Masterarbeit, 2021
26 Seiten, Note: 1,0
Vorwort
Einleitung
1 Hilfreiche Definitionen
2 Das Abendmahlverständnis – eine Betrachtung der Quelle
3 Die Geschichte des Abendmahl-Verständnisses
4 Die Vielfältigkeit der Glaubenslehren in den Kirchen
5 Ausgewählte Beispiele des Glaubensvollzugs heute
6 Ökumene heute
7 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Schon als Kind durfte ich erleben, dass die Versammlung der Gottesdienst-Gemeinde um den Altar eine besondere Faszination auf mich ausübte. Als katholisch sozialisiertes Kind und Jugendlicher erlebte ich in der Eucharistiefeier den Höhepunkt der gottesdienstlichen Feier, ohne dass ich wirklich begriffen hatte, warum das so war und ist. Im Laufe der Zeit, in der mein Glaube eher eine Randerscheinung in meinem Leben darstellte, wurde ich immer mehr mit zum Teil tiefgreifenden Unterschieden in der Glaubenspraxis von Christen konfrontiert, die doch, so war ich davon überzeugt, alle dem einen Gott dienen wollten – dies warf immer mehr Fragen statt Antworten auf. Im Laufe meiner Studien und meiner sich entwickelnden Glaubenspraxis auf der Suche nach einer intensiveren Beziehung mit Gott erlebte ich diese menschlich errichteten Fundamente unserer Glaubenslehren und der daraus resultierenden Vielfalt in den Formen der Gottesdienste als faszinierend einerseits, aber schmerzlich trennend andererseits. Zwischenzeitlich diene ich seit fast 17 Jahren als katholischer Diakon mit Zivilberuf im Hören auf und der Verkündigung von Gottes Wort, aber die Hintergründe für die unterschiedlichen Auffassungen zum „Abendmahl“ außerhalb meines katholischen Wirkungskreises blieben mir bislang verborgen. Die vorliegende Arbeit macht sich mit mir zusammen auf den Weg, diesem großen Geheimnis Gottes in seinem Tod und seiner Auferstehung ein Stück weit nachzuspüren und zu erfassen, was es einerseits ist, das uns hält, und warum andererseits so vieles Trennende (noch) so ist, wie es ist.
„Es gibt kaum ein anderes Gebiet christlichen Lebens und christlicher Frömmigkeit, auf dem so viel gestritten und gelitten, so viel gelehrt und gespalten, so viel geglaubt und verzweifelt wurde, als Verständnis und Praxis des Abendmahls“1 – so beginnt 2002 der damalige Vor-sitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) Manfred Kock sein Vorwort einer Orientierungshilfe der EKD zum Thema Abendmahl.
Warum das so ist? Das Verständnis des Abendmahls, einer Eucharistiefeier oder „Mahlhal-tens“ bildet in den christlichen Kirchen seit Anbeginn des Christentums DEN zentralen Bestandteil und die Wurzel und Quelle unseres Glaubens. Und schon in diesem ersten Satz wird dem Leser klar, dass das Wort „Abendmahl“ nicht alleine dasteht und einer Erklärung bedarf. Daher beschäftigt sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit mit hilfreichen Defini-tionen (1.), um in der Wortwahl und den folgenden Kapiteln einig und klar vorgehen zu können.
Wenn Gott sich selbst für uns gegeben hat durch seinen Sohn, dann müssen wir, bevor wir die Geschichte des Abendmahlsverständnisses (3.) betrachten, uns zuvor zwingend mit der Quelle aller Überlegungen beschäftigen – woher schöpfen wir unsere Hoffnung, wie hat Gott sich uns Menschen gezeigt und was hat dies für Folgen für die Feier des Abendmahls? Wir betrachten also die Quelle – das Abendmahlsverständnis (2.).
