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Masterarbeit, 2018
58 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
Abkurzungsverzeichnis
1. Einleitung/ Begriffsdefinitionen
2. Historische Entwicklung
2.1 Rechtslage bis zur Streichung des § 3 Nr. 66 EStG (a. F.)
2.2 Fruhere Finanzrechtsprechung
2.3 Verwaltungsanweisungen
3. Der Sanierungserlass vom 27.03.2003
4. Widerstreitende Entscheidungen der Finanzgerichte
5. Entscheidung des BFH vom 28.11.2016 - GrS 1/15
5.1 Ausgangsfall
5.2 GesetzmaBiges Handeln der Verwaltung
5.3 Voraussetzungen der BilligkeitsmaBnahmen und Grunde der Rechtswidrigkeit des
Erlasses
6. Ubergangsregelungen
7. Reaktion des Gesetzgebers
7.1 Neuer Gesetzesentwurf des § 3a EStG
7.2 Praxisbeispiel zur Anwendung des § 3a EStG
8. Ausblick uber die weitere Entwicklung
8.1 Inkrafttreten der neuen Gesetzgebung mit Zustimmung der EU-Kommission
8.2 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Diagramm uber die Untemehmensinsolvenzen in den Jahren 1997 bis 2016
Abbildung 2: Berechnungsschema Sanierungsgewinn nach § 3 Nr. 66 EStG (a. F.)
Abbildung 3: Berechnungsschema Sanierungsgewinn nach dem BMF-Schreiben
Abbildung 4: Entwicklung uber die Ubergangsregelungen von Sanierungsgewinnen
Abbildung 5: Schema zur Ermittlung eines stir. Sanierungsgewinnes nach § 3a EStG
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Unter der Sanierung von Unternehmen ist zu verstehen, dass ein Unternehmenstrager (eine juristische oder naturliche Person) vor dem finanziellen Bankrott bewahrt oder wirtschaftlich geordnet abgewickelt bzw. wieder in die Gewinnzone zuruckgefuhrt wird. Dies gilt auch fur auBergerichtliche Sanierungen, bei denen sich die Gesellschaftsanteile verandern, zum Beispiel bei der Aufnahme eines neuen finanzstarken Geschaftspartners.1
Ein Sanierungsgewinn ist die Erhohung des Betriebsvermogens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden.
Die Schulden werden vor allem
- durch einen Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB (eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Glaubiger, bei der der Glaubiger auf eine Forderung verzichtet) erlassen oder
- durch ein negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB (vgl. BFH- Urteil vom 27.01.1998, BStBl II S. 537), bei dem der Glaubiger anerkennt, dass das Schuldverhaltnis nicht mehr besteht.2
In der Vergangenheit war die steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen in § 3 Nr. 66 EStG (a. F.) geregelt. Diese waren demnach steuerfrei. Durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 wurde § 3 Nr. 66 EStG (a. F.) abgeschafft. Demnach waren Gewinne infolge einer Sanierung steuerpflichtig, unter der Annahme, dass keine verrechenbaren Verlustvortrage mehr vorliegen.
Unten stehend zeigt ein Diagramm die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland:3
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 1: Diagramm uber die Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 1997 bis 2016
Im Jahr 1998 gab es bereits 27.828 Unternehmensinsolvenzen. Im Jahr 2003 haben diese ihren Hochststand von 39.320 erreicht. In den Jahren von 2004 bis 2016 waren es im Durchschnitt 29.725 Insolvenzen pro Jahr.
Die oben beschriebenen Zahlen verdeutlichen die steuerliche Relevanz der Sanierungsgewinne.
Die steuerrechtliche Behandlung von Sanierungsgewinnen in den nach der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG (a. F.) folgenden Jahren aufgrund von Verwaltungsanweisungen, Finanzrechtsprechung und Gesetzgebung ist Gegenstand dieser Arbeit.
Bis zum Veranlagungsjahr 1997 waren ,,Erhohungen des Betriebsvermogens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, steuerfrei“ nach § 3 Nr. 66 EStG (a. F.).
