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Examensarbeit, 2013
62 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Gruppe der Migrantenkinder- Daten und Begrifflichkeiten
3. Soziale Ungleichheit
4. Sinus-Studie zur Darstellung der heterogenen Migrantenmilieus
5. Alltagsleben der Kinder mit Migrationshintergrund
5.1 Familie
5.2 Freizeit
6. Die aktuelle Bildungssituation in Deutschland
6.1 IGLU
6.2 PISA
6.3 Bildungsbericht
7. Das deutsche Bildungssystem als Produzent von Bildungsverlierern?
7.1 Kritik am Bildungssystem
7.2 Institutionelle Diskriminierung – Begrifflichkeiten (direkt/indirekt)
7.2.1 Institutionelle Diskriminierung in der Schule und ihre Indikatoren
7.2.2 Institutionelle Diskriminierung beim Übergang vom Elementar- zum Primarbereich
7.2.3 Institutionelle Diskriminierung beim Übergang vom Primarbereich zur Sekundarstufe I
8. Mögliche Erklärungsansätze für die Bildungsbenachteiligung
9. Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft
10. Lösungsvorschläge
10.1 Besserer Sprachunterricht und die Chancen der Mehrsprachigkeit
10 .2 Zielgruppenorientierung
10.3 Berufliche Integration
11. Fazit
Um die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verbessern, wurden in den letzten Jahren daher von der Bundesregierung verschiedene Aktionspläne, wie die „Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ oder der „Nationale Integrationsplan“ auf den Weg gebracht. Ziel dieser Pläne ist es dabei auch, dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegen zu treten. Die Aktualität des Themenkomplexes Bildung und Integration zeigt sich aber nicht nur an diesen Bemühungen der Bundesregierung, sondern wurde vor allem durch die neueste Integrationsdebatte deutlich, die Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ im Herbst 2010 auslöste.[1]
Unumstritten scheint es zu sein, dass den Schulen in der Begegnung mit den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft wie Deutschland eine besondere Rolle zufällt. Strittig hingegen ist hingegen jedoch bereits der zentrale Begriff der Integration, der gemeinhin als Ziel jedweder politischer, schulpolitischer und gesellschaftlicher Anstrengung postuliert wird. Was meint Integration? Wann sind Migrantinnen und Migranten integriert? In dieser Arbeit, die die Schwierigkeiten und Chancen konkreter schulischer Maßnahmen zur Integrationsförderung untersuchen will, soll zunächst ein theoretisches Fundament für die weitere Beschäftigung mit dem Thema gelegt werden.
Nachdem diese allgemeinen Grundlagen der Integrationsarbeit an Schulen eingeführt wurden, sollen diese schließlich noch in Hinblick auf eine bestimmte Gruppe von Migranten angewandt werden. Ausgewählt wurden Migranten aus dem Nahen Osten, weil diese aus zwei verschiedenen Gründen für eine genauere Untersuchung von besonderem Interesse sind. Zum einen handelt es sich bei dieser Migrantengruppe um Menschen, die größtenteils dem muslimischen Glauben angehören. Zum anderen steht vor allem diese Gruppe unter dem Generalverdacht, kaum eigene Anstrengungen zur Integration zu unternehmen. Diese Gruppe erscheint aber auch deshalb interessant, weil gerade Migranten muslimischen Glaubens im Fokus der Integrationsdebatte standen und weil diese Gruppe, wie verschiedene Untersuchungen zeigen, von Diskriminierung und Fremdenhass in besonderer Weise betroffen sind.[2]
Der aus dem Lateinischen stammende Begriff der Integration bezeichnet ursprünglich „wiederherstellen“ oder „wieder zu einem Ganzen herstellen“. In den letzten Jahren ist der Begriff der Integration vor allem in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung immer wieder in die Kritik geraten. Um Ungenauigkeiten zu vermeiden, plädieren viele für eine Ablösung des Begriffs der Integration durch den der Inklusion. Dies betrifft dabei nicht nur die wissenschaftliche Diskussion um die Integration von Migranten, sondern ebenfalls die begriffliche Diskussion um die Integration oder Inklusion von Behinderten in das Bildungssystem.[3] Auch Jenö Bango meint, dass der Begriff der Integration seinen „gesellschaftstheoretischen Bezug“ verloren habe. Schließlich bediene sich der Begriff der Vorstellung einer idealen Gesellschaft, in die jedwede Form des Unangepasstseins oder Abweichens wieder eingegliedert werden müsse. Diese Ansicht halte der sozialen Realität jedoch nicht mehr stand, da unklar sei, ob moderne, ausdifferenzierte Gesellschaften noch über eine „Mitte“ verfügten, in die am Rand stehende Personen oder Personengruppen integriert werden könnten.[4]
