Bachelorarbeit, 2021
54 Seiten, Note: 1,0
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Fragestellung
1.3 Thematischer Umriss der Arbeit
2 Interkulturelle Pädagogik
2.1 Begriffserklärung: Interkulturelle Pädagogik
2.2 Ausländerpädagogik
2.3 Der Paradigmenwechsel: Von Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik
2.3.1 Historischer Kontext
2.3.2 Ein Vergleich der paradigmatischen Ansätze
2.4 Ziele
2.5 Kritische Gesichtspunkte
3 Rassismus
3.1 Begriffsgeschichtliche Hintergründe
3.2 Begriffserklärung: Rassismus
3.3 Ebenen von Rassismus
3.3.1 Individueller Rassismus
3.3.2 Institutioneller Rassismus
3.3.3 Kultureller Rassismus
4 Bildungsbenachteiligung und Diskriminierung
4.1 Begriffsgeschichtliche Hintergründe
4.2 Bildungsbenachteiligung
4.3 Diskriminierung
4.4 Institutionelle Diskriminierung
4.5 Intersektionalität
5 Inklusion
5.1 Begriffserklärung: Inklusion
5.2 Inklusion im historischen Kontext
5.3 Ziele
5.4 Legitimität: Inklusion
6 Interkulturelle Pädagogik und Inklusion
6.1 Gemeinsamkeiten
6.2 Differenzen
7 Fazit und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Interkulturelle Pädagogik und die Inklusion sind allgegenwärtige Diskurse, die in Deutschland in den vergangenen Jahren zu einem bildungspolitisch und erziehungswissenschaftlich intensiv diskutierten Thema avancierten (vgl. Euler 2016, S. 27; vgl. Budde und Hummrich 2015, S. 33). Die Diskussion beruht dabei primär auf Menschen, die aufgrund vielfältiger Merkmale diskriminiert und aus der heutigen Gesellschaft exkludiert werden.
Die „Interkulturelle Pädagogik“ richtet sich an „alle“, und das heißt, dass sie anders als die frühere „Ausländerpädagogik“ nicht nur Migrantinnen und Migranten berücksichtigt, sondern auch diejenigen, die in einem Land als Einheimische gelten und nicht von Fremdheitszuschreibungen betroffen sind. Die Interkulturelle Pädagogik hat sich mittlerweile „als erziehungswissenschaftliche Fachrichtung etabliert“ (Auernheimer 2003, S. 9; vgl. Gogolin und Krüger-Potratz 2010, S. 11) und thematisiert insbesondere Schlechterstellungen in Erziehung, Bildung und Sozialisation vor dem Hintergrund von ethnischen, nationalen, religiösen und körperspezifischen Fremdheitszuschreibungen.
Neben diversen Merkmalen, wie beispielsweise das Geschlecht, das Alter oder kultureller bzw. ethnischer Hintergründe, ist auch die Behinderung ein Charakteristikum, das die Heterogenität einer Gesellschaft mitbestimmt. In Deutschland werden bis heute viele Menschen mit körperlichen sowie geistigen Behinderungen aus der Gesellschaft und insbesondere aus dem Schulsystem ausgeschlossen und separiert, sodass sie in Förderschulen anstelle von Regelschulen untergebracht werden, wodurch infolgedessen das gemeinsame Lernen von SuS mit und ohne Behinderung verhindert wird und dementsprechend Menschen mit Behinderung ihre Potenziale nicht weiterentwickeln können. Die UNESCO-Kommission (o. D.) formulierte, dass „nicht der Lernende […] sich in ein bestehendes System integrieren [muss], sondern das Bildungssystem muss die Bedürfnisse aller Lernenden berücksichtigen und sich an sie anpassen“. Im Zuge dessen wurde die Exklusion bzw. die Separation aufgebrochen und man schaute nach einem adäquaten und zufriedenstellenden Umgang mit Heterogenität, in diesem Fall: die „Inklusion“. Auch die Inklusion fokussiert sich nicht ausschließlich auf Menschen mit Behinderung, sondern richtet sich an „alle“, denn Menschen sollen unabhängig von irgendeiner Kategorienzugehörigkeit die Gelegenheit zur Bildung und die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen haben.
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich explizit mit dem Thema „Interkulturelle Pädagogik und Inklusion“. Korrespondierend dazu handelt es sich hierbei um eine Studie über Bezugsmöglichkeiten von Seiten der Interkulturellen Pädagogik hinsichtlich des Inklusionsdiskurses. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der zentralen Kernfrage bzw. Fragestellung: „Inwiefern ist die Inklusion ein Thema für die Interkulturelle Pädagogik?“. Das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit besteht darin, diese Kernfrage als Untersuchungsgegenstand im Laufe dieser Arbeit zu revidieren und im Rahmen dessen zu beantworten. Dieser Kernfrage nachzugehen, hat sich aus persönlichem Interesse zu beiden Diskursen entwickelt. Das Anliegen dieser Arbeit besteht darin, ein Vergleich beider Diskurse herzustellen, da in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft und in der deutschen Bildungspolitik beide Begriffe zwar koexistieren, jedoch kaum in der Literatur in einem gemeinsamen Kontext thematisiert werden. Da beide Begriffe unterschiedlich definiert und kaum respektive selten von Seiten der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft und der deutschen Bildungspolitik in der Literatur miteinander verglichen werden und darauf geschaut wird, inwiefern man die Inklusion thematisch zur Interkulturellen Pädagogik zuordnen kann, wird mit dieser Arbeit ein Diskussionsbeitrag geleistet und diesbezüglich untersucht, ob und inwiefern Gemeinsamkeiten und Differenzen beider Diskurse vorliegen.
