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Masterarbeit, 2020
95 Seiten, Note: 2,3
1 Problemstellung und Relevanz
1.1 Lernunterstützer im Kontext kooperativen Lernens
1.2 Forschungsfragen
2 Theoretische Grundlagen des kooperativen Lernens
2.1 Definitionen und Merkmale des kooperativen Lernens
2.2 Abgrenzung zu kollaborativem Lernen
2.3 Abgrenzung zu traditioneller Gruppenarbeit
2.4 Formen des kooperativen Lernens
2.5 Theoretische Perspektiven zum kooperativen Lernen und dessen kognitive Effekte auf Lernen und Leistung
2.5.1 Motivationale Perspektiven
2.5.2 Perspektiven der sozialen Kohäsion
2.5.3 Entwicklungsperspektiven
2.5.4 Perspektive der kognitiven Elaboration
2.5.5 Übungsperspektive
2.5.6 Organisationsperspektive
2.6 Die Rolle der Lehrperson beim kooperativen Lernen
2.7 Kooperative Unterrichtsformen im Vergleich mit Einzelarbeit und Frontalunterricht
2.7.1 Einzelarbeit
2.7.2 Frontalunterricht
2.8 Grundlagen und Voraussetzungen für Kooperatives Lernens
2.8.1 Kooperative Lehr-Lern-Arrangements
2.9 Kooperatives Lernen und Peer-Learning Strategies
2.9.1 Peer Tutoring
2.9.2 Classwide Peer Tutoring
2.10 Zusammenfassung
3 Theoretische Grundlagen für soziale Kompetenzen
3.1 Verwandte Konzepte
3.2 Perspektiven verschiedener Disziplinen
3.3 Kompetenz und soziale Kompetenz
3.3.1 Entwicklung des Kompetenzbegriffs
3.3.2 Definitorische Ansätze der Kompetenz
3.4 Soziale Kompetenz
3.4.1 Begriffsbestimmung
3.4.2 Multidimensionalität sozialer Kompetenzen
3.5 Negative soziale Phänomene in Verbindung mit Kooperation
3.6 Modelle sozialer Kompetenzen
4 Empirischer Forschungsstand
4.1 Allgemeine empirische Forschungsergebnisse
4.2 Annäherung und Versuch der Begriffsbestimmung eines Lernunterstützers
5 Eigene Forschung
5.1 Methodik
5.2 Methodisches Vorgehen bei der qualitativen Inhaltsanalyse
5.3 Design der Datenerhebung
5.4 Entwicklung eines Interview-Leitfaden
5.5 Analyse der Stichprobe
5.6 Analysemethoden der empirischen Untersuchung
6 Ergebnisse und Diskussion
6.1 Ergebnisse der Interviews mit Dozierenden
6.2 Ergebnisse der Interviews mit Studierenden
7 Diskussion der Ergebnisse
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Unterschiede der didaktischen Lernformen. Eigene Darstellung in Anlehnung an Weidner (2003, 30)
Abbildung 2: Hypothetische Zusammenhänge der sechs Perspektiven. In Anlehnung an Slavin (1993, 164) und Slavin (2011, 4)
Abbildung 3: Ausgewählte Kataloge mit Facetten sozialer Kompetenz
Abbildung 4: Ausgewählte Dimensionen sozialer Kompetenzfacetten
Abbildung 5: Dimensionengruppierung in Anlehnung an Kanning (2009, 21)
Abbildung 6: Sozialkompetenz-Prisma (Rose-Krasnor 1997, 120)
Abbildung 7: Vereinfachte Darstellung des Modells der sozialen Informationsverarbeitung nach Crick und Dodge (1994), in Anlehnung an Petermann, Koglin, Natzke & von Marées (2007, 21)
Abbildung 8: Zusammenspiel von personalen und situationalen Bedingungen, (Seidel & Krapp 2014, 240)
Abbildung 9: Auflistung von möglichen sozialen Kompetenzen, kognitiven und motivationalen Voraussetzungen eines Lernunterstützers
Abbildung 10: Grundprinzipien des qualitativen Paradigmas in Anlehnung an Döring und Bortz (2016)
Abbildung 11: Nennungen zu allgemeinen Eigenschaften von Dozierenden
Abbildung 12: Facetten sozialer Kompetenz, über welche ein Lernunterstützer aus der Sicht
Abbildung 13: Nennungen zu motivationalen Voraussetzungen eines Lernunterstützers von Dozierenden
Abbildung 14: Nennungen zu kognitiven Voraussetzungen eines Lernunterstützers von Dozierenden
Abbildung 15: Welche Eigenschaften verhindern eine Funktion als Lernunterstützer aus Sicht der Dozierenden?
Abbildung 16: Nennungen von Studierenden zu allgemeinen Eigenschaften eines Lernunterstützers
Abbildung 17: Facetten sozialer Kompetenz, über welche ein Lernunterstützer aus der Sicht der Studierenden verfügt
Abbildung 18: Nennungen zu motivationalen Voraussetzungen eines Lernunterstützers von Studierenden
Abbildung 19: Nennungen zu kognitiven Voraussetzungen eines Lernunterstützers von Dozierenden
Abbildung 20: Welche Eigenschaften verhindern eine Funktion als Lernunterstützer aus Sicht der Studierenden?
„Wer andere lehrt, der bildet sich selbst“ (Comenius, 1592 – 1670)
“What Children can do together today, they can do alone tomorrow.” (Vygotsky, 1962)
Das erste Zitat stammt von Amos Comenius, welcher sich bereits im 16. Jahrhundert darüber beklagte, dass das Prinzip „Wer andere lehrt, bildet sich selbst“ an den Schulen der damaligen Zeit nicht ausreichend bekannt und verbreitet war. Er diskutierte anhand eines Gruppenmodells, inwieweit Gruppenarbeit innerhalb einer Klasse als Grundlage für wechselseitiges Lernen fungieren kann und wie eine Kombination aus lehrerzentrierten und schülerorientierten Unterricht umzusetzen ist (Huber 1993, 245).
Das zweite Zitat stammt von Vygotsky aus dem Jahr 1962. Es besagt, dass Kompetenzen, Fähigkeiten und Wissen am besten durch den Austausch von Lernenden untereinander erworben werden können und impliziert die Forderung, Wissenserwerb und Lernen in einem sozialen Kontext stattfinden zu lassen. Die Idee des kooperativen Lernens hat also eine lange Historie, doch erst in den letzten dreißig Jahren gab es eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema und auch die praktische Verbreitung durch alle Bildungsbereiche fand erst in diesem Zeitraum vermehrt statt. In Deutschland kam dieses Konzept erst in den späten 1990er Jahren an die Schulen und Bildungseinrichtungen. Maßgeblich dafür verantwortlich war Norm Green, welcher zunächst in Toronto ein umfassendes Ausbildungsprogramm für sämtliche Lehrerinnen und Lehrer in seinem Zuständigkeitsbezirk konstruierte, durch welches er das kooperative Lernen und Arbeiten in den Schulen der Region etablierte. Anschließend brachte er dieses Konzept auch nach Deutschland, wo es nach und nach in immer mehr Bundesländern didaktisch umgesetzt und implementiert wurde. Das nicht nur in Deutschland hohe theoretische, empirische und methodisch-didaktische Interesse an dem Konzept der kooperativen Lernformen hat eine große Zahl an Forschungsarbeiten hervorgebracht, in welchen die Auswirkungen und die Wirksamkeit dieser Methoden und Konzepte untersucht wurden.
Johnson und Johnson (1985) haben darauf hingewiesen, welche Bedeutung das Miteinander und das Zwischenmenschliche für das Lernen haben. Ebenso wird hier die Interaktion mit Peers als eine Grundlage für Motivation und die Entwicklung für Freude am Prozess des Lernens beschrieben. Slavin (1995) legte dar, dass kooperative Methoden im Unterricht zur Stärkung von fachlichem und überfachlichem Lernen beitragen, da sie den Lernenden die Möglichkeit geben, Lerninhalte weitestgehend selbständig innerhalb einer Gruppe zu erarbeiten, sich auszutauschen, zu diskutieren, zu reflektieren und das erarbeitete Wissen anzuwenden. Durch die kooperative Zusammenarbeit mit den anderen Gruppenmitgliedern werden auch die sozialen Kompetenzen der Lernenden gestärkt, was durch die empirischen Ergebnisse von Drössler, Jerusalem & Mittag (2007) bestätigt wird.