Die Auswanderung von Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem integralen Bestandteil der dortigen Bevölkerungsentwicklung. Dabei steht diese transregionale Migration gleichbedeutend neben den regionalen Migrationsbewegungen und Binnenmigrationen, die die Länder des Nahen Ostens ebenfalls bis heute stark prägen. Die Zuwanderung nach Europa kann dabei in drei Phasen unterschieden werden, die sich durch jeweils drei Migrationstypen auszeichnen: (1) Arbeitsmigration, vor allem aus dem Maghreb und der Türkei, aufgrund von Anwerbung durch die Aufnahmeländer von den sechziger Jahren bis Mitte der siebziger Jahre. (2) Ab Mitte der siebziger Jahre folgte im Rahmen der Familienzusammenführung der verstärkte Zuzug von Frauen und Kindern. Und (3) ab Mitte der achtziger Jahre suchten in Europa verstärkt Flüchtlinge Zuflucht, die sich vor den Konflikten in ihren Heimatländern, vor allem aus dem Libanon, Afghanistan, Iran, Irak, Sudan, Türkei und Algerien, in Sicherheit bringen wollten.[5]
Wie eben dargestellt wurde, kann die Gruppe der Migranten aus dem Nahen Osten keineswegs als homogen angesehen werden. Demnach fallen auch die Antworten auf Fragen der Identität heterogen, und an dieser Stelle kaum angemessen beschreibbar aus. Es ist dies vielleicht auch die wichtigste Aussage dieses Kapitels, dass auch wenn Migranten aus dem Nahen Osten, vielfach eben Menschen mit islamischen Hintergrund, in der Integrationsdebatte stark im Fokus der Öffentlichkeit standen, gerade auch im Hinblick auf die schulischen Erfolge bzw. Misserfolge der Migrantenkinder, sich diese Migranten eben dennoch keineswegs als einheitliche Gruppe erweisen. Alle Ansätze im Sinne einer Zielgruppenorientierung verfehlen die Vielfalt der kulturellen, sprachlichen, aber eben auch identitären Vielfalt.
Am Beispiel türkischstämmiger Migranten sollen im Folgenden dennoch einige ein Beispiel für die Problematik der Identitätsfrage dargestellt werden. Studien zeigen, dass sich nur ein Drittel aller in Deutschland lebenden türkischstämmigen Migranten als Deutsche sehen. Das Bild wird jedoch etwas vielschichtiger, wenn man bedenkt, dass etwas mehr als fünfzig Prozent dieser Menschen dennoch Deutschland als ihre Heimat ansehen.[6] Neben Erfahrungen der Diskriminierung, die auch diejenigen Menschen mit Migrationshintergrund treffen, die sich selbst als integriert oder assimiliert betrachten, müssen bei solchen Zahlen ebenso berücksichtigt werden, wie Double-Bind-Konstellationen. Deutsch-türkische Jugendliche erleben häufig, dass ein und dasselbe Verhalten von ihren Eltern im negativen Sinne als „Verdeutschung“ kritisiert wird, während Lehrpersonen dieses als „typisch türkisches“ Verhalten werten. Allgemein seien an dieser Stelle noch drei Punkte genannt, die auf die adoleszenten Migranten aus dem Nahen Osten ebenso zutreffen wie auf andere Migrantengruppen. Es handelt sich dabei um drei Einflussfaktoren, die das Leben und die Identität bestimmen: (1) die selektiv konservierten, selbstwertförderlichen und alltagspragmatisch nützlichen Elementen der Herkunftskultur; (2) eben solche Elemente der Aufnahmekultur als auch (3) Elemente, die durch einer internationalisierte Jugendkultur geprägt sind.[7]
Der Begriff der sozialen Ungleichheit wird im Folgenden dahingehend vorgestellt, als dass es im Zusammenhang mit dem vorliegendem Untersuchungsgegenstand als ein Gradmesser für die Integrationserfolge der Einwanderer in Deutschland dienen kann.
