Bindungstheorie und Bindungsforschung

Bedeutung der Väter als Bindungsperson


Seminararbeit, 2008

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen der Bindungstheorie
2.1. Definition des Begriffes „Bindung“
2.2. Die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth
2.2.1. Feinfühligkeit
2.2.2. Sichere Basis
2.2.3. Innere Arbeitsmodelle
2.2.4. Bindungstypen

3. Aktuelle Bindungsforschung

4. Bedeutung der Väter als Bindungspersonen
4.1. Aktuelle Väterforschung
4.1.1. Die Rolle des Vaters
4.1.2. Feinfühligkeit von Vätern
4.1.3. Langfristige Bedeutung von Vater-Kind-Bindungen
4.1.4. Fazit
4.2. Konsequenzen der Väterforschung für die Soziale Arbeit

5. Schlussbetrachtung

Quellenangaben

1. Einleitung

Die Bedeutung von Bindungen wird zurzeit in vielen Lebensfeldern von Kindern und Jugendlichen intensiv diskutiert. Es stellt sich die Frage, ob überhaupt und ab welchem Alter es sinnvoll ist, Kinder in Krippen zu betreuen und erziehen zu lassen. Können ErzieherInnen Mütter für einen gewissen Zeitraum vertreten, oder ist die Bindung zwischen Mutter und Kind durch nichts zu ersetzen. Oft werden Frauen die Kinderziehung und Beruf miteinander verbinden damit konfrontiert, dass sie sich nicht ausreichend um ihre Jüngsten kümmern können und deshalb sogar als Rabenmütter bezeichnet werden. Diese Punkte haben dazu beigetragen, dass vermehrt die Bedeutung von Vätern für das Aufwachsen von Kindern in den Fokus der Wissenschaft trat und neue Fragestellungen im Kontext mit der Erforschung von Bindungen aufkamen. So wachsen z.B. aufgrund der hohen Scheidungsrate in der Bundesrepublik Deutschland viele Kinder ohne die ständige Anwesenheit ihrer Väter auf. Haben diese Kinder die gleichen Entwicklungschancen wie Kinder aus vollständigen Familien? Warum bekommen in Sorgerechtsentscheidungen meist die Mütter das Sorgerecht für das gemeinsame Kind zugesprochen und sind allein erziehende Mütter überhaupt in der Lage, die Rolle der Väter mit zu übernehmen?

Es zeigt sich, dass das Themengebiet Mutter-Kind bzw. Vater-Kind-Bindungen aktueller denn je ist. Die vorliegende Arbeit versucht mit Hilfe der Bindungstheorie und der Bindungsforschung viele dieser offenen Fragen anzugehen. Die Basis dieser Arbeit stellt die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth dar, welche ausführlich dargelegt wird. Begrifflichkeiten wie „Feinfühligkeit“ oder „sichere Basis“ werden vorgestellt und erläutert. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den aktuellen Ergebnissen der Bindungsforschung. Zum Abschluss der Hausarbeit wird die Bedeutung von Vater-Kind-Bindungen dargestellt. Neben aktuellen Ergebnissen der Väterforschung, werden Möglichkeiten der Einbeziehung von Vätern in die verschiedenen Bereiche der Sozialen Arbeit erörtert.

2. Grundlagen der Bindungstheorie

Um einen Einblick in die Bindungstheorie zu bekommen, werden im Folgenden die wesentlichen Kernpunkte dieses Konzeptes vorgestellt. Nach einer kurzen Definition des Begriffes „Bindung“ werden die Grundlagen der Bindungstheorie und die damit verbundenen Begrifflichkeiten erörtert.

