Mann, Heinrich - Der Untertan - 3 Analysen


Referat / Aufsatz (Schule), 1999

7 Seiten, Note: 15 Punkte


Leseprobe


Der Untertan

Nachdem der Staatsanwalt Jadassohn in seinem Plädoyer 2 Jahre Gefängnis für den der Majestätsbeleidung angeklagten Lauer beantragt hat, erteilt der Richter Sprezius dem Verteidiger Wolfgang Buck, Sohn des alten Buck, das Wort.

Nachdem sich die Stimmung im Gerichtssaal allerdings durch das Auftreten des Regierungspräsidenten Wulckow und die ergänzende Aussage von Diederich Heßling, die von Wolfgang Buck selbst zur ,,Volksrede" (Seite 230) erhoben wird, gegen den Angeklagten Lauer wendet, hat sein Verteidiger einen schweren Stand. So erhebt er sich ,,langsam" (Seite 235) von seinem Sitz, um eine gewisse Sicherheit auszudrücken, das Recht auf seiner Seite zu haben. Zu seiner Unterstützung, und in Vorahnung des Umstandes, daß die anderen, welche die Partei Lauers bisher bildeten, es nun vorziehen, sich der negativen Stimmung gegen sie durch Fernbleiben zu entziehen, hatte er ,,seine sonderbaren Freunde" (Seite 235) eingeladen, um wenigstens überhaupt jemanden im Saal auf seiner Seite zu haben, was Einfluß auf die anderen Zuschauer ausüben sollte. Um schließlich die Ohren der Zuhörer, die das Urteil zu diesem Zeitpunkt auch schon gesprochen haben, zu gewinnen, gibt er sich selbst für sein Plädoyer nur zwei Minuten Zeit und beginnt mit einer ungeheuerlichen Provokation, die alle aufhorchen läßt: er unterstellt die Möglichkeit einer Erpressung, deren Opfer die ,,als wahrheitsliebend bekannte(n) Männer" (Seite 236) seien. Dies ruft zunächst natürlich die Empörung des Gerichtes herbei, in Folge dessen er dem Gericht Diederich Heßling als den eigentlichen Täter darstellt, der ,,der eigentliche geistige Urheber einer strafbaren Handlung sei" (Seite 236). Damit zieht Buck die Aufmerksamkeit erst einmal von seinem Mandanten ab. Berechnend nimmt er wieder die Hitze aus dem Gefecht, wenn er seine Stimme ,,milde und warm" (Seite236) macht und so auch die Aufmerksamkeit und vor allem die Spannung des Publikums erhöht. Das Werkzeug Heßlings, nämlich seine Reden, anprangernd und bloß stellend, kreist er diesen mehr und mehr ein, bis er dann verspricht, ,,nicht vom Fürsten, sondern vom Untertan" (Seite 236) zu sprechen, und dies in der selben absteigenden Klimax mit ,,Wilhelm II." (Seite 236) und ,,dem Zeugen Heßling" (Seite 236) auch tut. Er zeigt in der bildlichen Sprache mit dem Finger auf ihn und beschreibt ihn mit seinen Charakterzügen. Niemand denkt jetzt mehr über Lauer nach, sondern, und dies erreicht Buck, indem er

