Masterarbeit, 2020
187 Seiten, Note: 1,7
1 Einleitung
2 Die krankhafte Angst
2.1 Klinische Erscheinungsformen der Angst
2.2 Epidemiologische Daten und Komorbidität
2.3 Diagnostizierung der Spezifischen Phobie
2.4 Die Leitlieniengerechte Behandlung von Spezifischen Phobien
2.4.1 Die kognitive Verhaltenstherapie
2.4.2 Psychoedukation
2.4.3 Rational emotive Therapie
2.4.4 Entspannungsverfahren
2.4.5 Exposition
2.4.5.1 Formen der Konfrontation
2.4.5.2 Wirksamkeit und Wirkmechanismen der Exposition
2.5 Expositionstherapie in der Praxis
2.5.1.1 Ablauf einer Expositionstherapie bei Angstpatienten
2.5.1.2 Versorgungsdefizite der Expositionstherapie
2.5.1.3 Quantität und Qualität der Expositionstherapie
3 Forschungsstand und Problemstellung
3.1 Neuer Markt Digital Mental Health
3.1.1 Internetbasierte Interventionen vs. gemischte Psychotherapie
3.1.2 Wirksamkeit von Online-Interventionen
3.1.3 Einschränkungen
3.2 Inhalte gemischter Psychotherapie
3.3 Beispielhafter Lösungsansatz für die Expositionstherapie
3.3.1 Stand-Alone Online Intervention
3.3.2 Gemischte Psychotherapie
3.4 Prozesse der Einstellungsbildung gegenüber technischen Innovationen
3.4.1 Individuumbezogenes Adoptionsparadigma
3.4.2 Individuenbezogenes Akzeptanzparadigma
3.4.3 Theoretischer Bezugsrahmen
3.5 Zusammenfassende Problemstellung und Ableitung der Fragestellung
4 Methodik
4.1 Datenerhebungsmethode
4.2 Tiefeninterview als methodisches Erhebungsinstrument
4.2.1 Inhaltliche Bestimmung und Charakteristika des Interviews
4.2.2 Begriffsabgrenzung und Definitionsversuch
4.2.3 Assoziative, projektive und kreative Verfahren
4.3 Der Untersuchungsaufbau
4.3.1 Erstellung eines tiefenpsychologischen Leitfadens
4.3.2 Auswahl der Stichprobe
4.3.3 Datenerhebung
4.3.3.1 Vor dem Interview
4.3.3.2 Ablauf des Interviews
4.3.3.3 Strichprobenbeschreibung
4.3.3.4 Persönliche Bewertung der Interviews
4.4 Auswertungsmethode nach Mayring
4.4.1 Ablauf der qualitativen Inhaltsanalyse
4.4.2 Anwendung des Ablaufmodells auf den Untersuchungsgegenstand
5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Beschreibung der induktiven Kategorien
5.1.1 Hauptkategorie 1: Hindernisse für eine klassiche Psychotherapie
5.1.2 Hauptkategorie 2: Vorteile einer appbasierten Lösung
5.1.3 Hauptkategorie 3: Erste Anlaufstelle für Hilfe
5.1.4 Hauptkategorie 4: Gründe für Vertrauen in einer app basierte Lösung
5.1.5 Hauptkategorie 5: Gründe für Misstrauen in eine app basierte Lösung
5.1.6 Hauptkatgorie 6: Vorteile einer gemischte Therapie
5.1.7 Hauptkategorie 7: Zahlungsbereitschaft
5.1.8 Hauptkategorie 8: Typischer Verwender
5.2 Interpretation der Kategorien
5.2.1 Interpretation: Hindernisse für eine klassische Psychotherapie
5.2.2 Interpretation: Vorteile einer app basierten Lösung
5.2.3 Interpretation: Erste Anlaufstelle für Hilfe
5.2.4 Interpretation: Gründe für Vertrauen in eine app basierte Lösung
5.2.5 Interpretation: Gründe für Misstrauen in eine app basierte Lösung
5.2.6 Interpretation: Vorteile einer gemischten Therapie
5.2.7 Interpretation: Zahlungsbereitschaft
5.2.8 Interpretation: Typischer Verwender
5.3 Zusammfassung der Ergebnisse und Ableitung des Adoptionsprozess
5.4 Gütekriterien der vorliegenden Forschung
5.5 Limitationen
6 Fazit
6.1 Implikationen für die Praxis
6.2 Abschließende Stellungnahme
Abbildung 1: 12-Monatsprävalenz von Angststörungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung
Abbildung 2: Durchschnittliches Alter bei Beginn von Angststörungen
Abbildung 3: Der Teufelskreis der Angst
Abbildung 4: Teufelskreis am Beispiel einer spezifischen Phobie
Abbildung 5: ABC-DE Modell
Abbildung 6: The Vicious Cycle of Avoidance
Abbildung 7: Vor- und Nachteile von Online-Interventionen
Abbildung 8: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Einleitung
Abbildung 9: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Expositionsübung
Abbildung 10: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Nach der Übung
Abbildung 11: Skizzierung des Verlaufs einer gemischten Expositionstherapie
Abbildung 12: Ableitung des Adoptionsprozesses
Tabelle 1: Klinische Erscheinungsformen der Angst (nach ICD-10 Kapitel V, 1994)
Tabelle 2: Körperliche Veränderung im parasympathischen und sympathischen System
Tabelle 3: Liste mit 12 weitverbreiteten irrartionalen Überzeugungen
Tabelle 4: Modalität der Stimuluspräsentation in der Expositionstherapie
Tabelle 5: Beispiel einer Online Intervention bei Depressionen
Tabelle 6: Kennzeichen eines Tiefeninterviews
Tabelle 7: Die wichtigsten psychologischen Methoden
Tabelle 8: Stichprobeschreibung
Tabelle 9: Mögliche Zahlungsmodelle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die vorliegende Master Thesis beschäftigt sich mit einer qualitativen Akzeptanzanalyse hinsichtlich einer fiktiven internetbasierende Lösungsalternative der Expositionstherapie für Angstpatienten. Aufgrund des Versorgungsdefizites der psychotherapeutischen Interventionen bei psychischen Störungen, welche durch eine lange Wartezeit sowie die erlebte Stigmatisierung der Betroffenen charakterisiert wird, hat sich in den letzten Jahren der E-Mental-Health Markt in Detuschland weiter ausgebreitet. Im Rahmen dieser Entwicklung, werden internetbasierte Methoden zur Bewältigung und Behandlung von psychischen Störungen angeboten. Die internetbasierten Alternativen, können sowohl alleinig, in Form einer App oder einer Website von Betroffenen genutzt werden, oder im Rahmen der gemischten Psychotherapie in persönlicher oder telefonischer Begleitung eines Psychotherapeuten stattfinden. Obwohl Letztere, eine hohe Wirksamkeit zeigt, wurde diese bisher noch nicht ausgiebig erforscht. Im Rahmen dieser Arbeit wurden tiefenpsychologische Interviews mit Angstpatienten geführt, welche Aufschluss über wahrgenommene Vorteile sowie relevante Faktoren hinsichtlich der Nutzung der skizzierten internetbasierten Lösung der Expositionstherapie geben. Hierbei lag das Ziel der Arbeit darin, Faktoren zu extrahieren, die einen möglichen Erfolg und Markteintritt einer gemischten Psychotherapie hinsichtlich der Exposition erklären und bisherige quantitative Akzeptanzmodelle für innovative Technologie, um qualitaitv erhobene Faktoren aus Gesundheitsbereich erweitern.
Anhand der qualitativen Erhebungs- und Auswertungsmethode wurden 8 Hauptkategorien gefunden, aus denen ein theoretisches Modell über den Adoptionsprozess von Angstpatienten hinsichtlich einer internetbasierten Innovation erstellen werden konnte. Basierend auf den analysierten Faktoren, können bisherige Akzeptanzmodelle weiterentwickelt erweitert werden, die es durch eine quantitative Forschung zu testen und bestätigen gilt.
The present master thesis deals with a qualitative acceptance analysis with regard to a fictitious internet-based alternative solution of exposure therapy for anxiety patients. Due to the lack of psychotherapeutic interventions for mental disorders, which is characterized by a long waiting period and the stigmatization of those affected, the e-mental health market in Germany has expanded in recent years. In the context of this development, internet-based methods for coping with and treating mental disorders are offered. The internet-based alternatives can be used by patients on their own, in the form of an app or a website, or as part of mixed psychotherapy, where there is a personal or telephone support of a psychotherapist. Although the latter is highly effective, it has not yet been extensively re-searched. In the context of this work, depth psychological interviews were conducted with anxiety patients, which provide information about perceived benefits as well as relevant factors regarding the use of the outlined internet-based solution of Expositions therapy. The aim of this work is to extract factors that explain a possible success and market entry of a mixed psychotherapy with regard to exposure and to extend existing quantitative ac-ceptance models for innovative technology by qualitatively collected factors from the health care sector.
Based on the qualitative survey and evaluation method, 8 main categories were found, from which a theoretical model of the adoption process of anxiety patients with regard to an internet-based innovation could be developed. Based on the analysed factors, existing acceptance models can be further developed and extended, which have to be tested and confirmed by quantitative research.
Diese Arbeit widme ich allen Personen, deren Leben von Angst geprägt ist. Ich hoffe, dass wir uns in eine Zukunft bewegen werden, in der Menschen angstfrei leben können und sich frei fühlen, etwas gegen ihre Störung zu unternehmen. Die vorliegende Arbeit sehe ich als einen Schritt gegen die Stigmatisierung von psychischen Störungen an und hoffe, dass dies ein Anstoß dafür ist, dass Betroffene einen Schritt Richtug Genesung gehen können. Ich bedanke mich bei der Abteilung Psychosomatik im Klinikum Höchst in Frankurt , welche mir im Rahmen einer stationären Therapie, die Expositionsübungen nähergebracht und damit einen Grundstein dafür gelegt hat, dass ich mich mit dieser Thematik auseinandersetze.
In Deutschland leiden 15,4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, zwischen 18 und 65 Jahren, an einer Angststörung. Somit zählt diese Störung, neben den affektiven Störungen (9,8 Prozent) und dem Alkohol- und Medikamentenkonsumen (5,7 Prozent) zu den häufigsten psychischen Störungen in Deutschland (Jacobi et al., 2014). Die gesunde, normale Angstreaktion gegenüber realen Gefahren, verselbständigt sich bei Betroffenen zu einer übermäßigen, exzessiven Angst gegenüber harmlosen äußeren und inneren Stimuli (Riechert, 2015). Folgen einer solchen psychischen Störung sind die Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit, eine verminderte Lebensqualität sowie eine 60% höhere Wahrscheinlichkeit für Suizidalität (American Psychiatric Association, 2013). Nach der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (2017), werden die Hälfte der Betroffenen nicht leitliniengerecht behandelt. Die Folgen einer Nichtbehandlung können Persistenz, bzw. zu einer Verschlechterung sowie Ausweitung des Störungsbildes sein, welche indirekte und direkte Kosten für die Bundesrepublik Deutschland nach sich ziehen.
In Deutschland werden die Kosten einer therapeutischen Intervention bei psychischen Störungen von den Krankenkassen übernommen; die Psychotherapie ist demnach kostenfrei für Patienten (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V., 2017). Psychische Verhaltensstörungen sowie affektive Störungen nehmen in den letzten Jahren deutlich zu, was zu einem Ungleichgewicht von Angebot an Therapieplätzen und Nachfrage seitens der Patienten geführt hat. Daraus resultiert eine lange Wartezeit von durchschnittlich 14,5 Wochen für einen ambulanten Therapieplatz. In der Zwischenzeit müssen Betroffene ihre Symptome aushalten und erfahren keine professionelle Beratung oder Unterstützung. Dieser Zustand kann dazu führen, dass sich die Symptome verschlechtern und die Störung sich auf andere Affekte ausbreitet (Wancata, Freidl & Fabian, 2011). Zudem wird die wirksamste Therapiemethode, die Expositionstherapie, gegen Angststörungen in der Praxis zu selten und häufig nicht leitliniengerecht angewendet (Foa, Yadin & Lichner, 2012). Aus Studien ging hervor, dass eine kognitive Verhaltenstherapie mit Expositionsverfahren eine Symptomreduktion zwischen 50 und 70 Prozent erreichen kann (Foa & Kozak, 1995). Mit der technologischen Entwicklung und des Versorgungsdefizites hinsichtlich psychotherapeutischer Interventionen, hat sich ein E-Mental-Health Markt etabliert, welcher schnelle und praktikable Online-Interventionen für Betroffene anbietet. Stand-Alone Programme, wie Calm und Sanvello, bieten psychoedukative Elemente an, welche ohne therapeutische Begleitung zu einer Symptomreduktion führen sollen. Eine weitaus wirksame Variante der internetbasierten Interventionen ist die Form der gemischten Therapie, in der Psychotherapeuten die Online-Interventionen telefonisch, per E-Mail oder mithilfe eines Einzelgesprächs begleiten. Obwohl eine Wirksamkeit dieser psychotherapeutischen Intervention bestätigt wurde, ist die gemischte Therapie aktuell noch wenig erforscht worden (Hedman, Ljotsson & Lindefors, 2012). Im Sinne der Expositionsbehandlung, welche seit 2006 in die Leitlinien des National Institute for Health and Care Excellence und 2007 in die Leitlinien der American Psychological Association als wesentliches Therapieelement aufgenommen wurde (Hillebrand & Niedermeier, 2014), wird in der vorliegenden Arbeit eine app basierte Lösungsalternative skizziert. Im Zusammenhang mit der Entwicklung einer App stehen allerdings hohe Entwicklungskosten, welche für Entwickler ein Risiko darstellen. Um ein gegebenes Investitionsrisiko zu mindern, soll eine qualitative Akzeptanzanalyse durchgeführt werden, um die Forschungsfrage zu klären, welche Faktoren für die Akzeptanz oder Annahme einer solchen Online-Intervention von Relevanz sind. Basierend auf den extrahierten Faktoren, können daraufhin weitere quantitative Untersuchungen stattfinden, welche dazu dienen können bisherige Akzeptanzmodelle auf den Gesundheitsbereich weiterzuentwickeln. Der Aufbau der Thesis basiert auf der Erläuterung des Krankheitsbilds der Angst und Behandlungsmöglichkeiten für das Störungsbild der spezifischen Phobien. Darauffolgend wird Stellung zum aktuellen Forschungsstand bezüglich der Anwendung der Expositionstherapie und zu Formen der Online-Interventionen und der gemischten Psychotherapie genommen, um daraus die Problemstellung abzuleiten und daraus resultierende Fragestellung zu formulieren. Der Fokus der Arbeit liegt auf dem empirischen Vorgehen, welches im Kapitel 4 näher beschrieben wird. Die letzten beiden Kapitel beschäftigen sich mit der Präsentation der Ergebnisse und mit der Ableitung der Handlungsempfehlung für die Forschung und die Praxis.
