Bachelorarbeit, 2021
68 Seiten, Note: 1,0
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Medizinische Grundlagen der Neuroforschung
2.1 Das limbische System
2.2 Informationsübermittlung und Neurotransmitter
2.2.1 Dopamin
2.2.2 Serotonin
2.3 Funktionen und Fähigkeiten des menschlichen Gehirns
2.3.1 Lernen und Gedächtnis
2.3.2 Motivation und das Belohnungssystem
2.4 Methoden der nicht-invasiven Hirnforschung
3. Das Neuromarketing
3.1 Affektives Marketing aus einer neurologischen Perspektive
3.2 Aktuelle Forschungserkenntnisse und abgeleitete Strategien
3.2.1 Einflussfaktoren von Entscheidungsprozessen
3.2.2 Die Optimierung von Prognosen
3.3 Potentiale und Chancen weiterführender Forschung
3.4 Limitation der Aussagekraft
4. Die Kaufsucht
4.1 Definition von Kaufsucht und Einordnungsdiskussion
4.2 Medizinische Konzepte des Suchtentstehungsprozesses
4.3 Aktuelle Forschung zu pathologischem Kaufverhalten
4.3.1 Die Prävalenz von Kaufsucht
4.3.2 Die Komorbidität und Therapiemöglichkeiten
4.3.3 Die neurologische Erforschung von Kaufsucht
4.4 Forschungslimitierende Faktoren
5. Konfliktpotentiale
6. Fazit
Anhang
Stichwortverzeichnis
Weiterführende Abbildungen
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Abb. 1: Normale physiologische Funktionen des Belohnungssystems in Bezug auf das Motivationszentrum und Lernprozesse
Abb. 2: Pathologische Funktionen des Belohnungssystems bei Abhängigkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die neurologische Forschung konnte aufgrund von modernen Technologien in den letzten zwei Jahrzehnten viele Fortschritte in der Erkenntnisgewinnung zu menschlichem Konsumverhalten verzeichnen (vgl. Karmarkar et al. (2019); Plassmann et al. (2015); Venkatraman et al. (2012); Voon et al. (2010); Camerer et al. (2005, 2004)). Die neuralen Prozesse vor, während und nach Konsum sind in diversen Bereichen von Relevanz, z.B. im Neuromarketing und in der Untersuchung von Kaufsucht. Zwischen diesen kontroversen Fachgebieten entsteht durch die Neuroforschung eine Schnittstelle.
Auf der einen Seite steht das Neuromarketing als das neue und vielversprechende Question Mark in der BCG-Matrix des Marketing-Methoden-Portfolios. Der vergleichsweise junge Bereich verleite Marketer dazu, über die Möglichkeit eines gläsernen Konsumenten zu philosophieren, dessen Entscheidungsprozesse durch Neuroforschung sichtbar gemacht werden könnten1 (vgl. Häusel (2016), S. 262; Plassmann et al. (2015), S. 428; Häusel (2012a), S. 18). Auf der anderen Seite wird das Kaufen als potentielles Suchtmittel diskutiert und eine verstärkte Verbreitung von pathologischem Konsum sei zunehmend erkennbar (vgl. Müller et al. (2019); Mann et al. (2013); Dittmar (2005)).
Das Neuromarketing gerät häufig in die Kritik von Seiten des Verbraucherschutzes unter dem Vorwurf, es manipuliere den Konsumenten und verleite zu ungewollten Kaufhandlungen (vgl. Häusel (2012a), S. 11). Doch inwiefern ist diese Kritik am Neuromarketing und seinen Methoden gerechtfertigt? Es gilt zu untersuchen, ob sich Neuromarketingstudien auf eine analytische Interpretation von Kaufverhalten konzentrieren oder ob andere Ziele im Rahmen der Forschung verfolgt werden. Anhand aktueller Studien wird geprüft, ob sich die beiden Forschungsgebiete auf ähnliche oder gleiche Hirnareale fokussieren. Innerhalb dieser Arbeit soll untersucht werden, ob der gemeinsame Nenner der neurologischen Forschung in der Lage ist, Konfliktpotentiale aufzudecken. Ich nehme an, dass Studien durchaus gegensätzliche Ziele verfolgen, das heißt einerseits den Konsum zu fördern und andererseits Wege zu finden, pathologische Kaufhandlungen zu verhindern. Die Gegenüberstellung beider Forschungsgebiete soll ermöglichen, die folgende Forschungsfrage zu beantworten:
Welche Konflikte ergeben sich aus einem neurologisch orientierten Marketing unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands von Kaufsucht ?
Zunächst wird das Gehirn umrisshaft auf anatomischer und funktioneller Ebene vorgestellt. Dies soll die Bezugnahme in den darauffolgenden Kapiteln ermöglichen und außerdem dem Leser ein grundlegendes Verständnis über die Neuroforschung vermitteln. Relevante neurologische Prozesse und Forschungsmethoden werden zum Teil in simplifizierter Form erläutert. Im Anschluss daran werden unter anderem die folgenden Fragen über das Neuromarketing beantwortet. Welche kognitiven Prozesse sind von besonderer Relevanz? Welche Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem jetzigen Stand der Forschung für Marketer? Im Laufe des Kapitels verschiebt sich der Fokus inhaltlich von einer anfänglich medizinisch orientierten Zusammenfassung der Neuromarketingforschung auf eine praxisorientierte Beschreibung der Handlungsmöglichkeiten aufgrund von Studienerkenntnissen. Anschließend wird der Forschungsstand zum Kaufsuchtverhalten zusammengefasst. Was zeichnet eine Kaufsucht aus, wann kann Konsum als pathologisch eingestuft werden und wie verbreitet ist die Abhängigkeit? Wie entwickelt sich ein Suchtverhalten? Die Intention dieses Kapitels ist es, dem Leser die wichtigsten Grundzüge von pathologischem Kaufen zu vermitteln. Im vorletzten Kapitel erfolgt ein Vergleich der untersuchten Prozesse, der Intensität der Forschung auf beiden Gebieten sowie eine differenzierte Bewertung der Er-kenntnisse. Neben möglichen Konfliktpotentialen sollen zusätzlich zukünftige Herausforderungen für Marketer abgeleitet werden.
