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Bachelorarbeit, 2018
63 Seiten, Note: 1,0
Danksagung
Einleitung
Forschungsdesign und methodische Umsetzung
Forschungsleitende Frage und Unterfragen
Methodik und Quellen
Begriffsbestimmungen / Arbeitsbegriffe
Wir-Sie-Beziehungen
Einleitung
Formen der kulturellen Unterscheidung
Zum Begriff der Kultur und der kulturellen Identität
Die Ethnifizierung von Gruppen
Der rekonstruktive Aspekt
Der konstruktive Aspekt
Der operative Aspekt
Zusammenfassung
JournalistInnen als Sender von Informationen.
Journalismus als Teil der Kultur.
JournalistInnen als Gatekeeper
Deprofessionalisierung des Journalismus
Ökonomisierung des Journalismus
Qualität im Journalismus
Stereotype, Klischees und Vorurteile
Motivationen für Stereotypisierung
Formation und Festigung von Stereotypen
Darstellung von Stereotypen mit Hilfe von Narrativen in journalistischen Inhalten
Zusammenfassung
RezipientInnen
Framing- und Priming-Effekte
Prozesse der Informationsverarbeitung
Der Einfluss von Stereotypen
Vom Stereotyp zum Vorurteil
Die Funktion von Vorurteilen für RezipientInnen
Konsequenzen der Rezeption von Vorurteilen
Die Verstärkerfunktion
Zusammenfassung
Die Konstruktion von Wirklichkeit
Exkurs: Konstruktivismus im Journalismus
Von der Realität zur Medienrealität
Von der Medienrealität zur Publikumsrealität
Zusammenführung
Zusammenfassung – Beantwortung der Forschungsfragen und Ableitung der Hypothesen
Ausblick und offene Punkte
Bibliographie
Primärquellen
Sekundärquellen
Internetquellen
Anhang
Lebenslauf Fehler! Textmarke nicht definiert.
Auf diesem Wege möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die mich in der aufreibenden Zeit, während ich diese Arbeit verfasst habe, mental oder auch durch Korrekturlesen und Essenslieferungen unterstützt haben. Ich bin für jedes Feedback, gutes Zureden und die Begeisterung für mein gewähltes Thema mehr als dankbar. Ohne die Unterstützung von so vielen lieben Menschen hätte ich diese Arbeit nicht so voller Hingabe und Passion verfassen können.
Ein besonderer Dank geht an meinen guten Freund und Mentor H.H., der mir in den schwierigsten Jahren und Zeiten meines Lebens zur Seite gestanden ist und mich immer darin bestärkt hat meinen eigenen Weg zu gehen und mich nicht zugunsten der Wünsche anderer Personen zu verändern und anzupassen.
Jeder Mensch findet sich in seinem Leben in zahlreichen ‚Wir-Gruppen‘ wieder. So gehöre ich zum Beispiel zur Gruppe der StundentInnen, aber genauso gehöre ich auch zur Gruppe der Angestellten. Doch wie entstehen diese ‚Wir-Gruppen‘ und wie definiert sich wer dazugehört?
Ein ‚Wir‘ kann nur dann existieren, wenn es das passende ‚Sie‘ als Gegenstück hat. Also eine ‚Sie-Gruppe‘ von der sich das ‚Wir‘ ganz klar abgrenzen und differenzieren kann. In Zeiten der Globalisierung, wo Waren, Informationen und Geld weltweit zirkulieren, ist es nicht verwunderlich, dass auch Menschen anfangen, sich über den Planeten zu bewegen. Doch wer sind ‚Sie‘? Wer sind die Menschen, die zu uns kommen und was wissen wir über sie? Woher beziehen wir unsere Informationen über die Anderen, die zu uns kommen? Wenn man nicht in direktem Kontakt mit ihnen steht, entscheiden JournalistInnen was wir über ‚die Anderen‘ erfahren. Durch die journalistischen Darstellungen dieser Personen wird ein gewisses Bild der Wirklichkeit erzeugt und der breiten Masse zugänglich gemacht. Doch was ist das für ein Bild? Gilt in Zeiten des zunehmenden Aktualitätsdrucks, wo Nachrichten genauso heiß serviert werden müssen wie Kaffee und eine Schlagzeile die nächste jagen muss, noch der Grundsatz der Objektivität, oder wurde dieser zugunsten der Auflagenzahlen beiseite geschoben und räumt damit den Weg frei für eine ganz bestimmte Konstruktion der ‚Anderen‘? Und welche Konsequenzen ergeben sich für die ‚Anderen‘ aufgrund dieser Konstruktion?
