Bachelorarbeit, 2021
44 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
1. Begriffserklärungen
1.1 Arbeit
1.2 Work-Life-Balance
1.3 Entgrenzung der Arbeit
2. Geschichte und Narrative der Arbeit
2.1 Die Entwicklung des Arbeitens
2.2 Trennung von Arbeitszeit und Freizeit
2.3 Die Entwicklung des (neo-)liberalen Geistes
3. Vorstellungen der Arbeitswelt
3.1 NewWork
3.2 Home-Office
3.3 Das unternehmerische Selbst
4. Corona als Beschleuniger des New Work
4.1 Veränderung der Arbeitskultur
4.2 Herausforderungen des Home-Office
4.3 Das Privileg „Home-Office“
4.4 Prinzipal-Agent Dilemma - Zwischen Autonomie und Kontrolle
5. Diskussion
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit gibt einen Überblick auf die Geschichte der Arbeit und der narrativen Vorstellung der Arbeitswelt 4.0. Während der Corona-Pandemie 2020 und des einhergehenden Kontaktverbots appellierte die deutsche Bundesregierung an das Arbeiten von zuhause aus. Das Home-Office wurde Anfang April in Deutschland flächendeckend eingeführt und ermöglichte in dessen Umfang eine noch nie dagewesene Form von Arbeit. Anhand quantitativer Befragungen der Universität Konstanz und der deutschen Institute für Wirtschaftsforschung werden die Ergebnisse in einer kapitalismuskritischen Theorie eingebettet. Im Zuge der Postmoderne wird dem Subjekt mehr Autonomie und Selbstverantwortung geboten und abverlangt. Das Narrativ des New Work wird in einem machtanalytischen und historisch-komparativen Diskurs gebracht. In der Diskussion wird gezeigt, dass das pandemisch bedingte Home-Office eine Beschleunigung der New Work Mentalität darstellt und eine bessere Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Privatleben ermöglichen kann. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Beschäftigte mit Betreuungsaufgaben hinsichtlich der Selbstorganisation zwischen sozialen und beruflichen Verpflichtungen. Dabei zeigt sich, dass das Arbeiten im Home-Office während der Corona-Pandemie eine größere Spaltung der Berufsgruppen herbeiführt und Privilegien gegenüber „systemrelevanten“ Arbeiten sichtbarer werden lässt.
Computer anschalten, in die Videokonferenz einloggen und mit Arbeitskollegen seine täglichen Arbeiten nachgehen, allein. Im Hintergrund sieht man Kinder und Haustiere vorbeilaufen. Ab und zu das Läuten der Türklingel. So ähnlich sieht für 35% der Erwerbstätigen in Deutschland der Arbeitsalltag bedingt durch die „COVID-19 Pandemie 2020“ aus (Schröder et al. 2020). Dabei wurde das Home-Office Arbeitsmodell, aufgrund von Kontaktbeschränkungen und Hygieneschutzmaßnahmen, in Betrieben und Unternehmen kurzfristig eingeführt, das bis heute noch anhält (Stand: 30.03.2021). Die Popularität von Home-Office kann am Beispiel des Technologieunternehmens Siemens abgelesen werden, welches seit August 2020 140.000 Arbeitsplätzen Home-Office ermöglichte (Brien 2020). Laut des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), haben 54% der deutschen Unternehmen vor, das Home-Office weiter auszubauen (Alipour et al. 2020). Die COVID-19 Pandemie gestaltet sich für die Arbeitswelt als ein globales soziales Experiment, in dem die konventionelle Präsenzkultur im Büro und das Misstrauen von Führungskräften gegenüber Home-Office aufgebrochen werden und Flexibilität und Eigenständigkeit von allen Beteiligten gefordert ist (De Menezes und Kelliher 2016). HomeOffice ist in der deutschen Volkswirtschaft seit den 70er Jahren unter Tele-Heimarbeit bekannt, die in der Praxis jedoch wenig präsent war. Durch die Corona-Pandemie könnte sich die Akzeptanz und Arbeitskultur dahingehend entwickeln. Unter dem Begriff „New Work“ bezeichnet Frithjof Bergmann seit den 70er Jahren diesen Wandel (vgl. Bergmann 2004). Laut Bergmann wandeln sich Ziel und Zweck der Arbeit. Seine These beschreibt die Veränderung der Lohnarbeit zu einer identitäts- und lebenssinnstiftenden Arbeit. Wir unterwerfen uns nicht mehr der Arbeit, sondern die Arbeit wird zweckdienlich_/Mr den Menschen (vgl. Bergmann 2004, S.ll). Lässt das Home-Office Modell diesen Gedanken zu und zeichnet uns einen Weg in diese Vision der selbstbestimmteren Arbeit? Auf der anderen Seite wird ein Merkmal des postkapitalistischen Zeitalters sichtbar, in der die Arbeit noch unterbewusster in das Menschsein übergeht und sogar nun bis in die privateste Sphäre, die eigenen vier Wände, durchdringt. Ist das HomeOffice Modell ein kleiner Teil der marxistisch utopischen Zukunftsperspektive, in der die voranschreitende Automatisierung und Technologisierung die Arbeitszeit verkürzen wird und die Menschen mehr Zeit für Muße und Bildung nutzen können? Oder entfaltet sich, durch das Aufheben der Grenzen von Privat- und Berufssphäre, die Entfremdung des Menschen in vollen Zügen?
