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Bachelorarbeit, 2021
36 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Peers
2.2 Peer-Groups
2.3 Peer-Culture
3. Forschungshistorie 6
4. Peers und ihre Wirkung im Leben von Kindern und Jugendlichen
4.1 Unterschiede zwischen Peers und Familie im Kontext der Sozialisation
4.2 Die Wirkung von Peers in der Schule
5. Peer-Culture in jeder Schule gleich? Einflussfaktoren auf die Entfaltung einerSchülerkultur
5.1 Peer-Culture und Schulkultur
5.2 Peer-Culture in aufstrebenden Schulformen am Beispiel der Ganztagsschule
6. Peer-Culture in der Schule - ein mikroperspektivischer Blick 17
6.1 Die Perspektive der Schüler/innen auf die Institution Schule
6.2 Die Entstehung und Bedeutung von Peer-Culture in der Schule
6.3 Erwachsene in der Kultur von Peers - Die Verflochtenheit von Peer-Culture und Lehrkraft
7. Schlussbetrachtung
8. Literaturverzeichnis
Es ist unschwer zu erkennen, dass Kinder und Jugendliche mittlerweile einen großen Zeitanteil in ihrem Leben in institutionellen Einrichtungen verbringen. Den größten Teil davon in der Schule. Wenn man jetzt mit seinem Blick auf Schule nicht mehr auf typische Forschungsfelder, wie zum Beispiel Lehrerbildung oder Unterrichtsforschung schaut, dann sollte dabei auffallen, dass hierbei die Sichtweise auf Schule, als eine Alltagwelt für Kinder und Jugendliche, keine große Bedeutung erfährt. Schüler/innen besuchen nicht einfach nur jeden Tag die Schule, lassen mehrere Stunden Unterricht über sich ergehen, und gehen dann nach Hause. Für Kinder und Jugendliche ist Schule viel mehr als einfach nur Leistungserbringung. Sie bilden Freundschaften, bilden ihre Identität und agieren jeden Tag als Mitglied einer Schulklasse unter Einfluss von unfreiwilligen Beziehungen. Genauer gesagt: Sie leben einen großen Teil ihres Lebens in einem Klassenverband, welcher durch die Institution zusammengesetzt wird und mit dem sich jeder Schüler oder jede Schülerin täglich auseinandersetzen muss. Das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Wort ,peer‘ beschreibt diese Konstellation hier zutreffend, nämlich dass es sich um gleichaltrige beziehungsweise gleichgesinnte Gruppen von Personen dreht (Bennewitz 2016, S.68). Das schulische Leben von Kindern und Jugendlichen in der Rolle der Peers, steht demnach immer in Relation zu der Institution und stellt somit ein einzigartiges Phänomen dar, welches in dieser Arbeit als Schülerkultur beziehungsweise Peer-Culture verstanden werden soll. Im Rahmen der Peer-Culture Forschung wird dementsprechend Schule beziehungsweise Unterricht vom Schüler aus untersucht. Dieses Forschungsfeld brachte in den letzten Jahren einige nennenswerte Studien und Arbeiten hervor, die jedoch kaum, oder wenn überhaupt, dann nur oberflächlich, in einen Gesamtzusammenhang gebracht wurden. Ziel dieser Arbeit soll deshalb eine kulturanalytische Rekonstruktion des Schülerhandels sein, um die Frage beantworten zu können, wie Peer-Culture im Verhältnis zur Schule steht. Nach einigen Begriffsklärungen und einer Skizzierung der Forschungshistorie, soll sich anschließend näher mit Peers auseinandergesetzt werden, um deren Wirkung auf einzelne Kinder und Jugendliche besser nachvollziehen zu können. Danach folgt ein Mikroperspektivischer Blick in das Klassenzimmer, welcher unter besonderem Fokus des Unterrichtsgeschehens versuchen soll das Verhältnis von Peer-Culture und Schule herauszuarbeiten.