So werden die Kompromissbereitschaft sowie die Kompetenz, Konflikte zu lösen, gefordert und gefördert (Gudjons 2008), da während der Interaktion innerhalb der Gruppe jedes Mitglied gefordert ist, sich aktiv an der Planung und der Umsetzung des Gruppenarbeitsprozesses zu beteiligen und sich kooperativ und sozial zu verhalten.
Jurkowski (2011) stellte fest, dass die sozialen Kompetenzen, insbesondere die Durchsetzungsfähigkeit, die Anpassungsfähigkeit und die Kooperationsfähigkeit, nicht nur Determinanten für die Umsetzung kooperativer Methoden sind, sondern auch kritische Faktoren für die erfolgreiche, gemeinschaftliche Wissenskonstruktion darstellen.
Beim Vergleich des kooperativen Lernens mit anderen Lehrmethoden, wie dem traditionellen Frontalunterricht oder der Einzelarbeit, sind durch die Miteinbeziehung und die aktive Mitarbeit der Lernenden positive Auswirkungen auf die Lernmotivation und die Unterrichtsperformanz, sowie eine Minderung von Angst- und Stressmerkmalen bei den Lernenden (Konrad & Traub 2008, 6) erkennbar. In der Meta-Analyse von Johnson (2003) werden kooperative Unterrichtsmethoden den individualistischen und kompetitiven Lernformen gegenübergestellt und dabei nur Studien berücksichtigt, die in Bildungseinrichtungen oder Betrieben durchgeführt wurden.
Untersucht wurden Effekte, die (1) die Lern- und Arbeitsleistungen, (2) die sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe und (3) die psychische Gesundheit, also das Angst- und Stressempfinden der Gruppenmitglieder, beeinflussen. Die Ergebnisse der Analyse zeigen deutlich, dass kooperative Unterrichtsformen positive Auswirkungen haben auf die sozialen Beziehungen untereinander und auch auf die psychische Gesundheit der Beteiligten Gruppenmitglieder. Ebenso wird hier der positive Effekt auf das Selbstwertgefühl beschrieben. Eine Zusammenarbeit mit Peers innerhalb einer Gruppe ist überdies auch wichtig für die kognitive Entwicklung, da diese den Einsatz kognitiver Strategien fördert und die Grundlage für die kognitive Weiterentwicklung darstellt (Konrad & Traub 2008, 102).
Dieser kleine Auszug aus der großen Zahl der Forschungsarbeiten belegt, dass kooperatives Lernen positive Effekte auf soziale, affektive, motivationale und kognitive Verhaltensmerkmale hat, sofern es in geeigneter Form um- und eingesetzt wird.
Im Kontext des kooperativen Lernens gab es in den letzten Jahren vermehrte Forschungsansätze, welche die Lehrperson als Lernunterstützer in kooperativen Lernformen identifizierte und deren Rolle und Wirksamkeit auf den Erfolg der Lernprozesse untersuchten. Eine der größten Studien im Kontext, die Meta-Analyse von Hattie (2009), hat ein breites Spektrum von Einflussfaktoren für den Lernerfolg untersucht und die Ergebnisse in den verschiedenen Kategorien reichten von negativen bis sehr starken positiven Effekten. Die Lehrperson wird hier, neben der Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus, der kognitiven Entwicklungsstufe, der Evaluation und Reflexion der Gruppenarbeit, als Faktor mit sehr starkem Effekt auf den Erfolg der Lernprozesse klassifiziert. Ein erfolgreiches Lernen ist laut Hattie vor allem dann möglich, wenn der Lernende selbst zum Lehrenden und der Lehrende zum Lernenden wird (Hattie, Beywl & Zierer, 2013, 26). Die Aufgaben der Lehrperson sind demnach, den Schülerinnen und Schülern diverse Lernstrategien zu vermitteln sowie bedarfsgerecht und zeitlich begrenzt zu intervenieren, um den gewünschten Lernerfolg bei den Schülern zu erreichen. Das Lehrerhandeln und weniger die Lehrerpersönlichkeit lässt sich als zentralen Aspekt beschreiben (ebd. 22), und ein positives und wirksames Lehrerhandeln zeichnet sich demnach durch eine lernerorientierte Unterrichtsgestaltung und einen aktiven gelenkten Unterricht mit der Lehrperson als Lernunterstützer für die Schüler aus.
Auch Pauli und Reusser (2000) identifizieren die Lehrperson und deren Verhalten als wichtigen Faktor für die erfolgreiche Implementierung von kooperativen Lernformen und für den Erfolg der Lernprozesse. Eine erfolgreiche Implementation erfordert demnach eine angemessene Gestaltung der Lernsituationen durch die Lehrperson, das Angebot von fachlicher und sozialer Hilfestellung und eine Begleitung und Unterstützung der Lernprozesse. Zudem ist die Lehrperson für die Herstellung der strukturellen Voraussetzungen für ein kooperatives Lernen, wie die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit seitens der Lernenden, verantwortlich.
Deutlich weniger empirische Studien haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen individuellen Voraussetzungen der Lernenden welche Effekte beim kooperativen Lernen erreicht werden können und welche Rolle die Interaktion von Lernenden untereinander dabei einnehmen kann. Untersuchungen in diesem Gebiet konzentrierten sich anfangs auf Dialoge in asymmetrischer Form (Erwachsene mit Kindern, Kinder mit unterschiedlichem Wissensstand) (Rogoff 1990). In den folgenden Jahren wurde auch die Interaktion von Lernpartnern auf vergleichbarer hierarchischer Ebene und mit vergleichbarer Kompetenz und Wissen während der kooperativen Bearbeitung und Lösung von Problemen analysiert (Hogan & Tudge 1999). Schon hier zeigte sich, dass sich Lernpartner während ihrer Zusammenarbeit aufgrund von unterschiedlichen Perspektiven und Vorwissen gegenseitig unterstützen können.
Weitere Ergebnisse der existierenden Forschung zeigen, dass die Zusammensetzung der Lerngruppen entscheidend ist für den Erfolg der Lernprozesse. Es wurden zudem unterschiedliche Effekte der heterogenen oder homogenen Gruppenzusammensetzungen auf unterschiedlich leistungsfähige Schüler festgestellt. Die Erkenntnisse der Studien von Lou, Abrami, Spence, Poulsen, Chambers und D’Apollonia (1996) sowie von Saleh, Lazonder und De Jong (2005) werden noch ausführlich in Kap. 4 dargestellt.
Es zeigt sich also, dass es sowohl zu den Auswirkungen von kooperativem Lernen auf den Lernerfolg als auch zu der Zusammensetzung von Lerngruppen bereits zahlreiche empirische Forschungsansätze gibt. Der überwiegende Teil der Forschungsergebnisse zeigt, dass kooperatives Lernen effektiver ist als andere Lernformen. Hierfür wurden zumeist andere Lernmethoden mit dem kooperativen Lernen verglichen, um die Effektivität zu analysieren. Es gibt also ausreichend Belege für die Effektivität des kooperativen Lernens in Bezug auf den Lernerfolg. Jedoch ist bislang noch wenig darüber bekannt, mit welchen Voraussetzungen und Kompetenzen die Mitglieder der Lerngruppen positive Auswirkungen auf ihre Gruppe, ihre Gruppenmitglieder und die Prozesse innerhalb der Gruppe haben können. Zu der Frage, mit welchen sozialen Kompetenzen die Lernenden für ein wirksames kooperatives Arbeiten und eine gegenseitige Unterstützung ausgestattet sein sollten, und unter welchen Bedingungen sich Lernende gegenseitig effektiv unterstützen können, fehlen Untersuchungen noch weitgehend. Um diesbezüglich Erkenntnisse zu gewinnen, wurden folgende Forschungsfragen formuliert:
(1) Welche sozialen Kompetenzen zeichnen LernunterstützerInnen in einer kooperativen Lerngruppe aus der Sicht von Lehrenden und Studierenden aus?
