits erläuterten Argumente von hoher Relevanz. Ein einheitlicher Mindestlohn hat den Vorteil einer klaren, politisch und ökonomisch wirksamen Orientierungsfunktion, die er sowohl bei Arbeitnehmern als auch in der Öffentlichkeit entfaltet. Für branchenspezifische Mindestlöhne spricht wiederum die Durchsetzung optimaler Mindestlöhne in möglichst vielen Branchen. Die Kombination aus einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung branchenbezogener tariflicher Mindestlöhne und einem gesetzlichen Mindestlohn für tarifvertraglich nicht geregelte Branchen könnte eine Lösung zur Umsetzung dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments darstellen (Bispinck/Schäfer/Schulten, 2004, S. 576).

In diesem Zusammenhang ist jedoch die Höhe des festzule­genden Mindestlohns von großer Bedeutung. Ein zu gering angesetzter Mindestlohn birgt die Gefahr, niedrige Löhne zu legitimieren. Eine zu rasche Anhebung des Niveaus hingegen führt zu nicht mehr revidierbaren beschäftigungsfeindlichen Folgen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006a, S. 408). So ist ein von Gewerkschaften und einzelnen politischen Parteien vorgeschlagener Mindestlohn in Höhe von 7,50 € pro Stunde (entspricht 1.250 € im Monat) zwar auf dem Niveau der europäischen Nachbarstaaten, doch um die Lohnarmut vollständig beseitigen zu können müsste er mindestens 50 Prozent des durchschnittlichen Vollzeit-Arbeitseinkommens, also 1.442 € im Monat betragen (Bispinck/Schäfer/Schulten, 2004, S. 576–577).

Eine weitere Möglichkeit ist das von vielen Seiten geforderte sog. Kombilohn-Modell. Grundidee dieses Instruments ist es, die Arbeitsanreize für Geringqualifizierte und Arbeitslose durch staatliche Zuschüsse zu erhöhen und somit die marktmäßige Entlohnung auf ein höheres Einkommensniveau zu bringen. Im Gegenzug dazu sinken die Arbeitskosten für diese Tätigkeiten und die Arbeitsnachfrage der Arbeitgeber im Niedriglohnsektor steigt, da nun die Arbeitskosten geringer als die Produktivität der Arbeitskraft sind. Im Grunde handelt es sich um Lohnsubventionen seitens des Staates, die an die Aufnahme oder weitere Ausübung einer abhängigen Beschäftigung gebunden sind (Sinn/Holzner/Meister et al., 2006, S. 3). Innerhalb dieser Lohnsubven­tionen gibt es jedoch eine Reihe von Differenzierungen. Als Kombilohn im engeren Sinn werden dabei Pauschalzahlungen in Form eines prozentualen oder absoluten Zuschlags bezeichnet. Des Weiteren unterscheidet man in eine begrenzte Freistellung von Steuern und Sozialabgaben sowie eine nur partielle Anrechnung von Lohneinkommen auf staatliche Transfers. Um ihre Wirkungen langfristig zu entfalten, müssen die Lohnsubventionen zudem unbefristet angelegt werden. Ziel ist schließlich eine Stimulierung der Beschäftigung von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen sowie die Sicherung eines Mindesteinkommens (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006b, S. 2).

Kritiker dieses Modells fürchten jedoch erhebliche Mitnahmeeffekte seitens der Arbeitgeber, die mit den Arbeitnehmern einen Lohn unterhalb der Arbeitsproduktivität vereinbaren könnten, um durch Steuergelder eine Aufstockung auf das ursprüngliche Niveau zu erreichen. Dies würde lediglich zu einer Bereicherung der Arbeitgeber zu Lasten der Steuerzahler im Sinne einer fiskalischen Ausbeutung des Staates, nicht aber zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. Dem ist jedoch entgegenzusetzen, dass Arbeitnehmer überhaupt keinen Anreiz haben, sich auf derartige Vereinbarungen einzulassen, da sie bei niedrigeren Lohnsätzen länger für ein identisches Einkommen arbeiten müssen und somit Nutzeneinbußen zu verzeichnen haben. Dieses Argument greift also nur dann, wenn der Arbeitgeber wie z. B. im Monopson­modell über eine einseitige Lohnsetzungsmacht verfügt oder beide Parteien Absprachen treffen, um die ökonomische Rente unter sich aufzuteilen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2006a, S. 402).

Das Kombilohn-Modell könnte einen massiven Beitrag dazu leisten, die in Deutschland bestehende Lohnstruktur, insbesondere im Niedriglohnsektor, an die internationale Lohnkonkurrenz anzupassen, um somit die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich zu stärken (Sinn/ Holzner/Meister et al., 2006, S. 18).

3. Fazit

Arbeitsmarktpolitische Interventionen müssen sich daran messen lassen, inwieweit sie dazu geeignet sind, einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung des zentralen Problems in unserer Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit, leisten zu können. Während Befürworter eines gesetzlichen Mindestlohns vor allem den sozialen Aspekt mit Verweis auf verschiedene empirische Studien in den Vordergrund rücken, begründen die Kritiker ihre Haltung mit den ökonomischen Auswirkungen, die aufgrund der Rahmenbedingungen in Deutschland nur schwer abzuschätzen sind.

Der Verweis auf empirische Studien ist in diesem Zusammenhang äußerst kritisch zu beurteilen. Deutschland hat mit seinem vergleichbar hohen Beschäftigungsanteil im Niedriglohnsektor und seiner erheblichen Regulierungsdichte ganz andere Voraussetzungen zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Eine uneingeschränkte Übertragung international bewährter Modelle auf den deutschen Arbeitsmarkt ist aufgrund dessen kaum möglich. Bei den vorherrschenden Rahmenbedingungen wirken sich Mindestlöhne negativ auf die Beschäftigung aus. Die Folgen sind eine steigende Arbeitslosigkeit und eine wachsende Lohnarmut, da Arbeitsplätze gefährdet und arbeitslosen Erwerbsfähigen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert wird.

Um international wettbewerbsfähig zu bleiben ist es jedoch unablässig, den Niedriglohnsektor in Deutschland einzudämmen, da gerade in diesem Bereich der ausländische Konkurrenzdruck in den nächsten Jahren aufgrund der unbeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der europäischen Union drastisch ansteigen wird. Langfristig ist es unausweichlich, dass geringqualifizierte Tätigkeiten ins Ausland verlagert werden, da die Arbeitskosten in Deutschland im internationalen Vergleich kaum noch tragbar sind. Dieser Entwicklung mit der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne entgegenzuwirken ist jedoch der falsche Ansatz.

Der Lohn muss sich an der Produktivität orientieren und darf nicht durch staatliche Restriktionen beeinflusst werden. In diesem Zusammenhang stellt das Kombilohn einen möglichen Lösungsansatz dar.

Wettbewerbsfähige Unternehmen sowie eine attraktive Standortpolitik sind für die Zukunft Deutschlands in höchstem Maße bedeutsam. Flexible Löhne sind eine wichtige Voraussetzung, um als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können.

Literaturverzeichnis

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Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Für und Wider gesetzlicher Mindestlöhne
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Volkswirtschaftliches Institut)
Veranstaltung
Seminar Arbeitsmarktökonomik
Note
2,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V111078
ISBN (eBook)
9783640091805
ISBN (Buch)
9783640116584
Dateigröße
396 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wider, Mindestlöhne, Seminar, Arbeitsmarktökonomik
Arbeit zitieren
Markus Zimmermann (Autor:in), 2007, Das Für und Wider gesetzlicher Mindestlöhne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111078

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