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Bachelorarbeit, 2020
37 Seiten, Note: 1,3
III. Abbildungssverzeichnis
IV. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einfluss von Emotionen auf den Kapitalmarkt..
2.1. Rationales Verhalten nach der klassischen Kapitalmarkttheorie
2.2. Behavioral Finance
2.2.1. Grundlagen
2.2.2. Aktueller Forschungsstand
3. Auswirkungen von Pandemien aufFinanzmärkte..
3.1. Zusammenhang von Unsicherheit und Aktienrenditen
3.1.1. Ein Blick in die Historie
3.1.2. Messung derUnsicherheit
3.2. Infektionskrankheiten in der Vergangenheit
3.3. COVID-19.
3.3.1. Bisheriger Verlauf
3.3.2. Einfluss auf den Aktienmarkt
3.3.3. Einfluss auf andere Anlageklassen
3.4. Konsequenzen von Pandemien für verschiedene Branchen
3.4.1. Krisen-Gewinner
3.4.2. Krisen-Verlierer
3.5. Trading Strategie
3.5.1. Konzept
3.5.2. Daten
3.5.3. Ergebnisse
4. Fazit
5. Anhang
6. Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Volatilität amU.S. Aktienmarkt
Abbildung 2: Vergleich der Renditen verschiedener Aktien-Stile
Abbildung 3: Optimale Portfoliogewichte
Abbildung 4: Vergleich Pandemie-Portfolio mit MSCI World
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Der schnellste Börsencrash der Geschichte.“1
Diese ist nur eine von vielen brisanten Schlagzeilen, welche das Ausmaß und die Relevanz der aktuellen Lage einzufangen versucht. Die Welt sieht sich mit einer außergewöhnlichen Lage konfrontiert, die Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des Lebens nach sich zieht. In dem Zeitpunkt der Entstehung dieser Arbeit breitet sich die Krankheit stetig aus und es sind weder die wirtschaftlichen noch die soziokulturellen Folgen abzusehen.
Diese Arbeit untersucht primär, wie Infektionskrankheiten die Entwicklung an den Kapitalmärkten in der Vergangenheit beeinflusst haben und ob daraus Schlussfolgerungen auf die aktuelle Situation gezogen werden können. Darüber hinaus soll die Frage beantwortet werden, ob eine etwaige Panik von Investoren in der Zeit von Pandemien eher zu übertriebenen Kursstürzen führt oder ob es sich um gerechtfertigte Korrekturen handelt. Dazu wird zunächst allgemein der Zusammenhang zwischen der Stimmung der Marktteilnehmer und den Aktienrenditen aufgezeigt. Anschließend wird dargelegt, welchen Einfluss die Corona-Pandemie bisher (Stand Mai 2020) auf den Aktienmarkt hatte. Der Leser soll außerdem einen Eindruck darüber bekommen, wie sich Anleger in einer solchen Phase strategisch am besten am Markt positionieren.
Bei der Analyse der Implikationen auf die Finanzmärkte steht besonders die Sichtweise der Finanzierungslehre im Fokus. Makroökonomische und politische Faktoren sollen dabei größtenteils außer Acht gelassen werden. Um nicht den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen, wird sich, sofern nicht explizit ein gegenteiliger Hinweis erfolgt, überwiegend auf den Aktienmarkt beschränkt.