Den eigentlichen Ursprung hat der Begriff Peer im Lateinischen „par“ und bedeutet in etwa „gleich“ oder „ebenbürtig“ (Brake 2010, S.388). Jedoch spiele laut Brake innerhalb der Peers die Gleichrangigkeit eine viel größere Rolle als die Gleichaltrigkeit, da im Wesentlichen keine großen Unterschiede in Sachen Wissenstand, Können oder beispielsweise Entscheidungsgewalt bestünden. Gerade bei intensiveren Peerbeziehungen seien diese gemeinsamen Faktoren im Interaktionsprozess von großer Wichtigkeit, da hier gewohnte Autoritätsstrukturen, wie beispielsweise bei Lehrer-Schüler- oder Eltern-Kind-Beziehungen, wegfallen und somit die wechselseitige Peer-Interaktion im Zentrum stünde. Diese sei nämlich unter anderem für die sozio-kognitive Entwicklung des Kindes durchaus relevant (ebd., S.388) und wird im späteren Verlauf dieser Arbeit auch noch ausführlicher thematisiert werden.
In der jugendkulturellen und schulischen Forschung, vor allem aber in der noch jüngeren Peer-Culture Forschung, wird unter dem Begriff „Peers“ eine Form von gleichaltrigen Gruppen verstanden. Es geht hierbei nicht um Gruppen des gleichen Alters allgemein, sondern um gerade solche Konstrukte von Gleichaltrigengruppen, die sich innerhalb ihres Rahmens in ihrer Interaktion und Kommunikation täglich beeinflussen und auch wie oben bereits erwähnt für das individuelle Verhalten eine zentrale Rolle spielen. Wenn man sich also eine Schulklasse anschaut, werden hier auf den ersten Blick Gleichaltrige zu Lerngruppen zusammengestellt. Diese Gruppen können dann unter dem Begriff der „Peers“ zusammengefasst werden, da sie nicht einfach nur Menschen mit gleichem Alter sind, sondern Menschen, die im Schulalltag täglich sowohl freiwillig als auch unfreiwillig miteinander interagieren und sich gegenseitig orientieren müssen. Wenn gerade diese wechselseitigen Verhaltensweisen auftreten, spricht kann man von einer Peer-Interaktion (Friedrich, 2015, S.3). Wenn sich jetzt innerhalb dieses Konstrukts intensivere Sozialbeziehungen mehrerer Akteure herausbilden, spricht man von der Peer-Group (Breidenstein, 2008, S.945). Diese Form der Kleingruppen, auch Cliquen genannt, bezeichnet Albert Scherr auch als „soziale Gebilde mit begrenzter Mitgliederzahl“ (Scherr, 2010, S.75). Um Einheitlichkeit gewährleisten zu können, soll im Folgenden für dieses Kleingruppenkonstrukt überwiegend der Begriff Peer-Group verwendet werden.
Obwohl Peer-Culture scheinbar davon lebt, sich von den schulischen Machtasymmetrien zu distanzieren, finden sich grade innerhalb präadoleszenter Peer-Groups interne Rangordnungen der Mitglieder. Die Soziologin Donna Eder definierte schon vor längerer Zeit Peer-Groups und Peers mithilfe eines Statussystems und charakterisierte dieses eher als ein instabiles Phänomen (Eder 1995, S.55ff.). Ein Grund dafür sei, dass Integration und Exklusion neuer Mitglieder der Peer-Group von den Führungspersonen abhängig und deshalb ein fester Platz innerhalb der Gruppe nie gesichert sei. Somit kann die fehlende Loyalität gegenüber den Führungspersonen zum Ausschluss führen, welcher sich negativ auf die Beliebtheit der Person auswirken könne (ebd.). Dieser theoretische Ansatz, mit einer solchen Sichtweise auf die Peer-Group als ein fragiles Gebilde mit enormen Ausschlussdruck, ist durchaus ein logisches Konzept, allerdings ist es fraglich, ob dieses eher unflexible Muster auf jede Schulklasse in der Präadoleszenz angewendet werden kann. Auch Breidenstein kritisiert diesen Ansatz mit der Frage, ob dieses Statussystem in dieser Form wirklich auf alle Schulklassen zutreffe und ob es nicht unterschiedliche Varianten innerhalb der Gleichaltrigengruppe gäbe (ebd., S.955).