Angst ist eine überlebenswichtige und natürliche Emotion des Menschen, die dem Individuum dabei hilft, Gefahrensituationen zu bewältigen bzw. sich vor individuellen Schäden zu schützen. Diese Emotion äußert sich auf allen Ebenen des menschlichen Erlebens und Verhaltens. Im kognitiven und emotionalen Bereich betrifft die Angstreaktion eine Einengung der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit gegenüber gefahrenrelevante Reize. Damit wird bewirkt, dass die Aufmerksamkeit auf die Gefahrenquelle gerichtet wird, um diese mit zwei Alternativen, Kampf oder Flucht, für den Organismus unschädlich zu machen (Scheck, Möller, Küchenmann, Lubberger & Polowinski, 2013). Auf körperlicher Ebene, wird eine Alarmreaktion des sympathischen Systems aktiviert, welche zu Angstsymptomen führt. Bemerkte körperliche Veränderungen können u.a. Herzrasen, Schwitzen, Beschleunigung des Atems und Zittern sein. Bei einer bemerkten Gefahrenquelle, reagiert der Organismus mit einer Vielzahl an physiologischen Reaktionen, die dazu benötigt werden die Gefahrenquelle überwinden zu können (Gerring & Zimbardo, 2008). Gefahrenquellen sind evolutionsbedingt diejenigen Außen- oder Innenreize, die unser Überleben gefährden. Heutzutage sind diese Beeinträchtigungen des Lebens, vor Allem in der westlichen Kultur, eher selten anzutreffen bzw. nicht lebensgefährlich. Häufiger sind heutzutage seelische Bedrohungen, wie Ablehnung oder Kritik im Beruf, Mobbing, Arbeitslosigkeit oder auch Klimaveränderungen anzutreffen (Riechert, 2015). Das Gefahrensystem unserer Körpers, welches bei einer vorhanden Gefahrenquelle aktiviert wird, läuft nach einem automatisierten System ab, welches sich seit vielen Jahrtausenden bewährt und nicht weiter aktualisiert hat. Das vegetative Nervensystem unterscheidet demnach nicht, ob der vorhandene Reiz tatsächlich lebensbedrohlich ist, oder nicht, sondern reagiert im Zuge unserer Bewertung der Gefahrenquelle (Gerring & Zimbardo, 2008). Demnach reagiert der Mensch heute auf seelische Bedrohungen, genauso wie auf eine lebensbedrohliche Situation vor vielen Jahrtausenden, wenn die Interpretation der Bedrohung eine Gefahr besteht. Bei Gefahren, wie der Bedrohung unseres Selbstwertgefühls oder einer körperlichen Bedrohung, ist eine Angstreaktion sinnvoll und gesund, denn die Aktivierung des Sympathikus hat den Nutzen, Energien im Organismus freizusetzen, um Höchstleistungen zu erzielen. Angst wird dann klinisch auffällig, wenn diese Emotion auch ohne reale Bedrohung bzw. unangemessen stark und häufig auftritt. Dieses Phänomen wird als Angsterkrankung bzw. Angststörung bezeichnet, welches verschiedene Krankheitsbilder zusammenfasst, bei welchen eine Fehlsteuerung auf dem Angst-Stress-Reaktionssystem zugrunde liegt. Bei einer Angststörung reagiert der Körper mit einer sehr starken Angstreaktion, ohne erkennbaren Angstauslöser bzw. durch eine fehlerhafte Gefahreneinschätzung von unbedrohlichen Reizen, wie u.a. Spinnen, Mäusen, Menschenansammlungen, geschlossenen Räumen und vielen weiteren, ungefährlichen Reizen (American Psychiatric Association, 2013). Die exzessive und unangemessene Angst führt zu erheblichen Lebensbeeinträchtigungen und Belastungen für die Betroffenen. Zudem entwickeln Angstpatienten eine Eigendynamik hinsichtlich ihrer Angst, sodass die Störung permanent aufrechterhalten wird. Diese häufig auftretenden Ängste, führen oftmals zu einer vermeintlichen Gefahrenvermeidung, die Betroffene davon abhält, Situationen zu erzeugen, die Angst in ihnen auslöst. Nicht nur die Angst selbst ist irrational und unangemessen stark, auch die sich etablierende Erwartungsangst vor bestimmten Stimuli, schränkt die Lebensführung der Betroffenen ein. Dies kann dazu führen, dass Personen öffentliche Orte, soziale Kontakte aber auch den Berufsalltag vermeiden bzw. sabotieren, um die erwartete Angst im Zusammenhang mit einem angstauslösenden Reiz zu umgehen (Riechert, 2015). Funktionelle Störungen bei der Berufsausübung, Einschränkungen in sozialen Kontakten sowie weitere funktionelle Einbußen sind meist die Folge. Angststörungen sind demnach für die Krankenkassen eine ausgesprochen teures Störungsbild, da sie meist chronisch verlaufen.
Personen mit einer Angststörung erleben im Vergleich zu anderer Personen im gleichen Entwicklungsalter, eine unangemessene Angstreaktion im Hinblick auf die Stärke und Dauer (Bandelow, 2003). In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10, befinden sich Angststörungen im Kapitel V in der Kategorie F4, innerhalb der neurotischen-, Belastungs- und somatoformen Störungen. Innerhalb der Kategorie F4, unterliegen alle Störungen einer Form von Angst, wobei dieses das dominierende Symptome darstellt. Angststörung ist ein Überbegriff für furchtbedingte Störungsbilder, die mehrere psychische Störungen umfasst (Wancata et al., 2011). Zu den Angststörungen gehören die generalisierte Angststörung (GAS), die Panikstörung, die Agoraphobie, die soziale und die spezifische Phobie, die häufig komorbid, also zusammen auftreten. Die genaue Einteilung der verschiedenen Angststörungen nach dem ICD-10 Kapitel V, werden in Tabelle 1 aufgeführt.
Tabelle 1: Klinische Erscheinungsformen der Angst (nach ICD-10 Kapitel V, 1994)
Quelle: ICD-10 Kapitel V, Kategorie F (Dilling, Mombour, Schmidt, Schulte-Markwort & Remschmidt, 2016)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Angststörungen zählen neben affektiven Störungen und Substanzstörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankung in der Bevölkerung. Für Deutschland liegt eine Studie aus dem Jahr 1998 vor, in der 18 – 65-jährige Auskunft über psychische Störungen und der Versorgungssituation im Bundes- Gesundheits-Survey geben (Lieb, Schreier & Müller, 2003). Die epidemiologischen Ergebnisse der GHS-MS (General Health Survey – Mental Health Supplement – (Jacobi, Witchen, Hölting, Sommer, Lieb & Höfler, 2002) wurden an einer Untersuchungspopulation von 4181 Erwachsenen erhoben, welche in Abbildung 1 aufgezeigt werden. 15,4 Prozent der Population, erfüllen die Kriterien einer Angststörung. Damit ist die Angststörung, vor der affektiven Störung (11,9%), die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland (Jacobi et al., 2002). In der folgenden Tabelle wird eine 12-Monatsprävalenz von Angststörungen in Deutschland aufgezeigt, um die Häufigkeit der einzelnen Störungsbilder aufzuzeigen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: 12-Monatsprävalenz von Angststörungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung
Quelle: Robert-Koch-Institut, 2004
1998 wurde erstmals ein Bundes-Gesundheits-Survey durchgeführt, um repräsentative Ergebnisse hinsichtlich der Verbreitung von psychischen Störungen in Deutschland zu erheben. In der obigen Graphik ist zu erkennen, wie viele Menschen innerhalb der Bundesrepublik innerhalb von einem Jahr von einer klinisch relevanten Angststörung betroffen sind. Die Lebenszeitprävalenz, welche den Anteil derjenigen meint, welche innerhalb ihres Lebens einmal an einer Angststörung erkrankten, konnte aufgrund von methodischen Problemstellungen nicht erhoben werden. Ergebnisse aus anderen Ländern, wie beispielsweise der Niederlande, weisen einen geringfügigen Unterschied zwischen den 12-Monatsprävalenz und der Lebensprävalenz. Daraus resultiert die Interpretation, dass Angststörungen oftmals chronisch verlaufen. Frauen sind im Verhältnis von 2:1 häufiger von einer Angststörung betroffen, als Männer. Eine genau Begründung dafür gibt es bislang nicht, allerdings tritt dieses Phänomen bei vielen psychischen Erkrankungen auf (American Psychiatric Association, 2013). Innerhalb der Störungsbilder der Angst ist die spezifische Phobie, also die Angst vor einem sehr speziellen Objekt oder Situation die verbreiteste Form; sowohl bei Frauen, als auch bei Männern. Angststörungen manifestieren sich häufig bereits im frühen Erwachsenenalter; nahezu 60 Prozent der Angstpatienten bemerken erste Symptome vor dem 21. Lebensjahr, obwohl die Entstehung der Störung oftmals in der Kindheit begründet ist. Das niedrigste Erstmanifestationsalter wurde im Rahmen der spezifischen Phobie ermittelt. Betroffene einer solchen phobischen Störung, erleben erste Symptome bereits während des 16. und 17. Lebensjahr. Frauen erkranken nicht nur häufiger an der Störung, sondern auch durchschnittlich 4 Jahre vor dem anderen Geschlecht. Panikstörungen und die Agoraphobie treten deutlich später, zwischen dem 26. und 31. Lebensjahr auf. Auch hier ist das Erkrankungsalter bei Männern etwas höher, als bei Frauen. Die GAS ist bei unter 21-jährigen selten anzutreffen und manifestiert sich durchschnittlich im Alter von 35. Jahren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Durchschnittliches Alter bei Beginn von Angststörungen
Quelle: Robert-Koch-Institut, 2004
Der Begriff Komorbidität bezeichnet in der psychiatrischen Epidemiologie das Auftreten von mehr als einer psychischen Störung innerhalb eines begrenzten Zeitintervalls. Die Angststörung wird als eine relativ komorbide Störung verstanden, sprich die Komorbität stellt eher die Regel, als die Ausnahme dar (Stewart & Conrod, 2008). Laut amerikanischen und deutschen Studien entwickeln mehr als 70 Prozent der Angstpatienten im Laufe ihres Lebens mindestens eine weitere psychische Störung. Angststörungen treten hierbei häufig gleichzeitig mit anderen Formen der Angststörung auf (Wittchen & Hoyer, 2011). Weiterhin sind Angststörungen auch mit affektiven Störungen, wie der Major Depression, komorbid. Insgesamt haben Angstpatienten ein fünffach erhöhtes Risiko eine Depression zu entwickeln. Auffällig ist, dass Soziale und Spezifische Phobien zu mehr als 70 Prozent vor der Erstmanifestation einer Depression vorkommen (Kessler, 2001) . Wittchen (2004) stellt fest, dass hinter einer depressiven Symptomatik häufig eine phobische, soziale oder panische Angst versteckt ist. Lieb et al. (2003) dokumentiert weiterhin, dass 21 Prozent der Angstpatienten an einer Alkoholabhängigkeit leiden; darüber hinaus erfüllen 15 Prozent der Patienten die Kriterien für eine Abhängigkeit von illegalen Substanzen.
Komorbität innerhalb einer Störung, bedeutet ein höherer Schweregrad der Erkrankung, worauf innerhalb einer therapeutischen Intervention genauer eingegangen werden sollte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Großteil der Angstpatienten an einer spezifischen Phobie leidet, welche sich zudem bereits während der Adoleszenz manifestiert. Aufgrund der Tatsache, dass Angststörungen oftmals chronisch und komorbid verlaufen und somit eine erhöhte Wahrscheinlich besteht, dass junge Erwachsene eine affektive Störung oder eine Substanzstörung entwickeln, beschreibt die Dringlichkeit eine geeignete Methode zu entwickeln, Angststörungen frühzeitig zu behandeln, um eine Persistenz der Störung zu unterbinden. In den nächsten Kapiteln, wird aufgrund der Häufigkeit innerhalb des Störungsbildes „Angst“ und dessen spezifisches Merkmal hinsichtlich des Erstmanifestationsalters, ausschließlich auf die spezifische Phobie eingegangen.
Personen mit einer spezifischen Phobie verspüren eine phobische Angst, vor einer bestimmten Situation oder vor einem spezifischen Objekt. Die Furcht wird häufig unmittelbar durch das Vorhandensein oder der Vorstellung dieses Objekt oder dieser Situation ausgelöst. Die Intensität und die Dauer der Angstreaktion ist unverhältnismäßig zu der tatsächlichen, rationalen Gefahr der Reizes. Die spezifische Phobie wird in der internationalen Klassifikation für psychische Störungen, ICD-10 Kapitel V (F) 40.2 durch folgende vier Kriterien klassifiziert:
A. „Entweder 1. Oder 2.:
1) Deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation
2) Deutliche Vermeidung solcher Objekte und Situationen
B. Seit Auftreten der Störung müssen in den gefürchteten Situationen mindestens zwei Angstsymptome aus der unten angegebenen Liste, davon eins der vegetativen Symptome, wenigstens zu einem Zeitpunkt gemeinsam vorhanden sein.
1) Vegetative Symptome:
a) Palpitation, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
b) Schweißausbrüche
c) Fein- oder grobschlägiger Tremor
d) Mundtrockenheit
2) Symptome, die Thorax und Abdomen betreffen:
a) Atembeschwerden
b) Beklemmungsgefühl
c) Thoraxschmerzen oder -missempfinden
d) Nausea oder abdominelle Missempfinden (z.B. Unruhegefühl im Magen)
3) Psychische Symptome:
a) Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
b) Gefühl, die Objekte sind unwirklich
c) Angst vor Kontrollverlust
d) Angst zu sterben
4) Allgemeine Symptome
a) Hitzewallungen oder Kälteschauer
b) Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle
C. Deutliche emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten; Einsicht, dass diese übertrieben und unvernünftig sind.
D. Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder auf Gedanken an diese beschränkt“ (Dilling et al., 2016, S. 129f.)
Patienten, die an einer spezifischen Phobie leiden, fürchten sich oftmals vor Tieren, wie Vögel oder Insekten, vor Höhen, Gewitter, oder Flügen sowie vor geschlossenen Räumen, den Anblick von Blut, Injektionen oder Arztbesuchen. Je nach phobischem Objekt und Situation, können spezifische Phobien in verschiedene Typen unterteilt werden:
- Tier-Typ (z.B. Insekten, Hunde, Vögel)
- Naturgewalten-Typ (z.B. Sturm, Wasser)
- Blut-Injektions-Verletzungs-Typ
- Situativer Typ (z.B. Fahrstuhl, Tunnel, Flugzeug)
- andere Typen (Dilling et al., 2016)
Nicht selten haben Betroffene mehr als nur einen phobischen Stimulus, vor dem sie sich fürchten. Im Durchschnitt leiden Betroffene unter der Angst vor drei Objekten oder Situationen. Bei Vorhandensein oder Antizipation des phobischen Stimulus reagieren Personen mit einer spezifischen Phobie mit einem Anstieg an physiologischer Erregung, die obig im Punkt B beschrieben sind (American Psychiatric Association, 2013). Diese Angstreaktion ist für die Betroffenen sehr unangenehm und wird oftmals als eine Todesangst beschrieben. Um eine solche Reaktion nicht andauernd erleben zu müssen, tendieren Personen mit einer spezifischen Phobie dazu, alldiejenigen Situationen zu vermeiden, in denen der phobische Stimulus tatsächlich anzutreffen ist oder in der eigenen Vorstellung anzutreffen sein könnte. Im Verlauf der Störung weiten sich Vermeidungsstrategien häufig aus, sodass große Beeinträchtigungen im sozialen und beruflichen Bereichen die Folge sind. Sozialer Rückzug, Berufsunfähigkeit, Isolation sind oftmals die fatale Folge der spezifischen Phobie, welche die Entwicklung weiterer psychischer Störungen fördert (Lieb et al. 2003). Bei Betrachtung der Komorbidität ist auffällig, dass eine spezifische Phobie häufig mit weiteren Störungsbildern einhergeht. Zunächst ist hier der Zusammenhang mit anderen Angststörungen, wie beispielswese der Panikstörung oder der sozialen Angststörung deutlich. Weiterhin haben Betroffene ein erhöhtes Risiko eine depressive Störung sowie Substanzkonsumstörungen und somatische Belastungsstörungen zu entwickeln. Die Komorbidität des Störungsbildes erklärt wahrscheinlich auch die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs bei Betroffenen. Die sich daraus ergebenden funktionalen Störungen, bei einer Nichtbehandlung, wiegen schwer. Vor Allem, wenn betrachtet wird, dass die Störung eigentlich nur mit der Angst vor einen irrationalen, harmlosen Reiz zusammenhängt. Die Spezifische Phobie entwickelt sich häufig nach einem traumatischen, durchlebten Erlebnis oder durch eine ungewollte, indirekte Exposition mit furchtauslösenden Stimuli, wie einer umfangreichen Medienberichterstattung. Oftmals erinnern sich Betroffene allerdings nicht mehr genau an den Grund für die Entwicklung der Störung. Auffällig ist, dass die meisten Betroffenen im Kindesalter oder in der frühen Adoleszenz mit den ersten diagnoserelevanten Symptomen in Berührung kommen, diese aber selbst nicht wahrnehmen oder erkennen bzw. leugnen. Wenn diese allerdings nicht erkannt bzw. behandelt werden, ist eine spontane Remission des Störungsbildes im Erwachsenenalter unwahrscheinlich.
Generell ist jede Form der Angststörung gut behandelbar, wenn diese erkannt und leitliniengerecht therapiert wird. Die allgemeinen Behandlungsziele einer Psychotherapie sind folgende:
- „Angstsymptome und Vermeidungsverhalten zu reduzieren
- Die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren
- Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu bessern
- Die soziale Integration zu verbessern
- Die berufliche Leistungsfähigkeit wiederherzustellen
- Die Lebensqualität zu verbessern“ (S3-Leitlinie, 2014, S. 50)
Die allgemeinen Therapieprinzipien der S-3 Leitlinien zur Behandlung von Angststörungen, sehen eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) für die Erreichung der obigen Ziele vor. Je nach Schweregrad der Störung, Patientenwunsch bzw. Bedürfnis und verfügbarer Zeit, kann diese sowohl ambulant, als auch stationär erfolgen. Der Schweregrad und die Komorbidität des Störungsbildes kann eine zusätzliche medikamentöse Pharmakotherapie nachsichziehen. Auch eine psychodynamische Psychotherapie kann, wenn vom Patienten erwünscht, oder bei Nichtwirksamkeit der KVT, in Anspruch genommen werden. Aufgrund der Wirksamkeit der Psychotherapie bei psychischen Störungen, übernehmen Deutsche Krankenkassen sämtliche Kosten für eine Behandlung (Lieb et al., 2003).