2.1. Definition des Begriffes „Bindung“

Der Wunsch Bindungen einzugehen, wird neben Nahrungsaufnahme und Sexualität als primäres, angeborenes Grundbedürfnis eines Menschen angesehen. John Bowlby, der als Begründer der Bindungstheorie angesehen wird, schreibt hierzu: „Die Ethologie betrachtet die Neigung, starke emotionale Bindungen zu spezifischen Individuen aufzubauen, als eine grundlegende Komponente der menschlichen Natur, welche im Keim bereits beim Neugeborenen vorhanden ist und die bis zum Erwachsenenalter und hohen Alter bestehen bleibt“ (Spangler/Zimmermann 2002, S. 20f.). Nach Aussagen John Bowlbys ist Bindung: „… jede Form von Verhalten, das durch das Suchen oder Aufrechterhalten von Nähe zu einer anderen Person entsteht, die in der Lage zu sein scheint, besser mit der Welt zurecht zu kommen“ (Bowlby 1988, S. 26f. sinngemäß übersetzt). Bindung bedeutet also die Neigung eines Menschen, enge, von intensiven Gefühlen getragene Beziehungen zu anderen spezifischen Personen zu suchen und beizubehalten, die ihm subjektiv ein Gefühl von physiologischer und/oder psychischer Sicherheit vermitteln.

In Wechselbeziehung zum Bindungsverhalten stehen die komplementären Bedürfnisse eines Kindes nach Exploration und autonomen Verhalten. In der Praxis bedeutet dies, dass sichere Bindungen mit Bezugspersonen eine wesentliche Vorraussetzung für Kinder sind, um sich von diesen zu lösen und selbständige Erkundungen unternehmen zu können (vgl. Spangler/Zimmermann 2002, S. 21).

2.2. Die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth

Die Anfänge der Bindungsforschung sind untrennbar mit dem englischen Psychiater John Bowlby verbunden (*1907 – +1990). Den Anstoß zu seinem lebenslangen Forschungsprojekt erhielt John Bowlby im England der Nachkriegszeit, wo er als Kinderpsychiater in zwei Heimen mit schwer erziehbaren Kindern und Jugendlichen arbeitete (vgl. Schleiffer 2007, S. 16). Durch die Folgen des Krieges waren die Kinder von ihren Eltern getrennt worden und wiesen teilweise ausgeprägte Persönlichkeitsstörungen auf, für welche zunächst keine zufrieden stellenden Erklärungen gefunden wurden. Bowlby stand gleichermaßen den physikalischen Erklärungsversuchen des Behaviorismus, für den sich jedes beobachtbare Verhalten in ein Reiz-Reaktionsschema einordnen lässt, kritisch gegenüber, wie auch den empirisch nicht verifizierbaren Vermutungen der Psychoanalyse (vgl. Schleiffer 2007, S. 17). Aufgrund von fehlenden Antworten entwickelte Bowlby die Bindungstheorie, „ein Konzept der personenbezogenen tiefen emotionalen Beziehung des Kleinkindes an (zunächst) seine Mutter bzw. Hauptpflegeperson“ (Stahlmann 2007, S. 50). John Bowlby gelang es, durch die Verbindung von „entwicklungspsychologischem, klinisch-psychoanalytischem und evolutionsbiologischem Wissen“, die Bedeutung der Bindung eines Kindes an seine Mutter (bzw. an seine primäre Bezugsperson) in der frühen Kindheit herauszuarbeiten (Stahlmann 2007, S. 50). In seine Theorie integrierte Bowlby die Erkenntnisse von René Spitz, dass eine alleinige Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen bei der Versorgung von Kindern im Krankenhaus nicht für deren Überleben und Wohlergehen ausreicht, und die Ergebnisse von Harry F. Harlow, dessen Rhesusaffen die Wichtigkeit der emotionalen Bedürfnisbefriedigung zeigten, indem sie in Versuchen die weiche Mutterattrappe der Versorgungsattrappe aus Metall bevorzugten (vgl. Rittelmeyer 2005, S. 49ff). Die Bindungstheorie ist aber nicht alleine mit dem Namen John Bowlbys in Verbindung zu bringen. Weitere Wissenschaftler haben sich mit der Bedeutung von Bindungsbeziehungen auseinandergesetzt - unter anderem Mary Ainsworth. Sie „untermauerte nicht nur die wesentlichen Aussagen der Bindungstheorie durch empirische Befunde, sondern trug durch die Berücksichtigung individueller Unterschiede und den Begriff der sicheren Basis auch wesentlich zu ihrer Erweiterung bei“ (vgl. Spangler/Zimmermann 2002, S. 27). Aus diesem Grund werden auch ihre Erkenntnisse in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt.

