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Magisterarbeit, 2015
112 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung und Fragestellung
1.1 Das Forschungsproblem
1.2 Berücksichtigte Materialbasis
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise
2 Verfassungsrechtliche Grundlagen von Parteiverbotsverfahren
2.1 Streitbare Demokratie und Art. 21 Abs. 2 GG
2.2 Kriterien für Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG
2.2.1 Beeinträchtigung oder Beseitigung der fdGO
2.2.2 Intensität der Zielverfolgung
2.2.3 Parteiführung und Anhängerschaft
2.2.4 Wesensverwandtschaft mit der NSDAP
2.3 Sonstige Anforderungen
2.3.1 Gewinnung von Beweismaterial - Die V-Mann Problematik
2.3.2 Europäisierung der Rechtsprechung - Parteiverbote und EMRK
2.4 Zusammenfassung und Zwischenfazit
3 Erfolgsaussichten des erneuten NPD-Verbotsantrages
3.1 Aufbau und grundlegende Argumentation des Antrags
3.2 Verhältnis der NPD zur fdGO - Argumentation des Antrags
3.2.1 Nachweis der Unvereinbarkeit von NPD-Ideologie und fdGO
3.2.2 Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive
3.3 Intensität der Zielverfolgung - Argumentation des Antrags
3.3.1 Nachweis des aktiv-kämpferischen, aggressiven Handelns der NPD
3.3.2 Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive
3.4 Wesensverwandtschaft mit der NSDAP - Argumentation des Antrags
3.4.1 Nachweis der Wesensverwandtschaft zwischen NPD und NSDAP
3.4.2 Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive
3.5 Sonstige Anforderungen
3.5.1 Staats- und Quellenfreiheit - Argumentation des Antrags
3.5.1.1 Umsetzung von Staats- und Quellenfreiheit
3.5.1.2 Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive
3.5.2 Relevanz der EMRK-Kriterien - Argumentation des Antrags
3.5.2.1 Berücksichtigung der EMRK-Kriterien im NPD-Verbotsantrag
3.5.2.2 Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive
3.6 Zusammenfassung und Zwischenfazit
4 Sollte die NPD verboten werden?
4.1 Konsequenzen eines Parteiverbots
4.2 Argumente der Befürworter eines NPD Verbots
4.3 Argumente der Gegner eines NPD Verbots
4.3.1 These der Unvereinbarkeit mit demokratischen Grundsätzen
4.3.2 These der fehlenden Zweckmäßigkeit
4.3.3 These der Schädlichkeit
4.3.4 Forderungen der Verbotsgegner
4.4 Kritik der Positionen
5. Fazit
5.1 Unwägbarkeiten resultieren in ungewissem Ausgang
5.2 Zweckmäßigkeit des Verbots fragwürdig
5.3 Schluss
6. Literatur- und Quellenverzeichnis
„ Es ist aber seit dem alten [Verbotsantrag gegen die NPD, d. Verf.] etwas passiert, was kaum einer für möglich gehalten hätte: Es wurde eine neonazistische Mordserie aufgedeckt. Die Verbindungen der NPD zur Gewalt müssen penibel darge legt, die Beziehungen zwischen der NPD und Gewalttätern akkurat belegt werden. Dafür gibt es [..] Exempel und Indizien. “
(Heribert Prantl, 2011)
„ Man sollte es besser bleiben lassen. Das Verbotsverfahren ist nicht durchdacht, sondern lediglich ein Reflex auf die Neonazi-Mordserie. “
(Norbert Lammert, 2012) 1
Die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste existierende rechtsextremistische Partei der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem 2003 vorzeitig eingestellten Verfahren wurde 2013 mit einem erneuten Vorstoß des Bun- desrats die nächste Runde im Kampf um ein Verbot der umstrittenen Partei eingeläutet. Das Damoklesschwert eines drohenden Verbotes schwebte bereits in den Jahren nach ihrer Gründung über der NPD, als in der Zeit der ersten Großen Koalition entspre- chende Überlegungen angestellt wurden. Nach dem knappen Scheitern an der Fünf-Pro- zent-Klausel bei der Bundestagswahl 19692 wurden diese Pläne jedoch nicht weiter ver- folgt (vgl. Jesse 2013: 335f). Die folgenden Jahrzehnte waren vom Abstieg der NPD in die Marginalität geprägt.3 Dieser Trend wurde 2004 auf beeindruckende Weise durch den Wahlerfolg bei den Landtagswahlen in Sachsen beendet. Es gelang der NPD mit 9,2 Prozent der abgegebenen Stimmen zwölf Landtagssitze zu erreichen (Stat. Landesamt Freistaat Sachsen: 2004). Den Grundstein für die (vorübergehende) Konsolidierung der NPD legte der damalige Bundesvorsitzende Udo Voigt bereits 1996. Sowohl personell als auch programmatisch wurde die Neuausrichtung der Partei vorangetrieben. Voigt be- tonte die soziale Frage und erweiterte die Überfremdungs- zu einer Antiglobalisierungs- kampagne (vgl. Stöss 2013: 597f). Zusätzlich öffnete er die NPD für Personen aus rech- ten Subkulturen, die durch Verbote rechtsextremer Vereine in den frühen neunziger Jah- ren ein neues Betätigungsfeld in der NPD fanden. Dies resultierte in einer weiteren Ra- dikalisierung der Partei. „Bei Demonstrationen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen ist das gemeinsame Auftreten mit bekennenden Neonazis (‚Nationale Sozialisten‘) mitt- lerweile die Regel. Eine Reihe führender NPD-Kader entstammt den heute als Freie Ka- meradschaften oder Freie Kräfte operierenden Neonazistrukturen“ (Kopke 2008: 37).
Die Einschätzung Voigts im Jahr 2004, dass es offensichtlich auch möglich sei, mittels der Wahlurne die BRD abzuwickeln,4 sollte sich jedoch nicht bewahrheiten. Bundesweit hat die NPD heute etwa 5.500 Mitglieder. Nach zehn Jahren endete 2014 die Tätigkeit der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen mit einem knappen Scheitern an der Fünf-Prozent-Klausel (vgl. Stat. Landesamt Freistaat Sachsen: 2014). Die NPD ist somit nur noch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Neben dem politischen Abstieg ist auch die finanzielle Lage der Partei desolat. „Dass das Verfassungsgericht einen Eilantrag auf Zahlung gesperrter Staatsgelder ablehnte und die NPD auf Prozesskostenhilfe verwies, spricht Bände“ (Meier 2015b: 130).
Das erste Verbotsverfahren gegen die radikalisierte NPD scheiterte 2003, da drei von sieben Verfassungsrichtern aufgrund der massiven Anwesenheit von Informanten des Verfassungsschutzes in den NPD-Vorständen ein unaufhebbares Verfahrenshindernis sahen (vgl. Backes 2012: 11). Rückblickend überwiegt die Kritik an den Antragstellern:5 „Hektik, Aktionismus und Symbolik prägten die gesamte Verbotsdebatte“ (Flemming 2005: 141). Treibende Kräfte6 des Verfahrens waren stärker auf die Profilierung der eigenen Person als auf sachliche Auseinandersetzung mit Fakten fixiert. Als Ergebnis kam es zu den übereilten Anträgen (vgl. Jesse 2012: 300f).
Auch was den aktuellen Verbotsantrag angeht sind kritische Stimmen zu vernehmen, wobei keine Rechts-Links-Frontenbildung zwischen Befürwortern und Gegnern eines Verbots festzustellen ist (vgl. Backes 2012: 14). Kritik wird sowohl hinsichtlich der Er- folgsaussichten als auch in Bezug auf die Zweckmäßigkeit des Unternehmens laut. Die anfänglichen Hoffnung, tragfähige Verbindungen zwischen NPD und „Nationalsozialis- tischem Untergrund“ (NSU) herstellen zu können, sollten sich nicht erfüllen - es zeig- ten sich somit deutliche Parallelen zu den übereilten ersten Antragstellungen. Die beiden einzigen Verbotsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik fanden 1952 gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutsch- lands (KPD) statt. Während das SRP-Verbot unproblematisch abgewickelt werden konnte, zeigten sich beim Verbot der KPD grundlegende Unsicherheiten bei der Inter- pretation von Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes. Inwieweit die damalige Recht- sprechung auf das aktuelle NPD-Verbotsverfahren übertragbar ist, wird kontrovers dis- kutiert (vgl. Limbach 1996: 180f). Auch wird kritisch die Frage geäußert, ob eine Partei, die bei Bundestagswahlen regelmäßig völlig chancenlos antritt und nur noch in einem Landtag vertreten ist, mit dem schärfsten Instrument der streitbaren Demokratie be- kämpft werden sollte.7 Somit wird deutlich, dass ein Verbot der NPD aus zwei Blick- winkeln zu hinterfragen ist: Kann ein Verbot der Partei unter Berücksichtigung der ver- fassungsrechtlichen Rahmenbedingungen realisiert werden und ist diese Maßnahme aus politikwissenschaftlicher Perspektive überhaupt sinnvoll. Diese Fragen gilt es zu kon- kretisieren.