Diese Vorschrift konnte von unbeschrankten und beschrankten steuerpflichtigen naturlichen sowie juristischen Personen in Anspruch genommen werden. Handelte es sich um Personengesellschaften, so entschied uber die Steuerbefreiung ein Gewinnfeststellungsverfahren.4
Es mussten vier Voraussetzungen vorliegen, dass die Steuerfreiheit gewahrt wurde, und zwar a) der Schulderlass, b) die Sanierungsabsicht der Glaubiger, c) die Sanierungsbedurftigkeit und d) die Sanierungseignung.
a) Der Schulderlass musste gemaB § 397 BGB erfolgen. Entweder verzichtete der Glaubiger auf seine Forderungen durch einen Vertrag nach § 397 Abs. 1 BGB oder er hat anerkannt, dass das Schuldverhaltnis nicht mehr besteht nach § 397 Abs. 2 BGB (vgl. Kapitel 1).5
b) Eine Sanierungsabsicht der Glaubiger musste vorliegen. Dies bedeutete, dass die Glaubiger gewillt waren, die geschaftliche und finanzielle Gesundung des Schuldners herbeizufuhren. Sollten mehrere Glaubiger ihre Forderungen erlassen bzw. aufgeben, so war dies in den meisten aller Falle ein Anzeichen fur die Sanierungsabsicht. Haben dagegen nur einige Glaubiger ganz oder teilweise die Schulden erlassen, so konnte diese Voraussetzung zweifelhaft sein. Die Sanierungsabsicht eines Glaubigers konnte aber auch ausreichen, wenn die anderen Glaubigerforderungen unbedeutend waren (vgl. BFH-Urteil vom 25.10.1963 - BStBl. II S.122). Des Weiteren lag keine Sanierungsabsicht vor, wenn der Forderungsverzicht nur gewahrt worden war, weil der Schuldner eine Gegenleistung versprochen hatte oder der Glaubiger diesen bzw. dessen Unternehmen ubernehmen wollte.6
Bei einem Glaubiger konnte es aber auch personliche bzw. eigennutzige Motive geben, wie zum Beispiel den Erhalt von Geschaftsbeziehungen, den Erhalt einer Teilforderung oder dessen essenzielle Abhangigkeit (Zulieferer / Subunternehmer). An diese Tatsache sollte aber kein strenger MaBstab angelegt werden.7
c) Das Unternehmen musste objektiv sanierungsbedurftig sein. Dies hat bedeutet, dass eine erfolgreiche Weiterfuhrung des Betriebs und die Abdeckung der bestehenden Verbindlichkeiten ohne eine Sanierung nicht mehr moglich gewesen ware. Folgende Aspekte waren zu prufen:
- die Liquiditat,
- die Ertragslage,
- die Hohe des Betriebsvermogens vor und nach der Sanierung,
- die Falligkeit der Verbindlichkeiten,
- die Verzinsung des Kapitals durch Ertrage des Unternehmens,
- sowie die Hohe des Privatvermogens des Einzel- oder Mitunternehmers. 8
d) Die Sanierungseignung bedeutete, dass der Schulderlass dazu geeignet sein musste, die Sanierung auch tatsachlich herbeifuhren zu konnen und durch geeignete MaBnahmen sicherzustellen, das Unternehmen vor einer drohenden Insolvenz zu bewahren und wieder ertragsfahig zu machen. Es kam also darauf an, dass das wirtschaftliche Uberleben dauerhaft gesichert war. 9 Unschadlich ware auch gewesen, wenn das finanziell bedrohte Unternehmen nicht in der bisherigen Rechtsform hatte fortgefuhrt werden konnen, sondern auf einen anderen Rechtstrager hatte ubergehen mussen (ubertragende Sanierung in Form von einer Umwandlung bzw. Verschmelzung nach UmwStG).10
Lagen die oben beschriebenen Voraussetzungen vor, so war bei der Ermittlung der Steuerschuld, der Sanierungsgewinn nicht zu berucksichtigen und somit steuerfrei.
Folgendes Beispiel soil dies verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Blumich11
Abbildung 2: Berechnungsschema Sanierungsgewinn nach § 3 Nr. 66 EStG (a. F.)
