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Seminararbeit, 2010
19 Seiten, Note: 1,0
Einleitung
1. Ausgangslage
1.1. Aktuelle Gesetzeslage
1.2. Rechtliche Grundlagen der Partizipation in der Hilfeplanung
2. Evaluationsstudien
2.1. Projekt Elternbeteiligung in München
2.2. Modellprojekt Qualität durch Beteiligung in der Hilfeplanung
2.3. Zusammenfassende Überlegungen
3. Bedingungen der Partizipation
3.1. Die Frage der richtigen Hilfe
3.2. Aspekte der Partizipation von Kindern und Jugendlichen
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
Die dieser Arbeit zugrunde liegende Aufgabenstellung, Position zu Thesen des Erle- bens von Hilfeplanungen durch Adressaten der Hilfe und damit erfahrener Partizipa- tion zu beziehen, lässt einen gewissen Spielraum in der methodischen und inhaltli- chen Herangehensweise. So könnte in der Bemühung um Objektivität versucht wer- den, die Thesen mittels der Auswertung von Evaluationen, Projekten und Befragun- gen zu belegen oder zu widerlegen und Antithesen oder Synthesen zu entwerfen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Aussagen als Arbeitshypothesen anzuerkennen und Wirkfaktoren sowie Erklärungen zu explorieren, bspw. dadurch, die Entwicklung von Gesetzgebung und Jugendhilfe im gesellschaftlichen Wandel zu betrachten, die rechtliche Grundlage des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz [KJHG]) als Wil- lensbekundung des Gesetzgebers mit einem sozialpädagogischen Fachverständnis von Partizipation in ein Verhältnis zu setzen oder den Prozess der Hilfeplanung und deren realpraktischen Bedingungen sowie Umsetzung zu beleuchten. Darüber hin- aus wären sicher auch ein Blick auf die Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit, wie etwa dem lebensweltorientierten Ansatz, sozialpädagogischer Diagnostik und vieles mehr geeignete Grundlagen, Position zu beziehen.
Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu können wird bereits hier klar, wie vielschichtig und komplex dieses Thema ist. Und wie immer stellt sich angesichts des Rahmens der Aufgabe die Frage, ob es günstiger ist einen dieser Aspekte herauszugreifen und detailliert zu betrachten oder zu versuchen, ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen.
Zwei Umstände sprechen dabei für den Versuch mehrere Aspekte einzubeziehen. Wenngleich das KJGH (SGB VIII) und hier insbesondere der § 36 zwar zentral er- scheinen, generieren sich die realpraktische Einbeziehung von Adressaten der Hilfe in die Hilfeplanung und diesbezügliche Erfahrungen nicht nur aus der Gesetzeslage oder einem Umstand, vielmehr stehen hier viele Wirkfaktoren in kausalem Zusam- menhang. Aus einer anderen Perspektive beinhaltet der Auftrag Position zu beziehen eine Aufforderung zur Beurteilung, oder anders ausgedrückt zu einer Diagnose der Situation. Der Versuch einer multiperspektivischen Betrachtung verschiedener As- pekte entspricht in diesem Sinn dem Versuch eines hermeneutisch orientierten Ver- stehens, anstatt der Bildung einer Hypothese aufgrund eines einzelnen betrachteten Umstandes.
Silke Pies und Christian Schrapper stellen in ihrer Analyse von Hilfeplanungen nach dem KJHG fest, dass die Betrachtung der realpraktischen Umsetzung ein „wenig schmeichelhaftes Bild“1entstehen lässt. Danach würden Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Hilfeplanung oft als „Machtdemonstration der professionellen Hel- fer“2erleben, welche vermeintlich positives Verhalten belohnen und „Widerspruch und Verweigerung“3bestrafen. Kindern wäre dabei selten klar, worum es überhaupt geht und Eltern4würden sich entmündigt und den Ansprüchen der Professionellen ausgeliefert fühlen.5
Diese kritischen Aussagen sind wahrscheinlich sehr dazu geeignet, sowohl die Fachöffentlichkeit und Praktiker der Sozialen Arbeit als auch Adressaten der Hilfe gleichermaßen zu einer Reaktion zu provozieren, welcher je nach Standpunkt und eigener Erfahrung durchaus Widerspruch, Zustimmung oder auch Ambivalenz imma- nent sein könnte. In dieser provokanten Aufforderung zum Diskurs liegt vermutlich das Hauptanliegen von Pies und Schrapper, welche ihren Vortrag selbst als „thesen- haft zugespitzt und weniger abgewogen gründlich“6bezeichnen. Dennoch stellen ihre Aussagen mehr als ein rhetorisches Mittel dar und es wäre wenig hilfreich, diese als solches und damit die Brisanz der Problematik zu entwerten. Andererseits können die Ausführungen aber auch nicht global für gültig oder ungültig erklärt werden, da sie ohne weitere Empirie ausschließlich das auf persönlichen Erfahrungen beruhen- de, aber dennoch subjektive Empfinden des Individuums darstellen. Als Grundlage für die weitere Diskussion scheint eine Betrachtung der Gesetzgebung angebracht.