Die erste Anlaufstelle bei Manifestation von ängstlichen Symptomen ist häufig der Hausarzt. Nach einer körperlichen Untersuchung, sollte dieser eine Behandlung bei einem Facharzt für Psychiatrie oder einem Psychotherapeuten empfehlen, sodass eine leitliniengerechte Behandlung der Störung erfolgen kann (Bundespsychotherapeutenkammer, 2009). Nach der BPtk (2009) haben nur 36 Prozent der Betroffenen irgendeine Art von Behandlung; also einen Erstkontakt mit einem Hausarzt, Psychotherapeuten oder Psychiater. Dies könnte daran liegen, dass Betroffene ihre Symptome selbst nicht erkennen, diese leugnen oder auf andere Ursachen zurückführen. Menschen, die an einer exzessiven Angst leiden, klagen häufig auch über Begleitsymptome, wie Schlafstörungen, Verdauungsprobleme oder Schmerzen. Der Fokus auf diese Begleitsymptome, kann dazu führen, dass Betroffene selbst ihre Angst nicht als Hauptsymptom wahrnehmen und die Hausärzte nicht hinreichend über ihr psychisches Missbefinden informieren (S3-Leitlinie, 2014). Das Resultat dieser Fehlinformationen, ist häufig eine Fehl-, oder Nichtbehandlung des Störungsbildes, das häufig zu einer Ausweitung der Symptome oder zu einer Chronifizierung führt.
Eine spezifische Phobie wird in der ambulanten oder stationären Versorgung nach den ICD-10 Richtlinien, die im vorherigen Kapitel beschrieben wurden, diagnostiziert. Oftmals wird eine Angststörung vom Betroffenen nicht erkannt, da andere Begleitsymptome, wie u.a. Schlafstörungen und somatische Beschwerden im Fokus des Betroffenen stehen (Bandelow, 2003). Bei der Diagnose ist es deshalb wichtig direkt zu erfragen, ob der Betroffene unter einer starken Angst vor bestimmten Objekten oder Situationen leidet. Bevor eine Behandlung der psychischen Störung erfolgt, sollte weiterhin ein Ausschluss einer organischen Ursache für die Beschwerden erfolgen (American Psychiatric Association, 2013). Häufige Differentialdiagnosen einer Angststörung, können u.a. Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen, neurologische Erkrankungen oder endokrine Störungen sein. Um eine dieser Krankheiten ausschließen zu können, sollte beim Patient folgende Untersuchungen durchgeführt werden:
- „Ausführliche Anamnese
- Körperliche Untersuchung
- Blutbild, Blutzucker, Elektrolyte
- Elektrokardiogramm (EKG) und (Elektroenzephalogramm) EEG
- Lungenfunktion“ (S3-Leitlinie, 2014, S. 50)
Die kognitive Verhaltenstherapie ist aktuell das am besten empirisch überprüfte Therapieverfahren (Mohr & Schneider, 2015). Im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Psychotherapie werden kognitive, verhaltensverändernde, emotionsfördernde und konfrontative Elemente eingesetzt, um Gedanken, Einstellungen und Überzeugungen des Patienten zu überarbeiten (Wolpe, 1973).
Die Grundlage dieses Therapieansatzes ist, dass Kognitionen eines Individuums Gefühle beeinflussen und dass eine emotionale Reaktionen, wie beispielsweise die exzessive Angst, auf Interpretationen des Betroffenen beruht. Bestimmte Kognitionen oder Überzeugungen können sich im Laufe des Lebens, aufgrund sich wiederholenden Lebensereignissen, zu starren Grundannahmen etablieren (Wilken, 1998). Diese Grundannahmen beeinflussen die emotionale Reaktion eines Menschen auf eine Situation. Diese Bewertungen können eindimensional orientiert (z.B. negativ/positiv) oder fehlerhaft (z.B. irrational) sein. Nach Ellis (1977), sind irrationale Überzeugungen dadurch gekennzeichnet, dass sie antiempirisch, unlogisch, extrem und sabotierend sind. Irrationale Überzeugungen, wie u.a. der Glaubenssatz „Mäuse sind sehr gefährlich“, führen zu ungesunden und negativen Emotionen, wie Angst, Depression und Schamgefühle. Rationale Überzeugungen können ebenfalls zu unangenehmen Emotionen und Verhalten führen, die allerdings zielführend und gesund sind. Gesunde negative Emotionen, wie Trauer, Besorgnis und Enttäuschung, können dazu motivieren bestimmte Verhaltensweisen zu ändern oder Situationen so zu akzeptieren, wie sie sind (Ellis, 1977).
Beck, Shaw und Emery (1992) beschreiben im kognitiven Modell, dass dysfunktionalen und verzerrtes Denken, die Stimmung und das Verhalten von Patienten beeinflusst. Dieses Fehldenken sei eines der Gemeinsamkeiten aller psychischen Störungen. Im Rahmen der KVT soll durch verschiedene, oben angedeutete Interventionen, eine Modifikation des Denkens beim Patienten stattfinden, sodass sich dessen Stimmung und Verhalten verbessert. In der KVT wird davon ausgegangen, dass jedes Verhalten lern- und verlernbar ist, sodass im Zentrum der Psychotherapie viele übende Verfahren eingesetzt werden. In den folgenden Kapiteln werden die zentralen Konzepte und Methoden der KTV vorgestellt, welche als Intervention bei psychischen Störungen eingesetzt werden.
Psychoedukative Elemente werden oftmals zu Beginn einer therapeutischen Intervention verwendet. Im Fokus der Psychoedukation steht die vereinfachte Erklärung von wissenschaftlich/-medizinischen Fakten bezüglich der Pathologie (Alsleben & Weiss, 2004). Für Betroffene, die erstmals unter einem Störungsbild leiden, stellt eine psychische Erkrankung eine große Verunsicherung dar. Das Verstehen des eigenen Störungsbildes ist eine Grundvoraussetzung für den bewussten und eigenverantwortlichen Umgang mit der eigenen Erkrankung. Der Wissenszuwachs und das Gefühl, gut über die Störung, den Therapieablauf und die Behandlungschancen informiert zu sein, sorgt für eine neue Selbstsicherheit und Hoffnung. Patienten sollen Experten ihrer eigenen Störung werden, da dies ein Faktor für einen positiven Krankheitsverlauf darstellt, die einige geringe Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls meint (Bäuml & Pitschel-Walz, 2003).
Die Vermittlung dieses Wissens, kann sowohl in Einzelgesprächen, als auch in Gruppensitzungen stattfinden. Die häufigste Form der Psychoedukation ist das Einzelgespräch mit einem Patienten, wobei Gruppengespräche oftmals effektiver sind. Psychoedukative Elemente sind besonders in Gruppen zielführend, da sich Patienten hierbei offen über ihre Störung, der Therapie und Selbsthilfetools austauschen können (Anderson & Reiss, 1980). Die Aufklärung über das Störungsbild ist für Patienten und Angehörige gedacht und wird sowohl bei psychischen, als auch bei physischen Erkrankungen eingesetzt. Damit Angehörige mit den Ängsten, Niedergeschlagenheit oder anderen Problemen der Patienten besser umgehen können, ist dessen Aufklärung über das Störungsbild ein Bestandteil der Psychoedukation. Angehörige spielen im Genesungsprozess des Patienten eine wesentliche Rolle, dienen als Stützfunktion und können das Rückfallrisiko von psychischen Erkrankungen signifikant reduzieren. Familie und Freunde können im Rahmen einer Therapie als Co-Therapeuten verstanden werden, welche außerhalb der therapeutischen Sitzung einen positiven Einfluss auf den Patienten haben können. Die emotionale und soziale Unterstützung sind zentrale Erfolgsfaktoren für seelisches Wohlbefinden, von denen ein Patient profitieren kann (Behrendt & Krischke, 2005). Die Indikation für Psychoedukation umfasst grundsätzlich jegliche Art von physischer Erkrankung oder psychischer Störung, außer bei einer akuten schizophrenen Psychose. Im Falle einer Angsterkrankung, wie der spezifischen Phobie, ist es sinnvoll diese Intervention anzuwenden, da Patienten ihre irrationale Angst oftmals nicht erklären oder verstehen können (Bäuml & Pitschel-Walz, 2003). Sowohl für die Patienten selbst, als auch für die Angehörigen, ist eine exzessive Angst, welche von einem harmlosen Reiz ausgelöst wird, oftmals unverständlich. Die verständliche Aufklärung über die physischen und psychischen Wirkmechanismen der Angst, können erste Prozesse zum Angstabbau anregen. Angstpatienten fühlen sich während einer Angstreaktion oftmals ohnmächtig und verspüren das Gefühl die Kontrolle über sich zu verlieren (Bandelow, 2003). Im Rahmen der Psychoedukation wird das Angstgefühl sachlich und medizinisch verständlich gemacht, sodass Patienten ein stückweit die Kontrolle über körperliche Reaktionen erlangen. Demnach sollte zunächst verständlich erklärt werden, wie eine Angstreaktion abläuft.
Das vegetative Nervensystem verfügt über zwei Systeme, Parasympathikus und Sympathikus, welche sich gegenüberstehen und nicht willentlich steuerbar sind. Die Systeme sind dafür verantwortlich, die Funktionen der Organe, die Herzfrequenz und die Atmung zu steuern. Bei Wahrnehmung eines Reizes, welcher als gefährlich bewertet wird, reagiert der Körper auf negativer Ebene mit physiologischen Reaktionen, um das Individuum vor Schädigung seitens des Reizes zu schützen – der Sympathikus wird aktiviert (Wittchen & Hoyer, 2011). Neurologische Prozesse, welche für den Kampf oder die Flucht von Bedeutung sind, werden in Gang gesetzt. Die Folge einer Gefahrenbewertung ist die Adrenalinfreisetzung, welche wiederum physiologische Veränderungen nachsichzieht, welche dazu dienen Energie für eine zukünftige Flucht und einen Kampf bereitzustellen. Nach Bewältigung der Gefahr wird automatisch das parasympathische System aktiviert, das für Entspannung, Beruhigung sowie Regeneration der Körpers sorgt (Gerring & Zimbardo, 2008).
Tabelle 2: Körperliche Veränderung im parasympathischen und sympathischen System
Quelle: Gerring & Zimbardo, 2008
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die physiologischen Reaktionen laufen nach einem automatischen Muster ab, da es sich um ein evolutionär angelegtes, sinnvolles Reaktionsmuster und als erprobte Überlebensstrategie bewährt hat. All die physiologischen Reaktionen des Sympathikus, sind dazu gedacht, im Körper Energie freizusetzen bzw. energieverbrauchende Systeme, die für einen Kampf nicht verwendbar sind, einzustellen (Thompson & Held, 2016). Die Pupillen werden geweitet, um den gefährlichen Stimulus besser zu beobachten. Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, was dazu führt, dass ein Rauschen in den Ohren bzw. ein Druckgefühl im Kopf bemerkbar wird. Die Bronchien werden geweitet, um eine bessere Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten. Diese Reaktion, kann aber auch zu Schwindel bzw. Druckgefühl auf der Brust führen. Die Muskulatur wird stärker durchblutet und angespannt, um sich auf kämpferische Bewegungen vorzubereiten. Oftmals erleben Angstpatienten daher ein Kribbeln, oder ein Zittern von Händen und Beinen. Dadurch, dass die Verdauung eingestellt und der Speichelfluss, welcher der Verdauung dient, gehemmt wird, wird oft ein trockener Mund spürbar (Ehrlers & Mangraf, 1993). Um diese umnehmen Zustände zu vermeiden, meiden Angstpatienten Situationen, welche eine Angstreaktion in ihnen auslösen. Dies beschreibt oftmals den Beginn des Teufelskreises der Angst. Eine Angstreaktion wird durch einen inneren oder äußeren Reiz initiiert. Ein äußerer Reiz kann, je nach Phobie, eine Spinne, ein Hund, ein Auto etc. sein. Demgegenüber ist ein innerer Reiz, Gedanken bzw. Vorstellung über eine bevorstehende Situation oder körperliche Veränderungen. Eine Angstreaktion wird von Angstpatienten oftmals als sehr unangenehm erlebt, da die physiologische Reaktion des Körpers für die Bewältigung des phobischen Reizes nicht sinnvoll, bzw. unangemessen stark ist (Wolpe, 1973). Das automatische Reaktionsmuster des vegetativen Nervensystems ist darauf ausgerichtet, gegen reale, lebensbedrohliche Gefahren zu kämpfen. Bei einer phobischen Angst gegenüber Spinnen, besteht allerdings kein Grund zu kämpfen, da diese Angst irrational ist und lediglich durch unser Bewertungssystem gesteuert wird.
Die Wahrnehmung des Reizes alleine, reicht allerdings nicht aus, um das parasympathische System in Gang zu setzen. Hierbei wird die Bedeutung der Bewertung des phobischen Reizes deutlich. Erst die Einstellung, also Interpretation des Stimulus als etwas Gefährliches, nicht überstehbares, führt zu Angstgefühlen, welche physiologische Prozesse initiieren (Ellis, 1977). Dadurch, dass eine Angstreaktion, durch die obigen Wirkmechanismen, oftmals als unangehm empfunden werden, steigen Patienten aus der Angstsituation aus. Sie flüchten, oder vermeiden diese Situation, um körperliche Veränderungen bzw. körperliche Symptome der Angst zu umgehen. Würde aus diesem Teufelskreis nicht ausgestiegen werden, so verstärke sich die Angst, da die körperlichen Symptome wiederum als inneren oder äußeren Reiz wahrgenommen und daraufhin als gefährlich bewertet werden würden (Rufer, 2020).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Der Teufelskreis der Angst
Quelle: Rufer, 2020
Um den Teufelskreis bezüglich einer spezifischen Phobie deutlich zu machen, wird in der nächsten Abbildung, ein typisches Reaktionsmuster bei der Angst vor dem Erbrechen erläutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Teufelskreis am Beispiel einer spezifischen Phobie
Quelle: Eigene Darstellung
Anhand der obigen Graphik ist zu erkennen, dass sich die Angst, durch bestehende Bewertungsmuster, verselbstständigt. Der innere oder äußere Reiz kann bei der spezifischen Phobie vor dem Erbrechen beispielsweise ein flaues Gefühl im Magen sein, dass sich durch einen exzessiven Konsum von Essen ergibt. Dieser, in dem Fall, innere Reiz, wird als körperliche Veränderung wahrgenommen und im Zuge des Teufelskreis der Angst bewertet. Eine Bewertung dieser körperlichen Veränderung, könnte bei einem Phobiker folgende Bewertungen nach sich ziehen:
- Irgendetwas stimmt nicht
- Das Essen war bestimmt schlecht/verdorben
- Mir wird davon übel
- Ich muss mich übergeben und verliere die Kontrolle
Aufgrund dieser katastrophisierenden, negativen Interpretation entsteht die Angst sich zu erbrechen oder die Kontrolle zu verlieren (Ellis, 1977).
Das Reaktionsmuster wird vom Betroffenen gestoppt, indem die phobischen Situation vermieden bzw. davor geflüchtet wird. Im Falle der spezifischen Phobie gegenüber dem Erbrechen, könnte dies mithilfe von Magentropfen stattfinden. Die Einnahme von Medikamente gegen eine Übelkeit, wird als Sicherheitsverhalten interpretiert, das dabei hilft, sich zu beruhigen, bzw. die bestehende Gefahr, sich zu übergeben, mindert kann. Im Falle, dass nicht aus der Situation geflüchtet wird, etablieren sich im Körper physiologische Angstreaktionen, die im obigen Kapitel Psychoedukation beschrieben wurden. Das sympathische Nervensystem wird aufgrund der Angst aktiviert und zieht weitere körperliche Veränderungen nach sich, wie z.B.: vermehrte Magengeräusche, welche aufgrund der Einstellung der Verdauung entstehen (Thompson & Held, 2016). An dieser Stelle beginnt der Teufelskreis sich zu verselbständigen, denn die körperlichen Veränderung, welche durch den Sympathikus entstehen, werden wiederum als inneren Reiz wahrgenommen, negativen bewertet und führen wiederum zu einer Angst, die sich immer weiter, bis hin zu einer Panikreaktion, steigert (Rufer, 2020).
Nach Aufklärung des Patienten über seine Symptomatik, bzw. dessen Behandlungsrahmen und Genesungschancen, kann im Rahmen der KTV, die Erarbeitung einer kognitiven Umstrukturierung erfolgen. Um dysfunktionale, also irrationale Überzeugungen gegenüber eines phobischen Reizes zu überarbeiten, wird oftmals die Rational-Emotive-Verhaltenstherapie (REVT) angewendet. Die REVT, wurde von Albert Ellis (1977) im Rahmen seiner therapeutischen Tätigkeit entwickelt, in der irrationale Bewertungsprozesse des Patienten umkodiert werden sollen. Die Therapie basiert auf den Grundprinzipien der Verhaltenstherapie, dass fehlgeleitete kognitive Prozesse emotionale Störungen und dysfunktionales Verhaltens auslösen. Nach Ellis (1977), sind emotionale Störungen die Folge von wiederkehrenden Fehleinschätzungen und Interpretationen von Situationen, welche sich in Form von Selbstgesprächen und Selbstindokrination manifestieren. Kognitive Prozesse, wie Einstellungen und Bewertungen, erscheinen stabil und fixiert, obwohl diese durch neue Impulse, wie Informationszufluss und durch neue Wahrnehmungsweisen veränderbar sind.
