Darstellung der Diskursanalyse des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS)


Hausarbeit, 2003

60 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitende Anmerkungen

2 Begriffliche Grundlagen
2.1 Was ist ein Diskurs?
2.2 Das synchrone System kollektiver Symbolik
2.3 Die >Normalität< der Diskurse
2.4 Das Dispositiv (Diskurs, Handeln und Manifestationen)
2.5 Kritische Diskursanalyse
2.5.1 Reflexion und Diskussion des Begriffs >Kritische Diskursanalyse<
2.5.2 Reflektion und Diskussion des Foucaultschen Machtverständisses

3 Die Methodik der kritischen Diskursanalyse: Das Analyseverfahren
3.1 Das Vorgehen bei der Strukturanalyse
3.1.1 Der diskursive Kontext
3.1.2 Gewinnung des Materialkorpus
3.1.3 Vom Materialkorpus zum Dossier: Struktur- bzw. Überblicksanalyse
3.1.4 Von der Strukturanalyse eines Diskursstrangs zum typischen Artikel bzw. Diskursfragment
3.1.5 Die Gesamtinterpretation des Diskursstrangs
3.1.6 Synoptische Analyse
3.2 Die Analyse von Diskursfragmenten – die Feinanalyse
3.2.1 Analyseschritte bei der Analyse von Diskursfragmenten
3.2.2 Analyseschritte im Überblick
3.2.3 Die Analyseschritte im Einzelnen

4 Abschließende Bewertung der kritischen Diskursanalyse
4.1 Psychologische Diagnostik
4.2 Fazit

Literatur

1 Einleitende Anmerkungen

Begriffe wie Diskurs oder Diskurstheorie werden von verschiedenen Autoren unterschiedlich verwandt. Bei Jürgen Habermas etwa sind Diskurse Veranstaltungen, in denen wir Geltungsansprüche begründen. Bei den sich auf Michel Foucault berufenden Diskursanalytikern ist der Diskursbegriff dem gegenüber von der Intersubjektivtät befreit. Der Diskurs ist dem Intersubjektiven, sofern dieser Begriff in der Tradition Foucaults überhaupt bestimmbar ist, vorgelagert. Werden nun empirische Verfahren entwickelt oder empirische Untersuchungen unternommen, ist einsichtig, dass es von den unterschiedlichen Sichtweisen diskurstheoretischer Ansätzen abhängt, wie Diskursanalyse zu verfahren hat. Es gibt eine ganze Fülle von Ansätzen, die sich teilweise aufeinander beziehen und sich vielfach überschneiden. Entsprechend vielfältig ist das Instrumentarium der Diskursanalyse(n), das zudem je nach den zu untersuchenden Gegenständen variiert werden kann bzw. variiert werden muss[1]. Wir stellen in dieser Arbeit einen Ansatz von Diskursanalyse in den Mittelpunkt, der in der Diskurswerkstatt Duisburg um Siegfried und Margarete Jäger, in Anlehnung an die diskursanalytischen Überlegungen von Jürgen Link und orientiert am der Foucaultschen Diskursverständnis, entwickelt wurde und auf dessen Hintergrund eine Fülle konkreter Untersuchungen vorliegen[2].

Zunächst werden wir notwendige begriffliche Grundlagen erörtern. Dazu zählen >Diskurs<, >Tätigkeit<, >Kollektivsymbolik<, >Dispositiv<, >kritische Diskursanalyse< sowie Foucaults Begriff von >Macht<.

In einem nächsten Schritt wird die Methode der (kritischen) Diskursanalyse für die Analyse von Material den Bereich der Massenkommunikation (hier der Printmedien) dargestellt.

Abschließend wird Diskursanalyse kursorisch auf ihre Brauchbarkeit als Diagnostikum hin überprüft.