Aufgrund der komplexen Thematik aus verschiedenen Fachbereichen befindet sich im Anhang ein Stichwortverzeichnis; die dort genannten Begriffe sind mit einer kursiven Schreibweise gekennzeichnet. „In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist“ (Pfeiffer (2018)).
Um die Neuroforschung als gemeinsamen Nenner zwischen der Kaufsucht und dem Neuromarketing betrachten zu können, müssen zunächst grundlegende Fakten über das menschliche Gehirn erläutert werden. Aufgrund der komprimierten Darstellungsform dieser Hausarbeit beschränken sich die Inhalte auf die Vorstellung von bestimmten kognitiven Gehirnfunktionen und zugehörigen Arealen, welche von besonderem Interesse für Marketer sind. Kognitive Hirnfunktionen können „Teilfunktionen von Sinnessystemen und motorischen Systemen integrieren, diese gedächtnisabhängig bewerten und mit aktuellen Zuständen von Aufmerksamkeit, Emotion und Motivation abstimmen“ (Pape (2014a), S. 886). Durch Erkenntnisse aus bildgebenden Studien entwickelte sich das Konzept, „dass experimentell beschreibbaren mentalen Leistungen ein räumlich-zeitliches Muster neuraler Aktivität zugeordnet werden kann“ (Pape (2014a), S. 885). Diese Theorie liefert die grundlegende Annahme für die existente und weiterführende neurologische Forschung (vgl. ebd., S. 885), im Marketing sowie in der Medizin, und bildet das Fundament dieser Arbeit.
In der Neuroforschung spielt das limbische System eine große Rolle, da es, nach dem jetzigen Stand der Forschung, „als integriertes System das emotionale Leben eines Individuums bestimmt“ (Pape (2014a), S. 890). Es wird als integriertes System bezeichnet, da die zugeordneten Strukturen zwar funktionell, jedoch nicht anatomisch zueinander gehören (vgl. Amboss (2021a)). Zu relevanten Schlüsselstrukturen2 des limbischen Systems gehören die Amygdala, der Hippocampus und der Nucleus Accumbens (vgl. ebd.). Sie sind in der genannten Reihenfolge jeweils zentral für die Speicherung emotionaler Gedächtnisinhalte, die Lern- und Gedächtnisprozesse im Gehirn und das Belohnungssystem zuständig3 (vgl. Amboss (2021a)). Die limbischen Schaltkreise4 verbinden u.a. funktionelle Prozesse mit emotionalen und motivationalen Faktoren und beeinflussen somit bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen (vgl. Pape (2014a), S. 892). Während in der Vergangenheit dem limbischen System eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wurde, erkannten Forscher in den 50er Jahren zunehmend, wie stark der Einfluss limbischer Funktionen auf die emotionale Bewertung der Sinneserfahrungen ist (vgl. Pape (2014a), S.890ff.). Diese Bewertung von Wahrnehmungen wirkt sich mitunter auf die Motivation aus und beeinflusst so die Verhaltensweisen und aktiven Handlungen des Menschen (vgl. ebd., S. 892).
Das zentrale Nervensystem umfasst alle Nervenzellen (auch: Neurone) des Gehirns und des Rückenmarks (vgl. Amboss (2021b)). Diese Nervenbahnen gelten als „Stromleitungen“ (Amboss (2021b)) des Menschen und ermöglichen die Übertragung von afferenten und efferenten Reizen (vgl. ebd.). Die Reizaufnahme und Informationsweiterleitung erfolgt entweder zwischen Neuronen oder direkt mit dem Zielorgan mithilfe von Synapsen 5 (vgl. ebd.). Die Synapsen nutzen wiederum für die Übertragung der Informationen bestimmte Botenstoffe, die sog. Neurotransmitter (vgl. ebd.). Die Reizweiterleitung, auch Neurotransmission genannt, geschieht in tausendfacher Ausführung bei einer Reizzufuhr und führt zu einer komplexen Verarbeitung der Signale im Nervensystem (vgl. Draguhn (2014), S. 106). Die Neuronen können bei der Neurotransmission einen oder mehrere Botenstoffe verwenden, allerdings sind diese Transmitter in ihrem Vorkommen auf bestimmte Hirnareale begrenzt (vgl. Amboss (2021c)). Diese Areale werden abhängig von dem jeweiligen Transmitter z.B. als dopaminerg, serotoninerg, etc. bezeichnet. Neurotransmitter wirken meist entweder exzitatorisch oder inhibierend auf die übertragungsrelevanten Bestandteile der Zielzellen (vgl. Amboss (2021c)). Zusätzlich beeinflusst die erhöhte Konzentration einiger Transmitter im synaptischen Spalt bei einer Reizweiterleitung die Gefühle des Menschen (vgl. ebd.). Bei sehr häufiger oder anhaltender Aktivierung und Freisetzung bestimmter Transmitter, einer sog. Überstimulation, können Nervenzellen die Informationsweitergabe durch eine reduzierte Aufnahme von Transmittern vermindern (vgl. Draguhn (2014), S. 114, 117). Dieser Prozess wird als Desensitisierung bezeichnet (vgl. ebd., S. 114, 117).
Der Transmitter Dopamin kommt im Großhirn, Zwischenhirn und Stammhirn 6 vor und wirkt hauptsächlich in den Basalganglien und dem limbischen System (vgl. Amboss (2021c)). Besonders relevant ist Dopamin durch sein Wirken im mesolimbischen dopaminergen System, dem sog. Belohnungs- und Motivationszentrum des menschlichen Gehirns (vgl. Amboss (2021c)); Draguhn (2014), S. 121). Der körpereigene Botenstoff ist in der Lage in belohnungsversprechenden Situationen positiv wahrgenommene Reaktionen auszulösen (vgl. Pape (2014a), S. 896). Eine erhöhte Dopaminkonzentration wird neben der regulären, natürlichen Stimulation auch bei dem Konsum von einigen psychotropen Substanzen synthetisch erzeugt (vgl. Amboss (2020a); Draguhn (2014), S. 121). Die durch das Dopamin vermittelte Belohnung wird darauffolgend mit der Substanz assoziiert, führt zu einer substanzgebundenen, psychischen Abhängigkeit und erschwert u.a. eine Suchttherapie (vgl. Amboss (2020a)).
