Bachelorarbeit, 2020
49 Seiten, Note: 1,3
Didaktik für das Fach Deutsch - Grammatik, Stil, Arbeitstechnik
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
0 Einleitung
I Theoretische Grundlagen
1 Historischer Abriss
1.1 Kultur- und Sprachgeschichtlicher Einfluss des Französischen auf das Deutsche
1.1.1 Entlehnungen im Mittelalter
1.1.2 Entlehnungen im 17. und 18. Jahrhundert
1.1.3 Sprachpurismus und Sprachkritik
1.1.4 Entlehnungen ab dem 19. Jahrhundert
1.2 Das Französische in deutschen Dialekten
1.2.1 Brandenburg
1.2.2 Saarland
2 Fremdwort – Lehnwort - Gallizismus
2.1 Begriffsbestimmungen
2.1.1 Fremdwort
2.1.2 Abgrenzung zum Lehnwort
2.1.3 Gallizismus und Scheingallizismus
2.2 Phonologische, graphematische, morphologische und lexikalisch-semantische Transferenzen und Integrationen
2.2.1 Phonologische Transferenz und Integration
2.2.2 Graphematische Transferenz und Integration
2.2.3 Morphologische Transferenz und Integration
a. Genusintegration
b. Integration von Wortbildungsmechanismen
c. Lexikalisch-semantische Integration
4 Forschungsstand: Fremdwörter und Gallizismen in der Pressesprache und deren Funktion/Wirkung
II Korpuslinguistische Untersuchung
5 Methodisches Vorgehen
5.1 Forschungssdesign
5.1.1 Forschungsmethode
5.1.2 Forschungsgegenstand und Charakterisierung der untersuchten Medien
5.1.2.1 Forschungsgegenstand
5.1.2.2 Charakterisierung der untersuchten Zeitungen
a. Definition Zeitung
b. Saarbrücker Zeitung
c. Thüringer Allgemeine
d. Stuttgarter Zeitung
e. Berliner Morgenpost
5.1.3 Datensammlung
5.1.3 Analysemethode
6 Datenerhebung
6.1 Politik
6.2 Wirtschaft
6.3 Feuilleton
6.4 Sport
6.5 Weitere Gallizismen (die sich keinem Zeitungsressort zuordnen lassen)
7 Datenauswertung
8 Ergebnispräsentation und Diskussion
9 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abb. 1 Chronologische Lehnwortstatistik von 1460-1640 (Von Polenz 2000: 211)
Abb. 2 Chronologische Lehnwortstatistik von 1600-1800 (Von Polenz 1994: 78)
Abb. 3 Chronologische Lehnwortstatistik von 1780-1980 (Von Polenz 2000: 393)
Tab. 1 Hauptgebersprachen: Entlehnung und Fremdwortbildung 13. bis 19. Jhdt. (vgl. Eisenberg 2012: 86)
Tab. 2 Integrationsarten (Munske 1987: 84f.)
Tab. 3 Konsonantschreibung bei Gallizismen (Eisenberg 2012: 327)
Tab. 4 Vokalschreibung bei Gallizismen (Eisenberg 2012: 333)
Tab. 5Von Polenz 2000 Kap. 5.4B S.79 nach Krikness 1988 S
Tab. 6 Von Polenz 2000 Kap. 5.4 S.80 nach Kinnemark
Tab. 7 Politik
Tab. 8 Wirtschaft
Tab. 9 Feuilleton
Tab. 10 Sport
Tab. 11 Weitere Gallizismen
Sprache kommt kaum mehr ohne die Verwendung von fremdwörtlichen Äußerungen aus. Besonders im schriftlichen Sprachgebrauch ist eine Vielzahl davon zu beobachten. Allerdings stand und steht die deutsche Sprache zunehmend in der Kritik. Es gilt weitestgehend die Besorgnis um den sich verschlechternden Zustand der Sprache. , so Demgegenüber gibt es den „Verein Deutsche Sprache“, der dafür einsteht, dass „Deutsch nicht zu einem Feierabenddialekt verkommt“.1 Gleichwohl handelt es sich in den Diskussionen meist um Anglizismen. Das wichtige Feld der Gallizismen hingegen ist kaum Teil dieser Debatte, wobei obwohl Anglizismen erst ab dem 20. Jahrhundert ihren Platz im deutschen Wortschatz fanden (vgl. Klein, W.P. 2018: 118). In jedem Fall sind sie sprachliche Indikatoren für den gesellschaftlichen Wandel.