Hierbei geht es den Autoren nicht um eine erschöpfende Diskussion, oder gar um die Klärung mehrdeutiger Begrifflichkeiten, sondern einen skizzenhaften Überblick zu geben, der als Ausgangspunkt und Anregung für eine weitere, vertiefte Analyse (im Rahmen einer Diplomarbeit) verstanden werden könnte.

Ein Arbeitsschwerpunkt des Duisburger Instituts liegt auf der Analyse rassistischer Diskurse. Für unsere Darstellung übernehmen wir diesen Themenbereich zur Veranschaulichung der Methode und Theorie der Diskursanalyse, ohne uns explizit mit der Problematik des >Rassismus< auseinanderzusetzen.

2 Begriffliche Grundlagen

2.1 Was ist ein Diskurs?

Jäger[3] (1997) nutzt die Metapher eines >Flusses von Wissen durch die Zeit<, um ein Vorverständnis dafür zu aktivieren, was unter einem Diskurs zu verstehen ist. Wissen ist hierbei keineswegs so etwas wie Wahrheit, auch nicht etwa nur zeitweilig als wahr geltendes Wissen, sondern unter Wissen werden „alle Arten von Für-wahr-Gehaltenem oder Für-richtig-Gehaltenem, von Gewußtem, von Bewußtseinsinhalten also insgesamt“ verstanden (Jäger 1997, 132f). Dieser Fluss von Wissen wird von den miteinander sprechenden und kooperierenden Menschen aufrechterhalten und mehr oder minder schnell und differenziert verändert. Diskurse unterscheiden sich im Detail und sind mehr oder minder stark strukturiert, geregelt, d.h. konventionalisiert bzw. sozial. Dies gilt für Formen der Äußerungen wie auch für deren Inhalte, die in jeweiligen Gesellschaften relativ stabil sind. „Das in den Diskursen jeweils Gesagte ist zugleich tendenziell dasjenige, was gesagt und getan werden kann, ohne wegen der Verletzung dieses Gebots sanktioniert werden zu müssen. Hier sind die Grenzen selbstverständlich fließend.“ (Jäger 1997, 133) Während sich Foucault, einer der geistigen Väter dieses Ansatzes, der Analyse und Kritik der Diskurse der Humanwissenschaften widmete, plädiert Jäger dafür, diese Ideen auch für Analyse von Diskursen auf den Ebenen der Medien, der Literatur, der Politik, der Erziehung und des Alltags fruchtbar zu machen.

Der gesellschaftliche Gesamtdiskurs, der auch die eben genannten Ebenen einschließt, setzt sich aus einer Vielzahl von Themen zusammen, die meist eng miteinander verwoben sind. Trotz dieser engen Verwobenheit dieser Vielzahl von Themen ist laut Jäger eine analytische Abgrenzung zumeist möglich: „Solche thematisch abgrenzbaren Teile des Diskurses kann man sich – etwas bildlich gesprochen – als Diskursstränge vorstellen; etwa als den Diskursstrang über Einwanderung, Flucht und Asyl, über Frauen, über Gesundheit etc.“(Jäger1997, 133).

Stark vereinfacht lässt sich die Metapher des >Flusses von Wissen durch die Zeit<, der aus der Vergangenheit prägend in die Gegenwart greift und die Zukunft mitbestimmt, anhand folgender Graphik verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Was ist der Diskurs (Jäger 1997, 134)

Wie in der Abbildung dargestellt, sind die verschiedenen Diskursstränge eng miteinander verflochten und bilden in dieser Verflochtenheit ein >diskursives Gewimmel<, die Entwirrung dieses >Gewimmels< ist Aufgabe der Diskursanalyse. Auf die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Diskursstränge und auf die Art und Weise der Überschneidungen und Überlappungen ist hierbei besonderes Augenmerk zu richten. (Vgl. Jäger 1997, S. 133)