Serotonin ist ein Botenstoff des Hirnstamms (vgl. Amboss (2021c)). Der Transmitter wirkt sich auf den Schlaf-Wach-Rhythmus aus, beeinflusst das limbische System und emotionale Prozesse und spielt eine Rolle im menschlichen schmerzhemmenden System (vgl. Amboss (2021c)). Von Bedeutung ist nicht nur die Anwesenheit, sondern auch die Abwesenheit von Serotonin im zentralen Nervensystem. Beispielsweise tritt bei depressiven Erkrankungen eine verminderte Aktivität von serotoninergen sowie noradrenergen Neuronen auf und beeinflusst somit stark menschliche Verhaltensweisen (vgl. Amboss (2021c)). Symptome einer Depression wie ein Interessenverlust oder Antriebslosigkeit lassen sich u.a. auf einen Serotoninmangel zurückführen (vgl. ebd.). Die Ursache eines Mangels ist jedoch unklar (vgl. Draguhn (2014), S. 121). Die Zufuhr von Pharmaka, welche die Wiederaufnahme von Serotonin von Synapsen hemmen und folglich die Konzentration im synaptischen Spalt erhöhen, ist eine von diversen Vorgehensweisen bei der Therapie von Depressionserkrankungen (vgl. Draguhn (2014), S. 121). Auch Drogen, z.B. Ecstasy, stimulieren die Rezeptoren des Neurotransmitters direkt oder setzen folglich verstärkt Serotonin im Körper frei (vgl. ebd., S. 121). Die darauffolgenden Interaktionen, z.T. mit Dopamin, können eine positive Stimmung auslösen (vgl. ebd., S. 121).
Die Funktionen und Fähigkeiten des Gehirns sind extrem weitreichend und befähigen den Menschen zu bemerkenswerten Leistungen. In diesem Kapitel sollen die Fähigkeiten erläutert werden, die sich direkt und maßgeblich auf das bewusste und unbewusste menschliche Verhalten auswirken. Die Lern- und Gedächtnisfähigkeit sowie die Motivations- und die Belohnungsfunktionen des Menschen spielen eine zentrale Rolle für die Erforschung von Entscheidungsfindungsprozessen und Konsumverhalten (vgl. Karmarkar et al. (2019); Levy et al. (2012); Voon et al. (2010)).
Zunächst ist anzumerken, dass sich Hirnstrukturen aufgrund von neuronaler Plastizität fortwährend weiterentwickeln (vgl. Amboss (2021d); MPG (2010)). Diese befähigt das Gehirn, kognitive Strukturen in Abhängigkeit von ihrer Aktivität, bzw. ihrer Leistung zu verändern (vgl. Amboss (2021d)). Die neuronale Plastizität ermöglicht, dass sich individuelle menschliche Fähigkeiten ein Leben lang verändern können. Eine Studie aus dem Jahr 2000 zeigte z.B., dass bei Taxifahrern in London die Hirnareale, welche für die räumliche Orientierung zuständig sind, signifikant größer waren als bei der Kontrollgruppe (vgl. Maguire et al. (2000)). Diese Vergrößerung des Volumens von Bereichen im Gehirn stellt die neuronale Plastizität auf anatomischer Ebene dar (vgl. Amboss (2021d)). Auf zellulärer Ebene bezeichnet man die Plastizität als Langzeitpotenzierung oder Langzeitdepression (vgl. Pape (2014a), S. 904). Beide Begriffe beschreiben kognitive Lernvorgänge, bei denen Synapsen in ihren regulären Prozessen durch vermehrte Wiederholung bestimmter Übertragungen entweder eine erhöhte Erregbarkeit, eine Sensibilisierung, oder eine verminderte Rezeptivität, eine Habituation, in den Übertragungskanälen entwickeln (vgl. Amboss (2021d); Pape (2014a), S. 904). Die Langzeitpotenzierung findet im Hippocampus statt, welcher eine zentrale Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse hat (vgl. Amboss (2021d)).
Der Mensch ist befähigt, aus Erfahrungen zu lernen, diese Erfahrungswerte im Gedächtnis abzuspeichern, und auf diese Informationen bei Bedarf zuzugreifen (vgl. Pape (2014a), S. 898). Seine Verhaltensweisen eignet sich jeder Mensch unter dem Einfluss von sozialen und kulturellen Faktoren zum Großteil durch anhaltende Lernprozesse an, welche anhand von Lerntheorien erklärt werden können (vgl. Amboss (2021e)).
Erlerntes Wissen kann zum einen durch Reiz-Reaktions-Assoziationen7 entstehen, dem sog. assoziativen Lernen (vgl. Amboss (2021f)). Diese Lerntheorie umfasst die klassische Konditionierung, die operante Konditionierung, das Imitationslernen und das Lernen durch Eigensteuerung (vgl. ebd.). Einige assoziative Lernkonzepte begründen u.a. die Entstehung von Süchten. Zum anderen entstehen Kenntnisse aus dem nicht-assoziativen Lernen, z.B. durch Habituation, Dishabituation und Sensitivierung (vgl. Amboss (2021f)). Während assoziatives Lernen durch externe Reize bestimmt wird und dadurch beeinflussbar ist, entsteht nicht-assoziatives Lernen intrinsisch durch evolutionsbiologisch vorkonditionierte Reiz-Reaktions-Ketten (vgl. ebd.).