Sprache durchläuft einen steten dynamischen Prozess, welcher von inneren und äußeren Faktoren beeinflusst wird. Sie fängt klein an, entwickelt sich, adaptiert sich. Sprache entsteht in der Kommunikation zwischen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft und wird dann komplexer und vor allen Dingen reicher, sobald sie in Verbindung mit anderen Sprechern2 bzw. Sprachgemeinschaften tritt (vgl. Klein 2017: 10).
Das Französische wird seit jeher als Prestigesprache angesehen und fand demnach auch Eingang ins Deutsche. So beginnt der Einfluss des Französischen auf die deutsche Sprache bereits im frühen Mittelalter und hat ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert (vgl. Eroms 2006: 474). Die damalige deutsch-französische Sprachmischung wurde auch „Alamodesprache“ genannt; es werden zunehmend lexikalische Ausdrücke des Französischen entlehnt und aufgrund dessen ist der erhebliche Anteil am Gesamtwortschatz des Deutschen nicht zu verkennen (vgl. Eisenberg 2012: 1).
Nun stellt sich aber die Frage, ob dieser stete Einfluss des Französischen in der Vergangenheit auch gegenwärtig bzw. auch in Zukunft Auswirkungen auf die deutsche Sprache hat. Nachdem die konkreten Gründe für den enormen Einfluss des Französischen auf das Deutsche erst im Laufe dieser Arbeit erörtert werden, liegt vorab noch die Vermutung nahe, dass die geografische Lage Deutschlands und die somit einhergehende Nähe zu Frankreich für die hohe Frequenz von Gallizismen in westdeutschen Tageszeitungen ausschlaggebend sind. Um diese These bewerten zu können, wird im zweiten Teil dieser Arbeit anhand einer korpuslinguistischen Untersuchung für eine bundesweite Repräsentation von vier regionalen Tageszeitungen analysiert, inwieweit sich die Frequenzen ausgewählter Gallizismen jeweils unterscheiden. Pressetexte als Material für empirische Untersuchungen heranzuziehen, bietet eine große Bandbreite an Optionen der Interpretation hinsichtlich des Auftretens von Fremdwörtern bzw. im Besonderen Gallizismen (vgl. Eisenberg 2012: 109).
Um eine wissenschaftlich fundierte Antwort zu erhalten, wäre eine diachrone Untersuchung mehrerer Tageszeitungen über einen längeren Zeitraum von Nöten. Aufgrund des zeitlich begrenzten Im Rahmens dieser Arbeit ist dies allerdings nicht zu bewerkstelligen und es , stattdessen wird deshalb auf ein schon bestehendes Korpus des DeReKo (Deutsches Referenzkorpus) zusammen mit seiner zugehörigen Suchmaschine Cosmas II zugegriffen.
Zunächst werden im theoretischen Teil Grundlagen geschaffen, wobei ein Abriss der deutsch-französischen Geschichte skizziert wird und anschließend die Termini Fremdwort und Lehnwort in Abgrenzung zu Gallizismus definiert werden. An dieser Stelle wird der Eingang des Französischen ins Deutsche diachron näher betrachtet, um und im Anschluss die Gründe für den Einfluss hervorgebracht hervorzubringen. Im weiteren Verlauf werden kommunikative Umgebungen bzw. Wissenschaftsräume, in denen Gallizismen integriert wurden, beobachtet durchleuchtet. Eine Übersicht über den aktuellen Forschungsstand soll abschließend den zu untersuchenden Gegenstand umreißen.
Im Empirieteil werden darauffolgend Gallizismen der untersuchten Zeitungen anhand selbsterstellter Themen-Cluster übersichtlich unter Zuhilfenahme von Kreuztabellen gegenübergestellt. Hierbei erweist es sich als besonders beobachtenswert beachtenswert, die Themenbereiche zu analysieren, in denen vermehrt Gallizismen auftreten. Dabei werden zunächst das verwendete Korpus sowie das genaue Vorgehen in der Untersuchung vorgestellt.
Ob und inwieweit sich die eingangs formulierte These bestätigen bzw. widerlegen lässt, wird in einer Ergebnispräsentation mit anschließender Diskussion dargelegt. Das Fazit und der darauffolgende Ausblick runden diese Arbeit ab.