Aus demokratietheoretischer Perspektive stehen Parteiverbote unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck. Das Grundgesetz weist den Parteien die Aufgabe zu, an der Wil- lensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG). Entfällt die vermittelnde Funktion einer Partei zwischen Staat und Wahlbürgern, resultiert dies in der politischen Abtrennung von Teilen des Volkes vom Staat. Wird eine Partei verboten, so wird die Vielfalt des Spektrums, aus dem sich der Entscheidungsprozess generiert, einge- schränkt.8 Man kann deshalb von einer Beeinträchtigung des Prozesses der Gemein- wohlerzeugung sprechen, da der Ausschluss bestimmter Auffassungen dessen Funkti- onslogik zuwider läuft (vgl. Morlok 2002: 64). Ein Verbot stellt daher immer einen mas- siven Eingriff in den demokratischen Prozess dar, der gerechtfertigt sein will. Mit den Worten von Horst Meier, einem der schärfsten Kritiker sowohl eines extensiven Ver- ständisses von streitbarer Demokratie als auch des aktuellen NPD-Verbotsverfahrens: „Ein Verbot muss einen triftigen Grund haben, das heißt zur Verteidigung von Demokra- tie und Pluralismus zwingend notwendig sein. Dass diese Selbstverständlichkeit hierzu- lande nicht geläufig ist, spricht Bände“ (Meier 2015c: 36).
Wie aufzuzeigen ist, bewegt sich die Diskussion um das Verbot politischer Parteien im Spannungsverhältnis von historisch geprägten verfassungsrechtlichen Sachverhalten und der Sphäre des oft tagesaktuell beeinflussten Politischen. Die problematische Über- schneidung der beiden Bereiche - die Verwendung eines juristischen Verfahrens zu politischen Zwecken - findet in dem auf Otto Kirchheimer zurückgehenden Begriff der „Politischen Justiz“ Ausdruck (vgl. Meier 2015b: 132). Kirchheimer zeigt grundlegende Probleme auf, die sich auf die unterschiedlichen Funktionslogiken beider Sphären zu- rückführen lassen. Für den Bereich des Politischen stellt Macht das wichtigste Medium dar, um Entscheidungen herbeizuführen und dem politischen Gegner Grenzen aufzuzei- gen. Einer der zentralen Aspekte des politischen Prozesses zielt somit darauf ab, Macht- konstellationen zu beeinflussen.9 Kirchheimer sieht außerdem die Gefahr von „erküns- telten juristischen Konstruktionen“ (vgl. Kirchheimer 1981: 89) und einer präventiven Ausrichtung politischer Justiz, die sich gegen Tatbestände richtet, die strafrechtlich überhaupt nicht zu fassen sind.10 Vor allem mit Blick auf „revolutionäre“ Parteien er- kennt er das Risiko eines Missbrauchs politischer Justiz im Sinne einer machtorientier- ten Politik gegen Feinde des Status quo.11 Die Symbiose, die Politik und Justiz im Zu- sammenhang mit Parteiverboten eingehen, weist ohne Frage auch ein reglementierendes Moment gegen das Umsichgreifen ungezügelter politischer Macht auf (vgl. BVerfGE 5, 85 <140>).12 Trotzdem besteht die Gefahr der Zweckentfremdung durch Mehrheiten, die im Sinne eigener (partei-)politischer Interessen gegen eine unbequeme Opposition vorgehen wollen. Besonders die allgemeinen Formulierungen in Verfassungen - das Grundgesetz stellt hier keine Ausnahme dar - erweisen sich als geeignet für machtpolitisch einseitig geprägte juristische Auslegungen:
„ Das Verfassungsgesetz ist hier besonders nachgiebig, weil es zumeist nicht jene rechtstechnische Perfektheit erreicht, wie sie eine Kodifikation des Zivilrechts auf weist, weil die Regelungen vielfach hochabstrakt und plakativ ausfallen, unaufge löste Widersprüche enthalten, Appelle von unklarer juristischer Qualität auf weisen, die Sprache feierlich, rhetorisch, unklar ist. “
(Isensee 1995: 51)
Dem Bundesverfassungsgericht fällt die Aufgabe zu, zwischen den allgemein gehalte- nen Formulierungen des Grundgesetzes und der auf reale gesellschaftliche Sachverhalte gerichteten juristischen Praxis zu vermitteln. Im Rahmen dieser Interpretationsaufgabe fällt dem obersten deutschen Gericht eine bedeutende politische Funktion zu - vor al- lem, wenn Aussagen zur Wertordnung getroffen werden. Dies stellt allerdings eine Grat- wanderung dar, denn es besteht die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht - ob- wohl grundlegend als ein Organ des Rechts und nicht etwa der Politik konzipiert - durch seine große Machtfülle der Versuchung erliegt und „im Mantel der Rechtspre- chung (Rechts)Politik macht und eigene (rechts-)politische Meinungen durchsetzt“ (Pia- zolo 1995: 16). Im Rahmen der vorgelegten Arbeit sollen anhand der bisherigen Recht- sprechung die zentralen Kriterien herausgearbeitet werden, die im Zuge eines Verbots- verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 GG relevant sind. Die Basis dafür bilden die Verbotsur- teile gegen die SRP und KPD in den fünfziger Jahren, die vor dem Hintergrund der Ent- stehungssituation des Grundgesetzes, den Erfahrungen der Mitglieder des Parlamentari- schen Rates sowie der außenpolitischen Lage der frühen Bundesrepublik zu sehen sind. Inwieweit die Argumentationsmuster aus den Verbotsverfahren der fünfziger Jahre für den aktuellen Antrag des Bundesrates gegen die NPD eine Rolle spielen und ob den Verfassern eine „Aktualisierung„13 gelingt, soll mittels einer kritischen Analyse der Schrift untersucht werden. Eine stärkere Hinwendung zur Sphäre des Politischen führt zur Frage der Zweckmäßigkeit eines Verbots der NPD. Nicht alles, was verfassungs- rechtlich möglich ist, muss aus politikwissenschaftlicher Warte sinnvoll sein. Welche positiven Auswirkungen wären durch ein Verbot zu erreichen? Auch wenn sich die Re- levanz der NPD und ihrer gesamten Anhänger- und Wählerschaft in überschaubaren Grenzen hält - die Signalwirkung eines Verbots reicht weit über den unmittelbaren Ef- fekt hinaus. Das Bundesverfassungsgericht wird mit seiner Entscheidung auch eine Ant- wort auf die Frage geben, wie weit Opposition in der Bundesrepublik gehen darf und ob legale Politik unter dem Vorbehalt der Verfassungstreue steht (vgl. Meier 2015a: 17). Ab welchem Punkt geht eine Gefährdung für die Demokratie von einer Partei aus: „Genügt anstößige Propaganda? Oder müssen Rechtsbruch und politisch motivierte Gewalt hin- zukommen oder wenigstens nennenswerte Wahlergebnisse erzielt werden?“ (ebd.) Wel- che Qualitätsstandards werden in Bezug auf die Herkunft und Qualität des im Antrag vorgelegten Beweismaterials von den Karlsruher Richtern gefordert?
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Verboten von SRP und KPD sind erneut komplexe Fragen nach dem grundlegenden Verhältnis und Verständnis von Demokratie, Meinungsfreiheit und der Möglichkeit von Opposition zu beantworten.14 Der Politikwis- senschaft kommt dabei eine vermittelnde Rolle zu: Indem sie die Argumente der Betei- ligten der wissenschaftlichen Debatte zuführt, werden Positionen, Argumente und Inten- tionen offengelegt. Dies stellt eine grundlegende Voraussetzung für die Entscheidungs- träger und auch die Bürger dar, um sich von eindimensionalen Betrachtungsweisen und Manipulationen lösen zu können. Diese Arbeit möchte hierzu einen Beitrag leisten.