Als Diskursfragment wird ein Text oder Textteil bezeichnet, der ein bestimmtes Thema behandelt, so z.B. das Thema Ausländer/Ausländerangelegenheiten. Ein Diskursstrang besteht aus Diskursfragmenten gleichen Themas und hat eine synchrone und eine diachrone Dimension. (Vgl. Jäger 2001, 160) Die diachrone Dimension des Diskursstranges markiert die sozial-historische Gewordenheit von Wissen. Ein synchroner Schnitt durch einen Diskursstrang hat eine gewisse qualitative (endliche) Bandbreite und mittels eines solchen Schnittes lässt sich ermitteln, „was zu einem bestimmten gegenwärtigen oder früheren Zeitpunkt bzw. jeweilige Gegenwarten „gesagt“ wurde bzw. sagbar ist bzw. war“ (Jäger 2001, 160).

Die Diskursstränge stellen Bündelungen von Routinen dar. Sie wurden historisch erarbeitet und haben den Charakter von Regeln, denen die Menschen weitgehend routinehaft folgen. Aus dieser Perspektive beschreibt Diskursanalyse diese Routinen, die das Handeln der Menschen leiten, versucht sie bewusst zu machen, die sozusagen abgestorbenen Handlungen zu revitalisieren. (Vgl. Jäger 2001, 211)

Diskurse kann man als eine artikulatorische Praxis begreifen, die soziale Verhältnisse nicht passiv repräsentieren, sondern diese als Fluss von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit aktiv konstituiert und organisiert. Es steht hierbei nicht die individuelle Tätigkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Diskurstheorie richtet den Blick in erster Linie auf das Soziale. Das bedeutet, dass Texte/Diskursfragmente nicht primär als etwas Individuelles betrachtet werden, sondern als gesellschaftliche Produkte. (Jäger 2001, 23f)

Mit diskursiven Ereignisse sind solche Ereignisse gemeint, die medial groß herausgestellt werden und die als solche die Richtung und die Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, mehr oder minder stark beeinflussen. Beispiele hierfür sind die Asyldebatte, der Abriss der Berliner Mauer oder das Politikum § 218. Ein konkretes Beispiel: Der Atom-Gau von Harrisburg war ähnlich folgenschwer wie der von Tschernobyl. Der erstere wurde aber medial jahrelang nicht verhandelt, der letztere demgegenüber zu einem medial-diskursiven Großereignis und beeinflusste als solches die gesamte Weltpolitik. Wird ein Ereignis zu einem diskursiven Großereignis beeinflusst es also die weiteren Diskurse erheblich. (Vgl. Jäger 2001, 162)

Spezialdiskurse und Interdiskurs: Grundsätzlich ist laut Jäger zwischen Spezialdiskursen der Wissenschaften und dem Interdiskurs zu unterscheiden. Hierbei werden alle nicht-wissenschaftlichen Diskurse als Bestandteile des Interdiskurses aufgefasst. Zugleich fließen ständig Elemente der wissenschaftlichen Diskurse (Spezialdiskurse) in den Interdiskurs ein. (Vgl. Jäger 2001, 159)

Die jeweiligen Regeln, die als Bestandteil der Diskurse im Diskurs eingehalten werden müssen, unterschieden sich. So folgt ein akademischer Vortrag mit anschließender Diskussion anderen Regeln als ein Gespräch am Mittagstisch. Gegen die Regeln des Gesprächs am Mittagstisch wäre bspw. verstoßen, wenn man von Dingen spricht oder Dinge tut, von denen man am Mittagstisch eben nicht spricht oder die man nicht tut. (Vgl. Jäger 2001, 129) Regelverstöße sind laut Jäger diskursiv und geregelt, sie können den Charakter von Gegendiskurs elementen annehmen: „Solche (Elemente von) Gegendiskurse(n) bzw. Abweichungen von den „normalen“, allgemein gebräuchlichen Diskursregeln können sanktioniert werden, zurückgewiesen oder auch bestraft werden. Hier zeigt sich auf der Mikroebene die Verknüpfung von Diskurs und Macht (oder sogar Herrschaft). Diskurse sind mit Macht verbunden - und mit Gegenmacht. Insofern kann man auch von einem ständigen „Kampf der Diskurse“ sprechen, von Ausbrechversuchen aus dem „normalen“ oder dem hegemonialen Diskurs etc.“ (Jäger 2001, 129f)