Im Gegensatz dazu zeichnen sich Peer-Groups auch durch ihre spezielle Kommunikationsbasis aus, da hier Möglichkeiten für einen intensiven Austausch gewährleistet werden. Konkret betrachtet entsteht beispielsweise die Option auf bestimmte Themen zu verzichten, die in anderen Formen von Beziehungen, beispielsweise Intim- oder familiären Beziehungen, nicht so einfach ausgelassen werden könnten (Scherr, 2010, S.76). Darüber hinaus bleibt die Kommunikation in Peer-Groups allgemein themenunspezifisch und ist somit sehr offen gestaltet. Gerade diese Offenheit der Kommunikation wird durch ein wechselseitiges Interesse für Gespräche und Zusammenkünfte ermöglicht. Man fühlt sich also wahrgenommen und kann auch hier gegenseitiges Vertrauen erfahren, da durch „emotional[e] Sympathie[n]“ und das gemeinsame Teilen von Erfahrungen ein gewisser Zusammenhalt und ein Prozess der Stabilisierung für die Bewältigung des alltäglichen Lebens entstehe (ebd., S.76). Somit kann man annehmen, dass Peer-Groups in der Schule auch zur individuellen Identitätsfindung beitragen können, da sie sich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirken würden, sowie Anerkennung erzeugen. Folglich stellen sie für viele Schüler/innen einen wichtigen sozialen Ort dar (ebd. 77ff.). In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass das Konstrukt der Peer-Group auf Freiwilligkeit basiert. Somit würden auch keine realen Verpflichtungen bestehen, jedoch sei genau dieses Strukturmerkmal auch Ursache für eine immer wieder auftretende Auflösungsgefahr einer Peer-Group (Harring, Böhm-Kasper, Rohlfs & Palentien 2010, S.11). Neben diesen Chancen, die eine Peer-Group in der Schule bieten könnte, finden sich auf der anderen Seite aber auch, wie bereits angeschnitten, Risiken, die sich in Gruppendynamiken, Ausschlüssen oder Feindseligkeiten äußern können und im Schulalltag immer wieder präsent sind. Sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen von Peerbeziehungen in der Schule werden im späteren Verlauf dieser Arbeit noch einmal ausführlicher diskutiert.
Man muss dazusagen, dass Peer-Groups natürlich auch fernab der Schule existieren können und sich auch in der Erwachsenenwelt, zum Beispiel am Arbeitsplatz, wiederfinden. Allerdings weist die Peer-Group in der Schule ganz eigene Ausprägungen, wie beispielsweise eine mögliche Sozialisationsfunktion im Jugendalter, auf und grenzt sich somit stark von anderen Peer-Group-Konstellationen ab. Diese Prozesse werden auch im weiteren Verlauf noch einmal ein Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sein. Offenkundig ist auch, dass Peer-Groups im Kindes- und Jugendalter auch außerhalb des Schulalltages eine Rolle spielen. In dieser Arbeit wird der Fokus jedoch auf Peer-Groups beziehungsweise Peer-Culture innerhalb des Schulalltages gelegt. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass die Institution den Schüler/innen gewisse Regelungen, Rahmungen und Erwartungen vorgibt, diese aber nicht unbedingt „ordnungsgemäß“ erfüllt werden, sondern sich Peers mittels Anpassungsprozesse zu diesen in ein bestimmtes Verhältnis setzen (Zschach & Pfaff 2014, S.443). Der Hauptgegenstand dieser Arbeit soll dementsprechend das Verhältnis von Peer-Culture und Schule sein.