Die wissenschaftliche Arbeit beginnt mit dem Kapitel „Interkulturelle Pädagogik“ (Kap. 2), worin eine begriffliche Grundlage für die vorliegende Arbeit geschaffen werden soll, indem die Begriffe „Interkulturelle Pädagogik“ (Kap. 2.1) und „Ausländerpädagogik“ (Kap. 2.2) erklärt werden. Darauf aufbauend wird im Teilkapitel „Der Paradigmenwechsel: Von Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik“ (Kap. 2.3) ein Bezug auf den „Historischen Kontext“ (Kap. 2.3.1) beider Begriffe hergestellt und anschließend „Ein Vergleich der paradigmatischen Ansätze“ (Kap. 2.3.2) herangezogen, wodurch ein besserer Überblick verschafft werden soll und die Überleitung zwischen den paradigmatischen Ansätzen die Entstehungsgeschichte näher beleuchten soll. Abschließend zu diesem Kapitel werden die „Ziele“ (Kap. 2.4) und anschließend „Kritische Gesichtspunkte“ (Kap. 2.5) der Interkulturellen Pädagogik vorgestellt.
Im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Arbeit wird das Thema „Rassismus“ (Kap. 3) herangezogen, in der die „Begriffsgeschichtliche Hintergründe“ (Kap. 3.1) und die „Begriffserklärung“ (Kap. 3.2) zu Rassismus dargestellt werden soll, um einen Einblick in die Thematik zu gewährleisten. Da die Forschung hierzu eine Bandbreite an Meinungsverschiedenheiten aufweist, wird letztlich der Rassismus in seine verschiedenen Ebenen unterteilt und näher beleuchtet. In diesem Zusammenhang werden die „Ebenen von Rassismus“ (Kap. 3.3) untergliedert in „Individueller Rassismus“ (Kap. 3.3.1), „Institutioneller Rassismus“ (Kap. 3.3.2) und „Kultureller Rassismus“ (Kap. 3.3.3) präsentiert und jeweils kurz im schulischen Kontext vorgestellt.
Das nächste Kapitel der vorliegenden Arbeit widmet sich der „Bildungsbenachteiligung und Diskriminierung“ (Kap. 4), in der ein Einblick in die „Begriffsgeschichtliche Hintergründe“ (Kap. 4.1) beider Begriffe verschafft wird und die Begriffe „Bildungsbenachteiligung“ (Kap. 4.2) und „Diskriminierung“ (Kap. 4.3) erklärt werden. Ferner bezieht sich die „Diskriminierung“ (Kap. 4.3) auf die verschiedenen Diskriminierungsformen und bei beiden Begriffen (Kap. 4.2 + 4.3) werden auf verschiedene Theorien eingegangen und kurz mit Blick auf Schule behandelt, um den Umgang mit diesem Thema zu erleichtern und ein gemeinsames Hintergrundwissen zu vermitteln. Da es sich hierbei auch um eine Bildungsbenachteiligung bzw. weitere Varianten/Formen von Diskriminierung handelt, werden auch die Begriffe „Institutionelle Diskriminierung“ (Kap. 4.4) und „Intersektionalität“ (Kap. 4.5) in den historischen Kontext eingeordnet, erklärt, die Formen von institutioneller Diskriminierung in Betracht gezogen und letzten Endes beide Begriffe mit Bezug auf Schule thematisiert. Weiterführend ist anzumerken, dass die Kapitel 2 – 4 dem Zweck dienen, die Interkulturelle Pädagogik näherzubringen und sind essenziell für die Beantwortung der Kernfrage, da die „Diskriminierung“ und der „Rassismus“ Grundbegriffe der Interkulturellen Pädagogik sind und anhand des Fundaments ersichtlicher werden soll, inwiefern die Inklusion thematisch der Interkulturellen Pädagogik zuordnen lässt.
Im nächsten Kapitel der wissenschaftlichen Arbeit wird das Thema „Inklusion“ (Kap. 5) behandelt. Im ersten Schritt wird die „Begriffserklärung: Inklusion“ (Kap. 5.1) dargestellt und im Anschluss daran wird die „Inklusion im historischen Kontext“ vorgestellt, um generell die Thematik näher zu beleuchten (Kap. 5.2). Weiterhin werden die „Ziele“ (Kap. 5.3) der Inklusion präsentiert und letztlich die „Legitimität: Inklusion“ (Kap. 5.4) erarbeitet, die für die Bearbeitung und das Revidieren des letzten Kapitels genutzt wird.
Das letzte Kapitel „Interkulturelle Pädagogik und Inklusion“ (Kap. 6) beschäftigt sich mit der Kernfrage dieser Arbeit und soll aufzeigen, ob und inwiefern „Gemeinsamkeiten“ (Kap. 6.1) und „Differenzen“ (Kap. 6.2) zwischen den pädagogischen Strömungen der „Interkulturellen Pädagogik“ und der „Inklusion“ vorliegen.
Abschließend wird die wissenschaftliche Arbeit anhand eines Fazits (Kap. 7) beendet.