Das anspruchsvolle Projekt der Diskursanalyse ist die Erfassung des jeweils Sagbaren in seiner qualitativen Bandbreite. Anders: Das Erfassen „aller Aussagen, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit geäußert werden (können), aber auch die Strategien, mit denen das Feld des Sagbaren ausgeweitet oder auch eingeengt wird, etwa Verleugnungsstrategien, Relativierungsstrategien etc.“ (Jäger 2001, 130). Das Sagbarkeitsfeld kann durch direkte Verbote und Einschränkungen, Anspielungen, Implikate, explizite Tabuisierungen aber auch durch Konventionen, Verinnerlichungen, Bewusstseinsregulierungen etc. eingeengt oder auch zu überschreiten versucht werden (ebd.). „Der Diskurs als ganzer ist die regulierende Instanz; er formiert Bewusstsein“ (Jäger 2001, 130). Die Masse von gesagten Dingen unterliegt bestimmten Ordnungen; die Produktion von Diskursen ist gesellschaftlich organisiert, reglementiert, selektiert und kontrolliert. Das heißt gesellschaftliche Machtverhältnisse bestimmen, was, von wem und wie gesagt wird (vgl. Seitz 1998, 106).

Jäger vertritt keine Abbildtheorie. Gesellschaftliche Wirklichkeit spiegelt sich demnach in den Diskursen nicht einfach wider, sondern die Diskurse führen gegenüber der Wirklichkeit einerseits eine Art >Eigenleben< und andererseits bestimmen sie das Prozessieren und die Gestaltung von Wirklichkeit. (Vgl. Jäger 1997, 137)

Jäger setzt sich allerdings von einem systemtheoretischen Verständnis von Diskursen ab: Diskurse sollten keinesfalls „als selbständige oder gar selbstreferentielle Strukturen (...) mißverstanden werden; Diskurse prägen und formieren Realität nicht unmittelbar, sondern eben immer nur vermittelt über die dazwischentretenden tätigen Subjekte in ihren gesellschaftlichen Kontexten als Produzenten der Diskurse und der Veränderung von Wirklichkeit. Das Individuum ist im Diskurs tätig, es ist auf den sozialen Diskurs verwiesen, wenn es tätig sein will bzw. muß; es ist in den sozialen Diskurs verstrickt, und es kann erst im Diskurs tätig sein, in den es eingebunden ist, dem es unterworfen ist, durch den es subjektiviert wird.“[4] (Jäger 1997, 138)

Über den Tätigkeitsbegriff von Leontjew als >allgemeinste Kategorie menschlichen Tuns<, der neben Handeln auch menschliches Denken und Sprechen zugeordnet wird, versucht Jäger, das >Überindividuelle< des Diskurses mit dem Individuum, dem >tätigen Subjekt<, zu vermitteln (vgl. Jäger 2001, 79). Mit Leontjew verstehen wir unter Tätigkeit „(…) eine ganzheitliche, nicht aber eine additive Lebenseinheit des körperlichen, materiellen Subjekts (…), deren reale Funktion darin besteht, das Subjekt in der gegenständlichen Welt zu orientieren. (Leontjew 1979 zitiert nach Wehrstedt 1994, 1079)[5]. Leontjew unterscheide, so Jäger, zwischen einer Subjekt- und einer Objektwelt. Die entstandene Kluft wird mit >Tätigkeit< geschlossen, d.h. die Tätigkeit ist eine zwischen Objektwelt und Subjektwelt vermittelnde Kategorie. (vgl. Jäger 2001, 111).