Die zur NPD vorhandene Fachliteratur zeichnet sich durch einen kaum noch überschau- baren Umfang aus. Eine Besonderheit besteht in einer deutlich feststellbaren Abhängig- keit der Anzahl der Publikationen zu den Wahlerfolge der Partei. Zusätzliche Aufmerk- samkeit wurde auch durch die bisherigen Anläufe, ein Verbot zu erwirken, geschaffen, was in einer Vielzahl von Beiträgen und Publikationen Niederschlag gefunden hat. Die Literatur zu NPD und Rechtsradikalismus wird in diesem Zusammenhang nicht selten von der tagespolitisch bestimmten, oft emotional geführten Debatte in Politik und Medien beeinflusst. Dramatisierung und Entrüstung erweisen sich dabei für die grundle- genden wissenschaftlichen Zielsetzungen - die Gewinnung neuer Erkenntnisse und Pro- blemlösungsansätze - als kontraproduktiv. Oft geht das nötige Augenmaß verloren. Im schlimmsten Fall verstellt moralische Entrüstung den Blick auf grundlegende und weitaus bedeutendere Aspekte der Problematik. Da die (emotionale) Debatte in Medien und Politik eine nicht zu unterschätzende Einflussgröße darstellt, wurden auch Beiträge aus diesem Bereich berücksichtigt (vgl. Graumann, Högl, Hövelmann).
Für die vorgelegte Arbeit lassen sich für die einzelnen Kapitel Schwerpunktsetzun- gen hinsichtlich der verwendete Literatur ausmachen. Das Konzept der „streitbaren“ Demokratie und die Problembereiche, die aus den unterschiedlichen Funktionslogiken von Politik und Justiz resultieren, werden in Kapitel eins dargestellt. Die Frage, wie sich die Demokratie gegenüber ihrer Feinde verhalten kann oder soll, wird anhand der konträren Positionen von Hans Kelsen (Verteidigung der Demokratie) und von Karl Mannheim (Diagnose unsere Zeit) verdeutlicht. Zur allgemeinen Problematik der Verschränkung von Politik und Justiz liefert der bereits erwähnte Otto Kirchheimer Impulse, die auch für die aktuelle Debatte relevant sind. Einen guten Überblick zur Entwicklung des Konzepts streitbarer Demokratie bietet Jesse (Streitbare Demokratie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) und stellt hier auf das Erfordernis der Demokratie ab, sich in Notsituationen gegen ihre Feinde zur Wehr setzen zu können.
Die Urteilsbegründungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Verboten der SRP und KPD, sowie zu dem vorzeitig beendeten Verfahren gegen die NPD 2003, bilden die Grundlage von Kapitel zwei. Ergänzend wurden für diesen Bereich Beiträge mit juris- tisch geprägter Perspektive ausgewählt. Erwähnenswert sind hier vor allem Ipsen (Das Ende des NPD-Verbotsverfahrens: Prozessentscheidung vs. Sachentscheidung), Morlok (Schutz der Verfassung durch Parteiverbote?), van Ooyen (Die Parteiverbote vor dem Bundesverfassungsgericht) und Bull (Verfehltes Verfahren, Niederlage der abwehrberei- ten Demokratie oder Sieg der Toleranz?), der nach dem V-Leute-Debakel die Möglich- keit von Parteiverboten grundlegend in Frage gestellt sieht. In Opposition zu dieser Sichtweise sind die Beiträge von Leggewie und Meier zu sehen. Beide treten für die These ein, dass Alternativen zu einer - immer im Verdacht des Missbrauchs stehenden - streitbaren Demokratie bestehen. Sie sehen die Gewaltschwelle als entscheidende Grenze für staatliches Eingreifen an. Erst wenn diese überschritten wird, darf der demo- kratische Staat Maßnahmen gegen seine Feinde einleiten. Dies kommt deutlich in dem gemeinsam von Meier und Leggewie verfassten Band „Republikschutz. Maßstäbe zur Verteidigung der Demokratie“ zum Ausdruck. Der in zeitlicher Nähe zum ersten Verfah- ren gegen die NPD erschienene, von Leggewie herausgegebene Sammelband „Verbot der NPD oder mit Rechtsradikalen leben?“ liefert einen guten und noch immer aktuellen Überblick der Positionen von Gegnern und Befürwortern eines Verbots, wobei die Geg- ner zahlenmäßig überwiegen. Kapitelübergreifenden Eingang in die vorgelegte Arbeit fand der Sammelband von Meier, der 2015 zeitnah zum aktuellen Verbotsantrag gegen die NPD erschienen ist. Die zentralen Schriften des Autors von 2001 bis 2014 und eine Reihe von Gastbeiträgen stellen eine umfassende Kritik der streitbaren Demokratie im Ganzen und der Verbotsdiskussion gegen die NPD im Speziellen dar. Besonders erwäh- nenswert ist hier die scharfe Analyse des aktuellen Verbotsantrags des Bundesrats (Die „verfassungswidrige“ Partei als Ernstfall der Demokratie). Für die vorgelegte Arbeit wurden weitere aktuelle Beiträge herangezogen, die sich in zeitlicher Nähe zum aktuel- len Verfahren befinden, wie von Backes (NPD-Verbot: Pro und Contra). Festzustellen ist, dass die Gegner des Verbots in der wissenschaftlichen Debatte zahlenmäßig stärker vertreten sind. Dies gilt nicht für den Bereich der Politik, in der generell eine weitaus emotionalere Diskussion und Argumentation praktiziert wird, was von Flemming um- fassend belegt wird (Das NPD-Verbotsverfahren. Vom „Aufstand der Anständigen“ zum „Aufstand der Unfähigen“). Exemplarisch wird dies für den aktuellen Kontext durch die Positionen von Caffier (Die NPD ist geistiger Brandstifter), Högl (Es ist unerträglich, dass die NPD über Steuergelder finanziert wird) und Hövelmann (Neonazis haben im demokratischen Staat keinen Platz) dargestellt.
Für die Bewertung der konkreten Chancen des Antrags wurde für Kapitel drei die Antragsschrift der beiden Prozessbevollmächtigten Möllers und Waldhoff analysiert und zu wissenschaftlichen Positionen in Bezug gesetzt. Besondere Relevanz weist neben der Begründung des vorzeitig eingestellten NPD Verfahrens die europäische Perspektive, verkörpert durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, auf. Mit der Frage, inwieweit die Europäische Menschenrechtskonvention mit dem deutschen Grundgesetz kompatibel ist, setzten sich die Beiträge von Emek und Meier (Über die Zukunft des Parteienverbots), Grabenwarter (Wen man ausschließen darf) und Pabel (Parteiverbote auf dem europäischen Prüfstand) auseinander.
Für die vorgelegte Arbeit galt als Zielsetzung, eine ausgewogene Auswahl bestehend aus juristischer und politikwissenschaftlicher Literatur vorzunehmen. Hierin liegt je- doch immer auch die Gefahr einer zu deskriptiven und in der Breite ausufernden Kon- zeption der Arbeit. Insofern wurden Schwerpunkte gesetzt, die eine kritische Einord- nung des Antrags erlauben sollten. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die bereits früher geäußerten Standpunkte von Borstel, (Falsche Hoffnung NPD-Verbot) und Möl- lers (Demokratie - Zumutung und Versprechen) verwiesen. Wenn auch für das juristi- sche Verfahren nicht entscheidend, so sind deren Positionen zu einem NPD-Verbot bei der Bewertung des Zweckmäßigkeitsaspektes in Kapitel vier von erheblichem Gewicht.
Aus dem skizzierten Forschungsproblem leitet sich die Vorgehensweise ab. Die Arbeit gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Teile. Der verfassungsrechtliche Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG bildet den theoretischen Grundstock (vgl. Kap. 2). Das Instru- ment des Parteiverbots als deutliches Zeichen einer „streitbaren“ Demokratie, wird durch den historischen Kontext und die mit diesem in Wechselwirkung stehenden Inter- pretationen des Bundesverfassungsgerichts definiert. Unmittelbaren Ausdruck dieser In- terpretationen stellen die Urteilsbegründungen gegen die SRP und die KPD - den bei- den einzigen bisher verbotenen Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik - dar. In den Verfahren nahm das Gericht Konkretisierungen vor, die auch heute für Parteiverbote von Bedeutung sind.