Ellis (1977) geht davon aus, dass Menschen eine generelle Neigung dazu haben, irrationale Bewertungen und Denkmuster zu etablieren und fast 11 häufige irrationale Überzeugungen zusammen (s. Tab. 3.)
Tabelle 3: Liste mit 12 weitverbreiteten irrartionalen Überzeugungen
Quelle: Ellis, 1977, S. 63-90
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Irrationale Überzeugungen können nach Ellis (1977) in vier verschiedene Problemkategorien zusammengefasst werden. Absolutistische Kognitionen beschreiben innere Glaubenssätze, die universell angewendet werden. Häufig werden dafür Wörter wie „muss, soll, darf nicht“ verwendet. Eine weitere Problemkategorie irrationaler Überzeugungen bzw. Interpretationen, ist das Katastrophisieren von Situationen. Die Folgen einer zukünftigen Situation, werden übermäßig negativ eingeschätzt, als Katastrophe erlebt. Auch die niedrige Frustrationstoleranz, innerhalb der Problemkategorien, beschreibt eine irrationale Kognition, welche auf zukünftige Ereignisse ausgerichtet ist. Hierbei wird geglaubt, die Folge einer Situation können nicht ausgehalten werden. Zuletzt beschreibt Ellis (1977) die globale negative Selbst- und Fremdbewertung, welche negative und ganzheitliche Glaubenssätze zur eigenen Person beinhaltet. Um fehlerhafte kognitive Prozesse umstrukturieren zu können, wurde die REVT in einem ABC-DE Modell formalisiert, das als therapeutisches Arbeitskonzept dient. Das therapeutische Konzept basiert auf dem A, welches als aktivierendes Ereignis klassifiziert wird. Ein aktivierendes Ereignis, ist ein interner oder externer Reiz, der physiologische Prozesse der Informationsaufnahme initiiert, eine kognitive Verarbeitung stimuliert und in einer Interpretation endet. Das B steht für das Bewertungssystem, welches im Anschluss an A aktiviert wird. Durch das aktivierende Ereignis, werden Lebensregeln und Einstellungen, sowohl rational als auch irrational, aktiviert. Die daraus resultierenden Konsequenzen werden C bezeichnet. Die emotionalen Konsequenzen einer irrationalen Bewertung, können übermäßige Affekte, wie Wut, Angst oder Depressionen sein. Die Behandlung bzw. Umstrukturierung von irrationalen Bewertungssystemen, setzt bei D ein. D steht hierbei für Disput. Im Rahmen der REVT werden problematisch erlebte Emotionen, welche durch eigene fehlerhafte Interpretationen hervorgerufen werden, dadurch gelöst, dass Bewertungssysteme disputiert werden. Mithilfe von kognitiven Übungen, wie der Auseinandersetzung mit der Logik, Beweisbarkeit, kognitiven Hausaufgaben und emotionsevozierende Maßnahmen, wie Rollenspiele und Modelllernen, sollen dysfunktionale Überzeugungen umstrukturiert bzw. geädert werden (Beck et al., 1992). Das Ergebnis der Disputation ist E, welches die normale emotionale Reaktion auf A meint, welche durch die kognitiven Umstrukturierung in D erfolgt. Das Individuum sollte in Zukunft eine angemessen Reaktion auf aktivierende Ereignisse haben und ein produktives Verhalten aufzeigen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: ABC-DE Modell
Quelle: Ellis, 1977
Für Angstpatienten mit einer spezifischen Phobie, kann ein aktivierendes Ereignis A der phobische Reiz selbst, die Möglichkeit den phobischen Reiz anzutreffen sowie Gedanken an den phobischen Reiz darstellen. Kennzeichnend für Phobiker sind negative, irrationale Überzeugungen B gegenüber diesem Reiz. Demnach haben sich im Laufe des Lebens oftmals negative, situationsunangemessene Kognitionen zum Thema „Gefahr“ etabliert. Die Konsequenzen der Bewertung des Ereignisses, führt bei Personen mit einer Angststörung zu einer ungesunden Emotion, welches ein dysfunktionales Verhalten nach sich zieht. C, die Konsequenzen des irrationalen Bewertungssystems sind demnach eine unangemessen starke Angst, welche oftmals in ein Vermeidungsverhalten oder eine Flucht gegenüber des Reizes zur Folge hat. Im Rahmen der Disputation, wird der Therapeut den Patienten mit rationalen, empirischen Fakten bezüglich des phobischen Reizes konfrontieren. Häufige Fragen, die gemeinsam bei D geklärt werden sind z.B.:
- Wie häufig kommt dieser Reiz im Leben wirklich vor?
- Wie gefährlich ist der Reiz tatsächlich?
- Was kann Ihnen der Reiz antun?
Neben diesen Fragen, sollen Patienten sich näher mit theoretischen Fakten des Reizes auseinandersetzen. Aufgrund des Vermeidungsverhaltens haben Phobiker oftmals wenig Kenntnisse über den phobischen Reiz selbst. Dieses Unwissen stimuliert und triggert unlogische Vorstellungen gegenüber den Stimulus.
Die Folge dieser Auseinandersetzung, soll E sein. Im Rahmen der therapeutischen Intervention, sollen Angstpatienten durch neues Wissen, eine Umstrukturierung ihrer negativen, katastrophisierenden Kognition erleben, was dabei helfen soll den phobischen Reiz bzw. die Angstreaktion rational zu erleben.
Im Rahmen der KTV werden auch übende Entspannungsverfahren eingesetzt. Patienten, die an einer psychischen Störung leiden, erlebten oftmals auch körperliche Beschwerden und fühlen sich abgeschlagen (Bandelow, 2003). Diese Begleitsymptome entstehen aus einer Überfunktion des Sympathikus, aufgrund der angespannten Lebenshaltung der Patienten. Im Rahmen der Behandlung von stressbedingten Störungen, wie der Angststörung, sind sie ein zentraler Bestandteil der Therapie, um einen Stressabbau zu gewährleisten bzw. das parasympathische System zu aktivieren. Als Ziel der Entspannungsverfahren wird das bewusste Erzeugen eines als angenehm erlebten psychophysiologischen Zustands gesehen, welcher psychische und physische Effekte nach sich zieht (Jacobsen, 1938). Unter psychischen Effekt der Entspannung kann eine Zunahme an Gelassenheit und Konzentration, ein stärkerer Schutzmechanismus gegenüber Außenreizen sowie eine bessere Akzeptanz der Störung verstanden werden. Physische Effekte der Entspannung, lassen sich in der Aktivierung des Parasympathikus und der Magen-Darm-Tätigkeit und der Sexualorgane sowie in der Abnahme der Anspannung der Skelettmuskulatur und einer Änderung bzw. Verlangsamung des Herz-Kreislaufsystems beobachten (Maercker, 2000).
Bekannte Formen von Entspannungsverfahren sind die progressive Muskelentspannung sowie das autogene Training, dessen medizinischen Wirksamkeit in Studien belegt wurde (Jacobsen, 1938). Leichte bis mittelgradige Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Schlafstörungen und chronische Schmerzen können mithilfe dieser Intervention gelindert werden. Verschiedene Entspannungsverfahren unterscheiden sich nicht im Ziel der psychophysiologischen Entspannung, sondern lediglich in der Art und Weise diesen Zustand zu erreichen.
Die Methode der Reizkonfrontation, auch Exposition bzw. Expositionstherapie genannt, ist ein zentrales Element der Behandlung von Angststörungen (Norton & Price, 2007). Hand (2000) beschreibt die Exposition als „Übungen zur Aufhebung von Meidungsverhalten mit Abbau von negativen kognitiv-emotionalen Reaktionen auf bestimmte Situationen, Objekte, Problemfelder oder Personen“ (S.164). Kennzeichnend für die Angststörung ist der Teufelskreis der Angst, welcher im Rahmen der Psychoedukation oftmals als aufklärendes Mittel verwendet wird, um den Wirkmechanismus der Angst zu verdeutlichen (Abb. 6). Im Verlauf einer Angststörung lernen Betroffene, dass der Ausstieg aus der Angstsituation zu einer Reduktion der Angstsymptome führt, welcher als angenehm erlebt wird. Daraus ergibt sich ein Vermeidungsverhalten, welches die Angsterkrankung aufrechterhalten lässt (Hand, 2000). Das etablierte Verhaltensmuster wird in Situationen angewendet, mit denen der Betroffene eine Angstreaktion verbindet. Dies hat zur Folge, dass sich ein Fluchtverhalten bei ersten Anzeichen der Angst, bzw. ein vollständiges Meiden von vermeintlichen Angstsituationen manifestierst. Weiterhin greifen Angstpatienten auch zu einer vorbeugenden Einnahme von Medikamenten, bzw. zu Alkohol, oder zu Hilfsmittenl, die als Sicherheitsanker dienen (Handy, Wasserflasche). Oftmals werden auch indirekte Vermeidungstechniken angewandt, indem sich Sicherheitspersonen/- Objekte ausgewählt werden, wie Ärzte, fluchtbereite Platzauswahl, Notfallmedikamente und sogar Notarztrufe bei aufkommenden Panikattacken (Neudeck & Wittchen, 2005).
Diese Strategien dienen dazu, die Angst kurzfristig zu unterbrechen und eine Erleichterung herbeizuführen. Das Vermeidungsverhalten, ist eine erlernte Strategie, die sich nach und nach auf andere Stimuli ausweitet, die dem phobischen Stimulus ähneln. Mittelfristig verstärkt die Strategie der Vermeidung allerdings die Bereitschaft Angst zu verspüren und wird zum „Allheilmittel“ gegen die Angst. Im Zuge dessen, wirkt sich eine mangelnde Erfahrung auf die Bereitschaft aus, konfrontative Situationen zu erleben. Langfristig ist das Sicherheitsverhalten demnach kein Rettungsmanöver, sondern eher ein Angstverstärker.
Dieser Mechanisms wird auch the vicious cycle of avoidance genannt (William, Richards & Whitton, 2002) . Ein phobischer Patient, der mit dem phobischen Reiz konfrontiert wird, erlebt einen exponentiellen Anstieg der Angst. Nach dem Konzept des Teufelskreises, verselbständigt sich die Angst durch negative, katastrophisierende Gedanken, bis hin zu einer Panikreaktion (Stewart & Conrod, 2008). Oftmals brechen die Patienten schon vor der Panikreaktion die Exposition mit dem Reiz ab, also vermeiden den Stimulus oder flüchten vor der Angst. Dadurch erleben Angstpatienten ein langsames Abklingen der Angstreaktion, welche als angenehm und erleichternd empfunden wird. Die Folge daraus ist allerdings, dass der Patient sich nicht an den Stimulus gewöhnt und somit eine verstärkte Erwartungsangst vor der nächsten Konfrontation etabliert. Die Angst vor dem phobischen Stimulus wird durch dieses Verhalten also langfristig gestärkt. Würde der Patient die Panikattacke aushalten, nicht fliehen oder die Situation vermeiden, so würde die Angst ganz von alleine, ohne Intervention langsam abklingen. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der menschliche Organismus nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung hat, um die sympathische Aktivität aufrechtzuerhalten. Eine Angstreaktion kann im schlimmsten Notfall bis zu drei Stunden andauern, oftmals klingen die physiologischen Reaktionen schon nach 20 bis 30 Minuten ab und das parasympathische System wird automatisch aktiviert, sodass eine Entspannung eintritt (Gerring & Zimbardo, 2008). Ziel der Expositionstherapie ist, dass Betroffene diesen Mechanismus an ihrem eigenen Körper erleben. Folglich ermöglicht die Exposition eine korrigierende Lernerfahrung bezüglich der Erwartungshaltung hinsichtlich auf das Erleben der Angst und den Stimuli (Abramowitz, Deacon & Whiteside, 2011).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: The Vicious Cycle of Avoidance
Quelle: William et al., 2002
Im Rahmen der Expositionstherapie soll genau diese Übung, also das Aushalten der Angst durchgeführt werden, ohne die Situation zu verlassen oder durch Sicherheitsverhalten, wie die Einnahme von Medikamenten, Wasser, Ablenkungsmanövern, zu vermeiden. Die Konfrontationstherapie kann in sechs Kategorien unterteilt werden, die innerhalb von zwei Dimensionen angeordnet werden.
Tabelle 4: Modalität der Stimuluspräsentation in der Expositionstherapie
Quelle: Bentz, Mangraf & Michael, 2009
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Modalität der Stimuluspräsentation ist in den Dimensionen Stimulustyp und Intensität der Präsentation unterteilt. Die Reizkonfrontation kann mittels imaginierten (in sensu), virtuellen (in virtuo) oder realen (in vivo) Stimuli durchgeführt werden. Generell zeigen Studien, dass in vivo Expositionen effektiver, als in sensu Konfrontationen sind. Mit der In virtuo Exposition, ist eine weitere Alternative möglich, die zu verwenden ist, wenn reale Stimuli schwer zugänglich, oder schwer zu erzeugen sind (Bentz et al., 2009). Innerhalb der In-virtuo-Konfrontationstherapie werden Betroffene mittels virtueller Realität mit dem phobischen Stimulus konfrontiert. Der Stimulustyp in-virtuo hat dabei einige Vorteile gegenüber der in-sensu Präsentation. Die Vorstellungskraft der Patienten ist oftmals unzureichend, bzw. die dadurch erreichte Angstintensität zu niedrig, um eine effektive Expositionsübung zu erreichen. Mittels computerbasierter Technologie, können innerhalb der in-virtuo Exposition, realitätsnahe Stimuli nachgestellt werden. Dafür können, Bilder,-Audio,- und Videodateien verwendet werden. Diese Alternative bietet für Therapeuten zusätzlich die Möglichkeit, das Konfrontationsszenario gut planen und kontrollieren zu können. Im Gegensatz zu einer In-Vivo Exposition können unvorhersehbare Ereignisse vermieden werden. Zudem kann die Intensität und Häufigkeit der Exposition an die Bedürfnisse, bzw. Angst des Patienten angepasst werden; identische Stimuli können nämlich unendlich lang und oft wiederholt werden.
Die Intensität der Stimuluspräsentation ist die zweite Dimension, anhand dessen eine Konfrontationsübung kategorisiert werden kann. Hierbei handelt es sich um die Vorgehensweise der Übung. In der Praxis wird zur Vorbereitung der Reizkonfrontation eine Angsthierarchie erstellt. Hierbei müssen Patienten in einer Reihenfolge ,von eins bis zehn, Stimuli angeben, die ihnen Angst bereiten. Die graduelle Konfrontation ist eine stufenweise Annäherung an den Stimulus, der am meisten gefürchtet wird. Innerhalb der Exposition wird der Patient mit der eigenen Reihenfolge der Stimuli, von eins bis zehn, schrittweise konfrontiert, um eine langsame Habitualisierung zu erreichen. Im sogenannten Flooding werden Betroffene direkt mit dem am meisten gefürchteten Reiz konfrontiert, um einen schnellen und radikalen Erfolg zu erzielen. Generell ist der Flooding Ansatz am effizientesten, da der Patient nicht alle neun Schritte bis zum stärksten Stimulus durchlaufen muss. Allerdings besteht hierbei die Gefahr, dass Patienten die Therapie ablehnen, da ihnen die geplante Konfrontation exzessiv vorkommt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Patienten die starke Stimuluspräsentation nicht aushalten und die Übung abbrechen. In diesem Fall, würde die Expositionsübung genau das Gegenteil erreichen und die Angst langfristig verstärken. Demnach wird häufig die graduelle Expositionstherapie vorgezogen.
Wolitzky-Taylor, Horowitz, Powers und Tech (2008) führten eine Meta-Analyse mit 33 Wirksamkeitsstudien zur Behandlung von spezifischen Phobien durch, welchem zwischen 1977 und 2004 durchgeführt wurden. Eine expositionsbasierte Behandlung zeigt eine signifikant höhere Wirksamkeit gegenüber einer Nichtbehandlung und hat eine Effektstärke von 1.03 zwischen den Gruppen. Die Schlussfolgerung der Autoren ist, dass die Expositionstherapie die potenteste und wirkstabilste Methode zur Behandlung spezifischer Phobie darstellt und somit das Mittel der Wahl darstellen sollte. Weitere, deckungsgleiche Ergebnisse, ergeben sich in der Metastudie mit den qualitative Übersichtsarbeit von (Barlow, Moscovitch, Lòpez-Ibor & Okasha, 2008). Ein weiterer interessanter Aspekt wurde von Deacon und Abramowitz et al. (2011) in der Übersichtsarbeit der relativen Wirksamkeit von kognitiven und behavioralen Ansätzen bei der Therapie von Angsterkrankungen erläutert. Konfrontative Ansätze seien besonders bei sozialen Ängsten und Zwangsstörungen effektiv; eine Zusatzbehandlung wäre hierbei überflüssig. Weiterhin kamen Longmoreund Worrel (2007) zum Schluss, dass kognitive Intervention, wie die REVT Therapie, keine notwendige Komponenten bei der Behandlung von Angst seien. Auch Ramnero stellt 2012 in einer Übersichtsarbeit zu Einzelstudien fest, dass kognitive Elemente, welche zu einer konfrontativen Übung hinzugefügt werden, keinen Mehrwert aufzeigen. Die Wirksamkeit einer KVT ist unumstritten, da ein hoher Behandlungserfolg bei Angststörungen nachweislich ist. Ramnero (2012) geht davon aus, dass die Erfolge der KVT auf den Behandlungserfolg von Expositionsübungen basieren (In-Albon & Schneider, 2006). Diese Annahme wird von der störungsspezifischen Meta-Analyse von Ruhmland und Margraf (2011) bestärkt. Hierbei erschien die reine Konfrontationstherapie der kognitiven Therapie im Behandlungserfolg überlegen.