Der Präfix „Inter“ im Wort Interkulturalität bzw. aus dem Begriff „Interkulturelle Pädagogik“ stammt aus dem Lateinischen und deutet auf ein Zwischen der Kulturen hin, also auf einen zwischenkulturellen Zustand (vgl. Pries und Maletzky 2018, S. 56). Paul Mecheril erläutert, dass seit Anfang der 1980er Jahre das Wort „interkulturell“ im Zusammenhang mit Bildung, Erziehung und Pädagogik Verwendung findet und seither in der erziehungswissenschaftlichen Fachöffentlichkeit zum Schlüsselbegriff entwickelt hat, um Fragen im Themenfeld „Migration und Bildung“ zu thematisieren (vgl. 2010, S. 19). Weitere Autorinnen und Autoren konstatieren, dass „die Interkulturelle Pädagogik, nach mehr als zwanzig Jahren inzwischen als erziehungswissenschaftliche Fachrichtung etabliert [hat]“ (Auernheimer 2003, S. 9) bzw. eine „Subdisziplin der Erziehungswissenschaft [geworden] ist“ (Gogolin und Krüger-Potratz 2010, S. 11). Auch Mecheril und Gogolin et al. weisen darauf hin, dass sich die Interkulturelle Pädagogik, in den letzten Jahrzehnten, mittlerweile als eigenständiges pädagogisches Fachgebiet in der Erziehungswissenschaft etabliert hat (vgl. Mecheril 2010, S. 57, 63; vgl. Gogolin et al. 2018, S. 11). Hans-Joachim Roth stellt die These auf, dass die Teildisziplin der Erziehungswissenschaft, die inzwischen als Interkulturelle Pädagogik installiert ist, die Frage nach Stellenwert und politischem Standort der Pädagogik, ihrer gesellschaftlichen Funktion und Rolle von Neuem stellt (vgl. 2002, S. 20). Im „Studienbuch Interkulturelle Pädagogik“ konstatiert Charis Anastasopoulos, dass die Interkulturelle Pädagogik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin im deutschsprachigen Raum aus der Aufmerksamkeit der Erziehungswissenschaft auf die Folgen der internationalen Migration für Erziehung, Bildung und Sozialisation entstanden ist (vgl. 2019, S. 12).
Laut Thomas Geisen steht im Zentrum der Interkulturellen Pädagogik u. a. die Frage, was auf der individuellen wie gesellschaftlichen Ebene geschieht, wenn Menschen migrieren und somit ihren Lebensmittelpunkt verlagern (vgl. 2018, S. 45). Diesbezüglich wurde durch die Zuwanderung und dem verstärkt einsetzendem Familiennachzug bzw. Migrationsbewegung eine neue Art von Multikulturalität mit sich gebracht (vgl. Auernheimer 2007, S. 9) und um die infolgedessen steigenden ausländischen Schülerinnen und Schülern (SuS) lösten sich kontroverse Diskussionen bezüglich der Eingliederung dieser neuen Schülergruppe aus, woraus sich die Interkulturelle Pädagogik entwickelte (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 186). Das Programm der Interkulturellen Pädagogik, was aus der Kritik der „unprogrammatischen“ Ausländerpädagogik entstand (vgl. Mecheril 2010, S. 62), befasst sich mit der „migrations- und damit fremdheitsbedingten Heterogenität“ (Krüger-Potratz 2018, S. 186). „Die Kritik der Ausländerpädagogik […] leitete über zum Konzept einer Interkulturellen Pädagogik“ (Griese 2004, S. 7), welche eine Vielfalt an Konzepten und Diskursen beinhaltet und den Fokus tendenziell auf die schulischen Herausforderungen legt. Die Interkulturelle Pädagogik geht grundsätzlich davon aus, dass ein Zusammenleben verschiedener Kulturen möglich ist, da es sich durch eine Abgrenzung zur Ausländerpädagogik auf Differenzen von Kulturen statt auf Defizite von Migrantinnen und Migranten konzentrierte. Auernheimer weist in seinem Buch „Einführung in die Interkulturelle Pädagogik“ darauf hin, dass für die Interkulturelle Pädagogik zwei Grundsätze gelten; das der Gleichheit und das der Anerkennung (vgl. 2003, S. 20). Die Interkulturelle Pädagogik nimmt an, dass die Begegnung unterschiedlicher Kulturen für jeden eine Bereicherung sein kann und dass es möglich ist, verschiedene Perspektiven einzunehmen, da Fremdes für das Eigene bedeutsam wird und dies zu wechselseitigen Beziehungen zwischen Eigenem und Fremdem führt, die als interkulturell bezeichnet werden können (vgl. Thomas 2005, S. 46). Prengel ist der Auffassung, dass die Interkulturelle Pädagogik der Tatsache Rechnung zu tragen versucht, dass unser Bildungswesen von Angehörigen verschiedener Kulturen und Ethnien besucht wird und das Verhältnis zwischen der deutschen Mehrheitskultur und den Angehörigen unterschiedlicher Gruppen thematisiert (vgl. 1993, S. 63; vgl. 1995, S. 64).
Es wird heute von einer Interkulturellen Pädagogik gesprochen, die als notwendige Antwort auf die entstandene und dauerhaft bestehen bleibende, als dauerhaft zu akzeptierende multikulturelle Gesellschaft mit Zuwandern aus anderen Kulturen sowie mit daraus entstehenden oder schon vorher existierenden ethnischen Minoritäten verstanden wird (vgl. Nieke 2008, S. 34). Daher ist die Interkulturelle Pädagogik, die interdisziplinär ausgerichtet ist (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 190), ein Thema, das jeden betrifft und angeht, da sie sich an Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Lehrende und Lernende richtet (vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 30) und als eine Entwicklungsaufgabe verstehen werden kann, an der alle im Bereich von Bildung und Erziehung beteiligt sind (vgl. ebd., S. 31).
Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Ausländerpädagogik“ erklärt und Bezug auf einige Autorinnen und Autoren genommen. Anschließend wird im nächsten Schritt der Fokus auf die Kritik der Ausländerpädagogik gesetzt.
Der Begriff „Ausländerpädagogik“ ist in der Pädagogik ein paradigmatischer Ansatz, der sich, wie man vom Terminus „Ausländerpädagogik“ entnehmen kann, mit Menschen aus der Gesellschaft beschäftigt, die als fremd wahrgenommen werden bzw. als „ausländisch“ definiert werden. Der Schlüsselbegriff „Ausländerpädagogik“ wird verstanden als
„eine frühe Phase der pädagogischen Reaktion auf durch Arbeitsmigration im Nachkriegsdeutschland entstandene Situationen, insbesondere an Schulen […]. Manche weisen darauf hin, dass „Ausländerpädagogik“ als Bezeichnung erst in der Kritik dessen entstanden ist, was als „Ausländerpädagogik“ bezeichnet wurde. Schließlich kann der Ausdruck „Ausländerpädagogik“ einen Typ der pädagogischen Reaktion auf migrationsgesellschaftliche Differenzverhältnisse bezeichnen, dessen Relevanz nicht auf bestimmte zeitliche oder räumliche Kontexte beschränkt ist“ (Mecheril 2010, S. 61).