Mit der Einführung des KJHG (SGB VIII) fand in der Kinder- und Jugendhilfe ein „Pa- radigmenwechsel“7von ordnungsrechtlicher Sanktion hin zu individueller Förderung, Unterstützung und Hilfe, unter Einbeziehung der Lebenswelt und des Alltags von Menschen statt.8Mit § 1 des KJHG ist das Recht eines jeden jungen Menschen „auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“9verbrieft. Ausdrücklich wird hierbei formuliert, dass das Recht und die Pflicht zur Erziehung bei den Eltern liegt, welche bei der Er- ziehung zu beraten und zu unterstützen sind. Damit besitzen Personensorgeberech- tigte einen Rechtsanspruch auf Leistungen nach dem KJHG. Im Einklang mit dem Artikel 6 des Grundgesetzes darf die staatliche Gemeinschaft in dieses Recht auf Erziehung nur dann eingreifen, wenn das Wohl von Kindern und Jugendlichen ge- fährdet ist. Für die Kinder- und Jugendhilfe besteht damit die Verantwortung, genau abzuwägen „wie viel staatliche Einmischung ein familiales System verträgt“10.
Ein wesentlicher Aspekt der Neuorientierung durch das KJHG ist nach § 36 die Ver- pflichtung, für langfristige Hilfen eine Hilfeplanung zu erstellen und hierbei sowohl die Leistungsberechtigten als auch andere, im Einzelfall als signifikant zu erachtende, Fachkräfte oder Leistungserbringer zu beteiligen. Dem Hilfeplan kommt damit aus mehrfacher Hinsicht Bedeutung zu; der Erfolg der Hilfen wird nachvollziehbar und kann evaluiert werden, die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Fachkräften, Spezialisten sowie Trägern kann koordiniert werden11und Leistungsberechtigte wer- den nicht fremdbestimmt, sondern als Experten ihrer selbst in Entscheidungen und Lösungskonstruktionen einbezogen.12
Mai sieht hier die theoretische und praktische Erkenntnis bedient, dass Hilfe nur dann Veränderung bringt, wenn sie gewollt ist.13Gerade im Hinblick darauf, dass Jugend- ämter in praxi nicht immer durch die Initiative Leistungsberechtigter, sondern auch auf Grund eines offensichtlichen Bedarfs aktiv werden, kann das Angebot einer an- gemessenen Beteiligung und Mitgestaltung wesentlich zur Motivation der Annahme einer Hilfe zur Erziehung beitragen. Der Hilfeplan ist damit ein Instrument lebens- weltorientierter Sozialer Arbeit, welche unter Beachtung des Wächteramtes akzep- tiert, dass Menschen ihre Lebensrealität selbst konstruieren. Es gilt diese Lebensrea- lität zu verstehen, Bedarfe zu erkennen und positive Anknüpfungspunkte für wirksa- me Hilfen zu finden, welche nicht „nach den Eigenlogiken von Verwaltung und hel- fender Profession“,14sondern dialogisch gestaltet und von allen Beteiligten getragen werden können. In diesem Sinn stellt Hilfeplanung auch eine Chance der Moderation und des Managements unterschiedlicher Sichtweisen der Beteiligten und ihrer viel leicht unterschiedlichen Mandate an die Soziale Arbeit dar. Insgesamt kommt der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern in der Hilfeplanung ein so hoher Stellenwert zu, dass deren Umstände im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. Andere Neuerungen in der Kinder- und Jugendhilfe durch das KJHG, wie etwa die Konkretisierung der Hilfen zur Erziehung durch die §§ 27 bis 41, werden an dieser Stelle nicht weiter erörtert.
