Masterarbeit, 2020
81 Seiten, Note: 1,3
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
1. Ursachen des jüngeren türkischen Exils
2. Eingrenzung der Arbeit
3. Zielsetzung der Arbeit und Methodik
4. Inhaltlicher Aufbau der Arbeit
II. Theoretische Erkenntnisse
1. Abgrenzung des Begriffs „Flüchtling“
2. Vergleich der Asylverfahren in Deutschland und der Schweiz
3. Entwicklung türkischer Asylantragszahlen in Deutschland und der Schweiz
4. Merkmale türkischer Schutzsuchender
4.1. Sozialstruktur: Geschlecht, Alter, Familienstand
4.2. Bildungs- und Berufsqualifikation
5. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen für Flüchtlinge in Deutschland und der Schweiz
6. Arbeitsmarktintegration
6.1. Bedingungen einer besseren Arbeitsmarktintegration
6.2. Herausforderungen für Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Deutschland und der Schweiz
III. Empirische Untersuchung
1. Begründung der Methodenauswahl und Auswahl der Stichprobe
2. Kritik an der Methode
3. Darstellung der Ergebnisse
IV. Lösungsansätze
V. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
In den letzten Jahren waren Hunderttausende türkischer Bürgerinnen und Bürger infolge der schwierigen politischen Situation und der problematischen rechtlichen Lage in der Türkei gezwungen, das Land zu verlassen und zu versuchen, in anderen Ländern eine neue Existenz aufzubauen. Eine große Mehrheit der ausgewanderten Türkinnen und Türken sind jung und hochgebildet. Das bedeutet für die Türkei einen „Brain-Drain“, für einige europäische Länder hingegen die Möglichkeit, den eigenen Fachkräftemangel zu kompensieren. Den Vorteilen dieser Konstellation stehen jedoch auch einige Nachteile aufgrund kultureller Unterschiede gegenüber.
Die vorliegende Masterarbeit gibt einen Überblick über die Chancen und Risiken türkischer Menschen, die in Deutschland und der Schweiz Schutz suchen. Die mit ihnen in beiden Ländern durchgeführten quantitativen Untersuchungen dienten dazu, relevante Faktoren für die Integration in der Arbeitswelt zu ermitteln. Die Daten und Ergebnisse zeigen, dass jungen Menschen sich in der Regel mit einem neuen Bildungs- oder Weiterbildungsprogramm in ihrem bisherigen Fachbereich in das Gastland und die dortige Arbeitswelt integrieren möchten, während Menschen mittleren Alters nach kurzfristigen Praktika praxisorientierte Ausbildungs- oder Orientierungsprogramme suchen, in denen sie das lokale Arbeitssystem und die lokale Arbeitskultur kennenlernen, um ihren bisherigen Beruf fortsetzen oder ein kleines Unternehmen gründen und sich selbstständig machen zu können. Auf der Basis der aus den Ergebnissen gewonnenen Erkenntnisse werden mögliche Lösungsvorschläge und Zukunftsaussichten für eine bessere Arbeitsmarktintegration türkischer Geflüchteter formuliert.
Abbildung 1: Anzahl der türkischen Asylerstanträge in Deutschland (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Anzahl der türkischen Asylerstanträge in der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 3: Geschlecht der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländer im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo- Daten, BAMF)
Abbildung 4: Familienstand der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo- Daten, BAMF)
Abbildung 5: Altersverteilung der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo-Daten, BAMF)
Abbildung 6: Höchste besuchte Bildungseinrichtung der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo-Daten, BAMF)
Abbildung 7: Volljährige Asylerstantragstellende und deren letzter Tätigkeitsbereich, 2018 (Quelle: SoKo-Daten, BAMF)
Abbildung 8: Systemintegration und die vier Dimension der Sozialintegration (Quelle: Esser 2001)
Abbildung 9: Herausforderung für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen (eigene Darstellung)
Abbildung 10: Die Verteilung der Befragungsteilnehmer in Deutschland und der Schweiz (eigene Quelle)
Abbildung 11: Die Geschlechtsverteilung der Teilnehmer in Deutschland und der Schweiz (eigene Quelle)
Abbildung 12: Familienstand der Teilnehmer in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 13: Altersverteilung der Teilnehmer in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 14: Fremdsprachenkenntnisse der Teilnehmer in Deutschland (eigene Darstellung)
Abbildung 15: Fremdsprachenkenntnisse der Teilnehmer in der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 16: Das Bildungsniveau der Teilnehmer in Deutschland (eigene Darstellung)
Abbildung 17: Das Bildungsniveau der Teilnehmer in der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 18: Verteilung der Fächer der Befragten mit Bachelorabschluss oder Masterdiplom in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 19: Geplante oder gewünschte Bildungsmaßnahmen der Befragten (eigene Darstellung)
Abbildung 20: Berufserfahrung der Befragten in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 21: Befragte, die aktuell einer beruflichen Beschäftigung nachgehen (eigene Darstellung)
Abbildung 22: Personen, die eine Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung haben (eigene Darstellung)
Abbildung 23: Gründe der Befragten in Deutschland, die keine berufliche Beschäftigung haben (eigene Darstellung)
Abbildung 24: Gründe der Befragten in der Schweiz, die keine berufliche Beschäftigung haben (eigene Darstellung)
Abbildung 25: Verteilung der Befragten, die eine berufliche Selbständigkeit möchten (eigene Darstellung)
Abbildung 26: Aufenthaltsdauer der Befragten in Deutschland und der Schweiz (eigenen Darstellung)
Abbildung 27: Aufenthaltsgestattung der Befragten in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
Abbildung 28: Die Dauer des Asylverfahrens der Befragten in Deutschland und der Schweiz (Eigenen Darstellung)
Abbildung 29: Bleibeperspektive der Befragten in Deutschland und der Schweiz (eigene Darstellung)
AsylG. Asylgesetz
BA Bundesagentur für Arbeit
BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales
EVZ Empfangs- und Verfahrenszentrum
GFK Genfer Flüchtlingskonvention
Lit . litera
OECD Organization for Economic Co-operation and Development
SEM Staatssekretariat für Migration
SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees
TurkStat Turkish Statistical Institute
Die Republik Türkei erlebte in den letzten 20 Jahren die turbulenteste Periode in ihrer bisherigen Geschichte. Vor 2002 hatten die türkischen Bürgerinnen und Bürger mit Armut, Korruption und Verboten zu kämpfen; mit einer gewissen Erschöpfung waren sie auf der Suche nach einer neuen politischen Hoffnung. In dieser politischen Situation betrat die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) die politische Bühne. Von Recep Tayyip Erdogan gegründet, hatte sie politisch-islamistische Wurzeln und versprach den Türken Demokratie, Recht und eine starke Wirtschaft. Ihr Slogan beschwor den Kampf gegen die drei Y: Yolsuzluk (Korruption), Yoksulluk (Armut) und Yasaklar (Verbote). Erdogan erwies sich als charismatischer Politiker für das türkische Volk, das überwiegend konservativ eingestellt war, zugleich aber auch Freiheit und Wohlstand vermisste.
