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Masterarbeit, 2021
75 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Die Anfänge der Leibeserziehung nach 1945
3. Die Abgrenzung der Leibeserziehung von der militärischen Indoktrination.
4. Die Leibeserziehung und das Gesundheitsmotiv
5. Bildungsbeiträge der Theorie der Leibeserziehung
6. Vereine, Sport und Leistung - Die Positionierung der Theorie der Leibeserziehung
7. Die inhaltliche Vermittlung der Leibeserziehung
8. Zusammenfassung der Entwicklung der Theorie der Leibeserziehung
9. Die Interessenvertretungen der Leibeserziehung
9.1 Der Ausschuss Deutscher Leibeserzieher und der Bundesverband Deutscher Leibeserzieher
9.2 Der Deutsche Sportbund
10. Curriculare Verankerung der Leibeserziehung in West-Berlin
10.1 Die curriculare Verankerung der Leibeserziehung von 1945 bis 1950
10.2 Der zeitliche Umfang in der curricularen Verankerung der Leibeserziehung
10.3 Die Bildungspläne der Leibeserziehung
11. Fazit
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Die verfasste Arbeit setzt sich mit der curricularen Verankerung der Leibeserziehung in West-Berlin von 1945 bis 1972 auseinander. Darin werden die langwierigen Legitimationsbemühungen der Leibeserziehung, die damit zwangsläufig verbundenen Diskussionen und auch die inhaltlichen, methodischen wie auch didaktischen Änderungen exemplarisch aufgezeigt. Die Sekundärliteratur ordnet die allgemeine Entwicklung zusätzlich ein. Dem angeschlossen werden die Interessenvertretungen der Leibeserziehung auf ihre Einflussgröße geprüft. Es werden die curricularen Verankerungen im Untersuchungszeitraum zusammengefasst und auf ihre Veränderung im Zusammenhang der zuvor beschriebenen Debatten und der eventuellen Einflüsse verschiedener Interessengruppen analysiert.
Die curriculare Verankerung der Leibeserziehung von 1945 bis 1972 konnte in ihrer Entwicklung aufgezeigt werden. Darin ergab sich eine Diskrepanz zwischen den, in der Theorie der Leibeserziehung entworfenen didaktischen Theorien und der curricu- laren Verankerung. Die Interessenvertretung der Leibeserziehung, hauptsächlich durch die Organisation des DSB vertreten, konnte hingegen seinen Einfluss geltend machen. Die Stundenzahl konnte von zwei Wochenstunden auf drei verpflichtende Wochenstunden in allen Oberschultypen gesteigert werden. Die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts zeigte zunehmend eine sportive Ausrichtung auf, die sich jedoch hauptsächlich in der Organisation von Schülersportvereinigungen, Bundesjugendspielen und in der Resolution zur Förderung des Leistungssports niederschlug.
This paper deals with the curricular development of physical education in West-Berlin from 1945 to 1972. It exemplifies the protracted efforts to legitimize physical education, the inevitably associated discussions and also the development in content, methods and didactics. The secondary literature also classifies the general development. The interest groups of the physical education are then examined for their influence. Curricular development in the period under investigation are summarized and analyzed for their change in the context of the debates described earlier and the possible influences of various interest groups.
The curricular development of physical education from 1945 to 1972 could be shown in its development. A discrepancy was shown between the didactic theories outlined in the theory of physical education and the development in the curriculum. The stakeholder group for physical education, mainly represented by the organization of the DSB, however, was able to exercise its influence. The number of hours could be increased from two hours per week to three compulsory hours per week in all types of secondary schools. The content of the lessons increasingly showed a sporty orientation, which was mainly reflected in the organization of school sport associations, national youth games and in the resolution to promote competitive sport.(
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sport und Bildung sind zwei Begriffe, die in einem direkten Zusammenhang unmittelbar zu Diskussionen führen. Trotz der festen curricularen Verankerung in den Rahmenlehrplänen Berlins gelingt es dem Sportunterricht nicht, als ein unangefochtener Bestandteil der schulischen Gesamtbildung betrachtet zu werden. Die fehlende Nennung im nationalen Bildungsbericht oder die Abschaffung des Studiengangs für Sportlehrkräfte an der Freien Universität in Berlin durch den Präsidenten Dieter Lenzen sind nur zwei Beispiele, die aufzeigen, dass der Sportunterricht bis heute keine vollwertige Anerkennung für seinen Beitrag zur Gesamtbildung erfährt. Vielmehr wird er als ein gesellschaftlich anerkannter Bestandteil in der Schule gesehen, der den Kindern einen Bewegungsausgleich ermöglichen soll.
Die Geschichte des Schulsports zeigt einen langjährigen Kampf zwischen den befürwortenden und den ablehnenden Positionen, die in Deutschland bis zur Turnbewegung um Friedrich Ludwig Jahn zurückgeht. Exemplarisch für die ersten Bemühungen einer institutionellen Anerkennung des Turnens steht der „Barrenstreit“ (1860-1863). Dabei handelte es sich um die Anerkennung des Turnens als ein wesentlicher Bestandteil des Schulunterrichts. Die Debatte um die Bedeutung wurde jedoch nicht unter den pädagogischen Fachleuten geführt, sondern entwickelte sich zu einer politischen Auseinandersetzung, in dessen Folge sich das Spießsche Schulturnen heraus entwickelte. Dieses orientierte sich an pädagogischen Grundsätzen mit dem Ziel der Erziehung und Gesunderhaltung der Jugend. Mit der Gründung des Deutschen Reiches wurde in allen deutschen Schulen das Turnen unterrichtet. „Erfolg und Verbreitung des Spießschen Turnsystems lassen sich damit erklären, dass es gelang, eine Theorie von Körpererziehung sowohl in pädagogischer als auch methodischer sowie politischer und organisatorischer Hinsicht zu entwerfen“ (Krüger, 2019, S. 157).