Eine Grundannahme der klassischen Kapitalmarkttheorie, welche ihren Beginn in den 50er-Jahren fand, ist, dass das Verhalten von Investoren mit der Idee des Homo oecono- micus einhergeht. Demgemäß agieren die Anleger ausschließlich rational, lassen sich nicht von Emotionen leiten und sind immer darauf bedacht den eigenen Nutzen zu maximieren. Wie Muth in diesem Zusammenhang zeigte, handelt zwar nicht jeder einzelne Akteur zwingend rational, aber durchschnittlich sind die Erwartungen immer rationalen Ursprungs.2 Ein rational handelnder Investor bewertet eine Vermögensanlage lediglich aufgrund fundamentaler Daten. In der Theorie ist der Wert eines Vermögensgegenstandes die Summe der zukünftig erwarteten abgezinsten Gewinne. Der Wert einer Aktie ergibt sich somit aus den kumulierten, zukünftig erwarteten (diskontierten) Dividenden. Ist ein Unternehmen am Markt unterbewertet, steigt die Nachfrage nach den entsprechenden Aktien, bis der Marktpreis den Wert der zukünftigen Gewinne widerspiegelt. Umgekehrt stellt sich ein solcher Gleichgewichtspreis auch ein, wenn die Aktie überbewertet ist, weil dann die Akteure das Wertpapier (leer) verkaufen und so das Angebot steigt.
Zum Verständnis dieser Arbeit und der klassischen Theorie ist zusätzlich die Markteffizienzhypothese wichtig. Sie besagt, dass neue und wertrelevante Informationen sich in einem effizienten Markt unverzüglich in den Preisen von Wertpapieren widerspiegeln.3 Wenn die Markteffizienzhypothese tatsächlich Geltung hätte, dann sollten Anleger lediglich passiv (zum Beispiel mithilfe eines Indexfonds) in den Markt investieren, da eine permanente Überrendite im Vergleich zum Markt nicht möglich ist. Jede erzielte Überrendite wäre in diesem Fall ein glücklicher Zufall, da alle relevanten Informationen bereits in den Kursen eingepreist wären. Nur wenn ein Markt nicht vollumfänglich informationseffizient ist, sind aktive Handelsstrategien überhaupt erst sinnvoll. Tatsächlich schafften es in den Jahren 2006 bis 2016 nur rund 18 % der aktiv gemanagten Fonds den Markt zu schlagen.4
Zur Einordnung, wie effizient ein Markt ist, existieren in der Theorie drei Ausprägungen ebendieser Effizienz. Bei der schwachen Informationseffizienz sind lediglich alle historischen Handelsinformationen in den Kursen eingepreist. In diesem Fall können Anleger mit einer fundamentalen Handelsstrategie eine abnormale Rendite (erzielte Rendite minus Marktrendite) erzielen. Bei der semi-starken Ausprägung sind hingegen alle öffentlich verfügbaren Informationen bereits im Marktpreis enthalten. Ist ein Markt stark informationseffizient, sind sogar nicht-öffentliche Informationen im Preis enthalten, sodass in diesem Markt selbst Insider-Trading keine Überrendite liefern würde.
Dass die Informationseffizienz in der Praxis längst nicht immer gegeben ist, zeigt unter anderem Huberman anhand eines eindeutigen Falls.5 Dazu untersuchte er den Aktienkurs des Unternehmens EntreMed, welches einen Durchbruch in der Krebsforschung erreichte. Über diesen Forschungsfortschritt wurde im November 1997 in einem wissenschaftlichen Journal und in einigen Boulevardblättern berichtet. Die Auswirkung auf den Kurs war mit einer Steigerung von 28,4 % nicht unerheblich. Etwa fünf Monate später erschien in der New York Times ein Artikel, welcher dieselben Fakten enthielt - diesmal jedoch auf der Titelseite. Obwohl die Informationen laut der Theorie schon im Aktienkurs hätten eingepreist sein müssen, stieg dieser innerhalb eines Handelstages von rund 12 USD auf 52 USD. Der Wert dieses Unternehmens hatte sich also aufgrund einer bereits bekannten Information zwischenzeitlich mehr als vervierfacht. Diese Entdeckung von Huberman weist darauf hin, dass die Ausprägung der Informationseffizienz in einem Markt davon abhängt, auf welchem Weg die Information an die Anleger gelangt und wie diese die Informationen verarbeiten.