Neben diesen Konkretisierungen sind zwei weitere Punkte für den Erfolg eines Ver- botsverfahrens von entscheidender Bedeutung. Wie sich im gescheiterten Verfahren von 2003 gezeigt hat, legt das Gericht besonderen Wert auf Qualität und Herkunft des Be- weismaterials. Die Richter kritisierten die beträchtliche Anzahl von Informanten des Verfassungsschutzes in den Landesvorständen der NPD; eine Sperrminorität von drei Richtern sah darin ein unaufhebbares Verfahrenshindernis. Da sich die Antragsteller weigerten, ihre Quellen offenzulegen, war es für das Gericht nicht möglich, eine klare Unterscheidung in solche der Partei bzw. den staatlichen Stellen zuzuordnende Materia- lien vorzunehmen. Welche Auswirkungen die von den Karlsruher Richtern geforderte Staats- und Quellenfreiheit auf die Konzeption des aktuellen Antrags gegen die NPD hat, soll in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Ebenfalls ist die Tendenz zur Eu- ropäisierung der Rechtsprechung15 zu beachten. Zwar kommt dem Bundesverfassungs- gericht weiterhin die Aufgabe zu, das Grundgesetz auszulegen. Sollte jedoch der Euro- päische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts als unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bewerten, so wäre diese Sichtweise auch für Deutschland verbindlich (vgl. Klein 2012: 20). Ob sich die Hürden für Parteiverbote durch die Rechtsprechung des EGMR erhöht haben, ist hier wenigstens in Grundzügen zu dikutieren. Im sich anschlie- ßenden Teil wird der Fokus auf die Antragsschrift gegen die NPD gelegt (vgl. Kap. 3). Aufbauend auf den zentralen Punkten des Kapitels 2 wird die Argumentation des An- trags einer Kritik aus politikwissenschaftlicher Perspektive gegenüber gestellt, um so zu einer Einschätzung der Erfolgsaussichten zu gelangen.
Allerdings kann die Betrachtung an diesem Punkt nicht stehen bleiben. Nur weil ein Parteiverbot formal machbar ist, besteht noch kein zwingender Handlungsbedarf, ein solches zu initiieren. Kapitel 4 setzt sich daher mit der Frage nach der Zweckmäßigkeit eines Verbots auseinander. Für ein Verbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 ist ausschließlich die Frage nach dem erfüllten Tatbestand der Verfassungswidrigkeit relevant. Für den Aspekt der Zweckmäßigkeit ist darüber hinaus zu klären, welche Erwartungen an ein Verbot der NPD geknüpft werden. Konkret: Was soll ein Verbot der Partei bewirken? Sind Resultate zu erwarten, die einen so massiven Eingriff in den demokratischen Prozess rechtfertigen? Das Fazit nimmt - unter Berücksichtigung aller drei Teilbereiche der Arbeit - eine abschließende Bewertung vor.
Parteiverbote sind kein selbstverständlicher Bestandteil von Verfassungen. Betrachtet man die „alten“ Verfassungsstaaten wie z. B. Großbritannien und die USA, so zeigt sich, dass diese ein Instrument wie den Art. 21 Abs. 2 GG nicht kennen16 17 (vgl. Backes 2012: 10). Ursächlich lässt sich die Entscheidung des Parlamentarischen Rates zu einer „wehrhaften“ oder „streitbaren“ Demokratie als Präventivmaßnahme gegen einen erneu- ten autokratischen Rückfall18 interpretieren (vgl. ebd.). Die zentralen Merkmale dieser Demokratieschutzkonzeption lassen sich unter den Begriffen Wertgebundenheit, Ab- wehrbereitschaft und Vorverlagerung zusammenfassen. Vor allem die beiden letztge- nannten Punkte spielen in Bezug auf die mögliche politische Instrumentalisierung von Parteiverboten eine besondere Rolle. Beschränkt sich der Aspekt der Wertgebundenheit darauf, grundlegende Prinzipien der Verfassung (Art. 1 und 20 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG) vor der Änderung oder Beseitigung durch parlamentarische Mehr- heiten zu schützen (vgl. Flemming 2005: 23f), so weisen die Bereiche Abwehrbereit- schaft und Vorverlagerung ein ausgesprochen offensives Potential auf, um demokratie- feindlichen Bestrebungen in einem frühen Stadium entgegentreten zu können. Das vom Grundgesetz in diesem Zusammenhang zur Verfügung gestellte Instrumentarium19 fin- det nicht zuletzt im Art. 21 Abs. 2 GG Ausdruck. Auf die grundlegende Problematik der Uneindeutigkeit von Verfassungstexten wurde bereits verwiesen. Um dieses Problem zu entschärfen, wird unter Bezugnahme auf den Gesamtzusammenhang des Verfassungs- textes eine Konkretisierung einzelner Sachverhalte durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommen. Es gilt zu untersuchen, welche Weichenstellungen das höchste deutsche Gericht in seiner bisherigen Rechtsprechung zu Parteiverboten vorgenommen hat. Hierzu zählt auch die Begründung für die Einstellung des ersten NPD-Verbotsverfah- rens 2003 sowie der zunehmende Einfluss durch den Europäischen Gerichtshof.20 Einleitend soll auf das Verhältnis zwischen dem Konzept der „streitbaren Demokratie“ und Art. 21 Abs. 2 eingegangen werden.
Eines der grundlegenden Probleme der Demokratie besteht in der Frage, wie sie mit ih- ren Feinden umgehen soll. Die Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik sowie der nationalsozialistischen Diktatur veranschaulichen diese Problematik: Wie soll der demokratische Staat auf die Unterwanderung durch antidemokratische Gruppen reagie- ren, die bestehende Grundrechte und Grundfreiheiten dazu missbrauchen, diese nach ei- ner erfolgreichen Machtübernahme zu beseitigen? Ergreift der demokratische Staat Ab- wehrmaßnahmen gegen solche Bestrebungen, stellt er sich letztlich selbst in Frage:
„ Hat der demokratische Staat sich zur Selbstverteidigung entschlossen, wird es aus diesem ‚ demokratischen Dilemma ‘ keinen Ausweg geben. Denn wo immer er der allgemeinen Handlungsfreiheit Grenzen setzt, wird er sie in Verletzung seiner eigenen Grundprinzipien setzen müssen. “
(Boventer 1985: 18)
Diese Problematik kommt in den gegensätzlichen Positionen von Hans Kelsen (1881- 1973) einerseits sowie Karl Loewenstein (1891-1973) und Karl Mannheim (1893-1947) andererseits zum Ausdruck. Kelsen - bedeutender Staatsrechtler der Weimarer Zeit - sieht einen grundlegenden Widerspruch zwischen den Wesensmerkmalen der Demokra- tie und repressiven Schutzmaßnahmen gegen deren Feinde.21 Durch Abwehrmaßnahmen würde sich die Demokratie aufgeben und wäre daher keine Demokratie mehr. Den ent- gegengesetzten Standpunkt vertreten Loewenstein und Mannheim. Bezeichnender Weise gehen auf diese beiden deutschen Immigranten die ersten Konzepte einer streitba- ren Demokratie zurück: Im Angesicht von totalitären Ideologien und Bewegungen muss die Demokratie „militant“ auf jene reagieren, die sie zu beseitigen trachten (vgl. Jesse 1994: 14). Karl Mannheim warf dem von ihm kritisierten „Laissez-faire-Liberalismus“ vor, Toleranz mit Neutralität verwechselt zu haben (vgl. ebd.). Aus seiner Sicht muss eine Demokratie „streitbar“ sein, um überleben zu können.22 Eine direkte Bezugnahme auf Loewenstein und Mannheim durch den Parlamentarischen Rat ist nicht nachweisbar. Die Absicht, dem Missbrauch demokratischer Rechte durch Extremisten in Zukunft vor- zubeugen, ist aber deutlich zu erkennen. „Die entsprechenden Schutzbestimmungen im Grundgesetz - insbesondere ‚Ewigkeitsklausel‘ von Art. 79 Abs. 3, Vereinigungsverbot (Art. 9 Abs. 2), Parteienverbot (Art. 21 Abs. 2), Grundrechtsverwirkung (Art. 18) - sind nur vor diesem Hintergrund zu sehen“ (Jesse 1994: 15). Die hehren Absichten der Ver- fassungsgeber haben allerdings auch eine Kehrseite. Aus der Immunisierung eines der Veränderung entzogenen Verfassungskerns spricht deutliches Misstrauen gegenüber dem Volk, das in gewisser Weise vor sich selbst geschützt werden muss. Zusätzlich wurde - mangels rationaler Aufarbeitung des Nationalsozialismus - der Mythos beför- dert, Weimar sei an seiner „Wehrlosigkeit“23 zugrunde gegangen (vgl. Groh 2002: 91).