Der Begriff Partizipation ist zu einem „Sammelbegriff für unterschiedliche Arten und Formen der Beteiligung von Adressaten“15geworden und kann je nach Perspektive verschiedene Aspekte umfassen. Als Beispiele sollen hier die Rechtsnorm des KJHG, sich daraus ergebende Bedeutungen, Aufgaben und Bedingungen sowie de- ren realpraktische Ausgestaltung in den Jugendämtern, aber auch die Bürgerbeteili- gung an der lokalen Sozialpolitik, der Entwicklung des kommunalen Raumes und der Gemeinwesenarbeit16genannt sein. Pluto, Mamier et al. verweisen darauf, dass Par- tizipation in der Kinder- und Jugendhilfe spätestens seit dem achten Kinder- und Ju- gendbericht als „Strukturmaxime allgemein anerkannt“17ist. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Idee von Partizipation nicht mit dem KJHG geboren wurde, son- dern im Hinblick auf den lebensweltorientierten Ansatz in Theorie und Praxis Sozialer Arbeit bereits existierte. Das Novum bei der Einführung des KJHG bestand darin, dass Partizipation zu einem einklagbaren Recht wurde.18
Dieses Recht auf Partizipation oder Beteiligung wird im Rahmen des KJHG nicht nur durch den § 36 expliziert. Der § 5 KJHG stellt ein Wahlrecht Leistungsberechtigter zwischen verschiedenen Einrichtungen, Diensten und Trägern sowie das Einbringen von Wünschen zur Ausgestaltung der Hilfe fest. Den Wünschen ist hierbei zu ent- sprechen, soweit diese sich als verhältnismäßig darstellen. Auf dieses Wunsch- und Wahlrecht sind Leistungsberechtigte hinzuweisen.19Offensichtlich hielt es der Ge- setzgeber in anbetracht des elterlichen Rechts auf Erziehung und der elterlichen Anspruchsberechtigung auf Hilfe zur Erziehung20für angezeigt, Kindern und Jugendlichen noch einmal explizit ein gesondertes Recht auf Beteiligung zu sichern. Im § 8 des KJHG wird daher konstatiert, dass Kinder und Jugendliche „entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Ju- gendhilfe zu beteiligen“21sind. Darüber hinaus wird im § 8 Abs. 3 Kindern und Ju- gendlichen das Recht einer Beratung ohne Kenntnis der Sorgeberechtigten zuge- sprochen, soweit das Problem auch mit deren Kenntnis weiter bestehen würde.22
Das Recht auf Beteiligung ergibt sich aber auch noch aus einer anderen Perspektive. „Die Entscheidung über eine Hilfegewährung nach § 27 KJHG ist ein begünstigen- der, mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.“23Personensorgebe- rechtigte als Empfänger der Hilfe sind nach § 12 SGB X als Verfahrensbeteiligte zu sehen. Daraus ergeben sich bestimmte Rechte, wie bspw. nach § 24 SGB X das Recht der Anhörung vor wichtigen Entscheidungen oder das Recht auf Akteneinsicht nach § 25 SGB X24, aber auch Mitwirkungspflichten. Kinder und Jugendliche besitzen nicht per se einen Status als Verfahrenbeteiligte, sondern werden nur von Amt we- gen oder auf Antrag hinzugezogen, „wenn ihre rechtlichen Interessen vom Ausgang des Verfahrens berührt werden.“25Schimke verweist darauf, dass dies bei Hilfen zur Erziehung immer der Fall sein wird, da mindestens die Beteiligungsrechte nach § 8 und § 36 KJHG das Verfahren berühren.26Bei Hilfen für junge Volljährige nach § 41 KJHG treten diese an die Stelle der Personensorgeberechtigten, auch hier ist also das Recht auf Partizipation verbürgt.27
In der Praxis der Jugendhilfe erweist sich die Hilfeplanung damit als komplexe Situa- tion, in welcher die Gesetzgebungen des SGB XIII und des SGB X Anwendung fin- den und die unter Umständen verschiedene Perspektiven der beteiligten Kinder, El- tern, Spezialisten sowie Fachkräfte vor dem Hintergrund einer lebenswelt- und sozi- alraumorientierten Sozialen Arbeit bedacht werden müssen. Auf die Bedingungen realpraktischer Partizipation soll im dritten Teil der vorliegenden Arbeit eingegangen werden. Überlegungen zur Bürgerbeteiligung erscheinen im Gesamtblick zwar au-ßerordentlich wichtig, auf diesbezügliche Ausführungen wird aber im Hinblick auf die zu erörternde Fragestellung verzichtet.
[...]
1Pies, Schrapper, 2003, S. 2
2Ebd.
3Ebd.
4Nach dem KJHG sind ausschließlich Personensorgeberechtigte berechtigt, Antrag auf Hilfe zu stellen. Die Verwendung des Begriffes „Eltern“ in der vorliegenden Arbeit wird ausschließlich in diesem Sinne verwendet.
5Vgl. ebd.
6Ebd.
7May, 2003, S. 14
8Vgl. ebd.
9§ 1 Abs. 1 KJHG (SGB VIII)
10May, 2003, S. 14
11Vgl. Schimke, 1994, S. 26
12Vgl. May, 2003, S. 16
13Vgl. ebd.
14Schefold, Glinka, et al. 1998, S. 13
15Pluto, Mamier et al., 2003, S. 12
16Vgl. von Soest, 2000, S. 91
17Pluto, Mamier et al, 2003, S. 12
18Vgl. exemplarisch May, 2003, S. 15
19Vgl. § 5 KJHG (SGB XIII)
20Anders bei Hilfen nach § 35 a KJHG (SGB VIII), hier können Minderjährige Anspruch erheben (vgl. ebd.)
21§ 8 Abs. 1 KJHG (SGB XIII)
22§ 8 Abs. 2 KJHG (SGB XIII)
23Schimke, 1994, S. 39
24Vgl. a.a.O., S. 33
25§ 12 SGB X, auch Schimke, 1994, S. 33
26Vgl. Schimke, 1994, S. 33
27Vgl. § 41 KJHG (SGB XIII)