Die Verwendung bzw. die Heranziehung der sozialen Ungleichheit in Bezug auf die Einwanderer in Deutschland ist insofern geeignet, da es bereits durch die Forschung Hradils gerade für die Auseinandersetzungen und die Diskussion um die Stellung von Migranten in einer Gesellschaft. Im Ergebnis soll der Nachweis erfolgen, ob die Einwanderer in der deutschen Gesellschaft soziale Ungleichheit erfahren, wo wird dies besonders spürbar und ob es Möglichkeiten gibt die Ungleichheiten gegebenenfalls zu mildern.
Hradil definiert die soziale Ungleichheit wörtlich:
„Als soziale Ungleichheit bezeichnet man bestimmte vorteilhafte und nachhaltige Lebensbedingungen von Menschen, die ihnen aufgrund ihrer Positionen im gesellschaftlichen Beziehungsgefüge zukommen.“[8]
Die historische Entwicklung dieses Begriffes macht bereits deutlich, dass die soziale Ungleichheit in einem starken Zusammenhang zum Gefüge der jeweils untersuchten Gesellschaft steht. Die Gesellschaften haben sich über das Gefüge der Ständeordnung, der Klassen, der industriebedingten Schichtung bis hin zu der heutigen Zeit, die auffällig pluralistisch aber auch polarisierend ist, entwickelt. In jedem dieser Gefügesysteme gab es eine Form der Ungleichheit. Die Strukturen wandelten sich zwar deutlich, die Ungleichheit blieb jedoch bestehen. Als die Ständegesellschaft nach der Aufklärung und Industrialisierung an Bedeutung verlor, wurde die Ungleichheit der Menschen entlang der Klassengrenzen deutlich. Es entstand also eine erneute Struktur, die zwar ihre Bemessungswerte veränderte, aber grundsätzlich die Ungleichheit fortsetzte. Mit der Industrialisierung nahm die Bedeutung der Herkunft ab. Der finanzielle Aspekt wurde zunehmend entscheidender. In der heutigen Zeit entstanden hingegen in zweierlei Form kompliziertere Strukturen und Gefügesysteme. Einerseits haben sich die Menschen stark Individualisiert, sodass eine Zuordnung zu bestimmten Gruppen immer schwerer wird. Die Gesellschaft besteht zunehmend aus unzähligen Identitäten von Individuen und Fragmenten. Es wird zunehmend einheitliche Merkmale von bestimmten Gruppen zu definieren.[9] Dies gilt auch für die vorliegende Arbeit, wo eine ganze Reihe von Merkmalen zur Definition eines Ausländers bzw. eines Einwanderers herangezogen werden könnte. Der Autor beschränkt sich jedoch auf die rechtliche Stellung. Zweitens ist die Wissensgesellschaft sehr kompliziert in seinen Strukturen, die aus technologischer aber auch geographischer Sicht nicht mehr klar abgegrenzt werden können. Die Technologie bietet unterschiedliche Einkommensformen und das Internet neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Betätigungen und Kontakt. Die Globalisierung führt unterschiedliche Kulturen zusammen und lässt neue Dimensionen und Strukturen wachsen, die sich nicht mit den üblichen und herkömmlichen Mitteln definieren lassen.