Sprachlicher und der damit einhergehende kulturelle Kontakt sind schon seit geraumer Zeit das Fundament historischer Entwicklungen zwischen Nationen. Die deutsche Sprache gehört zur germanischen Sprachgruppe und ist Teil der indogermanischen Sprachfamilie; sie hat sich also aus dem Indogermanischen formiert, wobei hier erwähnt sei an dieser Stelle nicht unausgesprochen bleiben darf, dass es das reine Germanische als solches nie gegeben hat (vgl. Mutz 2009 : 48). Schätzungen nach sind mehr als die Hälfte der Entlehnungen nicht indoeuropäischen Ursprungs. Vom Indogermanischen bis zum Neuhochdeutschen war es ein langer Weg. So durchlief das etwa 1200 Jahre alte Neuhochdeutsche, wie man es heute kennt und spricht, während der Jahrhunderte einen steten Sprachwandel (vgl. W. Klein 2017: 17). Demzufolge sprechen und schreiben wir heute anders als noch vor 100 Jahren. Gründe hierfür sind selbstverständlich die Übernahme fremder Wörter wie Latinismen, Gallizismen und die heutigen dominierenden und immer noch produktiven Anglizismen. Wichtig erscheint hier also die Erkenntnis, dass Sprache durchaus lebendig bleibt, dem Sprachwandel auch weiterhin ausgesetzt ist und demnach neue Wörter Einzug halten. Diese Entlehnungsphase nahm, beginnend im frühen Mittelalter, bereits seit vielen Jahrhunderten ihren Lauf, beginnend im frühen Mittelalter, sodass neben dem Französischen als Gebersprache vor allem das Lateinische dominierte. Zwischen dem ersten und vierten Jahrhundert nach Christus wurden bereits die ersten Sprachkontakte zwischen Germanen und Römern dokumentiert. Als Gründe hierfür wirderden besonders die geografische Aufteilung der Sprachregionen angeführt; Kontakte entstanden vor allem in den Grenzregionen des Römischen Reichs und in den Teilen Germaniens, die von den Römern besetzt waren (vgl. Eisenberg 2012: 77). Wie oben bereits angerissen, liegt der Fokus dieser Arbeit auf dem Französischen als Gebersprache für das Deutsche.
Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich beträgt heute nach der aktuellen Erhebung von 2017 etwa 455 km.3 Die beiden Nachbarn verbindet eine lebhafte und sehr lange Beziehung, auch wenn diese nicht immer harmonisch war. Heute sind wir, dank des am 22. Januar 1963 unterzeichneten Élysée-Vertrags, der die deutsch-französische Freundschaft offiziell besiegelt, sowohl in politischer als auch in kulturell-gesellschaftlicher Hinsicht Partner. Dass diese Freundschaft nicht immer bestand, vielmehr eine Feindschaft zwischen beiden Nationen herrschte, zeigen viele Kriege und historisch einschneidende Ereignisse. Nichtsdestotrotz bezieht sich die deutsch-französische Geschichte auf etwa tausend Jahre. Ihre Wurzeln haben beide Länder im Frankenreich des Frühen Mittelalters unter Karl dem Großen, welches der Ursprung ihrer Entwicklung ist (Kinder/Hilgemann 1964: 123). Der Schwerpunkt des geschichtlichen Abrisses soll aufgrund der Thematik ab dem ersten Höhepunkt des Einflusses [EC1] der französischen Sprache auf das Deutsche gelegt werden. Besonders markant für den französischen Einfluss sind zwei zeitliche Höhepunkte: Das 13. / 14. und 17. / 18. Jahrhundert (vgl. Abdelfettah 1989: 1).