Dieser kurze Exkurs zeigt die, aus vergangener und heutiger Perspektive, gesellschaftlichen, politischen und bildungspolitischen Anforderungen und Kritiken, die sich der Sportunterricht regelmäßig zu stellen hat und hatte.
Mit dem Blick auf den aktuellen Bildungsbeitrag des Sportunterrichts in Berlin zeigt sich ein wesentlicher und nachvollziehbarer Beitrag zur Förderung der allgemein zu vermittelnden, festgeschriebenen Kompetenzen in den Rahmenlehrplänen.
Aus den beschriebenen Entwicklungen der 1870er Jahre bis hin zu den noch heute andauernden Diskussionen um den Sportunterricht resultiert die Frage nach den anfänglichen Begründungen und Legitimationen des Sportunterrichts in Berlin. Aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Bruchs in der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 und der anschließenden Teilung Deutschlands und Berlins beschränkt sich die nachfolgende Arbeit auf West-Berlin. Untersucht wurde in dieser Arbeit der Zeitraum von 1945 bis 1972. 1945 gilt als Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg, 1972 knüpft an die curricularen Beschlüsse des Landes West-Berlins und an die Veröffentlichung des Deutschen Sport Bunds (DSB) in Verbindung mit der Kultusministerkonferenz (KMK) an. Die bildungspolitische Legitimation eines Unterrichtsfaches lässt sich in der curricularen Verankerung wiedererkennen. Der heutige Sportunterricht wurde im Untersuchungszeitraum noch Leibeserziehung genannt. Aufgrund der zuvor beschriebenen Eingrenzung des Zeitraums, des Ortes und der überprüfbaren Quellen, lautet der Titel der Masterarbeit:
„Die curriculare Entwicklung der Leibeserziehung von 1945 bis 1972 im Land WestBerlin.“
Im Rahmen dieser Arbeit soll sich in dem oben genannten Zeitraum mit der Legitimationsbewegung der Leibeserziehung auseinandergesetzt werden. Die langwierigen Legitimationsbemühungen der Leibeserziehung und die damit zwangsläufig verbundenen Diskussionen und den inhaltlichen, methodischen wie auch didaktischen Änderungen, sind in einem so großen Umfang vorhanden, das sich dazu entschieden wurde anhand exemplarischer Quellen jene Entwicklung aufzuzeigen. Ziel ist es, die Diskussionen und Veränderungen in unterschiedlichen Themenbereichen aufzuzeigen. Zudem werden die Interessenvertretungen der Leibeserziehung auf ihre Einflussversuche geprüft. Dem angeschlossen werden die curricularen Verankerungen im Untersuchungszeitraum zusammengefasst und auf ihre Veränderung im Zusammenhang mit den zuvor beschriebenen Debatten und eventuellen Einflüssen verschiedener Interessengruppen analysiert. Dabei wird sich aufgrund der Trennung innerhalb des Bildungssystems mit den Oberschulen ab der 7. Klasse auseinandergesetzt.
Die allgemeine historische Betrachtung der Leibeserziehung lässt sich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten in zwei Phasen unterteilen. Stibbe und Aschebrock (2007) sehen den zu untersuchenden Zeitraum fast vollständig als eine Phase an. Den Zeitraum von 1945 bis 1972 unterteilen sie in eine bildungstheoretischentwicklungsorientierte Phase (ca. 1949-1968) und eine curricular- sportartenorientierte Phase (ca. 1969-1979) ein. Eine weitere Unterteilung orientiert sich am Deutschen Sport Bund (DSB): Die erste Phase wird von 1945 bis 1956 beschrieben, die bis zur Veröffentlichung der Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehung in den Schulen (1956) andauert und die zweite Phase von 1957 bis 1972, wo das Aktionsprogramm Sport veröffentlicht wurde (Größing, 2007; Dietrich & Landau, 1990; Krüger, 2019). Aus der Perspektive der Pädagogik wird der zu untersuchende Abschnitt in zwei Phasen unterteilt: Die erste Phase von 1945 bis 1959 orientiert sich am 4. pädagogischen Hochschultag in Tübingen, dem eine nachhaltige Wirkung auf die Theorie der Leibeserziehung attestiert wird. Während in der ersten Phase noch von der Theorie der Leibeserziehung gesprochen wird, etabliert sich in der zweiten Phase mit der Verwissenschaftlichung der Didaktik auch die begriffliche Unterscheidung hin zur Sportpädagogik bzw. Sportdidaktik (Kurz, 1990; Größing, 2007).
Allein dieser kurze Einstieg, der als Orientierung und zur ersten Einordnung der unterschiedlichen Entwicklungen dienen soll, zeigt die breit gefächerten Perspektiven und Interessen, die sich auch im Themenkomplex der curricularen Entwicklung in West-Berlin von 1945 bis 1972 wiederfinden.
Das deutsche Bildungssystem nach 1945 stand unter der Kontrolle der Besatzungsmächte. Im Potsdamer Abkommen wurde unter Punkt 7 der politische Grundsatz beschlossen, dass das Erziehungswesen in Deutschland so überwacht werden soll, dass die nationalsozialistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung demokratischer Ideen möglich gemacht wird. Dabei entstanden unter dem Alliierten Kontrollrat von 1947 neue Grundsätze für die Demokratisierung des deutschen Bildungswesens (Van Ackeren, Klemm & Kühn, 2015).
Die Entwicklung des Bildungssystems wurde jedoch nicht so ambitioniert verfolgt, wie von den alliierten Westmächten selbst geplant. Vielmehr stand die Integration der neuen Bundesrepublik in das westliche Bündnis an erster Stelle. Aus diesem Grund wurden vorerst die zuvor allgemein bestehenden Schulstrukturen aus der Weimarer Republik übernommen. Auch für das Fach der Leibeserziehung war der unmittelbare Anknüpfungspunkt die Zeit vor 1933 (Krüger, 2006).