Hradil trennt die soziale Ungleichheit in vier strukturelle Ebenen wobei für die vorliegende Untersuchung die dritte und vierte Ebene verwendet wird. Die dritte strukturelle Ebene der sozialen Ungleichheit bezeichnet die Dimensionen. Darunter fallen wirtschaftliche Verhältnisse, gesellschaftliches Prestige und Machtausübung. Als Bestandteile dieser Dimensionen werden Freizeitbedingungen, Wohnverhältnisse Arbeits- und Gesundheitsbedingungen verstanden. Ferner muss gerade für die heutige Zeit die Dimension der Bildung herangezogen werden, die in einer Wissensgesellschaft die ebengenannten Dimensionen mit beinhaltet.[10] Die vierte Ebene, die eine grundlegende Bedeutung für die vorliegende Arbeit hat ist die Ebene der Auswirkungen sozialer Ungleichheit. Diese Auswirkungen können sowohl äußerlich erkennbar sein, z.B. durch Statussymbole oder materielle Not oder Reisemöglichkeiten und Mobilität, als auch sich im Inneren von Menschen abspielen, so z.B. in Form von Gemütszuständen, Verhältnis zum Rest der Gesellschaft und der sprachlichen Gewandtheit.[11] Nach den Erkenntnissen Hradils und vieler anderer führender Soziologen steht die soziale Ungleichheit in einem engen Verhältnis zu der gesellschaftlichen Schichtung. Die einzelnen gesellschaftlichen Schichten haben gegenüber den anderen bestimmte Vor- bzw. Nachteile, die dazu führen, dass eine Art der Abstufung zwischen den Schichten entsteht. Es ist den Individuen möglich ihre Positionen zwischen den Schichten zu wechseln. Diese Veränderungen, die auch als vertikale Mobilität innerhalb der sozialen Schichtung bezeichnet werden, gehen in der Regel überein mit beruflichen Veränderungen, die einen Auf- bzw. Abstieg bedeuten.[12]
In postindustriellen Gesellschaften, also auch in der Schweiz, treten im Zuge sozialer Ungleichheit spezifische Erscheinungs- und Begleitformen auf. Die soziale Schichtung lässt sich in vier grundlegende Formen erkennen. Erstens wird die Schichtenzugehörigkeit von einem Selbst- und Fremdbild ausgedrückt. Jede Schicht entwickelt eine eigene Selbstwahrnehmung und ein Verhältnis zu den restlichen, die sich in dieser Art definieren. Ausdrücke „die da oben“ oder die „kleinen Leute“ sind typisch für diese Erscheinung. Eine weitere Form ist die
Kindererziehung, die sich, laut Hradil, stark unterscheidet. Die unteren Schichten erziehen ihre Kinder entsprechend der lebensnahen und praktischen Anforderungen. Die mittleren und gehobenen Schichten achten bei der Kindererziehung hingegen auf die Individualität und die Leistungsbereitschaft ihres Nachwuchses. Unterschiede zwischen den sozialen Schichten gibt es auch in Bezug auf politische Wahlentscheidungen. Untere Schichten entscheiden sich für die linksorientierten Parteien mit wohlfahrtsstaatlichen Programmpunkten, wohingegen die Mittelschichten den bürgerlichen Parteien zugetan sind. Die Oberschichten entscheiden sich stattdessen mehrheitlich für die Liberalen.[13]
Während der letzten Jahrzehnte veränderten sich die Voraussetzungen für die soziale Ungleichheit. Statt der bis dahin geltenden Einkommensunterschiede, die als die entscheidende Größe für die Einstufung in eine bestimmte soziale Schicht galten sind es heute auch die soziokulturellen Bedingungen, die herangezogen werden. Diese Entwicklung wurde sowohl von der Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates, Werteverschiebung, als auch durch die Einwanderung in die westlichen Gesellschaften beschleunigt. So entstanden soziale Disparitäten, die nicht mehr vertikal, sondern horizontal entlang der sozialen Schichtungen verlaufen. Diese horizontalen Disparitäten kennzeichnen z.B. die Ungleichheit zwischen der Stellung des Mannes und der Frau in der Gesellschaft oder die Stellung von Staatsbürgern und Einwanderern.[14] Zunehmend wichtiger in Bezug auf die horizontale Schichtung wird die Auswirkung d.h. die Ungleichbehandlung der zu den sozialen Schichten zählenden Individuen. Kommt noch hinzu, dass die horizontale Ungleichbehandlung gleich mehrfach geben ist, so z.B. bei allein erziehenden Ausländerinnen, so hat dies entscheidende Auswirkungen auf sozialen Nachteilen, die diese Individuen erfahren.[15]