Verschiedene Begrifflichkeiten wie z.B. die „Feinfühligkeit“ oder die „sichere Basis“ sind unzertrennlich mit der Bindungstheorie verknüpft. Um die im Wesentlichen von John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelte Bindungstheorie zu verstehen, werden diese Begriffe im Folgenden genauer erläutert und somit gleichzeitig die Bindungstheorie vorgestellt.

2.2.1. Feinfühligkeit

Eine besondere Rolle bei der Entstehung von Bindungen zwischen Kind und Bezugsperson spielt die „Feinfühligkeit der Bezugsperson“ (Stahlmann 2007, S. 51). Ziegenhain verweist auf verschiedene Wissenschaftler und schreibt hierzu: „Elterliche Feinfühligkeit ist danach nicht nur wesentliche Bedingung für die aktuelle positive Befindlichkeit des Säuglings und Kleinkindes, sondern auch Vorraussetzung für die Entwicklung positiver sozial-emotionaler Kompetenzen im Vorschul- und Schulalter, ebenso wie für spätere positive Selbstwerteinschätzung“ (Ziegenhain, S. 104). Gemessen wird die Feinfühligkeit einer Bezugsperson an dem Maße, wie diese kindliche Signale wahrnimmt (z.B. weinen), wie richtig sie diese interpretiert (z.B. Kind hat Hunger) und inwieweit sie angemessen und prompt auf diese reagiert (z.B. Kind füttern) (vgl. Ziegenhain, S. 104). Begegnet eine Bezugsperson ihrem Kind in hohem Maße feinfühlig, entwickelt sich bei diesem emotionale Sicherheit und Vertrauen – es entsteht eine sog. sichere Basis. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Eltern adäquat, schnell und behutsam auf die Reaktionen ihres Babys bzw. Kleinkindes reagieren. Abgrenzung zur Überbehütung besteht in dem Maße, dass die Reaktionen der Bezugspersonen entwicklungsfördernd für das Kind sein müssen, also z.B. die Mutter dem Kind nicht etwas abnimmt, „was dieses selbst hätte tun können, bzw. inwieweit sie die Autonomie des Kindes respektiert“ (Stahlmann 2007, S. 51). Als Ergebnis von Feinfühligkeit lernt das Kind, dass die Mutter bzw. primäre Bezugsperson jemand ist, der Bedürfnisse befriedigt und dem man vertrauen kann – die Grundlage für die Entstehung einer sicheren Basis.

2.2.2. Sichere Basis

Im vorherigen Abschnitt hat sich gezeigt, dass die Feinfühligkeit der Bezugsperson die Bindungsbeziehung zum Kind wesentlich bestimmt. Aufgebaute Bindungen sind ausschlaggebend für das Kind und die Bindungsperson, da bei einer Trennung das „Bindungsverhaltenssystem aktiviert“ wird und das Kind Nähe und Kontakt zu seiner Bezugsperson sucht (vgl. Stadler 2002, S. 31). Mary Ainsworth führt in diesen Zusammenhang den Bergriff der „sicheren Basis“ (secure base) ein, welcher das Sicherheitsgefühl beschreibt, das eine Bindungsperson dem Kind bietet (vgl. Holmes 2006, S. 258). Jeremy Holmes schreibt über den Effekt der sicheren Basis: „Wenn uns Gefahr droht, klammern wir uns an unsere Bindungsperson. Wenn die Gefahr vorüber ist, ermöglicht es uns ihre Anwesenheit, zu arbeiten, zu entspannen und zu spielen – aber nur, wenn wir uns sicher sind, dass die Bindungspersonen da sein werden, wenn wir sie wieder brauchen. Wir können stürmische Meere ertragen, wenn wir uns eines sicheren Hafens gewiss sind“ (vgl. Holmes 2006, S. 258). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die sichere Basis dem Kind einerseits Sicherheit und Schutz bietet, andererseits die Grundlage für neugieriges Erforschen und Auskundschaften der Umgebung, das sog. Explorationsverhalten, darstellt.