Die Ausländerpädagogik entstand in den 1960er Jahren und beschäftigte sich als erste pädagogische Maßnahme mit den von Gastarbeitern zugewanderten Migrantenfamilien und deren Einbeziehung in die deutsche Kultur. Laut Anastasopoulos wurden Migrantinnen und Migranten und ihr Nachwuchs in ausländerpädagogischer Sicht meist als sehr spezielle Mängelwesen mit einem besonderen Korrekturbedarf betrachtet (vgl. 2019, S. 12). Der Begriff entstand aus der Notwendigkeit heraus Gastarbeiterkinder an deutschen Schulen gemeinsam mit Kindern deutscher Muttersprache zu unterrichten (vgl. Nohl 2006, S. 19). Aufgrund der steigenden Zahlen der Migrantenkinder bzw. Gastarbeiterkinder, kam es mit der Zeit nach und nach zur Institutionalisierung von Ausländerpädagogik an fast allen Hochschulen (vgl. Prengel 1995, S. 65).
Gegenwärtig wird der Begriff „Ausländerpädagogik“ im alltäglichen Gebrauch gelegentlich im Rahmen einer negativen ethnischen Abgrenzung verwendet. Die Ausländerpädagogik steht bezüglich diversen Punkten in der Kritik. Die Ausländerpädagogik richtet den Fokus auf die Migrantenkinder, also auf die von der Gesellschaft bezeichneten „anderen Kinder“ und folgt somit eine einseitige Perspektive (Zielgruppenspezifik). Isabell Diehm bezeichnet die Ausländerpädagogik als „defizitorientiert“ und „segregierend“ (2016, S. 347). Ebenso legt die Ausländerpädagogik den Fokus auf die Assimilation, da man die Kulturen der Migrantenkinder nicht anerkannte, somit eine homogene Kultur bevorzugte und dafür jedoch, wie oben beschrieben, die Migrantenkinder in die deutsche Kultur eingliederte. Die Ausländerpädagogik richtet sich auch im schulischen Kontext ausschließlich an die ausländischen SuS und wurde darum als „Ausländerpädagogik“ kritisiert (vgl. Prengel 1995, S. 76). Doron Kiesel stimmt dieser Feststellung zu und erwähnt, dass die Ausländerpädagogik zwar den Ausgleich von Defiziten der ausländischen SuS anstrebte, sich demnach aber unhinterfragt am deutschen Schulsystem orientierte (vgl. 1996, S. 84). Letztlich konstatiert Prengel, dass das Dilemma dieser Ausländerpädagogik darin besteht, dass sie einerseits im Interesse der Überlebenschancen der Eingewanderten unverzichtbar ist, dass sie aber zugleich auf einem monokulturellen Weltbild basiert, welches die Heimatkulturen, aus denen die Kinder kommen und die Migrantenkulturen, in denen sie inzwischen leben, ausblendet, ignoriert und damit auch entwertet (vgl. 1995, S. 76).
Die Erzählung von der Genese und dem Ablauf der „Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik“ findet sich in verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Überblickdarstellungen wieder (vgl. Diehm 2016, S. 344). In den 1960er Jahren entstand die Bezeichnung „Ausländerpädagogik“, die den Blick auf die zugewanderten Menschen, auf deren „Ausländerstatus“ und den als zeitlich begrenzt angesehenen Aufenthalt in der Bundesrepublik gerichtet hatte (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 187). In den 1970er Jahren, welche auch als Dekade des Defizitkurses bezeichnet wird, kam es an deutschen Schulen zu deutlich angestiegenen Zahlen der „Ausländerkinder“ bzw. „Migrantenkinder“, wodurch ein Problembewusstsein entstand, das durch Darstellungen und Äußerungen überforderter Lehrpersonen, Eltern, die den Schulerfolg ihrer Kinder gefährdet sehen, aber auch durch Nachfragen der Herkunftsländer der „Gastarbeiter“ forciert wird (vgl. Mecheril 2010, S. 56). Korrespondierend dazu entstand eine intensive pädagogische Reaktion auf die Arbeitsmigration, pädagogische Konzepte/Strategien (später „Ausländerpädagogik“ genannt) formieren sich als schulpädagogische Sonderpädagogik und die ausländerpädagogischen Fördermaßnahmen nehmen Defizite der „Ausländerpädagogik“ in den Blick (vgl. ebd.). Diehm erläutert in diesem Zusammenhang, dass ab Mitte der 1970er Jahre zentrale Strukturmerkmale und Entwicklungen, die für unterschiedliche pädagogische Institutionen (Kindergarten, Schule und außerschulische Einrichtungen) Ähnlichkeiten aufweisen, rekonstruiert wurden (vgl. 2016, S. 344). Letztlich wurde die Bezeichnung „Ausländerpädagogik“ ab Ende der 1970er Jahre unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisiert, u. a. mit der Begründung, dass Ausländer keine pädagogische Kategorie und Ausländerpädagogik keine Pädagogik sei, da sie sich an Nationalitäten und nicht an Menschen orientiere (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 187). Ab den 1980er Jahren, welche auch als Dekade des Differenzdiskurses bezeichnet wurde, setzte eine intensive Kritik der Defizit-, Förder- und Sonderperspektive der Ausländerpädagogik ein (vgl. Mecheril 2010, S. 56). Ab Mitte der 1980er Jahre kam es dann schließlich zu einem Paradigmenwechsel in der Bildungsforschung: Die Ausländerpädagogik wurde in der Fachwissenschaft durch die Interkulturelle Pädagogik abgelöst und folglich wurden auch in der Praxis Veränderungen im Bildungssystem angestrebt (vgl. Fereidooni 2011, S. 47), ohne nach einer treffenderen Bezeichnung zu suchen (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 187f). Demzufolge sei der einzig angemessene Begriff „die Interkulturelle Pädagogik“ (vgl. ebd.), da im Gegensatz zur Ausländerpädagogik nicht auf einer Defizit- sondern einer Differenzperspektive basierte (vgl. Georgi 2018, S. 64). In den 1990er Jahren (auch die Dekade des Dominanzdiskurses bezeichnet) wurde laut Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) die interkulturelle Bildung ein Bestandteil allgemeiner Bildung und versteht diese als Querschnittsaufgabe aller Bildungseinrichtungen bzw. zentrale Qualifikation für alle SuS (vgl. Mecheril 2010, S. 57). Seit den 2000er Jahren werden interkulturelle Fragestellungen und Diskurse auch von anderen erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen in Bezug genommen (vgl. Gogolin et al. 2018, S. 13).