Die über Tätigkeit vom Subjekt angeeigneten gesellschaftlichen Wissensbestände (Diskurse) sind historisch und existieren unabhängig vom einzelnen Individuum, weshalb es sich diese Erfahrungen im Verlaufe seiner je individuellen Entwicklung im praktischen Umgang erst aneignen muss. Im Prozess dieser Aneignung reproduziert das Individuum die historisch entstandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Leontjewsche Betonung der sozialen Bestimmtheit der Psyche (der Mensch als soziales >Produkt<) findet in der Annahme ihren Ausdruck, dass erst diese Aneignung gesellschaftlich-tradierten Wissens das Individuum zum wirklichen (d.h. sozialen) Menschen mache. (Vgl. Thielen 1994, S. 603)

Dieses gesellschaftlich-tradierte Wissen (i. S. von Diskursen) resultiert aus den Kämpfen und Auseinandersetzungen der tätigen Menschen in der Gegenwart und in der Vergangenheit, wobei kein Einzelner und keine Gruppe ihn (strikt) so gewollt hat, wie er sich jeweils aktuell darstellt (vgl. Jäger 1997, 138). „Trotzdem ist er bzw. das fluktuierende Gewimmel von Wissen, das er transportiert, genuines Menschenwerk. Dies könnte man auch so ausdrücken, daß die Diskurse, obwohl von den Subjekten ständig (re-)produziert, zugleich hinter deren Rücken prozessieren.“ (Jäger 1997, 138). Die Macht über die Diskurse ist allerdings ungleich verteilt und durch die Macht über die Diskurse wird Herrschaft ausgeübt. Jäger folgt Foucault, wenn er schreibt: „Das (einzelne) Subjekt konstituiert den Diskurs nicht, eher ist das Umgekehrte der Fall. Der Diskurs ist überindividuell. (...) Das Subjekt nimmt im Gewimmel der Diskurse eine bestimmte Position ein, die auch als Subjektposition oder Diskursposition bezeichnet wird.“ (Jäger 1997, 139)

Mit der Kategorie der Diskursposition soll ein spezifischer politischer Standort einer Person, eines Mediums oder auch einer Institution ausfindig gemacht werden. Margret Jäger (1996) definiert die Kategorie der Diskursposition folgendermaßen:

„Unter einer Diskursposition verstehe ich den Ort, von dem aus eine Beteiligung am Diskurs und seine Bewertung für den Einzelnen und die Einzelne bzw. für Gruppen und Institutionen erfolgt. Sie produziert und reproduziert die besonderen diskursiven Verstrickungen, die sich aus den bisher durchlebten und aktuellen Lebenslagen der Diskursbeteiligten speisen. Die Diskursposition ist also das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse, denen das Individuum ausgesetzt war und die es im Verlauf seines Lebens zu einer bestimmten ideologischen bzw. weltanschaulichen Position (...) verarbeitet hat.“ (47)

Die Diskursanalyse soll die Art und Weise und den Grad der Verstricktheit von Personen oder Institutionen in Diskurse ermitteln, diese Verstricktheit kritisch hinterfragen und Vorschläge zur Veränderung der zutage geförderten Positionen entwickeln (vgl. Jäger 1997, 139).

2.2 Das synchrone System kollektiver Symbolik

Um den Zusammenhalt der Diskurse beschreiben zu können, rekurriert Jäger auf Jürgen Link[6]. Nach Link werden die Diskurse durch ein synchrones System kollektiver Symbolik zusammengehalten, wie es in allen Gesellschaften, in unterschiedlichen Ausprägungen, zu beobachten ist. Ein für die Bundesrepublik Deutschland entworfenes System hat Link beschrieben und wird in folgender Abbildung, einer politischen Topik der Bundesrepublik, dargestellt. (Jäger 1997, S.134f)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Das synchrone System kollektiver Symbolik (Link 1984, in Jäger 1997, 135)

Das Schaubild lässt sich folgendermaßen erklären (Link 1984, zitiert nach Jäger 1997, S.135f): Die Kreislinie symbolisiert die Grenze unseres Systems. Die Horizontale soll die politische Taxonomie eines linken Flügels, eines rechten Flügels und einer Mitte versinnbildlichen. Die Vertikale stellt einen oberen und einen unteren Abschnitt und wiederum die Mitte unseres Systems dar. Die Diagonale bildet die Achse rückwarts-Mitte-vorwarts ab.