Ziel dieser Arbeit ist die Beleuchtung des Einflusses von journalistischen Darstellungen auf unser Bild der Wirklichkeit und wie unsere Wirklichkeit dadurch konstruiert werden kann. Dabei soll herausgearbeitet werden, welches Bild von MigrantInnen oder Personen, welche als MigrantInnen kodifiziert werden, konstruiert wird und welche Folgen für diese Personen daraus resultieren können. Diese Arbeit wird sich auf die journalistischen Inhalte aus dem deutschsprachigen Raum beschränken. Diese Eingrenzung basiert einerseits auf der Umsetzbarkeit des Umfangs für diese Arbeit und andererseits darauf, dass sich die deutschsprachigen Länder alle unter den Top 20 der Rangliste der Pressefreiheit1 befinden und damit eine ähnliche Freiheit bei der Auswahl und Aufbereitung von journalistischen Inhalten haben. Genauso haben die drei großen deutschsprachigen Länder Österreich, Deutschland und die Schweiz jeweils einen Presserat, welcher als Selbstregulierungsinstanz dazu dient, medienethische Fragen zu klären und eine gewisse Grundethik zu etablieren.
Um ein umfassendes Bild dieses Phänomens zeichnen zu können, gliedert sich diese Arbeit in mehrere Teilaspekte auf. Der erste Abschnitt befasst sich mit der Konstruktion von Wir-Sie-Beziehungen, deren Dynamik und den Bedingungen ihres Zustandekommens. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Definition von Fremdheit und die damit einhergehenden Zuschreibungen von Eigenschaften gelegt werden.
Der zweite Teil widmet sich dann der Sender-Seite von Informationen: den JournalistInnen und den durch sie aufbereiteten Inhalten. Dabei soll erörtert werden, welche Funktionen diesen Personen zukommen und vor allem auch die momentanen Arbeitsbedingungen und die damit einhergehenden Schwierigkeiten beleuchtet werden.
Anschließend wird die Ansicht gedreht werden und die Empfänger-Seite der Informationen – die RezipientInnen – sollen Eingang in die Arbeit finden. Dabei wird die Art der Informationswahrnehmung und -verarbeitung, unter Berücksichtigung der Umweltfaktoren, in diesem Zusammenhang näher ausgeführt werden.
Das anschließende Kapitel der Arbeit wird die davor genannten Aspekte schließlich zusammenführen und es soll untersucht werden, welches Bild von Wirklichkeit die Verschränkung dieser Faktoren bedingt und erzeugt.
Den Schluss dieser Arbeit bildet ein Ausblick über die Folgen dieser Konstruktionen, wobei auch der weitere Forschungsbedarf geklärt wird.
Aus dem in der Einleitung dargestelltem Forschungsinteresse ergeben sich die folgende forschungsleitende Frage und Unterfragen:
“Inwiefern beeinflussen journalistische Darstellungen in Medien unser Bild der Wirklichkeit in Bezug auf als migrantisch2 ausgemachte Menschen?“
1. Wie werden Wir- und Sie-Gruppen konstruiert?
2. Welche Rolle spielt die Ethnizität bei der Konstruktion von Wir- und Sie-Gruppen?
3. Welche Rolle spielen Journalisten und Journalistinnen bei der Konstruktion von Wir- und Sie-Gruppen?
4. Welchen Herausforderungen und Problemen begegnen Berufsjournalisten und -journalistinnen heutzutage bei der Arbeit und welche Ursachen und Auswirkungen haben diese?
5. Welches Bild über MigrantInnen, AusländerInnen und Flüchtlinge wird von JournalistInnen konstruiert?
6. Inwieweit beeinflussen journalistische Darstellungen die Meinungen und Einstellungen von Rezipienten und Rezipientinnen über MigrantInnen, AusländerInnen und Flüchtlinge?
7. In wie weit haben journalistische Darstellungen Einfluss auf das Bild der Wirklichkeit / Realität von Rezipientinnen und Rezipienten?
Da es sich bei dieser Arbeit um eine Literaturarbeit handelt, werden die Forschungsfragen mittels theoretischer Argumentation durch die Verwendung von Primär- und Sekundärquellen unter Verwendung von empirischen Beispielen zur Veranschaulichung, beantwortet. Da es sich um eine qualitative Arbeit handelt, wird ein hypothesengenerierendes Verfahren angewendet. Diese Hypothesen können anschließend als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten in diesem Bereich angewendet werden. Die verwendete Literatur wird einer Quellenkritik unterzogen, wobei sowohl die Zitierwürdigkeit als auch die Zitierfähigkeit geprüft wird.