Grundsätzlich verfolgte man von Seiten der Befürworter der festen Etablierung der Leibeserziehung in den Rahmenlehrplänen Deutschlands eine Anknüpfung an vorhandene akzeptierte Werte und die Weiterentwicklung des bestehenden (Van Ackeren et al., 2015). Von einer sofortigen Akzeptanz und unangefochtener Legitimation des einzigen Bewegungsfaches an den Schulen kann jedoch keine Rede sein. So beschreibt Gissel (2019) die Nachkriegszeit als den Ausgangspunkt der Dauerlegitimationskrise des Sports. Ludwig Mester beschreibt 1952 die Situation wie folgt:
Der Kampf um die Anerkennung der körperlichen Erziehung (im modernen Er- ziehungswese) hat immer noch nicht zu einem klaren Ergebnis geführt. Die von starkem Idealismus erfüllten Lehrer [. ] der Leibeserziehung in der Schule [. ] haben einen schweren Stand! Sie haben nicht nur gegen Vorurteile und Trägheit zu kämpfen - viel schwerwiegender ist die Tatsache, dass sie sich verlassen fühlen. Verlassen [. ] von der Erziehungswissenschaft und ihrer auf die Praxis bezogenen Theorie. Es ist auf die Dauer unmöglich, nur von der Praxis her auf einen von der Theorie nur widerwillig gegebenen sittlichen und geistigen Kredit hin zu erziehen. Um eine klare Stellungnahme ohne Halbheiten herauszufordern, ist es deshalb berechtigt, eine radikale Fragestellung zu formulieren: Mit welcher Begründung werden die körperlichen Übungen und Spiele überhaupt in den Erziehungsraum der Schule eingeordnet. (Mester, 1952, S. 1)
Die sogenannte Dauerlegitimationskrise nach 1945 in der Leibeserziehung stand in den ersten Jahren vor allem einer Sinn- und Begründungskrise gegenüber. Daraus resultierten verschiedene Versuche, die Legitimation der Leibeserziehung zu begründen. Zu diesen gehörten die Abgrenzung der Leibeserziehung von der militaristischen Prägung der NS-Diktatur, der Beitrag zur Gesamtbildung und die gesundheitliche Förderung. Aus diesen Überlegungen heraus entstanden unter anderem neue Positionierungen gegenüber dem Verständnis von Leistung in der Leibeserziehung, die Haltung dem Vereinssport gegenüber sowie eine Veränderung auf der inhaltlichen Ebene der zu vermittelnden Bewegungsfelder.
Die Argumentation der Abgrenzung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Abgrenzung gegenüber der militärischen Indoktrination.
Die Abgrenzung des sportlichen Verständnisses einer militärischen Funktion für die Gesellschaft beschreibt Schöning wie folgt: „Wir wollen - was die Leibeserziehung angeht - wieder dahin gelangen, wo wir vor 1933 eine vielversprechende Entwicklung haben abbrechen müssen“ (Krüger, 2006, S. 86). Damit zielt Schöning unmittelbar auf die ersten Bildungsmotive der Leibeserziehung der Philanthropen aus dem 18. und 19. Jahrhundert ab. Diese hatten die gesundheitliche Förderung, die Hinführung zur Harmonie des Körpers zwischen Leib und Seele und die Förderung der charakterlichen Eigenschaften wie Mut, Beharrlichkeit und Anstand zum Ziel (Grupe, 1980).
Die praktische Umsetzung dieser Motive in den ersten Nachkriegsjahren lässt sich in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Sport und Leibeserziehung“ mit den Worten Dr. Friedrich Knespers wiedergeben, der darauf verweist, „dass alle Übungen gestrichen wurden, die den Charakter von vormilitärischer Ausbildung tragen“ (Krüger, 2006, S. 87). Auch Schöning (1954) verweist auf die militärische Prägung der Leibeserziehung von 1933-1945. Umso schwieriger, schreibt er, waren die ersten Jahre danach, „die zunächst den Aufbauwillen vor der eigenen Verantwortung in das völlige Gegenteil“ (Schöning, 1954, S. 104) haben umschlagen lassen. Stibbe und Aschebrock (2007) fassen die Neuorientierung unter zwei Gesichtspunkten zusammen. Zum einen knüpfte man an die reformpädagogischen Leitideen der 1920er Jahre an, zum anderen versuchte man die Veränderung der inhaltlichen Gestaltung mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu begründen. Um einer erneuten politischen Vereinnahmung zu widerstehen, versuchte man in den nachfolgenden Jahren an eine generelle Kulturkritik anzuknüpfen, die ebenfalls in der Tradition der Reformpädagogik stand (Dietrich & Landau, 1990).
Dabei bleibt ein grundlegender Zweifel, nach welchen Maßstäben die Abgrenzung im Alltag tatsächlich stattfand.
Die Richtlinien von 1937 brachten seinerzeit in ihren fachlichen Teil einen großen Fortschritt, in Ihrer Zielsetzung waren sie verderblich. Die Erziehung und Härte war eine falsche Zielsetzung und brachte die Gefahr mit sich, dass in Schule und Verein mit den Kräften des Jugendlichen Raubbau getrieben wur- de und dass sich körperliche Härte in einer rücksichtslosen Verhaltensweise auswirkte, die die freie Gemeinschaft der Menschen gefährdet. (Stibbe & Aschebrock, 2007, S. 93 zitiert nach Naul & Großbröhmer, 1996, S. 19)
Inhaltlich lässt sich festhalten, dass die Rahmenlehrpläne zwar die Abgrenzung gegenüber den NS-Zielsetzungen verfolgten, eine tatsächliche inhaltliche Reform aber vorerst ausblieb. Die Zeit nach 1945 beschreibt Gissel (2019) als eine in der NS- Ideologie stehende Tradition. „Wer hingegen [...] nach wegweisenden Zielvorgaben für den Schulsport in der neuen demokratischen Gesellschafts- und Staatsordnung oder nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit und den damals vertretenen eigenen Positionen Ausschau hält, sucht vergebens“ (Gissel, 2019, S. 3 zitiert nach Pfeiffer 1990, S. 286).