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Tabelle1: Die »Anderen« in »Ausländerpädagogik« und »Interkultureller Pädagogik« (Mecheril 2010, S. 61)
Die Ausländerpädagogik und die Interkulturelle Pädagogik geben grundlegende pädagogische Reaktionen auf migrationsgesellschaftliche Unterschiede wieder und umfassen als Bezeichnung für Prinzipien, die in bestimmten historischen Perioden und in bestimmten politischen Kontexten herrschend sind, eine Vielzahl von Handlungsansätzen, theoretischen Referenzen und Selbstverständnissen (vgl. Mecheril 2010, S. 60). In dem Lehrbuch „Migrationspädagogik“ werden die Unterschiede der paradigmatischen Ansätze „Ausländerpädagogik“ und „Interkulturelle Pädagogik“ tabellarisch aufgezeigt. Mecheril markiert Merkmale beider Paradigmen (Siehe Tabelle 1): Die Ausländerpädagogik richtet sich an die Zielgruppe „Ausländer“ und auf deren Pass/Herkunft (Nationalitäten), während die Interkulturelle Pädagogik nicht auf „spezifische Andere“ Bezug nimmt, sondern rückt die Unterscheidung aller Menschen und deren Kulturen in den Vordergrund. Die Ausländerpädagogik beurteilt die „Anderen“ nach ihren (Sprach-)Fertigkeiten, während bei der Interkulturellen Pädagogik hingegen die Akzeptanz des Unterschieds zwischen den kulturellen Identitäten von Wichtigkeit ist. Die Ausländerpädagogik basiert auf einer Defizitperspektive und die „Anderen“ werden an die deutsche Kultur assimiliert bzw. müssen sich angleichen. Im Gegensatz dazu erkennt die Interkulturelle Pädagogik die Differenz der Migrantinnen und Migranten an und trifft für dessen Anerkennung ein. Die Kultur der Zugewanderten und ihrer Kinder werden bei der Ausländerpädagogik als defizitär und lediglich bei der Interkulturellen Pädagogik different zur Kultur der „Einheimischen“ betrachtet (vgl. Nohl 2014, S. 9). Korrespondierend dazu erläutert Anastasopoulos, dass die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und vor allem ihr Nachwuchs anfangs von Seiten der Ausländerpädagogik, aus der später Interkulturelle Pädagogik hervorgegangen ist, von deutschen Einheimischen unterschieden wurden und diese Unterschiede wurden für gewöhnlich als Defizite betrachtet, die durch Angleichungen aufgelöst werden sollten (vgl. 2019, S. 12). Letztlich wird bei der Ausländerpädagogik v. a. die „Anderen“ durch bestimmte pädagogische Konzepte gefördert, die Interkulturelle Pädagogik hingegen legt pädagogische Konzepte aus, die die Begegnung verschiedener Kulturen und das Verstehen der Unterschiede anstrebt.
Die Interkulturelle Pädagogik hat sich im Anschluss und mit der Kritik an der Ausländerpädagogik vermehrt Ziele aufgestellt, um deutlich zu machen, dass die Interkulturelle Pädagogik sich von der Ausländerpädagogik abwendet und diese nicht toleriert. Hans-Joachim Roth konstatiert in seinem Buch „Kultur und Kommunikation“, dass der Interkulturellen Pädagogik die Aufgabe zuwächst, Normen und Werte wie Offenheit, Toleranz, Akzeptanz, Gleichbehandlung, Minderheitenschutz, Solidarität etc. auch im Sinne einer an Differenzen interessierten prozeduralen Demokratie zu vertreten und zu vermitteln (vgl. 2002, S. 555). Somit setzt sich die Interkulturelle Pädagogik zum Ziel, Vorurteile sowie Missverständnisse aufzudecken und Situationen, die zu Exklusionen und Diskriminierungen führen, entgegen zu arbeiten. Mecheril ist der Auffassung, dass das zentrale Bildungsziel der Interkulturellen Pädagogik die Anerkennung der kulturellen Differenz ist (vgl. 2010, S. 62). Demnach möchte die Interkulturelle Pädagogik die Herausforderung, „alle Kulturen als gleichwertig anzuerkennen und mit kultureller Vielfalt leben zu lernen“ (Georgi 2018, S. 64), in eine Chance für jeden verwandeln. Auernheimer weist daraufhin, dass weitere Ziele zum einen Haltungen, zum anderen Wissen und Fähigkeiten, z. B. das Wissen um strukturelle Benachteiligung, Sensibilität für mögliche Differenzen, die Fähigkeiten zum Perspektivwechsel sowie gleiche Rechte, Respekt und Akzeptanz für Andersheit sind (vgl. 2003, S. 20f.). Zu den weiteren Leitmotiven der Interkulturellen Pädagogik gehören, das Eintreten für Gleichheit aller ungeachtet der Herkunft (und mittlerweile auch ohne den Fokus ausschließlich auf Migrantinnen und Migranten zu richten) und die Befähigung zum interkulturellen Verstehen sowie zum interkulturellen Dialog (vgl. Auernheimer 2007, S. 21). Letztlich geht es im Kern der Interkulturellen Pädagogik darum, alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft für das Leben in einer ethnischen, sprachlichen und kulturell pluralisierten Gesellschaft zu befähigen (vgl. Georgi 2018, S. 64).