Unter den Veränderungen des subjektiven Selbstverständnisses von Arbeit und durch den technologischen Fortschritt finden soziokulturellen Umstrukturierungen der Arbeitswelt statt. Die Arbeitskultur verändert sich und beeinflusst damit auch das Privatleben und die soziale Lebenswirklichkeit der Menschen. In den aktuellen Diskursen der letzten zwei Jahrzehnte waren Begriffe wie „Digitalisierung“, „Digitale Transformation“ und „Industrie 4.0“ im Business-Kontext häufig in Gebrauch. Vorwiegend durch die aufsteigenden Technologiekonzerne, wie Google, Amazon und Facebook, bekam die Arbeitswelt einen disruptiven Einschlag verpasst. Einhergehend mit den neuen digitalen Geschäftsmodellen entstanden auch neue Formen der Arbeitsmodelle. Neben flachen Hierarchiestrukturen, dezentraler Organisation und agilen Arbeitsmethoden wurde das Home-Office unter dem Gesichtspunkt ter Autonomie für das Subjekt und die Wirtschaft zunehmend relevanter. Bereits seit Anfang 2019 soll Arbeitsminister Hubertus Heil an einem „Home-Office Gesetzesentwurf ‘ gearbeitet haben, das den Arbeitnehmern die nötige Freiheit bieten und zugleich vor der "Entgrenzung der Arbeit" (Wittenhorst 2020) schützen soll. Im Zuge der Corona-Pandemie ist dieser Diskurs aktueller denn je. Doch für welchen Anteil der Arbeitnehmer ist das „Mobile Arbeit Gesetz“ relevant? Und welche sozialpsychologischen und makrosoziologischen Veränderungen birgt das vermehrte Arbeiten von zu Hause aus? Wie verändert sich die Arbeits- und Unternehmensstruktur von Organisationen und inwieweit beeinflusst die Corona-Pandemie den Arbeitswandel?
Um diese Fragen beantworten zu können, wird vorerst geklärt, was unter Arbeit verstanden wird und welche Phänomene diesbezüglich dem Subjekt widerfahren. Darauffolgend wird der Stellenwert der Arbeit in der westlichen Gesellschaft historisch nachgezeichnet. Daran anknüpfend wird die Vorstellung der Arbeitswelt 4.0 mit dem Fokus des New Work unter dem neoli- beralistischen Tenor erläutert. Darin wird analysiert, welche Relevanz das Arbeiten im HomeOffice für die Subjekte und Unternehmen besitzt. Hierbei soll es nicht um Freiberufler und selbstständig Arbeitende gehen, für die Home-Office bislang möglich war. Ebenfalls soll es nicht um eine juristische Einschätzung des Rechts des Arbeitnehmers aufHome-Office gehen. Vielmehr soll beschrieben werden, welche Rolle dem Home-Office im Kontext der neuen Arbeitswelt zugetragen wird und wie sich diese durch die Corona-Pandemie veränderte. Für die Analyse wird auf quantitativ erhobene Daten der zentralen Wirtschaftsinstitute und der Universität Konstanz eingegangen. Diese beinhalten positive und negative Effekte des Home-Office auf die Angestellten während der Corona-Pandemie. Zum Abschluss erfolgt die Bezugnahme des theoretischen Rahmens mit der Auswertung der Daten in einer eingebetteten Analyse.