Während die Abgrenzung der militärischen Indoktrination von der Leibeserziehung eine Grundvoraussetzung für die Anerkennung des Schulfachs war, bedeutete dies nicht im Umkehrschluss, dass die Leibeserziehung fester Bestandteil der schulischen Bildung war. Vielmehr sah sich die Leibeserziehung einem langwierigen Prozess gegenüber, in dessen Verlauf sie ihre Legitimationsberechtigung erst nachweisen musste.
Ein wesentliches Argument war der Beitrag zur Gesundheit der Lernenden. Das Motiv der gesunderhaltenen Funktion des Sports beruht auf den Bildungsidealen Rousseaus, der den Körper im Gegensatz zu den Quellen der Krankheit und des Zerfalls, als eine selbstbestimmte Quelle der Kraft und Gesundheit versteht (Krüger, 2019, S. 295). Weitere Befürworter reihten sich in die grundlegenden Gedanken des Vordenkers ein. Basedow, Guths Muts und Hufeland vertraten das „Konzept, Gesundheit und Wohlbefinden durch eine ausgewogene, ganzheitliche Erziehung erreichen zu können. Damit sollten Defizite zivilisierter Lebensführung wie Bewegungsmangel und Fehlernährung kompensiert werden“ (Krüger, 2019, S. 299). Das grundlegende Ziel ist es, den Körper und den Geist gesund zu erhalten. Diese Aufgabe soll die Schule im Rahmen der Leibeserziehung erfüllen.
Hamacher (1952) beschreibt die Pflicht als Arzt, den Leibeserziehenden als Berater und Helfer zur Seite zu stehen, um der „Vernormung des Lebens und der Arbeitswelt“ entgegenzuwirken. Seine wesentlichen Argumente sind: Psychische Entlastung durch „loslösen der Sorgen aus dem Alltag [. ] Widerstandskraft gegen Krankheiten (und) Vorbeugung von Haltungsschwächen durch Inaktivität“ (Hamacher, 1952, S. 12). Weitere Aspekte der Leibeserziehung unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsbeitrages in der Schule nennt Seybold-Brunnhuber (1951). Dabei sei es wichtig schon früh Arbeitsfreude und Tüchtigkeit durch körperliche Stärke und seelischen Ausgleich zu fördern.
Mester (1954) beschreibt zwei Phasen, in der die Forderungen der „Volksgesundheit“ vermehrt vorkamen. Zum einen die Phase nach einem Krieg und zum anderen die Phase, wenn die Überfeinerung der Zivilisation zur Abkehr von einer natürlichabhärtenden Lebensweise geführt hat. Die Erziehung zum bewussten Leben. „Die Labilität aller Jugendlichen verlangt, daß wir allen unseren Einfluß aufbieten, um sie hierin zur Einsicht führen. Nicht das Verbot ist erfolgreich, sondern die Bereitschaft, aus eigener Erkenntnis“ (Hoske 1954, S. 32). Um diesen Befürchtungen entgegenzuwirken, ist es das Hauptanliegen der Gesundheitsargumentation, eine möglichst hohe Stundenzahl in den Rahmenlehrplan zu integrieren.
1953 wird vom Bund Deutscher Leibeserzieher (BDL) in „die wichtige Mitteilung für den Leibeserzieher“ eine bundesweite Wiedereinführung von Spielnachmittagen, Wandertagen und die Erhöhung der Turnstunden auf einen Umfang von drei Stunden pro Woche gefordert. Erst so könne man dem schlechten Gesundheitszustand nach 1946 entgegenwirken. (1953, S. 25)
Diese Forderungen werden unter anderem von Fetting (1955) mit dem Hinweis auf die fehlende körperliche Leistungsfähigkeit wiederholt. Hans-Eberhard Bock (1955) führt die Förderung des Herzkreislauf-Systems sowie die schlechte Körperhaltung der Lernenden als Gründe für eine Stundenerhöhung an. Diesen Argumenten folgt Lotz (1958) mit dem Hinweis auf die zunehmende Reduzierung der Bewegung im Arbeitsalltag. Resigniert beschreibt Beckmann (1963) das Verhalten der Menschen des „Konsumzeitalters“, welche die Leibeserziehung nicht mehr als Gesundheitsquelle wahrnehmen, stattdessen die Behandlung mit Medikamenten vom Arzt fordern. Als Antwort fordert er, „beide, sowohl Arzt wie der nichtärztliche Leibeserzieher, müssen wieder im Sinne eines pädagogischen Vorganges die Technik der Leibeserziehung soweit lenken, daß der Patient ein Maximum des Selbstgefühles seiner eigenen Initiative und Aktivität gewinnt“ (Beckmann, 1963, S. 120).
Den hier erläuterten Forderungen zur gesundheitlichen Förderung der Jugend widerspricht Klafki (1964). Sein Argument: ein jugendlicher Mensch fühle sich in der Regel gesund und würde dieses Motiv nicht einsehen. Aus diesem Grund sei es auch nicht notwendig, eine Gesundheitsperspektive in der Leibeserziehung zu verankern. Im Unterschied zu den meisten hier genannten Begründungen der gesundheitlichen Bedeutung der Leibeserziehung vertritt Klafki eine didaktische Begründung, die besonders in den ersten Jahren der Nachkriegszeit nicht von Bedeutung war. Die pädagogische Einordnung beschreibt Grupe (1987). Die Berechtigung des Gesundheitsmotivs stehe nicht im Mittelpunkt der didaktischen Überlegungen. Aus anthropologischer Sicht ist Gesundheit nicht isoliert zu betrachten, sondern in einem ganzheitlichen Sinnzusammenhang zu sehen.