Da Begriffen selten eine einheitliche Definition zugeschrieben wird, werde ich eine Arbeitsdefinition der in der Arbeit verwendeten Begriffe vorlegen. Diese Begriffsbestimmungen legen lediglich fest, wie die einzelnen Begriffe in dieser Arbeit zu verstehen sind bzw. verwendet werden und maßen sich keine allgemeine Gültigkeit an.
Die ständige Auseinandersetzung mit dem Bekannten (dem Wir) und dem Unbekannten (dem Sie) ist seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte gegeben. Die damit zusammenhängende Figur des Fremden ist schon seit mehreren Jahrzehnten ein fester Bestandteil der kulturellen, sozialen und auch politischen Debatten. Jedoch gab es in jüngerer Zeit einen Umschwung von der Fremdheit im ‚exotischen‘ Sinne, wie man sie aus der Ethnographie kennt, welche sich auf dem Rückzug befindet, hinzu Fremdheit innerhalb der ‚eigenen‘ Kultur, welche stetig wächst.3 Es geht also um die Auseinandersetzung mit Menschen, die in die ‚eigene‘ Kultur zuwandern, um zu bleiben, wie Vertriebene, Flüchtlinge und Übersiedler. Es zeichnet sich also ein fortwährender Wandel der Begriffe des Eigenen und des Fremden ab. Die beiden Begriffe dürfen jedoch nicht als Opposition verstanden werden, sondern eher als zwei Pole, die in einer unaufkündbaren Relation zueinanderstehen und sich immer wieder aktualisieren.4
Müller-Funk verweist hierbei auf Georg Simmel, welcher auf die Wechselwirkung von Trennen und Verbinden und die damit einhergehenden Ein- und Ausschlüsse verweist, die damit Teil des kulturellen Prozesses werden.5
„Denn ohne jene ausschließende wie verbindende Grenzformationen und -konstruktionen, ohne die Abhängigkeitsbeziehungen von Fremden und Eigenem, von Öffnung und Schließung und von wechselseitigem Austausch sind Phänomene des Alteritären nicht denkbar.“6
Was oder wer als fremd oder eigen definiert wird, hängt jedoch stark vom Kontext ab. So identifizieren Menschen in Europa diese Gruppen anders, als z.B. Menschen in Afrika oder Asien. Fremdsein kann sich also nicht substantialisieren, da jede Person in einer bestimmten Beziehung zum Fremden werden kann.
Im deutschsprachigen Raum lassen sich drei Begriffe ausmachen, deren Grenzen eher fließend verlaufen und keine klaren trennenden Schnitte zulassen. Es wird differenziert zwischen dem/der AusländerIn, dem/der Fremden und dem/der Anderen.7
Beim Begriff des Fremden oder der Fremden sind die Begriffe des Unbekannten oder auch des Unheimlichen enthalten. Dies rührt daher, dass der/die Fremde nicht ‚zu uns‘ gehört und vor allem auch, dass nicht eingeordnet werden kann wohin die Person überhaupt gehört bzw. eingeordnet werden kann. Dadurch entstehen Momente der Angst und der Irritation, die vor allem durch die Betrachtung und Wahrnehmung dieser Personen hervorgerufen werden. Diese Andersheit manifestiert sich häufig durch das äußere Erscheinungsbild, was wiederum dem kulturellen ‚normalen‘ Mensch Anlass gibt, sich von diesen Personen abzugrenzen, was wiederum zu Ausschlüssen führt. Dies bietet häufig die Basis für Rassismus oder andere Ideologien, die auf Basis von äußerlichen Unterscheidungen, Ausgrenzungen vornehmen.
Als AusländerIn bzw. ausländisch werden Personen bezeichnet, welche meist auf nationalstaatlicher Ebene zugeordnet werden. Sie werden symbolisch auf die andere Seite des ‚Wirs‘ gestellt. Diese Personen befinden sich jenseits des eigenen Raumes hinter nationalstaatlichen Grenzen. Durch diese klare Grenzziehung werden jene Personen expliziert markiert.8
„Auf jeden Fall gehört der ausländische Mensch nicht zur jeweils ‚eigenen‘ heimischen nationalen und regionalen Gemeinschaft, nicht, weil man ihn oder sie nicht kennt, sondern gerade, weil man ihn oder sie zu kennen glaubt und weil er / sie sich von uns sichtbar wie hörbar unterscheidet.“9
Dazu zählen unter anderem auch Flüchtlinge – fluchtsuchende Menschen, welche die Grenzen zu anderen Ländern überschreiten und eventuell auch die Absicht haben, in dem anderen Land zu bleiben, wodurch sie sich von Touristen, Gästen und Diplomaten dahin unterscheiden, da deren Aufenthalt in einem anderen Land zeitlich begrenzt ist. Diese Menschen versuchen anschließend ihren Platz innerhalb des neuen kulturellen Raumes zu finden. Selbst wenn sie dies schaffen, kann es jedoch sein, dass sie in dem neuen Land immer ein Fremder bleiben werden, auch wenn sie durch einen neuen Reisepass und die Staatsbürgerschaft keine Ausländer mehr sind.