Das französische Mittelalter erfährt im 13. / 14. Jahrhundert einen drastischen Aufstieg des Königtums und damit wiederum einen Aufschwung der höfischen Kultur. So war Frankreich im Hochmittelalter das Kulturzentrum Europas (vgl. Mutz 2009 : 55); Texte wie Erec und Perceval des Autors Chrétien von Troyes waren Wegbereiter für den höfischen Roman und beeinflussten schnell andere Länder hinsichtlich Kultur und Literatur (vgl. Abdelfettah 1989: 1; Kinder/Hilgemann 1964: 157). Im Hochmittelalter galt der Französische Hof und seine samt seiner Literatur demnach als Grundlage und mehr noch als Auslöser für die Blütezeit der deutschen Literatur. Die Artusepik, wozu die Tristan-, Iwein und Parzivaltexte gehören, aber auch die Übertragung des Rolandslieds und die Lyrik der Troubadours und Trouvères als Vorreiter des Minnesang sind nur einige Beispiele dieses Einflusses (vgl. Eisenberg 2012: 57). Über die Vermittlerrolle des Niederländischen ließen sich Französismen der höfischen Literatur vermehrt auch bei deutschen Dichtern und ihren Werken wiederfinden (z.B. Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg) ( vgl. Mutz 2009: 55). Allerdings konnten sich viele dieser Wörter nicht durchsetzen und verschwanden wieder. In der heutigen deutschen Lexik findet man beispielsweise Wörter aus den Bereichen der Literatur, der Kulinarik, der Kampfspiele, der Unterhaltung, der Kleidung und Luxusgüter: Turnier, Lanze, Wimpel, Tross, Panzer, Visier, Palast, Tanz, Präsent, Manier, Trompete, Laute, Flöte, Juwel, Lampe. Offensichtlich dominieren Nomina, gleichwohl man Verben und Adjektive des Französischen im deutschen Wortschatz wiederfindet: pressen, passen, prüfen, liefern, parlieren, turnieren, balancieren, galoppieren, malad, vermaledeit, trist (vgl. ebd.: 55f.) . Überdies stammen zahlreiche Bildungen im Deutschen wie < frz. - (er)ie, vgl. Aristokratie, Bürokratie, Pedanterie, Garantie, Parfümerie aus dem Französischen (vgl. Fleischer 1982: 134ff.). So wären das beispielsweise das endbetonte Suffix (er)-ei in Wörtern wie Heulerei, Zauberei und Metzgerei und die Suffixe -age wie in Blamage, Massage, Sabotage, Passage und -ade in Promenade, Scharade, Parade (vgl. Fleischer 1982: 190).
Der Sprachkontakt zwischen Frankreich und Deutschland erlaubte es nicht nur Morpheme oder Suffixe zu übernehmen, vielmehr profitierte die deutsche Sprache auch von direkten Bedeutungsentlehnungen und Übersetzungslehnwörtern: höfisch (< courtois) und Ritter (< chevalier). Darüber hinaus findet man in der aktuellen Forschung häufig die Annahme, dass unserer heutige Höflichkeitsform der zweiten Person Plural Ihr ebenfalls durch das Französische beeinflusst wurde (vgl. Mutz 2009: 56). Frankreich wird hier zweifelsohne als Vorbild herangezogen und seine sozialgestufte Form der höflichen Anrede adaptiert. So wird der ursprünglich einzigen Anredeform du, die höfliche Form ir ergänzt, um einen deutlichen gesellschaftlich-sozialen Abstand skizzieren zu können (vgl. Tschirch 1960: 60).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Chronologische Lehnwortstatistik von 1460-1640 (von Polenz 2000: 211)
Wie man der Statistik entnehmen kann, verliert das französische Erbgut im Spätmittelalter an Ansehen und die Entlehnungen fallen ab. Dennoch kann zusammenfassend festgehalten werden, dass das Frankreich des Mittelalters unumstritten Vorreiter in jeder Hinsicht und folglich der stete Einfluss auf andere Länder Europas, vor allem auf Deutschland, die logische Konsequenz war. Über diesen Vorreiterstatus hinaus war die Sprachreinigung und Sprachpflege des Französischen von wichtiger Bedeutung, um diesen Status nicht zu gefährden und womöglich andere Einflüsse, ob es nun Dialekte oder Lehnwörter aus anderen Sprachen sind, zu begünstigen. Demzufolge wird 1635 die Académie française gegründet. und Sie beschäftigt sich fortan mit der Erarbeitung eines universellen Wörterbuchs, einer Rhetorik, einer Poetik und selbstverständlich einer Grammatik. Dass diese Ziele, welche im Gründungsdokument formuliert wurden, bis heute nicht erreicht sind, sei ist an dieser Stelle zunächst einmal unerheblich (vgl. Sokol 2007: 249). Festzuhalten sei ist hier dennoch die Tatsache, dass das Französische von seinen Sprechern nichtsdestotrotz aufgrund seines geografischen Verbreitungsgrades, seines hohen Status als Verkehrssprache, insbesondere der Führungseliten, und der Gegebenheit der außerordentlichen Normierung, die in solchem Maße in keinem Land jener Zeit zu finden war, als Universalsprache verstanden und überdies als solche benannt wurde (vgl. ebd.: 251).