Da in der Realität nicht jeder Marktteilnehmer unbegrenzte Ressourcen (und auch ein begrenztes Know-how) hat, werden nicht immer alle verfügbaren Informationen korrekt analysiert und interpretiert. Im Allgemeinen wird deshalb von der Wissenschaft davon ausgegangen, dass zumindest die starke Informationseffizienz auf keinem realen Finanzmarkt existiert. Zur Untersuchung der schwachen und mittelstarken Effizienz gibt es eine Vielzahl von Studien und Meinungen, deren Analyse an dieser Stelle nicht zielführend ist. Beide Ausprägungen der Informationseffizienz konnten allerdings beispielsweise für den Devisenmarkt nicht widerlegt werden.6
Der klassischen Kapitalmarkttheorie steht der Bereich der Behavioral Finance gegenüber. Nach Shefrin ist Behavioral Finance die „ [...] application of psychology tofinancial behavior - the behavior of practitioners. “7 Diese vergleichsweise junge Disziplin kann somit als ein Teil der Verhaltensökonomik in den Wirtschaftswissenschaften gesehen werden. Sie versucht, jene Verhaltensweisen von Finanzakteuren zu erklären, die nicht von der klassischen Theorie erfasst werden. Darunter fallen beispielsweise impulsive Käufe, das „Bauchgefühl“, panische Verkäufe, und allgemein emotionale Handlungen. Auch eine verzerrte Informationsverarbeitung durch Investoren, welche in der klassischen Theorie schlichtweg nicht existiert, kann durch die Behavioral Finance erklärt werden. Sie widerspricht somit teilweise der klassischen Finanzmarkttheorie und ergänzt sie stellenweise anhand entscheidungstheoretischer, psychologischer Modelle.
Dass das Konzept des rationalen Investors nicht vollumfänglich auf die Geschehnisse in der Praxis zutrifft, gilt mittlerweile als bewiesen.8 Weitaus besser vereinbar mit der Realität ist folgender Ansatz: Es gibt auf der einen Seite durchaus rationale Händler, welche die Marktpreise langfristig gesehen in Richtung Gleichgewicht treiben. Diese Marktteilnehmer, in der Literatur teils Arbitrageure genannt, stürzen sich direkt aufjedes unterbewertete Wertpapier. Dementgegen treten irrationale Akteure, welche fundamentale Unternehmensdaten außer Acht lassen, sich primär von ihren Emotionen leiten lassen und infolgedessen kurzfristige Abweichungen des Marktpreises vom fundamentalen Preis zustande kommen lassen.9
Diverse wissenschaftliche Beobachtungen deuten auf einen Zusammenhang zwischen Emotion und Aktienkursen hin. Ereignisse, welche das Potenzial haben positive Emotionen in der breiten Bevölkerung auszulösen, führen überdurchschnittlich oft zu steigenden Aktienrenditen. Es gibt insbesondere statistische Belege darüber, dass ein sonniger Morgen in einer Finanzmetropole die Börsenkurse positiv beeinflusst.10 Darüber hinaus gibt es eine Studie, welche den negativen Einfluss von extremer Hitze auf die Aktienkurse aufzeigt.11 Dieses Verhalten lässt sich nicht mit dem Bild rational handelnder Marktteilnehmer vereinen.
Es gibt eine Vielzahl weiterer Studien zu diesem Zusammenhang. Edmans analysierte beispielsweise, welche Auswirkungen die Ergebnisse wichtiger internationaler Fußballspiele auf den Aktienmarkt der jeweiligen Nation haben.12 Niederlagen von Nationalmannschaften führten demnach zu überdurchschnittlich negativen Renditen auf dem heimischen Aktienmarkt. Dieser Zusammenhang konnte allerdings nicht für Siege und positive abnormale Renditen bestätigt werden. Derselbe Effekt trat, teils etwas schwächer, auch bei anderen Sportarten auf. Besonders stark war die Auswirkung von Niederlagen bei Aktien mit kleinerer Marktkapitalisierung, welche überdurchschnittlich häufig von Kleinanlegern gehalten werden. Dies deutet daraufhin, dass Privatanleger sich bei ihrem Verhalten an der Börse eher von Emotionen leiten lassen als das bei professionellen und institutionellen Investoren der Fall ist. Dass Aktien kleiner Unternehmen und solche, die im Allgemeinen eine hohe Volatilität aufweisen, besonders sensitiv für die generelle Stimmung am Markt sind, zeigt auch Baker in seiner häufig zitierten Studie.13 Im Vergleich zu Edmans erklärt er dieses Phänomen allerdings vor allem damit, dass diese Art von Unternehmen schwerer zu bewerten sind, als die Unternehmensanteile weltweit gehandelter Großkonzerne.