Es ist nur logisch, dass eine mehr als 2000-jährige Geschichte der Kirche seit der Einsetzung der Eucharistie durch Jesus Christus, den Gottes Sohn, auch zu einer Vielfältigkeit in den Glaubenslehren in den Kirchen (4.) geführt hat. Hierbei sollen wichtige kirchliche Zeugnisse der römisch-katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Kirchen in den Blick genommen werden. Keinesfalls hegt diese Übersicht den Anspruch auf Vollständigkeit der kirchlichen Lehren in ihrer Gesamtheit. Das Thema ist bei weitem zu komplex, um dies in der gebotenen Kürze dieser Arbeit vollumfänglich darstellen zu können. Gleichwohl soll dieser kleine Überblick ein Hinweis darauf sein, wo sich die Hindernisse und das Trennende entwickelt hat, wo aber auch Gemeinsamkeiten sind, die beim Blick auf die Ökumene heute (6.) im letzten Kapitel nochmals näher herausgearbeitet werden sollen.
Zuvor werden in ausgewählten Beispielen des Glaubensvollzugs heute (5.) bestimmte Ausdrucksformen unter die Lupe genommen, die die Gemeinde der unterschiedlich herausge-bildeten Kirchen konkret betreffen: Wie und was feiern wir richtig, wer steht dieser Gottesbe-gegnung eigentlich vor usw.?
Noch einmal sei an dieser Stelle betont: Diese Arbeit macht sich auf den Weg, Trennendes und Gemeinsames auszugsweise von der Quelle her zu er- und begreifen. Über Jahrhunderte haben außergewöhnlich begabte und begnadete Menschen zum Teil einen Großteil ihres Lebens damit verbracht, dem wahren und rechten Glauben nachzuspüren. Auch die hierzu vorzufindende Literatur ist ebenso weit gefächert wie überwältigend. Deshalb ist die vorlie-gende Literaturauswahl und letztlich die gesamte Arbeit „als das, was ich erfassen kann, nur ein Funke seiner Fülle“ zu verstehen, wie Gott im Verhältnis zum Menschen in dem Lied „Im einfachen Sehn“ (Gospel Forum, Album: König der Ehre, 2012) gesehen und besungen wird.
Durch die Geschichte des Christentums hindurch haben sich selbst die Begriffe für den Kern unseres Glaubens verändert. Alle diese Begriffe sind wohl überlegt und haben seine Berech-tigung und ihren Platz in der jeweiligen Kirche. „Die orthodoxen Kirchen, die römisch-katholische Kirche und die anglikanische Gemeinschaft sprechen mit Paulus von Tarsus
(1 Kor 11,24) … hauptsächlich von Eucharistie. Andere Begriffe sind Altarsakrament, Messopfer oder, … Kommunion. Die evangelischen Kirchen sprechen von Abendmahl. Sie identifizieren es so mit dem letzten Abendmahl Jesu am Vorabend seines Todes… . Oft spricht man hier … auch vom Herrenmahl.“2 Betrachten wir uns die in diesem Zitat genannten Begrifflichkeiten, ist zunächst allen gemeinsam die ereignisstiftende Dimension Jesu beim „letzten Abendmahl“, die es in Kapitel 2 noch zu betrachten gilt. Viele Gedanken und theologische Betrachtungen gelangen in der Folge der Zeit durch die Ausdeutung dieser Kern-Handlung zu unterschiedlichen Begrifflichkeiten auf der Grundlage ihrer je eigenen Auslegung. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des „Abendmahls“ verwendet, da er aus Sicht des Verfassers der weitreichendste und alle anderen Begriffe mit einschließende Ausdruck für das Geschehen damals und heute darstellt. Der Begriff „Abendmahl“ stellt eine Verbindung her zwischen der Eucharistie als Gedächtnismahl und einem Gemeinschafts-mahl, das auch Agape mahl genannt wird.3 Im Folgenden soll auch auf den Begriff der Eucharistie und der Agape noch näher eingegangen werden.
Zunächst scheint der Begriff Eucharistie gleichbedeutend mit dem Begriff des „Abendmahl“ zu sein. Vor allem die römisch-katholische Kirche verwendet diesen Begriff statt des Abendmahls-Begriffs. Von seiner griechischen Wurzel her kann eucharisteo mit „Danksa-gung“ übersetzt werden – Danksagung für den Opfertod Jesu Christi am Kreuz. „Wer Eucharistie feiert, tritt also in das Gedenken dessen ein, der für andere da war und ist – in der Bereitschaft, sich in der Begegnung mit ihm selbst verwandeln zu lassen“4. In der Eucharistie wird zudem das Sterben und die Auferstehung als Heilszusage verkündet.5 Das II. Vatikanische Konzil hat dies so formuliert: „„Die Eucharistie ist der Höhepunkt allen Heilsgeschehens:“ Sie ist auch Höhepunkt und Mitte unseres Lebens. Denn hier bringen wir unser Leben ein, uns selbst, unser Arbeiten und Leiden, unsere Freude, …“.6 Diese Aspekte bilden nach dem Verständnis vieler evangelischer Kirchen aber nur unzureichend oder verzerrt das Geschehen des Abendmahls ab. Insbesondere der Opfer-Charakter des Handeln Jesu wird in den evangelischen Lehren etwas anders dargestellt. Daher soll im Folgenden noch kurz auf die Bedeutung des Opfer s eingegangen werden.
Die Opfer-Theologie ist ein komplexer Aspekt göttlicher Wirkmacht für und an den Men-schen. Da in der Folge dieser Arbeit diese Blickweise nur am Rand beleuchtet wird, ist hier der richtige Ort, um den Begriff „Opfer“ aus dreierlei Sicht zu beleuchten:
Erstens ist der Tod Jesu als ein Opfer im übertragenen Sinne zu sehen – also als ein Akt der völligen Hingabe Jesu an und in Gott, denn Jesus erfüllt so den Willen des Vaters (vgl. Mk 14,36).
Zweitens ist der Tod Jesu ein Opfer im eigentlichen Sinne: In Jesus Christus opfert Gott sich selbst durch seinen Tod am Kreuz für die Sünde der Menschheit.
Drittens stellen vor allem die Apostel Paulus und Johannes (vgl. Röm 3,25 und Joh 2,2) im Neuen Testament den Tod Jesu als Sühnopfer dar und beziehen sich dabei auf den Propheten Jesaja, der voraussagte, dass der Messias „um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen wurde“ (Jes 53,5). Jesus nahm also stellvertretend für die Schuld des Volkes Israel und der ganzen Welt für deren Vergebung Leid auf sich. Aufgrund der Verstrickung des Menschen in Sünde und Schuld war eine Erlösung aus eigener Kraft nicht mehr denkbar und brauchte das Eingreifen und sühnende Verhalten von Gott selbst, stellvertretend für jeden einzelnen Menschen, um diesen wieder in Verbindung mit Gott bringen zu können.7
Alles das tat Gott nur aus einem Grund – aus Liebe. Das führt uns zu dem letzten der hier zu klärenden Begriffe, der bereits unter 1a angeklungen war – der Agape.
Unter Agape (griechisch: Liebe) können wir „die göttliche oder von Gott inspirierte uneigennützige Liebe“8 verstehen. Gottes Liebe ist also bedingungslos, einseitig, nicht auf eine Antwort des Menschen ausgerichtet und gleichzeitig für den Menschen befreiend wirkende Liebe. Diese interessenlose Liebe geht sogar so weit, dass Jesus uns vorlebt, sogar unsere Feinde zu lieben (Mt 5,44). Der emeritierte Papst Benedikt XVI. bezeichnet in seiner 2005 erschienenen Enzyklika „Deus Caritas est“ den Begriff der Agape-Liebe auch als eine Bezeichnung für das Sakrament der Heiligsten Eucharistie.9 Im Begriff der Eucharistie finden wir wiederum das Abendmahl – und damit schließt sich der Kreis zu den in diesem Kapitel beleuchteten Begriffen.
Aus Sicht der römisch-katholischen Kirche vollzieht sich nach Ansicht von P. Hans Buob in der Liturgie des Gottesdienstes ein „Geschehen, bei dem sich vollzieht, was gesagt wird.“10 Während die spezifischen Lehren der Kirchen unter 2c und in Kapitel 4 nochmals näher unter die Lupe genommen werden sollen, scheint mir hier wichtig, zunächst „kirchenneutral“ die Einsetzungsworte, die auch Wandlungsworte oder „Hingabegebet“11 genannt werden, zunächst einmal von ihrer Wortbedeutung her zu betrachten.
„ Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird “ – und –
„ Das ist mein Blut, das für Euch und für alle / viele vergossen wird …“.
Diese Worte finden sich in allen synoptischen Evangelien (Mk 14, Mt 26 und Lk 22) sowie im 1. Korintherbrief (1 Kor 11), wobei Letzterer als die älteste literarische Fassung gilt – entstanden etwa 54 n.Chr.
Während die Evangelisten Markus und Matthäus das Abendmahlgeschehen in die Leidens-geschichte (=Passion) Jesu integrieren, verbindet der Apostel Lukas das Geschehen zusätzlich mit dem Passahmahl (siehe 2b). Beim Evangelisten Johannes (Joh 6) findet sich kein direkter Einsetzungsbericht, sondern ein als Brotrede bekannter Passus, der durch die Fußwaschung Jesu als Liebesakt und –gebot ergänzt wird.12 Diese Brotrede findet sich im Anschluss an die berühmte Speisung der 5.000, in gewisser Weise auch einem anderen Mahl, das hier stattfand.13
Betrachten wir nochmals die synoptischen Evangelisten etwas näher. M. Kähler sagt14, dass das Markus-Evangelium eine „„Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung““15 sei. Hier wird also der Schwerpunkt auf die Bedeutung des Leidens und Sterbens Jesu hervorgehoben. Matthäus hebt Jesu konsequenten Weg als „Weg der Gerechtigkeit“ (Mt 3, 15) hervor. Jesus blickt auf seine Vollendung voraus und wird dabei zu einem Leit- und Vorbild für die ihn begleitenden Jünger. Der Evangelist Lukas wiederum beschreibt, was genau Jesu Sieg über den Tod für die Gemeinde der Glaubenden bedeutet. Jede Mahlfeier ist für Lukas ein Zeichen für Jesu Sieg über den Tod und für die himmlische Vollendung – wenn wir also an den Tod Jesu denken, so wird es immer auch ein „Auferstehungs-Mahl“16 sein.17
Wie bereits unter 2a kurz angerissen, stellt der Evangelist Lukas in seiner Darstellung des letzten Abendmahls eine Verbindung zum Passahmahl des jüdischen Volkes her. Hier lohnt es sich, einmal auf die Ursprünge und die Bedeutung des Passahmahles zu reflektieren, denn es scheint so, als würden beide „Mahle“ in einer besonderen Beziehung zueinander stehen. Erwächst hieraus vielleicht auch eine besondere Beziehung zwischen Juden und Christen?
Von seiner Wortbedeutung her (hebräisch: pesach) heißt das Wort zunächst so viel wie „abprallen“ oder „wegstoßen“. Der Passahritus beinhaltet von seinem Ursprung her daher zunächst weder Opfer noch Sühne noch irgendeine Verbindung zu Gott.
Der Ritus galt zunächst als ein Schutzritual vor verderbenbringenden Mächten (=Dämonen) und wurde im Rahmen einer Familienfeier begangen. Erst im Zuge der sogenannten josianischen Reform (ab 622 v.Chr.) wuchs der Passahritus mit dem Erstlingsopferfest zur Zeit der Gerstenernte, dem Mazzot-Fest, zusammen. Zusammen mit der Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten und dem wirkmächtigen Einschreiten Gottes zur Befreiung seiner Volkes aus der Sklaverei, das im Buch Exodus (=2. Buch Mose) beschrieben wird, wandelte sich das Passahfest zu einem Fest der Erinnerung.
Gott offenbarte in diesem Wirken an seinem auserwählten Volk nicht nur sein Heil, nein, durch Gottes Handeln schuf er sich erst überhaupt SEIN Volk Israel.18 „Bei der Feier des Passahmahles bestand die Sinngestalt jedoch „nicht bloß darin, menschliche Erinnerung zu verorten, sondern im Passa eröffnete Gott aus lauter Gnade einen Raum, in dem er selbst, der Erlöser, sich Israel zu dessen Heil in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft band, es sich selbst zu seinem Volk erwählte.““19
Wie feiert das jüdische Volk heute noch das Passahfest? Im Judentum feiert die Familie zu Hause während der einwöchigen Gedenkfeier im Frühling (meist Mitte April) zum Auftakt ein „seder“, ein abendliches Festmahl. Es geht dabei zurück auf die Schilderung in Ex 12, 3-20 (Bestreichen der Türpfosten mit dem Blut des Lammes, Essen des Lammes mit bitteren Kräutern und ungesäuertem Brot…). Jedes Familienoberhaupt liest hierzu die Erzählung vom Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten, spricht ein Segenswort über das Opferlamm, das ungesäuerte Brot, die Bitterkräuter und den Wein – und verteilt alles im Anschluss an die Anwesenden. In dieser Tradition feierte Jesus mit seinen Jüngern das jüdische Sedermahl.20
Neben dem Passahmahl ist aber auch noch ein weiterer Bericht von Bedeutung, den wir in
Ex 24, 1-11 finden: Dort wird berichtet, dass Moses anlässlich des Bundes Gottes mit seinem Volk (=Übergabe der zehn Gebote) ein Opfer darbringt und das Volk anschließend mit dem sog. Blut des Bundes besprengte. Danach steigen Moses, der Hohepriester Aaron und 70 Älteste auf den Berg Sinai, so sie ihrem Gott begegnen. Und als sie ihn gesehen hatten, so wird berichtet, aßen und tranken sie. In diesem Abschnitt sind auch die für das Abendmahl wesentlichen Elemente enthalten: Bundesschluss, Opfer, Mahl. Das Mahl wird so zu einem Symbol eines Freudenfestes.21
Viele Mahlzeiten hat Jesus gefeiert. Im Abschiedsmahl speziell knüpft Jesus an die rituellen Gebräuche einer Mahlzeit (also zum „Satt-Werden“ im physischen Sinne) an.22 Jedoch fehlt den Berichten der Evangelisten die Erwähnung des Lammes, der Bitterkräuter und des ungesäuerten Brotes, die wir vom festgefügten Ritus des Passahmahles kennen. Sicher ist, dass die Tradition des Passahfestes auch das letzte Abendmahl Jesu beeinflusste, „Man sollte aber nicht zu viel Gewicht auf die Beziehung des Abendmahl(s) zum Passa legen.“23
Jedoch bedeutet sowohl die Passahfeier wie auch die Feier des Abendmahles eines sicherlich: Die Zusicherung Gottes von Heil im Sinne einer erlösenden Befreiung des Menschen aus der Macht der Sünde durch SEIN wirkmächtiges Handeln. Im Passah-Geschehen zeigt sich dies in der Bewahrung des Volkes Israels vor den (äußeren) Gefahren durch die Ägypter, im Abendmahl als Bewahrung vor der Gefährdung der Gemeinschaft mit Jesus durch äußere Anfeindungen und innere Abspaltungen vom Glauben an Gott.24 Insofern ergeben sich wiederum Spuren Gottes, die eine gemeinsame Wurzel, die Handschrift Gottes, in sich tragen.
Im Neuen Testament lesen wir, wie oben bereits kurz angerissen, von vielen Mahlzeiten, die Jesus mit Pharisäern, Zöllnern, hoch geachteten Personen der jüdischen Gesellschaft, aber auch mit den Verachteten dieser Gesellschaft (z.B. Prostituierten) zusammen einnahm. Viele luden ihn ein – zu anderen ging er selbst hin und lud sich sozusagen selbst ein.
Jesus praktizierte das, was wir heute unter den Begriffen „Mahlgemeinschaft“ und „Hausbesuchen“ zusammenfassen würden. Diese „Suche“ nach Gemeinschaft mit anderen Menschen brachte ihm auch Kritik ein. In Mt 11,19 lesen wir hierzu, bestimmte Kritiker Jesu hätten ihm nachgesagt, er sei ein Fresser und Weinsäufer und nur ein Freund der Zöllner und Sünder gewesen.25
Während viele Mahlzeiten auch in unserem Alltag heute nicht mehr in Erinnerung bleiben (erinnern sie sich zum Beispiel noch daran, was sie vor zwei Wochen zum Mittagessen hatten…?), prägte das letzte Abendmahl Jesu das gesamte Christentum – bis heute.
Im Anschluss an die Wandlungsworte (siehe 2a) spricht in der Regel der Vorsteher des Abendmahls: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ – es spricht also von einem Handeln aus der Erinnerung heraus.
Diese Erinnerung ist, so P. Hans Buob, auch eine „Gehorsamserklärung der Kirche“.26 Die Kirche feiert hier Jesu Gehorsam bis zum Tod in unserem ihrem und unserem Gehorsam Gott gegenüber – weil es Gott so gewollt hat, und nicht etwa, weil wir als SEIN Volk besonders würdig wären.27 Und anders als bei einer „normalen“ Mahlzeit ist die Wirkung dieser Gedächtnisfeier vielfältig, durchgreifend und bleibt in Erinnerung.
In dieser Gedächtnisfeier des Abendmahls zeigen sich, so P. Buob, drei verschiedene Gegenwartsweisen Jesu - nämlich die Gegenwart des Leibes Jesu in seiner Kirche, die Gegenwart im Wort Gottes und in der Eucharistie (also dem Geschehen der Feier) selbst.28
Neben der Gegenwart Gottes im Abendmahl zeigt sich aber zugleich eine entschiedene Form der Entäußerung Gottes: „Bei der Menschwerdung war er (Anm. d. Verf.: Jesus, der Sohn Gottes) immerhin Mensch. Als er gestorben war, war er immerhin noch ein toter Leib. In der Eucharistie hingegen ist er nur mehr eine leblose Sache: Brot und Wein. Er hat sich hier entäußert in eine tote Sache hinein, hat Brot und Wein zu seinem Leib und Blut gemacht… Eine darüber hinausgehende Entäußerung Gottes ist nicht mehr denkbar. Wohin sollte er sich denn noch entäußern?“29 Was Gott hier tut, ist mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen. Zu begreifen, dass Gott dies tat und immer noch tut aus Liebe zu uns Menschen, konnte und kann sich der Mensch allein nicht ausdenken. Einem solchen Gott kann man nur im Glauben begegnen – und genau diese Begegnung geschieht im Abendmahl.30
Die Begegnung mit Gott, die Begegnung der unfassbaren Liebe Gottes zu uns Menschen nimmt uns aber nicht nur hinein in seine Gegenwart, sie nimmt uns auch hinein in die geschichtliche Einbettung SEINES Volkes im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft:
Der Tod Jesu, dessen Gedächtnis wir im Abendmahl begehen, nimmt uns zuallererst hinein in das Geschehen in der Vergangenheit. Damals wurde das Volk vor dem Zorn Gottes bewahrt, als es das Blut des Lammes an die Türpfosten ihrer Häuser strich, bevor der Racheengel Gottes in dieser Nacht vorüberzog und alle Erstgeborenen an Mensch und Vieh bei den Ägyptern tötete. Gott brachte so Befreiung seines Volkes und den Beginn der Reise in das verheißene Land (vgl. Buch Exodus). So wie damals das Volk durch das Blut gerettet wurde, so geschieht es auch im Abendmahl (immer) wieder. Das Heil der Menschen heute ist also eingebunden in das geschichtliche Handeln Gottes – es ist nicht an einem Ereignis festzumachen, sondern als zeitlos durch die Zeiten anzusehen. Das Abendmahl ohne die Rückbesinnung auf das Passahmahl und den Rückbezug auf die Geschichte des Volkes Israel zu betrachten, wäre mit Blick auf das zeitlose Heilshandeln Gottes undenkbar. Der Tod Jesu entfaltet also erst in der Rückbesinnung in die Vergangenheit eine erlösende und befreiende Kraft.
Diese Taten Gottes in der Geschichte kommen uns in der Gegenwart zugute. So wie der einmal geschlossene Ehebund zweier Menschen sich im Hier und Jetzt in einer bleibenden täglichen Verbindung der Eheleute zeigt, so schafft auch das Wort und Handeln Jesu von damals eine bleibende Realität. So wie damals das Volk Gottes, so versammelt sich auch heute noch die „Familie“ Gottes zur Erinnerung an Gottes große und heilbringende Taten. Die Gemeinschaft mit Christus und unter den Christen untereinander gehört untrennbar zusammen. Jesus ermöglicht ja geradezu erst die Existenz des sich versammelnden Volkes heute. ER ist es, der uns im Mahl im Jetzt und heute eine geistliche Wegzehrung reicht.31
Die Gegenwart Gottes steht aber immer auch im Zeichen der Zukunft der Zeiten. Gott hat verheißen, dass er wiederkehrt auf die Erde. Also steht die Feier der Gegenwart Gottes im Abendmahl immer auch im Zeichen einer Erwartung und einer Art Vorfreude auf das, was da in der Fülle der Zeiten kommen wird. Im Licht von Tod und Auferstehung erahnen wir schon etwas von der noch ausstehenden Vollendung der Wege Gottes.32 Das Abendmahl wird so, anders ausgedrückt, ein „Ausdruck der sich realisierenden Eschatologie, der hereinbrechenden Gottesherrschaft.“33
Das Abendmahls-Verständnis hat sich durch die Jahrhunderte der Geschichte seit der „Stiftung“ durch den Sohn Gottes so manchen gesellschaftlichen Strömungen und Denkweisen „angepasst“. Schon früh, so werden wir im Folgenden sehen, war die Feier des Abendmahles eher uneinheitlich. Manche Theologen versuchten daraufhin, das Abendmahls-verständnis nicht von seiner Feier und geschichtlichen Ausprägung her, sondern von anderen Quellen der Bibel her zu erschließen, um so den Versuch zu wagen, das „richtige“ Verständnis aufzuspüren. So versuchte sich Sandvik 1970 unter anderem in einer völlig neuartigen Herangehensweise, um eine Abendmahlstheologie von der Wurzel her zu begründen. Er unternahm den Versuch, das Abendmahl anhand der beiden Grundbegriffe „Maranatha“ (übersetzt etwa „der Herr wird kommen“ oder „komm, Herr Jesus“), wie wir sie in 1Kor 16,22 und in Offb 22,20 finden34, und „Hosanna“ zu verorten35. Mk 11, 1-11 lässt uns wissen, dass die Leute Jesus beim Einzug in Jerusalem dieses Wort des Jubels zuriefen.36 Darüber hinaus sammelt Sandvik Bibeltexte, um den Begriff des „Tempels“ in Bezug zu der Vorstellung der (versammelten) Gemeinde als Tempel Gottes zu deuten.37
Alles in allem bleibt aber festzustellen, dass sich das Abendmahlsverständnis in unterschied-liche Richtungen entwickelt hat. Später werden wir bei der Betrachtung der Ökumene (siehe 6.) aber explizit auf das alles Verbindende, den Kern aller Bemühungen einzugehen haben. Bei allen Nuancen des Denkens und dem Trennenden und Spaltenden, das sich im Laufe der Geschichte entwickelte –nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame ist Gottes Wille, „…dass alle eins seien“ (Joh 17,21), so wie es Jesus beim Vater für die, die an ihn glaubten, erbat.
Wer meint, die Urgemeinde sei mit Blick auf den erst vor kurzer Zeit von der Erde erhöhten „leibhaftigen“ Herrn in ihrer Tradition der Zusammenkunft und Gedächtnisfeier einheitlich gewesen, der muss bereits an dieser Stelle enttäuscht werden. „Statt von ursprünglicher Einheit sei von ursprünglicher Vielfalt auszugehen, … .“38 Das Abendmahl, so können wir erfahren, wurde bereits hier auf verschiedene Art und Weise gefeiert. Selbst die Wandlungs- oder Einsetzungsworte (siehe 2a) rückten erst im 2. Jahrhundert in das Zentrum der Feier.39
Die urchristliche Form der Abendmahlsfeier dürfte wohl ein festliches Mahl zum Feierabend über einen längeren Zeitraum gewesen sein – also ein Sättigungsmahl als ganzheitliche Feier, ohne die Trennung in eine Abendmahlfeier und eine übrige Mahlzeit.40 Die Abendmahlsfeier entspricht hier dem Begriff der Eucharistie, die gemeinsam gehaltene Mahlzeit der Agape.41 Hätte es nicht im damaligen Korinth Schwierigkeiten bei der Mahlfeier gegeben, so hätte der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief wohl auch nicht die Veranlassung gesehen, Auskunft über die (anscheinend) gängigen Bräuche der Liturgie zu geben, über die ansonsten kein Wort zu verlieren gewesen wäre.42
Die Didache, eine Sammlung von Quellen und Traditionen der jungen Kirche, die man wohl als eine erste Kirchenordnung bezeichnen könnte, wird auf das ausgehende 1. Jahrhundert nach Christus datiert. Kapitel 9 und 10 widmen sich dabei der Feier des Abendmahls. Neben den Voraussetzungen für die Teilnahme an der Feier des Abendmahls (nämlich Taufe und Heiligung) findet sich hierbei weder ein Bezug auf die Wandlungs- oder Einsetzungsworte43, noch ein expliziter Bezug auf das Pascha-Mysterium.44 Der Schwerpunkt wird auf Gebete vor und nach dem Mahl gelegt. Erst in der „Traditio Apostolica“ aus dem frühen 3. Jahrhundert, die Hippolyt als Verfasser nahe legt, nimmt diese Abhandlung erstmals Bezug auf Jesu Tod (nicht nur auf seine Auferstehung) und die Wandlungsworte spielen nun eine zentrale Rolle.
Zuvor hatte Justin (100-165) erstmals einen Bericht über den Ablauf und die Wesensbedeu-tung des Abendmahls verfasst. Er spricht darin von einer wöchentlich abgehaltenen Feier, damit die Teilnehmenden geistlich und körperlich gestärkt werden sollten – eine Lehre von der Wandlung der Elemente, wie wir sie später finden (siehe 3b), findet hier noch keine Anwendung.
Im 3./4. Jahrhundert schließlich findet sich durch Cyprian von Karthago erstmals eine Aussage darüber, dass das einmalige Opfer Jesu Christi im Abendmahl gegenwärtig wird. Erstmals wird auch erwähnt, dass der Priester allein, als Vorsteher der Feier, das Opfer Jesu in seiner Person nachvollziehe. Die Feier war eine Feier der Gemeinde, die in unregelmäßigen Abständen stattfand. Nur die Getauften durften zum Abendmahl hinzutreten – und das war zu diesem Zeitpunkt die Minderheit der versammelten Gemeinde.45
[...]
1 10, S. 7
2 14, S. 4
3 Vgl. 6, S. 2
4 1, S. 5
5 Vgl. 14, S. 1
6 4, S. 35
7 Vgl. 10, S. 40f
8 13, S. 1
9 Vgl. 13, S. 1-3
10 4, S. 47
11 4, S. 46
12 Vgl. 6, S. 3
13 Vgl. 9, S. 63
14 Vgl. 9, S. 59
15 9, S. 59
16 9, S. 61
17 9, S. 60f
18 Vgl. 2, Nr. 3.1 – 3.2 (ohne Seitenangaben)
19 2, Nr. 3.2.2 (ohne Seitenangaben)
20 Vgl. 14, S. 2
21 Vgl. 9, S. 44
22 Vgl. 2, Nr. 5.1 (ohne Seitenangaben)
23 9, S. 50
24 Vgl. 2, 5.2 (ohne Seitenangaben)
25 Vgl. 9, S. 41
26 4, S. 33
27 Vgl. 4, S. 33
28 Vgl. 4, S.44
29 4, S. 44
30 Vgl. 4, S. 45
31 Vgl. 9, S. 67-69
32 Vgl. 9, S. 69f
33 9, S. 70
34 Vgl. 11, S. 13-22
35 Vgl. 11, S. 37-43
36 Vgl. 11, S. 41
37 Vgl. 11, S. 53-98
38 8, S. 22
39 Vgl. 6, S. 4
40 Vgl. 9, S. 48
41 Vgl. 5, S. 3
42 Vgl. 8, S. 23
43 Vgl. 6, S. 4
44 Vgl. 8, S. 23
45 Vgl. 6, S. 4f
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