Der Begriff „Interkulturelle Pädagogik“ wurde als Paradigma, was sich v. a. an Bildungsinstitutionen etabliert hat, nach Ansicht vieler Autorinnen und Autoren scharf kritisiert und als ein Problem wahrgenommen. Krüger-Potratz konstatiert, dass die „Interkulturelle Pädagogik“ bzw. alle mit der Beifügung „interkulturell“ schnell in die Kritik geraten, sowohl hinsichtlich des Wortelements „Kultur“ wie des Präfixes „inter“, da hierbei suggeriert wird, dass infolge der Zuwanderung zwei in sich geschlossene „Kulturen“ aufeinanderträfen und „Kultur“ wird dadurch als etwas Unveränderbares begriffen (vgl. 2018, S. 187f.). Hierbei ist festzustellen, dass bei dem Begriff „Interkulturelle Pädagogik“, auch wenn dieser als meist legitim angesehen wird, die Zugewanderten auf ihre Kulturen reduziert werden. Auch wenn der Begriff „Interkulturelle Pädagogik“ sich zum Ziel setzt die „Kultur“ zwar vom „Defizit“ zu entkoppeln und positiv zu konnotieren, und als anerkennenswerte „Differenz“ zu behandeln, bleibt dieser jedoch die dominante Unterscheidung. Nun geht es grundsätzlich darum, die „Anderen bzw. Fremden“ zu verstehen und mit ihnen auszukommen (vgl. Diehm und Radtke 1999, S. 146ff.). Mit dieser Feststellung behaupten Diehm und Radtke, dass die die Kulturen der Migrantinnen und Migranten zwar anerkannt werden, jedoch das Risiko besteht, dass sie immer nach diesem Merkmal unterschieden bzw. entsprechend der „Andersheit“ behandelt werden. An der Interkulturellen Pädagogik werden vier Kritikpunkte skizziert:
„1. Das Problem der kulturalistischen Reduktion migrationsgesellschaftlicher Verhältnisse. 2. Das Problem des „Inseldenkens“. 3. Das Problem, dass sich Interkulturelle Pädagogik entgegen ihrer Programmatik als „Ausländerpädagogik“ in Anspruch nehmen lässt. 4. Das Problem, dass „Kultur“ ein Sprachversteck für Rassekonstruktionen darstellt“ (Mecheril 2010, S. 62).
Mecheril verweist auf die Aussage von Prengel (Siehe Kap. 2.1); das der Versuch einer Verschiedenheit „Rechnung zu tragen“ immer schon eine spezifische Verschiedenheit voraussetzt und demnach ein Grundproblem darstellt, da durch die Bevorzugung des Kulturbegriffs suggeriert wird, dass „Kultur“ die zentrale Differenzdimension sei, auf der die relevanten Unterschiede der Besucherinnen und Besucher des Bildungswesens zu behandeln sind (vgl. 2010, S. 63f). Die Interkulturelle Pädagogik sei als Bezeichnung in der Erziehungswissenschaft unklar, da es suggeriert, dass es die Migrationsphänomenen verbundene Tatsache der Diversifizierung und Pluralisierung von Problemlagen und Bildungsanliegen in einer Migrationsgesellschaft unter der Kategorie „Kultur“ beschreibt und behandelt und auch ihre eigenen Reaktionen unter der Kategorie „Kultur“ zum Thema macht (vgl. ebd., S. 64). Des Weiteren geht „die Interkulturelle Pädagogik […] von einem Kulturverständnis aus, dass Kulturen als „Inseln“ begreift“ und der Begriff Kultur „[sei] nicht in der Lage, gegenwärtige Phänomene der Überschreitung kultureller Grenzen […] zu erfassen“ (ebd., S. 64f). Wenn die „Ausländerinnen und Ausländer“ thematisiert werden, wird die Interkulturelle Pädagogik dann erst in Anspruch genommen, wodurch diese selektive Inanspruchnahme es immer wieder als „Ausländerpädagogik“ bestätigt (vgl. ebd., S. 65). Letzten Endes stellt Mecheril die These auf, dass die Interkulturelle Pädagogik das Problem, dass die Kultur ein Sprachversteck für Rassekonstruktionen darstellt, kaum thematisiert, sondern eher verdeckt und damit einen Ansatz - die Behandlung von Migrantinnen und Migranten unter dem Label „Kultur“ -, von dem es sich historisch gesehen absetzen wollte, befördert (vgl. ebd., S. 66).