Nach dem Mittelalter sind es vor allem das 17. und 18. Jahrhundert, die Europa gewissermaßen prägten. Man spricht hier von der Zeitspanne zwischen dem Westfälischen Frieden 1648 (vgl. Kinder/Hilgemann 1964: 255), also dem Ende des 30-jährigen Krieges, und der Französischen Revolution von 1789. Die Vormachtstellung Frankreichs erreichte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre Blütezeit. Besonders in dieser Zeit wurde Frankreich mit seiner politischen, militärischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Macht als Vorbild angesehen, welches das damalige Europa in jeder Hinsicht formte. Hinzu kommt, dass Frankreich durch den Beschluss des Friedens heutige Gebiete Deutschlands zugesprochen bekam, sodass sich die Sprache selbstverständlich insbesondere auch dort festigte (vgl. ebd.). Die Zahlen in der Statistik (vgl. Abb. 2) bestätigen diese Entlehnungswelle.
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Abb. 2 Chronologische Lehnwortstatistik von 1600-1800 (von Polenz 1994: 78)
Auch die demographische Überlegenheit in Europa ist nicht zu unterschätzen, wenn man bedenkt das Frankreich doppelt so viele Bürger zählt als das Deutsche Reich. Infolgedessen verfügte Frankreich ein stabiles Steuersystem und die Tatsache, dass dem Monarchen quasi alle Macht zugestanden und die Verwaltung immer weiter ausgebaut wurde, bescherte ihm äußerst viel Einfluss in Europa und demzufolge auch Anerkennung und Bewunderung, was nicht zuletzt auch Einfluss auf die Sprache hatte.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts sind überdies verstärkt Entlehnungen in den Bereichen der Literatur, des Theaters und schließlich auch im politischen Bereich zu verzeichnen. Den Rahmen bildete unter anderem die Französische Revolution von 1789. Vergleicht man nun die Wortgruppen der Gallizismen der Alamodezeit, die sich vor allem aus den Bereichen Handel, Transport, Diplomatie, Verwaltung, Architektur und Landschaftsgärtnerei, Künste, Musik, Speisen und Getränke zusammensetzen mit jenen, die erst zum Ende des 18. Jahrhunderts aufkamen (Literatur, Theater, Abstrakta und politische Begriffe), so erkennt man eine Dominanz von ersteren, die auch heute noch als Gallizismen erkennbar sind (vgl. Eisenberg 2012: 59-60). Laut von Polenz sei ist der französische Einfluss auf die deutsche Lexik während dieser Blütezeit sogar noch eindringlicher gewesen, als es der Einfluss des Angloamerikanischen zum Ende des 20. Jahrhunderts war (vgl. von Polenz 1994: 50).
Im 18. Jahrhundert begann der Erfolgskurs schließlich abzufallen; Frankreich erleidet sowohl inner- als auch außerpolitische Misserfolge und verliert in der Konsequenz seinen Vormachtstatus. Dessen ungeachtet empfanden damalige Bürger ihr Land weiterhin als „la puissance militaire la plus redoutable du continent“ (‚die gewaltigste Militärmacht des Kontinents‘) (vgl. ;Malettke 1976: 323).4
Der französische Monarch Louis XIV und die französische Lebensart jener Zeit faszinierten den deutschen Adel über alle Maßen, dass kein Weg an einer Orientierung am französischen Hof vorbeiführte. Infolgedessen sprach man sowohl am Hof als auch , der Adel untereinander und innerhalb des Bürgertums Französisch (vgl. Mutz 2009: 56). Das Französische kristallisierte sich in diesen Jahrhunderten als lingua franca heraus (vgl. ebd.: 57); dies bedeutet, dass sie innerhalb Europas als „Vermittlungssprache in multilingualen Sprachgemeinschaften“ beispielsweise im Bereich der Diplomatie diente (vgl. Bußmann 2008: 408). Überdies wurden auch Belege innerhalb des privaten Briefverkehrs dokumentiert, welche den hohen Status des Französischen bestätigen (vgl. Mutz 2009: 57).