(2) Über welche sonstigen Voraussetzungen verfügen LernunterstützerInnen in einer kooperativen Lerngruppe aus der Sicht von Lehrenden und Studierenden?
(3) Welche Eigenschaften zeichnen LernunterstützerInnen aus der Sicht von Lehrenden und Studierenden nicht aus?
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Masterarbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
Der Begriff kooperativ, vom lateinischen cooperatio, bedeutet zu Deutsch Mitwirkung oder auch Zusammenwirkung. Bereits im ersten Jahrhundert nach Christus wurde das kooperative Lernen erstmals von Quintilian (30 - 96) erwähnt und beschrieben. Auch im Mittelalter gab es hierzu einige Ansätze, allen voran von Amos Comenius, der, wie bereits in der Einleitung erwähnt, schon im 17. Jahrhundert Ideen und Umsetzungsvorschläge für ein schülerorientiertes Lernen diskutiert hat. Allerdings wird in der pädagogischen Literatur der Begriff kooperatives Lernen auch bis heute nicht einheitlich verwendet und klar definiert. Im weitesten Sinne, und hier überschneiden sich nahezu alle existierenden Definitionen, wird er verwendet, wenn zwei oder mehr Personen innerhalb einer bestimmten Umgebung als Gruppe zusammenarbeiten, mit dem Ziel, sich Wissen anzueignen (Dillenbourg 1999, 2).
Slavin (1995, 2) definiert kooperatives Lernen, als eine alternative Unterrichtsform zum traditionellen Frontalunterricht. Die Lernenden eignen sich hier in kleinen Gruppen im Austausch miteinander Wissen an und unterstützen sich gegenseitig. Der Erfolg der Gruppe hängt hier inkrementell ab vom Lernerfolg des Einzelnen. Slavin unterstreicht auch das positive motivationale Potential, gerade für weniger leistungsfähige Schüler, welches in einer richtig eingesetzten und gut strukturierten kompetitiven (Lern-)Atmosphäre unter den Lernenden steckt. Lewis und Cowie (1993, 38) wiederum betonen die Bedeutung des Austausches der Lernenden untereinander in einer kooperativen Lernumwelt:
„Was ist kooperative Gruppenarbeit? Wichtigstes Merkmal ist, dass Kinder durch Ausdruck und Erforschung unterschiedlicher Gedanken und Erfahrungen in kooperativer Gemeinschaft lernen. […] bei dieser Art der Arbeit versucht niemand, besser als irgendein anderes Gruppenmitglied zu sein. Es geht nicht um den Wettkampf mit anderen in der Gruppe; es geht darum, die unterschiedlichen Ressourcen der Gruppe dafür zu nutzen, Verständnis zu vertiefen, Urteile zu schärfen und Wissen zu erweitern.“
Hier schließen sich auch Konrad und Traub (2008, 5) an, für die kooperatives Lernen eine Interaktionsform darstellt, bei der die Lernenden kooperativ und im wechselseitigen Austausch Fertigkeiten und Kenntnisse erwerben. Bestenfalls sind hier alle Gruppenmitglieder gleichberechtigt am Lernprozess beteiligt und tragen ebenso gemeinsam Verantwortung für die Erreichung des Lernziels.
Hasselhorn und Gold (2006, 285) definieren das kooperative Lernen als Arbeiten und Lernen in kleinen Gruppen, um sich beim Aufbau von Kenntnissen und beim Erwerb von Fertigkeiten gegenseitig zu unterstützen. Das kooperative Lernen ist ein selbständiges, aktives und soziales Lernen. Kooperative Lernformen sind lernerzentriert, da die Lehrperson während des Lernprozesses in den Hintergrund tritt. Mindestens zwei, häufig aber auch drei bis fünf Lernende bilden gemeinsam eine Lerngruppe.
Diese Definition umfasst viele verschiedene Formen von gemeinsamem Lernen, auch Partner- oder Gruppenarbeit. Was die Formen miteinander verbindet ist der Anspruch, dass die Lernenden aktiv in soziale Interaktionen mit ihren Gruppenmitgliedern treten, um sich mit dem vorgegebenen Lernstoff auseinanderzusetzen. Ziel ist hierbei, dass sie sich wechselseitig unterstützen und bei auftretenden Problemen kompromissbereit nach Lösungen suchen (Borsch 2010, 21).
Einen Versuch, Gruppenarbeit und kooperatives Lernen voneinander abzugrenzen, unternehmen Johnson und Johnson (1995, 32). Hiernach ist zu differenzieren, ob die Mitglieder einer Gruppe zwar räumlich gesehen zusammensitzen, aber jeder für sich einzeln arbeitet und Kooperation untereinander höchstens spontan stattfindet, oder ob die Gruppenmitglieder gemeinsam und kooperativ für ein vorher festgelegtes Ziel lernen und sich wechselseitig austauschen.
Als wichtigstes Merkmal des kooperativen Lernens beschreiben Johnson und Johnson (1999) Green und Green (2007) und Konrad und Traub (2010), einer sozio-konstruktivistischen Auffassung von Lehren und Lernen folgend, die fünf Basiselemente einer kooperativen Lernumgebung, welche von einer Lehrperson insbesondere zu beachten sind:
1. Positive Interdependenz: Um eine positive (soziale) Interdependenz unter den Lernenden zu induzieren und zu fördern, müssen zunächst alle Mitglieder ein gemeinsames Ziel verfolgen und dies auch erkennen. Von den Lehrenden müssen Aufgabenstellungen und Ziele so formuliert und strukturiert werden, dass Kooperation unabdingbar ist und persönliche Ziele nur erreichbar sind, wenn die ganze Gruppe ihr Ziel erreicht (Borsch 2010, 30).
Dies lässt sich erreichen durch Bildung von verschiedenen Formen der gegenseitigen Interdependenz:
Zielabhängigkeit: Jede Gruppe erhält eine gemeinsam zu erfüllende komplexe Aufgabenstellung. Hierbei ist klar definiert, was von den einzelnen Gruppenmitgliedern erwartet wird und dass das gemeinsame Ziel nur erreicht werden kann, wenn alle ihren Beitrag leisten.
Rollenabhängigkeit: Die Lehrperson teilt jedem Gruppenmitglied eine bestimmte Rolle zu, die es zusätzlich erfüllt.
Ressourcenabhängigkeit: Um soziale Interaktion unabdingbar zu machen, erhält jedes der Gruppenmitglieder nur einen Teil der Informationen oder Materialien, welche benötigt werden um die Aufgabe zu bearbeiten (Hild & Wülser 2001, 44)
2. Individuelle Verantwortlichkeit: Bei traditionellen Gruppenarbeiten tendieren leistungsschwächere und weniger lernmotivierte Schüler dazu, an der Bearbeitung der Aufgaben und der Gesamtleistung nur wenig zu partizipieren. Dies hat eine Vergrößerung der Diskrepanz der Lernleistungen zur Folge. Um hier entgegenzuwirken, müssen die Verantwortlichkeiten innerhalb der Gruppe in möglichst gleichem Maße auf die Mitglieder verteilt werden, so dass jeder einen erkennbaren Beitrag zum Gesamtergebnis leistet und mitverantwortlich ist für den Erfolg der Gruppe (Büttner, Warwas & Adl-Amini 2012, 4).