Das Gedächtnis8 bezeichnet den Speicherort für jegliche externe Informationen und Wahrnehmungen (vgl. Amboss (2021g)). Dieses Wissen kann entweder dem expliziten oder dem impliziten Gedächtnis zugeordnet werden (vgl. Amboss (2021g); Pape (2014a), S. 898). Während das explizite Gedächtnis Informationen (bspw. persönliche Erlebnisse und Faktenwissen) bewusst verarbeitet und im Hippocampus speichert, umfasst das implizite Gedächtnis den unbewussten Informationsspeicher9 (vgl. Amboss (2021g); Pape (2014a), S. 898). Hierzu zählen sowohl kognitive Fertigkeiten (bspw. Assoziationen, Gewohnheiten) als auch motorische Fähigkeiten (bspw. Bewegungsabläufe, Handlungen)(vgl. Amboss (2021g); Pape (2014a), S.898). Das implizite Gedächtnis ist für die dauerhafte Verarbeitung von externen, unterbewusst wahrgenommenen Reizen zuständig (vgl. Pape (2014a), S. 898). Die Verarbeitungsprozesse dieser Gedächtnisform sind in ihren Abläufen flexibel (vgl. ebd., S. 898). Aufgrund dieser Flexibilität ist das implizite Gedächtnis multiplen Arealen zugeordnet, vorrangig allerdings dem Striatum, der Amygdala, dem Neokortex sowie den motorischen Reflexkreisen (vgl. Amboss (2021g); vgl. Pape (2014a), S. 898f.). Innerhalb der beiden Gedächtnisformen können verschiedene Gedächtnisunterformen kategorisiert werden, die sich in unterschiedlichen Funktionsbereichen10 voneinander abgrenzen (vgl. Pape (2014a), S. 898).
Die verschiedenen Lernprozesse beschreiben folglich das „Wie“ der Wissensbildung und die Gedächtnisformen das „Wo“ der Speicherprozesse. Inwiefern diese erlernten Kenntnisse als Folge das menschliche Verhalten beeinflussen, ist eng mit der Motivation verknüpft.
Die Motivation beschreibt den intrinsischen Antrieb des Menschen zu der Durchführung eines Handelns (vgl. Amboss (2020b)). Je größer die Motivation ist, desto stärker wird der Handlungsdrang. Die Gründe für eine Motivation liegen in biologischen, primären und subjektiven, sekundären Motiven (vgl. Amboss (2020b)). Zu den primären Motiven gehören lebenserhaltende Handlungen wie Essen, Trinken und Schlafen (vgl. Amboss (2020c); Pape (2014a), S. 896). Sekundäre Motive werden über gewisse Zeiträume erlernt und variieren individuell (vgl. Amboss (2020c)). Ein durch hedonistische Motive wie Lust, Genuss oder Belohnung ausgelöster Handlungsantrieb entsteht häufig im sog. „Motivationszentrum“ des Menschen (vgl. Pape (2014a), S. 896). Es handelt sich hierbei gleichwohl um Bestandteile des limbischen Systems und des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems11 (vgl. Amboss (2020a)). Wichtige, dem mesolimbischen System zugeordnete Areale, sind dopaminerge Nervenzellen aus Teilen des Mittelhirns, die durch den Nucleus Accumbens mit dem limbischen System im Vorderhirn verbunden sind12 (vgl. Amboss (2020a)). Die Funktion des mesolimbischen Systems besteht darin, durch erlernte Reiz-Reaktions-Ketten13 Verhaltensweisen zu automatisieren (vgl. Amboss (2020a)). Dieser Lernvorgang wird als Bahnung14 bezeichnet (vgl. ebd.). Die Stimulation von dopaminergen Regionen wie dem mesolimbischen System führt im Gehirn zu der Wahrnehmung und Speicherung eines „Belohnungseffektes“, ausgelöst u.a. durch die Freisetzung von dem Transmitter Dopamin (vgl. ebd.). Die Motivation zu bestimmten mit der Belohnung assoziierten Verhaltensweisen wird durch diesen Effekt gesteigert (vgl. Pape (2014a), S. 896). Das mesolimbische System beeinflusst stark die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen, da substanzgebundene Drogen das System stören, manipulieren und verändern können (vgl. Pape (2014a), S. 897).
Diese medizinischen Fakten konnten mitunter aus der nicht-invasiven Messung von Hirnfunktionen erarbeitet werden. Es werden elektrophysiologische Techniken (EEG, MEG) und bildgebende Verfahren (CT, MRT, MRS, fMRT) angewandt, um neuronale Aktivitäten zu messen (vgl. Pape (2014a), S. 918).
Vereinfacht erklärt registrieren elektrophysiologische Methoden entweder elektrische Aktivitätsmuster (EEG) oder die magnetischen Felder (MEG), die elektrische Felder begleiten (vgl. Pape (2014b), S. 923f.). Diese elektrischen Signale entstehen durch synaptische Reizübertragungen. Während die zeitliche Auflösung dieser Methoden sehr hoch ist und einen Vorteil bietet, ist die räumliche Auflösung begrenzt und ermöglicht lediglich die Verbildlichung der Aktivitäten von außen gelegenen Hirnstrukturen (vgl. Pape (2014a), S. 919). Bildgebende Verfahren können statische (z.B. CT) und dynamische (z.B. MRT) Bilder des Hirns sowie von Gehirnaktivitäten produzieren. Die dynamischen bildgebenden Verfahren, vorrangig die MRT und die fMRT, sind Hauptbestandteile der neurologischen Forschung im Marketing und eignen sich unterschiedlich gut für einzelne Untersuchungsgebiete (vgl. Harris et al. (2018)). Die fMRT wird okkasionell als „das klassische Verfahren des Neuromarketings“ (Häusel (2012b), S. 233) bezeichnet. Dynamische Verfahren detektieren „lokale Änderungen des Stoffwechselbedarfs bzw. der Hirndurchblutung, die sich aus den regionalen Unterschieden neuraler Aktivität ergeben“ (Pape (2014a), S. 919), auch bekannt unter dem BOLD-Effekt (vgl. Pape (2014a), S. 920; Häusel (2012b), S. 234). Dynamische bildgebende Verfahren gewinnen zunehmend an Bedeutung, da sie strahlenfrei arbeiten und die räumliche Auflösung nicht limitiert ist, obgleich die zeitliche Auflösung hinter den elektrophysiologischen Methoden liegt (vgl. Pape (2014a), S. 919).