Demnach sind die kulturellen als auch politischen Nachahmungen Frankreichs ausschlaggebend für die überaus große Fülle an Lehnwörtern im Deutschen aus diesen Jahrhunderten (vgl. Abdelfettah 1989: 2). Obwohl vor allem in der zweiten Hochphase der Entlehnung viele Entlehnungen im Deutschen heute integriert sind, sind diese dennoch als Gallizismen ersichtlich (vgl. Eisenberg 2012: 58). Im 19. Jahrhundert findet man überwiegend Anglizismen, die zur deutschen Wortschatzerweiterung beitrugen und immer noch dominierend beitragen. Am Ende des 19. Jahrhunderts wird das Französische als Gesellschaftssprache schließlich nahezu vollständig durch das Englische abgelöst; England ist nun das Vorbild in den Bereichen der Wirtschaft (Kartell, Trust) und der Presse (Reporter, Interview), wobei das Verkehrswesen und sowie das Militär weiterhin auf Gallizismen zurückgrif ei fen (vgl. Fremdwörterbuch Duden 2016: 24f.).
Um abschließend einen groben Überblick über die Gebersprachen und deren Einfluss auf das Deutsche zu erlangen, veranschaulicht Eisenberg diese anhand konkreter Zahlen aus dem Deutschen Fremdwörterbuch von 1988, die auf Auszählungen von Kirkness (1988) beruhen. Zugrunde liegen die Hauptgebersprachen für Entlehnungen und Fremdwortbildungen vom 13. bis 19. Jahrhundert. Das 20. Jahrhundert bleibt hier unbeachtet, da es sich als überaus schwierig herausstellte, aussagekräftige Zahlen zu bestimmen, zumal nur ein bestimmter Teil des letzten Jahrhunderts aufgenommen wurde (vgl. Eisenberg 2012: 86f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1 Hauptgebersprachen: Entlehnung und Fremdwortbildung 13. bis 19. Jhdt. (vgl. Eisenberg 2012: 86)
Zu sehen sind die Zahlen direkter Entlehnungen aus den jeweiligen Gebersprachen. Fremdwortbildungen, hier meist Latinismen oder Gräzismen, sind unter der Rubrik Deutsch in der Tabelle aufgeführt, sodass die Gesamtanzahl sowohl Entlehnungen als auch Fremdwortbildungen umfasst. Wie man der Tabelle entnehmen kann, hat das Französische als Gebersprache konstant starke Zahlen und findet schließlich ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert gehen die Zahlen zwar zurück, bleiben im Vergleich zu den anderen Sprachen jedoch weiterhin dominant. Die Zahlen der englischen Entlehnungen und Fremdwortbildungen waren innerhalb dieser Zeitspanne nicht besonders aussagekräftig; umso bedeutender würden sie nun in einer aktuellen Tabelle (einschließlich des Beginns des 21. Jahrhunderts) brillieren. Festzuhalten ist, dass das Deutsche den Sprachkontakt zu anderen Ländern durchaus nicht verloren hat, sondern sich maßgeblich am Englischen „bedient“ (vgl. Eisenberg 2012: 87).
Ludwig XIV. habe der deutschen Sprache mehr geschadet als ehemals Mönche und Pfaffen, weil man jetzt nicht mehr an den Höfen allein, sondern auch anderwärts unter vornehmen und angesehenen Leuten in öffentlichen Zusammenkünften mehr französisch als deutsch rede. (vgl. Stolz: 57 in Mattheier 1997:27)
Die Kritik, die Egenolff in seiner „Historie der deutschen Sprache“ (1716-1720) am französischen Einfluss aufs Deutsche übt, zeigt sich ferner in der Herausbildung einer französisch-deutschen Zweisprachigkeit, die mit der Übernahme selbst im Bürgertum ab dem Kindesalter einhergeht; die Verständigung durch das reine Deutsch weist folglich auf eine Kommunikation innerhalb des weniger gut situierten Standes hin und ist demnach verpönt (Straßner 1995: 111).
