Rezension / Literaturbericht, 1989
4 Seiten
Geschichte Deutschlands - Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg
(BKW_R)
SCHICKSALHAFTE MORDE
(Die folgende Rezension erschien 1989 im Heft 2 der Politischen Viertel1Jahresschrift)
Der an dieser Stelle zu besprechende Aufsatzband des amerikanischen Historikers Christopher Browning über jene "schicksalhaften Monate" vom Sommer 1941 bis zum Frühiahr 1942, in denen die nationalsozialistischen Pläne zur "Endlösung der Judenfrage" ihre endgültige Gestalt annahmen» erschien bereits 1985. Wenn diesem recht schmalen Band dennoch auch weiterhin Aufmerksamkeit zukommt, so vor allem deshalb, weil Browning implizit den Blick des Lesers auf spezifische, nämlich durch unmittelbare Gewalt geprägte, Alltagserfahrungen von "Normalität" im "Dritten Reich" lenkt und diese mit den politischen Strukturen des Nationalsozialismus in Beziehung setzt. Der Autor, der sich selbst innerhalb der zeitgeschichtlichen Kontroverse um den Ursprung der "Endlösung" als einen "moderaten Funktionallsten" bezeichnet (14), versucht in seinen Essays durch den "Blick von der Spitze nach unten und von unten nach oben" (7), Distanz vom ausschließlich Hitler-zentrierten Blickwinkel der "Intentionalisten" zu gewinnen und den Beitrag der mittleren und unteren Täter sorgfältiger zu registrieren.
Am Beginn des Bandes steht eine theoretische Studie über den Entscheidungsprozeß, der zur "Endlösung" führte (8). Hierhin konzentriert Browning sich vor allem auf die Eingrenzung der Frage, wann und von wem die Weisung zur "Endlösung der Judenfrage11 ausgegangen sei. Im Unterschied zur ebenfalls "funktionalistischen" Interpretation Broszats, der die Entstehung der Endlösung aus einer Serie von örtlichen, unkcoordinierten, spontanen Aktionen herauswachsen sieht, durch die die Nazi-Führer zur "Lösung der Judenfraqe" in der Form der Deportation nach Rußland - geradezu gezwungen worden waren, ist Browning der Auffassung, daß Hitler über die physische Vernichtung des Juden bereits im Sommer 1941 entschieden hatte (21), den Nazi-Führern aber unmittelbar noch nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung standen, diese Entscheidung auszuführen (79).
Die folgenden drei Einzeluntersuchungen über den Mord an den männlichen Juden im GesamtZusammenhang der Repres-sionspolitik der deutschen Wehrmacht in Serbien 1941 (39), die Entwicklung und Produktion der Gaswagen, als Zwischenstufe zwischen den mobilen Erschießungskommandos und den Gaskammern der Vernichtungslager (57) und den Einsatz eines Gaswagens im "Judenlager Semlin" und damit die "vorweggenommene Endlösung" in Serbien im Frühjahr 1942 (68) sind Beispiele für die Suche nach eben diesen Mitteln und Wegen. Diese Studien - Ergebnis eines Forschungsaufenthalts des Autors in deutschen und -jugoslawischen Archiven - reihen sich allerdings nicht immer nahtlos in seine oben skizzierte theretische Konzeption ein. Denn sie beleuchten exemplarisch, daß es nicht der Druck "von oben" war, der örtliche Stellen zu Mordaktionen zwang, sondern eher schon war es der Druck "von unten", der die Zentralbehörden zwang die Mittel für örtliche Tötungsaktivitäten bereitzustellen wenigstens bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Vernichtungslager ( 79) .
Gemeinsam ist diesen drei Untersuchungen die Erkenntnis, daß es zumeist die mittleren Chargen der technologischen und militärischen Hierarchie waren, die den Vernich tungsprozeß mit beruflicher Routine und Karrieredenken vorantrieben. So die Motoren- und Kraftfahrzeugexperten bei der Entwicklung der Gaswagen, die nichts mehr beunruhigte, als die Kritik an Fehlern ihrer Produkte und deren größtes Interesse es war, den Eindruck zu vermeiden, als seien sie der ihnen gestellten Aufgabe nicht gewachsen (67).
Browning spitzt diese These gegen Ende seines Buches schließlich so weit zu, daß er die Wirkung der beruflichen Routine auch bei jenen unteren Rängen der Täter sieht» die als Wachmannschaften, Fahrer und Mechaniker eingesetzt waren, - bis hin zu den Lagerkommandanten (84).
Walter Grodes Rezension "Schicksalhafte Morde" bespricht Christopher Brownings Aufsatzband über die "schicksalhaften Monate" von Sommer 1941 bis Frühjahr 1942, in denen die NS-Pläne zur "Endlösung der Judenfrage" Gestalt annahmen. Grode hebt hervor, dass Browning den Fokus auf die Alltagsrealität unmittelbarer Gewalt im "Dritten Reich" lenkt und diese mit den politischen Strukturen des Nationalsozialismus in Beziehung setzt.
Browning bezeichnet sich selbst als "moderaten Funktionalisten" und versucht, durch den "Blick von der Spitze nach unten und von unten nach oben" den Hitler-zentrierten Blickwinkel der "Intentionalisten" zu überwinden. Er möchte den Beitrag der mittleren und unteren Täter sorgfältiger untersuchen.
Im Gegensatz zu Broszats Interpretation, die die "Endlösung" als Ergebnis unkoordinierter Aktionen sieht, glaubt Browning, dass Hitler bereits im Sommer 1941 die physische Vernichtung der Juden beschlossen hatte, aber die notwendigen Mittel zur Umsetzung zunächst fehlten.
Browning untersucht den Mord an männlichen Juden in Serbien 1941 durch die Wehrmacht, die Entwicklung und Produktion von Gaswagen als Zwischenstufe zwischen Erschießungskommandos und Gaskammern, sowie den Einsatz eines Gaswagens im "Judenlager Semlin" als "vorweggenommene Endlösung" in Serbien.
Browning betont, dass mittlere Chargen der technologischen und militärischen Hierarchie den Vernichtungsprozess oft mit beruflicher Routine und Karrieredenken vorantrieben. Er sieht die Wirkung der beruflichen Routine auch bei unteren Rängen wie Wachmannschaften, Fahrern und Mechanikern, bis hin zu Lagerkommandanten.
Grode stellt fest, dass der Druck zu Mordaktionen oft eher "von unten" kam, was die Zentralbehörden zwang, Mittel für lokale Tötungsaktivitäten bereitzustellen, zumindest bis zur Fertigstellung der Vernichtungslager.
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