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Bachelorarbeit, 2016
39 Seiten, Note: 2,0
Geschichte Deutschlands - Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg
1. Einleitung
2. Welche organisatorischen Veränderungen prägten die Turnvereine nach 1933?
2.1. Angebot der Turnvereine
2.2. Zugehörigkeit zu Verbänden und Organisationen
2.3 Anzahl der Vereine und Mitgliederzahlen
3. Welchen Anteil hatten die Kölner Turnvereine an der nationalsozialistischen Machteroberung und –konsolidierung?
3.1. Reaktionen auf die Maßnahmen der Gleichschaltung
3.1.2. Arbeitersport und konfessionelle Verbände
3.2. Exklusion aus der Volksgemeinschaft: die jüdischen Mitglieder
3.3. Jugendarbeit
4. Welche sozialisierenden Funktionen hatten die Turnvereine im Alltag der NS-Volksgemeinschaft?
4.1. Traditionen und Brüche
4.2. Neue Festkultur?
4.3. Beteiligung an Veranstaltungen des Staates
4.4. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
4.5. Dietarbeit
5. Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
„Noch nie ist es mir und dem Vorstand so schwer gefallen, über die turbulenten Ereignisse des ablaufenden Jahres 2015 zu berichten, diese zu bewerten und positive Aussichten für das Jahr 2016 anzukündigen“1, so beginnt Horst Maas2, Vorsitzender des Turnverbandes Köln3, seine Weihnachts- und Neujahrsgrüße. Er beklagt die schwierige Lage des Dachverbandes der Kölner Turnvereine. „Zurzeit erleben wir jedoch einen gravierenden Sinnes-, Werte- und Verhaltenswandel bis in unsere Gemeinschaft, der viele Ursachen hat“4, erklärt der Funktionär. Hintergrund sind Meinungsverschiedenheiten um die Ausrichtung des Verbandes. Die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und die Sorge um die Position der eigenen Organisation sind nicht neu. Zeiten des Wandels und des Umbruchs haben die Mitglieder der Turnvereine seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert häufig erlebt. Immer wieder standen sie vor der Frage, wie sie mit politischen Veränderungen und der Konkurrenz durch andere Sportarten umgehen sollten.
Wenn in der vorliegenden Arbeit von Turnvereinen- und Verbänden die Rede ist, sind die bürgerlichen Turnvereine5 gemeint, die das deutsche Turnen im Sinne Jahns pflegten. Die überwiegende Mehrzahl der Kölner Turnvereine gehörte zu dieser Gruppe. Auch ist eine Unterscheidung von Turnen und Sport von Bedeutung. In den 1920er Jahren bekam die Deutsche Turnerschaft (DT) immer mehr Konkurrenz durch andere Verbände wie dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und dem Arbeiter Turn- und Sportverband (ATSB). Untersucht werden soll die Rolle der bürgerlichen Turnvereine in der Phase des Nationalsozialismus. Der Untersuchungszeitraum ist auf die Jahre 1933 bis 1938 beschränkt. Das liegt einerseits daran, dass sich mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die Turn- und Sportlandschaft stark veränderte. Die Arbeit in den Turnvereinen kam immer mehr zum Erliegen. Mit der Gründung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL) Ende 1938 war andererseits ein vorläufiger Endpunkt der Veränderung der Strukturen des Turnens und Sports im Deutschen Reich erreicht.
Das Zeitalter des Nationalsozialismus ist das Thema der deutschen Geschichtswissenschaft, welches am besten erforscht ist. Für die Sportgeschichte gilt der gleiche Befund. Seit knapp 50 Jahren, vor allem dank den Arbeiten Hajo Bernetts6, findet eine Auseinandersetzung mit der Phase von 1933 bis 1945 statt.
Der Vereins- und Verbandssport gerät seit den 1990er Jahren immer mehr in den Blick der (Sport)-Historiker. Die Aufarbeitung ist je nach Sportart und Region im deutschsprachigen Raum sehr unterschiedlich, wie die Bibliografie von Peiffer7 nachweist. In den letzten Jahren waren es vor allem regionale Arbeiten über einzelne Fußballvereine, die den Zeitraum von 1933 von 1945 in den Mittelpunkt stellten. Publikationen zu Turnvereinen sind nur spärlich vertreten. Wedemeyer stellte vor 15 Jahren fest, dass „der regionale und lokale Blick von „unten“, d.h. die […] Geschichte einzelner Turnvereine (und der Vereine insgesamt) etwas zu kurz gekommen“8 ist. Die Einschätzung erscheint damals wie heute beschönigend. Peiffer ist zuzustimmen, wenn er resümiert, dass „wir immer noch zu wenig über die alltägliche Praxis des Sports in den Vereinen vor Ort“9 wissen.
Für die Stadt Köln fehlt eine wissenschaftliche Darstellung der Turngeschichte. Neben den Festschriften der einzelnen Vereine existieren nur wenige Publikationen, die häufig von Funktionären verfasst wurden. Die Bedeutung des Turnens und der Turnvereine im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird herausgestellt, aber die nationalsozialistische Zeit weitgehend ausgeblendet10. Allenfalls werden sportliche Erfolge dokumentiert. Erwähnenswert sind die Arbeiten von Gabi Langen zum Frauensport und zur kommunalen Verwaltung der Stadt Köln11. Die aktuelle Studie „Siegen für den Führer“12 widmet sich erstmals der Kölner Sportgeschichte der NS-Zeit. Ein Beitrag zum Turnen ist nicht enthalten. Parallel zur Veröffentlichung war eine sporthistorische Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln13 zu sehen, die sich auch mit Fragen der Veränderungen für die Turnvereine nach 1933 beschäftigte.
Die Relevanz des Themas der Kölner Turnvereine in der NS-Volksgemeinschaft ergibt sich daraus, dass wir mehr über den Alltag der Diktatur erfahren. Turnen war ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung. Erwartet werden Erkenntnisse über das Vereinsleben, über die Festkultur und das alltägliche Zusammenleben im NS-Staat.
Der Alltag der Vereine soll unter dem Gesichtspunkt des Konzepts „Volksgemeinschaft“14 untersucht werden. In den letzten Jahren entstand eine Debatte um die Bedeutung des Begriffs, den Tschirbs kürzlich als „Phantom“15 bezeichnete. „Alles in allem scheint er mir ein Konzept von begrenztem Wert zu benennen, nützlich, doch als Analyseinstrument mit signifikanten Mängeln behaftet“16, zweifelt Kershaw an der Tragweite des „Volksgemeinschafts“-Begriff. Wildt hält dagegen, dass es bei der Untersuchung der sozialen Praxis der Volksgemeinschaft „um die Vielfältigkeit von Handlungsweisen, von Mit-Tun wie Sich-Abwenden, Bereitwilligkeit wie Widerwille, Anpassungsbereitschaft wie Begeisterung, Sich-Distanzieren wie „Dem-Führer-Entgegenarbeiten“17, geht.
Auch im nationalsozialistischen Sport wurde „Volksgemeinschaft“ als Propagandaformel verwendet. Daher ist in der vorliegenden Untersuchung von Interesse, wie die Vereine auf die Propaganda, aber auch auf konkrete Maßnahmen des Staates, reagierten. War die Volksgemeinschaft ein anzustrebendes Ziel für die Kölner Turnvereine?
Für den Sport nach 1933 in der Stadt Münster kommen Langenfeld/Prange zu dem Fazit, dass „sich die Atmosphäre auf sportlichem Sektor erheblich verbessert“18 hatte. Außerdem bedeutete die Zeit des Nationalsozialismus „für die Stadtsportgeschichte im Rahmen der längerfristigen Entwicklung also keine Zäsur, sondern eine Phase des Aufschwungs und (…) der Modernisierung“19. Ob diese Befunde auch für die Turnvereine der Stadt Köln gelten, ist zu überprüfen.
Die Quellenlage ist als schwierig zu bewerten. In staatlichen Archiven gibt es kaum Belege zur Tätigkeit der Vereine. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat auch Auswirkungen auf diese Arbeit. Die Turnvereine verfügen in den allermeisten Fällen über keine Archive. Viele Materialien sind nicht mehr vorhanden. Teilweise hat eine bewusste Vernichtung stattgefunden, oder Unterlagen wurden bei Bombenangriffen zerstört. Eine interessante Quelle sind die Nachrichtenblätter, die einen wichtigen Überblick über den Jahresablauf der Vereine bieten. Auf die Analyse von lokalen Zeitungen wurde bewusst verzichtet.
Das Ziel der Analyse besteht darin, eine Forschungslücke zu schließen. Wissenschaftliche Arbeiten zu Kölner Turnvereinen der NS-Zeit sind kaum vorhanden. Auch wird der Frage nachgegangen, wie sehr der nationalsozialistische Staat mit der Kontrolle der Vereine innerhalb einer Stadt erfolgreich war. Folgende Leitfragen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung: Welche organisatorischen Veränderungen prägten die Turnvereine nach 1933? Welchen Anteil hatten die Kölner Turnvereine an der nationalsozialistischen Machteroberung und -konsolidierung? Welche „sozialisierenden“ Funktionen hatten die Turnvereine im Alltag der NS-Volksgemeinschaft?
Die vorliegende Analyse verzichtet auf die Auflistung von sportlichen Erfolgen und Nennung von Vorstandsämtern. Veranstaltungen und Personen finden nur dann Berücksichtigung, wenn sie eine Bedeutung für das Verhältnis des Vereins zum nationalsozialistischen Staat hatten.
Als methodischer Zugang wird eine Mischung aus Kulturgeschichte, Sozialgeschichte und Politikgeschichte gewählt. Die Politik des NS-Staates und seine Maßnahmen können nicht außer Acht gelassen werden. Dabei wird der Versuch unternommen, die Wirkungen der Gesetzte, Verordnungen und Erlässe auf den Verein überall dort in den Mittelpunkt zu stellen, wo es die Quellenlage zulässt.
Die Turnvereine Kölns waren von vielen Veränderungen betroffen. Um einen Überblick über die veränderten Strukturen und Organisationsformen der Turnvereine nach 1933 zu geben, sind einige einführende Bemerkungen notwendig. Was war das sportliche Angebot der Vereine? Zu welchen Dachverbänden gehörten die Turnvereine? Wie viele Mitglieder und Vereine gab es in den Jahren 1933 bis 1938?
Die Angaben in Greven´s Adressbuch der Stadt Köln20 für das Jahr 1933 geben einen guten Überblick darüber, welche Unterschiede zwischen Turnen und Sport existierten. Im Adressbuch wurde ein Unterschied zwischen Turn- und Sportvereinen gemacht. Unter der Rubrik „Sportvereine“ sind verschiedene Unterabschnitte aufgeführt: Athletik, Boxsport, Fahrradsport, Fußballsport, Auto- und Motorsport, Tennis, Golf, Wintersport, Wassersport, Renn- und Reitervereine, Hockey, Polo, Jagdsport und Luftsport. Fast alle gängigen Sportarten sind genannt. Das Turnen fand in den Turnvereinen statt. Hier wurde nicht nur geturnt, auch Leichtathletik (Volksturnen), Handball, Fechten, Tennis und Spiele wie Schlag- oder Faustball, gehörten zunächst zum Angebot.
Mit der Einführung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL), der neuen Dachorganisation des Sports, verloren die Turnvereine immer mehr den Zugriff auf weitere Sportarten wie zum Beispiel Handball, Fechten und Tennis. Der Handball war bis dahin ein wichtiger Faktor gewesen. Anfang der 1930er Jahre spielten „200.000 Turner Handball“21 innerhalb der DT. In Köln waren es in der Saison 1929/1930 118 Mannschaften22. Im Nachrichtenblatt des Gaues finden sich bis Anfang 1935 viele Mitteilungen über Handballspiele und Meisterschaften, danach wurden „die „Amtlichen Nachrichten des Gaufachamtes nur noch im „Handball“ veröffentlicht“23. Der „Handball“ war des Organ des Fachamtes Handball. Fechten war eine Randsportart in den Kölner Turnvereinen, nur in acht Vereinen wurde 1932 gefochten. Auch Tennis wurde nur in wenigen Vereinen gespielt24.
Einzelne Sportarten wurden zwar noch in den Turnvereinen angeboten, doch Meisterschaften wurden nicht mehr ausgetragen. Dafür waren andere Verbände bzw. Fachämter des DRL verantwortlich. In den Turnvereinen wurde dies positiv umgedeutet und als „Breitenarbeit“ tituliert.
Die Phase nach 1933 bedeutete also für die Kölner Turnvereine einen Verlust ihres Angebots an wettkampffähigen Sportarten und brachte zusätzlich die Einführung des Wehrturnens (siehe Kapitel 3.3.) mit sich.
Ein Kölner Turnverein bürgerlicher Prägung gehörte zur Zeit der Weimarer Republik verschiedenen Verbänden und Organisationen an. Hier sind drei Ebenen zu unterscheiden: Stadt Köln (Zusammenschluss Kölner Turn- und Sportvereine im Stadtsportbund), Verband (Kölner Turngau, Verbund aller bürgerlichen Kölner Turnvereine, Teil der Deutschen Turnerschaft), Dachorganisation des Sports (Deutscher Reichsausschuss für Leibesübungen).
Nach 1933 kam es zu tiefgreifenden Veränderungen in der Struktur des Kölner Turnens. Zunächst einmal auf Stadtebene waren die Vereine zu Zeiten der Weimarer Republik Mitglied im Stadtsportbund Köln. Dieser wurde 1933 aufgelöst25.
Das organisatorische Dach für die Mehrheit der Turnvereine war die Deutsche Turnerschaft (DT). Die DT war der größte Sportverband im Deutschen Reich und in regionale Kreise unterteilt. Der typische Kölner Turnverein hatte ihr angehört. Der Turnerkreis VIIIb (Rheinland) der DT, zu dem auch der Kölner Turngau gehörte, blieb bis ins Jahr 1933 bestehen. Die Kölner Vereine gehörten dann zum Gau XI Mittelrhein. Aus dem Turngau Köln wurde der Bezirk Köln, der wiederum in vier Kreise unterteilt wurde26. Im Jahr 1936 kam das Ende der DT, die sich selbst auflöste27.
Auch die Dachorganisation von Turnen und Sport, der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA), wurde 1933 aufgelöst. An dessen Stelle trat der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRL), am 30. Januar 1934 wurde er proklamiert, die Verfassung jedoch erst im Juli des Jahres 1935 bekannt gegeben: „Die Aufgabe des D.R.f.L. ist die leibliche und seelische Erziehung der in den Vereinen zusammengeschlossenen Deutschen zur nationalsozialistischen Haltung durch die Pflege der Leibesübungen.“28 Im DRL kam es zur Einrichtung von 23 Fachämtern, je ein Amt pro Sportart. Später wurde die Anzahl auf 14 begrenzt. Die Kölner Turnvereine gehörten zum „Amt I: Gerätturnen, Gymnastik, Sommerspiele. Dieses Amt ist nicht die Deutsche Turnerschaft, die sich niemals auf diese drei Gebiete beschränkt hat, und ihre Vereine niemals auf diese Gebiete beschränkt werden sollen“29, stellten die Verantwortlichen des DRL klar.
Ende 1938 nahm die Umgestaltung des deutschen Turnens und Sports mit der Verabschiedung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL) ein Ende. Der NSRL bildete seit dem Führererlass vom 21. Dezember 1938 den organisatorischen Rahmen für die Kölner Turnvereine. Das erste Gauverordnungsblatt des Gaues Mittelrhein im Jahr 1939 konnte zeitlich nicht ganz mithalten, „denn die Manuskripte des Gau-Verordnungsblattes waren bereits gesetzt, als der Erlass des Führers, die Umwandlung des DRL in den NS-Reichsbund für Leibesübungen herauskam.“30 So befindet sich an vielen Stellen noch die Bezeichnung DRL.
Die Umgestaltung von Turnen und Sport dauerte mehrere Jahre. Einerseits veränderte sich die Sportlandschaft sehr tiefgreifend (neue Zuständigkeiten und Bezeichnungen), andererseits verlief sie nicht ohne Probleme, wie die weitere Analyse zeigen wird.
Köln war in der Zeit des Nationalsozialismus die viertgrößte Stadt Deutschlands. Ende des Jahres 1932 waren 86 Vereine Mitglied im Kölner Turngau. Es waren nicht nur reine Turnvereine. So gehörten unter anderem auch der Kölner Schwimmklub, der Wassersportverein Leverkusen-Wiesdorf, der Verein für Segelflug Köln und der Tennisverein Phönix dazu. Im Vergleich der Einwohnerzahl mit den Mitgliedszahlen der Turnvereine ergibt sich 1932 ein für Köln erstaunliches Bild. Unter den 52 deutschen Großstädten befindet sich Köln nur auf Platz 48: 741.000 Einwohner / 7.135 Turnerinnen und Turner/ 0,96 Prozent. Die Hochburgen des Turnens im Kreis VIIIb liegen in Remscheid (102.000/3.451/3,38%) und Solingen (140.000/4.097/ 2,93%). Auch in anderen Großstädten der Region wie Aachen und Düsseldorf gab es vergleichsweise wenige Anhänger der Jahnschen Idee31. Die Mitgliederzahlen sind umso erstaunlicher, da 1928 mit dem Deutschen Turnfest das größte Ereignis des deutschen Turnens in Köln stattfand. Allerdings muss darauf verwiesen werden, dass in einem Bericht des Kölner Gaus vom Februar 1932 von 10.845 Mitgliedern die Rede ist32. Die Zahl der Vereinsmitglieder genau festzustellen, ist aufgrund der Quellenlage sehr schwer. Für das Jahr 1933 ist davon auszugehen, dass sich die Mitgliederzahl gesteigert hat. Mitglieder aus konfessionellen Vereinen und der Arbeiterturn- und Sportbewegung schlossen sich den bürgerlichen Vereinen an. Laut einer Bestandserhebung vom 1. Januar 1935 sank die Zahl der Mitglieder in den Kölner Turnvereinen. Im Vergleich der Zahl der Vereinsangehörigen in den Großstädten, ist Köln Vorletzter (756.605 Einwohner, 5.847 Turner, 0,77 Prozent)33. Besonders problematisch war, dass die Vereine viele Kinder und Jugendliche als Mitglied verloren. Zwangsweise mussten sie in die Jugendorganisationen der NSDAP eintreten (siehe Kapitel 3.3.). Die Mitgliederzahl in den meisten Vereinen sank nach 1935 kontinuierlich.
In der Zeit von 1933 bis 1938 kam es zu Fusionen von Vereinen, wie zum Beispiel in Leverkusen-Schlebusch. „Durch den im Jahre 1937 erfolgten Zusammenschluss des Schlebuscher Turnvereins mit dem Sportverein unter dem neuen Namen „Schlebuscher Turn- und Sportverein 1881“ sollte eine Leistungssteigerung mit vereinten Kräften erzielt werden“34, wurde die Maßnahme in einer Festschrift Mitte der 1950er Jahre begründet. Die bedeutendste Fusion fand in der Kölner Innenstadt statt. Im Januar 1935 fusionierte der Kölner Turnverein 1843 und der Allgemeine Turnverein von 1863 zur Kölner Turnerschaft von 1843. Die Erklärung dafür ist einfach, „maßgebend waren in erster Linie die Bestrebungen des Reichssportführers und der Führung der Deutschen Turnerschaft“35. Bereits 1934 hatten Vereine in Bensberg und Bergisch-Gladbach fusioniert.
Im NSRL-Bezirk 1 Köln, also nach 1938, finden sich nach einer Aufstellung 58 Turnvereine36. Interessant ist, dass 28 Vereine nicht mehr dem Bezirk angehörten, die noch Anfang Januar 1933 dabei waren. So fehlen die Sportorganisationen der Firmen, wie die der Deutschen Bank und der Dresdner Bank. Auch der konfessionelle Verband CVJM Köln gehörte dem NSRL nicht mehr an, da der Spiel- und Sportbetrieb verboten wurde. Viele Turnerinnen und Turner waren in ihrer Freizeit nicht mehr in der Turnhalle oder auf dem Sportplatz, sondern sie beteiligten sich an Veranstaltungen der verschiedenen Parteiorganisationen der NSDAP. Das Fazit fällt leicht, sowohl die Anzahl der Turnvereine als auch der Mitgliederbestand sank in der Zeit von 1933 bis 1938.
Der Dachverband des bürgerlichen Turnens, die DT, stand dem nationalsozialistischen Staat sehr wohlwollend gegenüber. Von Beginn an begrüßten weite Teile der Mitglieder und Vorstände der Kölner Turnvereine die neue Regierung. Am 30. Januar 1933 fand eine Veranstaltung auf dem Neumarkt statt, an der auch Turner teilnahmen. Ein Staffellauf wurde organisiert und der von der NSDAP eingesetzte Bürgermeister Günter Riesen37 wurde willkommen geheißen38. In den Mitteilungen der Kölner Turnvereine finden sich zustimmende, teilweise auch euphorische Äußerungen. „Deshalb sind wir der nationalen Erhebung, die jetzt durch unser Land geht und die sich die seelische sowie körperliche Gesundung unseres Volkes zum Ziele setzt, besonders dankbar, dass sie auch der Turn- und Sportbewegung neue Kräfte verleiht und uns stark macht für die vaterländischen Aufgaben, die unser harren“39, heißt es zum Beispiel in der Vereinszeitung des Post-Sportvereins Köln im Mai 1933.
