Acht Maxime zur Lebensphase Jugend (nach Klaus Hurrelmann)

Erläuterung am Beispiel der Gesamtschulsozialisation


Hausarbeit, 2010

16 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit thematisiert die Gesamtschulsozialisation auf der Grundlage Klaus Hurrelmanns acht Maximen zur Lebensphase Jugend. Aus der Perspektive des Bielefel- der Erziehungswissenschaftlers1 soll es im weitesten Sinne darum gehen ob die Gesamt- schule als Ort optimaler Bedingungen eines erfolgreichen Sozialisationsprozesses ange- sehen werden kann. Hiermit knüpft die Auseinandersetzung unmittelbar an aktuelle bil- dungspolitische Diskussionen an, die letztendlich nichts anderes zum Ziel haben als die Schulform mit den besten Sozialisationschancen ausfindig zu machen. Die Diskussion ,,Gemeinschaftsschule ja oder nein?’’ kann hier exemplarisch erwähnt werden. Gemein- schaftsschule und Gesamtschule gleichen einander in dem Aspekt, dass beide Schulfor- men eine höchst heterogene Schülerschaft umfassen, d.h., dass Schüler mit stark diffe- renten Leistungsstärken gemeinsam an einer Schule unterrichtet werden.2 Die acht Ma- ximen definieren einen gelungenen Sozialisationsprozess und erläutern diesen.3 Grundle- gend für diese Abhandlung soll die Sozialisationsdefinition sein, an derer sich auch Hur- relmann anlehnt. Hiernach bezeichnet Sozialisation den Prozess der ,,Entstehung und Bil- dung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen materiellen, kultu- rellen und sozialen Umwelt [...].’’4 Als Resultat dessen, dass Hurrelmann mit seinen Maxi- men nicht stringent explizite Anweisungen für Sozialisationsinstanzen liefert, ist es teilwei- se notwendig die Voraussetzungen, die für einen erfolgreichen Sozialisationsprozess ge- schaffen werden müssen, zu erschließen. Für Sozialisationsinstanzen haben die acht Grundsätze den Nutzen, dass sie als Orientierung dienen können. In dieser Auseinander- setzung dienen sie als Analyseinstrument der Gesamtschulsozialisation. Als Untersu- chungsgegenstand wurde die Gesamtschule ausgewählt, weil sie wohl eine der umstrit- tensten Schulformen der BRD ist. So spaltet sie die Öffentlichkeit in Extreme wie wohl kaum eine andere Schulform, von der rigorosen Ablehnung bis hin zu Ansichten, Gesamt- schulen seien ,,[...] die eigentlichen Motoren’’5 des Bildungssystems und die Zukunft Deutschlands.6 Trotz dieser strittigen Meinungen etablierte sie sich, mit Ausnahme des sächsischen Bildungssystems, in allen Bundesländern. Sie entstand in den Reformbewe- gungen der 1960er Jahre. Als neue Schulform sollte sie, durch alternative Strukturen auf Ungleichheiten im bestehenden Schulsystem reagieren und zusammengefasst die Sozia- lisationschancen für alle Schüler verbessern. Spätere Selektion, längerfristige Offenheit der Bildungswege, kein Sitzenbleiben und eine heterogene Schülerschaft sind wohl als Hauptcharakteristika einer Gesamtschule zu nennen.7 Ob mit der Gesamtschule wirklich eine Schulform mit guten Sozialisationschancen geschaffen worden ist, soll hier überprüft werden. Im Rahmen dieser Hausarbeit kann für die Überprüfung allerdings nur exempla- risch gearbeitet und damit nicht der Anspruch auf Vollständigkeit gewährleistet werden. Ausgewählt wurde die, sich in der Kleinstadt Willich befindliche, Robert Schumann Euro- paschule. Zusätzlich zum Siegel der ,,Europaschule’’ ist sie mit dem ,,Gütesiegel Individu- elle Förderung’’ ausgezeichnet. Auf den ersten Blick entsteht also der Eindruck bester So- zialisationschancen, der anhand des Schulprogramms8 mit dem Maßstab der acht Maxi- men geprüft werden soll. Demnach verfolgt diese Arbeit zwei Ziele. Zum einen soll das Abstraktionsniveau der Maximen auf die wohl wichtigste Sozialisationsinstanz Schule9 konkretisiert werden. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden ob die Robert Schuhmann Gesamtschule mit ihrem Schulprogramm die acht Maximen repräsentiert. Im Rahmen dieser Hausarbeit sind weitere Restriktionen notwendig. Zum einen werden nur die Kernelemente der Maximen erläutert werden. Zum anderen wird sich auf die Jahr- gangsstufen 5-10 beschränkt. Damit wird die gymnasiale Oberstufe nicht berücksichtigt, obwohl die Jugendphase als zeitlich, wandelbares Konstrukt in der Gegenwart etwa auf das Alter zwischen 10-27 Jahren determiniert wird.10 Der Aufbau der Arbeit ergibt sich aus der Chronologie der Maximen, da sie aufeinander aufbauen und ineinander übergreifen. Hierfür wird zunächst jeweils die Maxime vorgestellt, dann werden die Konsequenzen für die Schule abgeleitet. Den Schluss eines Abschnitts bildet jeweils die Überprüfung, ob die zuvor abgeleiteten Konsequenzen von der Robert Schuhmann Schule beachtet werden. Die dritte, vierte und fünfte Maxime werden komprimiert erläutert, da sie nur geringfügig Konsequenzen für die Institution Schule liefern, trotzdem sind sie für das Verständnis der sechsten Maxime unabdingbar. Ausgelassen wird zudem die achte Maxime. Sie sagt le- diglich aus, dass die Jugendphase als eigenständige Phase anerkannt werden muss. Schule gibt dieser Phase einen eigenen Raum, weswegen die Maxime als erfüllt betrach- tet werden kann. Den Schluss bildet eine auf die Fragestellung zentrierte Zusammenfas- sung der Ergebnisse, sowie das Fazit.

