Bachelorarbeit, 2021
43 Seiten, Note: 2,0
Gender-Disclaimer
1. Einleitung
2. Nationalismustheorien
2.1 Begriffsklärung Nation und Nationalismus
2.2 Benedict Andersons Nationalismustheorie
3. Der Panarabismus
3.1 Theorie des Panarabismus
3.2 Historische Entwicklung des Panarabismus
3.3 Nasserismus
3.4 Scheitern des Panarabismus
4. Einfluss der Palästinafrage auf das Scheitern des Panarabismus
4.1 Der Sechstagekrieg
4.2 Integrationsproblematik der palästinensischen Geflüchteten
4.3 Grenzen des Panarabismus
5. Scheiterungsprozess unter Bezugnahme Benedict Andersons Theorie
5.1 Einfluss der Palästinafrage
5.2 Mangelnde Identität
5.3 Bedingt gemeinsame Sprache
5.4 Fehlende Souveränität
5.5 Fehlende Gleichheit
5.6 Zwischen Nationalismus und Supernationalismus
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Die in der Arbeit verwendete Genderform ist der Gender-Doppelpunkt. Diese Methode wurde gewählt, um neben der weiblichen und männlichen Form auch weitere Geschlechteridentitäten typografisch sichtbar zu machen und miteinzubeziehen. Der Gender-Doppelpunkt gewährleistet ebenfalls eine Lesbarkeit für Sehbehinderte.
Die Situation in der arabischen Welt wirkt so prekär wie nie. Wir nehmen sie durch die Medien oftmals wahr als einen ständigen Strudel aus Kriegen, zerstörten Städten oder unmenschlichen Zuständen. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen Ausschnitt und eine Momentaufnahme. Es wäre fatal, die arabische Identität auf Bürgerkriege zu reduzieren. Diese Arbeit möchte deshalb ein anderes Kapitel der arabischen Politik und die arabische Identität des 20. Jahrhunderts beleuchten. Prägend in dieser Zeit war der Panarabismus, der arabische Nationalismus. Er ist ein nationalistisches Konzept mit sozialistischen Zügen und dem Ziel der Vereinigung aller arabischen Länder zu einem gemeinsamen Staat. Der Panarabismus erlebte Anfang des 20. Jahrhunderts nach dem ersten Weltkrieg durch den Fall des osmanischen Reiches und die anschließende kurze Periode der britischen und französischen Kolonialherrschaft einen politischen Aufschwung.
Heute gilt der Panarabismus als gescheitert. Ihm wird wenig Interesse entgegengebracht. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Gründen des Scheiterns. Genauer: Mit dem Einfluss der Palästinafrage auf diese Entwicklung. Die Palästinafrage ist als grundlegende Frage über die Zukunft eines möglichen palästinensischen Staates mit verschiedenen Möglichkeiten der Ausführung oder auch als Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina zu verstehen. Dieser ungeklärte Konflikt hat trotz - im Vergleich mit anderen Konflikten in der arabischen Welt, wie der humanitären Krise im Jemen - geringer Opferzahlen und geringer humanitärer Belastung weitreichende politische Auswirkungen auf die gesamte Region genommen. So scheint auch der Panarabismus durch die Palästinafrage beeinflusst, da dieser nach dem Sechstagekrieg mit einer Niederlage für die arabischen Armeen und der damit einhergehenden Zuspitzung der Unlösbarkeit der Palästinafrage für die arabischen Staaten, deutlich an Einfluss verlor.
Zunächst soll in dieser Arbeit der Einfluss der Palästinafrage durch Primärliteratur belegt werden. Jedoch war es innerhalb des Umfanges kaum möglich, entsprechende Primärliteratur zu finden, da auch die Aufarbeitung der panarabischen Bewegung nur gering stattfand und der Zugriff nur beschränkt möglich ist. Da die Klärung der Frage, ob die Palästinafrage einen signifikanten Einfluss auf das Scheitern des Panarabismus genommen hat dennoch wichtig erscheint, um die Dynamik der arabischen Region besser zu verstehen und den komplexen Nahost-Konflikt in seiner Einflussnahme einordnen zu können, wird eine theoriebasierte Annäherung an den Forschungsgegenstand vorgezogen.
In der Literatur wird der Niedergang des arabischen Nationalismus weitestgehend als Literaturrecherche behandelt. Es fehlen auch dort größtenteils Primärquellen, ebenso wie eine grundlegende Auseinandersetzung mit dieser Thematik in der arabischen Welt. Auch liegt eine theoriebasierte Analyse des panarabischen Konzeptes bislang nicht vor. Dazu möchte diese Arbeit einen ersten Anstoß erbringen.
Ausgangslage ist der Gedanke, dass die Palästinafrage einen signifikanten Einfluss auf das Scheitern der panarabischen Idee genommen hat, da Ereignisse, die die Unfähigkeit zur Zusammenarbeit und Staatenbildung der arabischen Staaten gezeigt haben mit ihr in Verbindung stehen. Durch die Palästinafrage zeigt sich die Unvereinbarkeit der Theorie des Panarabismus mit seiner tatsächlichen Umsetzung, aufgrund fehlender Elemente, die für eine arabische Nation und ihr Nationalbewusstsein elementar sind.
Der Einfluss der Palästinafrage wird in dieser Arbeit durch einen Vergleich mit einer Nationalismustheorie und dessen Indikatoren analysiert. Verglichen wird dabei die Theorie zur Konzeptionalisierung einer Nation von Benedict Anderson aus seinem Buch „Imagined Nations" (1983). Dieses Konzept wurde gewählt, weil Andersons Theorie in der Nationalismusforschung etabliert ist und es ein Grundgerüst für die Bildung von Nationen darlegt, das nicht auf Rassismus und Ausgrenzung, sondern dem einer Kultur und einem integrativen Prozess aufbaut. Der Panarabismus, der sich in dem zeitlichen Abschnitt, der in der Arbeit thematisiert wird, am westlichen Nationalismus orientierte, fußt ebenso auf diesem Prinzip, was einen Vergleich ermöglicht.
Die Schlüsse der Arbeit basieren zunächst auf einer Literaturanalyse, anhand derer deduktiv die These überprüft wird. Die Klärung der Forschungsfrage beginnt mit der Einführung in die Nationalismustheorie und der Definition relevanter Begriffe.
Anschließend wird explizit auf die Theorie von Anderson Bezug genommen. Es folgt eine Darlegung des theoretischen Konzeptes des Panarabismus mit dem Fokus auf den Zeitabschnitt nach dem zweiten Weltkrieg. Davon ausgehend wird die historische Grundlage des panarabischen Nationalismus in einem knappen Aufriss zusammengefasst, um einen Überblick zu vermitteln und die praktische und politische Auslebung zu erfassen. In diesem Abschnitt wird zusätzlich ein Zeitstrahl niedergeschrieben, der das Scheitern der Bewegung, vorerst unter Ausschluss der Palästinafrage darlegt. Im nächsten Kapitel werden die Einflussmomente der Palästinafrage isoliert betrachtet. Beide Ausführungen werden im Analysekapitel auf die Konzeptionalisierung der Nationalismustheorie von Anderson bezogen und verglichen, um Schwächen und Problematiken im Konzept des Panarabismus, sowie Divergenzen zur Realität aufzuzeigen. Im nächsten Analyseschritt wird das Ergebnis des Vergleichs bewertet, um festzustellen, ob die Palästinafrage einen signifikanten Einfluss genommen hat oder ob weitere Gründe für das Scheitern des Panarabismus definiert werden können.
Die Motivation an dieser Forschungsfrage liegt in der Beimessung der Relevanz des Nahost-Konfliktes auf andere politische Probleme in der Region. Da dieser oft als Argumentation zur Erklärung diverser Problematiken in der Region angeführt wird.
Um die Theorie dieser Arbeit darzulegen, wird zunächst Abstand vom Panarabismus genommen und auf die Grundlage der Nationalismustheorie eingegangen. Im Allgemeinen ist Nationalismus ein sich immer wandelndes Konstrukt und in verschiedenen Regionen der Welt und den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich definiert.
In der theoretischen Auseinandersetzung gibt es deutliche Schwierigkeit das Konzept des Nationalismus zu greifen und konkret zu definieren. Eine einheitliche Definition von Nationalismus gibt es aufgrund der global diffusen Ausprägung nicht.
Der Nationalismus hat sich in westlichen Gesellschaften größtenteils zu einem negativ assoziierten Begriff gewandelt, dessen Wesen es zu überkommen gilt. Die Ursprünge der Nation wurden jedoch in der modernen Nationalismusforschung, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert, auch positiv assoziiert. Kiani stellt fest, dass der Nationalismus im anthropologischen Sinne ungleich Rassismus ist, da die Nation für jede und jeden offenstehe. Der Nationalismus beziehe sich in diesem Kontext auf Sprache und Kultur, statt auf Ethnien und wird als integrativer Prozess verstanden.1 Es gilt jedoch zu beachten, dass dies sich nicht zwangsläufig auf die Praxis übertragen lässt.
Die Klärung der Begriffe Nation und Nationalismus sind unerlässlich für das theoretische Fundament der Arbeit. Trotzdem stehen die Definitionen dieser Begriffe vor der Problematik, dass sie in dem Forschungsfeld der Nationalismustheorien nicht eindeutig bestimmt sind und auch immer wieder neu definiert werden (müssen), da sich ihr Wesen stetig wandelt, da der Nationalismus von Widersprüchlichkeiten und Komplexitäten geprägt ist.2 Aufgrund dessen muss diese Thematik mit besonderer Objektivität und Distanz behandelt werden, gerade weil sie hoch emotionalisiert ist.
Die verwendete Definition erhebt keinen allgemein gültigen Anspruch. Sie entspringt der westeuropäischen Definition von Benedict Anderson. Seine Theorie basiert mitunter auf den Theorien anderer Nationalismusforscher:innen der neuzeitlichen Nationalismusforschung, wie Fichte, Hobswan oder Renau. Diese Definition wurde gewählt, weil sie als der „kleinste gemeinsame Nenner der Nationalismusforschung“3 benannt werden kann und sich an ihr ebenfalls Vordenker des Panarabismus im 20. Jahrhundert orientierten.
Eine Nation muss nicht zwangsläufig zu einem Staat, im Sinne der Definition von Jellinek, die einen Staats als Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt definiert4, werden. Sie kann auch eine Kulturnation bleiben ohne territorial begrenzt oder einheitlich regiert zu werden. Diese Auffassung verbreitete sich nach der französischen Revolution erstmals in Europa, bis nach dem 20. Jahrhundert auch die außereuropäische Welt durch dieses Konzept geprägt wurde. Die Bildung der Nation hat auch den Säkularisierungsprozess vorangetrieben, da sie Imperien, die durch Religion legitimiert waren, verdrängte. Beispielhaft dafür ist die Kolonialisierung, die auch im Nahen und Mittleren Osten stattfand. Gleiches gilt für den Panarabismus, der trotz religiöser Prägung der arabischen Region, einen säkularen Charakter hatte.5
Nationalismus kann ein politisches Instrument zur Legitimität der Nation sein. Diese muss nicht über einen historisch korrekten Anspruch oder Schlüssigkeit verfügen und braucht keine Ethnie als Grundlage.6 Da Nationalismus einem stetigen Wandel ausgesetzt ist, gibt es verschiedene Hauptströmungen. Dazu zählt die romantische oder auch herdersche Strömung, von der sich Anderson beeinflussen ließ. Diese ist geprägt durch eine gemeinsame Sprache und Kultur. Herders Theorie kann zur Erklärungen angewandt werden, wenn neue Nationen konstruiert würden. Das Individuum betrachtet Herder als eines der zentralen Elemente für eine Nation und dessen Bewusstsein. Die „Idee der Befreiung steckt dabei von Beginn an im Nationalismus“7, so Mense. Vorbildcharakter hatte für Herder die deutsch-nationale Bewegung, die als Reaktion auf die französische Fremdherrschaft entstanden sei.8
Benedict Anderson, der diesen Ansatz Herders Theorie weiterentwickelte, zählt zu den bekanntesten Denker:innen der modernen Nationalismusforschung.9 Mit seiner Theorie und Definition einer Nation befasst sich der nächste Abschnitt. Er wird als theoretische Grundlage für den Vergleich mit der Theorie des Panarabismus genutzt, weil Anderson eine inklusive Nationalismustheorie entworfen hat. Seine Theorie kann als Basismodell für die Konstruktion einer Nation fungieren. Weiterhin lassen sich in der Konzeptionalisierung von Andersons Theorie und der des Panarabismus Gemeinsamkeiten herausstellen.
Die hier dargelegten Ausführungen zu Andersons Nationalismustheorie entstammen seinem Buch „Imagined Nations", welches 1983 erstmals veröffentlich wurde. Diese bilden das theoretische Fundament dieser Arbeit für das Konstrukt des Nationalismus. Die hier aufgeführten Zitate und Ausführungen beziehen sich auf die deutsche Übersetzung „Die Erfindung der Nation". Es folgen, für die Klärung der Forschungsfrage, relevante Aspekte seiner Theorie. Dadurch bedingt werden Elemente fehlen, die in diesem Kontext als unwesentlich bestimmt wurden. Es wird besonders Bezug genommen auf die ersten Kapitel, in denen er die Grundzüge skizziert.
Die Theorie entstammt dem historisch soziologischen Feld. Nationalitäten sind für Anderson „kulturelle Produkte einer besonderen Art"10. Diese Produkte seien zwar mit immenser innerer Legitimität ausgestattet, jedoch im 18. Jahrhundert aus historischen Ereignissen entstanden. Sie seien, so Anderson genauer, „kulturelle Kunstprodukte"11.
Die Nation sei, aus einem anthropologischen Blickwinkel betrachtet, eine „vorgestellte politische Gemeinschaft"12. Dabei ist vor allem der Aspekt, dass eine Nation „vorgestellt“ sei, von besonderer Bedeutung. Darunter sei zu verstehen, dass nicht alle Mitglieder dieser Gemeinschaft bekannt sind, sie jedoch trotzdem zur Gemeinschaft gezählt würden. Weiterhin gelte zweitens die „Begrenztheit“ dieser Gemeinschaft. Die Nation grenze sich von einem bestimmten Teil der Menschheit klar und auf ewig ab. Dies ist ein grundlegender Unterschied zu Religionen. Das dritte Merkmal einer Nation sei ihre „Souveränität“. Eine Nation unterscheide sich somit auch von Reichen und Herrscher: innen, die durch Gott legitimiert seien. Als vierter Aspekt einer Nation gelte die „Gemeinschaft“. Anderson versteht die Gemeinschaft als „Verbund von Gleichen“13.14
Diese Aspekte manifestieren sich beispielsweise in der Sprache, die für eine begrenzte Anzahl an Personen die Möglichkeit zur Verständigung und für die Herrschenden eine Möglichkeit zur Zentralisierung der Verwaltung sei.15 Die von Anderson definierte Sprache unterscheidet sich von heiliger und religiöser Sprache. Er nennt dafür das Beispiel Latein: Im aufkommenden Nationalismus in Westeuropa hätte es nach dem Fall des Römischen Reiches, eine Fragmentierung der Sprachen gegeben, die in ihrem Gebiet als die Landessprachen galten. Der Unterschied zum Lateinischen war, dass diese Sprachen vor allem dem Zweck dienten, die Verwaltung des Landes zu garantieren und den Mitgliedern des Landes nicht aufgezwungen wurde, wie es mit der lateinischen Sprache passiert sei.16 Auch ähnelt die Landessprache dem Ursprung der Nation, denn sie sei zufällig entstanden, diene dann aber als eine natürlich wirkende Form der Legitimation ihrer Selbst.17 Sie entstehe nicht durch die Herrschenden, sondern sei in Europa von den Sprechenden in ihrer jeweiligen Form geschaffen und stetig weiterentwickelt worden.18 Dies sei von wichtiger Bedeutung für den Zusammenhalt der Nation, wie Anderson von Herder aus folgendem Zitat ableitet: „Denn jedes Volk ist Volk, es hat seine nationale Bildung, wie seine Sprache“19. Die Sprache ist somit eng mit der Nation und den Bürgerinnen verknüpft.
Anderson verweist auch darauf, dass die Kolonialstaaten bei der Verbreitung des Nationalismus außerhalb Europas eine zwar unbewusste, aber doch erwähnenswerte Rolle spielten.20 Der folgende Abschnitt über den Panarabismus verdeutlicht diesen Einfluss.
Bevor in diesem Kapitel auf die Theorie des panarabischen Nationalismus eingegangen wird, folgt eine Erläuterung von Begrifflichkeiten.
Der Panarabismus hat auf folgende Länder Einfluss ausgeübt: Ägypten, Algerien, Bahrein, Dschibuti, Irak, Jemen, Jordanien, Kuweit, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanien, Oman, Palästina, Saudi-Arabien, Sudan, Tschad, heutige Vereinigte Arabische Emirate, Syrien und Tunesien.
Der Begriff „arabisch" ist nicht unproblematisch, da er sehr unscharf ist.21 Als Araber und Araberinnen werden Angehörige einer überwiegend semitischsprachige Ethnie auf der Arabischen Halbinsel, im Nahen Osten oder in Nordafrika definiert.22 Davon losgelöst leben sie auch als nicht-autochthone Gemeinde global verteilt und gehören folglich nicht nur einer Nationalität an.23 Insbesondere im Osmanischen Reich wurde der Herkunftsnachweis schwieriger, so dass die Definition verschwamm. Aufgrund dessen ist eine Kontext gebundene Definition nötig. Trotzdem gibt es ein arabisches Bewusstsein.24
Folgend wird von einer ursprünglichen und inklusiven Definition der „Araber" ausgegangen, die sich entsprechend dem Panarabismus auf die Kultur und die (arabische) Sprache als Abgrenzung bezieht. Eine genaue Definition wird durch den Panarabismus selbst nicht intendiert. Sie beruht grundlegend auf einer europäischen Interpretation der Wortbedeutung.25
Um dem Umfang der Arbeit gerecht zu werden, wird die Theorie auf die für die Analyse wichtigen Merkmale reduziert, so dass kein Anspruch an Vollständigkeit gestellt wird. Es ist wichtig zu beachten, dass es sich bei diesen Darlegungen um eine Momentaufnahme handelt. Insbesondere die mit Gründung der sozialistisch-panarabischen Baath-Partei verstärkten sozialistischen Einflüsse auf den Panarabismus werden aufgrund der Fokussierung auf den nationalistischen Charakter außen vorgelassen.
Der Panarabismus ist eine arabisch-nationalistische und ideologische Strömung, die als oberstes Ziel einen einheitlichen arabischen Staat mit einer gemeinsamen arabischen Sprache anstrebt. Die Struktur dieser Einheit steht dabei nicht im Mittelpunkt und bleibt weitestgehend undefiniert. Ihren Ursprung hat sie in der ,Umma‘. Dieses Prinzip beschreibt im einfachsten Sinne die Gemeinschaft aller Muslime, auch nicht-arabischer Herkunft. Jedoch ist die panarabische Bewegung eine säkulare Theorie. Die Einheit der Araberinnen ist, anders als beim älteren Konzept der Umma, nicht durch Religion, sondern durch Sprache und Kultur legitimiert.26
Der Fokus dieses Unterkapitels wird auf die Entwicklung des arabischen Nationalismus nach dem ersten Weltkrieg gelegt. Vordenker dieser Zeit war Sätf al-HusrT, der circa ab 1919 den Panarabismus unter Einfluss westlichem und vor allem germanophilem Nationalismus weiterentwickelte. Er orientierte sich an deutschen Vordenkern wie Herder und Fichte, da er dort Parallelen zu erkennen meinte. Hajjaj stellte fest, dass HusrT die deutsche Nationalismustheorie jedoch in weiten Teilen glorifizierte. Eine dieser Parallelen sei der Befreiungsgedanken des Volkes, weil durch den Panarabismus die „Zersplitterung der arabischen Staaten"27 überkommen werden soll. Fichte und HusrT teilen weiterhin den Gedanken, dass eine Nationszugehörigkeit nicht frei wählbar sei.28 Dadurch entstehe eine besondere innere Legitimität, die durch Geburt, Sprachgemeinschaft oder einer Schicksalsgemeinschaft die Zugehörigkeit und Identität schafft.
Die Sprache sei der „Geist" der Nation und ein wichtiges Merkmal zur Unterscheidung von anderen Kulturen und Ländern.29 Dies schließt an die Nationalismustheorie von Herder an. Er beschreibt die Nationalität als Sprachgemeinschaft.30 Die arabische Sprache ist zudem ein Element der Abgrenzung von der türkischen Nation.31 Diese Abgrenzung ist durch die Ablösung der arabischen Länder vom Osmanischen Reich von besonderer Bedeutung.
Herders Nationalismustheorie sei außenpolitisch geprägt und Folge exogener Probleme und nicht innenpolitischer Bedrängungen.32 Dem entsprechend trete der Panarabismus „Manchmal als Waffe gegen den Imperialismus, manchmal [...] als Verteidigungsinstrument der Araber gegen auswärtige Ideologien auf. Das also sind die vereinten Elemente des Panarabismus, der Antikolonialismus und Selbstverteidigung."33 Dies sei Resultat aus dem Kolonialismus und der damit einhergehenden Spaltung der arabischen Länder, die es in der Theorie zu überkommen gelte. Dieses Ziel konfrontiert den Panarabismus mit der Realisierung von Nationalstaatlichkeit, aber auch Supernationalität, durch die Schaffung eines nationalistischen Einheitsstaates auf der Basis bereits bestehender, wenn erst jüngst geschaffenen Nationalstaaten. Einige dieser Nationalstaaten, wie Ägypten, haben jedoch auch individuelle historisch gewachsene und einflussnehmende Nationalismen, durch die es einen immer wiederkehrenden, im Kapitel vier näher ausgeführten, Konkurrenzkampf mit dem Panarabismus gegeben hat.
Der Panarabismus erlangte zum Ende des Osmanischen Reiches, welches von etwa 1300 bis 1922 bestand, politische Wichtigkeit.34 Er konnte in diesem Zuge jedoch nicht praktisch realisiert werden und blieb zunächst ein abstraktes Konstrukt, welches aber politisch propagiert und angestrebt wurde. Grund dafür war zunächst die Bildung von einzelnen Nationalstaaten in Folge des britischen und französischen Kolonialismus nach dem Sturz des Osmanischen Reiches.35 Kiani stellte fest, dass der Panarabismus in seiner damaligen Ausprägung auch ein Mittel war, den „Westen zu bekämpfen, um Freiheit und Eigenständigkeit zu erlangen"36.
[...]
1 Vgl. Kiani, S. 85.
2 Vgl. Mense, S. 11.
3 Mense, S. 18.
4 Vgl. Schuberat/ Klein.
5 Vgl. Tibi, S. VII.
6 Vgl. Anderson, S. 29.
7 Mense, S.10.
8 Vgl. Mense, S. 11.
9 Vgl. Anderson, S. 17.
10 Ebd., S. 13.
11 Ebd., S. 13.
12 Ebd., S. 14.
13 Anderson, S. 16.
14 Vgl. Ebd., S. 14-16.
15 Vgl. Ebd., S. 21-25; 42f.
16 Vgl. Ebd., S. 43.
17 Vgl. Ebd., S. 46.
18 Vgl. Ebd., S. 65f.
19 Ebd., S. 63.
20 Vgl. Burkhard/ Münz, S. 184.
21 Vgl. Speer, S. 76.
22 Vgl. Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache: Araber.
23 Vgl. Lewis, S. 11.
24 Vgl. Ebd.
25 Vgl. Ebd., S. 20.
26 Vgl. Tibi, S. V.
27 Hajjaj, S. 54.
28 Vgl. Ebd., S. 56.
29 Vgl. Nashashibi, S. 21.
30 Vgl. Sehn.
31 Vgl. Nafi, S. 9.
32 Vgl. Tibi, S. 119.
33 Ali BA, S. 29.
34 Vgl. Tibi, S. VI.
35 Vgl. Fürtig.
36 Kiani, S. 103.
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