Die aktuelle Sinus-Studie, die die Lebenswelt der Jugendlichen zwischen 14-17 Jahren untersucht, kam zu dem grundsätzlichen Ergebnissen, dass diese Bevölkerungsgruppe von außerordentlicher Heterogenität geprägt ist. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Herkunft der Jugendlichen, sondern umfasst sämtliche Bereiche.[16]
Die Orientierungswerte, die durch die Eltern, Schule und Kirche vermittelt werden, stellen mit mehr die zentralen Eckpfeiler dar, mit denen Jugendliche ihre Probleme und Alltagsherausforderungen bewältigen.[17] Allzu häufig fühlen sich junge Menschen in Deutschland „ … erster Linie an seiner Leistungsfähigkeit bzw. Bildungsbiografie bemessen“[18], was ein Empfinden eines steigenden Leistungsdrucks erzeugt.[19]
Häufig führt das Empfinden eines hohen Leistungsdrucks und die steigenden Erwartungshaltung der Gesellschaft dazu, dass Jugendliche sich zumindest emotional in Wertewelten, wie Sicherheit, Pflichtbewusstsein, Familie und Freundschaft zurückziehen wollen. Diese Entwicklung stellt jedoch nicht eine grundsätzliche Wendung zu den traditionellen Werten hin, sondern hat eine Schutzfunktion, gegen die Leistungsgesellschaft. Es herrscht geradezu eine Tendenz der Vereinbarkeit der Funktionsfähigkeit nach Außen und einer emotionale Schutzbedürftigkeit nach innen.[20]
In Bezug auf Ausgrenzungstendenzen, fällt auf, dass die Begrifflichkeiten der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft von den Jugendlichen selbst, zur Abgrenzung von den Anderen, hier häufig gleichgesetzt mit Migranten und sozial Benachteiligten, vor genommen wird.[21] Die Studie führt an dieser Stelle folgende Aussagen auf: „ Also, ich will ja jetzt nicht rassistisch klingen, aber bei mir in der Klasse sind es hauptsächlich Ausländer, die so sind. Mit der Null‐Bock‐Einstellung und so.“[22], „Leute aus niedrigerem, unterem Stand, die sich verhalten, als wären sie sonst wer. Das sind zum größten Teil Ausländer, die sich so verhalten, als könnten sie alles und die ganze Welt beherrschen.“[23] und „Ich würde die Hartz IV‐Leute, die jetzt einfach zu Hause sitzen und keine Lust zu arbeiten haben, dazu verdonnern, arbeiten zu müssen.“[24] Wie fehlgeleitet dieser Eindruck ist beweisen Ergebnisse der Sinus-Studie bei den Migranten:
„Mehr als zwei Drittel zeigen ein modernes, individualisiertes Leistungsethos. 69 Prozent sind der Meinung: Jeder der sich anstrengt, kann sich hocharbeiten. (In der Gesamtbevölkerung stimmen dieser Aussage nur 57% zu.)“[25]
Neben der eben dargestellten Sinus-Studie zur jugendlichen Lebenswelten, wurden im Jahr 2008 eine ähnliche Studie durchgeführt mit Hinblick auf Migrantenmilieus, ohne dabei explizit Jugendliche bzw. Kinder in den Vordergrund zu Stellen. Auch hier offenbarte das Ergebnis außerordentliche Heterogenität. Die Studie erarbeitete insgesamt acht unterschiedliche Migranten-Milieus.[26] Auffällig hierbei ist insbesondere in Anlehnung an die Sinus-Studie über Jugendliche die Erkenntnis, dass die meisten Migranten entgegen der Einschätzung vieler Jugendlicher finanziell und edukativ die Mitte der Gesellschaft darstellen und nicht vordergründig die benachteiligten Gruppen, wie z.B. Arbeitslose oder Hartz IV-Empfänger.[27]
„Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach ihren Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben.“[28]