Egal ob Sonnenlicht, extreme Hitze oder Sportergebnisse als Variable für die Stimmung verwendet werden: Das Ergebnis ist praktisch immer das gleiche. Die Preise an den Finanzmärkten werden offensichtlich von dem vorherrschenden Sentiment beeinflusst. Positive Emotionen führen möglicherweise zu einer weniger kritischen Analyse und somit eher zu einem Käuferverhalten. Eine schlechte Stimmung hingegen kann das genaue Gegenteil bewirken und seitens der Investoren zu einer übertrieben kritischen Prüfung eines Wertpapieres führen.
Wie sich dieser Einfluss äußert und in welchen Situationen er besonders stark ist, wird im Hauptteil dieser Arbeit beschrieben. Dabei wird sich, passend zu dem Thema, insbesondere auf negatives Sentiment fokussiert.
Wie bereits im vorherigen Kapitel aufgezeigt wurde, ist es allgemeiner Konsens, dass positive Stimmung unter Anlegern tendenziell zu steigenden Börsenkursen führt, während Angst und Unsicherheit eher negative Aktienrenditen zur Folge haben. Baker beschreibt das Investor Sentiment als „ [...] belief about future cashflows and investment risks that is not justified by the facts at hand. “14 Es handelt sich also primär um nicht gerechtfertigte Vorahnungen über zukünftige Gewinne.
Um verstehen zu können, wie ausschlaggebend negative Stimmung in Zeiten von Pandemien ist, sollte zunächst ein Blick auf andere globale Krisen geworfen werden. Dass starkes Sentiment die Wahrscheinlichkeit von Börsen-Crashs erhöht, gilt schließlich als bewiesen.15 Dies hängt unter anderem mit der Tatsache zusammen, dass negative Ereignisse schneller zu ansteckendem Herdenverhalten führen, als das in einem normalen Marktumfeld der Fall wäre.16 Herdenverhalten beschreibt das homogene Handeln der breiten Masse von Anlegern und ist ein psychologisches Phänomen, welches der Behavioral Finance zugeordnet werden kann. Demnach orientiert sich die Mehrheit der Investoren in extremen Marktphasen an dem Verhalten anderer Marktteilnehmer und „läuft in der Herde mit“, ohne dies rational zu hinterfragen. Das führt zu einer schwer einschätzbaren Eigendynamik, welche nicht selten übertriebene Kursverläufe zur Folge hat.
Folgendes Beispiel soll die Problematik verdeutlichen: Der Anleger Max Mustermann hält im Jahr 2007 ein gut diversifiziertes, langfristig ausgerichtetes Aktienportfolio. Als zum Jahreswechsel die Börsen plötzlich nachgeben, macht er sich noch keine Sorgen. Gemäß seiner Fundamentalanalyse sind seine Aktien fair bewertet. Doch als sich etwa ein halbes Jahr später dieser Trend fortsetzt, erkundigt er sich bei Arbeitskollegen und Freunden, wie sie sich in dieser unsicheren Situation verhalten. Die Antwort ist ziemlich eindeutig - „verkaufen!“. Ungeachtet seiner rationalen Analyse folgt er dem Strom und verkauft sein komplettes Portfolio, da er nicht der Einzige sein möchte, der am Ende der Krise falsch liegt und noch investiert ist. Wenn Millionen weiterer Anleger ähnlich wie Herr Mustermann handeln, kann solch ein Herdenverhalten schnell zu panischen Ausverkäufen führen.