Erdogan und seine Partei gewannen die Regierungswahl im Jahr 2002. Der zunehmende Einfluss und die Konsolidierung der AKP erfolgten im Rahmen politischer Liberalisierungsprozesse in der Türkei, die von 2002 bis 2005 noch deutlich im Kontext der EU-Beitrittsperspektive standen. Es kam zu weitreichenden Reformen in der Verwaltung, der Justiz, den Medien und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen. In ihrer ersten und zweiten Regierungszeit erwarb sich die AKP großen Respekt und genoss ein breites Vertrauen in die Veränderungen, die sie mit Blick auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Angriff genommen hatte. Die neue Regierung begann zu zeigen, wie Islam und Demokratie zusammengebracht werden könnten. Die Politik der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung wurde insbesondere in den Ländern des Nahen Ostens, die unter autoritären Regimes litten, zum Vorbild (vgl. Dembovski 2011).
Diese Position als politisches Modell hielt jedoch nicht lange an. Antidemokratische und rechtswidrige politische Praktiken sowie massive Bestechungs- und Korruptionsvorwürfe mehrten sich. Erdogan, seine Familienangehörige und die AKP wurden zunehmend gerade jener Verbrechen beschuldigt, die sie zu bekämpfen versprochen hatten. Das Gegenmittel schien sich zunehmend als ein Gift zu erweisen. Mit den Vorfällen im Umfeld der Polizei vom 17. und 25. Dezember 2013 wurde die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung nun mit Korruption, Bestechung, Druck auf die Medien und Zensur in Verbindung gebracht. Ermittlungsmaßnahmen, die sich auch gegen Präsident Erdogan und dessen Familienangehörige richteten, wurden durch ein massives Eingreifen der Regierung abgewehrt. Präsident Erdogan erhöhte den Druck auf die Medien, die Zivilgesellschaft und die Justiz, indem er die Korruption- und Bestechungsvorwürfe als eine Verschwörung gegen ihn und einen Angriff und Putschversuch gegen die Republik Türkei darzustellen suchte (BBC News 2014). Erdogans Behauptungen wurden von der türkischen Gesellschaft weitgehend akzeptiert, und nach dem fragwürdigen Putschversuch am 15. Juli 2016 erklärte der türkische Präsident den Ausnahmezustand. Damit zog Erdogan alle Befugnisse des Staates an sich, um mit der „Hexenjagd“, wie er sie selbst nannte, zu beginnen (Hürriyet Haber 2014).
Die Konsequenzen waren erheblich. Immer wieder verlängert, erlaubte der Ausnahmezustand es, mindestens 130.000 Staatsangestellte unter dem Vorwurf, am Putsch beteiligt gewesen zu sein, zu entlassen. Dies betraf Bedienstete im Militär, in der Verwaltung, im Bildungswesen und an den Hochschulen, aber auch zu einem nicht geringen Teil im Justizwesen. Zahlreiche Menschen sahen sich inhaftiert, darunter auch oppositionelle Politiker, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten. Vielen auch gerade in privaten Bildungseinrichtungen wurde die Arbeitserlaubnis entzogen, 15 Universitäten wurden geschlossen, ebenso eine große Zahl an Zeitungen und Fernseh- und Radiosendern. Der Pluralismus in der Medienlandschaft sah sich nicht nur eingegrenzt, sondern weitgehend beseitigt (Frankfurter Allgemeine 2018). Der Ausnahmezustand wurde dazu gebraucht, unschuldige Menschen per Dekret wegen einer angeblichen direkten oder indirekten Unterstützung vermeintlicher Terrororganisationen zu entlassen, festzunehmen und zu inhaftieren. Tausende von Journalisten, Akademikern und Intellektuellen sahen sich mit abenteuerlichen Anklagen konfrontiert, denen zufolge sie eine terroristische Organisation unterstützt haben sollten, ohne deren Mitglied zu sein. Zwar wiesen Regierungsbeamte auf rechtliche Fehler hin und richteten Kommissionen ein, um entsprechende Maßnahmen während des Ausnahmezustands zu untersuchen und gegebenenfalls zu korrigieren. Da diese Prüfungen jedoch unter politischen Vorzeichen und nicht im Rahmen einer unabhängigen Justiz erfolgten, waren sie weit davon entfernt, dem zweifelhaften Vorgehen der Regierung entgegenzuwirken. Im Grunde handelte es sich um nicht mehr als ein politisches Ablenkungsmanöver, um soziale Unruhen zu vermeiden.