Das Gesundheitsmotiv war trotz seines strittigen Beitrags zu einer vollumfassenden Didaktik der Leibeserziehung ein wesentlicher Bestandteil für die Legitimation der Leibeserziehung als Schulfach. Kurz stellt fest (1990):
Mit Gesunderhaltung der Jugend wird der Begründungszusammenhang angedeutet, von dem man sich zunächst die größte Überzeugungskraft für bildungspolitische Bemühungen um das Fach erwartete. Hinweise auf die zunehmenden Haltungsschwächen bei Schulkindern und die Häufung vorzeitiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen konnten statistisch abgesichert und ihre volkswirtschaftlichen Folgekosten errechnet werden. (Kurz, 1990, S. 18)
Mit dem zunehmenden Abstand vom Kriegsende wird jedoch die alleinige Begründung des gesundheitlichen Beitrags zur Leibeserziehung zunehmend kritischer gesehen. Wie Klafki (1964) erkannten auch weitere Autoren die fehlenden Argumente für eine rein gesundheitliche Perspektive. Aus diesem Grund trat die gesundheitliche Bedeutung der Leibeserziehung zunehmend in den Hintergrund, während vermehrt Beiträge zur Gesamtbildung und -erziehung in den Mittelpunkt der Theorie der Leibeserziehung traten.
Während der gesundheitliche Beitrag der Leibeserziehung als eine pädagogische Begründung und Perspektive eingeordnet wird, versuchten die Theoretiker*innen der Leibeserziehung eine didaktische Begründung zu entwickeln, die den Beitrag zur Bildung und Erziehung verdeutlichen sollte. Die Anknüpfungspunkte der didaktischen Ebene waren ebenso wie die der inhaltlichen Ausrichtung an der Zeit der Reformpädagogik vor 1933 orientiert. Dabei versuchte man, aus den Lehren der vergangenen zwölf Jahre zu lernen und sich konsequent von einer möglichen politischen Indoktrinierung zu lösen.
Der zu untersuchende Zeitraum von 1945 bis 1972 lässt sich aus bildungswissenschaftlicher Sicht in zwei Zeiträume unterteilen. Die bildungstheoretischentwicklungsorientierte Phase (ca. 1949-1968) und die curricular- sportartenorientierte Phase (ca. 1969-1979) (Stibbe & Aschebrock, 2007).
Die Reformpädagogik stand in der Tradition der anthropologischen Philosophie, in der es das Ziel ist, die Bestimmung des „Wesens“ bzw. der „Natur“ des Menschen zu ergründen. Diesen Grundgedanken verfolgte die Sportanthropologie bzw. die Anthropologie der Leibeserziehung im Kontext der körperlichen Bewegung. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der jeweiligen Wissenschaften (Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften). Zusätzlich entwickelte sich die pädagogische Anthropologie in den 1950er und 60er Jahren, die sich mit spezifischen Beiträgen zur Bildung auseinandersetzte. Die Theorie der Leibeserziehung befasste sich aus einem sportpädagogisch-anthropologischen Verständnis heraus mit der Frage, welchen Beitrag die Leibeserziehung zur Gesamtbildung beitragen könnte. Bollnow (1965) präzisiert die Aufgabe so: „Bei jedem Phänomen, das uns im menschlichen Leben aus irgendeinem Grund interessiert, kann man nach seiner Funktion im Ganzen des menschlichen Lebens fragen und es von diesem her zu begreifen versuchen“ (Krüger, 2019, S. 253). Zu den Schwerpunkten aus sportpädagogisch-anthropologischer Sicht zählen unter anderem Gymnastik, Turnen und Spiel (Krüger, 2019).
Die Gesamtbildung wurde als dualistisches Gesamtwerk angesehen. Darunter verstand man eine theoretische Einheit aus Geist und Körper oder Leib und Seele. Man ging davon aus, dass der Körper den Geist oder die Seele den Leib beherrscht. Ziel ist es, diese Gegensätze in Einklang zu bringen, was zur Vorstellung des Menschen als eines ganzheitlich gebildeten Wesens führt. Aus solchen Überlegungen heraus versuchte sich die Leibeserziehung zu legitimieren (Krüger, 2019).
Seybold-Brunnhuber beschreibt 1951 in der Schriftenreihe pädagogisches Wissen und Wirken, die Standortbestimmung der Leibeserziehung in der Gesamterziehung. Das Ziel ist „die sittliche freie, selbstverantwortliche, gemeinschaftsverbundene, lebenstüchtige Persönlichkeit“ (Seybold-Brunnhuber, 1951, S. 7). So erfahren die Jugendlichen und Kinder, „daß sich Fleiß und Anstrengung lohnen“ (Ebd.) und dass daraus Selbstvertrauen, Sicherheit und Klarheit entstehen. Neben dieser erzieherischen Förderung der individuellen Entwicklung werden auch gemeinschaftliche Werte gefördert. Dabei gilt es, den „sozial gesinnten, politisch einsichtigen Menschen“ (Seybold-Brunnhuber, 1951, S. 9) im Spiel zu fördern.
Auch Rodenstein (1952) knüpft an die Bedeutung der Leibeserziehung für die Bildung des Menschen an. So nennt er die erzieherische Kraft des Spielens, die „mit ihren Forderungen nach Gemeinsamkeit und Gesetzesunterwerfung einerseits und dem persönlichen Bemühen andererseits“ (Rodenstein, 1952, S. 21) eine Ideale Grundlage für die kindgerechte Vermittlung damaliger gesellschaftlicher Grundwerte ist.
Die Erziehung steht auch für Mester (1952) unter dem Gesichtspunkt der Charakterbildung und der Gesundheit im Mittelpunkt der Leibeserziehung in den Schulen. Er begründet seine Position mit dem Erbe Friedrich Herbarts, die „Knaben schon früh in Handlung zu setzen [...] wobei diese nach eigenem und richtigem Sinn eine ernste Wirksamkeit betreiben“ (Mester, 1952, S. 2) können.
Hammelsbeck (1958) und Lotz (1958) stellen die Unterschiede und damit auch den besonderen Stellenwert der Leibeserziehung gegenüber der begrifflichen Verwendung von Körperertüchtigung oder Leibesertüchtigung dar. Die schulische Leibeserziehung hingegen trägt aktiv zu Gesamtbildung und Erziehung bei, indem sie den Körper und den Geist umfassend fördert.