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit soll einen ergänzenden Beitrag zum arbeitssoziologischen Diskurs des Home-Office liefern und der Frage nachgehen, inwieweit die Corona-Pandemie das Narrativ der Arbeitswelt 4.0 und damit einen gesellschaftlichen Arbeitswandel beschleunigt. Die Methodik besteht aus der Durchführung einer Sekundäranalyse, in der aktuelle wirtschaftswissenschaftliche Human-Ressource Literatur (Personal Magazine) und arbeitssoziologische Literatur des „neuen Geist[es] des Kapitalismus“ von Boltanski und Chiapello (2003) sowie Foucaults Konzept des Panoptismus herangezogen wird. Dabei soll diskursanalytisch unter Einbezug der vorliegenden quantitativen Daten, das Narrativ des New Work herausgearbeitet werden.
Somit ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, den Verlauf der Arbeitswelten nachzuzeichnen, um aus der historischen Entwicklung heraus das Verständnis der New Work Mentalität zu dekon- struieren. Der Fokus liegt dabei auf der Hervorhebung der Arbeitskultur in der Form, wie sich das Arbeiten verändert hat und wie sich dieses im New Work fortführen soll. Die Relevanz des Themas bemisst sich einerseits aus dem herausragenden gesellschaftlichen Stellenwert der Arbeit in seiner Alltäglichkeit sowie globaler Praxis. Weiter soll diskutiert werden, ob diese Entwicklung tatsächlich ein selbstverwirklichendes Potenzial für das Subjekt bietet und welche Vorzüge Unternehmen sich davon versprechen können. Zudem wird auf den partiellen Zugang des Home-Office hingewiesen, der nur bestimmten beruflichen Gruppen zugänglich bleibt und wie diese Diskrepanz zu einer Verstärkung der sozialen Ungleichheit führen kann. Die übergeordnete Thematik besteht aus der narrativen Entwicklung der Arbeit im Zuge des Neoliberalismus, der zum gesellschaftsanalytischen Diskurs ergänzend beitragen soll.
Im Alltag werden Begriffe häufig in ihrer Selbstverständlichkeit verwendet, ohne ihre genaue Bedeutung und Hintergrund zu kennen. Das Wort Arbeit ist eines davon. Es hat sich im Laufe der Geschichte in seinem Bezug, in seinem Verständnis und in seiner Ausführung stark verändert. Dies fällt im umgangssprachlichen Gebrauch und in der profanen Alltäglichkeit oft nicht auf. Nachfolgend soll die ambivalente Betrachtungsweise des Begriffs „Arbeit“ veranschaulicht werden und welchen Zielen und Gefahren das Subjekt dabei entgegensteht.
Arbeit wird in vielfältiger Weise definiert und kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Arbeit wird im allgemeinen Sprachgebrauch als routinierte körperliche oder geistige Tätigkeit gesehen. Im Lexikon zur Soziologie (2011) gilt Arbeit als
„allgemeine Bezeichnung für eine bewusste, zweckmäßige Tätigkeit, mit der etwas erstellt wird. Welche dieser Tätigkeiten Arbeit heißt und welche Bedeutung Arbeit für den Menschen hat, ist von den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen bestimmt.“ (Wienold 2011a, S.46).
Diese „gesellschaftlichen Umstände“ sind in der Geschichte der Zeit sehr unterschiedlich, weshalb der Begriff der Arbeit immer im historischen Kontext betrachtet werden muss. Arbeit kann einerseits im Sinne des staatlich institutionalisierten Erwerbssystems verstanden werden, worunter Erwerbs- und Lohnarbeit fällt. Damit ist die Arbeit gemeint, mit der Geld verdient und zur Lebenssicherung beigetragen werden soll. Andererseits kann darunter auch ehrenamtliche Arbeit, Hausarbeit, Eigenarbeit, Reproduktionsarbeit oder auch Schwarzarbeit verstanden werden. Die Schwarzarbeit sei eine Form der informellen Arbeit (Wienold 2011b, S.46).