Heßling mehr und mehr als Schauspieler, Intrigant und als Opportunisten bloß zu stellen versucht, - sondern darüber, ob man diesem Heßling überhaupt trauen kann. Buck denunziert die Rede Diederichs, indem er Zweifel aufbaut über sein Integrität. Letzten Endes macht er sich selbst zu dem, was Heßling fordert: er assoziiert in sich den Vaterlandsliebenden, der die Nation vor so doppelzüngigen Individuen schützen muß und schlägt damit seinen Gegner mit dessen eigenen Waffen. Seine Bilder werden militaristisch. ,,Kreuzritter(n)", ,,Pappschwert", ,,Majestät" (Seite 238), seine Vorwürfe immer eindeutiger auf Heßling ausgerichtet. Als er den Kaiser ,,einen großen Künstler " (Seite 238) nennt und so die Hohen des Gerichtes auf die Seite seiner Argumentation zieht, erreicht sein Plädoyer den Höhepunkt, wenn er schließlich die rethorische Frage stellt, ob es einem ,,Netziger Papierfabrikanten" (239) denn erlaubt sei, diesen Höchsten, den Kaiser, nach zu äffen. Dadurch, daß er seine Stimme zur Strenge erhebt, gewinnt seine Aussage an Wichtigkeit und Beachtung. Sie erhebt sich sogar ,,bis zum Pathos" (seite 239). Mit der so dargestellten Leidenschaft, die die Zuhörer einfängt, wandelt sich auch seine Dialektik in eine sehr wissenschaftliche. Visionen trägt er vor, die Angst einflößen sollen vor den Folgen, die es haben könnte, ließe man solche Männer wie Diederich gewähren. Um schließlich den Einfluß, den Heßling mit seiner Rede auf die Meinung des Gerichtes ausgeübt hat, seinerseits zu übernehmen, erinnert er die Richter appellierend an ihre Souveränität, macht damit jedoch nichts anderes, als das, was auch Heßling tat. Seine Sprache ist nicht weniger ausgebildet: er unterscheidet im Bezug auf Lauer und Heßling färbend zwischen ,,Männer" (Seite 240) und ,,Wesen" (seite 240), zwischen ,,mutiger Arbeit" (seite 240) und ,,Streberei" (seite 240), zwischen ,,Wahrheit" (seite 240) und ,,Komödie" (seite 240). Nachdem Heßlings Position also von ihm vorgeführt und als verachtenswert auseinander gelegt wurde, stellt er dieser die von Lauer, seinem Mandanten, entgegen und bietet gleichzeitig den Vergleich, der eindeutig zugunsten des Angeklagten ausfallen muß. Hat er die Meinung in diesem Augenblick auch wieder auf seine Seite bringen können, so macht er den Fehler, in seinem Rederausch Lauers ,,wahrhaft nationale Gesinnung" (Seite 241) hervor zu heben, die mehr tut ,,als hundert hallende Monologe selbst eines gekrönten Künstlers!" (Seite 241). Damit begeht Buck die gleiche Majestätsbeleidigung, wie sie Lauer vorgeworfen wurde, indem er das Handeln eines einzelnen über die Rede des Kaisers stellt, ja

- indem er überhaupt irgendetwas über den Kaiser stellt, den er zuvor als den hier erwähnten Künstler bezeichnet hatte. Wie aus einem Schlaf erwachen die Zuhörer, ,,und im Saal fühlten die meisten, der Verteidiger habe verspielt" (Seite 241).

Eine deutsche Familie im ,,Untertan" von Heinrich Mann

Nachdem Herr Kienast von der Firma Büschli & Cie. Diederich Heßling einen Besuch abstattet, um mit ihm um die Rückgabe einer angeblich defekten Maschine zu verhandeln, wird der Vertreter auf Drängen Magdas, der Schwester von Heßling, zum Essen eingeladen. Als Diederich erkannt hat, daß Magdas Reiz, den sie auf Kienast ausübt, nützlich sein kann für seine Verhandlungen, spielt er diesem während seines abendlichen Besuches die Komödie der trauten und einigen Familie vor. Nach dem Essen ziehen sich Emmi, wütend über die sich ereignenden Umstände, Diederich und seine Mutter zurück. Während er auf dem Klavier spielt, hört er im Nebenzimmer einen Stuhl umfallen, dessen Ursache die beiden Zurückgebliebenen sind, die sich mittlerweile in den Armen liegen. Aufgrund dieser offensichtlichen Situation ruft Heßling Mutter und Schwester Emmi herbei, um von einem freudigen Ereignis zu reden. Wenig später, als er mit Kienast in einer Kneipe schon über die Mitgift verhandelt hat, kehrt er nach Hause zurück, ist wie umgewandelt und behauptet sich mit wildem Schreien und Denunzieren als Oberhaupt der Familie. Jeder, seine Mutter, Emmi und auch Magda bekommen ihre Ermahnung. Bei Magda geht er sogar soweit, ihr zu offenbaren, daß Kienast um ihre Mitgift gar ,,geschachert" (S. 210) habe, worauf sie ihrem Bruder eine Ohrfeige verpaßt. Dann glätten sich die Wogen und es wird wieder ruhig im Haus. Heßling verspürt ,,aber eine Art von Genugtuung" (S. 210).