Die Zusammensetzung der Migranten in Deutschland umfasst folgende Herkunftsländer: Ex-Sowjetunion 21%, Türkei 19%, Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal, Griechenland) 12%, Polen 11% und Ex-Jugoslawien 10%.[29]
Die Einwanderer bezeichnen zu 84% die Religion als Privatsache. Eine Mehrheit von ihnen 54% sind Christen und nur etwa 22% Muslime. Lediglich 7% gehören hier der stark religiös geprägten Gruppe an, die die familiäre Autorität über andere Werte stellt. Innerhalb dieser Gruppe sind überproportional viele türkischstämmige Bürger vertreten.[30] Allein in dieser Gruppe treten starke Integrationsbarrieren auf.[31]
„Die meisten Migranten verstehen sich aber als Angehörige der multiethnischen deutschen Gesellschaft und wollen sich aktiv einfügen – ohne ihre kulturellen Wurzeln zu vergessen. Mehr als die Hälfte der Befragten zeigt einen uneingeschränkten Integrationswillen. 87 Prozent sagen: Alles in allem war es richtig, dass ich bzw. meine Familie nach Deutschland gekommen sind.“[32]
Inzwischen hat sich insbesondere bei gutintegrierten Migranten in der Mittelschicht ein bikulturelles Selbstbewusstsein entwickelt, dass die engen Grenzen von Nationalität und Ethnie aufgelöst hat. Die Schwierigkeiten und Probleme der Integration werden hier als überwunden angesehen. Anders hingegen bei Migrantengruppen in den unteren Bevölkerungsschichten.[33]
„Etwa ein Viertel der befragten Menschen mit Migrationshintergrund fühlt sich isoliert und ausgegrenzt – insbesondere Angehörige der unterschichtigen Milieus. Das heißt andererseits, dass Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung nur für einen kleineren Teil der Migranten belastend sind. Eine Selbststilisierung als benachteiligt und chancenlos ist typisch für das Entwurzelte Milieu und das Hedonistisch-subkulturelle Milieu.“[34]
Für die Befragten stellten Ausbildung und Sprache die wichtigsten Elemente der Integration dar. So ist es vor allem die Bildung und die Sprachkenntnisse, die über die Zugehörigkeit zu bestimmten Migrantenmilieus entscheiden.[35]
Die politische Teilhabe von Migranten und Migrantinnen in Deutschland ist an ihren Rechtsstatus gebunden. Nur mit der deutschen Staatsbürgerschaft ist eine Teilnahme an Wahlen möglich. Gleichzeitig verfügen Migranten in Deutschland auch über eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich dennoch in die Gestaltung der Gesellschaft einzubringen. Sei es durch die Arbeit in Migrantenorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen oder durch den Weg der Einbürgerung.[36] Einen Anspruch auf Einbürgerung hat, wer acht Jahre dauerhaft und rechtsmäßig in Deutschland gelebt hat. Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht von 2000 wurde zudem erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik das ius soli, also das Geburtsortprinzip eingeführt. Entschied zuvor die Abstammung der Eltern über die Staatsbürgerschaft des Kindes, erhält nun auch ein Kind die deutsche Staatsbürgerschaft, von dem mindestens ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt. Allerdings müssen sich die Kinder und Jugendlichen zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie langfristig die deutsche Staatsbürgerschaft behalten wollen und dann dementsprechend die Staatsbürgerschaft des anderen Landes aufgeben.[37]
„Aktuell sind etwa 15% der unter 10-jährigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund Deutsche nach dieser Regelung, 17% besitzen eine ausländische Staatsbürgerschaft und 68% sind Deutsche mit sonstigem Migrationshintergrund. In der Altersgruppe der 10- bis unter 20-Jährigen haben hingegen noch 36,5% aller Personen mit Migrationshintergrund eine ausländische Staatsbürgerschaft“[38]