Tatsächlich konnte für Aktien aus der Finanz- und Techbranche, sowie bei Aktien des Gesundheitswesens ein besonders starkes Herdenverhalten während der Finanzkrise nachgewiesen werden.17 Da globale Pandemien wesentlich seltener sind als wirtschaftlich ausgelöste Krisen, gibt es bisher allerdings keine wissenschaftliche Evidenz über ansteckende Verhaltensmuster von Investoren in Zeiten von sich ausbreitenden Infektionskrankheiten. Es kann an dieser Stelle lediglich gemutmaßt werden, dass Herdenverhalten auch in der aktuellen Corona-Krise ein wesentlicher Treiber der (evtl. übertriebenen) Korrektur war.
Was ist nun mit Ereignissen, dessen Ausgang zum Zeitpunkt des Eintretens gänzlich unklar ist, so wie es auch bei vielen Infektionskrankheiten der Fall ist? Wird der Aktienmarkt in einer solchen dramatischen Krise stärker belastet als es aus rationaler Sicht erforderlich ist? Um sich der Beantwortung dieser Fragen anzunähern, kann zunächst geprüft werden, welche Auswirkungen unsichere Ereignisse in der Vergangenheit auf die Kapitalmärkte hatten.
Zum Beispiel hat die Unsicherheit über das Verschwinden eines bekannten Investigativjournalisten den saudischen Aktienmarkt interessanterweise stärker belastet, als die Pressemitteilung über den Mord an diesem Journalisten. Die Aufklärung über diesen Fall hatte eher zur Folge, dass die Unsicherheit unter den Investoren reduziert wurde und die abnormalen Renditen wieder gegen Null gingen.18 In diesem Vorfall war die schiere Unsicherheit schwerwiegender als die Bestätigung des (von den Aktionären ohnehin bereits antizipierten) Todes des Journalisten. Auch wenn dieser lokale, spezielle Fall nicht mit einer globalen Krise verglichen werden kann, liefert er dennoch einen interessanten Aspekt. Übertragen auf die Corona-Krise würde das, überspitzt gesagt, folgendes bedeuten: Sobald abzusehen ist, welche konkreten wirtschaftlichen Konsequenzen die Krankheit mit sich bringt, wird der Markt beginnen sich zu erholen.
Dieser Gedanke wird zudem durch eine Beobachtung von Tetlock gestützt. Dieser zeigt in seiner Studie, dass negative Berichterstattung kurzfristig zu fallenden Börsenkursen führt, welche sich langfristig allerdings wieder zum fairen Preis einpendeln.[19] Auch hier wurde wieder ein besonders starker Zusammenhang für Aktien mit kleiner Marktkapitalisierung gefunden. Wird ein Markt ohne Transaktionskosten und Steuern unterstellt, könnte mit der, von Tetlock entworfenen, Handelsstrategie sogar eine jährliche Rendite von 7,3 % erreicht werden. Diese interessante Beobachtung legt nahe, dass das Sentiment zwar vorübergehend Einfluss auf die Rendite eines Unternehmensanteils haben kann. Eine langfristige Auswirkung bleibt allerdings, ähnlich wie im Fall des ermordeten Journalisten, aus. Die emotional handelnden Marktteilnehmer werden demnach also auf lange Sicht von den rationalen Akteuren dominiert. Die Berechnungen dieser Auswertung sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da Tetlock nur anhand einer einzigen Kolumne des Wall Street Journals versucht, die allgemeine Wirkung von Medien zu generalisieren. Das Ergebnis wäre deutlich valider, wenn außer der einen Kolumne noch weitere wirtschaftlich orientierte Medien als unabhängige Variable verwendet worden wären.