Heinrich Manns Diederich zeigt in dieser Episode deutlich, daß er recht schnell die Zeichen der Zeit zu erkennen in der Lage ist und dann danach handeln kann. Mußte er nämlich feststellen, daß Kienast keineswegs zu irgendwelchen Kompromissen bereit ist, was die Verhandlungen über den vermeintlich defekten Holländer betrifft, so wird ihm klar, daß Magdas Einfluß auf Kienast ihm doch zu einer besseren Ausgangsposition verhelfen könnte. In ihrer selbstgefälligen Eitelkeit schließen die beiden Männer insgeheim ein Geschäft ab, das seine Schwester selbst erst anregt: sie laden Kienast zum Abendessen ein, der die Gunst der Stunde im Hinblick auf Magda nutzen will und weiß, daß Heßling Wert darauf legt, ihn wohlgesonnen zu wissen. Heßling seinerseits ahnt, daß Magdas Reize sich in barer Münze auszahlen könnten, und liefert sie seinem Geschäftspartner aus. Seine Schwester trägt am Abend, ohne dieses Mal auf die Kritik ihres Bruders zu stoßen, oder sie gar fürchten zu müssen, ein aufreizendes Kleid. ,,Durch (das) ... schimmerte mehr hindurch, als sie sonst im Familienkreis zum besten gab." (S. 196) Kienast entgeht das nicht, und nachdem er einen Toast auf die ,,blühenden Töchter" (S. 197) ausbringt, fängt Heßling an, in den höchsten Tönen davon zu sprechen, daß sie ,,eine deutsche Familie" (S. 197) seien. Kienast einbalsamierend behauptet er: ,,Das ist der Familienfriede, den sehen Sie sich nur an..."

(S.198). Dabei verabscheut er den ,,Klüngel" (S.198) und lenkt seine Rede geschickt auf das

Geschäftliche, wenn er schließlich auf die Mitgift zu sprechen kommt, die der künftige ,,Schwäger auch noch (...) in den Betrieb stecken" (S.198) soll. Kienast kommt seinen Darstellungen sehr entgegen. Auch er rühmt sich seines Betriebes, der ,,Zwölfhundert Arbeiter und Beamte" (S.196) habe, sogar ,,mit einem eigenen Hotel" (S.197), in das er Diederich großgönnerisch einlädt. Und er erkennt den ,,Familienfriede(n)" (S.198) an, als er sagt: ,,Wenn da alles so wohl bestellt ist, wie hier-,, (S.197). Das Ende des Satzes bleibt jedoch offen und ist somit gleich auch ein Hinweis auf die hier schon angedeutete Doppelmoral der beiden Männer, die sich in ihrer eigentlichen Sache längst einig sind. Wenig später, nach dem Essen, als man Kienast mit Magda allein gelassen hat, schnappt Heßlings Falle zu. Ein umgefallener Stuhl erweckt seine Aufmerksamkeit und ,,mit einem Sprung war Diederich im Wohnzimmer" (S.199). Natürlich, weil er die beiden in flagranti erwischen mußte. Er bindet Kienast sofort fest, wenn er ihm zuallererst ,,ernste Absichten" (S. 199) unterstellt, denen der Vertreter sich nicht mehr entziehen kann. Um dieser Feststellung Nachdruck zu verleihen, holt er seine Mutter und Emmi herbei, und spielt den erregt erfreuten Bruder. Das er dies nur spielt, wird deutlich, als er von einem etwas später stattfindenden Gespräch mit Kienast nach Hause zurück kehrt, und sofort vom eben noch liberalen Familienoberhaupt, das den Familienfrieden preist, zum Despot wechselt. Getreu seiner nationalen und opportunistischen Gesinnung errichtet er sich mit Schimpf, Beleidigung und Verdächtigung gegen alle drei Frauen seinen Thron von neuem.