Auf Ebene des Deutschen Reiches vollzog die DT eine „Selbstgleichschaltung“40 und biederte sich dem nationalsozialistischen Staat an. Bei den lokalen Vertretern war die Reaktion auf die neue Regierung in Berlin keine andere. Auch der Turnrat des Kölner Turngaus brachte seine Begeisterung zum Ausdruck. In einem Rundschreiben an alle Kölner Turnvereine fand Heinz Frohn, der kommissarisch für die Gesamtleitung des Gaus zuständig war, im April 1933 deutliche Worte: „Immer dem Ganzen dienend, hat die Deutsche Turnerschaft in allen Zeiten, besonders aber in denen grösster Not und tiefsten Elends als treuer Flammenhüter deutschen Volkstums und deutschen Wesens, all denen zur Seite gestanden, die für Deutschlands Einheit, Freiheit und Grösse kämpften“41. Das Treuebekenntnis galt nicht nur dem Dachverband und dem „Jahnschen Geist und Vermächtnis“42, sondern auch den Vertretern des Staates. Der Platz der Kölner Turner sollte dann auch in Zukunft „hinter unserem greisen Generalfeldmarschall v. Hindenburg und dem Volkskanzler Adolf Hitler“43 sein.
[...]
1 Horst Maas: Gesegnete Weihnachten und die besten Wünsche zum Neuen Jahr. (http://www.turnverband-koeln.de, abgerufen am 26.12.2015)
2 Horst Maas, Jahrgang 1941, ist seit 2006 Vorsitzender des Turnverbandes Köln 1876 e.V.
3 Dem Turnverband Köln gehörten im Jahr 2015 140 Vereine mit über 35.000 Mitgliedern an. Der Verband ist der zweitgrößte Fachverband der Stadt Köln und wird bei seiner Mitgliederzahl nur noch vom Fußballkreis Köln übertroffen. Das Verbandsgebiet teilt sich innerhalb der Stadt Köln in neun Bezirke auf. Dazu kommen Vereine aus Leverkusen, Neuss, dem Rheinisch-Bergischen Kreis und dem Rhein-Erft-Kreis.
4 Horst Maas: Gesegnete Weihnachten und die besten Wünsche, siehe oben.
5 Bürgerliche Turnvereine stehen in der Tradition von Friedrich Ludwig Jahn, sie waren von Beginn an eine weltanschaulich-politische Bewegung. In ihrer Entstehungszeit im 19. Jahrhundert waren sie ein wichtiger Teil der deutschen Nationalbewegung.
6 Hajo Bernett (1921-1996) gilt als wichtigster Vertreter der Erforschung des Sports im Nationalsozialismus, zu seinen Werken gehören: Nationalsozialistische Leibeserziehung. Dokumentation ihrer Theorie und Organisation. Überarbeitet und erweitert von Hans Joachim Teichler und Berno Bahro. 2. überarbeitete Auflage Schorndorf 2008, Der Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur. Die Entstehung des Deutschen (Nationalsozialistischen) Reichsbundes für Leibesübungen. Schorndorf 1983, Der deutsche Sport im Jahre 1933. In: Stadion (1981), 225-283.
7 Lorenz Peiffer: Sport im Nationalsozialismus. Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung. Eine kommentierte Bibliografie. Göttingen 3. Auflage 2015.
8 Bernd Wedemeyer: Bürgerliche Turnvereine im Dritten Reich. Ein Blick von unten anhand ausgewählter regionaler und lokaler Beispiele. In: Sportwissenschaft 30 (2000) 2, 180-196.
9 Lorenz Peiffer: Sport im Nationalsozialismus, 53.
10 Siehe: Helmut Limbeck, 125 Jahre Turngau Köln. Köln 2001.
11 Gabi Langen: „Wir haben nur unseren Sport gemacht! Frauen in Kölner Sportvereinen während der Zeit des Nationalsozialismus. In: Langen, Gabi (Hrsg.): Vom Handstand in den Ehestand. Frauensport im Rheinland bis 1945. Köln 1997, 99-109, Die kommunale Sportpolitik im Dritten Reich am Beispiel Kölns. Geschichte in Köln (2005), Bd. 52, 281-295,
12 Ansgar Molzberger, Stephan Wassong, Gabi Langen (Hrsg.): Siegen für den Führer. Der Kölner Sport in der NS-Zeit. Köln 2015 (Schriftenreihe des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Band 20).