Zur Quantifizierung von Unsicherheiten unter Aktionären, existieren diverse Ansätze. Ein häufig verwendetes Stimmungsbarometer ist der Volatilitätsindex VIX, welcher die erwartete Volatilität des S&P 500 angibt. Basis der Berechnung sind die Volumina der an der Terminbörse Chicago gehandelten Optionen.[20] Da Optionen häufig für Absicherungsgeschäfte verwendet werden, deutet ein zunehmendes Volumen dabei auf eine steigende Unsicherheit hin.
Ein weiterer Indikator für die Gemütslage von Anlegern sind Google-Suchanfragen. Der sogenannte Google Search Volume Index (GSVI) zeigt an, wie häufig ein gewisser Begriff im zeitlichen Verlauf gegoogelt wurde. Wenn zum Beispiel Begriffe wie „Börsencrash“ oder „Bärenmarkt“ plötzlich häufiger gesucht werden, könnte dies auf eine kippende Stimmung am Markt hindeuten. Eine Erhebung aus dem Jahr 2017 vergleicht den VIX und den GSVI hinsichtlich ihrer Fähigkeit, einen bevorstehenden Crash zu antizipieren.[21] Der VIX ist demzufolge besser dazu geeignet, negative Aktienrenditen vorherzusagen als die Methode von Google.
Ein spezieller Bereich, in dem ein Zusammenhang zwischen dem VIX und Aktienrenditen nachgewiesen werden konnte, ist der Markt der American Depositary Receipts - kurz
ADRs. Ein ADR ist gewissermaßen ein Finanzinstrument, mit dessen Hilfe ausländische Aktien bzw. Aktien nicht zugänglicher Märkte an der New Yorker Börse gehandelt werden können. In der Regel haben ADRs die gleiche Ausstattung wie der zugrunde liegende Basiswert; sie enthalten also ebenfalls ein Stimmrecht und ein Recht auf Beteiligung am Gewinn. Aus diesem Grund sollte der Preis der Aktie dem Preis des dazugehörigen ADR entsprechen. Obwohl (laut Theorie) zwei identische Vermögensgegenstände mit demselben Risiko nicht unterschiedliche Preise aufweisen können, weichen die Preise von ADRs jedoch gelegentlich von den Preisen der zugrunde liegenden Aktien ab. Die Differenz der beiden Preise nennt sich ADR-Prämie. Eine Erhebung aus dem Jahr 2013 zeigt, dass diese sogenannte ADR-Prämie von der Stimmung der Investoren beeinflusst wird.[22] Je ängstlicher die Anleger gemessen anhand des VIX waren, desto geringer fiel die ADR Prämie aus. Auch hier (vgl. Edmans und Baker) war der Zusammenhang bei kleineren Unternehmen stärker.
Allein in den Jahren 2011 bis 2018 verzeichnete die WHO insgesamt 1483 Epidemien in 172 Ländern.[23] Mittlerweile gilt dabei Tuberkulose, mit einer Mortalitätsrate von 15 %, laut der WHO als die weltweit gefährlichste Infektionskrankheit.[24] Es infizieren sichjähr- lich etwa zehn Millionen Menschen. Zum Vergleich: Innerhalb eines halben Jahres infizierten sich weltweit rund 6,75 Millionen Menschen mit dem Coronavirus.[25] COVID-19 hat mithin durchaus das Potenzial Tuberkulose zu überholen; gleichwohl die Mortalitätsrate hier im Durchschnitt geringer ist.