Was in der ganzen Episode auffällt, ist das Verhalten der älteren der beiden Schwester, Emmi. Eifersüchtig, wie sie aus der sich entwickelnden Beziehung zwischen Kienast und ihrer Schwester unberücksichtigt hervorgeht, spiegelt sie den eigentlichen Geist der Familie um Heßling wider. So sehr er sie in seine vorgehaltene Harmonie mit einbezieht, so sehr entwindet sie sich dieser auch wieder, so daß es für Kienast offensichtlich sein müßte, daß es mit dem Familienfrieden nicht allzu weit her ist. Sie schafft es sogar, ,,den Kopf sehr hoch, mit spöttisch musterndem Blick" (S.200) den Verlobten in spe in seiner Wahl bezüglich Magda so sehr zu verunsichern, daß die ganze Geschichte um das Paar zur Farce gerät. Dem aus ihr erwachsenen Vorwurf gegen Heßling, er mache die Familie ,,lächerlich" (S. 200), verschafft sie so Wahrheit, da Emmi zeigt, wie verlogen und doppeldeutig und mit wie wenig Inhalt das angebahnte Verhältnis belastet ist, und letzten Endes nur dazu dient, jedem oberflächlichen Bedürfnis aller Beteiligten genugtuende Befriedigung zu verschaffen.

Textanalyse zum Überbegriff ,,Weltmacht" im ,,Untertan" von Heinrich Mann Während Heinrich Mann in der Folge ab Seite 432 die ,,nebensächlichen Begleiterscheinungen seines Aufstieges" (Seite 432), nämlich die von Diederich Heßling zusammen faßt, die da sind, daß ,,der alte Buck es selbst gewesen sei, der ... die Berufung (zum Generaldirektor) ... befürworten mußte" (Seite 432) und daß jener den Fall der Aktien durch stille Aufkäufe aufgehalten habe, wodurch ,,gar manche Familie ... vor dem Zusammenbruch bewahrt blieb" (Seite 432), während dessen also schreitet Heßlings Aufstieg fort, als er mit dem Kapital, welches er durch die Ausgabe neuer Aktien erhält, das alte Heßlingsche Werk kauft und mit dem Gausenfelder Werk verschmelzt. Seine Rede an die vergrößerte Belegschaft enthält gleich im Anfang eine Ansoielung auf ein Kaiser-Zitat: ,,Wer mir behilflich sein will, ist willkommen, aber Umsturz wird nicht geduldet!" (Seite 433). Damit erinnert Heßling an das Wort von Wilhelm: `Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!´. Im Ganzen folgt er der politischen Ausrichtung des Monarchen im Umgang mit seiner Belegschaft, die nur wählen darf, was Heßling will, die zu glauben und zu dienen und nicht sozialistisch zu denken hat. Er tritt sie, wie er von oben getreten wird und erwartet, daß sie seine Tritte entgegen nehmen, wie er sie entgegen nimmt. Schlagworte wie ,,Krieg und Haß, Neid und Zwietracht" (Seite 433) benutzt Diederich zur Bekräftigung seiner propagierten Ansicht, daß ,,einer ... Herr sein" (Seite 433) muß, ungeachtet des Umstandes, daß er derjenige ist, der durch seine Haltung überhaupt erst Haß und Neid schürt zwischen der Klasse des Wohlstandes und des Arbeitertums. Doch Heinrich Mann läßt ihn hier aufsteigen zum Kaiser selbst, der, zu Beginn seiner Rede, ,,sein ganzes Volk von Arbeitern und Angestellten" (Seite 433) zusammen ruft, um sein Ansinnen zu verkünden. Die Analogie ist perfekt. Und auch gleich dem Kaiser, der seine Kundgebungen auf Papieren durch das Land tragen und anschlagen läßt, vertieft Heßling seine Forderungen an ,,sein ganzes Volk" (Seite 433), ebenfalls dadurch, daß er die Räumlichkeiten seiner Firma mit Plakaten bedeckt, die Verbote und Weisungen erteilen. Freilich verspricht er den Arbeitern ,,Wohnhäuser, Krankenunterstützungen, billige Lebensmittel" (Seite 433). Jedoch kommt auch hier Diederichs Doppelmoral hervor, da er einem, der einen Zahnersatz bekommen hatte, nur die Behandlung zahlen wollte, was Heßling allerdings erst nachträglich vereinbart, um die Kosten für den Zahnersatz zu sparen. Den Prozeß darum verliert er, aber den Mann, der ihn nun soviel Geld gekostet hat, und den er dessentwegen am liebsten entlassen würde, behält er, um das Geld für die Zähne nicht vollends verschwendet zu haben. In der Folge arbeiten die Zähne also für Diederich.

