Bachelorarbeit, 2016
41 Seiten, Note: 2,0
A. Einführung
I. Problematik
II. Vorgehensweise
III. Begriffserklärungen
B. AGB - Kontrolle
I. Historische Entwicklung
II. Anwendung der AGB - Kontrolle unter Berücksichtigung der
Besonderheiten des Arbeitsrechts
III. Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit
C. Abgeltungsklausen in Arbeitsverträgen
I. Mehrarbeits- und Überstundenvergütung
II. Rechtliche Rahmenbedingungen für die Wirksamkeit von Überstundenabgeltungsklauseln
1. Inhalts- und Transparenzkontrolle
2. Sittenwidrigkeit und Lohnwucher
3. Mindestlohn
III. Vergütungserwartung hinsichtlich unterschiedlicher Arbeitnehmergruppen
1. Normalverdiener
2. Besserverdiener
IV. Limitierte Abgeltungsklauseln
V. Darlegungs- und Beweislast
D. Verzichtsklauseln in Aufhebungsverträgen
I. Auslegung
II. Wirksamkeit von Verzichtsklauseln
1. Unverzichtbare Arbeitnehmeransprüche
2. AGB - Kontrolle bei Verzichtsklauseln
3. Kündigungsschutzklage
4. Verzicht auf sonstige Ansprüche
III. Rechtliche Möglichkeiten nach Unterzeichnung der Ausgleichsquittung
E. Fazit
Literaturverzeichnis
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass der einzelne Arbeitnehmer bei Abschluss eines Arbeitsvertrages in der Regel dem Arbeitgeber unterlegen ist und Vertragsverhandlungen, welche gleichberechtigt stattfinden, in der Realität eine Fiktion darstellen.1 Die Problematik der Vertragskontrolle liegt darin, dass beinahe jeder Vertrag gleichlautend verwendet wird und dennoch komplizierte Vertragsbedingungen enthält. Der Arbeitnehmer hat diese vorformulierten Verträge, wie vorgelegt und ohne weitere Vertragsverhandlungen, zu akzeptieren, da andernfalls der Vertrag gar nicht erst zustande käme.2 Solche vorformulierten Verträge, sei es ein Arbeitsvertrag oder ein Aufhebungsvertrag, können demzufolge tückische Klauseln enthalten, welche den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. Die vorliegende Ausarbeitung beschränkt sich auf Abgeltungs- und Verzichtsklauseln in vorformulierten Verträgen. Mit der Verwendung von Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen hat der Arbeitgeber die Absicht, Überstunden mit dem Grundgehalt abzugelten. Mit dem Gebrauch von Verzichtsklauseln in Aufhebungsverträgen verfolgt der Arbeitgeber grundsätzlich die Intention, alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abzugelten. Beispielsweise wird bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages in Verbindung mit einer Verzichtsklausel bescheinigt, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt sind. Aus Arbeitnehmersicht klingt das auf den ersten Blick vielleicht sogar äußerst positiv. Doch formularmäßige Verzichtsklauseln können häufig zu beunruhigenden Überraschungen führen, wenn ein Arbeitnehmer im Nachhinein feststellen muss, dass er unwissentlich und ungewollt Ansprüche verloren hat.3 Ebenso tritt im Hinblick auf den Gebrauch von Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses häufig die Frage nach der Abgeltung von Überstunden auf.4 Im Jahr werden in etwa 1,4 Milliarden Arbeitsstunden der deutschen Arbeitnehmer nicht vergütet, was ungefähr drei Prozent des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens aus- macht.5 Im Durchschnitt leistet jeder Arbeitnehmer demzufolge monatlich drei Überstunden, welche er nicht bezahlt bekommt.6 Hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf die Vergütung der Überstunden? Darüber hinaus tritt die Frage auf, wie es sich diesbezüglich mit dem gesetzlichen Mindestlohn verhält, welcher seit 2015 flächendeckend in ganz Deutschland für alle Arbeitnehmer in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde gilt.7 Haben Arbeitnehmer zumindest Anspruch auf Überstundenvergütung in Höhe des Mindestlohns?