2. Erste Maxime: Der ,,Produktive Realitätsverarbeiter’’

Die erste Maxime der Lebensphase Jugend lautet: ,,Menschen im Jugendalter sind als produktiv realitätsverarbeitende Subjekte und als schöpferische Konstrukteure ihrer eige- nen Lebenswelt zu verstehen ’’ .11 Sie stellt die Basis für die weiteren Maximen dar. Ent- scheidend ist, dass Hurrelmann den Jugendlichen als ,,produktiven Realitätsverarbeiter ’ 12 betrachtet. Diese ,,produktive[...] Realitätsverarbeitung ’’13 bedeutet, dass es sich bei der Identitätsentwicklung und damit auch bei der Sozialisation nicht um einen passiven, son- dern wechselseitig, voneinander abhängigen und beidseitig aktiven Prozess des Jugendli- chen und seiner Umwelt handelt. Hier wirkt zwar die soziale Umwelt auf den Jugendlichen ein, jedoch nimmt er die gesellschaftlichen Bedingungen aktiv auf und verarbeitet sie indi- viduell. Die Aktivität des Jugendlichen ergibt sich ebenso daraus, dass die Umwelt zu- gleich von dem Einwirken des Jugendlichen beeinflusst, gestaltet und somit auch verän- dert wird. Der Jugendliche nimmt somit die ihn umgebene Realität auf und setzt sie für sich selbst um. Diese Umsetzung muss allerdings realitätsnah bleiben, da dem Jugendli- chen ansonsten Konsequenzen drohen. Das hat zur Folge, dass der Jugendliche nur in- nerhalb eines gesellschaftlich festgelegten Toleranzbereichs agieren kann. Die folgenden Maximen konkretisieren diese ,,produktive Realitätsverarbeitung’’.14 Im Folgenden soll nun die dargelegte Grundannahme Hurrelmanns auf die Sozialisationsinstanz Schule konkreti- siert werden. Damit soll dargestellt werden, welche Bedingungen die Schule erfüllen müsste, damit der Schüler seine schulische Umwelt auch produktiv verarbeiten kann.