Die Wirksamkeit der Expositionstherapie ist nach der obigen Aufführung der Ergebnisse, unbestritten, die Frage nach dem Wirkmechanismus hinter dem übenden Verfahren lässt sich allerdings noch nicht eindeutig klären.
Habituation
Ein bekannter Erklärungsversuch für den Wirkmechanismus der Reizkonfrontation war lange Zeit das Konzept der Habituation. Habituation bezeichnet, sowohl bei Tieren, als auch beim Menschen, die Reaktionsabnahme bei wiederholter Präsentation eines Stimulus (Gerring & Zimbardo, 2008). Habituationsmodelle galten lange Zeit als Erklärungsmechanismus für die Wirksamkeit der Exposition im Rahmen der Angstbehandlung. Über die Konfrontationsübung ergab sich eine lineare Abnahme der physiologischen Reaktionsmuster und der Angstbewertung (Hand, 2000). Frühere Studien bestätigen kausale Zusammenhänge zwischen der Habituation und des Therapieerfolges; in aktuelleren Studien konnte dieser Befund allerdings nicht bestätigt werden. Das Konzept der Habituation scheint demnach vor Allem bei schwachen Reizen aufzutreten. Bei stärkeren Reizen, wie bei der Konfrontationstherapie hingegen scheint die Habituation weniger stark einzusetzen (Bentz et al., 2009).
Emotionale Verarbeitung
Ein weiterer Erklärungsversuch der Expositionstherapie ist die emotionale Verarbeitung eines phobisches Reizes. Unter emotionaler Verarbeitung wird der Prozess verstanden, in welcher ein phobischer Stimulus neutralisiert bzw. emotionale Beeinträchtigungen verringert werden. Foa und Kozak (1986) spezifizieren das Konzept und etablieren zwei Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche emotionale Verarbeitung:
- „Das Furchtgedächtnis und die damit assoziierten beeinträchtigenden Emotionen müssen vollständig aktiviert werden. Unter Furchtgedächtnis versteht man eine Art Netzwerk, in dem alle Informationen des gefürchteten Stimulus (verbal, physiologisch, das Verhalten beeinflussend) repräsentiert sind.
- Während der Aktivierung des Furchtnetzwerkes müssen Informationen verarbeitet werden, die inkompatibel mit den bisherigen Elementen des Netzwerkes sind, sodass korrigierendes Lernen und die Bildung einer neuen Gedächtnisstruktur stattfinden kann. Inkompatible Informationen können sowohl kognitiver als auch affektiver Natur sein.“ (Bentz et al., 2009, S. 411)
Weiterhin wurden drei zugrundeliegende Wirkprinzipien formuliert, welche eine gelungene emotionale Verarbeitungen zur Folge haben:
- Physiologische Aktivierung: während der Übung muss der Patient eine erhöhte physiologische Erregung verspüren (z.B: Erhöhte Herzfrequenz)
- Habituation während einer Sitzung: Im Zeitverlauf der Übung nimmt die physiologische Erregung allmählich ab
- Habituation über die Sitzung hinweg: Das erste Reaktionsmuster gegenüber dem Stimulus, nimmt auch nach der Sitzung ab (Foa & Kozak, 1986)
Nach Foa und Kozak (1995) entsteht innerhalb der Habituation während einer Sitzung eine Dissoziation zwischen der Erwartungsangst hinsichtlich des phobischen Stimulus und der tatsächlichen Angstreaktion. Diese Dissoziation wird als Grundlage für die Angstreduktion innerhalb der Konfrontationstherapie gesehen (1986). Obwohl dieser Ansatz weit verbreitet ist, konnten empirische Befunde den Zusammenhang zwischen der Habituation während einer Sitzung und dem Therapieerfolg nicht bestätigen. Fao und Kozak überarbeiten demnach ihre Wirkprinzipien der Expositionstherapie; in der Neuformulierung wird beschrieben, dass die Habituation während einer Sitzung eher als „eine Möglichkeit, eine korrigierende Erfahrung mit dem Stimulus zu machen, vestanden werden sollte, anstatt als zwingende Voraussetzung“ (Bentz et al., 2009, S. 412)
Gegenkonditionierung
Dem Konzept der Gegenkonditionierung nach Wolpe (1973) liegt die Idee zugrunde, dass eine Reduktion der Angstsymptome abgeschwächt wird, wenn während der Konfrontation mit dem phobischen Stimulus ein antagonischer psychophysiologischer Zustand induziert wird. Für dieses Konzept gibt es allerdings keine signifikanten empirischen Befunde (Craske, 1999) .
Extinktion
Die Extintionshypothese liefert aktuell einen bedeutsamen Beitrag zum Verständnis für die Wirksamkeit der Expositionstherapie. Unter Extinktion wird die allmähliche Abschwächung eines Reaktionsmusters und das schlussendliche Ausbleiben dieser Reaktion verstanden, welche aufgrund einer mehrmachen Präsentation des konditionierten, ursprünglich neutralem, Reiz, entsteht (Gerring & Zimbardo, 2008). Nach dieser Hypothese wird angenommen, dass Betroffene während einer Exposition lernen, dass der phobische Reiz, welche eine unkonditionierte, aversive Angstreaktion auslöst, nicht mehr auftritt. Demnach lernt beispielsweise eine Person mit der Angst vor dem Erbrechen, dass sie sich wider Erwarten nicht erbrechen muss. Neben empirischen Befunden, die diese Theorie bestätigen, liefern auch Erfahrungen aus der therapeutische Praxis eine Bestärkung der Extinktion. Demnach sind wenige lange Konfrontationsübungen effektiver, als mehrere kurze Übungen; da besonders langanhaltende Übungen die Erfahrung ermöglichen, dass der erwartete unkonditionierte Stimulus auftritt.
Extinktion bedeutet nicht, dass alte Erinnerungen bzw. Gelerntes verlernt wird; Assoziationen bleiben also bestehen. Der Organismus lernt lediglich, dass auf den unkonditionierten Stimulus keine Reaktion folgen muss. Demnach wird nicht die Assoziation, sondern die Reaktion gelöscht. Ob die Reaktion bei Darbietung des Stimulus aufgezeigt wird oder nicht, hängt oftmals vom Kontakt der Reizdarbietung ab. Demnach sollte eine Konfrontation möglichst in vielen, möglichst unterschiedlichen Kontexten und Umgebungen durchgeführt werden, um eine spontane Remission der Reaktion zu umgehen (Foa et al., 2012).
Diese Erkenntnisse sollten in der Dauer, Gestaltung und Durchführung der Therapiesitzungen beachtet werden:
- Die Dauer der Stimuluspräsentation sollte länger sein, als beim Angsterwerb
- Erwartungsängste bezüglich körperlichen Reaktionen und Zeitspanne bis zur Angstreaktion, sollten vorab besprochen werden
- Die Erwartungsängste sollten vor jeder Sitzung neu besprochen bzw. abgefragt werden
Im Rahmen der Extinktionshypothese ist der Abgleich der erwarteten Angst während der Konfrontation und der tatsächlich Reaktion während der Übung, für den Erfolg verantwortlich. Demnach erfolgt eine Extinktion des ängstlichen Reaktionsmusters aufgrund der Dissostanz, also der fehlenden Übereinstimmung des Erwarteten und der Realität.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Expositionstherapie ein starkes Mittel bei Behandlungen von Angststörungen ist. Anhand von Meta-Analysen konnte festgestellt werden, dass oftmals eine zusätzliche kognitive Behandlung keinen weiteren Mehrwert zu einer Expositionstherapie bringt. Die Expositionsübungen sollten mit einer graduellen Stimuluspräsentation erarbeitet werden, da dies die sicherste und angenehmste Art der Reizkonfrontation für den Patienten darstellt. Weiterhin bietet sich eine Konfrontationsübung mittels der in-virtuo Präsentation an. Diese Methode ist im Gegensatz zur in-vivo Präsentation vor ungewollten, nicht vorhersehbaren Ereignissen kontrollierbar und kann unendlich oft wiederholt werden. Zudem kann die in-virtuo Präsentation im Gegensatz zur in-sensu Methode, für diejenige Patienten genutzt werden, die kein starkes Vorstellungsvermögen haben und ist nicht von der Willensstärke des Patienten im Moment der Übung abhängig.
Je nach Typus der spezifischen Phobie, welche im Kapitel 2.4. erläutert wurden, sollte eine spezielle, störungsbildadäquate Expositionsübung angeboten werden. Für sämtliche Störungstypen der spezifischen Phobie können sowohl in-sensu, in-vivo und in-virtuo Stimuli verwendet werden. Im obigen Kapitel wurden die jeweiligen Vorteile der drei Stimuluspräsentationen aufgezeigt. Vor dem Beginn mit der tatsächliche Expositionsübung, sollten psychoedukative Elemente besprochen und zusammen erarbeitet werden. Neben des Teufelskreises der Angst und „the vicious cycle of avoidance“, sollten die Patienten auch mit den Begrifflichkeit der Erwartungsangst und Sicherheitsverhalten vertraut gemacht werden. Im Rahmen der Psychoedukation sollte ebenfalls eine Angsthierarchie erarbeitet werden, da diese die Richtlinie für die graduellen Expositionsübungen sein werden. Oftmals wird in der Praxis mit der in-virtuo Präsentation begonnen, um im Laufe der Angsthierarchie eine tatsächliche, reale Konfrontation mit dem Stimulus zu durchleben. Die Konfrontationsübungen sollten bestenfalls graduiert stattfinden, also entlang der erarbeiteten Angsthierachie. Diese Vorgehensweise hat bei Patienten die höchste Akzeptanz und kann eventuelle traumatische Erlebnisse während der Übung verhindern. Generell wird davon ausgegangen, dass für die Behandlung der spezifischen Phobie acht Expositionssitzungen ausreichen, um einen Behandlungserfolg zu erreichen.
In den obigen Kapiteln wurde die leitliniengerechte Behandlung einer spezifischen Phobie erläutert. Aufgrund der hohen Wirksamkeit der KVT in der Behandlung von Angststörungen, werden sämtliche Kosten der psychotherapeutischen Interventionen von Deutschen Krankenkassen übernommen. In den letzten Jahren wurde ein deutlicher Zuwachs an psychischen Störungen in Deutschland vernommen. Deutsche Krankenkassen und Rentenversicherung belegen seit vielen Jahre eine drastische Zunahme an psychischen Erkrankungen und die damit zusammenhängenden Arbeitsunfähigkeitstage, welche im Zeitraum von 2000 bis 2009 um 37 Prozent stiegen. Auch bei der Häufigkeiten an Krankenhausfällen, vermerken die Krankenkassen eine Steigerung von rund 70 Prozent in den letzten 10 Jahren. Im Bundes-Gesundheitssurvey wurde die Jahresprävalenz von psychischen Störungen auf 31 Prozent beziffert (Jacobi et al. 2014). Erste Auswertung der Folgestudie, Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS), bestätigen laut Wittchen und Jacobi (2012) diese Ergebnisse. Bei Betrachtung der Diagnoseanzahlen von ambulanten Psychotherapeuten aus Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen, ergab sich ein vergleichbarer Anteil zur Jahresprävalenz psychischer Erkrankungen. 2012 wurde zudem im BARMER GEK Arztreport alle Diagnose niedergelassenen Psychotherapeuten von Barmer GEK Versicherern auf die Population in Deutschland hochgerechnet; für das Jahr 2010 lag auch hier die Anzahl an psychischen Erkrankten in Deutschland 31,9 Prozent der Bevölkerung.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichte 2007 Ergebnisse bezüglich psychischen Diagnosen von ambulanten Versorgungsträgern in der KiGGS-Studie vor. Aus dieser Studie geht hervor, dass mehr als 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten aufweisen und etwa jedes zehnte Kind höchstwahrscheinlich psychisch krank ist (Ravens-Sieberer et al., 2007). Die Angststörung ist bei Kindern sowie bei Erwachsenen die häufigste psychische Erkrankung. Rund jedes zehnte Kind leidet bereits an Ängsten. Bei Erwachsenen leiden rund 15,4 Prozent an Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen (9,8 Prozent) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (5,7 Prozent). Den rund 18 Millionen psychisch Erkrankten Erwachsenen in Deutschland stehen 13.938 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie gegenüber. Diese Fachärzte, welche eine leitliniengerechte Behandlung durchführen können, sind etwa gleichmäßig auf ambulante und stationäre Settings verteilt. Im Jahr 2017 wurden über 800.000 Personen stationär behandelt. Weiterhin wurde rund 150.000 Betroffene teilstationär, also im Rahmen von tages- und nachtklinischen Behandlungsplätzen, betreut. Pro Quartal des Jahres 2017 wurden zudem 2,5 Millionen Personen in ambulanten Praxen behandelt. Die Wartezeit für ein Ersttermin, aufgrund des Ungleichgewichts an Angebot seitens der Fachärzte und der wachsenden Nachfragen aufgrund von steigenden psychischen Erkrankungen, betrug vor der Reform der Akutbehandlung in 2017 rund 12,5 Wochen. Nach der Psychotherapeutenreform im Jahr 2017, verringerte sich die Wartezeit für ein Ersttermin auf durchschnittliche 5,7 Wochen. Die Wartezeit bis zur tatsächlichen, Richtlinientherapie liegt aktuell bei 19,9 Wochen. In diesem Zeitraum können sich psychische Erkrankungen chronifizieren oder verschlimmern. Weiterhin stellt diese lange Wartezeit ein Hindernis dar, überhaupt eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen (American Psychiatric Association, 2013).
Laut Zahlen und Fakten bezüglich der Psychotherapie in Deutschland von DGGPN (2019), nehmen rund 18,9 Prozent der psychischen Erkrankten Kontakt zu einem Leistungsanbieter an. Nach Ergebnissen aus dem Bundes-Gesundheitssurveys erhalten rund 36 Prozent der Betroffenen „irgendeine Art von Behandlung, hatten also zumindest einmal Kontakt zu Hausärzten, Fachärzten, Psychotherapeuten oder entsprechender stationärer Einrichtungen aufgrund psychischer Probleme“ (Bundespsychotherapeutenkammer, 2009, S. 17).
Insgesamt erhalten rund 10 Prozent der Betroffenen eine leitliniengerechte Behandlung ihrer Pathologie (Bundespsychotherapeutenkammer, 2009). Viele Betroffene werden lediglich hausärztlich und medikamentös betreut - nur jeder 25. Patient eine professionelle und leitliniengerechte Hilfe in Anspruch. Insgesamt würden rund 10 Prozent der Menschen mit einer psychischen Störung eine leitliniengerechte Therapie erhalten (Jacobi et al., 2002). Neben den allgemeinen Versorgungsdefiziten bezüglich psychotherapeutischer Interventionen bei psychischen Störungen, existieren störungsspezifische Besonderheiten bei der Versorgungsrealität spezifischer Phobien.
Nach der S3-Leitlinien für die Behandlung spezifischen Phobien wird eine KTV empfohlen, welche neben psychoedukativen und kognitiv-umstrukturierenden Elementen eine konfrontative Komponente beinhaltet. Trotz des empirischen Nachweises der Wirksamkeit der Expositionstherapie und dessen Empfehlung in den Leitlinien zur Behandlung der Angststörung, werden konfrontative Übungen in der Praxis vernachlässigt. Roth, Siegl, Aufdermauer und Reinecker befragten in 2004 138 niedergalassen Psychotherapeuten, welche sich auf die Verhaltenstherapie spezialisiert hatten. Bei Patienten mit Angsterkrankungen verwendeten 26,8 Prozent „immer“ und 37 Prozent „meistens“ eine Konfrontationsübung als Therapieansatz. Die restliche 26,1 Prozent der Psychotherapeuten gaben an, diese nur „gelegentlich“ (18,8 Prozent), selten (5,1 Prozent), nie (2,2 Prozent) einzusetzen. Sars und van Minnen (2012) kamen zu einem ähnlichen Ergebnis bei ihrer Befragung von 490 kognitiven Verhaltenstherapeuten. Im ambulanten Setting setzten 35,1 Prozent der Therapeuten regelmäßige in-vivo- Expositionsübungen ein. Bei der Behandlung von spezifischen Phobien waren es 52,2 Prozent. Klan und Hiller untersuchten 2014 mittels eines standardisierten Evaluationssystem die Anwedungshäufigkeiten von Expositionsübungen und gelangen zu vergleichbaren Zahlen. In Deutschland suchen jährlich nur 2,2 Prozent der Betroffenen Personen mit psychischen Störungen einen Psychotherapeuten auf. Demgegenüber stehen mehr als 30 Prozent der Deutschen, welche ein psychisches Störungsbild aufweisen. Bei Betrachtung der Anzahl an Angstpatienten in Deutschland, über 15 Prozent der Bevölkerung und der Erkenntnis, dass nur rund 50 Prozent der Psychotherapeuten eine Expositionsbehandlung anbieten, lässt sich eine bedeutsame Unterversorgung an einer leitliniengerechten Behandlung der Patienten ableiten. Diese setzt sich zum einen aus einem Mangel an Psychotherapeuten, welche eine lange Wartezeit auf die Behandlung bedeutet und der Versorgungsrealität bezüglich der Expositionstherapie zusammen. Neben der Quantität des Expositionsangebots, wird im nächsten Kapitel auch die Qualität des Expositionsangebots durchleuchtet, welche einen weiteren negativen Einfluss auf die Versorgungsrealität von spezifischen Störungen in Deutschland hat.