Wie sieht in all diesen Fällen die zulässige Vertragsgestaltung aus? Seit der Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2002 sind vorformulierte Arbeitsverträge als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB) anzusehen und nach den Maßstäben der AGB - Kontrolle zu prüfen.8 Die Intention der wissenschaftlichen Arbeit besteht darin, mögliche Grenzen für pauschalisierte Überstundenabgeltungsklauseln oder formularmäßige Verzichtserklärungen zu analysieren und darzulegen.
Die vorliegende Ausarbeitung wird sich der Fragestellung widmen, in welchem Umfang Arbeitnehmer Ansprüche aus vorformulierten Verträgen erfolgreich durchsetzen können, obwohl Abgeltungs- und Verzichtsklauseln diese Ansprüche generell ausschließen. Der Verlauf der Ausarbeitung gliedert sich in 5 Abschnitte. Nachdem die Begriffserklärungen zugrunde gelegt wurden, folgt unter Punkt B. die Darlegung der oben erwähnten AGB - Kontrolle in Hinblick auf die historische Entwicklung und der allgemeinen Anwendung. Nachfolgend wird unter Punkt C. die Verwendung von Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen dargelegt und sich auf den Aspekt der Überstundenvergütung spezialisiert. Punkt D. erläutert im Detail den Gebrauch von Verzichtsklauseln in Aufhebungsverträgen, sodass in diesem Teil der Arbeit fokussiert der allgemeine Verzicht auf alle Ansprüche beleuchtet wird. Dabei werden in beiden Abschnitten einige Beispielfälle der unterschiedlichen Rechtsprechungen detailliert erläutert, um die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die Wirksamkeit der Abgeltungs- oder Verzichtsklauseln in vorformulierten Verträgen deutlich zu machen. Letztendlich wird unter Punkt E. im Fazit die Eingangsfrage beantwortet.
Grundsätzlich liegt im Arbeitsrecht ein Verzicht auf Rechte aus dem Arbeitsverhältnis im Rahmen des Möglichen.9 Dabei handelt es sich um Vereinbarungen bzw. Regelungen von Abgeltungen, mit denen der Verzicht auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis festgelegt wird. Diese sogenannten Verzichtserklärungen werden gebräuchlich auch als Abgeltungsklauseln, Verzichtsklauseln, Ausgleichsoder Erledigungsklauseln bezeichnet.10 Zum einen werden solche Regelungen zur Abgeltung von Überstunden im Arbeitsvertrag aufgeführt, um Klarheit bei der Überstundenvergütung zu erlangen.11 Diese können beispielsweise folgendermaßen formuliert sein:
„Mit dem Gehalt sind sämtliche Überstunden abgegolten.“12
Zum anderen stehen Verzichtsklauseln oft in Verbindung mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. An dieser Stelle handelt es sich allerdings nicht um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine arbeitsgeberseitige Kündigung und einem möglicherweise anschließend geschlossenen Abwicklungsvertrag, sondern um einen Aufhebungsvertrag. Dieser ersetzt in der Praxis häufig die Kündigung und beendet das Arbeitsverhältnis einvernehmlich.13 Oftmals werden dadurch mögliche Streitigkeiten über die Kündigung vermieden, sodass sich Aufhebungsverträge im arbeitsrechtlichen Alltag als nützliches Instrument erwiesen haben.14 Ein Abwicklungsvertrag unterscheidet sich von einem Aufhebungsvertrag in den Punkten, dass diesem eine arbeitgeberseitige Kündigung vorausgeht und dieser nicht die Grundlage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellen soll, sondern lediglich die Abwicklungsmodalitäten der Beendigung regelt.15 Auf die Abgrenzung zwischen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen kommt es in diesem Zusammenhang jedoch nicht an16, sodass im Folgenden einheitlich die Rede von Aufhebungsverträgen ist.