Ein Paradebeispiel für einen Ort, an dem Peer-Culture entsteht, wäre somit die Schule, beziehungsweise die Schulklasse (Breidenstein & Kelle 2002, S. 319). Die interne Kultur einer Schule ist ein Produkt aus der Erwachsenen-, Schüler- und der Schulkultur, wobei Schüler/in- nen, durch das asymmetrische Mengenverhältnis der Institution, mit eigenen Handlungs- und Interaktionsprozessen den größten Anteil am Entstehen der schulischen Peer-Culture haben. In diesem Zusammenhang kann der Kulturbegriff auch als ein Prozess verstanden werden, bei dem Menschen, in diesem Fall die Schülerschaft, durch ihre Interaktionen eine für sich selbst geltende Ordnung erschaffen (Sujbert 2009, S.71). Kinder und Jugendliche nehmen in diesem Zusammenhang also die Rolle als „aktive Gestalter ihrer Umwelt“ ein (Krüger & Pfaff 2008, S.14). Genau diese Gestaltung einer eigenen Ordnung findet zwar im schulischen Kontext statt, verläuft allerdings parallel und vor allem unabhängig zum eigentlichen Schul- beziehungsweise Bildungsauftrag. Darüber hinaus sorgt die Institution in ihrem Dasein auch für die Bewahrung und für das Fortlaufen der entstehenden Peer-Culture (Breidenstein 2008, S.945). In dieser, von Schülern konstruierten Kultur, lernen sie an einem gemeinschaftlichen Leben teilzunehmen. Durch soziale Prozesse, oder auch Peer-Interaktionen, erwerben Schüler/innen soziale Kompetenzen, setzen sich mit ihrem Geschlecht auseinander, lernen Wertvorstellungen kennen, und werden mit typischen Gesellschaftsprozessen, wie beispielsweise dem Wettbewerb, konfrontiert (Wetzstein, Erbeldinger, Hilgers & Eckert 2005, S.21). Diese sozialen Prozesse scheinen jedoch zu variieren, je nachdem ob man in Peer-Groups integriert ist oder nicht. Diese Varianz stehe somit auch in engem Zusammenhang mit der positiven oder auch negativen Entwicklung des eigenen Selbstbildes (ebd., S.22). Die Kultur der Gleichaltrigen sorgt somit auch für die individuelle Identitätsbildung der Schüler/innen, da durch die alltägliche Peer-Interaktion der Charakter geformt und innerhalb der „Gleichen“ von jedem eine Form von Selbstdarstellung gefordert werde (ebd., S.21). Peer-Culture entsteht also nur, weil die Institution Schule einen gewissen Raum bietet, der für jeden Einzelnen eine Ansammlung von unterschiedlichen Erfahrungen bereitstellt. Aus diesem Grund konstituierte der Soziologe Karl Mannheim, welcher als Pionier der Jugendsoziologie gilt, bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Begriffe Erfahrungsraum und Erfahrungsgemeinschaft, die auch heute noch auf das Schulwesen angewendet werden können.1 Das gemeinsame Erleben und Interagieren in diesem Erfahrungsraum lässt somit das Phänomen der Peer-Culture greifbarer werden und macht es auch innerhalb der Schule zu einem einzigartigen Geschehnis, da die entstehende Kultur auch von jedem einzelnen differenziert wahrgenommen wird. Dementsprechend charakterisiert sich dieser Erfahrungsraum, in dem sich Peer-Culture äußert, als konjunktiv2 und ist für Außenstehende folglich nur schwer zu greifen (Wagner-Willi, 2005, S.40). Die Peer-Culture der Schule ergibt sich also auch erst durch die spezifischen Rahmen der Institution selbst, mit denen sich die Peers auseinandersetzen müssen (Breidenstein & Kelle 2002, S.321.). Im Bezug dazu hält Wetzstein (et. al.) fest, dass die Institution kein Hindernis für die aktive Gestalter-Rolle darstellen würde, sondern lediglich den Raum für die Entstehung einer spezifischen Peer-Culture biete (Wetzstein et. al. 2005, S.25). Im Anschluss an Wetzsteins These soll sich im Rahmen dieser Arbeit auch mit dem Verhältnis von Peer-Culture und schulischer Ordnung beziehungsweise Schulkultur beschäftigt werden.