Als ein Industrieller ermordet wird, entlarvt Heinrich Mann in der Figurenperspektive des Diederich Heßling dessen Doppelbödigkeit im Wiedererkennen der Arbeiterfreundlichkeit, die er dem Toten andichtet. Denn sowenig wie der Mörder ,,kein Sozialdemokrat" (Seite 435) zu sein vorgab, so wenig war der Ermordete auch arbeiterfreundlich, so sehr eben wie Heßling selbst, der das ,,an sich selbst" (Seite 435) kannte. Hinweisend auf die Lächerlichkeit, mit der der Eifer des Untertans schließlich belohnt wird, sind die zahllosen Telegramme, die Heßling aufgrund dieses Vorfalls an den Kaiser schickt. Von allen ihm zur Verfügung stehenden Plattformen aus, von der ,,Stadtverordentenversammlung" (Seite 435), vom >>Vorstand der ,,Partei des Kaisers"<< (Seite 435), ,,vom Unternehmerverband oder vom Kriegsverein" (Seite 435) aus sendet er Hilfe rufende Telegramme, die offensichtlich vom Kaiser ungehört bleiben, da Heßling sie immer wieder schickt. Gleichermaßen natürlich läßt die Handlungsweise von Diederich auch die Interpretation zu, daß er als Stimmungs- und Meinungsmacher, der er ist, mit derart vielen Telegrammen zum Schutze der Arbeitgeber und von so gewichtigen Institutionen die Haltung des Kaisers an sich beeinflussen möchte. Nothgroschen, der Redakteur der `Netziger Zeitung´ rundet das Bild schließlich ab, indem er den ,,Widerstand gegen die ... Arbeiter" (Seite 436) und ,,eine Koalition der Arbeitgeber" (Seite 436) zum ,,sozialen Programm des Kaisers erhebt" (Seite 436), der von Nothgroschen hier durch Heßling, den Verwirklicher des Programms in Netzig, ersetzt wird, wenn er dessen Namen im selben Atemzug erwähnt und sein und nicht des Kaisers Bild ,,daneben" (Seite 436) stellt. Dieses Gleichsetzen von Heßling und dem Kaiser, bzw. der herauf beschworene Vergleich zwischen den beiden in dem Buch ,,Der Untertan" findet jedoch noch weit auffälligere Merkmale in dem hier behandelten Textabschnitt. So nimmt Diederich ein ,,in freier Liebe dahinlebendes Paar" (Seite 434), das , noch dazu!, ,,feierlich entlassen" (Seite 434) wird, zum Anlaß, ,,ein neues Mittel zur sittlichen Erhebung des Volkes zu verwenden" (Seite 434). Was hier als Volk bezeichnet wird, dürfte sich wiederum, analog zum Volk des Kaisers, auf Heßlings Arbeiterschaft beziehen. Was als Mittel bezeichnet wird, ist nichts anderes als Toilettenpapier, das Heßling in seinem Werk herstellen und bedrucken läßt mit ,,moralischen oder staatserhaltenden Maximen" (Seite 434), und es an ,,geeigneten Orten" (Seite 434) aufhängt. Heinrich Mann erreicht damit natürlich einen erneuten Höhepunkt der Groteske. Denn die Leitfäden der vom Herrscher propagierten Ordnung, ganzer Sinn und Inhalt des Systems und des Glaubens, werden festgemacht an einem Produkt, dem Heßling den Namen >,,Weltmacht"< (Seite 434) verleiht. Die ,,Benutzung" (Seite 434) der ,,Weltmacht" schließlich führt nur zur Säuberung von feststofflichen Urinaten an den Allerwertesten der Benutzer selbst. Heinrich Mann bringt es mit der Groteske auf den Punkt:

erst als sich die Arbeiter die ,,Weltmacht" auf eine ihnen verständliche Weise zu eigen machen können, reagieren sie mit Lebhaftigkeit darauf, indem sie ,,einen von hoher Stelle stammenden Ausruf einander zurufen" (Seite 434) oder ,,sie sangen ein patriotisches Lied, das sich ihnen ... eingeprägt hatte" (Seite 434). Damit machen sie sich über Heßlings Idee lustig, der hält es für seine Bestätigung, und trägt den ,,deutschen Geist, gestützt auf deutsche Technik, siegreich durch die Welt" (Seite 434). Keineswegs jedoch übt es letzten Endes den von Diederich erhofften Einfluß auf das Volk aus, was sich zeigt, als die Arbeiter eine Rede Heßlings zur ,,Umsturzvorlage" (Seite 435) ,,mit düsterem Schweigen aufnahmen" (Seite 435). Vielmehr zeigt sich hier der Wert, den die ,,Weltmacht" für das Volk hat. Er ist unbedeutend, befremdlich, wertlos, geeignet, sich den Dreck abzuwischen, und wird degradiert lediglich zur Vorstellung in den Köpfen der herrschenden Klasse, in der allein sie selbst, die ,,Weltmacht", nur vorkommt als Mittel der Rechtfertigung für die Differenzierung zwischen Arbeiterklasse und Aristokratentum. Und eben der Wert dieser Differenzierung wiederum zeigt sich darin, daß beide Klassen das Papier nutzen, um letztlich sich ihrer Verschmutzung zu entledigen. Die Arbeiterklasse, indem sie sich darüber belustigen können,

- die Aristokraten, indem sie der von ihnen festgelegten Ordnung so zur Rechtfertigung vor sich selbst verhelfen. Und schließlich resultiert aus Manns Darstellung von der ,,Weltmacht" (unberücksichtigt der Möglichkeit, daß ein Toilettenpapier mit diesem Namen und mit Aussprüchen des Kaisers, sowie Maximen der Moral bedruckt auch blasphemische Majestätsbeleidigung sein könnte!) , daß die genauso dem natürlichen Verfall und einer eindeutigen Wertung des Volkes unterliegt, wie der hier ihr zugeteilter Gegenstand.

Ende der Leseprobe aus 7 Seiten

Details

Titel
Mann, Heinrich - Der Untertan - 3 Analysen
Note
15 Punkte
Autor
Jahr
1999
Seiten
7
Katalognummer
V98382
ISBN (eBook)
9783638968331
Dateigröße
376 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
3 Analysen mit den Titeln-a)Analyse der Rede von Wolfgang Buck, b)Eine deutsche Familie im 'Untertan', und c)Textanalyse zum Überbegriff 'Weltmacht' im 'Untertan'
Schlagworte
Der Untertan/Heinrich Mann
Arbeit zitieren
Ralf Ohlendorf (Autor:in), 1999, Mann, Heinrich - Der Untertan - 3 Analysen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98382

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Mann, Heinrich - Der Untertan - 3 Analysen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden