Bachelorarbeit, 2019
32 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
1. Purpose: Begriff und Bedeutung
2. Sinn und sinnvolle Entscheidungen
3. Sinnfrage in der Wirtschaft
4. Purpose in der Praxis
5. Purpose-Problematik
6. Purpose-Potenzial
Fazit
Literatur
„Without a sense of purpose, no company, either public or private, can achieve its full potential .“ Larry Fink, 2018
„To be to no purpose“ bedeutet soviel wie „to be completely unsuccessful“ und unterstreicht eine Warnung, die Larry Fink, der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, 2018 an die Manager großer Unternehmen gerichtet hat: „Without a sense of purpose, no company, either public or private, can achieve its full potential.“ (Fink, 2018). Sie bedeutet im Umkehrschluss: wenn ein Unternehmen erfolgreich sein will, dann braucht es einen Purpose. Dieser Purpose soll Finks Ansicht nach dazu führen, dass Unternehmen Verantwortung für gesellschaftliche Probleme wie soziale Ungleichheit oder Umweltkatastrophen übernehmen. Sowohl die Relevanz von Purpose als auch die Anforderungen an ihn sind Fink zufolge also hoch. In der Wirtschaftswelt spiegelt sich dies in einem regelrechten Purpose-Hype: Unternehmen veröffentlichen Purpose-Statements, Magazine widmen dem Begriff ganze Ausgaben, Unternehmensberatungen werden zu „Purpose Beratungen“ und Startups firmieren als „Purpose-Unternehmen“. Dieser Hype ist einer der Anlässe, dem diese Arbeit zugrunde liegt. Ein weiterer resultiert aus dem generationsbedingten Wertewandel und seiner Auswirkung auf Unternehmen. Die Frage, was einen bei der Arbeit glücklich macht, wird von Millenilas nämlich anders beantwortet als von Herrn Janosch — mit Purpose (Zukunftsinstitut, 2019).
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über den Begriff, seinen Ursprung und seine Rolle in der unternehmerischen Praxis zu geben. Dieser soll als Grundlage dafür dienen, den aktuellen Hype um den Begriff und dessen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu bewerten. Geschehen soll dies durch eine Verknüpfung von philosophischen Erkenntnissen, soziologischen Theorien und wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten. Um der Aktualität der Diskussion gerecht zu werden, speist die Arbeit sich außerdem zu großen Teilen aus Berichterstattungen, Studien und Meinungen wirtschaftlicher Fachmedien.
Zu Beginn der Arbeit findet eine Beleuchtung des Begriffs Purpose und seiner Bedeutung für Unternehmen statt. Die geschieht anhand verschiedener Übersetzungen und Definitionen und führt zur Frage nach der Bedeutung von Sinn, welche im zweiten Kapitel näher betrachtet wird. Die Gegenüberstellung verschiedener Auffassungen über die Antwort auf die Frage nach Sinn und sinnvollen Entscheidungen führt zur einer Ableitung über den Zusammenhang zwischen Sinn und Corporate Purpose. Im dritten Kapitel wird diese Ableitung mit wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten und gesellschaftlichen Entwicklungen in Bezug gesetzt. Damit soll die Diskussion um Purpose und ihr Einfluss auf die unternehmerische Praxis begründet werden. Welche Auswirkungen dieser Einfluss hat, beleuchtet das vierte Kapitel und betrachtet dafür unterschiedliche Organisationsformen hinsichtlich der Rolle, die Purpose hier einnimmt. Diese Betrachtung liefert die Basis für eine Untersuchung der Problematik und der Potenziale, welche aus dieser Rolle resultieren. Dies soll sowohl aus wirtschaftlicher, als auch aus gesellschaftlicher Sicht geschehen und damit ein abschließendes Fazit über die Relevanz und Bedeutung von Corporate Purpose ermöglichen.
„Although businesses are highly enthusiastic about it, there is no consensus as to what ,purpose‘ actually means.“ Alison Taylor, 2019 Zwar herrscht in der Unternehmenswelt und insbesondere bei großen Konzernen aktuell ein großer Konsens über die Notwendigkeit eines Corporate Purpose, allerdings auch ebenso große Unklarheit darüber, was der Begriff eigentlich bedeutet (vgl. Taylor, 2019). Die Sammlung verschiedener Definitionen, ein Versuch der Übersetzung, und einen Blick in unternehmerische Praxis und Systemtheorie sollen dieser Unklarheit entgegenwirken. Ziel dieses Kapitels ist eine begründete Definition von Corporate Purpose, die der weiteren Arbeit zugrunde liegen kann.
Der Begriff Purpose ist so vielseitig interpretierbar, dass die Definitionen sich selbst innerhalb desselben Fachmediums unterscheiden. So bezeichnet Hans Jürgen Jakobs Purpose im Handelsblatt als „Zweck oder Bestimmung eines Unternehmens“ (Jakobs, 2019, S. 1) während seinen Kollegen Bernd Fröndhoff und Michael Scheppe den Begriff mit „Sinn und Antrieb“ übersetzen (Scheppe & Fröndhoff, 2019, S. 1). Die beiden beschreiben es selbst sehr treffend: „Purpose lässt viele Ableitungen zu.“ Ein anderes Fachmedium, das Magazin Neue Narrative, begegnet diesen unterschiedlichen Ableitungen, indem es dem Begriff keine konkrete Definition, sondern eine Beschreibung zukommen lässt: „Ein Unternehmen hat einen Daseinsgrund, eine Existenzgrundlage, einen tieferen Sinn und Zweck - oder kurz: einen Purpose. Ein Individuum hat einen Lebenssinn, einen Grund zu leben, einen Grund, jeden Morgen aufzustehen - oder kurz: einen Purpose“ (Marbacher, 2018, S. 1). Während die Begriffsklärungen in den Medien natürlicherweise eher nüchtern gehalten sind — die Zeit schreibt beispielsweise über Purpose als „Sinn“, „Zweck“ oder „Mission“ eines Unternehmens (Erk, 2019, S1) — strotzen sie vor allem in der Beraterwelt vor Pathos. Joey Reimann, Gründer der Unternehmensberatung Brighthouse, die sich auf Purpose spezialisiert hat, beschreibt Purpose beispielsweise als einen Treiber, der die Seele bewegt und langfristig dazu inspiriert, Großes zu schaffen (Scheppe & Fröndhoff, 2019). Übersetzt man den Begriff aus dem Englischen dann findet das Wörterbuch unter anderem folgende Definition: Absicht, Zweck, Ziel, Aufgabe, Verwendungszweck, Bestimmung, Zweckbestimmung (Langenscheidt, o.D.). Orientiert man sich an englischsprachigen Synonymen für Purpose, erhält man drei weitere Definitionen. Einerseits kann Purpose als ein Beweggrund gesehen werden, aus dem heraus man etwas tut. („The purpose of something is the reason for which it is made or done.“) Andererseits kann er als Ziel gesehen werden, das man erreichen möchte („Your purpose is the thing that you want to achieve.“). Darüber hinaus kann man Purpose als Weg zu einem bekannten Ziel sehen: („Purpose is the feeling of having a definite aim and of being determined to achieve it.“) (Collins Wörterbuch, 2019).
Die Begriffe Beweggrund, Ziel (oder Absicht, Zweck, Aufgabe etc.) und Weg zum Ziel sind in der Wirtschaftswelt nicht neu oder unbekannt, wurden bisher allerdings weniger mit Purpose, sondern eher mit Vision, Mission und Strategie übersetzt. Wie diese Begriffe sich voneinander und vor allem von dem Begriff Purpose abgrenzen, soll ein Unternehmensbeispiel verdeutlichen: Die Mann + Hummel GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen dessen Kernkompetenz in der Filtration liegt. Mann + Hummel verfolgt die Vision „Leadership in Filtration“ und will Weltmarktführer im Bereich Filtration werden. Dafür begibt sich das Unternehmen auf die Mission, Marktführer in allen Geschäftsbereichen zu werden, die es bedient und verfolgt die Strategie, sich Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Konkurrenten zu verschaffen (Mann + Hummel GmbH, o.D.). Dieses Vorhaben klingt auf den ersten Blick schlüssig, lässt jedoch eine Frage offen: Warum will Mann + Hummel Weltmarktführer werden? Für ebendiese Frage nach dem Warum eines Unternehmens und den Beweggründen für sein Handeln steht der Begriff Purpose in der vorherrschenden Diskussion. „Der Purpose eines Unternehmens definiert, was die Menschen, die dort arbeiten, bewegt. Er gibt Aufschluss, warum das Unternehmen überhaupt existiert, warum die Mitarbeiter tun was sie tun, und produzieren, was sie produzieren. Zudem liefert er Informationen darüber, warum sie morgens gerne aufstehen, wieso sie sich ihrem Job widmen und warum sie etwas mit ihrer Arbeit erreichen wollen.“ (Thomsen, 2019). Purpose kann also gesehen werden als Antwort auf die Frage nach den Beweggründen für die Handlungen und Entscheidungen von Unternehmen.
Durch eine Festlegung auf dieses Verständnis wird der Umgang mit dem Begriff allerdings nicht maßgeblich erleichtert. Deutlich wird dies durch eine Metapher von Brad White, dem Deutschlandchef der Unternehmensberatung Brighthouse: „Ein Bergsteiger klettert auf Berge, mit all seiner Ausrüstung und seinem Wissen. Das ist seine Mission. Seine Vision, das sind die nächsten Gipfel. Aber wenn Sie mehrere Bergsteiger fragen, warum sie Bergsteiger geworden sind, können Sie daraus ein Buch mit vielen verschiedenen Zitaten füllen.“ (Handelsblatt, 2019).
Die Frage nach dem Warum eines Unternehmens prophezeit also viele unterschiedliche Antworten — etwa so viele, wie das Unternehmen Stakeholder hat. Warum das problematisch ist und wie Unternehmen dieser Problematik begegnen können, soll mithilfe der Systemtheorie nach Niklas Luhmann erläutert werden: Luhmann zufolge kann ein Unternehmen seine Existenz damit sichern, die Komplexität zwischen sich und seiner Umwelt zu reduzieren. Dies geschieht, indem das Unternehmen Entscheidungen trifft, welche die Differenz zwischen sich selbst und seiner Umwelt minimieren (Fink & Moeller, 2018). Eine dieser Entscheidungen kann die Festlegung eines Purpose-Statements, also einer Antwort auf die Frage nach dem Warum sein. Ruft diese Frage in der Umwelt eines Unternehmens andere Antworten hervor, als die vom Unternehmen definierte, spricht das für eine hohe Differenz zwischen System und Umwelt. Sind die Antworten hingegen konsistent, ist die Differenz zwischen System und Umwelt gering. Damit ein Purpose zum Unternehmenserfolg beiträgt, müssen Unternehmen sich also für ein Warum entscheiden, welches ihnen auch von ihrer Umwelt zugesprochen wird. Aus dieser Überlegung lässt sich folgende Begriffsdefinition ableiten:
Ein Corporate Purpose ist die Antwort auf die Frage, warum ein Unternehmen existiert und wirtschaftet. Er trägt zum Unternehmenserfolg bei, wenn er sowohl für das Unternehmen selbst, als auch für seine Umwelt Sinn ergibt.
Diese Definition ist einerseits aussagekräftig genug, um als Grundlage für die weiteren Kapitel zu dienen, trägt andererseits aber ihre eigene Unklarheit mit sich: Die Frage nach dem Sinn, welcher sich das nächste Kapitel widmet.
„The purpose of life is a life of purpose.“ Robert Byrne, o.D.
Der Begriff des Sinns spielt in mehreren Disziplinen der Wissenschaft eine Rolle. Einerseits gibt es den biologischen Sinn, beziehungsweise die fünf biologischen Sinne: Riechen, Schmecken, Hören, Sehen und Fühlen. Sie beschreiben die „Fähigkeit der Wahrnehmung und Empfindung, die in den Sinnesorganen ihren Sitz hat“ (Online Wörterbuch Wortbedeutung, o.D.). Andererseits kann Sinn definiert werden als „Gefühl, Verständnis für oder innere Beziehung zu etwas“. Darunter fällt beispielsweise der Ausdruck „Sinn für Humor haben“, der eine humorvolle Person beschreibt. Eine philosophische Definition von Sinn lautet „Bedeutung, Ziel, Zweck und Wert, der einer Sache innewohnt.“ (Online Wörterbuch Wortbedeutung, o.D.).
Nach Aristoteles liegt der Sinn des Lebens darin, herauszufinden, wo sich die eigenen Talente mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen (Sievers, o.D.). Die Ansicht könnte man als Kern des Sinnverständnisses von Niklas Luhmann interpretieren. Seine systemtheoretische Ver- ortung von Sinn findet im Kontext von Entscheidungen statt. Sinnvoll sind diese Luhmann zufolge dann, wenn sie dazu beitragen die Komplexität eines Systems zu reduzieren, also dann, wenn sie die Differenz zwischen einem System und seiner Umwelt verringern (Fink & Moeller, 2018). Diese Differenz könnte man dann als minimiert sehen, wenn sich das, was ein System seiner Umwelt bietet (Talente) und das, was die Umwelt von einem System verlangt (Bedürfnisse), miteinander kreuzt.
In der Philosophie gibt es unterschiedliche Antworten auf die Frage nach dem Sinn. Was sie gemeinsam haben, ist, dass sie die Bedeutung von Sinn im Kontext von Handlungen erläutern. Kant erklärt seine Auffassung sinnvollem Handeln wie folgt: „Eine Handlung macht dann Sinn, wenn Sie sich positiv einbringen lässt in einen größeren Zusammenhang.“ (Sievers, o.D.). Für Nietzsche handelt der Mensch sinnvoll, wenn er sich nicht nach fremden, von anderen gesetzten Ziele richtet, sondern seine Ziele selbst setzt (Sievers, o.D.).
Speist man die Ausgangsfrage dieses Kapitels mit den aufgeführten Definitionen von Sinn und sinnvollem Handeln, dann lässt sich daraus zunächst folgende Definition ableiten: Sinn ergibt ein Corporate Purpose dann, wenn er zu Entscheidungen führt, in denen sich einerseits die Talente eines Unternehmens mit den Bedürfnissen seiner Umwelt kreuzen und die sich andererseits positiv auswirken - nicht nur auf ein Unternehmen selbst, sondern auch auf seine Umwelt. Speist man diese Ableitung wiederum mit einer modernen, philosophischen Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens („Lieben und geliebt werden“ (Walter, 2018) führt dies zu folgendem Ergebnis:
Ein Corporate Purpose ist dann sinnvoll, wenn er zu Entscheidungen führt, die das Unternehmen „liebt“ und für die ein Unternehmen geliebt wird, also zu solchen Entscheidungen, die vom Unternehmen selbst und seiner Umwelt positiv bewertet werden.
Daraus resultiert wiederum die Frage, wovon diese positive Bewertung abhängt. Antworten hierauf soll das nächste Kapitel geben.
„Das Ziel, Shareholder reich zu machen, zeugt nicht von großem Sinn. Es ist besser, eine reiche Gesellschaft erschaffen zu wollen.“ Charles Handy, 2018.
In den vorigen Kapiteln wurde Corporate Purpose definiert als Antwort auf die Frage, nach dem Warum eines Unternehmens. Er liefert also eine Begründung für alle Entscheidungen eines Unternehmens und ist dafür verantwortlich, dass diese Sinn ergeben. Sinn ergeben sie den Überlegungen aus Kapitel 3 zufolge dann, wenn sie von der Umwelt eines Unternehmens und dem Unternehmen selbst positiv bewertet werden. Corporate Purpose kann also als Richtschnur gesehen werden, an der Unternehmen ihre Entscheidungen ableiten können. Aus diesem Rollenverständnis ergibt sich die Frage, woran Unternehmen ihre Entscheidungen ableiten, wenn sie keinen Purpose haben. Antworten darauf soll ein Blickauf unterschiedliche organisationstheoretische Ansätze liefern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Überzeugung teilt auch der Ökonom Raj Sisodia: „The most important reversal in thinking about capitalism and entrepreneurship is his statement that there are no shareholders, but stakehol- ders.“ (Sisodia, Sheth & Wolfe, 2014) Für Sisodia sind Organisationen erfolgreich, wenn sie mit der Verfolgung sozialer und ökologischer Interessen Gewinne erzeugen, die dem Gemein- und Eigenwohl gleichermaßen zugute kommen (Sisodia, Sheth & Wolfe, 2014). Aus seiner Überzeugung „Not the company’s profit comes first, but that which the company adds to this world“ lässt sich sein Verständnis darüber ablesen, dass das Handlungspradigma eines Unternehmens ein positiver Beitrag für die Gesellschaft sein sollte, der über dessen reine Zweckorientierung hinaus gehen muss.
Auch für den Ökonomen John Kay ist ein positiver Beitrag für die Gesellschaft ein Ziel, das ein Unternehmen verfolgen sollte — allerdings nur eines unter vielen: „The purpose of a corporation is to produce goods and services to meet economic and social needs, to create satisfying and rewarding employment, to earn returns for its shareholders and other investors, and to make a positive contribution to the social and physical environment in which it operates.“ (Kay, 2015). Der Erfolg eines Unternehmens zeigt sich Kay zufolge lediglich in seinen Errungenschaften, nicht aber in seinen Beweggründen. Zweckorientierung und positiver Beitrag schließen sich dabei seiner Meinung nach nicht aus.
Diese Ansicht teilen auch die beiden Wirtschaftswissenschaftler Michael E. Porter und Mark R. Kramer. Ihrer Meinung nach sind Unternehmen dann erfolgreich, wenn ihr Handeln sowohl zu gesellschaftlichem Mehrwert als auch zu mehr Profitabilität führt. Ihrem Konzept „Creating Shared Value“ zufolge, können Unternehmen die Probleme und Bedürfnisse einer Gesellschaft als Grundlage für die Entwicklung innovativer Geschäftsideen nehmen. Shared Value ist dabei Entscheidungsparadigma und Unternehmenszweck zugleich (Porter & Kramer, 2015).
Für Charles Handy müssen die Entscheidungen von Unternehmen auf eine lebenswerte Gesellschaft hinauslaufen: „The Business of Business has got to be society“ (Handy, 2018). Für ihn bedarf es einer neuen Idee des Kapitalismus, die den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Entscheidungen stellt: „We‘ve got to change the capitalist idea so that it‘s more human-based and less money-based“ (Handy, 2018).
Aus diesem Ausschnitt unterschiedlicher, wirtschaftswissenschaftlicher Auffassungen über den Sinn und Zweck von Unternehmen geht folgende Erkenntnis hervor: Es gibt einerseits Unternehmen, das Ziel fokussieren, profitabel zu wirtschaften. Als Entscheidungsparadigma dient hier der Zweck, den die Entscheidungen erfüllen sollen. Sinnvoll sind Entscheidungen, wenn sie zur Profitabiltät beitragen. Andererseits gibt es Unternehmen, die das Ziel fokussieren, einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Als Entscheidungsparadigma dient hier die Ursache, auf der die Entscheidungen basieren. Sinnvoll sind Entscheidungen, wenn sie einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten.
Die vorherrschende Diskussion über Corporate Purpose legt nahe, dass ProStabilität als Sinn in modernen Organisationsformen nicht mehr ausreicht, um deren Existenz zu legitimieren. Friedmans Überzeugung, dass der Sinn von Wirtschaft darin besteht, Geld zu verdienen wird also von dem Verständnis abgelöst, dass der Sinn von Wirtschaft nicht nur in der Verfolgung eines funktionalen Zwecks, sondern im Streben nach einem höheren Ziel liegen muss. Was diesen Verständniswandel über den Sinn von Unternehmen hervorgebracht hat und vorantreibt, soll auf den folgenden Seiten deutlich werden.
Der Historiker Yuval Noah Harari erklärt den Auslöser für die Frage nach dem Sinn des Lebens so:„Früher glaubten Menschen, sie seien Teil eines kosmischen Plans in dem die Götter oder Naturgesetze bestimmen, wie alles ausgeht. In der Moderne wissen wir: das gute Ende müssen wir selber schreiben.“ (Harari, 2017). Diese Erklärung liefert auch eine Begründung für den Ursprung der Frage nach dem Sinn der Wirtschaft.: Während Konsumenten sich früher den Entscheidungen von Unternehmen und Politik ausgesetzt fühlten, herrscht heute das Selbstverständnis eines mündigen und verantwortlichen Konsumenten. Das Zeitalter des Internets und seine Transparenz haben Konsumenten die Möglichkeit eröffnet, sich über Unternehmen und dort vorherrschende Missstände zu informieren, auszutauschen und zu positionieren. Gleichzeitig haben sie Unternehmen die Fähigkeit genommen, ein selbst gezeichnetes, positives Bild von sich in die Öffentlichkeit zu projizieren (Sisodia, Sheth & Wolfe, 2014). Im zweiten Schritt führte die Transparenz zu einer permanenten Konfrontation der breiten Masse mit den negativen Auswirkungen des westlichen Konsums. Die Konfrontation hat zu einem Hinterfragen dieses Konsums und seine Profiteuren gefürt, dessen Ergebnis sich in der wachsenden Kritik am vorherrschenden Wirtschaftssystem niederschlägt. Diese Kritik erstreckt sich auch auf das Menschenbild des Homo Oeconomicus, welches diesem System zugrunde liegt und ist aus Sicht der Psychologie nicht unberechtigt. Tania Singer, Psychologin und Professorin für Soziale Neurowissenschaften, zufolge „Basieren vorherrschende ökonomische Modelle nicht auf einem realistischen Bild vom Menschen.“ (Reich, 2015). Sie müssten das zugrunde liegende Menschenbild des Strebens nach Leistung, Effizienz und Wachstum durch ein emotionsbasiertes Menschenbild ersetzen. Ein möglicher Treiber für die Suche nach Sinn ist also ein durch das Internetzeitalter ausgebildeter Konsum- und wachstumskritischer Zeitgeist. Er wird ergänzt durch wachsendes soziales Bewusstsein in der Bevölkerung. Die globalen Herausforderungen, Probleme und Katastrophen unserer Zeit sind allgegenwärtig. Unternehmen, werden immer haüfiger als Verursacher dieser Probleme gesehen und deshalb mit dem Anspruch konfrontiert, zu ihrer Lösung beizutragen (Anderson & Kachani, 2018). Das wachsende soziale Bewusstsein schlägt sich nicht nur im einen Anspruch an Unternehmen, sondern auch in wachsendem gesellschaftlichen Engagement bei den Bürgern nieder: Im Jahr 2019 sind 15,98 Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich tätig, 2015 waren es noch 13,44 Millionen. (IfD Allensbach, 2019). Aus diesen Entwicklungen lässt sich eine Verschiebung der Verantwortungsverteilung zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ablesen: Hin zu einer höheren Verantwortungsübernahme durch Wirtschaft und Konsumenten zugunsten einer Entlastung der Politik. Die Neuverteilung von Verantwortung ist einerseits selbst Treiber für die Frage nach dem Sinn von Unternehmen und trägt gleichzeitig einen weiteren in sich. Larry Fink zufolge können Unternehmen der an sie gestellten Verantwortung nur dann gerecht werden und dazu beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen, wenn sie von ihrer Zweckorientierung ablassen und breitere Ziele verfolgen (Anderson & Kachani, 2018). Das verfolgen breiterer Ziele ist bezeichnend für die Generation der Millenials, also aller zwischen 