Nach zwei Jahren wurde der Ausnahmezustand zwar aufgehoben, aber es kann nicht gesagt werden, dass sich das Leben der Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, positiv verändert hätte. Die Normalisierung erfolgte nur nominell, viele Menschen haben nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihre Sozialversicherungs- und Rentenrechte sowie ihre Krankenversicherungen verloren (Deutsche Welle 2019). Ihre Diplome, Lizenzen und Pässe wurden annulliert (Hak ve Adalet Platformu 2017), ein internationales Ausreiseverbot verhängt (Tr724 2019), Erbrechte verweigert (Cumhuriyet Haber 2019). Die Häuser von Menschen, die angeblich Mitglieder eine terroristische Organisation waren, wurden abgerissen (Hak ve Adalet Platformu 2017), ihre Geschäfte oder Unternehmen beschlagnahmt (BBC 2017) und geplündert (Sonsöz Haber 2016), und selbst wenn sie vor Gericht einen Freispruch erzielten, waren sie auf der Straße gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt, bei denen es auch zu Todesfällen kam (Cumhuriyet Haber 2017). Menschen, die bereit waren, alles zu tun, um sich und ihre Familie zu ernähren, sahen sich landesweit einem ‚sozialen Genozid‘ ausgesetzt. Dieser in der Türkei gebräuchliche Begriff beschreibt den Umstand, dass einer bestimmten Personengruppe alle bürgerlichen Rechte der Gesellschaft und der staatlichen Institutionen vorenthalten werden und sie sich so zu einem umfassenden ‚zivilen Tod‘ verurteilt sieht. Wer per Dekret entlassen worden war, fand keine Anstellung mehr und hatte Schwierigkeiten, sein Existenzminimum zu sichern. Wie der Provinzpräsident der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), Osman Zabun, sagte, hatten diese Menschen keine andere Wahl, als „Baumwurzel zu essen“ (Ercakir und Cevikbas 2016).
Angesichts dieser politisch, rechtlich und sozial schwierigen bis untragbaren Situation hatten viele, die ihre Freiheit, ihre Arbeit und ihre Grundrechte verloren hatten, keine andere Wahl, als ihr Land zu verlassen. Sie flüchteten ins Ausland, um ihr Leben von Grund auf neu zu beginnen.
Mit der vorliegenden Arbeit soll ein Überblick über den Einfluss einzelner Faktoren auf die Arbeitsmarktintegration türkischer Menschen, die in Deutschland und in der Schweiz Schutz suchen, gegeben werden. Sie erhebt nicht den Anspruch, dabei alle möglichen Faktoren detailliert auszuarbeiten, da dies den Rahmen sprengen würde. Vielmehr soll es das Ziel sein, die wichtigsten Faktoren auf Individualebene herauszuarbeiten. Der Autor ist sich bewusst, dass es weitaus mehr Faktoren gibt, welche die Arbeitsmarktintegration beeinflussen können, und dass diesen, je nach Flüchtlingsstatus, unterschiedliche Bedeutung zukommt.
Die Entwicklung der Arbeitsmärkte in Deutschland und in der Schweiz können ihm Rahmen dieser Arbeit ebenso wenig aufgezeigt werden wie der nähere volkswirtschaftliche Hintergrund. Ebenso werden die spezifischen Integrationsangebote und Bemühungen der einzelnen Bundesländer oder Kantone nicht im Detail herausgearbeitet. Der begrenzte Umfang der Arbeit bringt es mit sich, dass einzelne durchaus relevante Themengebiete außer Acht gelassen werden.
Als Forschungsgebiet eignen sich Deutschland und die Schweiz wegen Ähnlichkeiten in der Sprache und der Kultur, eines ausgereiften Verständnisses von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, einer starken Wirtschaft und Industrie sowie der Möglichkeit der Feldforschung. Dies erlaubt es zu untersuchen, welchen Chancen und Risiken auf eine Arbeitsmarktintegration schutzsuchende Menschen aus der Türkei in den Ländern, in denen sie Zuflucht gefunden haben, sich gegenübersehen.
Die vorliegende Arbeit wurde auch mit dem Ziel erstellt, türkischen Geflüchteten eine Perspektive für die Zukunft zu bieten und ihnen aufzuzeigen, welche Chancen und Risiken sie bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben. Dem liegt zugrunde, dass die türkischen Schutzsuchenden keine genügende Zeit haben, in der Arbeitswelt des Gastlandes Fuß zu fassen und sich zu integrieren. Im Rahmen der Untersuchung sollen sowohl die Faktoren einer Arbeitsmarktintegration speziell dieser Personengruppe in Deutschland und in der Schweiz analysiert als auch Problemfelder und Handlungsempfehlungen aufgezeigt werden. Ziel ist es, die Perspektiven einer solchen Arbeitsmarktintegration herauszuarbeiten und zu ermitteln, wie die dauerhafte Einbindung türkischer Geflüchteter in den deutschen und schweizerischen Arbeitsmarkt effizient gestaltet werden kann. Nicht im Fokus stehen hingegen Aspekte ohne Bezug zum Arbeitsmarkt, etwa die Diskussion über Obergrenzen oder die Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Es geht um die Chancen und Risiken der folgenden vier Personengruppen:
- Personen, die keine Aussicht auf eine Beschäftigung in ihrem Beruf haben und sich deshalb berufliche selbstständig machen möchten
- Personen, die in ihrem bisherigen Beruf keine großen Aussichten haben und einen einfachen Beruf ergreifen wollen
- Personen, die darauf setzen, mit einer Weiterbildung oder einem ähnlichen Programm in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können
- Personen, die den gleichen Beruf fortsetzen wollen, den sie in der Türkei ausgeübt haben
Die Forschungsfrage wird in einem ersten Schritt durch eine interdisziplinäre Literaturanalyse bearbeitet. Die Interdisziplinarität wird durch den Einbezug verschiedener wissenschaftlicher Felder gewährleistet. Im Näheren richtet sich der Hauptfokus auf die Untersuchung politischer und sozialer Gesichtspunkte, es werden jedoch auch rechtliche Aspekte berücksichtigt. Dazu werden die Ergebnisse aus verschiedenen Studien zusammengetragen und miteinander in Verbindung gesetzt.
Um die Ergebnisse der Literaturrecherche zu ergänzen, wird in einem zweiten Schritt eine Umfrage analysiert. Die Umfrage richtete sich an türkische Menschen, die in Deutschland und in der Schweiz Schutz suchen. Sie wurde online und auf Papier in türkischer Sprache durchgeführt. Für die Auswahl der befragten Personen konnte der Autor auf sein persönliches Netzwerk zurückgreifen. Er ist sich bewusst, dass die Umfrage keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben kann. Sie bietet jedoch die Möglichkeit, die theoretischen Erkenntnisse, um die realitätsnahe Erfahrung der Befragten zu erweitern und damit zu fundieren.