Das Neuromarketing ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Bestandteil des Marketings sowie der Neuroökonomie (vgl. Ghardiri (2018)). Definieren und eingrenzen lässt sich das Fachgebiet nach zwei verschiedene Ansätzen. Zum einen wird Neuromarketing „mit dem Einsatz von apparativen Verfahren der Hirnforschung zu Marktforschungszwecken gleich gesetzt.“ (Häusel (2012a), S. 13). Zum anderen kann Neuromarketing ein umfassenderes Spektrum bedienen, wenn Theorien, Wissen und Fakten aus der Neuroforschung im Allgemeinen für Marketingzwecke genutzt werden (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 174; Häusel (2012), S. 14). Im Rahmen dieser Arbeit wird das Neuromarketing als Fachgebiet verstanden, in welchem kognitive Prozesse beobachtet werden, um daraus praxisrelevante Ableitungen für Marketingstrategien ziehen zu können. Dies wird durch den Einsatz von nicht-invasiver Verfahren ermöglicht. Marketer streben hierbei nicht zwingend an, diese kognitiven Abläufe vollständig zu verstehen, sondern beabsichtigen, aus den gewonnenen Erkenntnissen Handlungsbereiche ausfindig zu machen und Strategien für die wirtschaftliche Praxis abzuleiten (vgl. Boksem et al. (2015), S. 490; Plassmann et al. (2015), S. 429). Sie verfolgen absatzorientierte Ziele (vgl. Plassmann et al. (2015), S. 429). Ungeachtet dessen bilden die medizinischen Kenntnisse das Fundament für die Neuromarketingforschung (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 178; Plassmann (2015), S. 428). Innerhalb der Forschung werden verschiedene Methoden (z.B. fMRT, EEG, MEG, Eyetracking, TMS) angewandt, um die Erkenntnislage weiter auszubauen (vgl. Harris et al. (2018)). Eine Übersicht über die einzelnen Technologien, deren Chancen und Risiken sowie den optimalen Anwendungsbereichen liefern Harris et al.. Die Autoren bezeichnen ihre ausführliche Zusammenfassung der Neuromarketingmethoden aus dem Jahr 2018 als die Erste in ihrer Art und ihrem Umfang (vgl. Harris et al. (2018), S. 239f.), welches den Aspekt untermauert, dass das Neuromarketing noch in den „Kinderschuhen“ stecke (vgl. Weber et al. (2012), S. 51). Die Forschung zu diesem jungen Themenfeld ist stärker theoretisch anerkannt als praktisch implementiert. Bislang ist umstritten, ob sich neurologische Studien in einem tatsächlichen Werbeerfolg widerspiegeln könnten (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 178f.; Venkatraman et al. (2015), S. 437). Jedoch steigt das Interesse an Neuromarketing bei Werbeunternehmen sowie bei Großkonzernen wie Google und Estée Lauder, die zu den Kunden von spezialisierten Neuromarketingfirmen zählen (vgl. Plassmann et al. (2015), S. 427). Durch dieses gesteigerte Interesse werden stetig neue Studien zu den Anwendungsmöglichkeiten des Neuromarketings durchgeführt. Die erhöhte Nachfrage und die wachsenden Zahlen von Dienstleistern im Bereich des Neuromarketings zusammen mit technologischen Fortschritten erzeuge positive Auswirkungen komparabel mit Skaleneffekten (vgl. Plassmann et al. (2015), S. 427; Venkatraman et al. (2015), S. 437). Diese umfassen sinkende Administrationskosten und verkürzte Abläufe bei der Durchführung von neurologischen Studien, außerdem sei die Technik einfacher zugänglich (vgl. Plassmann et al. (2015), S. 427; Venkatraman et al. (2015), S. 437; s.a. Plassmann et al. (2012)).
Das Unterbewusstsein und Emotionen haben einen hohen Einfluss auf menschliche Verhaltensweisen. Die B2C-Kommunikation von Unternehmen konzentriert sich dementsprechend immer stärker auf eine emotionale Ansprache des Kunden (vgl. Häusel (2012c), S. 69). Zudem etablieren sich zunehmend emotionsorientierte Marketingstrategien wie bspw. Emotional Branding, Storytelling oder das sensorische Marketing in der Praxis (vgl. Kim et al. (2019), S. 2; Häusel (2016), S. 235; Fuchs (2012), S. 146). Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass über 90% der täglichen Handlungsentscheidungen unbewusst, also im impliziten Gedächtnis, getroffen werden15 (vgl. Scheier et al. (2012), S. 106; Stüvel (2009); Mahoney (2003)). Diese Annahme könnte durch neurowissenschaftliche Informationen insoweit begründet sein, da das implizite Gedächtnis u.a. die unbewussten dauerhaften Reizverarbeitungsprozesse steuert. Die Hirnareale wie das Striatum oder die Amygdala, die funktionell dem impliziten Gedächtnis zugeordnet werden, sind häufig an emotionsverarbeitenden Prozessen beteiligt. Jedoch sind die Zusammenhänge zwischen den kognitiven Vorgängen und den emotionalen Werbebotschaften nicht so weitreichend erforscht, wie es die Fülle der Marketingstrategien, welche auf diesen Prozessen basieren, vermuten lassen könnte.
Die Hirnareale, welche von Neuroökonomen mit besonderem Interesse beobachtet werden, sind nicht strikt festgelegt. Die fMRT und die EEG zeigen Bilder des gesamten Gehirns bzw. aller oberen Strukturen, weshalb bereichsspezifische Studien nicht notwendig sind. Trotzdem sind es vorwiegend die Strukturen des limbischen Systems, welche die Interpretationen und Aussagen einiger Neuromarketingstudien prägen (vgl. Karmarkar et al. (2015); Venkatraman et al. (2015); Berns et al. (2012); Ariely et al. (2010)). Die Areale, dessen Aktivitäten mit vermehrter Häufigkeit genannt werden und dadurch als relevant eingestuft werden, sind u.a. das Striatum mit dem Nucleus Accumbens, die Amygdala und der Hippocampus, die funktionell Bestandteile des limbischen System darstellen (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 178; Kenning (2012), S. 28; Levy et al. (2012), S. 1035). Externe Reize, wahrgenommen z.B. durch Werbung, Markenzeichen oder Produkte, können eine starke oder schwache Reizweiterleitung auslösen, bei welcher u.a. Neurotransmitter freigesetzt werden. Diese Informationsübermittlung zeigt sich über eine erhöhte Aktivität in den jeweiligen Arealen und kann durch bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden.