3. Unterstützende Interaktionen: Den Lernenden muss die Gelegenheit gegeben werden, miteinander zu interagieren, um überhaupt kooperatives Lernen stattfinden zu lassen. Johnson, Johnson & Holubec (1994) betonen hierbei die Wichtigkeit der gegenseitigen Unterstützung und Motivation, die neben anderen Verhaltensweisen, wie eine offene Diskussionsführung, als emotional förderliche Aktivitäten beschrieben werden. Erreicht werden kann ein unterstützendes Interaktionsverhalten mit Hilfe von Kooperationsskripts, welche eine Sequenzierung der Aufgabenbearbeitung oder eine Verteilung von verschiedenen Rollen unter den Lernenden instruieren (Ertl & Mandl 2006, 276).
4. Kooperative (soziale) Fähigkeiten: Um innerhalb einer Gruppe ein Interaktionen unterstützendes Klima zu etablieren, bedarf es bei den Gruppenmitgliedern einer Reihe von interpersonalen Kompetenzen, um nicht nur die kognitiven, sondern auch die sozialen Ziele einer kooperativen Lernumgebung erreichen zu können. Die während des Lernprozesses auftretenden sozialen Herausforderungen müssen ebenfalls mit Hilfe von sozialen Kompetenzen bewältigt werden (Borsch 2019, 31). Nach Johnson und Johnson (1987, 109) zählen hierzu insbesondere die k ommunikativen Fähigkeiten, als elementare Basis einer kooperativen Zusammenarbeit, die Fähigkeit zum Aufbau eines Vertrauensklimas, die Bereitschaft jedes Gruppenmitgliedes zur Übernahme von Führungsaufgaben sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zu einem konstruktiven Umgang mit Kontroversen. In einer Kooperation sind Konflikte durch Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Ansichten unvermeidbar, daher ist die Fähigkeit diese konstruktiv zu lösen ebenfalls essenziell für den Erfolg von kooperativer Gruppenarbeit (Johnson & Johnson 1995). Oftmals sind es gerade die gegensätzlichen Standpunkte, welche komplexe Problemlösungsstrategien auslösen und tiefere Einblicke in die zu bearbeitenden Themen liefern (Borsch 2019, 32).
5. Reflexion über den Gruppenprozess: Eine Reflexion im Anschluss an eine kooperative Arbeitsphase soll Anregungen liefern, zur Diskussion über die Effektivität der geleisteten Arbeit sowie die Qualität und Quantität der interpersonalen Beziehungen und Interaktionen. Des Weiteren liefert eine Reflexion und Evaluation auch mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung von Verhalten und Arbeitsweisen (Borsch 2010, 31). Auch Huber (2007, 7) nimmt Bezug auf die Basismerkmale und weist insbesondere noch auf die zwischen den Beteiligten durch Interaktion entstehenden Wechselwirkungen hin, welche dann individuelle strategische Prozesse auslösen können.
Für eine Abgrenzung der beiden Begriffe kooperatives und kollaboratives Lernen finden sich in der einschlägigen Literatur viele verschiedene Ansätze. Durch die nicht konsistente Verwendung der Begriffe ist hier eine beachtliche Bandbreite von unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Definitionen und der Bezeichnungen festzustellen. Die Übergänge bei wesentlichen Unterscheidungskriterien, wie dem Ausmaß der Arbeitsteilung zur Bearbeitung der Aufgaben, der Häufigkeit und Strukturierung der sozialen Interaktionen sowie der Förderung von sozialen Kompetenzen, sind oft fließend und nicht trennscharf voneinander abzugrenzen (Hinze 2004, 24). Auch Pauli und Reusser (2000, 2) beschreiben die selbst in der englischsprachigen Literatur nicht einheitliche Verwendung der verschiedenen Bezeichnungen wie peer collaborative learning, cooperative learning, collaborative learning und peer assistant learning. Das gemeinsame Merkmal aller Begriffe für diese didaktische Methode ist die temporäre Aufteilung der Lernenden in kleine Gruppen, was dann weiterführend unter den verwendeten Begriffen verstanden wird, muss jedoch jedes Mal neu definiert werden (Pauli & Reusser 2000, 2).
Das didaktische Konzept des kooperativen Lernens unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der herkömmlichen und traditionellen Gruppenarbeit. Hild (2009, 86) führt ergänzend zu den in Kapitel 2.1 beschriebenen Basismerkmalen weitere Unterscheidungsmerkmale an, um sowohl die inhaltlichen Abgrenzungen zu spezifizieren als auch das Potenzial dieses Ansatzes, insbesondere für heterogene Lerngruppen, hervorzuheben.
Unterstützung beim Abbau von Statusunterschieden zwischen den Lernenden: Bereits Cohen (1993, 51) weist auf die Wichtigkeit des Einsatzes von Lösungsstrategien im Umgang mit Statusunterschieden zwischen den Lernenden hin. Durch gezielt eingesetzte Interventionen seitens der Lehrperson kann das kooperative Lernen dazu beitragen, bestehende Differenzen hinsichtlich des Status innerhalb einer Lerngruppe auszugleichen. So hat die Lehrperson zunächst die Aufgabe, spezifische Fähigkeiten von Kindern mit niedrigerem Status zu identifizieren. Im Anschluss können diese Kinder sich dann durch Zuweisung eines ihren Fähigkeiten entsprechenden Expertenstatus zu einem für die Gruppe wichtigen und angesehenen Mitglied entwickeln und dadurch die Integration innerhalb der Gruppe fördern.
Sichere Lernumgebung: Als Grundvoraussetzung für effektives Lernen in einem kooperativen Lernsetting nennt Gibbs (1995) eine sichere Lernumgebung, in welcher sich die Lernenden wertgeschätzt und respektiert fühlen. Auch Bochmann und Kirchmann (2015, 29) betonen die Wichtigkeit einer Umgebung, in der ohne Angst Fragen gestellt und auch Fehler gemacht werden dürfen.
Heterogenität der Lerngruppen: Das Hauptziel heterogener Lerngruppen ist es, den unterschiedlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten aller Lernenden gerecht zu werden. Die Lehrperson muss die Aufgaben- und Problemstellung möglichst so konzipieren, dass die verschiedenen Fähigkeiten und Kompetenzen der Gruppenmitglieder für das Erreichen des Lernziels eingesetzt werden können (Hild 2009, 89). Zudem belegen empirische Studien (Slavin 1995, Saleh, Lazonder & de Jong 2005), dass Schüler in einer heterogenen Lerngruppe effektiver lernen als im klassischen Frontalunterricht. Eine ausführliche Übersicht über den aktuellen Forschungsstand findet sich in Kapitel 4.
Abbildung 1: Unterschiede der didaktischen Lernformen. Eigene Darstellung in Anlehnung an Weidner (2003, 30)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der hier vorliegenden Arbeit definiert sich kooperatives Lernen als eine lernerzentriert gestaltete Unterrichtsform, in der mindestens zwei Lernende in einer Lerngruppe kooperativ zusammenarbeiten. Im Mittelpunkt stehen die sozialen Interaktionen der Gruppenmitglieder, die sowohl die Basis für den Lernerfolg bilden als auch als Teil des Lernerfolgs zu verstehen sind. Die gestellten Aufgaben werden in wechselseitigem Austausch und durch gegenseitige Unterstützung bearbeitet, mit dem Ziel, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben und zu verbessern. Der Beitrag jedes einzelnen Gruppenmitglieds ist von entscheidender Bedeutung für das Gesamtergebnis und den Lernerfolg der Gruppe.
Der Begriff heterogene Lerngruppe bezeichnet hier eine Gruppe von Lernenden, deren Mitglieder sich hinsichtlich eines oder mehrerer möglicher Merkmale unterscheiden. Hierzu zählen sowohl die Erklärungsvariablen für gute Schulleistungen wie Vorwissen, Intelligenz und das individuelle motivationale Selbstkonzept, als auch kulturelle, ethnische oder gruppeninterne statusbezogene Unterschiede.