Die Arbeit ist in eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schlussteil aufgeteilt. Das erste Kapital dient als Einführung in die Thematik und erläutert, warum Türkinnen und Türken in den letzten Jahren in anderen Ländern Asyl suchen mussten. Weiter wird das Ziel der Arbeit vorgestellt und die verwendete Methode erläutert.
Im zweiten Kapitel werden die für die Arbeit notwendigen theoretischen Grundlagen aufgezeigt. Es befasst sich zum einen genauer mit dem Begriff „Flüchtling“, zum anderen werden das Asylverfahren in Deutschland und der Schweiz sowie die Entwicklung der türkischen Asylantragszahlen, die möglichen Rechtsfolgen der Asylentscheide und die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen in beiden Länder erläutert. Außerdem wird anhand von BAMF-Daten die soziodemografische Struktur türkischer Geflüchteter näher betrachtet, bevor in einem weiteren Schritt der Begriff der Arbeitsmarktintegration aufgegriffen und auf die Bedingungen und Herausforderungen einer solchen Arbeitsmarktintegration eingegangen wird.
Das dritte Kapital stellt die empirische Untersuchung vor. Zunächst wird die Methodenauswahl und die Auswahl der Stichprobe begründet sowie die Methode kritisch erläutert. Anschließend werden die im zweiten Kapitel herausgearbeiteten Faktoren für eine Arbeitsmarktintegration durch die Erkenntnisse der Umfrage mit den türkischen Geflüchteten in Deutschland und der Schweiz ergänzt.
Das letzte Kapital fasst die Erkenntnisse zusammen, stellt Lösungsansätze vor und beantwortet die Forschungsfrage.
Um die Forschungsfrage beantworten zu können, werden im vorliegenden Kapital die relevanten Begriffe und Bedingungen in Deutschland und in der Schweiz vergleichend aufgezeigt. Dazu ist zunächst zu klären, was der Begriff „Flüchtling“ genau bedeutet, bevor auf das Asylverfahren in beiden Ländern und die daraus resultierenden Asylentscheide eingegangen wird. Schließlich muss auch der Begriff der Arbeitsmarktintegration genauer erläutert werden.
Flüchtlinge sind Personen, die aufgrund tatsächlicher oder drohender politischer Verfolgung oder aufgrund von Krieg und Katastrophen ihr Heimatland verlassen und in einem anderen Staat Schutz und Asyl suchen (vgl. Heckmann 2015). Welche Personen als Flüchtlinge gelten, lässt sich anhand der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 herleiten. Deren Artikel 1 definiert einen Flüchtling als Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will […].“ Der Begriff „Flüchtling“ wird in dieser Arbeit für all die Menschen verwendet, auf die diese Definition zutrifft. Damit jemand als anerkannter Flüchtling gilt, müssen hingegen nach dem Recht der EU die Flüchtlingseigenschaften der Genfer Flüchtlingskonventionen in einem Verfahren geprüft und bestätigt werden.
In Deutschland und der Schweiz gelten Personen als Flüchtlinge, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Frucht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (SEM 2017).
Die Asylverfahren unterscheiden sich weltweit teilweise erheblich voneinander: Einige Staaten haben Verfahren etabliert, die speziell zu diesem Zweck geschaffen wurden. Andere Staaten stellen die Flüchtlingseigenschaft im Rahmen von Ad-hoc-Verfahren fest, wenn die Situation es erfordert (UNHCR 2014). Im Folgenden wird das Asylverfahren in Deutschland und in der Schweiz näher betrachtet.
Was Bevölkerungsdichte sowie wirtschaftliche und politische Macht betrifft, ist Deutschland für die EU-Länder insgesamt sowohl in der Flüchtlingspolitik als auch in vielen anderen Bereichen von großem Gewicht. Insofern kann gesagt werden, dass die europäischen Länder Deutschland in den meisten Fragen im Zusammenhang mit Flüchtlingen folgen. Dessen ungeachtet kann das Asylverfahren von Land zu Land unterschiedlich sein.
Asyl ist in Deutschland ein von der Verfassung geschütztes Recht. Menschen, die aus anderen Teilen der Welt vor Gewalt, Krieg und Terror fliehen, sollen Schutz finden. Mit ihrer Ankunft in Deutschland erreichen Geflüchtete – oft nach Jahren der Bedrohung – sicheres Terrain (BAMF 2019). Doch Gewissheit, ob sie und ihre Familien dauerhaft hier leben und arbeiten können, gibt es erst mit der endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag (BAMF 2019). Zu den wichtigsten Aufgaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gehört die Prüfung solcher Asylanträge. Es handelt sich um eine verantwortungs- und anspruchsvolle Aufgabe, werden dabei doch in komplexen Verfahren unter Berücksichtigung vielfältiger Zuständigkeiten und strenger rechtlicher Grundlagen Entscheidungen über Menschen und deren Status getroffen (BAMF 2019).
Die persönliche Anhörung ist für die Antragstellenden der wichtigste Termin innerhalb ihres Asylverfahrens. In ihr geht es darum, die individuellen Fluchtgründe zu erfahren, tiefere Erkenntnisse zu erhalten sowie gegebenenfalls Widersprüche aufzuklären. Dabei sind die Entscheiderinnen und Entscheider mit den Verhältnissen in den Herkunftsstaaten der Antragstellenden vertraut. Auf der Basis der persönlichen Anhörung und der eingehenden Überprüfung von Dokumenten und Beweismitteln entscheidet das Bundesamt über den Asylantrag. Bei jedem Asylantrag prüft es auf der Grundlage des Asylgesetzes, ob eine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – vorliegt. Nur wenn keine dieser Schutzformen infrage kommt, wird der Asylantrag abgelehnt (BAMF 2019).