Der Begriff der Anderen beschreibt lediglich, dass es noch andere Personen auf dieser Welt gibt und in einer Interaktion einem ‚Ich‘ immer ein / eine Zweite/r gegenübertritt. Damit ist dieser Begriff nicht an eine andere Kultur gebunden und wird daher in dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden.10
Wie bei den meisten Begriffen ist auch der Begriff der Kultur ein viel umstrittener. Es gab zahlreiche Definitionsversuche der verschiedenen Disziplinen. Es soll hier eine der zahlreichen Definitionen angeführt werden, welche die Funktion der Kultur als Orientierungssystem hervorhebt:
„Kultur ist ein universelles Phänomen. Alle Menschen leben in einer spezifischen Kultur und entwickeln sie weiter. Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z. B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft, Organisation oder Gruppe tradiert, das heißt an die nachfolgende Generation weitergegeben. Das Orientierungssystem definiert für alle Mitglieder ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft oder Gruppe und ermöglicht ihnen ihre ganz eigene Umweltbewältigung. Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Das kulturspezifische Orientierungssystem schafft einerseits Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest“11
Die Kultur bietet demnach den einzelnen Menschen ein gewisses Repertoire an Wissen über die soziale Umwelt und die darin enthaltenen kollektiven, sozialverbindlichen Normen und Regeln. Jeder Mensch durchläuft einen individuellen Sozialisationsprozess, in dem er das im jeweiligen Kulturkreis gegebene Verhalten erlernt und dadurch in die Gesellschaft hineinwächst.12
Weltweit gibt es sieben Kulturkreise, die miteinander konfrontiert sind: der Westen, der Islam, der Konfuzianismus, die japanische Zivilisation, der Hinduismus, die orthodox-slawische Zivilisation, Lateinamerika und Afrika. Durch die zunehmenden Migrationsbewegungen im 21. Jahrhundert, treffen die verschiedenen Kulturkreise immer häufiger aneinander.13 Kulturen gelten im deutschsprachigen Raum häufig immer noch als kugelförmige Gebilde, die von den anderen Kulturen abgegrenzt wenn nicht sogar abgeschottet sind, wobei die nach außen sichtbaren Merkmale von Personen als Hauptträger einer gemeinsamen Identität fungieren und eine substanzielle kulturelle Gemeinsamkeit symbolisieren.14
Wenn nun eine Person den Kulturkreis verlässt, in dem er/sie aufgewachsen ist, so wird häufig die Erwartung an ihn herangetragen, dass er sich den Normal-Erwartungen anpasst und die Verhaltensformen des neuen Kulturkreises annimmt. Diese Anforderung entspringt jedoch einem unzeitgemäßen ‚exklusiv nationalistischen‘ Gesellschaftsbild. Ein Gesellschaftsbild in dem die ‚westlichen Staaten‘ bis dahin ein geschlossenes wohlintegriertes Gesellschaftssystem hatten und auf einmal fremde Menschen mit ihren fremden Kulturen in den Kulturraum eindringen und ihre Eigenheiten, ihre Sprache, sowie ihre Religion und Identität beibehalten wollen und es dadurch verweigern sich zu integrieren.15 Das heißt es kommt unweigerlich zu Problemen und Konflikten innerhalb der Gesellschaft, welche sich lediglich in der Intensität in der sie auftreten unterscheiden. Wenn es nun um das Zusammenleben der Kulturen geht und die damit einhergehenden ‚Probleme‘, gibt es zwei gegensätzliche Impulse, die dabei auftreten können. Entweder es kommt zur Mixophilie, also zu einer Präferenz für vielfältige, heterogene Umgebung mit der Intension durch diese, neue und unbekannte Erfahrungen machen zu können oder es kommt zur Mixophobie, also der Angst vor einem nicht kontrollierbaren Ausmaß an Unbekanntem. Das heißt die Menschen wissen nicht wie sie auf die neue Situation reagieren sollen, da sie die Situation nicht selbst herbeigeführt haben und sie dadurch auch nicht kontrollieren können. Die fehlende Kontrolle und die Unberechenbarkeit führt häufig zu Hass und Unbehagen gegenüber AusländerInnen und Flüchtlingen, da die Menschen Angst haben, ihr Eigentum oder ihre soziale Position durch die ‚Fremden‘ verlieren zu können.16 In diesem Szenario kann die kulturelle Identität schnell in einen Identitätswahn umschlagen, wobei „sie sich ihrer selbst nur sicher wird, wenn sie in ihrer sozialen Umwelt nichts Andersartiges, Fremdes, Uneindeutiges, Widerständiges mehr erfahren muss, von dem sie sich in ihrem eigenen Anspruch herausgefordert, verunsichert, in Frage gestellt fühlen könnte.“17