In Bezug auf die Dauer, sowie die Intensität und Komplexität lassen sich kooperative Lernsettings voneinander unterscheiden und in drei Kategorien einteilen:
Formelles, längerfristiges kooperatives Lernen
Hierbei arbeiten die Lernenden über einem Zeitraum von einer Unterrichtsstunde bis hin zu mehreren Wochen in einer Gruppe zusammen. Zielsetzung ist das Erreichen gemeinsamer Lernziele und die kooperative Bearbeitung spezifischer Aufgaben (Johnson & Johnson 2010, zit. n. Konrad 2014, 84).
Informelles kurzfristiges kooperatives Lernen
Hierbei arbeiten die Lernenden zeitlich begrenzt über einen Zeitraum von wenigen Minuten bis zu einer Unterrichtsstunde ad-hoc kooperativ zusammen, um ein gemeinsames Lernziel zu erreichen (Johnson & Johnson 2010, zit. n. Konrad 2014, 84). Diese temporäre Form kann dazu dienen, partnerschaftliche Diskussionen am Ende der Lernsequenz zu unterstützen, das Gelernte zusammenzufassen oder die folgende Unterrichtseinheit vorzubereiten (Johnson & Johnson 2008, 20).
Kooperative Stamm- oder Basisgruppen
Kooperative Stammgruppen sind langfristig kooperativ zusammenarbeitende Lerngruppen mit fixen Mitgliedern, deren Hauptaufgaben sowohl die kognitive als auch die soziale Weiterentwicklung und Förderung sind (Johnson, Johnson & Holubec 2002). Typische Merkmale dieser Stammgruppen sind die heterogene Zusammensetzung von drei bis vier Mitgliedern, regelmäßige Treffen der Gruppe und eine Zusammenarbeit für die Dauer von einem bis zu mehreren Schuljahren (Johnson & Johnson 2008, 20; Kiper 2008, 117).
Hinsichtlich der Aufgaben der Lehrperson in den verschiedenen Formen lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. Beim formellen Setting stehen die Formulierung der Ziele, die Wahl der Gruppengröße, die Verteilung der Aufgaben innerhalb der Gruppe sowie die Unterstützung bei der Bearbeitung der Aufgaben im Vordergrund (Wehr 2013, 115). Im Rahmen von temporären informellen Gruppen kommen Aufgaben wie die Einleitung von konzentrierten Diskussionen in Kleingruppen, die Beantwortung von Fragen, die Ausrichtung der Diskussionen auf einen positiven Konsens sowie die Einbettung des neuen Lernstoffs in bereits bekannte Konzepte auf die Lehrperson zu (Wehr 2013, 116).
Slavin (1993, 153) unterscheidet sechs theoretische Perspektiven als Erklärungsgrundlage für die entstehenden Effekte auf die Gruppenarbeitsprozesse sowie die Leistung und den Lernerfolg durch das kooperative Lernen. Diese wiederum lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Während die ersten beiden, die motivationale Perspektive und die Perspektive der sozialen Kohäsion sich dem sozial-behavioralen Zugang zuordnen lassen, zählen die weiteren Perspektiven zum sozial-kognitiven Zugang (Johnson, Johnson & Holubec 2002, 12).
Diese fokussieren sich primär darauf, dass die gezielte Konstruktion von kooperativen Zielstrukturen eine für die Lernenden motivierende Situation erzeugt. In dieser können die individuellen Ziele und Lernerfolge der einzelnen Mitglieder nur dann erreicht werden, wenn die Gruppe die gestellten Aufgaben gemeinsam erfolgreich bewältigt. In Folge dessen müssen die Gruppenmitglieder untereinander sozial interagieren, sich gegenseitig unterstützen und Ihre Gruppenarbeitsprozesse optimieren. Sie motivieren die anderen und werden gleichzeitig motiviert sich selbst anzustrengen, um einen bestmöglichen Beitrag zur Gesamtgruppenleistung beizusteuern und dadurch Gruppenbelohnungen zu erhalten bzw. Gruppenziele zu erreichen. Die Gruppenmitglieder geben und erhalten also soziale Verstärker wie Lob und Ermutigungen als Reaktion auf aufgabenbezogene Anstrengungen (Slavin 1993, 153). Hohe Lernmotivation entsteht hiernach also durch die Vergabe von Gruppenbelohnungen durch die Lehrperson, also extrinsisch, unter der Voraussetzung, dass auch die individuellen Leistungen berücksichtigt werden (Gräsel & Gruber 2000, 163). Slavin (1993, 153) beschreibt diese Perspektive zusammenfassend wie folgt:
„[…] die Gruppenmitglieder [müssen] einander nicht tatsächlich helfen […] oder zusammenarbeiten. Die Tatsache, dass ihre Ergebnisse vom Verhalten der anderen abhängen, reicht zur Motivierung der Schüler für Verhalten aus, das zur Belohnung der Gruppe führt, da der Gruppenanreiz Schüler anregt, ihre Gruppenkameraden zu zielgerichtetem Verhalten zu ermuntern.“
Dieser Ansatz ist insoweit verwandt mit dem der motivationalen Perspektive, als dass hier ebenfalls motivationale und nicht kognitive Erklärungen herangezogen werden. Allerdings werden hier nicht die extrinsischen Anreize, sondern der soziale Zusammenhalt innerhalb der Gruppe als primäres Motiv beschrieben (Slavin 1993, 155). Auch andere Vertreter wie Cohen (1986) sehen hierbei das Interesse der Lernenden an der Gruppe selbst bzw. an den anderen Mitgliedern als wichtigen Faktor zur Entfaltung der Leistungseffekte. Die soziale Kohäsion innerhalb der Gruppe soll durch Gruppenbildungsaktivitäten gefördert werden.
Eine so gebildete Interdependenz und Wertschätzung untereinander soll die Mitgliedern bestärken, sich gegenseitig zu unterstützen und so der gesamten Gruppe zum Erfolg zu verhelfen (Slavin 1993, 157).
Den genannten sozial-behavioralen, und eher auf interpersonale Faktoren ausgerichteten Perspektiven, gegenüber stehen die kognitiven Perspektiven. Hierbei gibt es verschiedene Ansätze, welche im Folgenden erläutert werden sollen.
Die in der Literatur beschriebenen Ansätze aus der Entwicklungsperspektive zur Erläuterung der Vorteile von kooperativen Lernformen basieren im Wesentlichen auf den Ansätzen von Piaget (1969) und Vygotsky (1978).
Beide Autoren betonen die Wichtigkeit und die Bedeutung des Austausches und der Diskussion zwischen den Lernenden. Dieser Diskurs in Verbindung mit sozialen Interaktionen wird beschrieben als Ausgangspunkt für kognitive Prozesse, die den Erwerb von Wissen unterstützen und die bei den anderen Unterrichtsformen wie dem Frontalunterricht oder der Einzelarbeit nicht aktiviert werden. Sowohl Piaget (1974) als auch Vygotsky (1978) beschreiben die mentale Verarbeitung sowie Diskussionen innerhalb der Lerngruppe über die zu bearbeitenden Informationen als bedeutenderen Faktor für Leistungseffekte innerhalb kooperativer Lernsettings, als die Motivation der Gruppenmitglieder. Hierbei spielen weder der Aufbau von Gruppenkohäsion noch das aus motivationaler Perspektive entscheidende Merkmal der Gruppenziele in Form von extrinsischen Lernanreizen eine Rolle (Gräsel & Gruber 2000, 164).
Im Wesentlichen unterscheiden sich die beiden Sichtweisen in Bezug auf die kognitiven und sozialen Effekte und Einflüsse des Lernens wie folgt:
1. Soziogenetische Perspektive nach Piaget
Nach Piaget (1974) durchläuft ein Mensch in seiner Entwicklung nacheinander verschiedene Stufen. Auf diesen Stufen bildet er jeweils neue kognitive Konzepte, auch als Schemata oder Strukturen bezeichnet, aus Erfahrungen durch Interaktionen mit Menschen und Objekten in seiner Umwelt. Stößt er nun auf eine ihm unbekannte Situation, versucht er zunächst eine vorhandene Struktur anzuwenden. Diesen Vorgang bezeichnet Piaget als Assimilation, das bedeutet, der Mensch versucht die neue Situation an die bekannte Struktur anzupassen.