2.1 Die Konsequenzen der ersten Maxime für die Schulsozialisation

Abgeleitet von der ersten Maxime muss die Institution Schule den Schüler im Sinne des ,,produktiven Realitätsverarbeiters’’, ,,als aktiv sich verhaltende[s] und handelnde[s] Indivi- du[um] [verstehen] ’’ 15, auch wenn er im Vergleich zum Erwachsenen noch nicht den vollen Grad der Autonomie erreicht habe. Aufgrund dieses, noch nicht vollständig ausgeprägten Autonomiegrades, muss Schule aber ebenso einen Schonraum darstellen, in welchem der Schüler alterstypisch die Möglichkeit hat, sich selbst auszutesten als Voraussetzung, um überhaupt eine Identität entwickeln zu können. Dem Schüler muss die Möglichkeit gege- ben werden aktiven Einfluss auf seine schulische Lebenswelt zu nehmen.16 Demnach dür- fen die Schulregeln, auch wenn sie die allgemeine Ordnung garantieren, nicht völlig rigide sein. So muss dem Schüler die aktive Mitgestaltung und Veränderbarkeit von Regeln ge- währleistet werden. Der Lehrer als konkrete Bezugsperson muss dem Schüler hierbei die Reformationsmöglichkeit einräumen, da sich die Persönlichkeit des Schülers innerhalb konkreter, zwischenmenschlicher Situationen entwickelt. Auf diese konkreten Situationen hat der Lehrer durch sein Verhalten und seine individuelle Didaktik entscheidenden Ein- fluss, da er die Regeln zunächst vorgibt und somit die Handlungsmöglichkeiten des Schü- lers einschränkt. Auch wenn diese konkreten Situationen entscheidend sind, soll an dieser Stelle zunächst auf die allgemeinen Rahmenbedingungen hingewiesen werden. Eine Schule als Institution ist schließlich immer an institutionelle Vorgaben, demnach an Geset- ze gebunden, denen sich auch der Lehrer unterwerfen muss. Aus diesem Grund kann der Lehrer dem Schüler immer nur in diesem eingegrenzten Rahmen der institutionellen Richt- linien Mitgestaltungsmöglichkeiten zubilligen.17

Zur Veranschaulichung können die curricularen Lehrpläne herangezogen werden. Äußert der Schüler beispielsweise Interesse für ein bestimmtes Thema, wird der Lehrer diesem Wunsch nur gerecht werden können, wenn das Nachkommen nicht auf Kosten der eigent- lichen Themen geschieht. Aus diesem Grund muss bevor überprüft wird, ob der Lehrer die produktive Realitätsverarbeitung in Form der Mitgestaltbarkeit des Schülers ermöglicht, nachgefragt werden, inwieweit der Lehrer überhaupt die Möglichkeit durch die institutionel- len und innerschulischen Vorgaben hat. Aus diesem Grund werden im Folgenden die Or- ganisationsstrukturen am Beispiel der Robert Schumann Europaschule (RSE) erläutert werden.

[...]


[1] vgl. Baumgart, Franzjorg (Hrsg.): Theorien der Sozialisation. 4. Aufl. Bad Heilbrunn 2008. S. 18.

[2] vgl. http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Gemeinschaftsschule/index.html [Stand 19.12.10]

[3] vgl. Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend eine Einfuhrung in sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 9. ak- tualisierte Ausgabe. Weinheim [u.a.] 1997. S. 72-78.

[4] Baumgart, Franzjorg (Hrsg.): Theorien der Sozialisation. A.a.O. S. 11.

[5] Bonsch, Manfred: Gesamtschule. Die Schule der Zukunft mit historischem Hintergrund. In: Kaiser, Astrid/Winkel, Rainer (Hrsg.): Grundlagen der Schulpadagogik. Band: 54. Baltmannsweiler 2006. S. 1.

[6] vgl. ebd., S. 1ff.

[7] vgl. Hinz, Renate: Das Schulsystem in der BundesrepublikDeutschland. In: Kiper, Hanna/Meyer, Hil- bert/Topsch, Wilhelm (Hrsg.): Einfuhrung in die Schulpadagogik. Berlin 2005. S. 49f.

[8] vgl. http://www.rsg-willich.de/RSE%20Schulprogramm%202009.pdf [Stand: 19.12.10]

[9] vgl. Baumgart, Franzjorg: Theorien der Sozialisation. A.a.O. S. 13ff.

[10] vgl. Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend eine Einfuhrung in sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 10. Auflage. Weinheim [u.a.] 2009. S. 13-17.

[11] Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend eine Einfuhrung in sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 9. ak- tualisierte Ausgabe. Weinheim [u.a.] 1997. S. 73.

[12] ebd.

[13] ebd.

[14] vgl. ebd.

[15] ebd.

[16] vgl. ebd.

[17] vgl. Hurrelmann, Klaus: Einfuhrung in die Sozialisationstheorie. 8. vollstandig uberarbeitete Auflage. Wein- heim/Basel 2002. S. 197ff.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Acht Maxime zur Lebensphase Jugend (nach Klaus Hurrelmann)
Untertitel
Erläuterung am Beispiel der Gesamtschulsozialisation
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,3
Jahr
2010
Seiten
16
Katalognummer
V190818
ISBN (eBook)
9783656158332
ISBN (Buch)
9783656158400
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
8 Maxime, Sozialisation, Schule, Klaus Hurrelmann, Gesamtschule, Identität, Jugend, Jugendphase, Identitätsentwicklung, Ich-Identität, Schulsozialisation
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, Acht Maxime zur Lebensphase Jugend (nach Klaus Hurrelmann), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190818

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