„Unterhalb der Horizontalen wird die Finsternis des Untergrunds verortet, die des Urwalds und des Dschungels. In der Mitte unseres Systems sitzt danach unser Herz, auch unser Motor oder unser Energiezentrum. Wenn wir vermeiden wollen, in eine Schieflage zu geraten, ist Ausgewogenheit unbedingt geboten. Vor allem müssen die Außenwände des Kessels oder Panzers, in dem wir sitzen, gegen das Chaos aus Flut, Wüste, Dschungel, leerem Weltraum, Gewittern, Blitzen, Bränden, Stürmen, dunkler Nacht, Ungeheuern und Viren absolut wasserdicht halten. In der Mitte seines Panzers sitzt das Subjekt: als ich und als wir gleichermaßen einzig in seinem Eigentum -während draußen die Finsternis noch dichter wird.“ (Jäger 1997, S.136) Die Symbole im inneren Bereich lassen sich auf den menschlichen Körper und industrialistische Vehikel zurückführen, für den äußeren Bereich stehen Symbole, die das Chaos markieren (Jäger 2001, 137).

Die in dieser Topik verwendeten Symbole werden von Link als Kollektivsymbole bezeichnet. Sie sind allen Menschen einer Sozialgemeinschaft unmittelbar einleuchtend. Link (1997) versteht unter Kollektivsymbolik die gesamte Bildlichkeit einer Kultur, weit verbreitete Allegorien und Embleme, Metaphern, Exempelfälle, anschauliche Modelle, Topiken, Vergleiche und Allegorien (Jäger 2001, 134) Gekoppelt werden diese, den unterschiedlichsten Bildspendebereichen entstammende Symbole, durch Bildbrüche (Katachresen). „Kollektivsymbole stellen eine Art mäanderndes Band dar, das sich durch die unterschiedlichsten Diskursstränge zieht und dem gesellschaftlichen Gesamtdiskurs außerordentliche Stabilität verleiht, auch wenn dabei äußerst widersprüchliche Aussagen miteinander verbunden werden“ (Jäger 1997, S.136). Mit Hilfe des Systems der kollektiven Symbole lässt sich laut M. Jäger (1996, S.24) „jede Veränderung – und sei sie noch so dramatisch – symbolisch integrieren.“

Die Funktion des Systems kollektiver Symbole besteht Link zufolge darin, dass es den >Kitt der Gesellschaft< bildet: Es suggeriert eine „imaginäre gesellschaftliche und subjektive Totalität für die Phantasie: Während wir in der realen Gesellschaft und bei unserem realen Subjekt nur sehr beschränkten Durchblick haben, fühlen wir uns dank der symbolischen Sinnbildungsgitter in unserer Kultur stets zu Hause“ (Jäger 1997, S.137). So wissen wir bspw. nichts oder kaum etwas über die Ursachen der Flucht, über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Einwanderern und Flüchtlingen; hören oder lesen wir aber von einer Flüchtlingswelle oder einer Flut von Einwanderern, so liegt die vorsorgliche Einrichtung von Dämmen nah. Wir verstehen also sofort, dass diese Flut uns bedroht, auch Dämme können brechen. Die so kodierten Menschen verlieren ihren Subjektstatus und damit das Anrecht auf Schutz, sie sind Bestandteile des außersystemischen Chaos, das es abzuwehren oder gar zu vernichten gilt. (Vgl. Jäger 1997, S.137f)

[...]