Mit dem 4. Pädagogischen Hochschultag 1959 in Tübingen zum Thema „Didaktik in der Lehrerbildung“ wird ein neuer Impuls des didaktischen Verständnisses der Theorie der Leibeserziehung ausgelöst. Exemplarisch für die neuen Gedanken steht das Werk von Konrad Paschen (1961). Die „Didaktik der Leibeserziehung“ sieht die neuen Aufgaben der Fachdidaktik in „1. Die Auswahl der Inhalte, 2. Die Orientierung der methodischen Gestaltung des Unterrichts und 3. Die Begründung des Faches im Ganzen der Erziehung“ (Kurz, 1990, S. 22). Konrad Paschen versucht mit seiner Konzeption der Bildungsgehalte an das ganzheitliche Bildungsideal anzuknüpfen. Dabei argumentiert er (1958) in seinem Aufsatz „Die Bildungsgehalte der Leibeserziehung“, dass es drei grundlegende Elemente seien, die die Begründung des Faches im Ganzen legitimieren. 1. Die Leistung 2. Das Spiel und 3. Die Gestaltung, die zur Bildung beitragen. Die Leistung soll hierbei dazu beitragen, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, aus eigenem Antrieb heraus nach Zielen zu streben. Das Spiel soll den Gedanken an „ein Streben nach Fairness und Partnerschaft“ vermitteln. Die Gestaltung soll „ein Streben nach sittlicher Vervollkommnung“ ausdrücken (Ham- melsbeck, 1958, S. 47).
Auch wenn der Hochschultag in Tübingen rückwirkend als ein Wendepunkt in der Didaktik der Leibeserziehung erklärt wurde (Kurz, 1990; Größing, 2007), muss festgehalten werden, dass sich damit nicht unmittelbar eine neue Legitimation der Leibeserziehung etablierte. Vielmehr sah Paschen seine Gedanken als Anstoß. „Es muß dafür gesorgt werden, daß in diesem Bildungsplan die körperliche Erziehung endlich ihren richtigen Ort und ihre wahre Bedeutung bekommt“ (Kurz, 1990, S. 23) Grupe (1960) sah die Funktion der Erziehung durch die Leibeserziehung nicht darin, dass der Charakter automatisch durch die Leibeserziehung geformt wird, „sondern im Sinne eines Anlasses, einer Aufgabe, an denen sich diese (oder jene) Charaktereigenschaften ausprägen“ (Grupe, 1960, S. 43). Die Funktion und damit auch die erzieherische Aufgabe bestehe darin, wesentliche Grundsätze der Gesellschaft zu vermitteln, zu denen sich alle Teilnehmenden bekennen sollten.
Mit Hinweis auf die Stoffpläne aus Nordrhein-Westfalen sieht Gerhard Stöcker (1964) die Leibeserziehung in der Verantwortung, einen wesentlichen Teil zur Gesamterziehung zu leisten. Dennoch merkt er die fehlende didaktische Unterfütterung des Anspruchs an. Eine neue Didaktik der Leibeserziehung müsse die Felder der Psychologie sowie die der Soziologie mitdenken. Auch Schmitz (1964b) geht auf die neue Bedeutung der Fachrichtung der Pädagogik für die Leibeserziehung ein. Er hält die allgemeinen Argumente der Gesundheit sowie die Vermeidung von Haltungsschäden und die Charakter- und Willensbildung für nicht mehr ausreichend genug für die Begründung einer neuen Leibeserziehung.
Dabei wird schnell ein weitgefasstes Verständnis der Erziehungsaufgaben deutlich. Grupe (1964) befürwortet den Bildungs- und Erziehungsbeitrag nicht nur im Wesen und Sinn, sondern fordert auch Ziele, Zwecke, Bedingungen und Möglichkeiten sowie erziehungsfreie Räume zu definieren. Eine Veränderung der Didaktik der Lei- beserziehung sieht Grupe jedoch nicht. „Dies hängt von jenem Prozeß wissenschaftlicher „Selbsthäutung“ ab, dem die Leibeserziehung (oder - von mir aus - die Leibesübungen) sich zu unterziehen haben“ (Grupe, 1964, S. 353).
Während auf der einen Seite über die neuen Bildungsgehalte der Leibeserziehung diskutiert wird, beschreibt Stöcker (1965) auf der anderen Seite die öffentliche Wahrnehmung und Bedeutung der Leibeserziehung einzig in ihrer gesundheitlichen Förderung. Der reine Fokus auf die Körperlichkeit scheint jedoch für eine zeitgemäße Erziehung nicht tragfähig und weitreichend genug. Die Antwort für eine Neuausrichtung sieht Stöcker in der bereits vorhandenen anthropologischen Ausrichtung Mesters, Hanebuths und weiteren, die die grundlegenden Elemente Spielen, Üben, Kämpfen und Tanzen bzw. Gestalten als Bildungsgehalte der Leibeserziehung ausgearbeitet haben. In diesen sieht Nattkämper (1965) den Beitrag zur Bildung, indem man die Tugenden Mut, Einsatz und Fairness sowie weitere positive Eigenschaften vermittelt.
In dieser Phase der Neuorientierung wurden neue Denkmuster etabliert, die sich in unterschiedlichen Didaktiken wiederfinden. Dabei stand der Mensch im Mittelpunkt der Theorien. „Es ist ein Kennzeichen fast aller pädagogischen Entwürfe in der Leibeserziehung, daß sie historische Gebilde (wie Turnen, Spiel, Sport, und Gymnastik) auf anthropologische Dispositionen des Menschen zurückführen (Dietrich & Landau, 1999, S. 37). Die Neuorientierung bewegte sich im Wesentlichen in zwei Arbeitsrichtungen.
1. mußten allgemeine und möglichst anerkannte Theorien aufgearbeitet werden, aus denen sich die Bedeutung von Leistung, Spiel, Wetteifer, usw. im Zusammenhang der Bildung ermessen ließ.