Der ,,eigentliche Gewinn“ in Hohe von 30.000 war steuerfrei, ware aber auch mit einem laufenden Gewinn und ohne Verlustvortrag steuerfrei gewesen. Sofern ein Verlustvortrag bestand, wurde dieser aber aufgebraucht und ging dadurch unter.
Der Bundesfinanzhof hat uber § 3 Nr. 66 EStG (a. F.) mehrmals geurteilt. Im Folgenden werden drei dieser Urteile genauer beleuchtet.
Der Sachverhalt aus dem BFH-Urteil vom 16.05.2002 - IV R 11/01 BStBl 2002 II S. 854 lasst sich folgendermaBen darstellen. Die Klagerin in Form einer Kommanditgesellschaft (KG) hatte Verbindlichkeiten in Hohe von ca. 1.300.000 DM gegenuber der E-Bank. Durch den negativen Geschaftsverlauf erklarte sich die E-Bank nicht mehr dazu bereit, die Finanzierung weiterzufuhren. Deswegen gelang es der KG die F-Bank im Streitjahr 1986 zu uberzeugen, die Finanzierung unter bestimmten Voraussetzungen weiterzufuhren. Die E-Bank musste auf 157.220 DM verzichten. Der durch diesen Teilverzicht erzielte Sanierungsgewinn war Streitpunkt zwischen dem Finanzamt und der Klagerin. Der BFH entschied zugunsten der Klagerin und hob das vorangegangene Finanzgerichtsurteil auf und lieB den Gewinnfeststellungsbescheid andern. Entgegen dem FG entschied der BFH, das die Sanierungsabsicht auch gegeben ist, wenn auch nur ein Glaubiger auf einen Teil der Forderungen verzichtet. Denn die Personengesellschaft, die sanierungsbedurftig und -geeignet war, ware ohne die Ubernahme der Verbindlichkeiten durch die F-Bank nicht mehr uberlebensfahig gewesen. Die anderen Glaubigerforderungen mussen aber von geringer Bedeutung sein, was im o.g. Rechtstreit vorlag (vgl. BFH-Urteil vom 16.05.2002 - IV R 11/01 BStBl 2002 II S. 854).
Ein Jahr spater beschaftige sich der BFH erneut mit einem Streitfall uber die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinnes. In dem BFH-Urteil vom 10.04.2003 - IV R 63/01 BStBl 2004 II S.9 bejahte der BFH die Steuerfreiheit bei Vorliegen eines mehrjahrigen Sanierungsplans. Im Streitjahr 1986 geriet eine GbR (Klagerin) in Zahlungsschwierigkeiten. Die gesamten Bankverbindlichkeiten betrugen ca. 9,6 Mio. DM, wovon 4,6 Mio. DM auf die X-Bank entfielen. Nachdem die GbR die Annuitaten nicht mehr bedienen konnte, kundigte die Bank samtliche Darlehen und drohte die Zwangsvollstreckung an. Die Schuldner erarbeiteten mit der Y-Bank einen Sanierungsplan, in dem die Beteiligten der GbR zusatzliche Einlagen von 400.000 DM einbringen mussten und die Y-Bank einen weiteren Kredit von 1,4 Mio. DM bereitstellte. Die X-Bank sollte wiederum einen Teilerlass von 1,0 Mio. DM gewahren.
Die X-Bank willigte ein, unter der Voraussetzung, dass die restlichen 3,6 Mio. DM zuruckgezahlt werden. Diesen Teilerlass in Hohe von ca. 1,0 Mio. DM behandelte die GbR als steuerfreien Sanierungsgewinn. Das FG war der Auffassung, dass die X-Bank lediglich dem Teilerlass zugestimmt hatte, um die Geschaftsbeziehung so schadlos wie moglich und schnell zu beenden. Der Glaubiger hatte somit nicht die Absicht, das Unternehmen zu sanieren. Der BFH jedoch entschied, dass bezuglich des Merkmals der Sanierungsabsicht keine besondere Prufung durchzufuhren ist, da sich mehrere Glaubiger an dem Schulderlass beteiligten. Durch den ausgearbeiteten Sanierungsplan wurde nach und nach das Unternehmen aus der Krise gelangen, weil die verschiedenen Glaubiger schrittweise auf Teilforderungen zu verzichten hatten. Somit war der BFH der Ansicht, alleine auf den Teilerlass der X-Bank abzustellen, sei schlichtweg falsch. Es reichte aus, dass die Sanierung nur ein Nebenziel des Hauptglaubigers war und es ware unschadlich, dass es diesem primar um die Ablosung der restlichen Verbindlichkeit gegangen ware (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2003 - IV R 63/01 BStBl 2004 II S.9).