Der aktuelle Forschungsstand bezüglich der Versorgungsrealität der evidenzbasiert Expositionsbehandlung, weist neben einer geringen Verbreitung der Therapie, auch daraufhin, dass die Qualität der Behandlung von den Behandlungsrichtlinien abweicht. Nach einer Studie in 2007 von Stobie, Taylor, Quigley, Ewing & Salvoskis, wurden im Rahmen der KTV für die Behandlung einer Angststörung nur in 60 Prozent der Fälle die minimalen Kriterien einer leitliniengerechten Behandlung erreicht. Auch Böhm, Förstner, Külz und Voderholzer stellten 2008, bei der Durchführung von strukturierten Interviews zu Behandlungserfahrungen von Angstpatienten fest, dass 70 Prozent keine Beobachtungskontrolle erstellt haben. Weiterhin gaben 81 Prozent an, keine Angst/- bzw. Zwangshierarchie erstellt zu haben, welche für die Durchführung der graduellen Expositionstherapie unabdingbar ist. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass wenn die Expositionsbehandlung eingesetzt wird, die Anwendung häufig von den Behandlungsrichtlinien abweicht. Die empfohlene lang anhaltende, intensive und häufige Durchführung von Expositionsübungen wird demnach nicht durchgeführt. Die dargestellte Studienlage weist auf eine deutliche Diskrepanz zwischen der empirischen Evidenz des Exposition Verfahrens und der tatsächlichen Nutzung und Verbreitung in der Praxis. Obwohl die Expositionstherapie eine der wirksamsten Methoden zur Behandlung von Ängsten darstellt und innerhalb einer leitliniengerechten Behandlung vorgesehen ist, wird in der Praxis zu wenig damit gearbeitet; im Hinblick auf die Qualität ist die Anwendung der Methode zusätzlich unbefriedigend.
Neben der unbefriedigenden Qualität und Quantität des Expositionsangebots in der Praxis, fällt in Deutschland das Versorgungsdefizit bezüglich psychotherapeutischer Interventionen auf, welches im Kapitel 3 erläutert wurde. Ein vielversprechender Sektor, der diesem Ungleichgewicht an Angebot und Nachfrage entgegenkommt, ist der Digital Mental Health Markt. Im folgenden Kapitel werden aktuelle Maßnahmen von internetbasierten Methoden beschrieben, welche sich in den letzten Jahren etabliert haben und eine Alternative zur klassischen Psychotherapie darstellen.
Die Entwicklung moderner Kommunikationsmittel verzeichnet in den letzten Jahren ein ungebremstes Wachstum, welches sich zunehmende auf den psychosozialen Sektor und auf psychotherapeutische Interventionen ausbreitet (Schuster, Berger & Laireter, 2017). Das Mobile Health, die mobile Gesundheit gewinnt zunehmend an Bedeutung und hat sich zu einem Millionengeschäft entwickelt. Gründe dafür sind nach Berger und Caspar (2011) die Nachfrage an psychosozialer Unterstützung, welche durch klassische Angebote seitens der Leistungsträger nicht vollständig abgedeckt werden können, die Spezifizierung therapeutischer Behandlungsmethode, die sich gut auf computerbasierte Beratungsangebote anwenden lassen und vorhandene Wirkungsnachweise, die sich positiv auf die Implementierung von internetbezogenen Interventionen auswirken.
Internetbasierte Interventionen bei psychischen Krankheiten sind in drei Kategorien, welche sich in ihrer Intensität unterscheiden, unterteilt. Die unterste Stufe wird von Internetseiten oder Applicationen mithilfe von psychoedukanten Elementen und nützlichen Informationen charakterisiert. Zudem existieren Online-Trainings, welche auch als Selbsthilfe 2.0 genannt werden, welche sich auf einer mittleren Intensität von Online-Interventionen befinden. Die höchste Intensitätsstufe stellen Interventionen dar, bei denen geschultes Fachpersonal mithilfe von E-Mails, Skype o.Ä. Betroffene kontaktiert und in der Regel eine Betreuungszeit von 10-15 Minuten anbieten (Andersson, 2014). Internetbasierte psychotherapeutische Interventionen, können demnach sowohl als „Stand-Alone“ Programm, als auch als Zusatzmodul zu einer klassischen Psychotherapie fungieren. Letzteres kommt der Form der gemischten Psychotherapie, einer Form der „blended Intervention“ sehr nahe. Damit ist die Erweiterung der klassischen Psychotherapie mithilfe einer zusätzlichen internetbasierten Intervention gemeint, bei welcher der Kontakt zwischen dem Psychotherapeuten und dem Patienten im Fokus steht. Neben dem traditionellen ambulanten oder stationären Behandlungssetting, wird hierbei der Therapieprozess mit den Bestandteil einer Online-Interventions-Phase ausgebaut (Ruwaard & Kok, 2015) .
Die oben genannten Mental Health Konzepte, internetbasierte und gemischte Interventionen, sind von der Telemedizin, im Rahmen von Chat-Gruppen oder einer Telefontherapie sowie von virtuellen Realitäten, welche computersimulierte Konfrontationen bei Ängsten anbieten, zu unterscheiden. Telemedizin übersetzt im Grunde genommen klassische Leistungen in die mediale Kommunikation. Online-Interventionen sind hingegen sehr stark an einem Therapieprozess orientiert und abgestimmt und erweitern diesen um neue Elemente (Schuster et al., 2017). Die Inhalte, welche innerhalb der Online- Interventionen angeboten werden können sich je nach Art der Störung und Behandlungsstrategie unterscheiden. Aktuell basieren die meisten Interventionen auf dem Markt auf den Methoden der KVT. Dabei enthalten die Interventionen Elemente der kognitiven Umstrukturierung, der Psychoedukation sowie angewandte Fallbeispiele (Andersson & Titov, 2014).
Computerbasierte Interventionen basieren häufig auf einer Abfolge alleinständiger Module, die entweder chronisch, oder nach persönlichem Interesse bearbeitet werden können. In anderen europäischen Ländern, wie den Niederlanden, Skandinavien sowie angloamerikanischen Ländern, existieren bereits viele solcher Ansätze (Kossman et al., 2009). Anhand der computerbasierten Intervention für Depressionen (Deprexis; www.deprexis.com) , soll folglich eine umgesetzte Online-Intervention aufgezeigt werden, die sowohl als Stand-Alone, als auch als „blended-therapy“ einsetzbar.
Tabelle 5: Beispiel einer Online Intervention bei Depressionen
Quelle: www.deprexis.com; Kossman et al., 2009
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die obigen Module werden anhand eines Computeralgorithmus, auf Basis eines textbasierten Dialogs, dem Nutzer entsprechend vorgeschlagen. Somit werden die Inhalte auf die individuellen Bedürfnisse angepasst. Neben den Modulen, bietet die Plattform auf Statistiken hinsichtlich der Bearbeitung von Modulen und dem Symptomverlauf der Nutzer an. Bei Wunsch kann eine optionale Erinnerungsfunktion eingeschaltet werden, sodass Nachrichten an das mobile Endgerät gesendet werden, um als motivationalen Faktor zu wirken.
Im Rahmen von 100 randomisierten kontrollierten Studien im Zeitraum von 2000 bis 2012, konnte die Wirksamkeit von Online-Interventionen bei Depressionen, sozialer Phobie und Panikstörungen empirisch nachgewiesen werden (Hedman et al., 2012). Die empirische Ergebnisse der Behandlungen mithilfe von Online-Interventionen haben hohe Effektstärken gezeigt. Für Depressionen beträgt die Effektstärke, innerhalb von 5 Metaanalysen, zwischen d = 041 und d = 0,94. Die Effektstärke variiert aufgrund des Schweregrades des Störungsbildes und der zusätzlichen therapeutischen Interventionen. Zudem wurden in den letzten Jahren verschiedene empirische Vergleiche zwischen traditionellen psychotherapeutischen Ansätzen und internetbasierten Interventionen durchgeführt. Online-Programme, die zusätzlich von Therapeuten online unterstützendend begleitet wurden, haben demnach die gleiche Effektstärke beim Behandlungserfolg, wie Einzel- oder Gruppenpsychotherapie. Die Voraussetzung für den Erfolg einer Online-Intervention seien ein Internetzugang sowie Computerkenntnisse und persönliches Interesse an der Thematik. Weiterhin tragen die verfügbare Zeit und soziale Unterstützung einen wertvollen Beitrag zur Symptomreduktion der Betroffenen (Waller & Gilbody, 2009) . Internetbasierte Interventionen bei psychischen Erkrankungen, werden wie obig beschrieben, als Stand-Alone- Programme oder in therapeutischer Begleitung angeboten. Letztere führen meistens zu besseren Ergebnissen, sodass ein deutlicher Unterschied der Effektstärken, hauptsächlich bei Depressionen, zwischen den beiden Online-Intervention-Kategorien nachweisbar ist. Die Effektstärke bezüglich der Symptomreduktion bei Depressionen, ohne diagnostischen Kontakt zu einem Therapeuten liegt nach aktuellen Meta-Analysen bei d = 0,21 (Johansson & Andersson, 2012). Demgegenüber steht die Effektstärke von d = 0,76 bei Interventionen mit diagnostischer Aufklärung und therapeutischer Begleitung (Johansson & Andersson, 2012).
Die Begründung liegt hierbei vermutlich in der Abbruchsquote des Online-Programmes, welches ohne Kontakt zu einem Psychotherapeuten deutlich niedriger ist; nach Richards und Richardson (2012), ist das Abbruchrisiko durch einen Psychotherapeuten siebenmal niedriger. Obwohl die therapeutische Begleitung im Rahmen von Online-Interventionen mittels E-Mail Korrespondenz, als qualitativ niedriger eingeschätzt wird, als eine Face-to-Face Behandlung im klassischen Behandlungssetting, wird diese seitens der Patienten als ähnlich intensiv und hilfreich beschrieben (Schuster et al., 2017).
Internetbasierte Interventionen sind hinsichtlich der Reichweite und der Flexibilität in der Nutzung sowie der belegten Wirkung eine gute Alternative zur herkömmlichen Psychotherapie, welche sehr lange Wartezeiten mit sich bringt. Allerdings sind auch Nachteile auf verschiedenen Ebenen bekannt (Andersson & Titov, 2014). Zum einen ist hierbei die Erschwernis für eine qualitative Diagnostik zu nennen, welche aufgrund des fehlenden oder reduzierten Kontakt zum Therapeuten zustande kommen. Zum anderen bestehen Einschränkungen bezüglich der Anwendbarkeit bei komorbiden Störungen und suizidalen Krisen. Bezogen auf Angststörungen, bzw. auf die spezifischen Phobien stellt dies, aufgrund der hohen Komorbidität der Störung, eine Herausforderung dar. Obgleich einige Studien die Wirksamkeit von internetbasierter Interventionen bei komorbiden Krankheitsverläufen belegen, bestehen Einschränkungen bezüglich der Flexibilität der Module hinsichtlich neuer Symptome des Patienten. Angstpatienten haben ein erhöhtes Risiko an einer affektiven Störung zu erkranken, bzw. weitere angstspezifische Störungen zu entwickeln. Im Hinblick auf Suizidalität, welche sich im Rahmen einer depressiven Episode etablieren kann, weisen Online-Interventionen keine direkte Nothilfe auf. In der untenstehenden Graphik, werden genannte Nachteile den Vorteilen der Interventionsprogramme gegenübergestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Vor- und Nachteile von Online-Interventionen
Quelle: Schuster et al., 2017, S. 275
Internetbasierte Interventionen erlebten in den letzten Dekaden eine rapide Zunahme hinsichtlich der Marktimplementierung und des Interesses als Forschungsgegenstand (Schuster et al., 2017). Ein naheliegender Grund dafür ist die Attraktivität dieser Programme, welche Start-Ups und andere Anbieter, ein schnelles Wachstum verspricht. Weitere Gründe dafür sind u.a., dass empirische Studien in diesem Bereich sehr aufwendig sind und eine allgemeine Skepsis seitens vieler Psychotherapeuten herrscht (Hedman et al., 2014).
Während für die Online-Interventionen also eine gut fundierte empirische Basis besteht, befindet sich die Forschung hinsichtlich der gemischten Therapieformen erst am Anfang. In den letzten Jahren wird eine Zunahme des Beforschungsinteresses des „blended-therapy-Ansatzes“ beobachtet, sodass aktuell Machbarkeits- und Anwendbarkeitsstudien vorliegen. Zudem wird die Strategie verfolgt in vergleichenden Studien aufzuzeigen, dass das klassische Therapiesetting durch begleitende Stand-Alone Interventionen einen gleichwertigen Behandlungserfolg in Verbindung mit einem geringeren therapeutischen Aufwand erzielen kann (Schuster et al., 2017). Stand-Alone-Programme können neben einer klassischen Therapie eingesetzt werden, um den Transfer des Erlernten zu ermöglichen und zusätzlich psychotherapeutische Interventionen zu fördern. Grundlegende Fragen, die aufgeklärt werden müssten, sind, wie Online-Therapien sich in den klassischen Therapieprozess integrieren lassen. Im folgenden Kapitel werden demnach ein beispielhaftes Konzept erläutert, die das Vorgehen einer gemischten Therapie aufzeigen.
E-Learning und persönliche Therapie bei Depression
In den Niederlanden wurde ein Blended-therapy Konzept entwickelt, das neben einem Manual mit KVT Ansätzen, auch wöchentliche Therapieeinheiten enthält. Das Manual enthält 16 bis 20 Einheiten, welche auf einer E-Learning Plattform bereitgestellt werden. Innerhalb der 10-wöchigen Kurztherapie, werden einmal wöchentlich persönliche Therapiesessions eingebaut. Von Zuhause aus können Nutzer mittels des E-Learning Portals, auf eine Datenbank mit psychoedukativen Elementen sowie Anleitungen für aktivierende Verhaltensweisen zugreifen. Mithilfe einer App werden zusätzlich Verhaltensweisen dokumentiert, verfolgt und statistisch festgehalten. Zudem haben Nutzer die Möglichkeit über das Therapeuten-Portal, außerhalb der Sitzungen, konstruktives Feedback und informative Kurznachrichten auszutauschen (deprexis, 2020).
Anhand der obigen Kapitel wurden Vor- und Nachteile von Online-Interventionen erläutert und ein beispielhaftes Setting für eine gemischte Psychotherapie vorgestellt. Aufgrund des Versorgungsdefizites hinsichtlich der psychotherapeutischen Interventionen bei psychisch kranken Erwachsenen in Deutschland und der Tatsache, dass nur die Hälfte der Psychotherapeuten eine Expositionstherapie im Rahmen einer Angstbehandlung anbieten, wird folglich eine Stand-Alone Online-Intervention und eine gemischte Psychotherapie mit Hilfe einer Expositionsapp skizziert.
Im Hinblick auf die Behandlung von spezifischen Phobien ist eine Expositionsapp denkbar, mit welcher in-virtuo Übungen durchgeführt werden können. Die Tatsache, dass heutzutage 79 Prozent der Deutschen ein Smartphone besitzen und täglich nutzen (Statista, 2019), ist eine gute Grundvoraussetzung, um sich an solches Therapiedesign zu nähern. Eine in-virtuo Expositionsübung kann mithilfe von Bild-, Audio-, und Videodateien stattfinden, welche auf einem Smartphone, im Rahmen einer Application, aufgerufen werden können.