Wenn man sich zunächst der Forschungshistorie widmet, kann man feststellen, dass Peer-Culture innerhalb der Forschungsfelder der Schulpädagogik und Schulforschung schon vor der Jahrtausendwende aufgegriffen und auf das Schulgeschehen bezogen wurde, dort allerdings eher in einem negativen beziehungsweise kritischen Kontext gesehen wurde. In diesem Zeitraum wurde die Schülerkultur eher als ein Gegenspieler zum eigentlichen Bildungsauftrag der Schule angesehen (Breidenstein & Meier zit. nach Eckermann 2017, S.10). Diesen Sichtweisen stellte sich unter anderem Jürgen Zinnecker entgegen. In seinem Werk „Der heimliche Lehrplan“ stellte er 1975 Thesen zur Schule als eine vergesellschaftete Einrichtung auf und wies auf die großen, noch unerforschten Teile des Schulunterrichts und auf informelle Lernprozesse neben dem eigentlichen Lehrplan hin (Brake & Bremer 2010, S.8). Dieses Umdenken Zinneckers sorgte unter anderem dafür, dass sich im Laufe der Zeit von dieser negativ behafteten Vorstellung der Peer-Culture distanziert wurde, sodass man auch aus sozialisationstheoretischer Perspektive Peers mit Schule als ihrer eigenen sozialen Welt ausgiebiger und detaillierter begutachtete (Eckermann 2017, S.10). Ein weiterer Grund für das gestiegene Forschungsinteresse an schulischer Peer-Culture ist, dass nicht zuletzt durch die sich in den letzten Jahren mehr und mehr etablierenden Modelle von Schulen mit Ganz- oder Halbtagsbetreuung die Institution zu einem „[...] zentralen Treffpunkt von Peers geworden [...]“ ist (De- ckert-Peaceman 2009, S.86). In Folge dieses Perspektivenwechsels auf die Institution Schule als Alltagswelt der Peers geriet diese in einen differenzierten Blick (Brake & Bremer 2010, S.10f.) und eröffnete somit neue Forschungsfelder. Diese Forschungsfelder brachten neuere Studien zum Vorschein, die sich ausführlicher mit dem Zusammenhang von Peer-Culture und Schule beschäftigten und auch den Hauptgegenstand dieser Arbeit bilden werden. Wenn also Peer-Culture in der Schule zum Hauptuntersuchungsgegenstand der Forschung wird, kann in diesem Zusammenhang auch von Peer-Culture Forschung gesprochen werden. Breidenstein und Kelle bezeichneten diese als eine Forschungslinie, welche Vorgänge und Handlungsmuster in den Blick nimmt, „in denen sich Kinder und Jugendliche aneinander orientieren und einen kulturellen Kontext schaffen, der eigenen Regeln und Relevanzen folgt“ (Breidenstein & Kelle 2002, S.319). Diese Forschungslinie kann deshalb als ein Teilgebiet der Peerforschung wahrgenommen werden, da sie sich primär mit sozialisationstheoretischen und sozialstrukturellen Prozessen aus der Perspektive der Peers beschäftigt (Köhler, Krüger & Pfaff 2016, S.14ff.). Das Forschungsfeld stellte sich jedoch über einen längeren Zeitraum als wenig transparent dar, weil einzelne Studien meist unterschiedliche Forschungsgegenstände der PeerCulture untersuchten und aufgrund der konsequent benutzten ethnografischen Forschungsmethode immer einen eigenen Kontext besaßen. Somit wurde lange Zeit kein übergreifender Zusammenhang geschaffen (Breidenstein 2008, S.946f.). Eine im Jahr 2016 entstandene und gleichzeitig umfangreiche Darstellung zum interdisziplinären Feld der Peerforschung, welche auch Berührungspunkte von Peer-Culture, Schule und Unterricht beinhaltet, kommt den Herausforderungen der Peer-Culture Forschung somit entgegen (Köhler et. al. 2016).