Im Jahr 2005 befasste sich der BFH mit der Steuerfreiheit eines fruheren Sanierungsgewinns bei der Einschaltung eines Konkursverwalters. In dem BFH-Urteil vom 12.10.2005 - X R 20/03 betrieb der Klager ein GroBhandelsunternehmen in der Form einer GmbH und zugleich einen Einzelhandel in der Form eines Einzelunternehmens. Das Einzelunternehmen hatte bis zum Jahr 1991 offene Verbindlichkeiten gegenuber der GmbH aus Warenlieferungen in Hohe von ca. 650.000 DM. Im Jahr 1991 wurde das Konkursverfahren eroffnet. Der Klager und der Insolvenzverwalter schlossen im Jahr 1993 einen Vergleich, in dem der Schuldner 70.000 DM zu zahlen hatte und dafur der Konkursverwalter auf die restlichen Forderungen von 580.000 DM verzichtete. AuBerdem erlies ein weiterer Glaubiger dem Einzelunternehmen eine Forderung von 90.000 DM. Streitpunkt zwischen dem Finanzamt und dem Klager war nun die Steuerfreiheit des entstandenen Sanierungsgewinns in Hohe von ca. 670.000 DM. Der Einspruch des Klagers beim Finanzamt hatte keinen Erfolg, somit landete der Fall vor dem Finanzgericht. Dieses wiederum wies die Klage ab, da es der Auffassung war, dass keine Sanierungsabsicht vorgelegen hatte, weil der Hauptglaubiger (eine Bank) offene Forderung von ca. 1 Mio. DM nicht erlassen hatte.
Der BFH urteilte wie folgt:
Das FG hat zu Unrecht aus der Tatsache, dass die Hauptforderung eines Glaubigers bestehen blieb, gefolgert, dass es nicht Ziel gewesen sei, das Unternehmen zu sanieren, obwohl zwei weitere Glaubiger auf ihre Forderung verzichtet hatten. Deshalb konne nicht von vornherein auf das Fehlen einer Sanierungsabsicht geschlossen werden, nur weil bereits ein Insolvenzverwalter eingeschaltet und ein Teil der Forderungen bereits erlassen worden war. Die Grande des Konkursverwalters blieben vom FG unberucksichtigt, ebenso wie die Auswirkung des Schuldenerlasses auf den Klager. Der BFH bejahte also das Vorliegen der Sanierungsabsicht. Die Sanierungsbedurftigkeit des Einzelunternehmens war ohne Zweifel gegeben, da das Unternehmen seit Jahren Verluste erklart hatte und zudem uberschuldet war. Das FG war der Ansicht, dass bereits dann keine Sanierungseignung vorliegt, wenn ein Konkursverwalter eingeschaltet wird. Der BFH berief sich auf altere Rechtsprechung, indem er die Sanierungseignung auch dann als erfullt ansah, wenn ein Unternehmen aufgegeben wurde und der Einzelunternehmer dann ohne weitere bestehende Verbindlichkeiten verbliebe. Ein Sanierungsgewinn konnte also auch dann steuerfrei sein, wenn durch eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens die Moglichkeit erreicht wurde, fur diesen Einzelunternehmer eine selbststandige neue Tatigkeit oder ein Anstellungsverhaltnis ohne Restschuld zu erlangen.
Dass die standige Rechtsprechung an das Vorliegen der Sanierungsabsicht keine strengen Anforderungen gestellt hat, hat das FG ignoriert (vgl. BFH-Urteile vom 26.11.1980 I R 52/77). Obwohl im Streitfall erst nach der Betriebsaufgabe eine Schuld erlassen wurde, hat dieses ein Ereignis mit steuerlicher Ruckwirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der AO dargestellt. Durch den Erlass nach der Betriebsaufgabe fuhrte dieser zur Erhohung des Betriebsaufgabegewinns (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.1997 IV R 47/95) und war somit nicht steuerfrei. Ware dagegen die Schuld vor der Betriebsaufgabe erlassen worden, so ware der erzielte Sanierungsgewinn nach der Auffassung des BFH steuerfrei gewesen (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.2005 - X R 20/03).
Durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 wurde § 3 Nr. 66 EStG (a. F.) abgeschafft. Ab dem Veranlagungszeitraum 1998 waren demnach Sanierungsgewinne voll steuerpflichtig. Trotzdem konnte es in Einzelfallen nach § 163 AO aus sachlichen Billigkeitsgrunden zu einer abweichenden Steuerfestsetzung kommen. Zudem bestand nach § 227 AO die Moglichkeit, den Erlass von Steuern zu erreichen oder nach § 222 AO festgesetzte Steuern zumindest stunden zu lassen.
GemaB § 163 Abs. 1 AO konnen Steuern dann niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhohen (zum Beispiel ein Sanierungsgewinn), konnen bei der Steuerfestsetzung unberucksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall unbillig ware. Es mussen also demnach sachliche und personliche Billigkeitsgrunde vorliegen. Ob diese tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind, unterliegt der Ermessensentscheidung der 12 Finanzbehorde.12
Der Anwendungsbereich des § 163 AO umfasst nur Steueranspruche und solche Anspruche, auf deren die Vorschriften uber die Steuerfestsetzung nach §§ 155 - 178 AO gelten. Dies sind:
- Besitz- und Verkehrssteuern,
- Verbrauchsteuern und Zolle,
- Gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 1 AO)
- Festsetzung von Steuermessbetragen (§ 184 Abs. 1 S. 3 AO).
§163 AO findet demnach keine Anwendung fur:
- Pramien und Zulagen,
- Steuerliche Nebenleistungen, mit Ausnahme von Zinsen (§ 239 Abs. 1 S. 1 AO) und Haftungsbescheide (§ 191 AO). 13
Nach § 163 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO kann eine Steuer niedriger festgesetzt werden, wenn der festgesetzte Betrag geringer ist, als der kraft Gesetzes geschuldete Betrag. Die entstandene Steuer nach § 38 AO kann prozentual oder um einen absoluten Betrag gekurzt werden. Eine Steuer kann deshalb auch auf 0,00 Euro festgesetzt werden. Diese Alternative erfolgt meistens auch aus personlichen Billigkeitsgrunden.
Nach § 163 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 AO konnen einzelne steuererhohende
Besteuerungsgrundlagen nicht berucksichtigt werden, wie zum Beispiel ein Sanierungsgewinn. Diese durfen sich nicht auf zusammengefasste Besteuerungsgrundlagen beziehen, sondern nur auf einzelne Tatbestande. Die 2. Alternative wird in der Regel bei sachlicher Unbilligkeit erfolgen, da nur die Besteuerungsgrundlagen, deren Berucksichtigung unbillig ware, direkt ohne Ansatz bleiben wurden.
Des Weiteren kann eine fruhere oder spatere Berucksichtigung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 163 Abs. 1 S. 2 AO genehmigt werden.
Steuererhohende Tatbestande konnen erst in einem spateren Veranlagungszeitraum berucksichtigt werden, wahrend dagegen steuermindernde Besteuerungsgrundlagen bereits in einem fruheren Besteuerungszeitraum einbezogen werden konnen. Das Finanzamt muss zwingend die Zustimmung des Steuerpflichtigen einholen.14
Nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung kann ein Antrag nach § 163 AO gestellt werden. Erfolgt dieser erst spater, so kann dieser in einen Antrag zum Erlass der Steuern nach § 227 AO umgedeutet werden.
Fur den Erlass nach § 227 AO gelten fast dieselben Tatbestandsvoraussetzungen wie gemaB § 163 AO. GemaB § 227 AO konnen die Finanzbehorden Steuern ganz oder teilweise erlassen, wenn dies im Einzelfall unbillig ware. Der 2. Halbsatz des § 227 AO erweitert die Vorschrift dahingehend, das bereits entrichtete Betrage ganz oder teilweise erstattet bzw. verrechnet werden konnen. Im Gegensatz zu § 163 AO gilt der Erlass nach § 227 fur eine bereits festgesetzte Steuer im Erhebungsverfahren.