Bevor eine Expositionsübung gestartet wird, sollte ein App-Fragebogen ausgefüllt werden, sodass der Typus des phobischen Stimulus und der aktuelle Leidendruck zum Ausdruck kommen. Psychoedukative Elemente, können daraufhin Betroffene über ihr Krankheitsbild, Symptome des vegetativen Nervensystems und den Teufelskreis der Angst informieren. Weiterhin sollten Konzepte der Erwartungsangst und des Sicherheitsverhaltens einfach und verständlich erläutert werden. Denkbar hierfür ist ein Introduktionsvideo, welches von einem ehemaligen Angstpatienten oder einem Psychotherapeuten aufgenommen wird. Dieses Introduktionsvideo könnte beispielsweise für die 10 häufigsten phobischen Stimuli gedreht werden, sodass Betroffene gezielt über Verhaltensmuster ihrer Phobie informiert werden und sich demnach verstanden fühlen. Im weiteren Verlauf der App Nutzung, sollte eine Angsthierarchie selbstständig vom Betroffenen erarbeitet werden, sodass folglich eine graduelle Stimuluspräsentation erfolgen kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Einleitung
Quelle: Eigene Darstellung
Denkbar ist hierbei die Nutzung eines Algorithmus, welcher anhand der Angsthierarchie passende Dateien zum Anhören oder ansehen vorschlägt. Ein wichtiges Element, welches bei der Gestaltung einer Expositionsapp beachtet werden sollte, ist das Konzept der erwarteten vs. der tatsächlichen Angst. Anhand der Extinktionstheorie wurde dargestellt, dass der Abgleich dieser beiden Angstformen, die Löschung der ängstlichen Reaktion hervorruft. Demnach sollte jede Datei mit einer kleinen Beschreibung des dargestellten Stimulus versehen sein. Nach dem Lesen der Dateienbeschreibung haben Angstpatienten die Möglichkeit ihre Angst, vor der Stimuluspräsentation, zu bewerten. Während der Expositionsübung sollte ebenfalls ein Rating eingebaut werden, dass ca. alle 2 Minuten den Betroffenen abfragt, wie hoch die tatsächliche Angst ist. Hierbei ist zu beachten, dass die Expositionsübung nicht abgebrochen werden darf, solang die Angst nicht unter einem Level von 4/10 ist. Erst wenn der Nutzer im Rating angibt, dass die erlebte Angst bei 4 oder unter 4 ist, kann die Übung beendet werden (Wolpe, 1973). Hierbei ist wiederum ein Algorithmus denkbar, welcher den Nutzer daran hindert die App oder bzw. die Datei zu schließen, bevor das Rating nicht entsprechend erfolgt ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Expositionsübung
Quelle: Eigene Darstellung
Im Anschluss der Expositionsübung sind somit Daten vorhanden, um eine Statistik der Übung zu verbildlichen, die einen Abgleich der erwarteten und erlebten Angst ermöglichen. Weiterhin bekommt der Nutzer Informationen zur Dauer der erlebten Angst, welche ebenfalls mittels der App aufgezeichnet wurde. Die Visualisierung dieser Angstkurve ist für Patienten wichtig, um zu erleben, dass ihre erlebte Angst aushaltbar ist und weniger lange andauert, als erwartet. Dieses statistische Element ist für jede Übung und in Form einer Gesamtstatistik denkbar. Die Gesamtstatistik erlaubt die Verbildlichung einer sich langsam reduzierenden Angst im Zeitverlauf der gesamten Abnutzung. Am Tag nach der ersten Konfrontation, könnte mithilfe einer Notifikation und Erinnerungsfunktion, eine Abfrage der erwarteten Angst bezüglich der bereits durchgeführten Übung erfolgen. Sollte hierbei die Angst wieder höher als 4 erwartet werden, könnte die gleiche Übung erneut durchgeführt werden. Ist dies nicht der Fall, kann am Tag darauf die nächst höhere Übung auf der Angsthierarchie durchgeführt werden. Anhand des Forschungsstandes lässt sich ableiten, dass Angstpatienten zwischen acht und zehn Übungen benötigen, um die Angstsymptome deutlich zu reduzieren (Bandelow, 2003). Weitere Elemente der KVT sind zudem nicht notwendig, um den Behandlungserfolg mittels der Expositionstherapie zu erlangen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Skizzierter Lösungsansatz für die Expositionstherapie: Nach der Übung
Quelle: Eigene Darstellung
Basierend auf der Erkenntnis, dass Stand-Alone Interventionen wirksamer sind, wenn diese per E-Mail, oder persönlich von Psychotherapeuten begleitet werden, wird nun eine mögliche Form der gemischten Psychotherapie mit der obigen Online-Intervention dargestellt. Zunächst ist ein diagnostisches Gespräch mit einem Psychotherapeuten denkbar, sodass psychoedukative Elemente mitgeteilt werden und zusätzlich Rückfragen seitens der Patienten erfolgen können. Hierbei könnte der App Anbieter eine Kooperation mit niedergelassenen Psychotherapeuten oder mit Psychotherapeutischen Kliniken eingehen.
Das Verständnis über obig beschriebene Angstkonzepte und edukative Konzepte des Krankheitsbildes sind unabdingbar, um einen Behandlungserfolg zu gewährleisten. Im darauffolgenden Schritt sollte ebenfalls eine Angsthierarchie selbstständig erarbeitet werden, sodass der App-Algorithmus geeignete Dateien für die erste Expositionsübung anbieten kann. Im Rahmen einer gemischten Therapieform der Intervention, sollen neben dem Rating der Übung, auch ein Anschlussgespräch mit einem Psychotherapeuten stattfinden. Hierbei können Erfolge bzw. Probleme in der Umsetzung besprochen werden. Die Übungen sollten im weiteren Verlauf selbstständig vom Angstpatienten durchgeführt werden, obgleich eine Chat-Funktion innerhalb der App bestehen könnte, welche bei möglichen Rückfragen, benutzt werden kann.
Nach Abschluss der ersten acht Übungen, sollte ein weiteres Telefongespräch mit einem Psychotherapeuten stattfinden. Hierbei könnten die aufgezeichneten Statistiken der App genutzt werden, um Erfolge detailliert zu besprechen. Je nach Zustand des Angstpatienten könnte hier besprochen werden, ob weitere in-virtuo Übungen notwendig ist, oder ob ein Patient in der Lage ist, selbstständig reale, in-vivo Expositionen durchzuführen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Skizzierung des Verlaufs einer gemischten Expositionstherapie
Quelle: Eigene Darstellung
Eine gemischte Psychotherapie, wie sie obig beschrieben wurde, hat zum einen den Vorteil, dass sie Psychotherapeuten entlasten könnte. Demnach müssten diese kein Bild,- Audio,- oder Videomaterial suchen und Therapiesitzungen damit aufbringen, Patienten während ihrer Übung zu begleiten. Psychotherapeuten würden im Rahmen der gemischten Therapie die Aufgabe übernehmen, Patienten über ihre Angst aufzuklären und aufkommende Problematiken zu besprechen, bzw. Erfolge zu analysieren. Neben der Entlastung der Psychotherapeuten, spielt die Flexibilität für die Betroffenen eine große Rolle. Angstpatienten müssten zukünftig nicht mehr eine lange Wartezeit auf sich nehmen, um ihre Angst zu behandeln, sondern könnten selbstständig, je nach vorhandenen Zeitressourcen und Wünschen, ihre Angst bekämpfen.
Die rapide technologische Entwicklung ist ein gesellschaftliches Phänomen, das dazu beiträgt, dass Technik sich zu einem zentralen Bestandteil des Alltags geworden ist. Im Rahmen der Technologieakzeptanz werden die Begriffe Akzeptanz und Adoption häufig synonym verwendet, obwohl sie sich inhaltlich unterscheiden. Die beiden Begriffe fokussieren sich auf den Entscheidungsprozess seitens von Individuen oder einer Gruppe bezüglich deren einflussnehmenden Variablen. Hierbei beschreibt das Adoptionsparadigma hauptsächlich den Übernahmeprozess einer Innovation. Die Akzeptanz hingegen betrachtet die Einstellungsakzeptanz und die tatsächliche Nutzung eines Produktes. Demgegenüber steht die Diffusionsforschung, welche sich mit der Häuigkeit und der Geschwindigkeit, in der sich eine technische Innovation in die Gesellschaft adoptieren lässt (Kollmann, 1998).
Im Rahmen der Adoption wird der Entscheidungsprozess hinsichtlich einer technischen Innovation analysiert und beschreiben, um die Aneignung diesbezüglich zu repräsentieren. Der Begriff Adoption beschreibt im diesem Sinne lediglich das Ende eines Adoptionsprozesses, welches beispielsweise durch die Kaufentscheidung zu beobachten ist. Die Adoptionstherapie analysiert die Faktoren, welche auf den dynamischen Adoptionsprozess einwirken. Diese Dynamik wird durch die sich verändernden Informationsstände hinsichtlich der Eigenschaften und Rahmenbedingungen sowie Kompatibilität hinsichtlich der Innovation ergeben. Im Hinblick auf medizinische Innovationen ist der Effekt der Freiwilligkeit im Zusammenhang mit der medizinischen Notwendigkeit zusätzlich entscheidend. Der Adoptionsprozess lässt sich in drei Phasen unterteilen, welche die Bewusstseinsphase, die Meinungsbildungsphase und die Entscheidungsphase sind. Eine grundlegende Annahme dieses Prozesses ist, dass Innovationen bezüglich der individuellen Situation unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Wenn eine neue Medizintechnologie mit positiven Attributen bewertet wird und es besteht eine finanzielle Sicherheit in Kombination mit einer geprägten Kompetenz hinsichtlich der Technik, so wird angenommen, dass dies ein geringeren Informationsbedarf hinsichtlich der potentiellen Nutzer nachsichzieht. Zudem wird angenommen, dass notwendige Informationen für Individuen im Idealfall transparent sind.
Die Akzeptanz hinsichtlich einer technischen Innovation, geht über den Adoptionsbegriff hinaus und bezieht sich auf die tatsächliche Anwendung.
Nach Kollmann (1998), umfasst der Akzeptanzbegriff eine Einstellungs-, und eine Handlungskomponente. Die Einstellungsakzeptanz kann nochmal in eine affektive und eine kognitive Komponente unterteilt werden. Die affektive, gefühlsmäßige Elemente der Akzeptanzforschung beziehen sich auf die Gefühle im Umgang mit einer Innovation. Demgegenüber beschäftigt sich die Analyse der kognitiven Komponente mit einem Kosten-Nutzen-Vergleich des Produktes. Die Einstellungsakzeptanz ist nicht beobachtbar und muss deshalb durch gezielte Fragen erhoben werden. Im Gegensatz dazu ist die Handlungsakzeptanz beobachtbar und kann anhand eines beobachtbaren Verhaltens, wie zum Beispiel der tatsächlichen Nutzung des Produktes, vernommen werden (Müller-Boling & Müller, 1986). Die Akzeptanzforschung bezieht sich auf eine prognostische Zielsetzung, in dem sich auf der Mikroebene, in dem Fall auf der Ebene von Individuen, bewegt wird. Dabei wird die Beziehung zwischen einer Innovation und einem Nutzen in den Vordergrund gestellt.
Demnach beschäftigt sich die Akzeptanzforschung mit der Analyse der Akzeptanz von Produktinnovationen und deren zukünftige Nutzung. Im Vordergrund steht hierbei also nicht Prognose des Verhaltens von potentiellen Nutzern, sondern die Hinterfragung der Gründe für eine Annahme oder Ablehnung, während der Nutzung. Obwohl die Akzeptanz eine prognostizierende Analyse abzielt, ist die Erforschung der tatsächlichen Akzeptanz erst bei Marktetablierung und abgeschlossener Produktentwicklung möglich.
Um die Prognose des Erfolges, bzw. der Einstellung von Angstpatienten gegenüber einer internetbasierten Lösungsalternative zu untersuchen, wird sich die vorliegende Arbeit auf die Adoptionsfaktoren konzentrieren.
Im Hinblick auf die Einführung einer internetbasierten Intervention, ist es eine Notwendigkeit zu verstehen, welche Faktoren Angstpatienten dahingehend beeinflussen könnten, eine deartige Lösungsalternative in Anspruch nehmen zu wollen.
Die Adoptions- und Akzeptanzforschung beginnt nützlicherweise an der Nutzerseite einer potentiellen Innovation, sodass hierbei das Ziel verfolgt wird zu verstehen, was für Gründe die Zielgruppe dafür haben könnte, Innovationen anzunehmen oder diese abzulehnen. Neben dem Ziel festzustellen, welche Wechselbeziehungen zwischen der Markteinführung eines neuen Produktes und der Auswirkungen entstehen können, besteht ebenfalls die Zielsetzung, Hinweise für eine weitere Ausgestaltung des Produktes zu finden (Vogelsang, Steinhüser & Hoppe, 2013). Aktuell gilt das Technology Acceptance Model (TAM) als das bekannteste Akzeptanzmodell zur Erforschung von Softwareinnovationen. Dieses Modell wurde 1986 von Fred D. Davis entwickelt und gehört bis heute zu den meist verbreiteten und zitierten Akzeptanztheorien. Im Fokus des TAM steht die Einstellung des Nutzers gegenüber einer Software. Diese Einstellung soll die tatsächliche Nutzung beeinflussen. In der Grundform des TAM sind vier Konstrukte enthalten, Perceived Uselfullness (PU), Perceived Ease of Use (PEU). Diese beiden Konstrukte beeinflussen daraufhin die Intention of Use (BI), welche der Nutzung (Use) vorausgeht (Davis, 1989). Das TAM und weitere Modifizierungen dieses Modells, dominieren die Akzeptanzforschung, welche häufig mittels quantitativer Verfahren stattfindet. Die quantitative Untersuchung von Akzeptanz basierend auf dem TAM, hat für Forscher den Vorteil, dass dies ein erprobtes und sicheres Modell ist, welches ein definiertes Vorgehen ermöglicht. Demnach existieren auf Basis dieses Modells, ein detaillierte Fragebogen, welcher vielseitig einsetzbar ist (Bagozzi, 2017). Viele Autoren verwenden diese Forschungsmethode um die Akzeptanz hinsichtlich generischer Softwareprodukte, wie u.a. Textverarbeitungsprogramme oder das Internet, zu untersuchen (Vogelsang et al., 2013). Die Eigenschaften dieser Produkte, welche durch eine einfache Anwendung und homogene Anwendungsziele verschrieben werden können, sind nur bedingt auf Systeme anzuwenden, welche spezifische psychotherapeutische Interventionen unterstützen. Die Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT), ist eine Weiterentwicklung des TAM und der Theory of Rea-soned Action (TRA). Das Modell bezieht sich auf eine aggretierte Theorie, welche eine Beschreibung von Technikadoption und -akzeptanz vornimmt. Die Verhaltensabsicht wird in der Theorie als eine Vorstufe der tatsächlichen Nutzungsakzeptanz dargestellt und beschreibt daher den entscheidenden Zwischenschritt, um eine Technologie anzunehmen oder abzulehnen. Hierbei werden vier Moderatorvariablen und vier weitere Konstruktdimensionen beschrieben, welche sich auf die Verhaltensabsicht und die Nutzungsakzeptanz auswirken. Die Moderatorvariablen sind das Alter, das Geschlecht und persönlichen technischen Erfahrungen sowie die Freiwilligkeit oder auch Notwendigkeit der Nutzung. Die vier Konstrukte im Modell sind die Leistungserwartung, welche die subjektive Erwartung einer Person hinsichtlich des Nutzens einer Technologie beschreibt; die Aufwandserwartung, welche die Benutzerfreundlichkeit bzw. die Komplexität des Systems umfasst; die sozialen Einflüsse, welche die Wahrnehmung des Nutzers hinsichtlich der Urteile aus seinem sozialen Umfeld im Bezug auf die Nutzung des Systems meinen und erleichternde Rahmenbedingungen, welche die technische und organisatorische Infrakstruktur einer Technologie meinen, welche die Nutzung erleichtert.
In der Forschung sind systematische Übersichtsarbeiten zur Akzeptans- und Adoptionsanalyse von neuen Technologien zu finden, die jedoch nicht den Gesundheitsbereich integrieren. In der gesundheitsbezogenen Forschung existieren Studien und Dissertationen, welche die psychometrischen Eigenschaften von Akzeptanz-Instrumenten erfassen. Eine Adaption von Akzeptanzmodellen und Instrumenten ist für die Übertragbarkeit auf den Gesundheitsbereich notwendig. Anhand einer durchgeführten Literaturrecherche in internationalen Datenbanken konnte bisher keine systematische Übersichtsarbeit hinsichtlich verschiedener Modelle zur Erfassung der Akzeptanz und Adoption neuer gesundheitsbezogener Technologien erfasst werden.