2. mußte der Kanon der in der Schule vermittelten Leibesübungen derart analysiert werden, daß sichtbar wurde, wie er auf diese Phänomene hin ausgerichtet war oder werden konnte. (Kurz, 1990, S. 20)
Die aus den zwei Arbeitsrichtungen entstandenen Didaktiken lassen sich an dieser Stelle nicht alle nennen. Aufgrund der Vergleichbarkeit mit der curricularen Verankerung in West-Berlin ist eine Standortbestimmung ausgewählter Didaktiken dennoch notwendig. Aus diesem Grund werden die prägendsten kurz zusammengefasst.
Wie bereits in den zuvor behandelten Kapiteln ausgeführt, hat sich die Wissenschaft in den 60er Jahren mit den Begriffen Spiel, Wetteifer, Gestaltung und Leistung aus- einandergesetzt, die als grundlegende Elemente der Leibeserziehung anerkannt waren.
Diem (1960) hebt die theoretischen Arbeiten Mesters und die „mehrschichtige Thematik“ hervor. Die grundlegenden Elemente Kämpfen, Spielen, Tanzen und Üben geben den Lehrkräften eine Orientierung über die zu vermittelnden Bildungsgehalte. Entscheidend sei es, in den Stoffplänen eine klare, erkennbare pädagogische Aufgabe zu vermitteln. Damit kann erreicht werden, dass die Lehrkräfte die Bildungsidee der Leibeserziehung umsetzen können. In dieser Grundkonzeption will Mester die naturgegebenen Ausdrucks- und Gestaltungsformen des Verhaltens der Kinder abbilden, er geht also in seiner didaktischen Überlegung vom Kind aus.
Die Dimension des Kämpfens beinhaltet zugleich den erzieherischen Aspekt des „partnerschaftlichen Verhaltens nach frei vereinbarten Regeln“ (Meusel, 1976, S. 41f.). Der Anspruch ist, den Gegner zu achten und sich selbst zu beherrschen, sodass Kämpfen im weiteren Sinn auch den Wettkampf in allen Disziplinen (Spiele, Rennen, usw.) beinhaltet.
Das Spiel „hebt sich von der zweckbetonten Wirklichkeit des Ernstlebens deutlich ab und ist damit beheimatet im Reich der Phantasie und einer weitreichenden Handlungsfreiheit“ (Meusel, 1976, S. 43).
Das Tanzen begründet Mester ebenfalls als naturgegebene Ausdrucksmöglichkeit. „Er ist Ausdruck der Freude, der Wohlgestimmtheit, der Lust am Leben, des Ergriffenseins und damit sinnfälligste Äußerung“ (Meusel, 1976, S. 43).
Das Üben als letzte Dimension von Mesters didaktischen Überlegungen knüpft ebenfalls an das naturgegebene Verhalten des Menschen bzw. Kindes an, indem „der aus der Natur hervor- und herausgetretene Mensch sich seine zweite, eine „künstliche“ Natur schaffen müsse, indem er sich mit der Umwelt auseinandersetzt und diese zu bewältigen lernt“ (Meusel, 1976, S. 44).
Das sportpädagogische Modell von Grupe „Grundlagen der Sportpädagogik - anthropologisch-didaktische Untersuchungen“ (1969) nimmt Abstand vom dualistischen Bild des Leib-Seele Verhältnisses. Er fordert ein neues Lehrverständnis, das den Zeitgeist der Arbeit und Freizeit einbezieht. Bei ihm steht das motorische Lernen, das Beherrschen von Bewegungen und der Leistungssport im Mittelpunkt seiner Konzeption. Für Grupe steht die Sportmotorik und ihr Leibverständnis für die Persönlichkeit des Menschen in einem engen Zusammenhang mit den pädagogischen Möglichkei- ten des Sports, aus denen er auch die Bildungsmotive ableitet. Die fünf Bildungsmotive sind:
1. Spiel und Sport mit dem Ziel, spezifische Primärerfahrungen und Grundeinsichten zu ermöglichen. Dazu gehören auch weitere, in anderen Modellen entwickelte grundlegenden pädagogischen Elemente. In seinem Verständnis werden diese pädagogischen Erfahrungen jedoch um die Begriffe der Ermüdung, Anstrengung und Höchstleistung erweitert.
2. Das gesundheitliche Bildungsmotiv. Darin sieht er insbesondere die Möglichkeit, mit und durch Bewegung einen Beitrag zur Gesunderhaltung zu leisten, warnt jedoch auch davor, nicht in eine funktionale zweckorientierte Handlung zu geraten.
3. Der ästhetische Gehalt mit dem Ziel, Anmut, Natürlichkeit und Lockerheit zu fördern. Die ästhetischen Gehalte tragen auf der persönlichen Ebene in Form von Anmut und Grazie zur Ausbildung der Gesamtpersönlichkeit bei, indem potenzielle Haltungs- und Bewegungsschwächen entgegengewirkt werden kann.
4. Sinnerfahrung und Einsichten persönlicher und sozialer Art. Damit sollen die persönlichen und sozialen Fähigkeiten gefördert werden mit dem Ziel, Fairness, Selbstvertrauen, soziales Verhalten und Disziplin zu verstärken. Darin sieht er die Möglichkeit, dass die Leibeserziehung „gegenüber den lediglich reflektierenden Erziehungsfeldern einen Bereich aktiver Bewährung dieser Einstellungen und Haltungen darstellt und ein ungewöhnlich vielfältiges Handlungsfeld“ anbietet (Meusel, 1976, S. 94).
5. Spiel und Bewegungsfreude als Zweckfreiheit. In diesem Bildungsmotiv sieht er „eine anthropologische und pädagogische Kategorie, die dem Menschen ein Anrecht auf Erfüllung des Augenblicks gibt“ (Meusel, 1976, S. 95). Dabei bezieht er sich auf die zunehmende Freizeit, die es mit einer „Sinnerfüllung des Lebens“ zu ergänzen gilt. Um diese Sinnerfüllung zu erfahren, gilt es, diese Erkenntnis bereits in der Schule zu vermitteln.