Aus soziologischer Sicht betrachtet, ist Arbeit maßgeblich im Rahmen einer Gemeinschaft und der einhergehenden sozialen Beziehungen zu verstehen. Das Augenmerk der Wirtschaftssoziologin Gertraude Mikl-Horke liegt hierbei auf der Kooperation und der Arbeitsteilung in Form einer Organisation sowie der Interaktion, die mit anderen geleistet wird (vgl. Mikl-Horke 2017, S. 24). Darüber hinaus sei der soziale Stellenwert eines Individuums in modernen Gesellschaften anhand der ausgeübten Arbeit bestimmt. Neben der sozialen Komponente wird Arbeit ebenso als relevant in der Identitäts- und Bewusstseinsbildung sowie der Entwicklung eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten angesehen (vgl. ebd.). Als Beispiel wird hier die Integration von Migranten in der Aufnahmegesellschaft angeführt. Die große kulturelle Bedeutung der Arbeit spiegele sich im Begriff der „Arbeitsgesellschaft“ wider. Dabei spricht Mikl-Horke an, dass Arbeit sich in vielen alltäglichen Formen wiederfinde, da beispielsweise von „Familienarbeit, Beziehungsarbeit, Körperarbeit, Konsumarbeit, Trauerarbeit etc. gesprochen wird“ (vgl. ebd.). Dies impliziert die Selbstverständlichkeit und die universale Anwendung des Arbeitsbegriffs. Das moderne Verständnis der Erwerbsarbeit sei „durch die Institution des Arbeitsvertrags und durch das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer konstituiert“ (vgl. ebd.). In der Arbeitssoziologie stand die Lohnarbeit im Betrieb und des industriellen Sektors lange im Zentrum der empirischen Arbeitsforschung. Durch die Verlagerung des sekundären Sektors des produzierenden Gewerbes in den tertiären Sektor des Dienstleistungsgewerbes, richte sich der Fokus zunehmend auch auflnformations- und Wissensarbeit.
In der Ökonomie wird Arbeit als Produktionsfaktor gesehen. Die Entlohnung erfolgt nach der Grenzproduktivitätstheorie unter steter Annahme der Gewinnmaximierung. Somit wird versucht, für die Herstellung eines Produkts drei Faktoren zu kalkulieren. Adam Smith definiert Arbeitskraft, neben Boden und Kapital, als lebendiges oder aktives Produktionsmittel (vgl. Mikl-Horke 2017, S.25). Aus der Sicht der Arbeitskraft wird die Arbeitszeit, im Gegenzug zur Freizeit, als Leid empfunden und ist mit einem negativen Grenznutzen verbunden (vgl. Voigt und Wohltmann 2018). Im ökonomischen Zusammenhang bezeichnet Karl Marx Arbeit als „Vermittlung des notwendigen Stoffwechsels zwischen Natur und Gesellschaft“, die ,,[i]n der kapitalistischen Produktionsweise [...] zur öuelle von Wert“ wird (Wienold 2011b, S.46). Dies betont die wertschöpfende Bedeutung der Arbeit zur Steigerung der Volkswirtschaft.
Für die Politik ist die Arbeitsbeschäftigung beziehungsweise die „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ ein hohes Ziel. Der Ausspruch „Recht auf Arbeit“ ist ein politisch konnotierter, aus der Arbeitsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts entspringende Forderung, die auch im Grundgesetz verankert ist. Mit dem Begriff der Arbeitsgesellschaft eröffnet Hannah Arendt die Diskussion des Wertes der Arbeit. Sie stellte sich 1958 in ihrem Buch „Vita Activa“ die Frage, wie die Menschen ihre Zeit ohne Arbeit verbrächten und was es für die Gesellschaft bedeute, wenn die Arbeit ausginge. Der Soziologe Ralf Dahrendorf beschäftigte sich 1980 ebenfalls mit der Arbeitergesellschaft und der gesellschaftlichen Rolle der Arbeit. Die Unterbeschäftigung sei für ihn ein unzumutbarer sozialer Zustand. Dahrendorf vertrat die These, dass der Mensch von sich aus tätig sein wolle (vgl. Grebing 2001, S.23). Die Arbeiterbewegung sei ein gesellschaftliches Merkmal für sozialere Umstände und Arbeitssicherheit. Arbeit wird politisch, ökonomisch und gesellschaftlich als ein wichtiger Faktor für die Gesellschaftsstabilität und deren Wohl gesehen.
Die harmonische Vereinigung von Arbeitszeit und Freizeit wird im globalen Sprachgebrauch unter dem Begriff „Work-Life-Balance“ (WLB) zusammengefasst. Dieser stammt aus dem Human Ressource Management des US-amerikanischen Raumes (vgl. Menz und Monz 2017, S.325). Aktualität gewann dieser Begriff aufgrund gestiegener Erschöpfungskrankheiten der Arbeiter1 und der mangelnden Vereinbarkeit entgrenzter Erwerbsarbeit mit privaten Verpflichtungen (siehe ebd.). Der öffentliche Diskurs um das Thema entstand im Zuge der Industrialisierung, indem die Erwerbsarbeit eine räumliche und zeitliche Trennung voraussetzte.
„Ziel der Work-Life-Balance ist es, die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu steigern, sie an das Unternehmen zu binden und bessere Chancen im Wettbewerb bei der Rekrutierung von Personal aber auch bei Kunden bzw. Kundinnen zu haben. Folgende Maßnahmen werden zur Verbesserung der Work-LifeBalance eingesetzt: Arbeitszeitflexibilisierung wie Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Sabbatical, unterschiedlichen Teilzeitformen und Möglichkeiten der Heim- bzw. Telearbeit und Angebote wie Haushaltsservice, Kinderbetreuung und Sportkurse sowie Gesundheitsangebote.“ (Ahlers 2011, S.763).
Der Begriff „Work-Life-Balance“ impliziert eine bereits bestehende Trennung zwischen der bezahlten Erwerbsarbeit (Worb) und dem freizeitlichen Leben (Life), welches in Harmonie beziehungsweise Ausgeglichenheit (Balance) gebracht werden soll. Der Ausdruck Balance kann ebenso darauf hinweisen, dass Life als Gegenpol zu Worb verstanden werden kann und diese somit konträr zueinanderstehen (vgl. Monz und Menz 2017, S.325). Diese Balance soll vom Subjekt aktiv hergestellt und aufrecht gehalten werden, womit eine weitere soziale Anforderung von außen gegeben ist. Durch die „Entgrenzung der Arbeit“ werden die beiden Seiten zunehmend aufgelöst.
Unter der Entgrenzung der Arbeit wird die „zeitliche wie räumliche Auflösung erwerbsarbeit- licher Strukturen, die die Grenzen zwischen Betrieb und außerbetrieblichen Lebenssphären durchlässig macht“ verstanden (Bührmann 2011, S.47). Aus den oben genannten Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance, erreichen Betriebe eine „Erweiterung der Verfügungsmöglichkeiten über die Arbeitspotenziale der Erwerbstätigen, ihre individuellen und sozialen Ressourcen, insbesondere ihre Zeit“ (ebd.). So bauen sich die bestehenden und strukturierten Arbeits- und Beziehungsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. Es entstehen neue soziale Formen von Arbeit, wie Netzwerkuntemehmen und selbstorganisierte Arbeitsgruppen, die sowohl einen neuen Umgang als auch ein neues Verständnis der Arbeit erfordern.
„Die räumliche Nähe, teilweise in Verbindung mit erhöhter Zeitautonomie, schafft neue Möglichkeiten, Arbeit und Leben individuell zu verbinden, führt zugleich aber auch zu Mehrfachbelastungen (insbesondere von Müttern) durch Rollen- und Zeitkonflikte und durch Übertragung von beruflichem Stress auf die Familie.“ (Menz und Monz 2017, S.327)
Somit werden vom arbeitenden Subjekt mehr Selbstorganisation, Selbstkontrolle und Strukturierung gefordert und abverlangt. Die Mehrarbeit ist zum Teil genderabhängig, sodass Männer im Gegensatz zu Frauen öfter dazu tendieren, selbstinitiativ ihre Arbeitszeit zu verlängern. Frauen hingegen präferieren eine feste Struktur (vgl. ebd.).
Arbeit wird immer als ein multidimensionales Phänomen angesehen, das sowohl in der Ökonomie als auch in der Sozialanthropologie einen relevanten Stellenwert besitzt. Diese starke Wechselwirkung zwischen Politik, Ökonomie und Gesellschaft lässt den Begriff der Arbeit ambivalent wirken und ist relevant im interdisziplinären Rahmen. Fortführend soll die historische Entwicklung der Arbeit nachgezeichnet werden, damit gezeigt werden kann, welchen Stellenwert die Arbeit imjeweiligen gesellschaftlichen Kontext einnimmt und wie sich dieser verändert. Darauf aufbauend wird folglich der Begriff des New Work im Zusammenhang der Arbeitswelt 4.0 erörtert, um den Rückschluss zur Forschungsfrage zu ziehen.