Nach dem aktuellen Stand der Forschung können Aktivitäten in dopaminergen Hirnarealen mit einer positiven Bewertung von Objekten in Verbindung gesetzt werden (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 178; Ariely et al. (2010), S. 286). Aktivitäten in dem dopaminergen Striatum seien u.U. sich eignende Indikatoren, um eine Kaufentscheidung über ein bestimmtes Objekt vorherzusagen (vgl. Venkatraman et al. (2015), S. 440 ; Ariely et al. (2010), S. 286; s.a. Berns et al. (2012); Yin et al. (2008); Knutson et al. (2007)). Unter der Prämisse, dass ein bestimmtes Produkt als Belohnung angesehen werden kann, lassen sich diese Erkenntnisse mit den folgenden kognitiven Prozessen verknüpfen. Die Freisetzung des Neurotransmitters Dopamin im Striatum löst ein positives Gefühl schon vor der realen Belohnung aus, insofern ein Reiz als Belohnungsträger im Gedächtnis gespeichert ist oder belohnungsversprechend wirkt (vgl. Pape (2014a), S. 896). Das Gehirn generiert folglich bei der Kenntnisnahme eines solchen Reizes automatisch einen emotional erlebten Vorgeschmack auf einen Zustand, der durch den Konsum eines Objektes ausgelöst werden könnte. An dieser Stelle knüpfen Neuromarketingstudien an. Das Maß an Aktivität im Striatum könne laut Studien von Venkatraman et al. und Berns et al. als Indikator für den Grad der Begierde, den ein Objekt auslöse, interpretiert werden (vgl. Venkatraman et al. (2015), S. 449; Berns et al. (2012), S. 154f.).
Neben der Erforschung von kaufmotivierenden Faktoren verfolgen weitere Studien einen alternativen Ansatz, nach welchem demotivierende neurologische Faktoren untersucht werden. Eine Studie zu den Auswirkungen eines Serotoninmangels auf Kaufentscheidungen ergänzt den aktuellen medizinischen Wissensstand, nach welchem der Mangel u.a. zu Antriebslosigkeit und Interessenverlust führen kann (vgl. Amboss (2021c)). Die Autoren legen dar, dass ein Serotoninmangel die Kauflust mindere und hemmen könne (vgl. Lichters et al. (2016) S.191f.). Die Wissenschaftler entnehmen diesen Erkenntnissen, dass Unternehmer einem potentiellen Serotoninmangel entgegenwirken sollten, indem eine natürliche Ausschüttung von Serotonin begünstigt wird (vgl. Lichters et al. (2016), S. 192). Eine solche Maßnahme ließe sich unter anderem durch mehr Lichtzufuhr am POS bewirken (vgl. Lichters et al. (2016), S. 192; s.a. Koc et al. (2014)) oder durch das Kommunikationsmittel Storytelling bei der Kundenansprache (vgl. Phillips (2017)). Dementsprechend spielen vor allem Dopamin sowie Serotonin eine Rolle im emotionsorientierten Bereich des Neuromarketings.
Zusätzlich erkennen Marketer in Bezug auf affektive Reaktionen und Haltungen einen Einfluss von Erinnerungen und dem Gedächtnis. Die diesbezüglich bekannteste Studie ist die Coca Cola Studie aus dem Jahr 2004, aus welcher der Begriff des Neuromarketings hervorgegangen sei (vgl. Häusel (2012a) S. 12). Aus der MRT-Studie ging hervor, dass die Markennennung von Coca Cola einen Teil des Gehirns stimulierte, der mit dem Gedächtnis und expliziten Assoziationsvorgängen verknüpft wird (vgl. McClure et al. (2004)). Diese erinnerungsfunktionalen Areale, z.B. der Hippocampus werden seit der Erarbeitung dieser Erkenntnisse mit besonderem Interesse betrachtet (vgl. Chan et al. (2018); Harris et al. (2018), S. 246f.; Stallen et al (2010)). So legen neurologische Daten einer Studie bspw. nahe, dass bei dem Celebrity Endorsement die abgebildete, prominente Person mit Erinnerungen assoziiert werde, welche einen emotionalen Bezug zu dem beworbenen Objekt herstellen könne (vgl. Stallen et al. (2010), S. 808f.).
In diesem Kapitel werde ich auf den aktuellen Forschungsstand von Neuromarketing anhand expliziter Studien eingehen. Die Studien wurden innerhalb der letzten 10 Jahre durchgeführt. Außerdem sind die vorgestellten Publikationen aus dem Journal of Consumer Research oder dem Journal of Marketing Research, welche beide als weltweit führende wissenschaftliche Journals im Bereich des Marketing eingestuft wurden (vgl. Henning-Thurau et al. (2015)). Die in den Studien beschriebenen Handlungsempfehlungen sollen gebündelt zusammengefasst erkennen lassen, welche Richtung die Neuromarketingforschung aktuell einschlägt. Inwiefern die in diesen Studien kommunizierten Handlungsmöglichkeiten in der Praxis Anwendung finden, ist nicht bekannt.
Laut Telpaz et al. liege eine vielversprechende Spezialisierung in der Neuromarketingforschung darin, die unternehmenseigenen Kommunikationsstrategien zu optimieren (vgl. Telpaz et al. (2015), S. 511). In diesem Bereich werden, mithilfe von neurologischen Methoden, Faktoren analysiert, welche die Entscheidungsfindung eines Konsumenten beeinflussen können. In der Durchführung unterscheiden sich die Studien zu diesem Gebiet stark in ihren Forschungsansätzen. Allerdings treten Parallelen in der Vorgehensweise auf, da mehrere Studien qualitative sowie neurologische Methoden nutzen, um die generierten Ergebnisse besser und im direkten Vergleich zueinander interpretieren zu können (vgl. Karmarkar et al. (2015); Venkatraman et al. (2015); Craig et al. (2012)).