In dieser Arbeit soll nun versucht werden, mittels ausgewählter Studien und Beiträge dem Appell von Brake & Bremer, dass sich Forschungslinien der Peerforschung auf Schule als Alltagswelt ausrichten müssen (Brake & Bremer 2010, S.15), nachzukommen und somit das Verhältnis von Peer-Culture und Schule durch einen mikroperspektiven Blick, sowie in einem grundlegenden Zusammenhang umfangreich darzustellen und zu erklären. Dabei soll zusätzlich darauf geachtet werden bei der Analyse der Peer-Culture auch immer die Dimensionen der Schule selbst zu berücksichtigen, da es „[...] kein schulisches Lernen jenseits oder außerhalb der Peer Kultur der Schulklasse [gibt]“ (Breidenstein 2009, S.138.).
Das folgende Kapitel legt nun den Fokus auf die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen. Hierbei soll verdeutlicht werden, welche Rolle die Peers in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen einnehmen können und welche Relevanz Peerbeziehungen für die Sozialisation haben können. Um das Verhältnis von Peers und Familie in dieser Hinsicht zu verdeutlichen, soll in diesem Kapitel eine vergleichende Perspektive geschaffen werden, da auch die Familie bei der Sozialisation der Kinder und Jugendlichen logischerweise eine große Rolle einnimmt. Anschließend an den angedachten Vergleich wird die Wirkung der Peers in der Schule im Zusammenhang mit schulischem Erfolg und der psychologischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen thematisiert.
Bis in die 1970er Jahre hinein wurden Gleichaltrigengruppen in der Schule kaum in einen Zusammenhang mit Sozialisationsprozessen gebracht. Auch der wechselnde Einfluss der Bereiche Eltern und Peers im Kindes- und Jugendalter wurde bis zu diesem Zeitpunkt eher randständig thematisiert (Brake 2010 S.386f.). Seit den 1990ern sorgten aufschlussreiche Studien jedoch dafür, dass beide Bereiche, die zuvor isoliert betrachtet wurden, als zwei sich durchdringende Sozialisationsinstanzen untersucht werden (Vierhaus &Wendt 2018 S. 141).
Bereits der Schuleintritt sorgt im Kontext des Zeitanteils in den Bereichen Familie und Peers für eine drastische Verschiebung in Richtung der Peers. Durch die tägliche Interaktion mit Gleichgesinnten, welche sich im Jugendalter noch einmal signifikant vergrößert, weisen Peersbeziehungen einen sehr hohen Einflussfaktor auf verschiedenste Facetten der Entwicklung auf (ebd.). Die Gründe für diese Verschiebung sind vielfältig und hängen mit den unterschiedlichen Strukturmerkmalen der Bereiche Familie und Peers zusammen.3 Aus der Sicht der Jugendlichen spielt zuallererst wohl der Aspekt der Freiwilligkeit eine große Rolle. Wie auch zu Beginn dieser Arbeit beschrieben, zeichnen sich Peer-Aktivitäten und vor allem das Bilden von Peer-Kontakten, dadurch aus, dass sie von den Schüler/innen aus freiem Willen und selbstständig gebildet werden. In diesem Fall bietet die Schule den Raum für die aktive Anregung von Freundschaften, die dann in den meisten Fällen außerhalb der Institution vertieft werden können (Wehner 2006, S.130). Diese Peer-Interaktionen, genauer gesagt das Sammeln von Sozialerfahrungen, stellen wichtige Entwicklungsbausteine dar, die über Erfahrungen innerhalb der familiären Sozialisation hinaus gehen (Vierhaus & Wendt 2018, S.141). Auch im familiären Kontext können Kinder und Jugendliche Lern- und Sozialerfahrungen sammeln, allerdings stehe dieser Prozess immer unter der Einwirkung der Eltern (Wetzstein et. al. 2005, S.21). Diese Vorgaben und Einflüsse des Elternhauses haben aus der jugendlichen Sichtweise größtenteils einen einschränkenden Charakter, wenn es beispielsweise um Freizeitaktivitäten geht (Brake 2010, S.385). Der genannte Einfluss des Elternhauses in Kombination mit einem „Erfahrungs- und Kompetenzvorsprung“ der