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird oftmals im Rahmen eines Aufhebungsvertrages der Arbeitnehmer aufgefordert, eine vorformulierte Erklärung des Arbeitgebers zu unterzeichnen, die sogenannte Ausgleichsquittung. Mit ihr bestätigt der Arbeitnehmer den Erhalt der Arbeitspapiere, zu deren Herausgabe der Arbeitgeber verpflichtet ist. Dabei handelt es sich generell um das Arbeitszeugnis, die Versicherungskarte, die Krankenkassenbescheinigung,17 die Arbeitsbescheinigung, die Lohnsteuerkarte sowie um die Gehaltsabrechnungen und Ur- laubsbescheinigungen.18 Neben der Bestätigung des Erhalts der Dokumente enthält die Ausgleichsquittung häufig auch Verzichtsklauseln, die besagen, dass jegliche Ansprüche, welche die Arbeitsvertragsparteien gegeneinander haben, mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten sind. Es wird somit von einer kombinierten Willenserklärung aus Verzicht und Quittung ausgegangen, welche die Intention besitzt, im Interesse des Rechtsverkehrs sowie der Beweisklarheit Differenzen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vermeiden19 und letztendlich einen Schlussstrich unter das Arbeitsverhältnis zu ziehen.20 Solche Verzichtsklauseln in Aufhebungsverträgen können folgendermaßen formuliert sein:
„Mit der Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bestehenden und beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten.“21
oder
„Die Parteien sind sich einig, dass mit dieser Vereinbarung alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung (...) erledigt sind.“22
In der Regel handeln die Arbeitsvertragsparteien die einzelnen Klauseln nicht individuell aus, sondern verwenden die vom Arbeitgeber einseitig vorformulierten Inhalte. Diese werden als arbeitsvertragliche Einheitsregelungen oder allgemeine Arbeitsbedingungen bezeichnet.23
Bezüglich der Problematik, ob diese Klauseln den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen und einer zulässigen Vertragsgestaltung entsprechen, müssen sie im Hinblick auf ihre Wirksamkeit kontrolliert werden.
Nach der alten Rechtslage war das AGB-Gesetz nicht auf Arbeitsverträge anzuwenden. Die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGB-Gesetzes war damit begründet, dass auf dem Gebiet des Arbeitsrechts der Schutz des schwächeren Vertragspartners, und somit des Arbeitnehmers, durch die Existenz eines dichten Netzes von zwingenden Vorschriften sowie kollektivrechtlichen Vereinbarungen verwirklicht wurde.24 Erst seit der Neuregelung des Bürgerlichen Gesetz Buches (BGB) vom 26.11.2001 findet das Prinzip der AGB - Kontrolle auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Anwendung. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, welches am 01.01.2002 in Kraft trat, wurden die Vorschriften des AGB-Gesetzes in das BGB integriert und sind seitdem in den §§ 305 - 310 BGB enthalten. Seit der Reform sind vorformulierte Arbeitsverträge als Allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen und deshalb nach den Maßstäben der AGB - Kontrolle zu prü- fen.25 Wie auch schon die AGB in anderen Rechtsgebieten unterliegen sie der Inhaltskontrolle.26 In den Fällen, in denen Arbeitsverträge vor dem 01.01.2002 abgeschlossen wurden, sind einige Sonderregelungen zu beachten. Das neue AGB-Recht gilt seit dem 01.01.2002 für neu abgeschlossene Verträge und seit dem 01.01.2003 auch für Altverträge. Die Intention dahinter ist eine Übergangsregelung, durch die dem Arbeitgeber ein Jahr Zeit gegeben wird, die Altverträge an die neue Rechtslage anzupassen.27 Diese Übergangsregelung ist in § 5 des Art. 229 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) fixiert.