[1] Einen knappen Überblick einiger sich als diskurstheoretisch begreifender Ansätze gibt Jäger (2001, 121ff)

[2] Siehe exemplarische Analysen in: M. Jäger (1996), M. Jäger und H. Kaufmann (2002), M. Jäger und S. Jäger (1993), Jäger (2001), M. Jäger und S. Jäger (1999), Jäger (1994), Jäger und A. Schobert (2000), I. Dietrich (1997)

[3] Wenn wir in der vorliegenden Arbeit von >Jäger< schreiben, dann ist damit Siegfried Jäger gemeint. Wir stellen dem ein >M< voran, wenn seine Ehegattin (Margarete Jäger) die Autorin ist.

[4] In unserer Auseinandersetzung mit Jägers Begrifflichkeit von >Diskurs< stellten wir eine gewisse Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Struktur von Diskursen fest. Jäger betont zwar, dass Diskurse nicht selbstreferentiell seien, hebt anderseits die Eigengesetzlichkeit bzw. Überindividualität von Diskursen hervor. Wir wollen an dieser Stelle lediglich auf diese begriffliche Unschärfe hinweisen; eine Klärung dieser Problematik kann nicht Bestandteil dieser Arbeit sein. Das wesentliche Problem, die Vermittlung zwischen dem aktiven Subjekt Leontjews und dem den Diskursen unterworfenen Sub-jekt, gelingt u. E. Jäger allerdings nicht. Jäger macht mit der Einführung des Begriffs der Tätigkeit lediglich plausibel, wie die Aneignung des präexistenten gesellschaftlichen Wissens durch das Subjekt vorzustellen ist.

[5] Nach Wehrstedt (1994) ist der Begriff der gegenständlichen, zielgerichteten Tätigkeit zu den Grundbegriffen der zeitgenössischen materialistischen Psychologie zu rechnen (vgl., 1079). Die gegenständliche Tätigkeit diene der praktischen und geistigen Aneignung der Welt sowie ihrer unmittelbaren Veränderung. Die wesentlichste Form der menschlichen Tätigkeit sei hierbei die Arbeitstätigkeit als Bedingung der menschlichen Existenz und als bedeutendste gesellschaftliche Triebkraft überhaupt. (Vgl. Wehrstedt 1994, 1079)

[6] Die Diskursanalysen Jürgen Links und der Mitarbeiter der Diskurswerkstatt Bochum konzentrieren sich primär auf die Analyse von Kollektivsymbole. Diesen Ansatz wurde in das Duisburger Verfahren der Diskursanalyse eingebaut. Eine Fülle konkreter Analysen auf diesem Hintergrund kann der Leser in der von Jürgen Link und Ulla Link-Heer herausgegebene Zeitschrift kultuRRevolution studieren.

Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Darstellung der Diskursanalyse des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS)
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz  (2004)
Veranstaltung
Diagnostik
Note
1,0
Autoren
Jahr
2003
Seiten
60
Katalognummer
V28703
ISBN (eBook)
9783638304078
Dateigröße
980 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit wird geklärt: Der Begriff des Diskurses, das synchrone System kollektiver Symbolik (Link), die Kategorie der Normalität, der Begriff des Dispositivs, das Selbstverständnis von Kritik in der kritischen Diskursanalyse, der Begriff der Macht nach Foucault. Vorstellung der empirischen Analyseinstrumentarien der kritischen Diskursanalyse (Strukturanalyse, Feinanalyse, etc.).
Schlagworte
Darstellung, Diskursanalyse, Duisburger, Instituts, Sprach-, Sozialforschung, Diagnostik, Thema Diskursanalyse
Arbeit zitieren
Arndt Keßner (Autor:in)Christoph Herrmann (Autor:in), 2003, Darstellung der Diskursanalyse des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28703

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