1981 und 1996 geborenen. Im Jahr 2025 wird sie 75% aller Arbeitskräfte weltweit ausmachen (London Business School, 2018). Eine überspitzte Charakterisierung der Generation findet sich im Magazin Neue Narrative: „Wer uns als Arbeitnehmer haben will, muss mehr bieten als ein gutes Gehalt. Und unsere Vorstellung einer erfüllten Karriere ist ohnehin eher das eigene Social-Startup, eine Strandbar auf den Philippinen oder ein Leben als Yogalehrer“ (Marbacher, 2018b). Dass dieser überzogenen Darstellung ein wahrer Kern innewohnt, belegt eine ganze Reihe von Studien über die Karriereabsichten von Millenials: Eine Studie der Unternehmensberatung Lovell Corporation fand beispielsweise heraus, dass die wichtigsten Faktoren für Millenials Spaß bei der Arbeit und soziale Verantwortung eines Unternehmens sind (Gluschak, 2019). Bei einer Umfrage des Zukunftsinsituts gaben 87% der befragten Millenials an, besonderen Wert darauf zu legen, dass ihr Beruf ihnen persönlich sinnvoll und erfüllend erscheint (Zukunftsinstitut, 2019). Die Unternehmensberatung PWC fand heraus, dass 88% aller Millenials in einer Firma arbeiten möchten, deren Werte ihren eigenen entspricht (London Business School, 2018). Eine Studie der Beratungsagentur Cone Communications kam zum Ergebnis, dass 75% aller Millenials weniger Gehalt in Kauf nehmen würden, um für eine Firma mit sozialer Verantwortung zu arbeiten (Pelosi, 2018). Die Millenials sind damit die erste aller Generationen, die Sinnstiftung in ihrer Arbeit an die oberste Stelle stellen. Sinnstiftung ist nach Abraham Maslow ein menschliches Bedürfnis und führt zu einem weiteren Treiber der Sinnsuche: die voranschreitende Bedürfnisbefriedigung. Der Psychologe hat in seinem Modell unterschiedliche menschliche Bedürfnisse pyramidenförmig übereinander geschichtet. Maslow geht davon aus, dass der Mensch sich erst in einer höheren Ebene befindet, wenn die Bedürfnisse der darunterlegenden befriedigt sind. Ganz unten stehen physiologische Grundbedürfnisse, eine Stufe darüber das Bedürfnis nach Sicherheit und an dritter Stelle das Bedürfnis nach sozialem Miteinander. Es folgen Individualbedürfnisse und die höchste Stufe der Pyramide: das Bedürfnis der Selbstverwirklichung. In westlichen Industrie- und Wohlstandsgesellschaften befinden sich im Moment viele Menschen in der obersten Stufe der Pyramide. Für die Sehnsucht nach Sinnstiftung gibt es also eine rationale, psychologische Erklärung (Klein, Marbacher & Wiens, 2018).
Der Frage nach der Ursache dafür, dass der Zweck eines Unternehmens nicht mehr mit Profitabilität, sondern mit Sinnstiftung beantwortet wird, liefert also eine ganze Reihe an Begründungen, die teilweise Hand in Hand gehen: Treiber für den Verständniswandel ist zum einen ein durch wachsende Transparenz ausgebildeter konsum- und wachstumskritischer Zeitgeist. Zum anderen ist es ein wachsendes soziales Bewusstsein, welches die Neuverteilung gesellschaftlicher Verantwortung fordert und Unternehmen zu einer Abkehr von ihrer reinen Zweckorientierung zwingt. Drittens ist es die Sehnsucht der Generation Y nach einer sinnstiftenden Arbeit und viertens die Tatsache, dass immer mehr Menschen die oberste Stufe der Maslowschen Bedürfnispyramide erreichen. Hierbei ist wichtig zu betonen, dass der Verständniswandel nicht nur bei Kunden und Mitarbeitern stattfindet, sondern auch bei Aktionären und Investoren.
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