Eltern ergibt für Kinder und Jugendliche innerhalb der familiären Sozialisation ein, für sie selbst schon vorher festgelegtes, Rollenbild mit entsprechenden Verhaltensregeln (Wetzstein et. al. 2005, S.21). Im Gegensatz dazu werden innerhalb der Peerbeziehungen eigene Wertvorstellungen und Verhaltensnormen von den beteiligten Akteuren aktiv konstruiert (Brake 2010 S.390). Es wird also gemeinsam festgelegt, welche Verhaltensweisen toleriert werden und welche nicht. Allerdings muss mittels Interaktionen und Kommunikation selbstständig dafür gesorgt werden, dass die Peerkontakte aufrechterhalten werden und dass man seinen akzeptierten Status innerhalb der Gruppe beibehält (ebd., S.389). Bei dieser Aufgabe können Eltern eine entscheidende Vermittlerrolle bei der Gestaltung, Initiierung und Aufrechterhaltung von Peer-Beziehungen einnehmen (Vierhaus & Wendt, 2018, S.146). Nichtsdestotrotz stellt der persönliche Status beziehungsweise die Anerkennung unter Gleichaltrigen einen wichtigen Aspekt dar, wenn es um den Fortbestand und um die Beliebtheit in Peer-Group und Klassenverband geht (Breidenstein 2008, S. 944f.). Scherr bezeichnet deshalb schulische Gleichaltrigengruppen auch als „Arenen“, in denen diese wechselseitigen Anerkennungsprozesse untereinander ausprobiert werden können (Scherr 2010, S.78.f). Wenn diese Prozesse scheitern sollten oder eine Umorientierung beziehungsweise Interessensverschiebung stattfindet, kann im Zweifelsfall die Peerbeziehung aufgelöst werden oder ein Ausschluss aus der Peer-Group stattfinden, was im familiären Bereich ohne Weiteres nicht möglich wäre. Ein Abbruch wäre hier allein gesetzlich nicht legitim und kommt in der Regel auch nicht vor. Aus diesem Grund sind im Bereich Familie Sanktionen für Fehlverhalten der Kinder und Jugendlichen eine daraus resultierende Folge, mit der sich die Betroffenen auseinandersetzen müssen (Brake 2010, S.389).
Daran anknüpfend spielt die individuelle Familiensituation im Zusammenhang mit emotionaler Nähe und Unterstützung eine wichtige Rolle für das Verhältnis von Peers und Familie. In der qualitativen Studie Wetzsteins (et. al.) konnte über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, dass bei Kindern und Jugendlichen in Elternhäusern mit Konfliktpotential eine verstärkte und früher eintretende Hinwendung zu Peers stattfindet, wo Gleichgesinnte dann untereinander für emotionale Nähe und Unterstützung sorgen können (Wetzstein et. al. 2005, S.23f.). Gerade in bestimmten Entwicklungsphasen kann soziale Unterstützung, welche sich durch Grundbedürfnisse, wie Kameradschaft oder Akzeptanz äußere, für die individuelle Entwicklung von großer Bedeutung sein (Wehner 2006, S.120f.). Wenn man also die Bereiche Peers und Familie gegenüberstellt, kann man feststellen, dass hier verschiedene Arten von sozialer Unterstützung geleistet werden. Aus diesem Grund spielen Peers eine viel größere Rolle, wenn Jugendliche nach dem Bedürfnis von „Kameradschaft“ streben (ebd., S.121). Diese Form der sozialen Unterstützung können Familienmitglieder nur selten liefern. Als wichtige Ansprechpartner eignen sich allerdings sowohl Elternteile als auch Peers, da die Themenwahl hier entscheidend sei (Brake 2010, S.392ff.). Während bei persönlichen Problemen und Konflikten mit Anderen im voranschreitenden Jugendalter immer mehr die Peers und Peer-Groups in den Vordergrund rücken, stehen bei Problemen oder Fragen, die sich auf Politik oder die eigene Zukunft beziehen die eigenen Eltern an oberster Stelle (ebd.). Es ist jedoch offenkundig, dass die Peer-Sozialisation in vielen Bereichen einen großen Stellenwert für Kinder und Jugendliche darstellt und somit in der Lebenswelt als Peer zwischen schulischen Leistungsanforderungen und familiären Erwartungen eine kompensierende