Aktuelle Akzeptanzmodelle sind daher nur bedingt dafür geeignet, die Adoptionsfaktoren von Angstpatienten hinsichtlich einer internetbasierten Lösung für Expositionstherapie, zu untersuchen. Obwohl quantitativen Methoden im Zusammenhang mit der Akzeptanzforschung immer noch dominieren, steigt die Anerkennung qualitativer Vorgehensweisen erkennbar, was an den Zahlen der Veröffentlichungen erkennbar ist (Palvia, En Mao, Sala & Soliman, 2003). Hinsichtlich der Ergebnisse der quantitativen Analysen in der Akzeptanzforschung, lässt sich feststellen, dass das Ziel hauptsächlich darin liegt Zusammenhänge zwischen Konstrukten und Variablen zu überprüfen. Dabei werden zum Beispiel der Einfluss bestimmter Variablen, wie die Kultur, oder das Vertrauen auf die Akzeptanz untersucht (Turel, Yuan & Connelly, 2008). Der Ablauf einer Akzeptanzanalyse besteht dabei häufig aus den folgenden Schritten. Zunächst wird verwandte Literatur studiert, sodass bestehende Theorien für eine argumentative Herleitung der Konstrukte dient. Diese Konstrukte können in einem Modell zusammengefasst werden, um daraus Hypothesen abzuleiten und mittel empirischer Daten quantitativ zu testen. Hierbei werden komplexe Zusammenhänge im Zusammenspiel von Mensch und Technologie außenvorgelassen und nicht weiter erforscht, sodass unerwartete wichtige Einflussgrößen übersehen werden. Dabei zeigen Studien, in denen die Akzeptanz mit qualitativen Methoden untersucht wurde, dass die Erkenntnisse sich oftmals außerhalb bekannter Theorien befinden.
Zitierte Studien benennen die KVT im Allgemeinen, aber vor allem konfrontative Methoden, aufgrund der empirischen Evidenz, als Mittel der Wahl bei der Behandlung von Angststörungen – im Speziellen bei der Behandlung von spezifischen Phobien. In der Praxis hingegen werden Behandlungsstrategien verwendet, die entweder keine empirische Nachweisbarkeit haben, oder lediglich den allgemeinen verhaltenstherapeutischen Methoden, wie u.a. Entspannungsverfahren, kognitiven Umstrukturierung, nachkommen. Das besonders wirksame Element der KVT, welche nach obig zitierten Studien, wahrscheinlich den Behandlungserfolg der Verhaltenstherapie ausmacht, die Expositionstherapie, ist damit unterrepräsentiert. Im Rahmen der Wirksamkeitsforschung, von Ramnero (2012) ist diese Erkenntnis kritisch zu sehen. Eine große Anzahl von Angstpatienten erhält demnach, wenn sie überhaupt einen Psychotherapeuten aufsuchen - jährlich erhalten nur 2,2 Prozent der Bevölkerung eine psychotherapeutische Versorgung (Bundespsychotherapeutenkammer, 2009) -, keine leitliniengerechte Psychotherapie und demnach keine konfrontativen Behandlungsverfahren . Zudem liegt ein qualitativer Mangel hinsichtlich der Durchführung der eingesetzten Expositionsverfahren vor. Die bestehende Diskrepanz zwischen empirischen Belegen und der tatsächlichen Anwendung der Expositionstherapie in Deutschland, beschreibt die Dringlichkeit sich mit einer geeigneten Methodik auseinanderzusetzen, um ein annährend standardisiertes Verfahren der Expositionstherapie zu entwickeln, um einen großen Teil der aktuellen Angstpatienten ein Mittel zur Verfügung zu stellen, eine leitliniengerechte Behandlung zu erhalten. Die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit dieser Thematik, wird zudem von der epidemiologische Datenlage der Patienten gestützt. Spezifische Phobien, sind innerhalb des Störungsbildes der Angst, welche in Deutschland die häufigste psychische Erkrankung ist, am stärksten vertreten. Weiterhin liegt das Erstmanifestationsalter der spezifischen Phobie im Durchschnitt bei 17 Jahren. Demnach sind sehr viele junge Menschen in Deutschland von einer solchen Pathologie betroffen. Das Störungsbild verläuft bei Nichtbehandlung häufig komorbid bzw. chronisch und deutet auf einen schweren Krankheitsverlauf hin. Die Nichtbehandlung hat nicht nur persönliche Folgen für die Betroffenen, sondern liefert, bei Betrachtung der Anzahl an Patienten, einen bedeutungsvollen negativen Beitrag für die Produktivität und die Wirtschaftlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Somit führt eine chronisch verlaufende Angststörung, welche sich im frühen Erwachsenenalter bzw. während der Adoleszenz manifestiert, zu direkten und indirekten volkswirtschaftlichen Kosten. Neben den direkten Kosten, welche das Gesundheitssystem trägt, wie u.a. ärztliche sowie psychotherapeutische Behandlung und der Inanspruchnahme von Notfallambulanzen, entstehen indirekte Kosten (DGPPN, 2019). Im Falle einer chronifizierten Angststörung, steigt das Risiko um 70 Prozent an einer Major Depression zu erkranken. Weiterhin steigt die Wahrscheinlichkeit an weiteren affektiven Störungen sowie Suchterkrankungen zu erkranken. Demnach entstehen Produktionseinschränkungen seitens der Erkrankten, welche u.a. Fehltage, Frühberentung, Krankschreibungen und Sterblichkeit darstellen.
Internetbasierte Interventionen stellen eine Lösungsalternative dar, um Angstpatienten eine zeitnahe und praktikable Expositionstherapie anzubieten, sodass eine Symptomreduktion erreicht und eine Chronifizierung des Störungsbildes aufgehalten werden kann. Anhand der obigen Kapitel wurde erläutert, dass die Anwendung gemischter Therapieformen eine stärkere Wirksamkeit gegenüber Stand-Alone-Interventionen haben. Gemischte Therapieformen sind erst seit kurzer Zeit in das Forschungsinteresse gerückt, sodass aktuell keine ausreichenden evidenzbasierten Ergebnisse darüber vorhanden sind, ob Patienten eine solche Intervention akzeptieren, bzw. in der Zukunft nutzen würden. Die zentrale Fragestellung in der vorliegenden Arbeit ist demnach, welche Einflussfaktoren den Adoptionsprozess hinsichtlich einer interbasierten Expositionslösung von Relevanz sind. Weiterhin liegt das Forschungsinteresse darauf, welche Bedürfnisse Angstpatienten gegenüber einer Stand-Alone Internvetion und einer gemischten Therapie haben.
Bekannte Modelle sind neben dem TAM nach Davis (1989) und das Akzeptanzmodell nach Degenahardt (1986). Diese Modelle betrachten jedoch nicht den Gesundheitsbereich. Ziel der Arbeit ist es zu untersuchen, wie Angstpatienten auf eine potentielle expositionsbasierte gemischte Psychotherapie reagieren, bzw. welche Faktoren die Adoption von Angstpatienten gegenüber einer solchen Intervention beeinflussen, sodass eine evidenzbasierte Aussage bezüglich des Investitionsrisikos für zukünftige Entwickler erarbeitet werden kann und vorhandene Modelle, um weitere Faktoren erweitert werden können. Quantitative Methoden sind in der Erforschung von Akzeptanz weit verbreitet. Allerdings sind diese erst von Nutzen, wenn eine interaktive, internetbasierte Technologie bereits auf dem Markt etabliert ist, da somit im Rahmen der Diffusionsforschung der tatsächliche Nutzen neuer Medien erhoben werden kann. Weiterhin können quantitative Verfahren in der Akzeptanzforschung vor allem dann eingesetzt werden, wenn Faktoren hinsichtlich der Akzeptanz und Adoption eines neuen Produktes bekannt sind. Bezüglich einer psychotherapeutischen Intervention von Angstpatienten sind aktuell keine Faktoren bekannt. Aus diesem Grund bietet es sich an bereits im Entwicklungsprozess, qualitative Vorstudien durchzuführen, um potentielle Kunden näher zu verstehen und nützliche Erkenntnisse im Hinblick auf dessen Adoptionsprozess zu erhalten. Vordergründig sind die quantitativen von den qualitativen Ansätzen anhand des Forschungsansatzes zu unterscheiden. Quantitative Forschungsmethoden haben das Ziel größere Stichproben im Hinblick auf Hypothesen, welche basierend auf Theorien erstellt werden, zu testen. Somit sollen aufgestellte Hypothesen bestätigt oder verworfen werden. Hierbei gilt es mittels statisticher Untersuchungsmethoden Zusammenhänge zu erklären (Kuß, Wildner & Kreis, 2014). Qualitative Verfahren hingegen werden dann verwendet, wenn ein tiefgründiges Verständnis bezüglich einer Fragestellung erlangt werden soll und bisher keine ausreichende Datenlage besteht, um Hypothesen diesbezüglich aufzustellen. Das Ziel besteht darin, neue Erkenntnisse zu erlangen, welche für die Entwicklung neuer Theorien und Modelle genutzt werden können. In der qualitativen Forschung wird daher das induktive Vorgehen eingesetzt, sodass mittels der Beobachtung von einzelnen Personen Rückschlüsse auf die Gesamtheit geschlossen werden (Mayring, 2016). Mithilfe der induktiven Vorgehensweise können theoretische Konzepte entwickelt werden, wodurch quantativ überprüfbare Hypothesen abgeleitet und getestet werden können. Die vorliegende Arbeit wird mit qualitativen Verfahren arbeiten, um ein Verständnis bezüglich der Bedürfnisse und der atkuellen Einstellung von Angstpatienten hinsichtlich internetbasierten Interventionen zu erhalten. Die am häufigsten eingesetzten qualitativen Verfahren, sind Gruppendiskussionen, oder Fokusgruppen sowie verschiedene Varianten des Einzelinterviews. Aufgrund der aktuellen Corona Pandemie, wird die vorliegende Arbeit anhand von Einzelinterviews, welche mithilfe des Mediums Skype mit Angstpatienten durchgeführt.
Für eine erfolgreiche qualitative Forschung, ist die richtige Wahl der Interviewvariante ausschlaggebend. Der Verfasser der vorliegenden Master-Thesis hat sich ausgiebig mit der vorliegenden Literatur beschäftigt und sich schlussendlich für das Tiefeninterview entschieden. Das Besondere dieser Befragungsmethode ist, dass durch verschiedene Befragungsmethoden und -techniken, zu tiefer liegenden Informationen hervorgedrungen werden kann. Daher ist das tiefenpsychologische Interview besonders gut geeignet für die Untersuchung von privaten Untersuchungsthemen, welche sozial unerwünschte Meinungen oder Verhaltensweisen betreffen. Im Rahmen eines Interviews mit Angstpatienten, welche über ihre Ängste und Wünsche hinsichtlich einer Psychotherapie sprechen, ist dies nach Sicht des Verfassers, die richtige Interviewvariante.
Das Tiefeninterview stellt das Kerninstrument der psychologischen Marktforschung dar und ist die bekannteste Form der qualitativen Befragungsmethoden (Misoch, 2005). Über das Tiefeninterview, häufig auch als Intensivinterview bezeichnet, existieren kontroverse Meinungen über den Inhalt, Form und Umsetzung. Die Ansichten über das tiefenpsychologische Interview reichen dabei von offenen, unstrukturierten Gesprächen bis hin zu einem detaillierten, strukturierten Interview, welches anhand eines organisierten Fragebogens gehalten wird.
Der erste Ansatz entspricht weitestgehend der vorgesehenen Form eines Tiefeninterviews. Der zweite Ansatz hingegen, beinhaltet nur gelegentlich offene oder assoziative Fragestellungen, die einem Tiefeninterview ähneln. Neben der Unklarheit der Ausgestaltung eines Tiefeninterviews, herrscht auch Unklarheit über die Verwendung des Begriffes, welcher häufig synonym für andere Interview Varianten verwendet wird (Salcher, 1995). Die vorliegende Thesis wird die tiefenpsychologische Untersuchungsmethode verwenden, um die zentrale Fragestellung der Arbeit zu untersuchen. Angesichts der obigen Ausführungen, wird folglich eine inhaltliche Begriffsbestimmung angestrebt. Daraufhin werden die verschiedenen psychologischen Instrumente untersucht, welche dem Forscher im Rahmen dieser Befragungsmethode zur Verfügung stehen. Basierend auf diesen Erkenntnissen, kann im Anschluss die Leitfadenerstellung erfolgen, welche für die Interviewdurchführung notwendig ist.
Mit dem Ziel Charakteristika in einer tiefenpsychologischen Interviews herauszuarbeiten, werden zunächst die besonderen Vorteile der vorliegenden Befragungsmethode vorgestellt. Zunächst ist in diesem Sinne festzuhalten, dass Tiefeninterviews eine tiefe Befragungsform darstellen, welche die Möglichkeit bietet, über oberflächliche Antworten der Teilnehmer hin durchzudringen und Ursachen, bzw. Erklärungen für bestimmte Einstellungen oder ein konkretes Verhalten zu entschlüsseln. Diese Befragungsform kann umgangssprachlich auch als eine erweiterte, immer wiederkehrende „Warum-Frage“ charakterisiert werden, welche über das normale Sammeln von beobachtbaren Daten hinausgeht, mit dem Ziel, die Gründe hinter getroffenen Aussagen zu erfahren. Zudem bietet das Tiefeninterview die Möglichkeit über das freie Gespräch, Gefühle und Gedanken freien Lauf zu lassen, welche durch häufig gestellte „Warum-Fragen“ immer tiefer erklärt werden sollen. Somit können am Ende der Befragung Meinungen, Motive und Einstellungen herausgearbeitet werden, die bei der Erstellung der Interviewleitfadens nicht berücksichtigt wurden. Eine Besonderheit dieses Instruments ist die Fähigkeit, eine ungezwungene Atmosphäre zu kreieren, sodass sich Themengebieten angenähert werden kann, welche als intim oder privat eingestuft werden. Die relativ offene Durchführung des Gesprächs führt dazu, dass gewisse Themen länger besprochen werden können und zu Bewusstseinsinhalten durchgedrungen werden kann, auf die die Testperson aufgrund von Gedächtnislücken nicht zugreifen kann (Salcher, 1995). In der folgenden Tabelle werden nun zentrale Charakteristika des Tiefeninterviews zusammengefasst:
Tabelle 6: Kennzeichen eines Tiefeninterviews
Quelle: Salcher, 1995; Misoch, 2005
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Praxis werden die Untersuchungsmethoden und Begriffe Qualitatives Interview, psychologische Exploration und Tiefeninterview miteinander vertauscht oder als Synonym verwendet. Im Folgenden wird deshalb eine Begriffsabgrenzung der drei Varianten erfolgen, um daraufhin eine klare Definition des Tiefinterviews abzuleiten.
Das qualitative Interview ist eine Befragungsform, welche für die Befragung eines bestimmten Themengebietes, anhand der Stichprobengröße von 60 bis 300 Personen, verwendet wird. Das Instrument zeichnet sich durch die weitestgehend offenen Fragen aus, welche den Probanden keine Antwortmöglichkeiten vorgibt.Demgegenüber stehen die geschlossenen Fragen mit mehreren Antwortalternativen, welche den Kern der quantitativen Befragung darstellen.
Die psychologische Exploration unterscheidet sich von dem qualitativen Interview hinsichtlich zweier Aspekte. Zunächst werden neben offenen Fragen, auch psychologische Explorationstechniken verwendet. Dazu zählen assoziative und projektive Verfahren, welche der Interviewer dazu anwendet, um mehr Tiefe im Gespräch zu erlangen. Weiterhin kommen bei dieser qualitativen Befragungsmethode nur qualifizierte Interviewer zum Einsatz.
Das Tiefeninterview wird durch seinen unstrukturierten Leitfaden und den dazugehörigen „Warum-Fragen“ charakterisiert. Das tiefenpsychologische Interview, kann demnach als ein Intensivgespräch verstanden werden, welche für Marktforschungszwecke genutzt wird. Nach Salcher (1995, S. 32) wird das Tiefeninterview als „ein langes und intensives Gespräch zwischen Interviewer und Befragtem über vorgegebene Themen, das der Interviewer in weitgehend eigener Regie und mithilfe eines Leitfadens so zu steuern versucht, dass er möglichst alle relevanten Einstellungen und Meinungen der befragten Person zu diesen Themen erfährt, auch wenn es sich um Aspekte handelt, die der Testperson bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht bewusst waren“ definiert.
In der Gestaltung des Tiefeninterviews, können Forscher auf drei verschiedene Techniken zurückgreifen, um verborgene Insights hinsichtlich der Befragten zu identifizieren und diese zu entschlüsseln. Neben der offenen Gesprächsführung, werden hierfür assoziative, projektive und kreative Techniken verwendet (Klusendick, 2011). Diese Ansätze gehen auf die Frage ein, was von dem Probanden abgerufen wird. Assoziative Methoden, sollen beispielsweise gedankliche Verbindungen der Probanden anregen. Projektive Verfahren werden dazu verwendet, verdeckte Gefühle und Einstellungen zu ermittelt und kreative Ansätze dienen der Erstellung von neuen gedanklichen Verbindungen. Im Rahmen der psychologischen Methodik, wird neben dem WAS auch nach dem WIE gefragt. Bei der Frage nach der Vorgehensweise, sprich mit welcher Technik der Teilnehmer auf einen Reiz reagiert, kommen Ergänzungs-, Konstruktions- und Ausdruckstechnik zum Einsatz (Kirchmair, 2011).
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