Asylberechtigt und demnach politisch verfolgt ist eine Person, die aufgrund ihrer Rasse, Nationalität, politischen Überzeugung, religiösen Grundentscheidungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Falle der Rückkehr in ihr Herkunftsland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sein wird (BAMF 2019). Laut Art. 16a Abs. 1 GG erhalten die asylberechtigten Personen eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, unbeschränkten Arbeitsmarktzugang und eine Arbeitserlaubnis. Sie haben auch Anspruch auf privilegierten Familiennachzug und die Möglichkeit, nach drei oder fünf Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten, wenn weitere Voraussetzungen, so etwa die Sicherung des Lebensunterhalts sowie ausreichende Deutschkenntnisse, erfüllt sind.
Der Flüchtlingsschutz ist umfangreicher als die Asylberechtigung und greift auch bei der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ein (BAMF 2019). Laut § 3 Abs. 1 AsylG haben die Personen, die Flüchtlingsschutz genießen, gleiche Rechte im Hinblick auf Familiennachzug, Erwerbstätigkeit, Aufenthaltsgenehmigung und die Möglichkeit zur Erlangung einer Niederlassungserlaubnis wie asylberechtigte Personen.
Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Ein ernsthafter Schaden kann sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Als ernsthafter Schaden gilt: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (BAMF 2019). Laut § 4 Abs. 1 AsylG umfasst der subsidiäre Schutz eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung und unbeschränkten Arbeitsmarktzugang; allerdings besteht kein Anspruch auf privilegierten Familiennachzug.
Wird ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt, darf keine Rückführung in den Staat erfolgen, für den dieses Abschiebungsverbot gilt. Den Betroffenen wird von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt (BAMF 2019). Laut § 60 Abs. 5 AsylG erhalten Personen, die unter das nationale Abschiebungsverbot fallen, mindestens eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis.
Wenn für keine der vier Schutzformen – Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot – die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten Antragstellende einen ablehnenden Bescheid, verbunden mit einer Abschiebungsandrohung. Bei der Ablehnung eines Asylantrags wird zwischen zwei Arten unterschieden: der einfachen Ablehnung und der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“. Bei einer einfachen Ablehnung wird der betroffenen Person eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt, bei einer Ablehnung des Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ beträgt die Ausreisefrist dagegen nur eine Woche. Den Betroffenen stehen in jedem Fall Rechtsmittel zur Verfügung. Sie können gegen die Entscheidung des Bundesamts klagen. Die Klage muss grundsätzlich binnen kurzer Zeit erhoben werden. Auf die möglichen Rechtsmittel und die Fristen wird im schriftlichen Bescheid – die sogenannte Rechtsbehelfsbelehrung – hingewiesen. Auch bei einem positiven Bescheid – es sei denn, es wurde der Flüchtlingsschutz gewährt – besteht die Klagemöglichkeit. Das Gericht überprüft dann die Entscheidung des Bundesamts. Kommt es zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung sehr wohl bestehen, hebt es den Bescheid auf und verpflichtet das Bundesamt zu einer Schutzgewährung. Wird die Ablehnung aller Schutzformen bestätigt, wird die Klage abgewiesen und die Verpflichtung zur Ausreise bleibt bestehen (BAMF 2019).
Kommt die Person ihrer Ausreisepflicht nicht freiwillig nach, kann diese auch zwangsweise erfolgen, wobei die jeweilige Ausländerbehörde für die Rückführung zuständig ist. Das gilt auch, wenn nicht geklagt wird. Ist eine Rückführung nicht möglich, kann die Ausländerbehörde eine Duldung oder auch eine Aufenthaltserlaubnis erteilen (BAMF 2019).
Ein Asylgesuch ist ein Antrag einer Person um Aufnahme und Schutz in der Schweiz. Es kann gemäß Art. 19 AsylG in einem Empfangs- und Verfahrenszentrum, an einer Schweizer Grenzkontrolle oder bei der Grenzkontrolle eines Schweizer Flughafens eingereicht werden (Romer 2015). Als Asylgesuch gilt laut Art. 28 AsylG jede Äußerung, mit der eine Person zu erkennen gibt, dass sie Schutz vor Verfolgung sucht. Sobald das Asylverfahren eingeleitet worden ist, erhält die betroffene Person einen Ausweis mit Status N (Romer 2015). Dieser berechtigt die Asylsuchenden gemäß Art. 42 AsylG während der Zeit des Asylverfahrens in der Schweiz zu bleiben. Für die Asylsuchenden sind in dieser Zeit keine besonderen Integrationsmaßnahmen vorgesehen, allerdings ermöglichen einzelne Kantone den Asylsuchenden erste Sprachkurse und Arbeitsbeschäftigungsprogramme (UNHCR 2014). Unter bestimmten Umständen kann ihnen auch während des Asylverfahrens eine unselbstständige Erwerbstätigkeit erlaubt werden (SEM 2017).
Nach Einreichung des Asylgesuchs beginnt die sogenannte Vorbereitungsphase. Diese darf nach Art. 26 Abs. 1quarter AsylG nicht länger als drei Wochen in Anspruch nehmen. In einem ersten Schritt werden die Personalien der asylsuchenden Personen, die Fingerabdrücke sowie weitere biometrische Daten vom Staatsekretariat für Migration (SEM) aufgenommen (SFH o. J.a). Um weitere Hinweise über die Identität der asylsuchenden Person zu erlangen, dürfen die Behörden laut Art. 10 Abs. 2 AsylG Reisepapiere sowie Identitätspapiere sicherstellen. Weiter wird in dieser Phase überprüft, ob womöglich ein anderer Staat gemäß dem Dublin-Assoziierungsabkommen für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist (SFH o. J.a). Ist die erste formelle Erhebung vollzogen, findet die erste Befragung der Person statt. Sie wird mitunter als Kernelement der Vorbereitungsphase gesehen und dient dazu, erste Erkenntnisse über die Person, deren Herkunft und deren Asylgründe zu erlangen (Romer 2015). Nach Abschluss der Vorbereitungsphase entscheidet das SEM, ob das Gesuch inhaltlich geprüft werden kann. An dieser Stelle kann es auch zu einem Nichteintretensentscheid des SEM kommen, der wiederum den Vorgaben in Art. 31a Abs. 1 AsylG zu entsprechen hat.