Da weder die konkrete Bezeichnung einer „streitbaren“ Demokratie, noch eine Definition einer solchen im Grundgesetz zu finden ist, muss das Konzept aus dem Gesamtzusammenhang der Verfassung abgeleitet werden. Für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt es daher eine aus dem Sinnzusammenhang des Grundgesetzes sowie dessen Entstehungsgeschichte abzuleitende Wertentscheidung dar. Erscheint die verfassungsmäßige Verankerung des Parteienverbots in Art. 21 Abs. 2 unter Berücksichtigung des historisch-politischen Hintergrundes als nachvollziehbare Konsequenz der damaligen Situation, so provoziert die Anwendung in der Gegenwart24 eine Reihe von kritischen Fragen. Konkret sagt Art. 21 Abs. 2 GG:
„ Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, 25 sind verfassungswidrig. Ü ber die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. “
„Ziele“, „Verhalten“, „darauf ausgehen“, „freiheitliche demokratische Grundordnung“, „beeinträchtigen“ - eine erste Betrachtung der im Art. 21 Abs. 2 verwendeten Termini lässt bereits erkennen, dass jeder der aufgeführten Begriffe weitere Fragen aufwirft. Eindeutig ist lediglich die Feststellung, dass über die Frage der Verfassungswidrigkeit vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird - nicht zuletzt, um der Gefahr des Missbrauchs als machtpolitisches Instrument vorzubeugen. Der Bedeutung des Parteien- pluralismus für die Funktionsfähigkeit des demokratischen politischen Prozesses wird so Rechnung getragen (vgl. Backes 2012: 10). Für alle anderen Begriffe gilt, dass sie - um ihrer Funktion als Kriterium für ein Parteiverbot gerecht zu werden - im Sinne einer Dagegen das BVerfG im KPD-Urteil: „Die Weimarer Verfassung hat auf eine Lösung verzichtet, ihre politische Indifferenz beibehalten und ist deshalb der aggressivsten dieser ‚totalitären‘ Partei- en erlegen.“ Das Gericht stellte außerdem fest, dass gegen solche Parteien im Zuge der Verteidi- gung von Menschenwürde und freiheitlicher Demokratie keine neutrale Haltung möglich sei. Die Konsequenz lautet: „keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit“ (vgl. BVerfGE 5,85 <138>).
Operationalisierung fassbar gemacht werden müssen. Für die Richter des Bundesverfassungsgerichts bedeutet Interpretation des Gesetzestextes nicht zuletzt auch, klare Grenzen zu ziehen: Welche Ziele sind im politischen Wettbewerb noch zu vertreten? Wie kann ein vager Begriff wie „Verhalten“ konkretisiert werden? Wie kann ein „Anhänger“ von einem Sympathisanten abgegrenzt werden? Ab wann liegt eine „Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ - selbst ein umstrittenes Konzept - vor? Für alle diese Fragen gilt es, klar Positionen zu beziehen.
Das Schutzgut der streitbaren Demokratie wird unter dem Begriff der freiheitlichen de- mokratischen Grundordnung (fdGO) zusammengefasst. Diese stellt die grundlegenden „Spielregeln“ dar, die für eine funktionierende Demokratie unerlässlich und somit jegli- cher Diskussion entzogen sind (vgl. Volkmann 2011).26 Am Verhältnis zu den Merkma- len der fdGO müssen sich alle Parteien und - in gewissem Umfang - auch ihre Anhän- ger messen lassen. Anhand der bisherigen Rechtsprechung soll das Konzept der fdGO erläutert werden. Aus diesem leitet sich das Bewertungsraster für Ziele und Handlungen von Parteien ab, mit dem ihr Verhältnis zur Demokratie geprüft wird. Als Sonderfall im Zusammenhang mit dem Verbot rechtsextremer Parteien ist im Verfahren gegen die NPD zusätzlich auf den Aspekt der „Wesensverwandtschaft“ mit dem historischen Na- tionalsozialismus einzugehen.
Wehrhaftigkeit erhält erst Sinn, wenn geklärt ist, was verteidigt werden soll. Im Verbotsurteil gegen die SRP wurde die fdGO zum ersten Mal definiert als
„ eine Ordnung [...], die unter Ausschlußjeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleich - heit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzm äß igkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrpar- teienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsm äß ige Bildung und Ausübung einer Opposition. “
(BVerfGE 2, 1 <12f>)
Die hier aufgestellten Merkmale der fdGO sind für alle Parteien, die am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen möchten, verbindlich. Welche Genese erfuhr das Konzept der fdGO im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts? Man war sich der Gefahr bewusst, dass ein Instrument wie Art. 21 Abs. 2 GG leicht missbräuchlich von der Regierung zur Beseitigung unbequemer Oppositionsparteien ge- nutzt werden könnte (vgl. BVerfGE 2, 1 <11>). Um dies zu verhindern, liegt die aus- schließliche Kompetenz für ein Parteiverbot beim Bundesverfassungsgericht.27 Im glei- chen Zuge weisen die Richter darauf hin, dass Parteien nicht schon verboten werden können, weil sie Gesetze oder sogar ganze Institutionen ablehnen und mit legalen Mit- teln bekämpfen - erst „wenn sie [die] obersten Grundwerte des freiheitlichen demokra- tischen Verfassungsstaates erschüttern wollen“, haben sie ihre Daseinsberechtigung ver- wirkt. Das Gericht interpretierte die Aufgabenzuweisung des Art. 21 Abs. 1 (Mitwir- kung an der politischen Willensbildung des Volkes) als eine „Inkorporation“ der Par- teien in das Verfassungsgefüge; somit sind sie aus dem politisch-soziologischen Bereich in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution aufgestiegen (vgl. BVerfGE 2,1 <73>).28 Im Rahmen des SRP-Urteils wurde die oben genannte - und danach im KPD- Urteil bestätigte - Definition der fdGO erstmals formuliert. Als Konsequenz einer „par- teienstaatlichen Demokratie“29 verschärften sich die Auflagen an die Parteien in Form einer Verpflichtung auf die fdGO. Diese repräsentiert eine Wertordnung, die sich vor al- lem in ihrer Gegenposition zum Totalitarismus charakterisiert (vgl. Boventer 1985: 21). Die meisten etablierten westlichen Demokratien ziehen gegenüber demokratiefeindli- chen Parteien eine Gewaltgrenze; erst wenn diese überschritten ist, werden Gegenmaß- nahmen eingeleitet. Nicht so das Grundgesetz, das eine Wertgrenze - definiert durch die fdGO - zieht (vgl. Boventer 1985: 242f).
Eine Beeinträchtigung der Ordnung wird bereits gesehen, wenn die Beseitigung nur eines der aufgezählten Strukturprinzipien angestrebt wird (vgl. Möllers 2013: 39f). Diese umfasst nicht die existierende politisch-staatliche Ordnung mit all ihren Details, sondern die Offenheit und Freiheitlichkeit des politischen Prozesses als solchen. Somit umfasst der Begriff „das Zusammenspiel unverzichtbarer Verfassungsbestimmungen im Sinne einer ‚Ordnung‘, die das erwünschte Funktionieren des politischen Prozesses gewährleisten können. Die ‚wehrhafte Demokratie‘ zielt also auf einen „Funktionenschutz“ (Morlok 2002: 65). Erst das Bekenntnis zur fdGO markiert den Übergang zu wehrhaften Demokratie (vgl. Möllers 2013: 38).
Das Konzept der fdGO provozierte allerdings auch Kritik. Die vom Bundesverfas- sungsgericht vorgenommene Definition, was unter dieser Ordnung zu verstehen sei, wird als „vage sprachliche Hülse“30 mit daraus resultierendem hohen Missbrauchspoten- tial31 in Frage gestellt (vgl. Leggewie / Meier 1995: 214f). Ein dabei besonders hervorzuhebender Aspekt liegt in der Gefahr, dass die fdGO zu einer über dem Grundgesetz stehenden Wertordnung ausgebaut wird, was dazu führen kann, dass „der Begriff ‚freiheitlich demokratische Grundordnung‘ [...] seines verfassungsrechtlichen Kerns beraubt und zu einem generalklauselartigen Kampfbegriff gemacht worden [ist], durch den der politische Gegner zum Verfassungsfeind, in letzter Konsequenz rechtlos werden kann“ (Seifert 1977: 5).32 Im Rahmen der weiteren, noch zu untersuchenden Kriterien, die für ein Parteiverbot die Bemessungsgrundlage bilden, gilt es, die gegenüber der fdGO vorgebrachten Kritikpunkte nicht aus den Augen zu verlieren.