Entgegnungen dieser Ansicht blieben selbstverständlich nicht aus, weswegen sich im Zuge dessen bereits 1617 die erste deutsche Sprachgesellschaft „Fruchtbringende Gesellschaft“ unter dem Vorsitz des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen etabliert, welche als Intention nicht nur die Sprachpflege und Erhaltung der Muttersprache hatte, womit schließlich in Gänze auf die Integration fremder Wörter verzichtet werden sollte, sondern vielmehr die alten deutschen Tugenden in die Köpfe der Zeitgenossen zu erwecken beabsichtigte. Überdies kommt es am Ende des 18. Jahrhundert schließlich zu einem Wendepunkt, den man auch unter dem Begriff Entwelschung (welsch ‚romanisch und insbesondere französisch‘ (vgl. Eisenberg 2012: 116)) kennt. Tschirch bezeichnet diese Phase des Wendepunkts in der Sprachgeschichte Deutschlands scharf als „Kampf gegen das Fremdwort“ (Tschirch 1969: 258). Ausschlaggebend für diesen Sprachpurismus, also die Entfernung der Lehn- und Fremdwörter aus dem Deutschen und die Ersetzung durch andere deutsche Wörter bzw. Bildung neuer Wörter, war das Aufkommen deutscher Wörterbücher und Schriftsteller, die eine ganz klare Sprachreinigung zugunsten der deutschen Sprache forderten. Die Absicht des Sprachpurismus war es, das Deutsche dahingehend zu bearbeiten, dass es eine „universell verwendbare Sprache“ wird und das Französische als Prestigesprache in den Bereichen der Wissenschaft, des Rechtswesens und der Unterhaltungsliteratur zu ersetzen (vgl. Eisenberg 2012: 112). Auch von Polenz benennt diese Sprachreinigungsavancen in Zusammenhang mit den historischen Ereignissen. Folglich werden sie „immer mit einer politischen Aktivierung des Nationalgefühls zum Höhepunkt gesteigert: nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach dem Niedergang der Napoleonischen Herrschaft, nach der Reichsgründung von 1871 und beim Ausbruch des 1. Weltkriegs“ (von Polenz 1979). Seite fehlt!!
Eisenberg führt folgende Gründe für den Fremdwortpurismus in Deutschland an „(1) Fremdwörter sind schädlich, weil sie – direkt oder indirekt – aus anderen Sprachen ins Deutsche kommen und eben deshalb fremd bleiben. (2) Fremdwörter sind schädlich, weil sie die Sprache unverständlich machen. (3) Fremdwörter sind schädlich, weil sie die Sprache zerstören, mindestens jedoch gravierend verändern“ (Eisenberg 2012: 113). Insbesondere Eduard Engels Literatur, förderte die die sogenannte Entwelschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts förderten, waren in seinen Literaturen Eduard Engels „Sprich Deutsch! Ein Buch zur Entwelschung“ (1917) und „Entwelschung. Verdeutschungswörterbuch für Amt, Schule, Haus, Leben“ (1918). Die negative Konnotation von welsch findet man immer noch in den Bezeichnungen Kauderwelsch (‚Vermischung vieler Fremdwörter, die die Sprache unverständlich oder schwer verständlich machen‘) (vgl. Duden) und Rotwelsch (‚Gaunersprache‘) (vgl. Eisenberg 2012: 116). Der Sprachforscher Joachim Heinrich Campe veröffentlichte bereits im Jahr 1807 das „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ und im Jahr 1813 erschien schließlich das „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke“; so findet man dort Verdeutschungsversuche wie ‚Esslust‘ (Appetit) (vgl. Campe 1813: 120), ‚Zerrbild‘ (Karikatur) (vgl. ebd.: 173) und ‚Freistaat, Gemeinstaat‘ (Republik) (vgl. ebd.: 531).