Nach spätestens 90 Tagen im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) wird die Person einem Kanton zugewiesen (Romer 2015). Laut Art. 27 Abs. 3 AsylG trägt das SEM dabei den schützenswerten Interessen der Kantone wie auch der Asylsuchenden Rechnung. Auch Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten wird oder deren Asylgesuch abgelehnt wurde, werden einem Kanton zugewiesen; dieser ist anschließend für den Vollzug der Wegweisung zuständig (Romer 2015). Um eine Entscheidung über das Asylgesuch treffen zu können, wird in der Untersuchungsphase eine Anhörung der Asylsuchenden durch das SEM einberufen. Diese Anhörung muss gemäß Art. 29 Abs. 1 lit. a und b AsylG innerhalb der ersten 20 Tage nach der Zuweisung zu einem Kanton oder noch während des Aufenthalts im EVZ stattfinden. Die Asylsuchenden sind dabei gemäß Art. 8 AsylG verpflichtet, bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken, sei dies durch das Einreichen von Beweismitteln oder durch Schilderung der Gründe für das Asylgesuch.
Nach der Anhörung liegt es an der Behörde zu prüfen, ob die asylsuchende Person die Flüchtlingseigenschaften erfüllt. Stellt sie fest, dass die Flüchtlingseigenschaften erfüllt werden und keine Asylausschlussgründe vorliegen, wird der betreffenden Person Asyl gewährt (Khammas 2015). Gemäß Art. 60 Abs. 1 AsylG erhält sie nun eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B), die sie berechtigt, fünf Jahre in der Schweiz zu bleiben. Die Person darf von nun an den Kanton wechseln und ins Ausland reisen (Romer 2015). Es gelten für sie ab diesem Moment in den meisten Lebensbereichen die gleichen Bedingungen wie für Schweizerinnen und Schweizer. Ab Erhalt der Aufenthaltsbewilligung haben anerkannte Flüchtlinge zudem das Recht auf Familienasyl. Dies bedeutet, dass Ehegatten sowie minderjährigen Kindern anerkannter Flüchtlinge ebenfalls Asyl gewährt wird (Art. 51 Abs. 1 AsylG). Weiter soll ihre soziale, kulturelle und berufliche Integration erleichtert werden, weshalb sie Anspruch auf vom Bund subventionierte Integrationsmaßnahmen haben (Romer 2015). Sie können fünf Jahre später eine Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) erhalten. Der Ausweis C berechtigt dazu, dauerhaft in der Schweiz zu bleiben.
Erhält eine Person einen ablehnenden Bescheid (Wegweisungsentscheid), kann dies entweder zur Wegweisung oder zur vorläufigen Aufnahme (Ausweis F) führen. Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sind Personen, die zwar die Flüchtlingseigenschaften gemäß Genfer Konventionen erfüllen, bei denen jedoch ein Asylausschlussgrund vorliegt. Hierunter fallen zum einen die Asylunwürdigkeit (Art. 53 AsylG) und zum anderen subjektive Nachfluchtgründe (Art. 54 AsylG). Letztere entstehen, wenn eine Person erst durch die Ausreise aus ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise Flüchtling im Sinne von Art. 3 AsylG wurde. Der F-Ausweis wird für die Dauer eines Jahres ausgestellt und kann anschließend jeweils für ein Jahr verlängert werden (SFH o. J.b). Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge profitieren von der Integrationspauschale und können an Integrationsmaßnahen teilnehmen. Allerdings unterliegen sie in den Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit sowie bei Reisen ins Ausland strengeren rechtlichen Bedingungen.
Um eine Einschätzung vornehmen zu können, für wie viele Türken und Türkinnen zukünftig die Eingliederung in den Arbeitsmarkt in Deutschland oder in der Schweiz relevant sein könnte, muss zunächst die Entwicklung der türkischen Asylanträge betrachtet werden.
Seit 2013 ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland stark gestiegen und hat im Jahr 2016 ein historisches Rekordniveau von über 700.000 Erstanträgen erreicht (vgl. BAMF 2017). Allerdings begannen Türkinnen und Türken erst nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 in größerer Zahl nach Deutschland zu flüchten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Anzahl der türkischen Asylerstanträge in Deutschland (eigene Darstellung)
Während im Jahr 2016 nur 528 Türkinnen und Türken in Deutschland Asyl beantragt haben, stieg diese Zahl im folgenden Jahr stark auf 8.027 an. Im Jahr 2018 erreichte die Anzahl der türkischen schutzsuchenden Menschen ein Rekordniveau von über 10.000 Erstanträgen (vgl. BAMF 2018). 2019 beantragten bis zum Oktober 9.437 Türkinnen und Türken Asyl (BAMF 2019). Damit beläuft sich die Anzahl der in Deutschland Schutz suchenden Türkinnen und Türken von 2016 bis Oktober 2019 auf insgesamt 28.656. Im selben Zeitraum suchten 1.295.970 Menschen in Deutschland Schutz. Der Anteil der türkischen Asylsuchenden beläuft sich damit auf 2,21 Prozent. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland beträgt 0,034 Prozent.
Die Entwicklung der Asylanträge in der Schweiz verlief im Vergleich zu Deutschland langsamer und kontrollierter. 2015 erreichte die Gesamtzahl mit 39.000 ein Rekordniveau. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 in der Türkei suchten zunächst 526 Türkinnen oder Türken in die Schweiz Asyl. 2017 stieg diese Zahl leicht an auf 852. Die Erstasylanträge türkischer Geflüchteter erreichten im Jahr 2018 mit 1.005 ihren Höchststand. 2019 suchten bis Oktober 956 Türkinnen und Türken Schutz. Seit dem Putschversuch im Jahr 2016 haben insgesamt 3.339 türkische Schutzsuchende in der Schweiz Asyl beantragt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anzahl der türkischen Asylerstanträge in der Schweiz (eigene Darstellung)
Zwischen 2016 und Oktober 2019 betrug die Gesamtzahl der schutzsuchenden Menschen in der Schweiz 71.269. Der Anteil türkischer Asylsuchender an allen in der Schweiz Schutzsuchenden betrug damit 4,68 Prozent, und bezogen auf die Gesamtbevölkerung in der Schweiz sind 0,032 Prozent. Obwohl türkische Asylsuchende in der Schweiz somit einen größeren Teil der Gesamtzahl der Asylbewerber ausmachen als in Deutschland, ist ihr Anteil an der Bevölkerung insgesamt in beide Ländern nahezu gleich. Das zeigt, dass die Zahl der türkischen Asylbewerber in beiden Ländern statistisch gesehen ähnliche demografische Auswirkungen hat.