Wie in Art. 21 Abs. 2 formuliert ist, genügen bereits die Ziele einer Partei - wenn diese darauf ausgerichtet sind, die fdGO zu beeinträchtigen oder zu beseitigen - um den Tat- bestand der Verfassungswidrigkeit zu erfüllen. Aber ab welchem Punkt kann von einer solchen Beeinträchtigung oder Beseitigung durch Ziele ausgegangen werden? Im SRP- Urteil wurde der Partei das Ziel, die bestehende Ordnung beseitigen zu wollen, attes- tiert. Dies geschieht größtenteils verdeckt, also „immer weniger offen und mit unmittel- barer Gewalt geführt, vielmehr in steigendem Maße mit dem schleichenden Mittel inne- rer Zersetzung“ (vgl. BVerfGE 2, 1 <20>).33 Diese Verschleierungstaktik drücke sich auch in einem besonders zurückhaltend formulierten Parteiprogramm aus, das folglich ohne Beweiswert [sic] für die wahren Ziele der Partei sei (vgl. BVerfGE 2, 1 <29>).34 Die verfassungsfeindlichen Ziele würden erst realisiert, wenn die politische Macht er- rungen ist (vgl. BVerfGE 2, 1 <20>). Insgesamt wurde der SRP-Programmatik „Unver- bindlichkeit“ unterstellt (vgl. BVerfGE 2, 1 <48>). Die Beweisaufnahme kam zu dem Ergebnis, dass die SRP „in ihren politischen Zielen darauf ausgeht, die anderen politi- schen Parteien aus dem politischen Leben auszuschalten“ (BVerfGE 2, 1 <68f>). Die Überschneidungen zwischen den Zielsetzungen der SRP und der NSDAP waren als aus- reichende Begründung für ein Verbot der Partei angesehen worden.35 Gegenüber der Grenzziehung im SRP-Urteil, die bereits in der fehlenden Anerkennung der fdGO den Tatbestand der Verfassungswidrigkeit als erwiesen ansah (vgl. BVerfGE 2, 1 <12f>), forderte das BVerfG im KPD-Urteil zusätzlich, dass „eine aktiv kämpferische, aggressi- ve Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen [muss].“36 Konkret heißt es in der Urteilsbegründung:
“Eine Partei ist auch nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie diese obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, sie ablehnt, ihnen andere entgegensetzt. Es mußvielmehr eine aktiv kämpferische, ag gressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen; sie mußplanvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. “
(BVerfGE 5, 85 <141>)
Aus der Forderung nach einer aktiv kämpferischen, aggressiven Haltung als Verbotsvor- aussetzung ergibt sich eine zusätzliche Hürde für Anträge nach Art.21 Abs. 2 GG. Das Gericht ist bemüht, auf den defensiven Charakter der Verteidigung der fdGO und das geringe Missbrauchspotential hinzuweisen (vgl. BVerfGE 5, 85 <141>).37 Trotz dieser Beteuerungen wurde die KPD verboten und die präventive Lesart des Art. 21 Abs. 2 GG durch die Karlsruher Richter - wie schon im SRP-Urteil - bestätigt. In Teil II. (Ausle- gung des Art. 21 Abs. 2 GG) wird darauf hingewiesen, dass wegen des präventiven Cha- rakters des Gesetzes keine Unterscheidung zwischen Nah- und Fernzielen zu treffen ist (vgl. BVerfGE 5, 85 <143/144/208>).38 So war es möglich, die KPD trotz ihrer mit der fdGO nicht in Widerspruch stehenden Nahziele zu verbieten (vgl. BVerfGE 5, 85 <238>). Vielmehr wurden diese in Misskredit gebracht, da sie allesamt Zwischenziele auf dem Weg zu den verfassungsfeindlichen Endzielen darstellen würden.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass sich die Auflagen an Parteiverbote durch das KPD-Urteil prinzipiell verschärft haben. Die extensive Auslegung des Ziela- spekts ebnete allerdings den Weg für ein Verbot, was nicht recht zu dem als defensiv postulierten Charakter der Urteilsbegündung passen will. Es genügen bereits die propa- gandistischen Fernziele einer Partei, selbst wenn deren Realisierung mehr als unwahr- scheinlich erscheint, um den Verbotstatbestand zu erfüllen. So scheuten die Richter kei- ne Mühen, mittels umfassender Textanalysen (vgl. BVerfGE 5, 85 <108f>)39 den Beweis zu erbringen, dass die KPD im Falle des Machtgewinns auf demokratischem Weg den anderen Parteien diese Chance zukünftig vorenthalten würde (vgl. Niesen 2008: 261). Das eigentlich physische Verhalten ist für den Bereich der Ziele nicht relevant (vgl. Groh 2002: 94f). Sowohl die Regierung Adenauer als auch das Gericht selbst40 nahmen - ganz im Sinne einer politischen Justiz Kirchheimers - Einfluss auf den Prozessver- lauf. Der Störungsmodus „Ziele“ lieferte faktisch das Einfallstor für politisch motivierte Absichten, die sich weder aus dem Verfassungstext noch aus den historischen Gegeben- heiten seiner Entstehung zwingend ableiten lassen. Im Rahmen dieser Argumentation wird Parteien vorgeworfen, mit illegitimen Inhalten am politischen Wettbewerb teilzu- nehmen - hinsichtlich des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung ein problemati- scher Sachverhalt (vgl. Meier 2015b: 155f). Aus heutiger Sicht ist das KPD-Verbot da- her kritisch zu sehen.41 „Fraglich bleibt, [...] ob das Verbot angesichts der schon mit der Bundestagswahl von 1953 zu beobachtenden sinkenden Bedeutung der KPD aus heuti- ger Sicht noch dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit standhalten würde, der als Verfas- sungsgrundsatz jedoch erst später in der Rechtsprechung des BVerfG ausformuliert wur- de“ (van Ooyen 2013: 59f).
Wenn wegen der bereits genannten Verschleierungstaktik verfassungsfeindlicher Par- teien deren Programmatik nur begrenzte Aussagekraft zukommt, gewinnen mündliche und schriftliche Äußerungen der Funktionsträger einer Partei an Bedeutung. In Betracht kommen die Publikationen der Partei, Reden von führenden Funktionären, Propagan- damaterial, Zeitschriften und Internetauftritte. Aber auch das Verhalten der Anhänger der Partei ist von Bedeutung - es wäre schließlich leicht möglich, dass die Parteifüh- rung Aufgaben, die in Konflikt mit der fdGO stehen, auf solche Personen abwälzen würde, um die Partei nicht im Sinne des Art. 21 Abs. 2 angreifbar zu machen (vgl. Möl- lers 2013: 41). Sowohl im SRP- als auch im KPD-Urteil lässt sich diese Einschätzung des Gerichts nachweisen. So stellte die Richter im SRP-Urteil klar, dass das Verhalten der Anhänger einer Partei ein Tatbestandsmerkmal des Art. 21 Abs. 2 GG darstellt:42 „Zu den Anhängern gehören mindestens alle, die sich für die SRP einsetzen, auch wenn sie nicht Mitglied sind.“ (BVerfGE 2, 1 <22>). An gleicher Stelle wird festgestellt, dass sich die Absichten der Partei im Verhalten ihrer Anhänger spiegelt und dies umso mehr für bedeutende Parteimitglieder gilt (vgl. BVerfGE 2, 1 <22>).43 Aus dem Gesagten re- sultiert ein nicht unerhebliches Zuordnungsproblem. Klarheit besteht letztendlich nur für den Fall, wenn Parteifunktionäre in Ausübung ihrer Parteitätigkeit mit der fdGO in Konflikt geraten. Dass sich die Partei nicht mittels Verweis auf das fehlende Parteibuch von den Handlungen ihrer Anhänger immunisieren kann, ist einleuchtend (vgl. Grimm 2002: 142). „Andererseits hat es die Partei nicht in der Hand, wer sich als ihr Anhänger ausgibt. Da nach dem Wortlaut des Grundgesetzes Subjekt des Beseitigungsunterfan- gens und Objekt des Verbots aber die Partei bleibt, muß ihr das Verhalten der Anhänger zurechenbar sein, was wiederum nicht ohne jedes Zutun der Partei geht“ (ebd.). Für alle vorgebrachten Beweismittel, die auf ein im Sinne der fdGO nicht tolerierbares Verhalten der Anhängerschaft ausgerichtet sind, muss eine Provokation oder Steuerung durch die Partei nachgewiesen werden. In diesem Nachweis dürfte das Hauptproblem liegen. Wie soll hieb und stichfest belegt werden, dass festgestellte Handlungen von Anhängern tat- sächlich von Seiten der Partei initiiert wurden? (vgl. Morlok 2002: 76) Diesen Beweis zu erbringen, stellt - vor allem mit Blick auf die geforderte Quellenfreiheit - im Ver- botsantrag gegen die NPD eine der zentralen Herausforderungen dar.