Die zusammengefassten didaktischen Modelle zeigen eine exemplarische Entwicklung in der Theorie der Leibeserziehung auf, die sich sicherlich detailreicher und ausführlicher ausarbeiten lässt, im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zielführend wäre.
Die zentrale Position der didaktischen Überlegungen sind die grundlegenden Elemente oder die „elementaren Aktionsweisen“, wie Bernett (1965) sie nennt. Diese führen zu einem Kanon der Leibeserziehung, der in Abhängigkeit von der jeweiligen Didaktik aus Üben, Leisten, Beherrschen, Spielen, Tanzen, Gestalten und Kämpfen besteht. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass das, was sein soll, aus dem abgeleitet wurde, was war. „Die für jegliche Erziehung notwendige Zukunftsperspektive wird sozusagen rückwärtsschauend in der Vergangenheit, in der Kulturtradition gefunden“ (Dietrich & Landau, 1990, S. 35). Die Gedanken und Überlegungen der hier vorgestellten Autoren haben einen wesentlichen Beitrag zu einem pädagogischen Selbstverständnis der Leibeserziehung geleistet, die das Fach im Ganzen der Bildung legitimierte und somit den Grundstein für weitere politische Forderungen legen konnte (Kurz, 1990, S. 27).
Dennoch muss von einer praxisfernen Theorie der Leibeserziehung gesprochen werden, die in der schulischen Unterrichtsrealität zu einer parallelen Entwicklung führte. Die Schulpraxis steht vermehrt unter dem prägenden Einfluss einer umfangreichen lehrpraktischen Literatur, wechselnder gesellschaftlicher Interessengruppen und dem außerschulischen Sport. Die bildungstheoretischen Konzepte (u.a. von Mester, Hanebuth, Paschen, Bernett, und Schmitz) haben spätestens mit der begrifflichen Einführung der Sportpädagogik 1970 das Ende ihrer Epoche erreicht (Dietrich & Landau, 1990, S. 38f.)
Aus fachwissenschaftlicher Sicht der Theorie der Leibeserziehung ist auf die Diskussionen vor 1970 hinzuweisen. Die entscheidenden Impulse zur Veränderung der bil- dungstheoretisch-entwicklungsorientierten Phase hin zur curricularen- sportartenorientierten Phase sieht Ehni (1977) in der von Robinsohn 1967 eingeleiteten Curriculumsdiskussion. Die aus den USA kommende Theorie etablierte sich zunehmend auch in Deutschland. Schmitz (1980) verweist auf eine Abkehr von der bildungstheoretischen Didaktik mit der Absicht einer „systematischen Revision und Weiterentwicklung des Curriculums mit Hilfe von Methoden, welche Entscheidungen über die Inhalte des Bildungsprogramms aus der Beliebigkeit und diffusen Tradition hinaus in Formen rationaler Analysen und objektivierter Alternativen zu treffen vermögen“ (Schmitz, 1980, S. 249). So entstanden zunehmend Mischformen verschiedener Didaktiken, die ihre Legitimation mit mess- und vergleichbaren entwicklungspsychologischen und psychomotorischen Zielen für die jeweiligen Altersstufen begründeten (Ehni, 1977, S. 23).
Daraus folgte die Ablösung der Geisteswissenschaften als Grundlage der didaktischen Überlegungen durch die empirisch orientierten Sozialwissenschaften.
Die Leibeserziehung wurde von nun an als Sportunterricht bezeichnet. „Jene Gebiete der Bewegungskultur wie: Turnen, Gymnastik, Tanz und Spiel, die im Rahmen der Theorie der Leibeserziehung gleichrangig neben dem Sport standen, wurden diesem nun begrifflich untergeordnet“ (Dietrich & Landau, 1999, S. 39). Daraus folgte eine Eingebundenheit, die nicht zuletzt durch den DSB zu einer sportiven Überformung führte.
Die Neuorientierung des Sportunterrichts bemisst sich fortan an der Curriculumtheorie. Diese unterliegt den bildungstheoretischen Strömungen und den politischgesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Die Anforderungen müssen sich somit an gegenwärtige und zukünftige gesellschaftliche Ziele anpassen. Lehrplanentscheidungen sollten also operationalisierbare Lernziele beinhalten, um bei einer späteren Anpassung Rückschlüsse für notwendige Veränderungen zu ermöglichen.
Zusammenfassung
Der Beitrag zur Erziehung und Bildung in der Leibeserziehung war von Beginn an, ein wesentlicher Bestandteil der Legitimationsbewegung. Aufgrund der Vereinnahmung durch die Ideologie des Nationalsozialismus versuchte man sich offiziell den geforderten demokratischen Prinzipien unterzuordnen. Beispielhafte Werte wie gemeinschaftliches Miteinander, soziale Verantwortung und Tüchtigkeit, wie sie Sey- bold-Brunnhuber (1954a) beschrieb, standen am Anfang im Mittelpunkt und galten als Tugendkanon. Im Gegensatz zu den konstant vorgetragenen Legitimationsbegründungen des Gesundheitsmotivs war die didaktisch-pädagogische Begründung der Leibeserziehung gezwungen, sich stetig weiterzuentwickeln. Die erste, die bildungstheoretisch geprägte Phase, war vorerst von einer geisteswissenschaftlichen, historisch beeinflussten Legitimationsargumentation geprägt.
Aus dieser theoretischen Denkweise entwickelten sich, auf der Grundlage eines anthropologischen, bildungsorientierten und dualistischen Denkens, die grundlegenden Elemente (Spielen, Gestalten, Tanzen, Kämpfen, Wetteifern, Leisten) für ein neues Verständnis von Leibeserziehung heraus. Während es der Theorie der Leibeserziehung gelang, einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Etablierung als Unterrichtsfach in der Schule beizusteuern, konnten die Ansprüche an eine Didaktik, welche die Umsetzung in der Praxis des Unterrichts weiterbrachte, nicht erreicht werden (Kurz, 1990, S. 25ff.).
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