Ein großer Teil der Migranten aus dem Nahen Osten, vor allem aus der Türkei, kam in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrtausends als Gastarbeiter
nach Deutschland. Nicht nur im Verständnis der deutschen Aufnahmegesellschaft, sondern durchaus auch im eigenen Verständnis, sah man den Aufenthalt in Deutschland als zeitlich begrenzt an. Als im Zuge der Ölkrise und des wirtschaftlichen Rückgangs der Anwerbestopp ausgesprochen wurde, erhöhte sich paradoxerweise die Zahl in Deutschland lebenden Menschen nochmals. Da den Gastarbeitern einer Wiedereinreise nach Deutschland versagt wurde, wenn sie eine gewissen Zeit ins Ausland reisten, holten viele ihre Familien nach Deutschland nach, die sie sonst kaum noch für einen längeren Zeitraum hätten sehen können.[39] Sowohl seitens der deutschen Gesellschaft als auch seitens der Einwanderer ist die historische Entwicklung vom Status der meisten Einwanderer als Gastarbeiter hin zu dauerhaft in Deutschland lebenden Migranten als Ursache vieler heutiger Schwierigkeiten zu sehen. Die Notwendigkeit, sich dauerhaft in das Aufnahmeland zu integrieren und so auch den eigenen Kindern angemessene Chancen im Aufnahmeland zu sichern, bestand nicht von Beginn an. Und auch die deutsche Gesellschaft hat ihren Status als Einwanderungsland, welches sich ebenfalls aktiv um die Migranten bemühen muss, lange verkannt.
Die Familie spielt im Rahmen der sozialen Strukturen von Migranten häufig eine herausgehobene Rolle. Tatsächlich zeichnen sich die sozialen Netzwerke von Migranten häufig durch eine Familienzentriertheit aus. Eine Befragung unter türkischen Migranten ergab, dass außerfamiliäre Kontakte häufig weniger stark ausgeprägt sind, und nach der Schul- und Ausbildungszeit sowie mit der Gründung einer eigenen Familie noch weiter abnehmen.[40] Gleichzeitig gab es aber im Rahmen der Befragung auch Hinweise darauf, dass die Familie nicht immer und gleichbleibend als hinreichendes soziales Netz gesehen wird. Gerade hinsichtlich schulischer Belange, fühlten einige der Befragten, dass ihnen ihre Eltern keine ausreichende Unterstützung bieten konnten. Dies wurde zum Teil damit erklärt, dass die Eltern sprachlich nicht in der Lage waren, ihren Kindern bei den schulischen Anforderungen zu helfen.[41]
Auch wenn der Familienzusammenhalt, oftmals in Form der typischen Großfamilie illustriert, als typisch für Migranten angesehen wird, muss beachtet werden, dass auch bei deutschen Familien der Unterschicht eine verstärkte Konzentration auf familiäre Kontakte, zu Ungunsten anderer sozialer Netzwerke, beobachtet werden kann. Bei Migranten kommt jedoch noch erschwerend hinzu, dass aufgrund der speziellen Situation der Migration, oft außerhalb der Kleinfamilie kaum familiäre Kontakte im Aufnahmeland verfügbar sind. Das soziale Kapital, welches von den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gebildet werden kann, fällt somit unter Umständen nochmals geringer aus.[42]
Aufgrund der Heterogenität der behandelten Gruppe, ist es sehr schwer, allgemeine Aussagen zu den Sprachkenntnissen zu treffen. Für die Kinder und Jugendlichen sind sowohl die Aufenthaltsdauer der Familie im Land, die soziale Situation der Familie sowie deren Integration in die Berufswelt und andere gesellschaftliche Bereiche von Bedeutung. Besondere Besorgnis in den Medien erregen immer wieder die zum Teil schlechten Deutschkenntnisse von Migranten der zweiten und dritten Generation, also Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind. Häufig zeigt sich bei diesen auch eine „doppelte Halbsprache“, also das Unvermögen, auch nur eine Sprache fehlerfrei mündlich und schriftlich zu beherrschen.[43] Bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es auch hierbei eine enge Korrelation zwischen dem sozialen Status der Familie und den Sprachkenntnissen der Kinder gibt.
[...]
[1] Vgl. Sarrazin, Thilo, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010.
[2] Vgl. Peucker, Mario, Islamfeindlichkeit – die statistischen Grundlagen, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Islamfeindlichkeit: Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden 2010, S. 159-172.
[3] Vgl. Seewald, Christina, Die Ablösung des Begriffs der Integration durch den der Inklusion: Eine Chance für die Praxis?, in: Detlef Horster, Ursula Hoyningen-Süess, Christian Liesen (Hrsg.), Sonderpädagogische Professionalität: Beiträge zur Entwicklung der Sonderpädagogik als Disziplin und Profession, Wiesbaden 2005, S. 151-165, S. 151.
[4] Vgl. Bango , Jenö, Der Begriff der Funktion in der Sozialarbeit, in: systhema 3/2005, S. 275-284, S. 278.
[5] Vgl. Gesemann, Frank, Flucht, Migration und gesellschaftlicher Wandel im Nahen Osten, Frankfurt/Main 1999, S. 31.
[6] Vgl. Schmid, Stefan, Integration als Ideal – Assimilation als Realität: Vorstellungen von jungen Deutschen und türkischstämmigen Migranten über ein Leben in Deutschland, Göttingen 2010, S. 69.
[7] Vgl. ebd., 71.
[8] Hradil, Stefan (2000): Soziale Ungleichheit in Deutschland, Mainz. S. 194
[9] Hradil, Stefan (2000): Soziale Ungleichheit in Deutschland, Mainz. S. 196ff
[10] Vgl. Hradil, Stefan (2000): Soziale Ungleichheit in Deutschland, Mainz. S. 196
[11] Vgl. ebd., S. 196
[12] Vgl. ebd., S. 205
[13] Vgl. Hradil, Stefan (2000): Soziale Ungleichheit in Deutschland, Mainz. S. 207
[14] Vgl. ebd., S. 208
[15] Vgl. ebd., S. 209
[16] Vgl. (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[17] Vgl. (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[18] (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[19] Vgl. (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[20] Vgl. (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[21] Vgl. (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[22] (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[23] (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[24] (SINUS-Jugendstudie U18. Berlin)
[25] SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[26] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[27] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[28] SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[29] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[30] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[31] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[32] SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[33] Vgl. SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[34] SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[35] SINUS-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. 2008.Berlin
[36] Vgl. Reißlandt, Carolin, Politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten, Angebot der Bundeszentrale für Politische Bildung, Berlin 2007, Online: http://www.bpb.de/themen/H9O99X,0,0,Politische_Partizipation_von_Migrantinnen_und_Migranten.html
[37] Vgl. Storz, Henning und Wilmes, Bernhard, Die Reform Staatsangehörigkeitsrechts und das neue Einbürgerungsrecht, Angebot der Bundeszentrale für Politische Bildung, Online: http://www.bpb.de/themen/OHCOPK.html
[38] Bildungsbericht in Deutschland 2012. Bielefeld 2012. S. 17
[39] Vgl. Schulz, Bernd, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – eine förderungsbedürftige Gruppe, in: Ronald Lutz und Veronika Hammer (Hrsg.), Wege aus der Kinderarmut. Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und sozialpädagogische Handlungsansätze, Weinheim und München 2010, S. 169-184, S. 169.
[40] Vgl. Gestring, Norbert, Janssen Andrea, Polat, Ayca, Prozesse der Integration und Ausgrenzung. Türkische Migranten der zweiten Generation, Wiesbaden 2006, S. 37f..
[41] Vgl. ebd..
[42] Vgl. ebd..
[43] Vgl. Gessner und Kuhley, Schule – Sprache – Migration, S. 3.