1854 sind es die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm, die das Deutsche Wörterbuch (DWB) im Zuge der Periode der normativen Grammatik nach vielen Jahren Arbeit herausgeben, in dem seit dem Althochdeutschen alle lexikalischen Entwicklungen bis zum Neuhochdeutschen aufgenommen wurden. Dieses Werk stellt die historische Basis für weitere Wörterbücher sowie für die Wortforschung als solche dar. Der Umfang des erschlossenen Wortschatzes, wohlgemerkt einer einzigen Sprache, ist bis heute so gut wie für keine andere Sprache in dieser Fülle und historischen Tiefe gelungen (Klein/Schmitt 2004: 167ff.). Nicht nur deshalb sagte Marcel Reich-Ranicki, dass es „der interessanteste Roman und das allerwichtigste Buch der deutschen Sprache“ sei.5
Eisenberg zufolge sind Verdeutschungsversuche nur dann erfolgreich, wenn siees zwei Voraussetzungen erfüllent. Die erste Voraussetzung besagt, dass das fremde Wort, welches verdeutscht werden soll, eine feste Bedeutung haben musst, die sich durch die Verdeutschung nicht ändern wirdt. Die zweite Voraussetzung, die gegeben sein muss, um einen erfolgreichen Verdeutschungsprozess zu vollziehen, ist, dass eine Sprachmacht, bspw. durch einen kaiserlichen Befehl, einen bedeutsamen Effekt auf den Gebrauch des Wortes hat. Wenn ein Verdeutschungsversuch fehlschlägt, weil die obigen Voraussetzungen nicht gegeben sind, und das fremde Wort dennoch bestehen bleibt, kann dies Folgen mit sich bringen. So kann es sein, dass das verdeutschte Wort in Zukunft als Synonym oder aber mit einer gewissen Bedeutungsunterscheidung neben dem fremden Wort in die Lexik mit aufgenommen wird (vgl. Eisenberg 2012: 131).
Nach dem Ausbruch der französischen Revolution 1789 begann sich ab 1800 auch im deutschen Bildungsbürgertum die politische Kultur zu verändern. Eine zunehmende Revolutionsbegeisterung und der Hass gegen die Franzosen wurden bemerkbar. Von 1794 bis 1814 waren die Gebiete westlich des Rheins französisch besetzt. Es entwickelte sich eine Zweisprachigkeit innerhalb der Verwaltung, was sich überdies auch in der Sprachpolitik im Ganzen auswirkte. Während der Befreiungskriege 1813/15 begann der deutsche Nationalismus aufzukeimen und sich der „Hass gegen das Fremde“ sich auszuprägen (von Polenz 2000: 13f.).
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Abb. 3 Chronologische Lehnwortstatistik von 1780-1980 (Von Polenz 2000: 393)
Die französischen Entlehnungen nehmen um 1800 von ca. 58% auf ca. 45% um 1900 ab. Um 1930 sind es dann nur noch etwa 22% und in der Nachkriegszeit schließlich ca. 8% (ebd.: 394).
Aufgrund der wechselnden Besatzungen innerhalb der Geschichte Frankreichs und Deutschlands, aber auch der religiösen Verfolgung findet sich der französische Einfluss durch die sich langsam formierenden Sprachinseln in den Gebieten und Dialekten Deutschlands wieder (vgl. Eisenberg 2012: 63). Insbesondere der Westen und vor allem das Saarlands stellte einen sehr großen gebietlichen Streitpunkt zwischen den Franzosen und Deutschen dar, weswegen in diesem Kapitel näher auf die Entwicklung der (sprach-) politischen Verhältnisse eingegangen wird. Auch im Osten Deutschlands, im Besonderen in Berlin, hat das Französische sehr intensiv und nachhaltig gewirkt. Dies hängt mit der Massenflucht der Protestanten, unter ihnen nicht wenige Hugenotten, aber auch Waldenser, zusammen, die aufgrund des Edikts von Nantes, welches 1685 von Ludwig XIV. erlassen wurde, ihrer Religionsfreiheit in Frankreich beraubt wurden (vgl. ebd.: 63). Diese Massenauswanderung war einer der Gründe, weswegen in verschiedenen deutschen Gebieten (u.a. in Hessen und Baden-Württemberg) sogenannte Sprachinseln entstanden (vgl. Eisenberg 2012: 63).
[...]
1 Vgl. https://vds-ev.de/verein/ [zuletzt aufgerufen am 15.03.2021].
2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Verwendung der maskulinen und femininen Sprachformen verzichtet und das generische Maskulinum verwendet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
3 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1985/umfrage/deutschland---grenzlaenge-zu-benachbarten-staaten/ [zuletzt aufgerufen am 23.10.2020].
4 Mousnier, Roland ; Labrousse, Ernest ; Bouloiseau, Marc: Le XVIIIe siècle, l'époque des "lumières" (1715-1815). : PUF, 1985.
5 Vgl. http://dwb.bbaw.de [zuletzt aufgerufen am 02.03.2021].
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