Den Erlassantrag muss der Steuerschuldner selbst bzw. sein Bevollmachtigter nach § 80 AO stellen.
Damit das Finanzamt dem Antrag zustimmt, mussen sachliche oder personliche Billigkeitsgrunde vorliegen.
Ein sachlicher Billigkeitsgrund kann vorliegen, wenn im Einzelfall die rechtliche Aussage des Gesetzes uber den mit diesem verfolgten Zweck hinausgeht (Zweckverfehlung). Folgende Anwendungsfalle sind zum Beispiel denkbar:
- der Erlass von Saumniszuschlagen (§ 240 Abs. 1 AO) bei Zahlungsunfahigkeit des Schuldners,
- bei unbeabsichtigter Doppelberucksichtigung eines Vorgangs (zum Beispiel beim Wechsel der Gewinnermittlungsart),
- die durch hohere Gewalt eingetretenen steuererhohenden Tatsachen.
Eine weitere Fallgruppe zum sachlichen Billigkeitsgrund, konnen Grundrechtseingriffe sein. Zum Bespiel konnen Steuern erlassen werden, wenn ein Zusammenwirken mehrerer Regelungen zu einer hoheren Steuerschuld fuhrt, obwohl die Leistungsfahigkeit des Steuerpflichtigen nicht zunimmt (UbermaBbesteuerung).
Ein weiterer nicht unbedeutender Grund fur sachliche Billigkeit, kann der Vertrauensschutz sein. Ein Steuerpflichtiger kann einen Ubergangserlass beantragen, wenn eine Gesetzesanderung oder eine hochstrichterliche Rechtsprechung seine Planungen beeintrachtigten wurden und er auf den Fortbestand der Rechtsprechung sich berufen bzw. er darauf vertrauen konnte.15
Personliche Billigkeitsgrunde erfordern Erlassbedurftigkeit und Erlasswurdigkeit. Diese beiden Voraussetzungen mussen kumulativ erfullt sein. Erlassbedurftig ist derjenige, der ohne BilligkeitsmaBnahmen seinen notwendigen Lebensunterhalt vorubergehend oder dauernd nicht mehr bestreiten kann. Dies ist zu bejahen, wenn zum Beispiel die Besteuerung zu einer ernsthaften Gefahrdung der wirtschaftlichen und finanziellen Existenz des Steuerpflichtigen bzw. seiner Familie fuhren wurde.
Durch den Verzicht auf die Besteuerung durch den Staat wird ein einzelner Steuerpflichtiger zu Lasten der anderen Burger begunstigt. Deshalb muss dieser auch erlasswurdig sein. Der Steuerpflichtige darf nicht eindeutig gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoBen und seine mangelhafte Leistungsfahigkeit selbst verschuldet haben. Erlassunwurdig ist zum Beispiel ein Steuerpflichtiger, der einen unangemessenen Lebensstil gefuhrt oder unbegrundet Schulden generiert hat. Das gilt auch fur zahlungsunwillige Steuerpflichtige. Erlasswurdig sind demnach Steuerpflichtige, die zum Beispiel wegen
- Alter,
- Krankheit,
- Feuer-,
- Hochwasser-,
- Kriegs-
- und anderen Schaden unverschuldet in wirtschaftliche Notlage geraten sind.16
Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, so kann eine Steuer nach § 227 AO ganz oder teilweise nach Ermessen der Finanzbehorde erlassen werden. Bei Betragen bis zu 20.000 Euro pro Jahr ist das Finanzamt zustandig. Bei Betragen bis zu 100.000 Euro pro Jahr ist die Zustimmung der Oberfinanzdirektion und bei hoheren Erlassantragen die Zustimmung der obersten Finanzbehorde einzuholen.17
Wenn ein Steuerpflichtiger Variante 1 (§ 163 AO) oder Variante 2 (§ 227 AO) nicht nutzen konnte, so bestanden noch Chancen, die aus dem Sanierungsgewinn entstandene Steuer zumindest nach § 222 AO stunden zu lassen.