Seit den Neuregelungen können sich Arbeitnehmer somit auf die Schutzvorschriften des BGB berufen. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz unterliegen vorformulierte Formulararbeitsverträge gemäß § 310 Abs. 4 BGB den Regelungen der §§ 305 - 310 BGB.28 Es sind über 90 Prozent der Arbeitsverträge Formulararbeitsverträge, womit der größte Teil kontrollfähig ist.29 Mit dem 01.01.2002 ist die Rede vom Anbruch eines neuen Zeitalters hinsichtlich der Vertragskontrolle im Arbeitsrecht.30
Darüber hinaus wurde mit der Reform des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Verjährungsfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis von zwei auf drei Jahre gemäß § 195 BGB verlängert. Diese Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger darüber Kenntnis erhalten hat.31 Dies beantwortet die Frage, in welcher Zeit Arbeitnehmer grundsätzlich Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend machen können. Auf vertragliche Ausschlussfristen, welche Verjährungsfristen verkürzen können, wird im Folgenden nicht näher eingegangen.32
Bei der Prüfung der vorformulierten Verträge durch die Anwendung der AGB - Kontrolle gemäß der §§ 305 - 310 BGB müssen jedoch die Ausnahmeregeln für Arbeitsverträge berücksichtigt werden. Die Anwendung der AGB - Kontrolle auf Arbeitsverträge erfolgt nach der Vorschrift des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB, wonach die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten zu beachten sind.33 Das AGB-Recht wird bei der Prüfung von den im Arbeitsvertrag enthaltenden Klauseln dadurch insoweit eingeschränkt, dass die „Besonderheiten des Arbeitsrechts“ zu berücksichtigen sind. Die Standpunkte über die Bedeutung und Auslegung der Vorschrift sind in der Literatur äußerst geteilt und vielfältig, sodass keine einheitlich korrekte Betrachtungsweise existiert34 und in der vorliegenden Ausarbeitung nur die relevanten Aspekte beleuchtet werden.
Bei der AGB - Kontrolle erfolgt zu aller erst die Feststellung, ob die arbeitsvertraglichen Regelungen zu den kontrollierbaren Faktoren der §§ 305ff. BGB gehö- ren.35 Grundsätzlich muss es sich nach § 305 Abs. 1 Satz 1 um eine Vielzahl von vorformulierten Vertragsbedingungen handeln, welche die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages stellt.36 Dies ist ebenfalls der Fall, wenn die Vertragsbedingungen mündlich festgelegt oder durch betriebliche Übung begründet wurden.37 Unter Vertragsbedingungen sind alle Vereinbarungen zu qualifizieren, welche den Inhalt des Arbeitsvertrages regeln sollen.38 Nach § 305 Abs. 1 Satz 3 liegen keine AGB vor, sobald die Vertragsbedingungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien einzeln ausgehandelt wurden.39 In der Regel sind sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, wenn sie für eine mehrfache Verwendung vorgesehen sind. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BGB erkennt das BAG den Arbeitnehmer jedoch als Verbraucher an, da nach ihrer Meinung der Wortlaut des § 13 BGB auch diejenigen erfasst, die als Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag ab- schließen.40 Ein Arbeitsvertrag kann somit als Verbrauchervertrag angesehen werden. Die §§ 305 - 309 BGB finden demzufolge gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch Anwendung, wenn die Vertragsbedingungen nur zur einmaligen Verwendung vorgesehen sind und der Verbraucher bzw. Arbeitnehmer durch die Vorformulierung keinen Einfluss auf den Inhalt hatte.41 Gestellt sind die Vertragsbedingungen normalerweise dann, wenn der Verwender und somit der Arbeitnehmer die Einbeziehung der Regelungen in den Arbeitsvertrag fordert. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 reicht es aus, wenn die Klauseln durch den Arbeitgeber in den Arbeitsvertrag eingeführt werden.42 Darüber hinaus muss die Klausel in den Arbeitsvertrag einbezogen worden sein. Gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB findet der § 305 Abs. 2 und 3 BGB keine Anwendung für die Regelung der Einbeziehung von AGB auf Arbeitsverträge. In diesem Fall gelten die Besonderheiten des Ar- beitsrechts43, wonach der Gesetzgeber die Nachweispflicht gemäß § 2 Nachweisgesetz (NachwG) als ausreichend befand.44 Dennoch wird die Einhaltung des NachwG keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Klausel45, genügend ist die Willensübereinstimmung der Arbeitsvertragsparteien.46
Aufhebungsverträge unterliegen ebenfalls gemäß § 310 Abs. 3 BGB der AGB - Kontrolle, soweit der Arbeitnehmer keine Einflussnahme auf den Inhalt hatte. In § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB werden zwar nur „Arbeitsverträge“ genannt, doch es ist auch deren Aufhebung miterfasst47, sodass im weiteren Verlauf der Arbeit von beiden Vertragsarten die Rede ist.