Nachdem die elementaren Begriffe definiert sind und die zentralen Konzepte angesprochen wurden, beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Geschichte der Arbeit. Der Arbeitsbegriff wird hierzu in historischen Kontext gesetzt. Die sozialen und wirtschaftlichen Umstände sind hierbei entscheidend für die Prägung des Narrativs der Arbeit. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich Arbeit, die als mühselige Tätigkeit angesehen wurde, zur religiös gelobten Tüchtigkeit in der sich (Macht-)Strukturen und Zeiteinteilungen des Subjekts als Kernelemente der Arbeit herausbilden. Im Zuge des Neoliberalismus zu Beginn des 1980er Jahre, entwickelte sich ein individualistischeres Verständnis von Arbeit.
Der Wandel der Arbeit ist nach Mikl-Horke eng mit der Produktionsweise und der sozialen Organisation der Gesellschaft verknüpft. In archaischen Gesellschaften, in denen Verwandtschaftsstrukturen gelten, wurde die Arbeitsteilung aufgrund von Alter und Geschlechtszugehörigkeit festgelegt. Mit der Sesshaftigkeit des Homo Sapiens entwickelte sich die Viehzucht und der Ackerbau. In den ackerbaubetriebenen Gesellschaften herrschte eine starke vertikale Herrschaftsordnung (vgl. Mikl-Horke 2017, S.25). Parallel dazu entstand mit der Landwirtschaft die anthropologische Kultur, die damit die zivilisatorischen Merkmale des sesshaften Menschen kennzeichnen. Aus den „Naturvölkern“ wurden „Kulturvölker“. Das lateinische Wort „cultura“ bedeutet soviel wie „pflegen“ oder „anbauen“ eines Ackers oder des Landbaus. Somit implizieren Kulturvölker das Herstellen von Nahrungsmitteln durch Anbau, der einen gewissen Zeithorizont und technische Fertigkeiten erfordert. Dies kann bereits als kulturelle Arbeit angesehen werden und als erste Arbeit des zivilisierten Menschen. Durch territoriale Kämpfe und der Unterdrückung anderer Völker, verfügten „die alten Reiche über ein großes Arbeitskräftepotential aus Sklaven oder unfreien Personen“ (ebd., S.25). Dies sei charakteristisch für das römische und griechische Reich in der Antike gewesen, deren Wirtschaft auf der Arbeit von Sklaven aufbaute. Die Arbeit der Sklaven wurde nur geringfügig geschätzt, während das Bürgertum intellektuellen und künstlerischen Tätigkeiten wie beispielsweise der Philosophie nachgehen konnten (vgl. ebd.). Arbeit wurde mit Armut und Unfreiheit assoziiert. Lohnarbeit im Namen eines freien Bürgers sei unvereinbar und bringe ihn „in eine sklavenähnliche Position (Nippel 2000, S.61f.). Zudem gab es keine „Trennung von Haushalt und Betrieb“, vielmehr „bildeten Wohnung, Werkstatt und Ladenlokal eine Einheit“ (Nippel 2000, S.59). Im Mittelalter des 11. Jahrhunderts zeichnete sich eine Änderung der Konnotation der Arbeit ab. In der Ständegesellschaft verrichteten überwiegend Bauern Landarbeit, während die Ritter Territorien verteidigten und erschlossen und der Klerus für die Geistlichkeit stand. Im Laufe der Zeit traten Kaufleute und städtische Handwerker in den Arbeiterkreis hinein, bis hin zu Professoren, die in den aufkommenden Universitäten tätig wurden und den Arbeitsbegriff veränderten (vgl. Mikl-Horke 2017, S.25).