Aufgrund von diverser Kritik gegenüber der Interkulturellen Pädagogik, sehen „einige Autorinnen und Autoren […] ihre Bezeichnung als Alternative zum Namen „Interkulturelle Pädagogik“; andere schlagen zwar eine Bezeichnung vor, sprechen aber auch parallel von Interkultureller Pädagogik“ (Krüger-Potratz 2018, S. 188). Mecheril gehört zu denjenigen, die auf der Suche nach einer neuen Bezeichnung anstrebten. Er bevorzugt den Begriff „Migrationspädagogik“ alternativ zur Bezeichnung der „Interkulturelle Pädagogik“ (vgl. ebd.). Korrespondierend dazu erwähnt Mecheril, dass im Vordergrund die Positionierung einer „Migrationspädagogik“ in Abgrenzung gegen ein Verständnis von „Interkultureller Pädagogik“ steht, das mit dem Kulturbegriff letztlich eine Differenzlinie markiere, die von der Betrachtung gesellschaftlicher Machtbeziehungen und Ungleichheiten tendenziell wegführe (vgl. 2004, S. 17). Migrationspädagogik vermeide im Vergleich zur Interkulturellen Pädagogik die Einengung auf eine kulturelle Betrachtung der mit Wanderung verbundenen Phänomene, stattdessen würden die migrationserzeugten Zugehörigkeitsordnungen ins Zentrum der Betrachtung rücken (vgl. Krüger-Potratz 2018, S. 188).
Der Begriff „Rassismus“ reicht in der Geschichte bis zur Herausbildung der indischen Kastengesellschaft um das Jahr 1500 v. Chr. zurück (vgl. Mecheril und Melter 2010, S. 159). Die Vorgeschichte des Rassismus, was auch als „Proto-Rassismus“ bezeichnet wird und Rassismus ähnliche Erscheinungen aufweist, reicht neben der indischen Kastengesellschaft, auch in die Zeit des Anti-Judaismus, der Sklaverei und der Kolonialherrschaft seit dem Beginn der europäischen Invasion in Amerika 1492 zurück (vgl. Prengel 1995, S. 70; vgl. Leiprecht 2016, S. 231). Somit wird das Jahr 1492, das als Beginn des Kolonialismus betrachtet wird, verbunden mit der Entstehung des Rassismus (vgl. Cetin 2012, S. 29). Durch die spanische Reconquista fand der Begriff „Rasse“ im Bezug auf die Juden erstmalig Verwendung (vgl. Geulen 2007, S. 14). Das Ziel der Verwendung dieses Begriffes bestand darin, die Menschengruppen voneinander zu unterscheiden (vgl. ebd.). Seit dem 18. Jahrhundert wurden etliche Versuche unternommen, um „Rassen“ anhand von beispielsweise Körpermessungen oder Intelligenztests ausfindig zu machen (vgl. Anastasopoulos 2019, S. 299). Schließlich kam es im 18. Jahrhundert zu einer phasenweisen Offenheit gegenüber Angehörigen anderer Kulturen und Hautfarben (vgl. Prengel 1995, S. 71). Seit Ende des 18. Jahrhunderts, also im Zuge der industriellen Revolution, kam es zur Formierung und zum Aufstieg von Rassismus, es wurde in Europa prägnant und folglich gilt Europa somit als die Wiege des modernen Rassismus (vgl. ebd., S. 70; vgl. Mecheril und Melter 2010, S. 159). Im 19. Jahrhundert konstruierte der Begriff des Rassismus bestimmte Eigenschaften der Menschen als naturgegeben (vgl. Cetin 2012, S. 34). Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff des Rassismus in seiner modernen Version argumentativ entwickelt und es verfestigte sich eine hermetische Hierarchisierung der „Rassen“ in anthropologischen Theoremen (vgl. Prengel 1995, S. 70f.). Im 18. und 19. Jahrhundert verknüpfte sich in den Rassentheorien die Idee einer kategorialen Ungleichartigkeit der so konstruierten „Rassen“ mit der Behauptung ihrer Ungleichwertigkeit (vgl. Hormel 2018, S. 84). Auch lässt sich für den Rassismus des 18. und 19. Jahrhundert ein enger Zusammenhang zwischen kolonialen Ausbeutungsverhältnissen und den diese legitimierenden rassistischen Ideologien rekonstruieren (vgl. ebd., S. 86).
Neben dem Begriff „Rassismus“ wurde der Ansatz des „institutionellen Rassismus“ (Mehr dazu siehe Kap. 3.3.2) in den 1960er Jahren von Mitgliedern der US-amerikanischen Black Power Bewegung (S. Carmichael und Charles V. Hamilton) zum ersten Mal verwendet (vgl. Gomolla und Radtke 2009, S. 43) und 1967 von Kwame Ture und Charles V. Hamilton entwickelt, um speziell der rassistischen Diskriminierung der African Americans in den USA nachgehen zu können (vgl. Anastasopoulos 2019, S. 322). Ende der 1960er Jahre wurden durch die Bürgerrechtsgruppen und den „Black Movements“ anschließend Debatten angestoßen, gefolgt von neuen sozialen Bewegungen wie z. B. der Frauen- und Behindertenbewegung (vgl. Gomolla 2016, S. 81). In den 1970er Jahren wurde der „institutionelle Rassismus“ in Großbritannien zur politischen Mobilisierungsformel schwarzer Bevölkerungsgruppen (vgl. Gomolla 2010, S. 68).
Neben den Begriffen „Rassismus“ und „institutioneller Rassismus“ wurde in den 1983er Jahren Rassismus, der von „Kulturdifferenzen“ oder „Kulturkonflikten“ ausging, von Georgios Tsiakalos als „Kulturrassismus“ (Mehr dazu siehe Kap. 3.3.3) bezeichnet und vom französischen Theoretiker Etienne Balibar im Jahre 1990 geprägt (vgl. Leiprecht 2018, S. 256; vgl. Mecheril und Melter 2010, S. 152). Ab Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre wurde Rassismus in Teilen der Zivilgesellschaft und im wissenschaftlichen Diskurs allmählich zum Thema gemacht (vgl. Gomolla 2016, S. 82). Aktueller Rassismus bzw. moderner Rassismus ist Rassismus, der in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts thematisiert wird und bedient sich aktueller Themen, zu denen Aspekte der Multikulturalität und Ökologie gehören (vgl. Prengel 1995, S. 72).