Im Folgenden werden die türkischen Schutzsuchenden im Hinblick auf die Geschlechterverteilung, die Altersstruktur, den Familienstand, den Bildungsstatus und die beruflichen Qualifikationen näher betrachtet. Die Merkmale der Personen, die aus der Türkei geflohen sind, bietet hier eine gute Grundlage. Nach dem gescheiterten Putschversuch verließen bis 2019 insgesamt 755.518 Türkinnen und Türken ihr Heimatland. Der typische türkischer Auswanderer ist zwischen 20 und 35 Jahre alt. Fast die Hälfte sind Frauen. Es handelt sich überwiegend um gut ausgebildete Fachkräfte vor allem aus der IT-Branche, aber auch um Ärzte und Akademiker (TurkStat 2019). In jüngster Zeit soll eine große Zahl junger Software-Entwickler ins Ausland gegangen sein; inoffiziell heißt es in der Branche, bereits 10 Prozent hätten das Land verlassen – nicht, weil sie in der Türkei keine Arbeit fänden, sondern „weil sie mehr Freiheit und eine bessere Lebensqualität suchen“ (Morgenpost 2018). Neben der rechtlichen Unsicherheit sind insgesamt aber auch Arbeitslosigkeit, eine zunehmende Korruption sowie die Islamisierung des Bildungssystems die ausschlaggebenden Gründe für qualifizierte Türkinnen und Türken, das Land zu verlassen (Morgenpost 2018).
Die europäischen Länder stehen aus wirtschaftlichen, geografischen und gesellschaftlichen Erwägungen für türkische Migranten und insbesondere Asylsuchende an erster Stelle. Insbesondere Deutschland ist das Land, in dem sie am meisten Asyl beantragt haben. Psychologisch nachvollziehbar ist, dass das Ziel einer Flucht ein Ort ist, an dem sich die Betreffenden vor einer Gefahr sicherer fühlen (Thwaites 2005). Deutschland ist seit der Arbeitskräfteanwerbung ab den 1960er-Jahren mit rund 3 Millionen das Land mit den meisten türkischstämmigen Einwohnern in Europa. Hier dürfte einer der ausschlaggebenden Gründe dafür zu sehen sein, dass sich die Mehrheit der türkischen Asylbewerber in Deutschland findet, da sie hier oft Verwandte haben, die ihnen in dem fremden Land und der unbekannten Kultur und Gesellschaft helfen. In dieser Hinsicht geben uns die allgemeinen Merkmale der türkischen Asylsuchenden in Deutschland Aufschluss über ihre demografische Struktur, ihr Bildungsniveau und ihre berufliche Qualifikation.
Während der Asylantragstellung werden in Deutschland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf der Basis von Selbstauskünften sogenannte „SoKo“-Daten („Soziale Komponente“) erhoben. Sie geben einen ersten Überblick über die Qualifikationen und die vorherige Berufstätigkeit der Schutzsuchenden (Heß 2019). Gemäß einer 2018 durchgeführten Studie werden im Folgenden grundlegende Merkmale der Asylerstantragstellenden mit Blick auf Geschlecht, Familienstand und Alter betrachtet.
a. Geschlecht
Die Auswertung der Asylgeschäftsstatistik zeigt, dass die Mehrheit der volljährigen Asylerstantragstellenden männlich war. Laut Abbildung 3 kamen 2018 aus Syrien deutlich mehr Asylantragstellerinnen als Antragsteller. Hingegen waren 68,2 Prozent der Asylsuchenden aus der Türkei männlich und 31,8 Prozent weiblich. Die Türkei ist nach Guinea das zweite Herkunftsland, was den Anteil männlicher Asylbewerber betrifft.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Geschlecht der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländer im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo- Daten, BAMF)
Dieses Ungleichgewicht in der Geschlechtsverteilung wird sich vermutlich in den kommenden Jahren infolge von Familiennachzügen schmälern, bei denen Frauen und Kinder anerkannter Asylbewerber nach Deutschland nachkommen.
b. Familienstand
Mehr als die Hälfte der volljährigen Asylerstantragstellenden aus der „SoKo“-Datenbank war verheiratet. Zudem gaben 42,2 Prozent an, ledig zu sein, bei 6,3 Prozent ist „sonstiger Familienstand“1 vermerkt. Bezüglich der Herkunftsländer fällt vor allem bei Personen aus Syrien der überdurchschnittlich hohe Anteil an Verheirateten auf (67 %). Ab zweiter Stelle stehen hier mit 59,9 Prozent die Asylsuchenden aus der Türkei, während 36,1 Prozent ledig und 6 Prozent einen sonstigen Familienstand angaben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Familienstand der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo- Daten, BAMF)
c. Alter
Abbildung 5 gibt die Altersstruktur2 (von 18 bis 65) der männlichen und weiblichen Asylantragstellenden im Jahr 2018 wieder. Sie ist von jungen Menschen geprägt: Etwa die Hälfte (49,8 %) der Asylsuchenden ist unter 30 Jahre und überhaupt der Großteil der Asylantragstellenden zwischen 20 und 39 Jahre alt. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Herkunftsländern. Der Anteil der jüngsten erfassten Gruppe von 18 bis 19 Jahren ist bei den Schutzsuchenden aus Guinea am größten. Die meisten türkischen Asylsuchenden sind hingegen mit 59,8 Prozent zwischen 25 und 39 Jahre alt. Diese Daten entsprechen den Angaben der Institution der türkischen Statistik (TurkStat) mit Blick auf die internationale Migrationsforschung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Altersverteilung der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo-Daten, BAMF)
Die Frage nach der im Herkunftsland erworbenen Bildung ist für viele Bereiche der Integration in Deutschland relevant. Ein hoher Bildungsabschluss kann dazu führen, dass sich die Chancen auf einen Einstieg in die Erwerbstätigkeit erhöhen. Für die Arbeitsmarktintegration ist zudem relevant, welche beruflichen Qualifikationen die Asylantragstellenden haben, da sie im Falle einer Schutzgewährung länger in Deutschland bleiben und arbeiten werden. Ein hohes Bildungsniveau spielt auf jeden Fall eine große Rolle für die soziale Integration insgesamt wie auch insbesondere für die Arbeitsmarktintegration. Im Folgenden wird untersucht, welches Bildungsniveau und welche berufliche Erfahrung türkische Schutzsuchende in Deutschland aufweisen.