2.2.3. Innere Arbeitsmodelle

Im Folgenden wird das Konzept der inneren Arbeitsmodelle vorgestellt. Dieses Konzept ist besonders bedeutsam, da es „derzeit das plausibelste Erklärungsmodell“ dafür ist, „dass sich frühe Bindungsstrategien im weiteren Entwicklungsverlauf von Kindern in ihrem Erleben und Verhalten fortsetzen“ (Ziegenhain, S. 106).

Die Grundannahme des Konzeptes der inneren Arbeitsmodelle ist der Gedanke, dass die Entwicklung des Bindungsverhaltens eines Kindes in erster Linie durch die alltäglichen Bindungserfahrungen mit seinen primären Bezugspersonen geprägt wird. John Bowlby erläutert die Entstehung von inneren Arbeitsmodellen wie folgt: „Das Individuum schafft sich Vorstellungsmodelle von der Welt und von sich selbst (…), mit deren Hilfe es Ereignisse wahrnimmt, die Zukunft vorhersieht und seine Pläne macht. Ein Schlüsselmerkmal des Versuchsmodells von der Welt, das sich jeder schafft, ist die Vorstellung von dem, wer seine Bindungsfiguren sind, wo er sie finden kann und wie sie wahrscheinlich reagieren“ (1986, S. 247). Innere Arbeitsmodelle sind demnach geistige Vorstellungen eines Menschen von sich selbst und seinen Bindungspersonen, die ihm helfen, seine Welt zu strukturieren, Reaktionen anderer Menschen mit einzubeziehen und so sein eigenes Verhalten an die betreffende Umwelt anzupassen. Ziegenhain merkt hierzu an: „Innere Arbeitsmodelle lassen sich als Ergebnis der Beziehungs(vor-)erfahrungen von elterlicher Verfügbarkeit und Feinfühligkeit beziehungsweise fehlender oder mangelnder Feinfühligkeit interpretieren“ (S. 106). Demnach entwickelt ein Kind durch die Beziehung zu seinen Bindungspersonen eine Vorstellung von sich selbst und seinem Gegenüber. So lernt ein Kind bei einer sehr feinfühligen Bezugsperson: „Wenn ich traurig bin, werde ich getröstet“, bei einer weniger feinfühligen Person eher: „wenn ich traurig bin, muss ich alleine zurechtkommen“. Diese aufgebauten inneren Vorstellungen eines Kindes beeinflussen dann wiederum sein Verhalten gegenüber seiner Umwelt. Ziegenhain schreibt hierzu: „ Das Kind sucht und erlebt neue Beziehungen im Kindergarten oder in der Schule auf der Grundlage seiner bisherigen Beziehungserwartungen und –erfahrungen mit sich selbst und anderen. Es verhält sich entsprechend seinen Erwartungen und die anderen reagieren entsprechend darauf“ (S. 106). Es zeigt sich, dass entstandene innere Arbeitsmodelle einen Menschen prägen und sein Leben maßgeblich beeinflussen. An diesem Punkt wird auch deutlich, wie eng die Entstehung des eigenen Selbstbildes mit Wertschätzung und Anerkennung oder Abwertung und Ablehnung von Seiten der Bindungspersonen verbunden ist (vgl. Ziegenhain, S. 106).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Bindungstheorie und Bindungsforschung
Untertitel
Bedeutung der Väter als Bindungsperson
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Veranstaltung
Konzepte kindlicher Entwicklung als Grundlagen Sozialpädagogischer Diagnostik und Krisenintervention
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V91891
ISBN (eBook)
9783638059817
ISBN (Buch)
9783638951760
Dateigröße
445 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bindungstheorie, Bindungsforschung, Konzepte, Entwicklung, Grundlagen, Sozialpädagogischer, Diagnostik, Krisenintervention
Arbeit zitieren
Carolin Büdel (Autor:in), 2008, Bindungstheorie und Bindungsforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91891

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