Ein Forschungsansatz zu den Entscheidungsfindungen von Konsumenten untersucht mithilfe neurologischer Techniken die Wirkung des Preises. Karmarkar et al. knüpfen an der bestehenden Forschung zu Primacy an, welche die Reihenfolge, nach welcher der Konsument bestimmte Produktattribute präsentiert bekommt, evaluiert (vgl. Karmarkar et al. (2015), S. 468). Die Nennung des Preises vor der Erläuterung anderer produktspezifischer Informationen beeinflusse den Kunden in seinen Entscheidungen (vgl. Karmarkar et al. (2015), S. 468; s.a. Johnson et al. (2007); Weber et al. (2007); Tavassoli et al. (2004)). Auch habe die Reihenfolge der Präsentation mehrerer Produkte einen Einfluss auf die abschließende Kaufentscheidung zu den dargelegten Produkten (vgl. Karmarkar et al. (2015), S. 468; s.a. Mantonakis et al. (2009); Bruine de Bruin (2005)). In der fMRT-Studie wurde die Price Primacy untersucht, d.h. inwieweit eine Veränderung der Reihenfolge, nach welcher der Preis und das Produkt dem Kunden präsentiert werden, die Kaufentscheidung verändern kann (vgl. Karmarkar et al. (2015)). Sich auf vorhergehende Studien stützend (vgl. Karmarkar (2015), S. 469; s.a. Levy et al. (2012); Smith et al. (2010); Hare et al. (2009); Knutson et al. (2007)), werten die Autoren Aktivitäten im medialen präfrontalen Kortex als Indikator für die bewusste Informationsverarbeitung und Bewertung von Objekten (vgl. Karmarkar et al. (2015), S. 469). Die individuell wahrgenommene Attraktivität eines Objektes könne über die Messung der Aktivität des Nucleus Accumbens veranschaulicht werden (vgl. ebd., S. 469). Die fMRT zeigte, dass die verbildlichten Hirnaktivitäten voneinander abweichen, sobald die Reihenfolge von produktrelevanten Informationen verändert wird (vgl. ebd., S. 476). Die Wissenschaftler entnehmen den Ergebnissen der Studie, dass die wahrgenommene Attraktivität eines Produktes zwar unabhängig von der Abfolge sei, jedoch führe ein vorab kommunizierter Preis zu einer kritischeren Bewertung der jeweiligen Produkte (vgl. ebd., S. 476). Der Bewertungsprozess könne hier davon beeinflusst werden, dass der Kunde zunächst einschätze, ob das Produkt dem Preis entspreche, wohingegen ein Produkt ohne Preisangabe zunächst nach dem persönlichen Gefallen und Nutzen bewertet werden könne (vgl. ebd., S. 476). Diese Erkenntnisse seien besonders im Onlinehandel interessant, da dort die Reihenfolge der Informationszufuhr häufig vorbestimmt werden könne (vgl. ebd., S. 478).
Eine Untersuchung von Craig et al. konnte zeigen, dass Werbeanzeigen in Abhängigkeit von ihrer Glaubhaftigkeit unterschiedliche kognitive Reaktionen hervorrufen (vgl. Craig et al. (2012), S. 362). Innerhalb der Studie wurde der BOLD-Effekt in Bezug auf die Wahrnehmung unterschiedlich glaubhafter Botschaften in normalen und in Stresssituationen gemessen (vgl. Craig et al. (2012), 367). Mithilfe von der fMRT ließ sich u.a. in einer stressfreien Situation eine Korrelation zwischen einer erhöhten Hirnaktivität und leicht unglaubwürdigen Anzeigen nachweisen (vgl. ebd., S. 369). Trotzdem könne die verstärkte Verarbeitung solcher Botschaften zu höheren Zweifeln gegenüber der Werbung und dem Produkt führen und eine Diskriminierung des Produktes im Auswahlprozess zur Folge haben (vgl. ebd., S. 369f.). Diese Interpretation resultiert in der Empfehlung der Autoren an Marketer, keine stark überspitzten Werbebotschaften zu nutzen (vgl. ebd., S. 370). Die Aufmerksamkeit verstärke sich zwar durch diese Herangehensweise, jedoch seien die negativen Folgen von ausgelösten Unsicherheiten seitens des Kunden zu berücksichtigen (vgl. ebd., S. 369f.).
Neben den genannten Studien gibt es viele weitere Ansätze, welche versuchen, die Einflussfaktoren auf Kaufentscheidungen entzerrt zu untersuchen, um eine optimierte Kommunikationspolitik zu ermöglichen (vgl. Harris et al. (2018)).
Eine weitere Spezialisierung innerhalb des Neuromarketings liegt in der Optimierung von Vorhersagen. Wirtschaftsakteure treffen beständig zukunftsorientierte Entscheidungen. Um solche Entscheidungen zu erleichtern, werden Modelle aus der Mathematik und Statistik herangezogen, welche zukünftige Entwicklungen prognostizieren. Forscher untersuchen mit zunehmender Häufigkeit, inwiefern diese Modelle um Daten aus der Neurowissenschaft erweitert werden können (vgl. Boksem et al. (2015); Venkatraman et al. (2015), S. 449; Berns et al. (2012)). Venkatraman et al. dokumentierten im Verlauf einer Studie die Reaktionen von Probanden auf mehrere TV-Werbeclips mithilfe verschiedener Neuromarketingtools, um die generierten Daten mit realen Verkaufszahlen und dem quantifizierten Wirkungsgrad von Werbung abzugleichen (vgl. Venkatraman et al. (2015)). Die Autoren konnten Parallelen zwischen Aktivitäten im Striatum, inkl. Nucleus Accumbens, und im medialen präfrontalen Kortex, inkl. Hippocampus, und realen Marktkennzahlen herstellen (vgl. ebd., S. 449). Marketer könnten, nach Aussage der Forschenden, durch die statistische Extrapolation von neurologisch gewonnenen Kennzahlen die Aussagekraft von Werbeerfolgsprognosen verbessern (vgl. ebd., S. 450). Die Studie von Venkatraman et al. baut auf den 2012 generierten Erkenntnissen von Berns et al. auf (vgl. ebd., S. 449). Innerhalb dieser Studie wurde untersucht, inwieweit sich der Erfolg von Musikalben mithilfe von verbildlichten