Als Gegenstück hierzu beschreibt Piaget die Akkommodation. Diese tritt ein, wenn die Assimilation fehlgeschlagen ist, also kein vorhandenes Konzept in der neuen Situation anwendbar ist und die Struktur modifiziert und angepasst werden muss, um die neue Situation zu bewältigen. Diese Situation bezeichnet Piaget auch als kognitiven Konflikt. Dessen erfolgreiche Bewältigung, durch Akkommodation bzw. Modifizierung der kognitiven Strukturen, bedeutet eine Weiterentwicklung des kognitiven Systems.
Beim kooperativen Lernen treten durch die soziale Interaktion mit den anderen Lernenden fast zwangsläufig genau diese kognitiven Konflikte auf, durch unterschiedliche Meinungen, Perspektiven oder Herangehensweisen. Dies wird in der Literatur als sozial-kognitiver Konflikt bezeichnet, wenn durch konstruktiven Diskurs zwischen den Lernenden und die dadurch entstehende Verbindung von sozialer Interaktion und kognitivem Konflikt, in besonderem Maße die kognitive Weiterentwicklung angeregt wird (Konrad & Traub 2001, 102).
Im Gegensatz zu den anderen Unterrichtsformen bieten also die kooperativen Lernsettings exakt das Umfeld, in welchem der einzelne Lernende die Möglichkeit hat, sich mit divergenten Meinungen auseinanderzusetzen und sozial-kognitive Konflikte entstehen zu lassen (de Lisi & Golbeck 1999, 37; Renkl 1997, 34; Fischer 2002, 8; 2007). Die konstruktive Lösung von sozial-kognitiven Konflikten trägt in besonderem Maße zur kognitiven Weiterentwicklung bei (Levine & Resnick 1993, 12).
Dabei kann es sowohl auftreten, dass einer der Lernpartner für ihn neues Wissen von seinem Gegenüber übernimmt, als auch, dass beide Lernpartner durch gemeinschaftliche Wissenskonstruktion eine erfolgreiche Strategie zur Problemlösung entwickeln (Perret-Clermont, Perret & Bell 1991, 47).
2. Soziokulturelle Perspektive nach Vygotsky
Auch die soziokulturelle Perspektive beschäftigt sich hauptsächlich mit der kognitiven Weiterentwicklung. Basierend auf den Ansätzen von Vygotsky (1978) steht im Zentrum dieser Theorie die Annahme, dass die kognitive Entwicklung jedes Individuums auf zwei verschiedenen Ebenen zu betrachten ist.
Zum einen die aktuelle Entwicklungsstufe, welche retrospektiv den momentanen kognitiven Stand beschreibt, und zum anderen die nächste Entwicklungsstufe, welche das nächste, potenzielle Niveau definiert. Um auf die jeweils nächste Stufe zu gelangen, muss ein Lernender
„die Distanz [zum neuen Entwicklungsniveau] […] durch das Lösen von Problemen unter Einweisung von [Lehrpersonen] oder in Zusammenarbeit mit fähigeren Gleichaltrigen […]“
überwinden (Vygotsky 1978, 86). Demnach resultiert, wie auch bei der soziogenetischen Perspektive, jede Entwicklung grundsätzlich aus sozialen Interaktionen beim Lernen (Glassmann 2000). Diese Entwicklungsschritte beschreibt Vygotsky (1978) als Problemlöseprozess, mit dem sich der Lernende auseinandersetzt. Um diese erfolgreich zu bewältigen, benötigt ein Lernender strukturierte Unterstützung, insbesondere wenn die gestellten Aufgaben sein aktuelles Kompetenzniveau übersteigen. Diese Hilfestellung muss zum richtigen Zeitpunkt erfolgen sowie anwendbar und verständlich sein (Gräsel & Gruber 2000, 165), um dazu beizutragen, eine „nächste Zone der Entwicklung zu erreichen“ (Vygotsky 1978, 86). Das kooperative Lernen bietet auch für diese theoretische Perspektive die notwendigen Rahmenbedingungen.
Ein gemeinsamer Standpunkt der beiden Entwicklungsperspektiven ist, dass die kooperative Zusammenarbeit mit anderen Gruppenmitgliedern es den Lernenden ermöglicht, Denk-, Verhaltens- und Vorgehensweisen bei ihren Gruppenpartnern zu beobachten. Bei positiver Bewertung können diese dann zunächst imitiert und letztlich auch internalisiert und in eigene Denk- und Verhaltensmuster implementiert werden (Kiper 2008, 108). Dies findet vor allem statt, wenn in einer heterogen zusammengesetzten Lerngruppe kompetentere und weniger kompetente Lernende miteinander interagieren und dabei Diskussionen und Argumentationen von verschiedenen Sichtweisen entstehen (Gräsel & Gruber 2000, 166). Dadurch wird es den schwächeren ermöglicht, fehlerhafte oder unzureichende Sichtweisen zu identifizieren und durch neue Erklärungsansätze zu verbessern. Des Weiteren verhelfen diese Diskussionen und der kooperative Austausch den auf niedrigeren Kompetenzniveaus befindlichen Lernenden dabei, auch ihr aktuelles kognitives Niveau noch übersteigende Aufgaben zu bewältigen und sich so sowohl auf fachlicher als auch auf sozialer Ebene weiterzuentwickeln (Slavin 1993, 159).
Gräsel und Gruber (2000, 165) stufen den Austausch und die Interaktionen beim Lernen mit kompetenteren Peers als besonders relevant und hilfreich ein bei der kognitiven Weiterentwicklung. Hierbei können durch den konstruktiven Diskurs und das Beobachten der Prozesse bei der Aufgabenbearbeitung diese internalisiert und dadurch höhere kognitive Funktionen erlangt werden. Die beiden Autoren, aber auch bereits Vygotsky in ersten Ansätzen, beschreiben also kompetentere Peers als eine Art Lernunterstützer innerhalb einer Lerngruppe , deren genauere Untersuchung in Bezug auf ihre notwendigen sozialen Kompetenzen auch Gegenstand der Forschung in der hier vorliegenden Arbeit ist (s. Kap. 5).
Hier wird Wissen als netzförmige, kognitive Struktur beschrieben, die untereinander verknüpft ist. Die Verarbeitung und Speicherung neuer Informationen funktioniert dabei besonders effektiv, wenn diese an vorhandenes Vorwissen angeknüpft werden können und mithilfe einer Umstrukturierung oder Elaboration bearbeitet werden (Huber 2007). Die produktive und intensive Auseinandersetzung mit dem Material durch kooperative Peer-Interaktionen, wie beispielsweise gegenseitiges Erklären des Lernstoffes, bedarf sowohl Vorwissen als auch logischer Argumentationen und kommunikativer Fähigkeiten seitens des Erklärenden und führt strukturiert zu Kontroversen oder Synthesen, welche beiden Beteiligten dabei helfen, die Thematik (noch besser) zu verstehen (Kiper 2008, 108). Bei der Strategie des elaborierten Erklärens legt der Erklärende eine ausführliche Beschreibung des Lösungsweges dar, was zum einen ihn selbst dazu zwingt, den Lernstoff tiefer zu durchdringen und zum anderen dem Lernpartner, der die Erklärung erhält, dabei hilft den Lernstoff zu verstehen.