Um die eigene Stellung abzusichern und der eigenen kulturellen Identität die Vorrechte einzuräumen, kommt es innerhalb der Gesellschaft zu Ethnifizierungsprozessen. Dabei werden bestimmte Adressantenkreise diskriminiert, oder eine spezifische Bevölkerungsgruppe wird zu einer ethnischen Minderheit definiert. Das heißt die Ethnizität ist ein Deutungsverfahren, welches ethnische Gruppierungen durch kulturelle Kommunikation hervorbringt. Dieser Prozess umfasst einen rekonstruktiven, einen konstruktiven und einen strategischen / operativen Aspekt.18
Dieser Aspekt umfasst geschichtliche Ereignisse, welche innerhalb einer aktuellen Diskussion hervorgebracht werden und für den aktuellen Bedarf genutzt und angepasst werden. Dies dient der Entwicklung von Wir-Gruppen, welche sich allerdings von parallel gebildeten Wir-Gruppen abgrenzen. Es geht also um die homogene Darstellung einer Gruppe und die gleichzeitig positive Abhebung dieser. Dabei kommt es vor allem zur Besinnung auf Gemeinsamkeiten, wie etwa eine gemeinsame Geschichte bzw. Abstammung oder ein gemeinsames Territorium.19
Der konstruktive Aspekt baut auf dem Rekonstrutiven auf. Die Ursprünge, also der rekonstruktive Aspekt ist vor allem von Interesse, weil er die Gegenwart herkunftsmäßig aber auch überindividuell, also auf Ebene der Wir-Gruppe, untermauert und damit auch legitimiert. Es wird also die Vergangenheit als Vorschau genutzt, um eine gewisse gewünschte Konstruktion der Gegenwart zu erhalten und diese für aktuelle gesellschaftliche Themen nutzbar zu machen. So wird z.B. häufiger auf Ethnie und Nation Bezug genommen, wenn es innergesellschaftliche Turbulenzen gibt. Daher wird auch die Frage der ‚Ethnizität‘ meist in Zeiten der Unruhe relevant.20
Der Begriff der Ethnizität wird also dann wieder relevant, wenn es um die Bewältigung von Turbulenzen, sowie die Sicherung von Rechten und Ressourcen geht. Es wird allerdings nicht bloß eine Rekonstruktion dessen vorgenommen, was schon immer so war, sondern es „wird eine strategische Operation vorgenommen, indem Positionen, Konzepte, Behauptungen und Definitionen in den Prozeß der gesellschaftlichen Selbstverständigung eingegeben werden, die darauf abzielen, ethnische Argumente als solche zu verankern und zugleich ganz spezifische Argumente zu installieren.“21
Es wird also innerhalb der kulturellen Kommunikation versucht dem Ethnizitätsdiskurs eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen, um damit die Struktur innerhalb der Gesellschaft neu zu definieren, um ethnische Unterschiede als Begründung für Probleme jeglicher Art heranziehen zu können. Dies führt zu einer bestimmten Konstruktion von gesellschaftlicher Wirklichkeit, die dazu führt, dass aktuelle Auseinandersetzungen zunehmend von ethnischen Komponenten bestimmt ist. Dieser Prozess der Ethnisierung beginnt mit alltäglichen Fragen und Problemen, also im Alltagsleben und wird später auf komplexere Fragestellungen umgelegt. Das heißt zunächst werden einzelne Bevölkerungskreise zu Fremden konstruiert und damit ausgegrenzt, und in weiterer Folge, werden nicht nur diese Gruppen als ‚Ausländer‘ ethnisch interpretiert, sondern auch das eigene ‚Ich‘ wird als heimisch – als Wir – interpretiert. Das heißt die Ethnisierung beginnt mit der Diskriminierung der Anderen und der damit einhergehenden Erzeugung von Gruppen der ethnischen Minderheit und Mehrheit.22
Die Konstruktion von Wir- und Sie-Gruppen, also die Zuschreibung was als fremd und was als zugehörig zum Eigenen verstanden wird, erfolgt mittels kultureller Kommunikation. Es wird von einem Deutungsprozess gesprochen, welcher Minderheits- und Mehrheitsgruppen hervorbringt und den Umgang mit diesen. Er darf allerdings nicht als unveränderlich, unbeweglich und naturgegeben verstanden werden, da sich die Zuschreibungen je nach Kontext, Zeit und Ort wandeln können. Es handelt sich also bei der Ethnisierung von Gruppen um einen stetig laufenden, ins Alltagsleben eingebetteten, dynamischen Prozess.