Hirnaktivitäten, generiert durch die Durchführung von fMRT, vorhersagen lässt (vgl. Berns et al. (2012)). Beide Studien unterstützen die These, dass eine Aktivität des Striatum / medialen präfrontalen Kortex als aussagekräftiger Indikator für den Erfolg, d.h. den Umsatz, eines Produktes gewertet werden kann (vgl. Venkatraman et al. (2015), S. 449f.; Berns et al. (2012), S. 159). Eine Studie von Barnett et al. stärkt diese Ergebnisse, da in dieser Testreihe neuronal beobachtbare Reaktionsmuster auf Filmtrailer in Beziehung zu den Verkaufszahlen von Kinotickets gesetzt werden konnten (vgl. Barnett et al. (2017), S. 166). Eine 2015 im Journal of Marketing Research veröffentlichte EEG Studie untersuchte einen ähnlichen Zusammenhang. Die Autoren Boksem et al. stellten die neurologischen Reaktionen auf Filmtrailer in Bezug zu dem kommerziellen Erfolg der jeweiligen Filme (vgl. Boksem et al. (2015)). Konsistent mit den bisherigen Ausführungen beschreibt diese Studie, dass Aktivitäten in Arealen, die zum menschlichen Belohnungsapparat (u.a. Striatum) gehören, sowie in Bereichen, die für Lern- und Gedächtnisprozesse zuständig sind (u.a. Hippocampus), in signifikantem Maße mit positiven Bewertungen und dem Erfolg der Filme korrelieren (vgl. Boksem et al. (2015), S. 487ff.). In ihrem Fazit weisen die Autoren darauf hin, dass für eine Anwendung der Ergebnisse in der Praxis nicht die genaue Bedeutung der Aktivitäten wichtig sei (vgl. ebd., S.490). Ausreichend relevant seien neurologische Muster und die Beobachtung, dass eine Korrelation zwischen messbaren Aktivitäten und realen, wirtschaftlichen Zahlen bestehe (vgl. ebd., S. 490). Zusammenfassend könnten sich Erfolgsprognosen, zumindest in bestimmten Branchen und nach dem aktuellen Forschungsstand, durch den Einbezug neurologischer Daten ergänzen lassen. Der gegenwärtige Stand der Forschung vermittelt, dass die Neuroforschung bei der Optimierung dieser Berechnungen helfen könne.
Zurzeit erlaubt das Neuromarketing hauptsächlich, konventionelle Marketingtheorien mit wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen zu untermauern und versucht, messbare Werte zu schaffen, um Modelle zu erweitern (vgl. Karmarkar et al. (2019), S. 179; Plassmann et al. (2015), S. 428). Die durchgeführten Studien stärken die These einiger Wissenschaftler, dass das Neuromarketing als ein unterstützendes, und nicht als ein ersetzendes Marketingtool eine große Chance biete (vgl. Pozharliev et al. (2017), S. 352; Plassmann et al. (2015), S. 428). Die Hoffnungen von Neuromarketern und Unternehmern lägen bisher darin, durch die Messung von Hirnaktivitäten Produkte zielgerichteter produzieren zu können und den Kunden mit optimierter Werbung wirksamer anzusprechen (vgl. Telpaz et al. (2015), S. 511f.; Scheier et al. (2012), S. 100; Ariely et al. (2010), S. 284). Die in diese Richtung gehenden Ausblicke für die zukünftige Implementierung des Neuromarketings in der Wirtschaft werden stets in den wissenschaftlichen Artikeln kommuniziert. Beispielsweise gebe es, laut Berns et al., einen Grund zu der Annahme, dass sich zukünftig der Erfolg, in Form von Absatzmengen, schon vor der Markteinführung eines Produktes prognostizieren ließe (Berns et al. (2012), S. 154). Weitere Fortschritte in dem Bereich der Prognose von Präferenzen und Erfolgschancen könnten den Unternehmen ermöglichen, Risiken innerhalb der Produktentwicklung bis zum Produktlaunch zu minimieren und Verluste, z.B. durch Fehlkalkulationen, vorzubeugen (vgl. Boksem et al. (2015), S. 490). Zudem ließen sich Marketing und Branding Budgets zielgerichteter und effizienter einsetzen, wenn sie in potentiell gewinnbringende Produkte und Brands investiert werden würden (Berns et al. (2012), S. 160). Im Umkehrschluss bestünde die Möglichkeit, Produkte mit geringen Adaptions- und Erfolgschancen früher zu erkennen (vgl. Boksem et al. (2015), S. 490). Auch die Lebensmittelbranche könnte von ähnlichen Studien und daraus folgenden Prognosen profitieren, da sich Geschmacksrichtungen z.T. aussagekräftiger durch bildgebende Verfahren darstellen ließen als in Umfragen (vgl. Ariely et al. (2010), S. 288f.). Dies würde nicht nur die Produktionskosten beeinflussen; auch die Werbekosten könnten durch neurologisch begründete Vorhersagen reduziert werden. Zusätzlich sei eine Optimierung von Werbebotschaften und -maßnahmen mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand des Neuromarketings in Zukunft im Bereich des Möglichen (vgl. Aribarg et al. (2020); Venkatraman et al. (2015); Craig et al. (2012)). Dementsprechend bestehe trotz der hohen Forschungsinvestitionen laut einiger Wissenschaftler die Chance, Kostenvorteile durch den Einsatz von neurologischen Forschungsmethoden zu generieren (vgl. Telpaz et al. (2015), S. 511f.; Ariely et al. (2010), S. 284;).
[...]
1 s. Abb. 3 (s. Anhang, S. XXII).
2 s. Abb. 4 ,5 (s. Anhang, S. XXII, XXIII)
3 s. Abb. 6 (s. Anhang, S. XXIII)
4 s. Abb. 4, 5 (s. Anhang, S. XXII, XXIII)
5 s. Abb. 7 (s. Anhang, S. XXIV)
6 s. Abb. 8, 9 (s. Anhang, S. XXIV, XXV)
7 s. Abb. 1 (S. 24)
8 s. Abb. 10 (s. Anhang, S. XXV)
9 s. Abb. 11 (s. Anhang, S. XXVI)
10 s. Abb. 12 (s. Anhang, S. XXVI)
11 s. Abb. 13 (s. Anhang, S. XXVII)
12 s. Abb. 14 (s. Anhang, S. XXVII)
13 s. Abb. 2 (S. 24)
14 s. Abb. 12 (s. Anhang, S. XXVI)
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