Wirkung entfalten kann (Zschach 2008, S.282). Diese Sozialisationsprozesse ergeben sich nicht zuletzt durch ein gesellschaftliches Phänomen, welches Margaret Mead in den 1970er Jahren als kofigurative Kultur beschreibt (Marti 2003, S.450ff.). Innerhalb dieser Kultur orientieren sich die jungen Generationen immer weniger an den älteren Generationen, sondern entfalten ihre eigenständige Jugendkultur, in der sie sich überwiegend untereinander sozialisieren (Brake 2010, S.386). Dieses Sozialisieren unter „Eigenregie“ findet unter anderem dann innerhalb der Peer-Groups statt, da hierfür ein neuer Ort anboten wird (Scherr 2010, S.81). Die Grundprinzipien der Gesellschaftstheorie Meads sind auch nach wie vor in der Gesellschaft zu beobachten, wobei man von einem grundlegenden Generationenkonflikt heutzutage nicht mehr sprechen kann, da das Zusammenspiel von Eltern und Jugendlichen im fortgeschrittenen Alter der Heranwachsenden immer mehr steigt und sich somit für sie größere Handlungsspielräume und Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung ergeben (Brake 2010, S.390). Dieser Wandel bedeutet jedoch nicht, dass sich die Sozialisation beider Bereiche ohne Auseinandersetzungen vollzieht. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Familie beziehen sich nur weniger auf philosophische Themenfelder, wie das Weltbild oder die allgemeine Lebensauffassung, sondern auf alltägliches, wie problematisches Konsumverhalten, Schulleistungen oder die Erfüllung eines angemessenen Lebenslaufes (Wetzstein et. al. 2005, S.22f.).
Dass Peers aus sozialisationstheoretischer Perspektive eine große Rolle einnehmen können steht aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse wohl außer Frage. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Wirkung Peers im Schulalltag auf den Einzelnen haben können. In Bezug auf Lern- und Bildungsprozesse können hier zwei markante Ergebnisse der Längsschnittstudie „Peergroups und schulische Selektion“4 herangezogen werden. Da die längsschnittorientierte Studie die Kinder mehrere Jahre begleitete, kann hier auch auf die sich veränderte Relevanz von Peers über einen längeren Zeitraum eingegangen werden.
[...]
1 Mannheim verwendete den Begriff nicht nur für eine „Realgruppe" wie hier Schulklassen oder Jahrgänge, sondern setzte diesen auch in einen Zusammenhang mit einer gesamten Generation (Wagner-Willi 2005, S.41f.). Nichtsdestotrotz erscheint die Charakterisierung des Schulerlebnisses als Erfahrungsraum im Zusammenhang mit Peer-Culture durchaus sinnvoll.
2 Konjunktiv = Möglichkeitsform, bezogen auf mögliche Wahrnehmungen des Erfahrungsraumes.
3 Bei der Betrachtung der Bereiche Peers und Familie, spielen je nach Konstellation natürlich auch Geschwister eine große Rolle, gerade wenn sie sich in einem ähnlichen Alter befinden. Geschwister können sich demnach in beiden Feldern bewegen und eine soziale Bezugsgröße bilden. Die folgenden Untersuchungen sollen sich jedoch auf Peers außerhalb der Familie beziehen und bei der familiären Sozialisation die Elternteile in den Fokus rücken (vgl. dazu auch Brake 2010, S.387f.).
4 Das Forschungsprojekt „Peergroups und schulische Selektion - Interdependenzen und Bearbeitungsformen" (2005-2011) wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und vollzog sich in fünf verschiedenen Schulen aus unterschiedlichen Schulformen. Die auf einen Längsschnitt angelegte Studie begleitete die Kinder und Jugendlichen in einem Zeitraum von 6 Jahren mittels dreier Erhebungswellen und arbeitete mit qualitativen Interviews und ethnografischen sowie videografischen Methoden.
Diplomarbeit, 76 Seiten
Examensarbeit, 101 Seiten
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Examensarbeit, 101 Seiten
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