Zum Beginn der Frühen Neuzeit im Laufe des 16. Jahrhunderts, kehrte sich die Konnotation des Begriffs der Arbeit um. Der Historiker Peter Gutschner (2001) beschreibt einen Epochenumbruch von der Antike stammenden „Last- und Mühsaltradition“ des Arbeitens zum fleißorientierten Merkantilismus im 17. und 18. Jahrhunderts (vgl. Gutschner 2001, S.144). Während die körperliche Praxis der Arbeit unverändert blieb, wurde es zur obersten Pflicht des Menschen „dem Staate durch Fleiß und Arbeit nützlich zu werden“ (ebd.). Somit wurde Arbeit für „Bettler und Tagediebe“ sowie verhaltensauffälligen Menschen „als Strafe für Verfehlungen, aber generell als Zucht- und Erziehungsmittel eingesetzt“ (vgl. ebd., S.144f). Dies stelle für Gutschner das Fundament der industriellen Arbeitswelt, welches auf „Fleiß, Leistung und Disziplin“ drängte (vgl. ebd., S.145). Mit der Ausbreitung des Protestantismus im europäischen Raum wurden die kulturellen Bräuche der Tüchtigkeit und Frömmigkeit etabliert. Der aufstrebende Calvinismus duldete kein Vergnügen, Lust galt als Schandtat. Im Fokus des Denkens stand die Nähe zu Gott und im Handeln das Arbeiten. Aus diesem Verhältnis der Mikro- und Makroebene zwischen der calvinistischen Arbeitsethik und des Arbeitergeistes entstand ein Kulturwandel, den Max Weber in seinem Buch "Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1904/1905) beschreibt. Nach der „Protestantismusthese“ ist die tüchtige Arbeitsmoral und - ethik der Calvinisten und der Protestanten der Nährboden der ersten industriellen Entwicklung und des aufkommenden Kapitalismus. Die „Rationalisierung der Lebensführung" zeichnet sich nach Max Weber dadurch aus, dass dem Individuum „seine Handlungen beständiger Selbstkontrolle und der Erwägung ihrer ethischen Tragweite“ (Weber 2016, S.101) beigemessen wurde, gemäß der benediktinischen Maxime „ora et labora“, zu Deutsch „bete und arbeite“. Der wirtschaftliche Erfolg und die asketische Lebensweise wurden im Protestantismus als Maß für das Seelenheil im Paradies angesehen, da persönlicher Reichtum als ein Zeichen göttlichen Auserwähltseins galt (vgl. ebd., S.lOlf.). Die externen Verhaltensregeln werden mit der Zeit von den Individuen internalisiert und in eine systematische Selbstkontrolle transformiert (vgl. Weber 2016, S.110). So entstünde eine religiös arbeitsorientierte Wertegemeinschaft mit der „Pflicht zu Fleiß, Ordnung, Mäßigung und Disziplin“ (Oexle 2000, S.77).
Mit dem Beginn der Nationalökonomie und der Säkularisierung stand die Arbeit nun im Zentrum des ökonomischen Denkens. Maßgeblich begründet durch Adam Smith Ende des 18. Jahrhunderts erhielt Arbeit als Produktionsfaktor einen wertschaffenden Stellenwert, der dem Individuum und seinen Mitmenschen den Wohlstand verschaffte (vgl. Gutschner 2001, S.146). Neben dem nationalökonomischen Narrativ, das schließlich den Liberalismus hervorbrachte, baute sich die missliche soziale Lage der Arbeiter zunehmend auf. Die von Marx und Engels angestoßene Arbeiterbewegung während des ausbeuterischen Manchesterliberalismus2 im 19. Jahrhundert propagierte stark mit dem Arbeitsbegriff und deren Arbeiterstolz: „Für die Arbeiterbewegung wurde Arbeit zum zentralen Konzept: Der Mensch war der arbeitende Mensch und wurde allein aus dieser Perspektive definiert“ (vgl. Gutschner, S.146f). Während die Arbeiterbewegung für die Sicherheit der Arbeitsplätze und humanistischeren Arbeitsbedingungen protestierte, kritisierte der kubanische Schwiegersohn Karl Marx‘, Paul Lafargue, 1883 in seinem Werk „Das Recht auf Faulheit“ den ideologischen und kapitalistischen Arbeitsbegriff. Dieser strebte nach kürzeren Arbeitstagen. Anstelle der damaligen 12-15 Arbeitsstunden pro Tag, forderte er drei Stunden am Tag (vgl. Grebing 2001, S.24). Der Titel seines Werks habe er in Anlehnung an die Arbeiterbewegung verfasst und als Gegenstück zur Forderung des Gesetzes des „Rechts auf Arbeit“ entworfen. Aufgrund der technischen Produktivitätsgewinne sah er das Ende der Arbeitsgesellschaft voraus (vgl. ebd).
Einen Ausblick auf die kapitalistische Lohnarbeit entwarfen ebenfalls Max Weber und der britische Ökonom John Maynard Keynes, in dem sie eine Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerungen voraussahen. Weber ging davon aus, dass mit der erhöhten Intensität der Arbeit und der folglich steigernden Produktivität, die Arbeitszeit auf die Zahl der Arbeiter verteilt und verkürzt werden müsste (Lehmann und Hermann 2017, S.68). Die sei ebenfalls in der wirtschaftswissenschaftlichen Tradition nach Keynes (1943) die These. Die langfristige Vollbeschäftigung der entwickelten kapitalistischen Länder sei nur durch „radikale Arbeitszeitverkürzung zu erreichen“ (ebd.).