Nachdem im vorigen Abschnitt der Arbeit erörtert wurde, dass die Konstruktion von Wir-Sie-Gruppen und deren Zugehörigkeiten vor allem mittels Kommunikation erzeugt werden, soll dieser Teil der Arbeit die Funktion von JournalistInnen in diesem Prozess der Ethnisiserung und Ausgrenzung genauer erläutern.
Der Begriff des Journalismus als Kulturleistung wird in den Cultural Studies nicht durch das Herausgreifen einzelner Texte, also Leistungen einzelner Personen, verstanden, sondern Journalismus als Ganzes wird als Teil der Populär- und Alltagskultur begriffen. Die Gesamtheit journalistischer Textproduktionen gilt als Baustein der populärkulturellen Bedeutungskonstruktion, wodurch kategoriale Unterscheidungen in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Texte, sowie die Differenzierung zwischen Boulevard- und Qualitätsmedien irrelevant wird. Alle journalistischen Informationen und Inhalte gesammelt, ergeben die zur Verfügung gestellten Interpretationsangebote als zentrale Deutungsinstanz in modernen Gesellschaften. Mit dem Aufkommen des Internets in den Neunziger-Jahren gab es zwar eine Verschiebung der Relevanz: weg von ausschließlich professionellen Angeboten der analogen Medien, hinzu neuen Formen der mediatisierten öffentlichen Kommunikation, wie z.B. Social Media. Doch weiterhin stellt das Zeichensystem journalistischer Texte / Bilder o.Ä. einen Anspruch auf Relevanz, da sie weiterhin eine bedeutsame Ressource an gesellschaftlichen Deutungsmustern zur Verfügung stellen, die mittels ihrer eingeschriebenen narrativen Muster, Aussagen über die ‚Wirklichkeit‘ erheben.
Die zentrale Überlegung hierbei ist, dass Kultur keine spezifische Leistung einer Gruppe ist, oder ein geschlossenes gesellschaftliches Subsystem, sondern als Ausdruck von Lebensweise verstanden werden soll. Demnach sind journalistische Texte und die Prozesse der Aneignung dieser eine alltagskulturelle Praxis. Dem zufolge passiert die Aneignung der Inhalte nicht durch eine explizite Suche von bestimmten für die Person relevanten Inhalten, sondern in den Alltag eingebunden. Wie hoch die Komplexität und Mehrdeutigkeit ist, auf die diese Texte gelesen und interpretiert werden können, zeigte schon das Encoding / Decoding-Modell von Stuart Hall (1999 / 1973). Denn auch journalistische Inhalte können durch ihre formalen, inhaltlichen und ästhetischen Strukturen verschiedenste Deutungs- und Verarbeitungsoptionen anbieten, welche von den vorgegangenen Wissensbeständen, Rezeptionspräferenzen und situativen Erfahrungen abhängig sind. Für die Journalismusforschung ist dabei zentral, dass die Kodierung der Produzenten, also der JournalistInnen und die Dekodierung der RezipientInnen zwangsläufig unterscheiden müssen, da sie über unterschiedliche Wissensbestände, Erfahrungskontexte und Rezeptionserfahrungen verfügen. Diese Differenz ist jedoch nicht als Versagen zu verstehen, sondern als integraler Bestandteil eines gesamtgesellschaftlichen Deutungsprozesses mit und durch den Journalismus.23
Weltweit passieren an einem Tag tausende von Ereignissen gleichzeitig, jedoch nur ein Bruchteil schafft es bin in die Medien. Die sogenannte Gatekeeper-Theorie, also die Theorie der Schleusenwerter, hebt den Aspekt der Schlüsselposition von einzelnen EntscheidungsträgerInnen im Prozess der Nachrichtenauswahl hervor. Bevor ein Ereignis zu einem journalistischen Inhalt verarbeitet wird, muss dieses zunächst einige Selektionsprozesse durchlaufen und als relevant genug beachtet werden, um anschließend verarbeitet zu werden. Um die Relevanz der jeweiligen Ereignisse abzuwägen und zu bewerten, gibt es die sogenannte Nachrichtenwerttheorie, welche das Manko der Gatekeeper-Theorie, nämlich das späte Einsetzen der Theorie, ausgleicht in dem sie schon bei der Wahrnehmung des Ereignisses ansetzt. Da die jeweiligen JournalistInnen eine Vorstellung von den Wünschen ihres Publikums haben, gibt es gewisse Nachrichtenfaktoren, die für die Nachrichtenselektion und -verarbeitung herangezogen werden können. Diese Nachrichtenfaktoren können als Merkmale eines Ereignisses bezeichnet werden, die den Publikationswert des Geschehens bewerten. Diese Arbeit bezieht sich auf die Ausdifferenzierung nach Schulz, welcher insgesamt 18 Nachrichtenfaktoren unter sechs Faktorendimensionen subsummiert:
1. Zeit
Darunter fallen für ihn die Nachrichtenfaktoren „Dauer“, also die Unterscheidung von punktuellen Ereignissen, welche einen hohen Nachrichtenwert aufweisen, oder Langzeitereignisse, welche im Vergleich einen eher niedrigen Wert aufweisen; und „Thematisierung“, also die Etablierung eines Ereignisses über die Berichterstattung, wohingegen hier der Nachrichtenwert bei langfristig geführten Themen höher ist, als bei noch nicht etablierten Themen.
2. Nähe
Zunächst ist hier die „räumliche Nähe“ als geographische Entfernung zwischen dem Ereignisort und dem Redaktionssitz anzuführen; zusätzlich kommt die „politische Nähe“ also die wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen dem eigenen Land und dem Ereignisland; anschließend gibt es die „kulturelle Nähe“, welche die sprachlichen, religiösen, literarischen und wissenschaftlichen Beziehungen zum Ereignisland beschreibt; und schließlich fällt in diese Dimension noch die „Relevanz“, welche den Grad der Betroffenheit und existentiellen Bedeutung eines Ereignisses bewertet.
3. Status
Unter Status wurden folgende Nachrichtenfaktoren zusammengefast: „regionale Zentralität“, welche als wirtschaftliche, wissenschaftliche und/oder militärische Macht des Ereignislandes verstanden werden kann; der „persönliche Einfluss“, welcher sich auf die politische Macht der beteiligten Personen bezieht; und die „Prominenz“, also der Bekanntheitsgrad von beteiligten Personen, wenn es sich um unpolitische Meldungen handelt.
4. Dynamik
Dazu gehören die Nachrichtenfaktoren „Überraschung“ und „Struktur“. Also einerseits die Erwartbarkeit des Zeitpunktes, Verlaufs und Resultat eines Ereignisses und andererseits auch die Komplexität der Verlaufsform, Beteiligung und Überschaubarkeit des Ereignisses.
5. Valenz
Hier hinein fallen die Faktoren „Konflikt“, verstanden als Grad der Aggressivität der Handlung; „Kriminalität“, also die Rechtswidrigkeit von Handlungen; „Schaden“ in Form von Personen-, Sach- oder finanziellen Schäden und Misserfolgen; und „Erfolg“ der durch ein Ereignis im politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Bereich erzielt wird.
6. Identifikation
Die letzte Dimension enthält die Faktoren „Personalisierung“ und „Ethnozentrismus“. Also zum einen den Grad des personellen Bezugs zu dem Thema und zum anderen die Betroffenheit der Bevölkerung des Landes in dem das Medium erscheint. 24
Wichtig zu beachten ist hierbei jedoch, dass es durch sogenannte „News Bias“ zur „Unausgewogenheit, Einseitigkeit und politischen Tendenzen in der Medienberichterstattung“25 kommen kann. Die subjektive Einstellung zu einem Thema oder Ereignis kann die Berichterstattung und die Darstellung der Personen darin beeinflussen.26 Außerdem sind Nachrichtenfaktoren nichts, was ein Ereignis von Natur aus innehat, sondern von den jeweiligen JournalistInnen zugeschrieben bekommt. Daher kann ein Ereignis von zwei unterschiedlichen JournalistInnen völlig unterschiedlich bewertet werden, da sie unterschiedliche subjektive Einstellungen haben und demnach auch unterschiedliche Ziele verfolgen, was wiederum dazu führt, dass sie in ihrer Berichterstattung unterschiedliche Sichtweisen präferieren.27 Zusammengefasst werden nach Shoemaker fünf Ebenen die die Auswahl der Ereignisse erheblich beeinflussen:
1. Die ‚individual‘ Ebene
Hierbei geht es um die Abhängigkeit der Nachrichtenauswahl von den Vorlieben und Abneigungen der jeweiligen Journalistin oder dem jeweiligen Journalisten.