Diese Perspektive geht davon aus, dass Lernende, wenn sie neue Informationen aufnehmen, behalten und mit bereits vorhandenem Vorwissen verknüpfen wollen, eine Elaboration oder Umstrukturierung des neuen Materials vornehmen müssen (Slavin 1993, 160). Unter einer kognitiven Elaboration versteht man die Erweiterung des neuen Lernmaterials um zusätzliche Wissenselemente (Anderson, Funke, Neuser-von Oettingen & Plata 2013), wofür sich die Strategie des elaborierten Erklärens als besonders effektiv herausgestellt hat (Webb, Ender & Lewis, 1986). Bei kooperativen Lernsettings bietet sich die Gelegenheit hierfür mehr als bei allen anderen Unterrichtsformen. Auch Konrad & Traub (2001, 10) erklären hierzu:
„Seinen Standpunkt zu einem Thema darstellen bzw. anderen sein Verständnis offen legen, sind typische Elemente für kooperative Lernsituationen. […] Dadurch stellt der Prozess des Erklärens ein Merkmal kooperativen Lernens dar, der beim individuellen Lernen in der Weise nicht auftreten kann. Zwar könnte man sich beim individuellen Lernen Versuche des Selbsterklärens vorstellen, doch muss dies als eine bewusste Strategie angewendet werden und ist nicht entsprechend natürlich und häufig in den Lernprozess eingebettet wie beim kooperativen Lernen.“
Eine bislang in der Literatur noch wenig beachtete Sichtweise ist die Übungsperspektive. Hierbei ist der entscheidender Faktor für den Erfolg von kooperativen Lernsettings die entstehende Möglichkeit zur Wiederholung und Übung des Lernstoffs. Brophy und Good (1986) bezeichnen Übungsgelegenheiten als kritische Determinante für einen effektiven Unterricht und eine kooperative Lernumgebung bietet hierfür mehr Gelegenheiten als jede andere Unterrichtsform. Verdeutlichen lässt sich dies bei der Aneignung von Fertigkeiten, die hohe Anforderungen hinsichtlich der Gedächtnisleistung erfordern. Beispielsweise kann das Erlernen von Rechtschreibung sinnvollerweise in kooperativer Zusammenarbeit geschehen, da die beteiligten Lernenden sehr leicht die höhere Effektivität der Kooperation gegenüber der individuellen Arbeit erkennen können, ohne dass motivationale Anreize oder kohäsionsfördernde Maßnahmen benötigt werden (Slavin 1993, 162).
Die Organisationsperspektive beschreibt noch einen weiteren, in der Literatur und der Forschung ebenfalls noch weniger beachteten Blickwinkel auf das kooperative Lernen. Während die Lernenden in Gruppen zusammenarbeiten und selbst Verantwortung für die Bearbeitung der Aufgaben sowie die Kontrolle der erarbeiteten Lösungen übernehmen, hat die Lehrperson mehr zeitliche Freiräume. Diese können dann genutzt werden, um gezielt einzelne Schüler zu unterstützen und bei Problemen zu helfen (Slavin 1993, 162).
In Abb. 2 wird versucht, die Zusammenhänge der verschiedenen Perspektiven darzustellen. Gruppenziele können demnach, sofern sie die individuellen Lernerfolge aller Gruppenmitglieder voraussetzen, die Lernenden dazu motivieren, sich sowohl Verhaltensmuster und Herangehensweisen abzuschauen als auch sich auf gemeinschaftliches Üben oder kognitive Elaboration einzulassen.
Desweitern sind Gruppenziele ebenso förderlich für das Erreichen von kohäsionalen Prozessen, da die Motivation zur gegenseitigen Unterstützung gegeben ist. Zuletzt unterstützen sie auch die Entwicklung und Übernahme von Verantwortung, sowie das von der Lehrperson unabhängige Bearbeiten und Lösen von Problemen. Insgesamt führen die Gruppenziele in Verbindung mit den anderen Paradigmen zu einem gegenüber dem individuellen Lernen besseren Lernerfolg (Slavin 1993, 164).
Abbildung 2: Hypothetische Zusammenhänge der sechs Perspektiven. In Anlehnung an Slavin (1993, 164) und Slavin (2011, 4)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beim traditionellen Lehrverständnis werden die unerfahrenen Schüler als ein leeres Blatt Papier bzw. als leere Gefäße betrachtet, welche darauf warten, vom Lehrer beschrieben bzw. mit Wissen und Weisheit gefüllt zu werden. Daraus leiten sich auch die klassischen Aufgaben einer Lehrperson ab, die Wissensvermittlung, das Füllen des Gehirns mit Wissen, die Einschätzung von Schülern und deren Kategorisierung sowie die Aufrechterhaltung einer Wettbewerbsstruktur (Green & Green 2007, 98).
Auf der Grundlage von zahlreichen Forschungen in den letzten 25 Jahren über die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns, die optimalen Lernvoraussetzungen, die motivationalen Faktoren des Lernens und der Bedeutung von Kooperation für die Konstruktion von neuem Wissen hat sich ein neues Verständnis für die Rolle der Lehrpersonen in der heutigen Zeit entwickelt.
War der Unterricht traditionell lehrerzentriert, sind kooperative Lernumgebungen lernerzentriert, das bedeutet, die Lehrperson erfährt eine Umstrukturierung hinsichtlich ihrer Position im Lehrer-Schüler Rollengefüge. Die Position im klassischen Frontalunterricht war am besten als die des Superiors zu beschreiben. Die Lehrkraft bei der kooperativen Unterrichtsorganisation nimmt eine mehr untergeordnete, aber dennoch sehr diversifizierte Rolle ein (Möbus 2013, 11). Zum einen fungiert die Lehrperson hier als Moderator, der die Schüler sowohl ermutigt, selbstverantwortlich zu arbeiten als auch ihnen in beratender Funktion zur Seite steht. Zum anderen sollen auftretende Probleme nunmehr innerhalb der Lerngruppe selbst gelöst werden, dies bedarf aber bei größeren Schwierigkeiten der extrinsischen Instruktion und Impulsgebung von möglichen Lösungsansätzen seitens der Lehrkraft (ebd., 12).
Die spezifischen Aufgaben einer Lehrperson in der Vorbereitung und auch während der Durchführung von kooperativen Lernsettings lassen sich im Wesentlichen in vier grundlegende Bereiche einteilen (Weidner 2016, 129):
(1) Festlegen der strukturellen Rahmenbedingungen
(2) Planen der Unterrichtseinheit(en)
(3) Beobachten und Unterstützen während der Gruppenarbeitsphasen
(4) Bewertung des Endprodukts und der Arbeitsprozesse
Schon hier wird deutlich, dass die Vorarbeit und Planung der kooperativen Lerneinheiten elementare Faktoren sind für einen positiven Verlauf und eine erfolgreiche Umsetzung. Im Folgenden sollen diese Aufgaben nun näher erläutert werden.
1. Festlegen der strukturellen Rahmenbedingungen
Dazu zählen beim kooperativen Lernen neben dem Festlegen der Zielsetzungen im fachlichen Bereich auch die sozial-kooperativen Ziele. Zum einen also was die Lernenden fachlich-kognitiv am Ende der Einheit beherrschen sollten und zum anderen, welche und wie diese sozialen Fertigkeiten gefördert werden können (Borsch 2019, 137). Des Weiteren muss die Lehrperson neben der adäquaten Gruppengröße in Abhängigkeit von den Zielsetzungen die Aufgabenstellungen und die Zusammensetzung der Lerngruppen festlegen. Ebenfalls müssen die räumlichen Gegebenheiten und das benötigte Lernmaterial vorbereitet werden (Green & Green, 2007, 130).
2. Planen der Unterrichtseinheit
Diese Aufgabe umfasst sämtliche im Vorfeld stattfindenden Tätigkeiten, um sicherzustellen, dass die geplanten Lernziele erreicht werden können. Die Form und Methode der kooperativen Unterrichtseinheit muss festgelegt sowie die lerninhaltlichen Zielsetzungen und Erfolgskriterien transparent formuliert werden. Eine Verteilung von spezifischen Rollen kann ebenso beitragen zur Entwicklung von positiver Interdependenz und individueller Verantwortlichkeit jedes Gruppenmitglieds und zum Erreichen der Lernziele (Weidner 2003, 99).
3. Beobachten und Unterstützen während der Arbeitsphase
In kooperativen Lernsequenzen sollten die gestellten Aufgaben von den Lernenden weitestgehend selbständig und eigenverantwortlich bearbeitet und gelöst werden. Die Lehrkraft agiert währenddessen lediglich als Beobachter und interveniert nur bei auftretenden Problemen und dem Bedarf nach Unterstützung seitens der Lernenden (Borsch 2019, 141).