Marx beschreibt 1849, in der Zeitungsreihe der Neuen Rheinischen Zeitung mit dem Titel „Lohnarbeit und Kapital“, die verrichtete Arbeit der Produktionskräfte als Lohnarbeit, welche von dort an die klassische Definition der Erwerbsarbeit nachhaltig prägte. Im Zentrum stand der Klassenkampf der Arbeiterklasse (Proletarier) gegen die Kapitalisten (Bourgeoisie) gegen das ausbeuterische Verhältnis. „Der Bourgeois kauft also ihre Arbeit mit Geld. Für Geld verkaufen sie ihm ihre Arbeit.“ (Marx 1980, S.245). Die Arbeit als Ware verdeutlicht er daran, dass der Bourgeois für das Gehalt der Arbeiter Waren wie Zucker oder Mehl kaufen könne. Ersteres messe man mit der Uhr, zweiteres mit der Waage (vgl. ebd.). Die Uhr impliziert die Zeit, die ein Arbeiter seinem Bourgeois zur Verfügung stellt. Diese Zeit wird in Arbeitszeit transformiert und in Geld entlohnt. Die Arbeitszeit grenzt Marx somit von der Lebenszeit ab. „Der Arbeitslohn ist also nur ein besondererName für den Preis derArbeit.“ (ebd. S.245). Die Trennung der Arbeitszeit von der Lebenszeit schlägt sich im Alltagsverhalten nieder und entgrenzt sie von ihr (vgl. S.246):
„Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer seines Lebens. Sie ist eine Ware, die er an einen Dritten zugeschlagen hat. [...] Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf derWirtshausbank, im Bett.“ (Marx 1980, S.246).
Die Lohnarbeit wird zu zweckdienlicher Arbeit, die nach Beendigung zur Freizeit übergeht. Die Arbeit wird als Austausch verschiedener Mengeneinheiten dargestellt. Eine Zeitmenge wird gegen eine Geldmenge getauscht. Dieses Verständnis beschreibt die Arbeit in objektivierter Form zur subjektiven Existenzsicherung.
In der anthropologischen und ethnografischen Literatur trennen dagegen indigene Gruppen, die landwirtschaftlich tätig sind, nicht zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Bronislaw Malinowski untersuchte dabei die Trobriand-Insulaner und die Rolle der sozialen Interaktionen bei der Tauschgabe von Jamswurzeln. Ihre landwirtschaftliche Tätigkeit sahen sie nicht aktiv als Arbeit, vielmehr wurde die Tätigkeit durch soziale und mythische Interaktionen verbunden (Hann 2000, S. 28). Der Ethnologe Maurice Bloch verbindet seine ethnographischen Erkenntnisse vom „Volk der Madagassen“ mit der marxistischen Kritik der kapitalistischen Lohnarbeit und spricht die soziale Konstruktion der Aufteilung von Arbeits- und Freizeit an. Der Sozialanthropologe Chris Hann (2000) zitiert hier Bloch:
„In solchen Gesellschaften wird Arbeit (labour) so wenig als ein spezieller, getrennter Typ von Tätigkeit angesehen, daß es - im Unterschied zu unserer von der Geschichte des Kapitalismus geprägten Sprache - noch nicht einmal ein entsprechendes Wort dafür gibt. Das Leben eines sich selbst erhaltenden Bauern stimmt einfach nicht mit unserem Begriff von Arbeit (labour) überein. Wir können zum Beispiel nicht sagen, wann ein madagassischer Bauer seine Arbeit (work) beginnt und wann er oder sie dieselbe beendet. [...] all diese Tätigkeiten sind ineinander verschlungen, und es gibt keinen Anhaltspunkt, sie in Arbeit und Freizeit zu unterscheiden.“ (Zitiert von Maurice Bloch 1983 in Hann 2000, S.29).
[...]
1 Zur besseren Lesbarkeit und aus Gründen der Einfachheit wird im folgenden Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sindjedoch immer alle Geschlechter.
2 Der Manchesterliberalismus ist die Bezeichnung „für einen strikten wirtschaftlichen Liberalismus, derjede Form des Staatseingriffes ablehnt und nur für den individuellen Nutzen anerkennt. Der M. geht zurück auf die Manchesterpartei (R. Cobden) in England, die sichfürdie Aufhebung der Komgesetze [1838-1846] und für unbeschränkten Freihandel einsetzte.“ (Wienold 2011b, S.419)
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