Auch diese Vorschrift beinhaltet eine Ermessensentscheidung der Finanzbehorden. Diese konnen Anspruche aus einem Steuerschuldverhaltnis ganz oder teilweise stunden, wenn den Schuldner bei Falligkeit der Forderung eine erhebliche Harte treffen wurde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefahrdet wird (vgl. § 222 S. 1 AO). Auch die Stundung wird nur auf Antrag und in der Regel gegen eine Sicherheitsleistung gewahrt (vgl. § 222 S. 2 AO). Es kommen personliche oder sachliche Stundungsgrunde in Betracht, ahnlich wie bei § 163 AO und dem Erlass nach § 227 AO. Jedoch mit dem Unterschied, dass bei der Stundung eine vorubergehende Unbilligkeit ausreicht.
Ein erhebliche Harte nach § 222 S. 1 AO liegt vor, wenn sachliche oder personliche Grunde vorliegen. Eine Existenzgefahrdung des Steuerpflichtigen wie beim Erlass nach § 227 AO ist nicht zwingend notwendig, jedoch mussen ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten vorliegen. Personliche Stundungsgrunde konnen unter anderem zum Beispiel sein:
- durch Krankheit des Steuerpflichtigen entstandene Verluste,
- durch hohere Gewalt verursachte Liquiditatsengpasse,
- Steuernachforderungen gegen Saisonbetriebe auBerhalb der Hauptsaison,
- Liquiditatsengpasse aufgrund getatigter Betriebsinvestitionen.18
Sachliche Stundungsgrunde konnen sein:
- Sanierungsgewinne,
- das Zusammenfallen von Abschlusszahlungen und erhohten Vorauszahlungen fur das Vorjahr und/oder das laufende Jahr,
- Steuernachzahlungen aus einer Betriebsprufung, die nicht abzusehen waren oder
- allgemein hohe Steuernachzahlungen, auf die sich der Steuerpflichtige nicht rechtzeitig einstellen konnte.19
Der Stundungsantrag ist durch einen Liquiditatsstatus zu begrunden. Mit diesem mussen die finanziellen und wirtschaftlichen Verhaltnisse des Antragstellers offengelegt werden. Wurde eine Bank die geschuldete Steuer kurzfristig finanzieren, ware das schadlich fur die Stundung. Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige nachweisen muss, dass er bereits alle Moglichkeiten der Kreditbeschaffung ausgeschopft hat. Der Steuerpflichtige hat auBerdem zu beachten, dass nach § 234 Abs. 1 S. 1 AO Stundungszinsen anfallen und zwar in Hohe von einem halben Prozent fur jeden Monat nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO.
[...]
1 Vgl. BMF-Schreiben vom 27.03.2003, S. 1
2 Vgl. BMF-Schreiben vom 27.03.2003, S. 2
3 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Insolvenzen/lrins01.html?cms_gtp=152398_list %253D1#Fussnote1a
4 Vgl. EStG, Kommentar Blumich, S. 143
5 Vgl. Handbuch der Steuerveranlagung 1997, S. 222
6 Vgl. Handbuch der Steuerveranlagung 1997, S. 221
7 Vgl. EStG, Kommentar Blumich, S. 144 a
8 Vgl. EStG, Kommentar Blumich, S. 144
9 Vgl. EStG, Kommentar Blumich, S. 144 a
10 Vgl. Handbuch der Steuerveranlagung 1997, S. 222
11 Vgl. EStG, Kommentar Blümich, S. 144 a
12 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 163, 102. Erganzungslieferung, Rz 10
13 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 163, 102. Erganzungslieferung, Rz 5-6
14 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 163, 102. Erganzungslieferung, Rz 13-15
15 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 227, 95. Erganzungslieferung, Rz 12-14
16 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 227, 95. Erganzungslieferung, Rz 21-22
17 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 227, 95. Erganzungslieferung, Rz 40
18 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 222, 66. Erganzungslieferung, Rz 20-21
19 Vgl. Lippross, Kommentar zu AO § 222, 66. Erganzungslieferung, Rz 24
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