13 Siegen für den Führer. Kölner Sport in der NS-Zeit. Ausstellung vom 22. Mai bis 4. Oktober 2015 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.
14 Der Begriff der „Volksgemeinschaft“ war bereits in der Zeit des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik bekannt und wurde von vielen Parteien verwendet.
15 Rudolf Tschirbs: Das Phantom der Volksgemeinschaft. Ein kritischer Literatur- und Quellenbericht. Düsseldorf 2015 (Böckler Forschungsmonitoring 10).
16 Ian Kershaw: „Volksgemeinschaft“: Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), 17.
17 Michael Wildt: „Volksgemeinschaft“. Eine Antwort auf Ian Kershaw, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011), H. 1, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2011/id=4756.
18 Hans Langenfeld, Klaus Prange: Die nationalsozialistische Zeit (1933-1945). In: Langenfeld, Hans/Prange, Klaus: Münster – die Stadt und ihr Sport. Münster 2002, 278.
19 Langenfeld/Prange, 279.
20 Greven's Adreßbuch von Köln und Umgegend, sowie Adreßbuch der Kreise Köln-Land, Bensberg, Bergisch Gladbach und. Porz, Erster Band. Köln 1933, 100f.
21 Erik Eggers: Handball im Nationalsozialismus. In: Eggers, Erik: Handball - Eine deutsche Domäne. Göttingen 2014. 3. Auflage 2014, 42.
22 Karl Hermessen: Zehn Jahre Kölner Turngau 1922-1932, 50.
23 Turnen und Sport im Rheinland vom 5. Februar 1935.
24 Gauverordnungsblatt Deutscher Reichsbund für Leibesübungen. Gau XI Mittelrhein. Nr. 3 vom 18. Mai 1936.
25 Siehe: Winrich Borkhart: Die Geschichte des Stadtsportbundes Köln1919 bis 1969. Köln, Deutsche Sporthochschule, Diplomarbeit, 1984.
26 Zum Bezirk 1 Köln gehörten: Kreis 1: Stadt- und Landkreis Köln und Umgebung, Kreis 2: Oberbergischer Kreis und Teile des Rheinisch-Bergischen Kreises, Kreis 3: Siegkreis, Kreis 4: Bonn, Euskirchen.
27 Siehe: Lorenz Peiffer: Die Deutsche Turnerschaft. Ihre politische Stellung in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Ahrensburg 1976, 170f.
28 Jahrbuch der Turnkunst 1935, 224.
29 Ebd., 224.
30 Gauverordnungsblatt DRL Mittelrhein Nr. 1 vom 2. Januar 1939.
31 Jahrbuch der Turnkunst 1933, S. 150f.
32 Karl Hermessen: Zehn Jahre Kölner Turngau, 62.
33 Jahrbuch der Turnkunst 1935, S. 271.
34 75 Jahre Schlebuscher Turnverein. Leverkusen 1956.
35 Turnen und Sport im Rheinland. Nr. 8, 1935.
36 Nachlass Heinrich Dietz: Akte Turngau Köln 1947-1950: 92/18, B 2-1 (Archiv Kölner Sportgeschichte e.V.)
37 Günter Riesen (1892-1951) war von 1933 bis 1936 Oberbürgermeister der Stadt Köln.
38 Gabi Langen: (Hrsg.): Vom Handstand in den Ehestand. Frauensport im Rheinland bis 1945. Köln 1997, 117.
39 Monatsschrift des Post-Sportvereins Köln vom Mai 1933.
40 Michael Krüger: Turnen und Sport im Nationalsozialismus: „Das Heranzüchten kerngesunder Körper“. In: Krüger, Michael: Einführung in die Leibeserziehung und des Sports. Teil 3: Leibesübungen im 20. Jahrhundert. Schorndorf. 2. Auflage 2005, 135.
41 Kölner Turngau. Rundschreiben Nr. 20 vom April 1933.
42 Ebd.
43 Ebd.