Das SRP-Urteil ist bis heute das einzige Verbotsurteil gegen eine rechtsradikale Partei. Die am 2. Oktober 1949 gegründete SRP war mit der Absicht, frühere Rechtsparteien neu zu organisieren, gegründet worden. 1950 und 1952 beteiligte sich die Partei an ver- schiedenen Landtagswahlen sowie an Nachwahlen zum Bundestag und konnte auf Lan- desebene teils beeindruckende Erfolge verbuchen (vgl. BVerfGE 2, 1 <4>).44 Bereits im Jahr 1950 verschärften sich die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der SRP. Die Angriffe der Partei richteten sich nicht nur gegen politische Zielsetzungen der Regierung, sondern - so die Sichtweise der Bundesregierung - gegen die verfassungs- rechtliche Ordnung an sich. Am 19. November wurde schließlich der Antrag auf ein Verbot der SRP nach Art. 21 Abs. 2 GG gestellt (vgl. BVerfGE 2, 1 <5f>).
In Bezug auf das gegenwärtige Verbotsverfahren gegen die NPD stellt die damalige Urteilsbegründung eine bedeutende theoretische Grundlage dar, da ein Anklagepunkt gegen die NPD die „Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus“ ist, die zum Verbot der SRP führte.45 Die folgenden Ausführungen sind unter dem Blick- winkel einer möglichen Übertragung der damaligen Argumentation des BVerfG auf die NPD zu sehen. Ausgangspunkt der Argumentation des Gerichts ist die eindeutige Ver- fassungswidrigkeit der NSDAP, da diese die Hauptursache zur Schaffung von Art. 21 Abs. 2 GG gewesen sei:
„ Daßdie ehemalige NSDAP nach ihrer Entwicklung, wie sie heute rückschauendüberblickt werden kann, als in der Gegenwart existierende Partei nach Art. 21 II GG verfassungswidrig wäre, unterliegt keinem Zweifel; die Erfahrungen gerade mit dieser Partei sind der unmittelbare Anlaßfür die Schaffung des Art. 21 II GG gewesen. “
(BVerfGE 2, 1 <70>)
[...]
1 So Norbert Lammert bezüglich eines eigenen Antrags durch den Bundestag (vgl. Lammert 2012).
2 Die NPD erreichte bei der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag am 28. September 1969 4,3 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen (Bundeswahlleiter: 1969).
3 Hatte die Partei 1969 noch 28.000 Mitglieder - was dem Höchststand in ihrer Geschichte ent - sprach - verfügte sie 1996 nach eigenen Angaben nur noch über 3.240 Mitglieder (vgl. BVerfGE 107, 339 <341>).
4 So Voigt in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“: „Es ist unser Ziel, die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor fünfzehn Jahren die DDR abgewickelt hat. Dies geht offensichtlich auch über die Wahlurne“ (vgl. Voigt: 2004).
5 Bundesrat, Bundestag sowie Bundesregierung stellten jeweils einen eigenen Antrag.
6 So Günther Beckstein zwecks Rechtfertigung seiner „law and order“ Politik und Jürgen Trittin um sich im Bereich Antifaschismus zu profilieren (vgl. Jesse 2012: 301).
7 Ein generelles Dilemma des Parteiverbotes besteht darin, dass das Verbot einer Splitterpartei [wie somit auch der NPD, d. Verf.] generell nicht angemessen und bei mächtigen Massenorganisationen kaum umsetzbar ist (vgl. Dreier 1994: 752, FN 162).
8 Ulrich K. Preuß sieht in diesem Punkt das „Irreguläre des Parteienverbots in der Demokratie“, da durch ein Parteiverbot einem Teil der Bürger die Chance zu einer gleichberechtigten politischen Repräsentation genommen wird (vgl. Preuß 2002: 106f).
9 Diese Beeinflussung kann in unterschiedlichen Varianten auftreten, so z. B. gegen aufstrebende oder auch bereits etablierte Gegner. Der gemeinsame Nenner all dieser Bemühungen besteht nach Kirchheimer darin, Machtkonstellationen auf die eine oder andere Weise zu beeinflussen (vgl. Kirchheimer 1981: 85).
10 „Oft genug ist infolgedessen die konkrete Tat, in der die Staatsgewalt den sträflichen Nieder- schlag einer staatsgefährdenden politischen Haltung oder einer staatsfeindlichen politischen Verhaltensweise sieht, nach dem bestehenden Gesetz überhaupt nicht strafbar oder technisch so schwer zu fassen, daß sie sich der Strafverfolgung entzieht“ (Kirchheimer 1981: 89).
11 Es besteht eine nicht unerhebliche Schnittmenge zwischen Kirchheimers Konzept einer revolutio- nären und einer verfassungsfeindlichen Partei im heutigen Sinne. Beide Typen haben sich zum Ziel gesetzt, das bestehende System zu überwinden (vgl. Kirchheimer 1981: 209).
12 So hob das Bundesverfassungsgericht in seiner Urteilsbegründung des KPD-Verbots hervor, dass die starke Betonung der richterlichen Gewalt - hier konkret auf Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG bezogen - zu einer besseren Sicherung staatsfeindlicher Parteien (im Vergleich zu Staaten, die eine solche Regelung nicht kennen) führt.
13 Unter „Aktualisierung“ ist die Anpassung an heutige politische und gesellschaftliche Rahmenbe- dingungen der demokratisch konsolidierten Bundesrepublik zu verstehen [d. Verf.].
14 Ein erneutes NPD-Verbotsverfahren wird auch eine deutliche Positionsbestimmung des demokra- tischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik vornehmen: „Mit der Anwendung der Verfassung wird bei jeder bedeutenden Entscheidung [...] die Identität der Republik deutlich gemacht“ (Di Fabio 2011: 5).
15 Im Rahmen von Globalisierung und der Europäischen Union besteht auch für das Bundesverfas- sungsgericht ein nicht unerheblicher Anpassungsdruck - will es nicht marginalisiert werden (vgl. Di Fabio 2011: 7).
16 Gerhard Leibholz stellte 1948 fest, dass diese Tatsache der politischen Stabilität in solchen Län- dern geschuldet sei; prinzipiell könne auch dort eine Demokratie von ihren Gegnern beseitigt werden. Somit kann der deutsche Verfassungsgeber auch deren verfassungspolitischen Entwicklungen positiv beeinflussen (vgl. Leibholz 1974: 69).
17 In Bezug auf Parteiverbote kann trotzdem nicht von einem deutschen Sonderweg gesprochen wer- den; bei jüngeren Demokratien ist dieses Instrument nicht selten anzutreffen (vgl. Niesen 2008: 258). Konkretisierend dazu Sajo (2008: 277ff) vgl. FN 24, Seite 19.
18 Auch in der jüngeren Rechtsprechung des zweiten Senats wird (hier: Begründung der eingestell- ten Verfahren gegen die NPD im Jahr 2003) explizit auf diesen historischen Aspekt verwiesen: „Art. 21 GG muss nach seiner Entstehungsgeschichte verstanden werden als Reaktion auf die Ent- wicklung des Parteienwesens in der Endphase der Weimarer Republik und unter dem nationalso- zialistischen Regime.“ Als eindeutigen Zweck des Artikels sehen die Karlsruher Richter „die Wie- derholung einer verhängnisvollen Entwicklung zu verhindern“ (vgl. BVerfGE 107, 339 <361f>).
19 Art. 18 GG = Verwirkung von Grundrechten; Art. 91 Abs. 1 GG = Einsatz von Polizei, Bundes - wehr und Bundesgrenzschutz im Gefahrenfalle; den Extremistenbeschluss = Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst; Art. 20 Abs. 4 = Widerstandsrecht aller Deutschen; Art. 9 Abs. 2 GG = Verbot verfassungsfeindlicher Vereinigungen durch die Innenminister von Bund und Ländern; sowie Art. 21 Abs. 2 GG.
20 So fragt Stephan Detjen, ob das Grundgesetz heute noch zeitgemäß ist: „Auch der Schutz der Grundrechte wird in Teilen schon mehr durch den Europäischen Gerichtshof gewährleistet als durch das Bundesverfassungsgericht“ (Detjen 2009: 4).
21 Im Angesicht des nahenden Untergangs der Weimarer Republik erteilte Kelsen in seiner 1932 ver - fassten Schrift „Verteidigung der Demokratie“ dem Konzept wehrhafter Demokratie eine Absage: „Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten [...] versucht, hat aufge- hört, Demokratie zu sein. Eine Volksherrschaft kann nicht gegen das Volk bestehen bleiben“ (Kel - sen 2006: 237).
22 Mannheims Ausführungen in „Diagnose unserer Zeit“ (1951) belegen die prägende Erfahrungen durch den Nationalsozialismus: „Um zu überleben, muß unsere Demokratie eine streitbare Demokratie werden. [...] Die Herausforderung von Seiten des Nazisystems hat uns, mehr als alles andere, die Augen geöffnet“ (Mannheim 1951: 17f).