a. Bildungsabschluss im Herkunftsland
Der vom BAMF erstellte „SoKo“-Bericht versucht das Bildungsniveau anhand der Angaben der Asylsuchenden zu ermitteln. Dabei lassen sich aber keine Aussagen über eine potenzielle Anerkennung von Abschlüssen in Deutschland treffen, da nur nach dem höchsten besuchten Bildungsgang gefragt wird wurde, nicht nach dem höchsten Bildungsabschluss oder dem Vorliegen eines Abschlusszeugnisses. Im „SoKo“-Bericht ist das Bildungsniveau wie folgt kategorisiert:
- Hochschule: Universität, Fachhochschule
- Gymnasium: Sekundäre Schulbildung von elf oder mehr Jahren
- Mittelschule: Fachschule, Mittelschule
- Grundschule: Schulbesuch von bis zu vier Jahren, auch Sonderschule
- keine formelle Schulbildung: nicht alphabetisiert, kein Besuch einer formellen Schule
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Höchste besuchte Bildungseinrichtung der volljährigen Asylerstantragstellenden aus allen und den zehn Hauptherkunftsländern im Jahr 2018 (in Prozent) (Quelle: SoKo-Daten, BAMF)
Die volljährigen Asylsuchenden im Jahr 2018 gaben zu 22,9 Prozent an, eine Hochschule besucht zu haben. Weiter 20,3 Prozent haben als höchste Bildungseinrichtung ein Gymnasium besucht. Mit 29,4 Prozent war die häufigste angegebene Bildungseinrichtung eine Mitteschule. 17,3 Prozent besuchten nur eine Grundschule, die übrigen 10,2 Prozent sind ohne formelle Schulbildung nach Deutschland gekommen.
Wie Abbildung 6 zeigt, haben die Asylantragstellenden aus der Türkei eine überdurchschnittlich hohe Bildung. 59,3 Prozent der türkischen Schutzsuchenden haben eine Universität oder eine Fachhochschule besucht. Zusammen mit den 14,5 Prozent, die ein Gymnasium besucht hatten, waren fast drei Viertel der türkischen Asylsuchenden mindestens auf einem Gymnasium. Nur 2,2 Prozent der Personen aus der Türkei haben keine formelle Schulbildung. Insofern kann gesagt werden, dass türkische Asylbewerber eine höhere Bildung vorweisen können als Asylsuchende aus anderen Ländern. Dies dürfte sich auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt positiv auswirken und sowohl die soziale Integration als auch die in den Arbeitsmarkt bei den Asylantragstellenden aus der Türkei vereinfachen.
b. Zuletzt ausgeübter Beruf
Im Rahmen der „SoKo“-Erhebung wurde auch die Berufsqualifikation der Asylsuchenden und ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit untersucht. Hierbei ist zu beachten, dass es schwierig ist, Berufe und die entsprechenden Qualifikationsansprüche in Deutschland mit denen in anderen Ländern zu vergleichen. Außerdem könnte eine geflüchtete Person längere Zeit in einem Transitland geblieben und dort eine berufliche Tätigkeit ausgeübt haben. Aus diesem Grund sind im „SoKo“-Bericht 22 Kategorien vorgegeben, damit Asylsuchende die Kategorien „ohne Arbeit“ und „Hausarbeit, Rente, Schule, Studium“ ergänzen können.
Wird die Berufsverteilung der türkischen Asylantragstellenden näher betrachtet, zählen die meisten zu den sogenannten „White-Collar“-Berufen und sind daher eher im Angestellten- als im Arbeiterbereich zu verorten. Der größte Anteil (19,6 %) der Asylantragstellenden aus der Türkei gab „Lehrende Berufe“ an, gefolgt von „Hausarbeit, Rente, Schule oder Studium“ mit 12,2 Prozent. An dritter Stelle steht mit 8,4 Prozent die Gruppe „Banken, Büro, Versicherung“, an vierter die Gruppe „Ingenieur-, IT-, Elektroberufe, technische Berufe“ (5,9 %) und „Öffentlicher Dienst, Kirche, Öffentliche Sicherheit“ (5,9 %); der Begriff „Kirche“ steht hier möglicherweise für „Moschee“ oder „Gottdienst“. 2,0 Prozent der türkischen Schutzsuchenden sind der Gruppe „Medizinische, chemische Berufe, Unternehmensleitung“ zuzuordnen, während dies bei den Asylantragstellenden aus dem Iran 2,7 Prozent sind.
Hier kommt der Aspekt des Fachkräftemangels in Deutschland wie auch der deutschen Innenpolitik ins Spiel. Deutschland benötigt Fachkräfte insbesondere in der IT- und der Gesundheitsbranche. Deutsche Unternehmen und Organisationen dieser Branchen können somit von türkischen Asylsuchenden profitieren, die meist jung und gebildet sind und zugleich berufliche Erfahrung mitbringen. Dafür sprechen sowohl die Berufsverteilung als auch die Altersstruktur. So sind die türkischen Asylantragstellenden meist zwischen 20 und 39 Jahre alt, was vermuten lässt, dass sie entweder vor kurzem in der Türkei ihr Studium absolviert haben oder bereits berufstätig waren.
[...]
1 Hierunter fallen Personen, die getrennt leben, verwitwet sind, in Lebenspartnerschaft leben oder deren Lebenspartner/Lebenspartnerin verstorben ist.
2 Es muss hier berücksichtigt werden, dass nur Personen über 18 Jahre in die Auswertung eingehen.
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