2. Die ‚routines of work‘ Ebene
bezeichnet die praktischen Kriterien, wie Länge des Beitrags, Neuigkeitenwert, gutes Bildmaterial, Dramatik o.Ä. die den Nachrichtenwert mitbestimmen können.
3. Die ‚organizational‘ Ebene
umfasst die mediumspezifischen Kriterien wie Budgetbeschränkungen, Auslandbüros oder die internen Leitlinien des Herausgebers, durch welche die JournalistInnen beeinflusst werden.
4. Die ‚social and institutional‘ Ebene
beschreibt den indirekten Einfluss von Interessensgruppen oder der Regierung bzw. einzelner Parteien, den RezipientInnen, sowie von wirtschaftlichen Kräften und Werbepartnern.
5. Die ‚social system‘ Ebene
Durch kulturelle Einflussfaktoren, kann es dazu kommen, dass bestimmte Teile der Welt in den Nachrichten unter- oder überrepräsentiert sind.28
Bisher lässt sich also festhalten, dass Journalismus in seiner Form ein Teil der Gesellschaft ist und der Bevölkerung ein gewisses Bild der Welt und der darin passierenden Ereignisse zur Verfügung stellt. Die journalistischen Darstellungen können jedoch nie das gesamte Bild der Realität abbilden und liefern daher immer nur einen höchst selektiven, verzerrten und ungenauen Bildausschnitt der Realität. Für den Selektions- und Interpretationsprozess der Nachrichten gibt es den mehr oder weniger allgemeingültigen Konsens der Nachrichtenwerte, aber auch deren Auslegung passiert subjektiv, was dazu führt, dass manche Ereignisse nur deswegen so viel Aufmerksamkeit bekommen, weil die JournalistInnen sie instrumentalisieren und für ihre Zwecke verwenden. Das heißt die zentrale Frage ist nicht warum gewisse Ereignisse so wichtig sind, sondern warum sie von den JournalistInnen für wichtig gehalten werden.
[...]
1 Reporter ohne Grenzen, 2017
2 Der Begriff migrantisch wurde nachträglich gewählt, da es sich bei der Konstruktion von ‚Fremdgruppen‘ nicht um eine homogene Masse von Menschen handelt, die als fremd konstruiert werden (z.B. Flüchtlinge, MigrantInnen erster Generation, zweiter Generation...usw.), sondern die Menschen häufig aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale in einer Gruppe zusammengefasst werden und damit nicht eindeutig als MigrantInnen identifiziert werden können.
3 Vgl. Müller-Funk, 2005, zit. nach Müller-Funk, 2016, S. 15
4 Vgl. Müller-Funk, 2016, S. 15
5 Simmel, 2001 zit. nach Müller-Funk, 2016, S.16
6 Müller-Funk, 2016, S.16
7 Vgl. Müller-Funk, 2016, S 17
8 Vgl. Müller-Funk, 2016, S.17-19
9 Müller-Funk, 2016, S. 19
10 Vgl. Müller-Funk, 2016, S.19-20
11 Thomas 2003, zit. nach Thomas 2009, S. 22
12 Vgl. Thomas, 2009, S. 22-23
13 Vgl. Meyer, 2002, S. 23
14 Vgl. Terkessidis, 2008, S. 311
15 Vgl. Bukow, 2007, S. 32-33
16 Vgl. Bauman, 2018, S. 13-20
17 Meyer, 2002, S. 43
18 Vgl. Bukow, 1996, S. 138
19 Vgl. Bukow, 1996, S. 139
20 Vgl. Bukow, 1996, S.140
21 Bukow, 1996, S.141
22 Vgl. Bukow, 1996, S. 142
23 Vgl. Lünenborg, 2016, S. 327 ff.
24 Vgl. Burkart, 2002, S.275 ff
25 Staab 1990, zit. nach Burkart, 2002, S. 278
26 Vgl. Burkart, 2002, S. 278
27 Vgl. Burkart, 2002, S. 283 f
28 Vgl. Shoemaker, 1991, S.32ff, zit. nach Jäckel, 2008, S. 205