23 Zum Mythos der Wehrlosigkeit Weimars vgl. Christoph Gusy. Dieser widerspricht der These einer wehrlosen Republik: „Das Bewußtsein von der Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes der Ver- fassung war in der Weimarer Republik von Anfang an verbreitet. [...] Die WRV enthielt nicht nur Normen zu ihrem eigenen Schutz; sie stand der Schaffung wirksamer Gesetze zum Schutz der Re- publik [..] nicht entgegen“ (Gusy 1991: 367). Ulrich von Alemann sieht - übereinstimmend mit Gusy - das Problem der „Parteiendistanz“, von Parteien zur Demokratie sowie von Bürgern zu demokratischen Parteien, als „schwerste Bürde“ Weimars (vgl. von Alemann 2003: 33).
24 Als Beispiel für Konzepte wehrhafter Demokratie in der jüngeren Vergangenheit eignen sich die postkommunistischen Verfassungsstaaten (vgl. Sajo 2008: 277ff).
25 Der Tatbestand „Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland“ wird in dieser Arbeit nicht unter- sucht.
26 Volkmann sieht hier die Korrektur eines von Kelsen begangenen Denkfehlers: „[Dieser Fehler] lag in der Gleichsetzung der demokratischen Verfahren mit den Themen, die darin verhandelt werden. [...] Das eine sind die Regeln, nach denen gespielt wird, das andere ist das Spiel selbst. Die Spielregeln sind dann aber der Diskussion entzogen (Volkmann 2011: 7).
27 So heißt es in BVerfGE 2, 1 <12>: „Um die Gefahr eines Mißbrauchs dieser Möglichkeit zu ban- nen, überträgt es [das Grundgesetz, d. Verf.] die Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht“. [Die Formulierung „bannen“, von hochrangigen Juristen verwendet, lässt auf ein gewisses Unbehagen ob des Missbrauchspotentials von Parteiverboten schließen, d. Verf.]. Mit dieser Kompetenzzuweisung ist der Problembereich der „Politischen Justiz“ im Sinne Otto Kirchheimers virulent, vgl. Kap. 1.1, FN 10, 11, Seite 9.
28 Robert Chr. van Ooyen bewertet diesen Bedeutungsgewinn der Parteien kritisch. Zwar wurde die bedeutsame Rolle der Parteien nun auch in der Verfassungsrechtsprechung anerkannt, allerdings „mit einer ‚falschen‘ Dogmatik: nämlich um den Preis der ‚Verstaatlichung‘ der Parteien“ (van Ooyen 2013: 57).
29 Der Begriff geht auf den einflussreichen Staatsrechtler und Verfassungsrichter - und erklärten Gegner Kelsens - Gerhard Leibholz zurück. Die Theorie rückte die Parteien, in die Nähe von Staatsorganen. Diese Sichtweise, wurde später vom BVerfG revidiert und die Parteien der gesellschaftlichen Sphäre zugewiesen (vgl. von Alemann 2003: 82ff).
30 Die genannten Autoren sehen vor allem durch den Mangel an Konkretheit ein Instrument, dessen einziger Zweck in der Diskriminierung von Minderheiten liegt (vgl. Leggewie / Meier 1995 214f); ebenso auf dieser Argumentationslinie weist Dreier auf den nicht auszuräumenden Vorwurf, die fdGO sei eine Leerformel, hin (vgl. Dreier 1981: 172).
31 Bedenkt man zusätzlich, an welchen Stellen des GG auf die fdGO verwiesen wird, verdeutlicht sich die Brisanz eines Missbrauchs der fdGO, denn: „Sie [die fdGO] ist im Verfassungstext von 1949 an drei Stellen erwähnt (Art. 18, 21 II, 91); durch die Notstandsgesetzgebung von 1968 ist der Begriff dem GG an drei weiteren Stellen eingefügt worden (Art. 10 II, 11 II, 87 a IV)“ (Dreier 1981: 172, FN 41).
32 Die Problematik einer dem Grundgesetz übergeordneten Wertordnung wird von Ulrich K. Preuß unter der Bezeichnung „zweistufige Verfassung“ analysiert. Preuß knüpft dabei an den Begriff der „zweistufigen Legalität“ von Otto Kirchheimer an. Es besteht die Gefahr, dass die normative Ordnung des GG durch die fdGO als eine „Superlegalität“ im Bereich grundlegender Rechte außer Kraft gesetzt wird (vgl. Preuß 1973: 17ff).
33 An gleicher Stelle zieht das Gericht Parallelen zu den Loyalitätserklärungen Hitlers, der 1933 „so- gar den Eid auf die Weimarer Verfassung [ablegte]“.
34 Der Vorwurf einer sog. „Mimikry“ hinsichtlich des Parteiprogramms wird von Horst Meier abge - lehnt, da Parteien keine „Geheimbünde“ seien. Parteien müssen an der Programmatik gemessen werden, mit der sie an die Öffentlichkeit treten (vgl. Meier 2015b: 164f).
35 So wurde von den Karlsruher Richtern die „Wesenverwandtschaft“ zwischen SRP und NSDAP festgestellt - die SRP wurde deshalb als Nachfolgeorganisation der NSDAP bewertet, vgl. BVerfGE 2, 1 <69f> bzw. Kap. 2.2.4.
36 Vgl. BVerfGE 5, 85 <85>, Leitsatz 5 fordert die genannte „aktiv kämpferische, aggressive Hal- tung“, vgl. auch BVerfGE 5, 85 <141>.
37 „Das bedeutet, daß der freiheitlich-demokratische Staat gegen Parteien mit einer ihm feindlichen Zielrichtung nicht von sich aus vorgeht; er verhält sich vielmehr defensiv, er wehrt lediglich An- griffe auf seine Grundordnung ab. Schon diese gesetzliche Konstruktion des Tatbestandes schließt einen Mißbrauch der Bestimmung im Dienste eifernder Verfolgung unbequemer Oppositionspar- teien aus.“
38 „Entscheidend ist allein, ob eine Partei nach ihren Zielen hic et nunc beabsichtigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.“ Wenn diese Ziele für die Gegenwart nachweisbar sind, ist es nicht relevant, ob oder wann diese Ziele realisiert werden [können]“
39 Aus insgesamt 26 Werken des Marxismus-Leninismus wurden im Rahmen der Urteilsbegründung Zitate verlesen. Zu der Auswahl zählen Werke von Marx, Engels, Lenin und auch Stalin.
40 Denkbar wäre, dass das Gericht im Kontext der Stalin Noten und Adenauers Moskau Reise ab- wartend agierte. Auch verweisen die zunehmenden Spannungen zwischen dem BVerfG und Ade- nauer auf den Versuch der Justiz, der politischen Verschärfung des Ost-West-Konfliktes die durch ein Verbot der KPD zu befürchten waren, entgegen zu wirken. Dies zeigt sich deutlich daran, dass sich Senatspräsident Wintrich persönlich bei Adenauer versicherte, ob die Bundesregierung am Verbotsverfahren festhalten wolle (vgl. van Ooyen 2013: 61, bzw. die Ausführungen zur politischen Justiz in Kap. 1.1, Seite 8f).
41 Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach stellte fest, dass sie die damalige Entscheidung im historischen Kontext betrachtet nachvollziehen kann, heute aber nicht mehr so entscheiden würde (Limbach 1996).
42 Die SRP hatte versucht, durch Distanzierung von Personen, die die Partei belasteten, den Beweis- wert von gegen sie vorgelegten Materialien zu mindern. So wurde z. B. argumentiert, dass der Ur - heber eines belastenden Schriftstückes, als er dieses verfasste, noch kein SRP-Mitglied war (vgl. BVerfGE 2, 1 <21>).
43 Der SRP wurde ihre indifferente Haltung zum Fall Fritz Rößler vorgeworfen. Dieser hatte nach dem Krieg eine neue Identität angenommen und machte unter falschem Namen und Titel Karriere als Bundestagsabgeordneter der SRP. Der Partei wurde im Urteil vorgeworfen, sich nicht von Rößler distanziert zu haben.
44 So z. B. bei der Wahl zum niedersächsischen Landtag im Mai 1951 mit rund 11 Prozent der Ge- samtstimmen; im Bundestag war die Partei mit zwei Abgeordneten vertreten - zu diesen zählte auch der bereits erwähnte Fritz Rösler, der sich als „Dr. Franz Richter“ ausgab.
45 Vgl. Verbotsantrag des Bundesrates vom 1. Dezember 2013, Seite 184ff.