Die Menschheit hat in der Vergangenheit bereits auch weitaus tödlichere länderübergreifende Infektionskrankheiten erlebt. Die mit Abstand verheerendste war die Spanische Grippe, welche 1918 innerhalb von zwei Jahren in etwa 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Im Vergleich zu anderen Influenzawellen war die Sterblichkeit auch bei gesunden, jungen Erwachsenen verhältnismäßig hoch. Während dieser zwei Jahre starben etwa 2,1 % der gesamten Weltbevölkerung; in wirtschaftlich schwächeren Ländern wie beispielsweise Kenia starben 5,8 % aller Einwohner.[26] Obwohl diese Pandemie mehr Menschenleben forderte als der Erste Weltkrieg, welcher kurz nach dem Ausbruch der Grippe endete, war die Auswirkung auf den Aktienmarkt damals relativ gering. Es wurde in den Medien nicht einmal über einen Zusammenhang der Spanischen Grippe und des Aktienmarktes berichtet. Auch sonst gab es seit 120 Jahren keine Krankheit, welche von der Presse für signifikante Kursbewegungen (von mehr als 2,5 %) an den Finanzmärkten in Verbindung gebracht wurde.19 20 Darüber hinaus gab es vor dem Coronavirus keine Infektionskrankheit, die zu einem erheblichen Anstieg der Marktschwankungen geführt hat. Die durch andere Pandemien verursachten Schwankungen stimmten in etwa mit der Volatilität im Dezember und Januar 2020 überein. Im Februar und März stieg die Marktschwankung dann um ein Vielfaches. Folgendes Schaubild zeigt die Volatilität des S&P 500 seit dem Jahr 1900.
Abbildung l: VolatiUtätam U.S. Aktienmarkt[28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieser Vergleich stellt dar, wie unbedeutend Pandemien bisher an den Finanzmärkten waren und hilft bei der Einordnung der aktuellen Corona-Krise.
Es ist nicht auszuschließen, dass diese extremen Reaktionen des Marktes emotionaler Herkunft sind. Irrationale Handlungen am Kapitalmarkt sind häufig das Produkt einer falschen Tatsachenverarbeitung. Dies traf bereits in der Vergangenheit bei anderen Pandemien zu. Beispielsweise gaben zur Zeit der Ebola-Pandemie etwa 40 % der Amerikaner an, sie fühlten sich einem Infektionsrisiko ausgesetzt, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung gegen Null ging.21 22 23 24 25 26 Eine solche falsche Reflexion kann (zumindest kurzfristig) mitunter schnell zu übertriebenen Kursabschlägen am Aktienmarkt führen.
[...]
1 Vgl. Jauernig & Stotz (2020).
2 Vgl.Muth(1961), S. 316.
3 Vgl. Fama(1970), S. 383.
4 Vgl. Haberly et al. (2019), S. 172.
5 Vgl. Huberman & Regev (2001), S. 387 ff.
6 Vgl. Graw (1985), S.198f.
7 Vgl. Shefrin(1999),S.3.
8 Vgl. M. Baker & Wurgler (2007), S. 130.
9 Vgl. Tetlock (2007), S. 1142.
10 Vgl. Hirshleifer & Shumway (2003), S. 1028 f.
11 Vgl. Hou, Shi & Sun (2019), S. 1.
12 Vgl. Edmans, Garcia & Norli (2007), S. 1967 ff.
13 Vgl. M. Baker & Wurgler (2007) S. 130.
14 Vgl. M. Baker & Wurgler (2007), S. 129.
15 Vgl. Zouaoui, Nouyrigat & Beer (2011), S. 745.
16 Vgl. Nitoi & Pochea (2020), S. 12.
17 Vgl. Ouarda, El Bouri & Bernard (2013), S. 224.
18 Vgl. Bash & Alsaifi (2019), S. 54 ff.
19 Vgl. Tetlock (2007), S. 1139.
20 Vgl. Whaley (2009), S. 104.
21 Vgl. Habibah, Rajput & Sadhwani (2017), S. 3.
22 Vgl. Esqueda, Luo & Jackson (2015), S. 555.
23 Vgl. Goodell (2020), S. 3.
24 Vgl. WHO a (2020).
25 Vgl. WHO b (2020).
26 Vgl. Barro, Ursua & Weng (2020), S. 5
Masterarbeit, 116 Seiten
Diplomarbeit, 138 Seiten
Masterarbeit, 151 Seiten
Masterarbeit, 116 Seiten
Diplomarbeit, 138 Seiten
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