Darüber hinaus gelten drei weitere Regelungen. Kollidieren individuelle Vertragsabreden mit arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen bzw. AGB, herrscht nach § 305 b BGB Vorrang der Individualabrede.48 Überraschende Klauseln, welche nach den Umständen und dem äußeren Erscheinungsbild des Arbeitsvertrages so ungewöhnlich sind, dass der Arbeitnehmer nicht mit ihnen hätte rechnen können, werden kein Bestandteil des Vertrages gemäß § 305 c Abs. 1 BGB.49 Dies verfolgt die Intention, dass der Arbeitnehmer, beispielsweise unter einer Überschrift „Verschiedenes“ keine Abgeltungsklausel vermutet50 oder häufig gar nicht erst das Kleingedruckte liest, und dennoch, vor Überraschungsklauseln geschützt ist.51 Treten Zweifel bei der Auslegung von Klauseln auf, gehen diese nach der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zulasten des Arbeitgebers.52
Nach der Feststellung, dass eine Klausel wirksam in den Vertrag einbezogen wurde, folgt die Prüfung der §§ 307 - 309 BGB. Die Voraussetzung dafür bildet § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach eine Inhaltskontrolle der AGB nur erfolgt, wenn durch die Klausel von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen festgelegt werden.53 Grundsätzlich bezieht sich die Prüfung auf dispositive Gesetzesbestimmungen, da nur von ihnen abgewichen werden kann. Von einigen Ausnahmen abgesehen, existieren Gesetzesbestimmungen nur zu Nebenpflichten, womit Leistung und Gegenleistung allgemein kontrollfrei bleiben. Generell unterliegen alle Klauseln, welche das Entgelt eindeutig bestimmen oder Regelungen zu Tätigkeit und Arbeitszeit festlegen, nicht der AGB - Kontrolle.54 Darüber hinaus umfasst die Kontrollfreiheit nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nach Ansicht des BAG nicht nur Klauseln, welche den Gesetzeswortlaut wiederholen, sondern auch Vereinbarungen über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleis- tung.55 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten können gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen mit den Rechtsnormen des § 307 Abs. 3 BGB gleichgestellt werden. In den Fällen, in denen durch die Klauseln aus dem Arbeitsvertrag nur die Inhalte von Kollektivverträgen wiederholt werden oder durch sie nur auf Kollektivverträge verwiesen wird, unterliegen diese keiner Inhaltskontrolle.56
Stehen die Vorbedingungen der §§ 307 Abs. 3 Satz 1, 310 Abs. 4 Satz 3 BGB der Inhaltskontrolle nicht entgegen, wird im nächsten Schritt die Klausel hinsichtlich einer unangemessenen Benachteiligung geprüft.57 Grundsätzlich erfolgt zunächst die Prüfung der Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit gemäß § 309 BGB und der Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit gemäß § 308 BGB.58 In der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung wird in den Fällen der §§ 308 - 309 BGB die Unangemessenheit unwiderlegbar angenommen.59 Primär werden Abgeltungsklauseln somit gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB daraufhin kontrolliert, ob sie den Arbeitnehmer entgegen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Ebenfalls kann sich aus dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB eine unangemessene Benachteiligung ergeben, wenn die Klausel nicht klar und verständlich formuliert ist.60 Im Gegensatz zur vorherigen Prüfung der Klauseln gilt das Transparenzgebot nicht nur für konstitutive Nebenabreden, sondern auch für Vereinbarungen über die Hauptleistungspflichten wie Tätigkeit, Arbeitszeit und Entgelt. Darüber hinaus ist die Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB auch auf deklaratorische Nebenabreden anzuwenden, welche die Rechtsvor- schriften lediglich wiederholen. Zusätzlich gilt das Transparenzgebot gemäß § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB für in Bezug genommene Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.61 Ist eine unangemessene Benachteiligung festzustellen, ist die Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.62
Wird in einem Arbeitsvertrag die Unwirksamkeit einer Klausel, beispielsweise in Folge einer unangemessenen Benachteiligung, ermittelt, wird sie nicht geltungserhaltend reduziert und somit insoweit aufrecht erhalten, wie der Inhalt noch angemessen wäre, sondern ist insgesamt unwirksam.63 Der übrige Arbeitsvertrag bleibt jedoch nach § 306 Abs. 1 BGB wirksam und bestehen.64 Dies betrifft auch einzelne Teile einer Klausel, wenn der übrige Klauselinhalt verständlich bleibt und nach dem sogenannten Blue - Pencil - Test nur der unwirksame Teil gestrichen wird.65 Nach § 306 Abs. 2 BGB wird die unwirksame Klausel durch gesetzliche Vorschriften ersetzt, zu denen ebenfalls die Rechtsgrundsätze gezählt werden. Existieren auch solche Grundsätze nicht, ist eine zusätzliche Vertragsauslegung notwendig.66
[...]