4. Bewertung des Endproduktes und der Arbeitsprozesse
Am Ende der Arbeitsphase erfolgt zunächst die Bewertung der Arbeitsergebnisse. Dies kann durch die Lernenden selbst oder auch als gemeinsame Evaluation geschehen. Die Lehrperson muss den Lernenden sowohl während als auch im Anschluss an die kooperative Unterrichtseinheit Möglichkeiten zum Reflektieren über ihre Arbeitsprozesse geben und sie für diese auch konstruktiv instruieren. Dabei soll festgehalten werden, in welchen Punkten die Kooperation positiv verlaufen ist und in welchen Bereichen noch Optimierungspotenzial vorhanden ist (Green & Green, 2007, 132).
Wiater (1997, 52) definiert die Einzelarbeit als Arbeitsform, in der die Lernenden ohne direkte Lenkung des Lehrenden und ohne Mitwirkung von anderen Lernenden, in einem zeitlich begrenzten Rahmen Arbeitsaufträge erledigen. Diese Form des Unterrichts ist, wie auch das kooperative Lernen, lernerorientiert und erlaubt einen größeren Freiraum und mehr selbständiges Arbeiten als der Frontalunterricht, allerdings haben die Lernenden keine aktiven Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Die Lehrperson bietet hierbei die didaktischen Materialien an, welche angepasst sind an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Lernenden, und steht als Helfer und Berater zur Verfügung. Denkbar sind hier beispielsweise die Bearbeitung von Aufgaben zu einem vorher behandelten Text, eine Versuchsbeschreibung oder die Vorbereitung eines Einzelreferats. Im Vordergrund der Einzelarbeit stehen der Sachbezug sowie das kognitive Lernen, die soziale Komponente und Interaktionen mit anderen treten in den Hintergrund (Prior 1985, 151).
Die in Kap. 2.6. beschriebenen traditionellen Aufgaben spiegeln sich auch in dem Lehrverständnis und der Rolle der Schüler wider, welches dem Frontal- oder auch Klassenunterricht zugrunde liegt. Hierbei wird von den Schülern erwartet, sich passiv, abwartend und diszipliniert zu verhalten sowie wettbewerbsorientiert gegenüber ihren Mitschülern zu sein (Green & Green 2007, 98). Meyer (2011, 183) definiert Frontalunterricht als eine Unterrichtsform, in der die Klasse als homogene Gruppe von der Lehrkraft gemeinsam unterrichtet wird. Die Lehrperson kontrolliert und initiiert die Arbeits- und Interaktionsprozesse. Die Kommunikation verläuft fast ausschließlich zwischen Lehrkraft und Lernenden. Als Vorteile dieser Unterrichtsform nennt Prior (1985, 148) zum einen die didaktisch einfache Vorbereitung, da für alle eine einheitliche Methode der Wissensvermittlung angewandt wird. Zum anderen kann die Quantität des Lernstoffes sowie das Tempo, in dem dieser vermittelt wird, leicht von der Lehrperson gesteuert werden.
Auch wenn nach den Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte der Frontalunterricht als ausschließliche Sozialform des Unterrichts abzulehnen ist, so hat er durch seine Eignung zum Erreichen bestimmter didaktischer Zielsetzungen nach wie vor seine Berechtigung. Nach Meyer (2011, 187) können beispielsweise die Herstellung einer allgemeinen Orientierungsgrundlage für ein neues Themengebiet, die Darstellung von neuen sachlichen Zusammenhängen in Verbindung mit lehrergesteuerten Fragestellungen sowie die Sicherung von Arbeitsergebnissen (auch aus kooperativen Lernsettings) sehr gut durch Frontalunterricht erreicht werden.
Neben den in Kapitel 2.1 vorgestellten Basismerkmalen des kooperativen Lernens liegt ein weiteres spezifisches Merkmal in der besonderen Gestaltung der Lernumgebungen und einer Art Rhythmisierung des Lernens und dessen Ablaufs (Scholz 2013, 2). Dieser Lernrhythmus setzt sich zusammen aus drei aufeinander folgenden Schritten: think - pair - share.
Erstmals vorgeschlagen wurde diese Struktur Anfang der 1980er Jahre von Lyman (1981). Er ging davon aus, dass die Anwendung dieser Methode bei den Schülern ein hohes Maß an Aktivität auslöst und ermöglicht, insbesondere in Verbindung mit einer offenen und herausfordernden Fragestellung seitens der Lehrkraft.
Zahlreiche Autoren, darunter Green und Green (2005, 130), haben diese Methode aufgegriffen, sehen diese aber nur als eine von vielen innerhalb des sehr vielseitigen Repertoires des Kooperativen Lernens. Für Brüning und Saum (2009, 83) stellt dieser Dreischritt aus „Denken – Austauschen – Vorstellen“ allerdings die Grundstruktur und den zentralen Kern des kooperativen Lernens dar. Sich zusammensetzend aus einem Wechselspiel von individuellem und kooperativem Lernen, ist der Ablauf dieser Methode im Grundsatz wie folgt:
- Einzelarbeit – think: Zu Beginn einer kooperativen Arbeitsphase haben die Lernenden zunächst eine kurze Phase der individuellen Arbeit. Jeder Lernende setzt sich hier innerhalb eines kurzen Zeitraums mit einem vorgegebenen Sachverhalt oder einer Problemstellung mit Hilfe seiner individuellen Lernstrategien auseinander und hält seine Antworten oder Lösungsansätze fest. Anschließend finden sich kleine Gruppen von Lernenden zusammen.
- Austauschen – pair: In diesen Gruppen (oder Dyaden) präsentieren die Lernenden sich gegenseitig ihre Ergebnisse, um sich danach im offenen Diskurs auf eine ihrer Meinung nach angemessene Variante zu einigen.
- Vorstellen – share: Anschließend werden die in der Gruppe als Konsens festgelegten Antwortvarianten im großen Plenum vor der Klasse präsentiert. Danach kann der Dreischritt auch nochmals wiederholt werden, indem die vorgestellten Lösungswege zunächst wieder in Einzelarbeit aufgearbeitet werden und dann innerhalb von kleinen Gruppen diskutiert werden. Die Lernenden setzen sich dadurch vertieft mit dem Lernstoff auseinander und haben große Lernpotentiale (Brüning & Saum 2009, 84).
Die Anwendung dieser Methode verbindet eine Vielzahl an Faktoren, welche die Effektivität von kooperativem Lernen fördern und verstärken. Die Lernenden werden in diesen kooperativen Situationen mit einer Vielzahl von kognitiven Konflikten konfrontiert, sind aktiv, haben eine Vielzahl von sozialen Interaktionen mit (kompetenteren oder schwächeren) Peers, benötigen soziale Kompetenzen für den konstruktiven Diskurs und können sich ihr Wissen aus mehreren Perspektiven und Lösungswegen konstruieren (Brüning & Saum 2009, 85).
Für diese Grundstruktur gibt es eine Vielzahl von Variations- und Kombinationsmöglichkeiten, um sie in kooperative Lernsettings zu integrieren. Die bekanntesten Formen von kooperativen Lernumgebungen sollen im Folgenden kurz erläutert werden.
Alle Formen von kooperativen Lehr-Lern-Arrangements basieren auf der gleichen Idee, dass die Lernenden nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch verantwortlich sind für den Lernerfolg ihrer Gruppenpartner. Grundsätzlich lassen sich alle kooperativen Lernmethoden in zwei Kategorien einteilen. Zum einen die Methoden des Strukturierten Gruppen Lernen s, bei welchen die Gruppenziele abhängig sind vom Lernerfolg der einzelnen Mitglieder und zum anderen die Methoden des Informellen Gruppen Lernens, die den Fokus eher auf die soziale Kohäsion und durch die Interaktionen entstehenden Diskussionen legen als auf den faktischen Lernerfolg (Slavin 2011, 17).
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