Die Frage, was genau „Rassismus“ bedeutet, ist in diversen humanwissenschaftlichen Disziplinen und aus der Perspektive unterschiedlicher erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Traditionslinien gestellt worden (vgl. Hormel 2018, S. 81). Überschneidende und einstimmige Antworten auf diese Frage zu finden scheint schwer zu sein, da es verschiedene Theorien und Thesen verschiedener Autorinnen und Autoren gibt. Dennoch lässt sich konstatieren, dass der Begriff „Rassismus“, als „Querschnittsaufgabe“ bzw. Grundbegriff der Interkulturellen Bildung oder der Pädagogik (vgl. Roth 2018, S. 239), durchweg als problematisches und negatives Phänomen betrachtet und mittlerweile auch in den Erziehungswissenschaften behandelt wird (vgl. Leiprecht 2016, S. 226). Rassismus liegt dann vor, wenn Ideologien, Vorurteile und diskriminierendes Verhalten, an Merkmale wie Sprache, Aussehen, Hautfarbe oder zugeschriebener und tatsächlicher Herkunft anknüpfen und Ungleichbehandlungen zur Folge haben (vgl. Rommelspacher 2011, S. 46). Es beruht dabei auf der Konstruktion von sozialen Gruppen anhand biologischer oder kulturalistischer Abgrenzungen die mit einer Hierarchisierung einhergehen (vgl. ebd.; vgl. Rommelspacher 2009, S. 25). Somit können nicht allein körperliche Merkmale den Ausgangspunkt für rassistische Unterscheidungen darstellen, sondern auch soziale und kulturelle (wie religiöse Praktiken und Symbole) Aspekte können für rassistische Unterscheidungen genutzt werden (vgl. Mecheril und Melter 2010, S. 152). Auch allgemein ist die Lebensweise und die Identität konstruierte Ausgangspunkte und faktische Zielscheibe des Rassismus (vgl. ebd., S. 153). Bei Rassismus wird hauptsächlich zwischen „Rassen“ unterschieden und ist das Resultat eines bestimmten Prozesses der Bedeutungskonstitution: Bestimmte somatische Merkmale, wie oben beschrieben, werden bedeutungsvoll aufgeladen und so zum Einteilungskriterium von als „Rasse“ definierten Bevölkerungsgruppen gemacht (vgl. ebd., S. 152; vgl. Miles 2000, S. 18). Hormel erläutert in diesem Zusammenhang, dass die scheinbar natürlichen Unterscheidungen „Schwarz“ und „Weiß“ demnach soziale Klassifikationen sind, die nur im und durch das Klassifikationssystem des Rassismus „Sinn machen“ (vgl. 2018, S. 84). Die Funktion der „Rassen“-Konstruktion (im Kontext des Kolonialismus) bestand darin, die „Schwarze“ Bevölkerung als „primitiv“ und „unzivilisiert“ zu deklarieren und um ihre Ausbeutung und Versklavung rechtfertigen zu können (vgl. Rommelspacher 2009, S. 25). In diesem Fall wurde vor allem die Hautfarbe zur Markierung der „Fremdgruppe“ verwendet (vgl. ebd., S. 26).
Anastasopoulos ist der Auffassung, dass man durch rassistisches Handeln bestimmen kann, was zum Eigenen und was zum Fremden gehört, außerdem kann man Erfahrungen vor dem Hintergrund des Glaubens an tatsächlich existierende „Rassen“ deuten (vgl. 2019, S. 300). Im Allgemeinen konstatiert Roth, dass das Verstehen des Anderen demnach nicht ohne die Berücksichtigung der historischen Erfahrungen von Rassismus verstanden werden kann (vgl. 2018, S. 240). Rassismus, der auf bösartiges und intendiertes Verhalten basieren kann, wird vor allem als Gefahr beschrieben, die von Personen, die Rassismus als Eigenschaft in sich tragen, ausgeht (vgl. Leiprecht 2016, S. 227). Diese Person, die als „Rassist“ deklariert wird, sucht meist biologische Unterschiede, wenn dies nicht der Fall ist, dann werden kulturelle erfunden und bemüht, die Unterschiede des Fremden zu maximieren und die Ähnlichkeiten zu minimieren (vgl. Cetin 2012, S. 32). Rommelspacher zufolge ist Rassismus „ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren“ und nennt in diesem Zusammenhang vier diskursive Mechanismen: Naturalisierung, Homogenisierung, Polarisierung und Hierarchisierung (2009, S. 29). Bei der Naturalisierung werden soziale und kulturelle Differenzen naturalisiert und somit soziale Beziehungen zwischen Menschen als unveränderliche und vererbbare verstanden, bei der Homogenisierung werden Menschen in homogenen Gruppen zusammengefasst, bei der Polarisierung kommt es zur Gegenüberstellung beider Gruppen und bei der Hierarchisierung werden sie in eine Rangordnung gebracht (vgl. ebd.). Ferner nimmt Hormel Bezug auf die Rassismustheoretiker Stuart Hall, Robert Miles und Etienne Balibar, die davon ausgehen, dass
„Rassismus nicht aus den kapitalistischen Verhältnissen abgeleitet werden kann, sondern seine eigenen Ursachen und strukturbildenden Folgen hat. Während Rassismus im klassischen Marxismus allenfalls in Form eines „falschen Bewusstseins“ erscheint, argumentieren sie mit Bezug auf die Ideologietheorie Louis Althussers und die Diskurstheorie Michel Foucaults, dass Rassismus keine lediglich falsche Repräsentation der realen gesellschaftlichen Verhältnisse ist, sondern sich für die Individuen als ein für sie als „wahr“ geltendes handlungsrelevantes Interpretationsmodell der sozialen Wirklichkeit darstellt“ (2018, S. 84).
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