1 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. 1, Rn. 2.
2 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. 2, Rn. 6.
3 Bauer/Krieger/Arnold, S. 366, Rn. 453, 454.
4 Köhler, GWR 2012, 457 (457).
5 Brautzsch/Drechsel/Schultz, Wirtschaft im Wandel 2012, S. 308.
6 Schulze/Schreck, ArbRAktuell 2013, 465 (465).
7 Lakies, MiLoG, S. 5.
8 Lakies, ArbR - Inhaltskontrolle, Rn. 19.
9 Rolfs, S. 1501, Rn. 1.
10 Lakies, ArbR - Inhaltskontrolle, Rn. 579.
11 Von Steinau-Steinrück/Vernunft, Rn. 47.
12 Vgl. von Steinau-Steinrück/Vernunft, Rn. 47.
13 Junker, ArbR, Rn. 425.
14 Bauer/Krieger/Arnold, S. VII.
15 Kramer/Peter, S. 90.
16 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. 26, Rn. 120.
17 Däubler, Rn. 936.
18 Ebd.
19 Rolfs, S. 1502, Rn. 2.
20 Däubler, Rn. 937.
21 Vgl. Lakies, ArbR - Inhaltskontrolle, Rn. 581.
22 Vgl. Rolfs, S. 1508, Rn. 16.
23 Junker, ArbR, Rn. 77.
24 Soiné, S. 3.
25 Lakies, ArbR - Inhaltskontrolle, Rn. 19.
26 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. V.
27 Lakies, ArbR - Inhaltskontrolle, Rn. 20.
28 Brox/Rüthers/Henssler, Rn. 177.
29 Preis, S. 56, Rn. 12.
30 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. V.
31 Lakies, ArbR - Vertragsgestaltung, S. 351, Rn. 417.
32 Ebd.
33 Däubler/Bonin/Deinert § 310 Rn. 69.
34 Däubler/Bonin/Deinert § 310 Rn. 69.
35 Junker, ArbR, Rn. 77b.
36 Ebd.
37 BAG, 27.08.2008 - 5 AZR 820/07.
38 Vgl. Junker, ArbR, Rn. 77b.
39 Hromadka/Maschmann, S. 168, Rn.116.
40 Junker, ArbR, Rn. 77b.
41 Ebd.
42 Hromadka/Maschmann, S. 168, Rn. 117.
43 Hromadka/Maschmann, S. 170, Rn. 122.
44 Junker, ArbR, Rn. 77c.
45 Hromadka/Maschmann, S. 170, Rn. 122.
46 Junker, ArbR, Rn. 77c.
47 Vgl. Däubler/Bonin/Deinert S. 69 Rn. 156.
48 Junker, ArbR, Rn. 77d.
49 Hromadka/Maschmann, S. 170, Rn. 123.
50 Junker, ArbR, Rn 77d.
51 Hromadka/Maschmann, S. 170, Rn. 123.
52 Junker, ArbR, Rn. 77d.
53 Junker, ArbR, Rn. 77e.
54 Hromadka/Maschmann, S. 171, Rn. 126.
55 Junker, ArbR, Rn. 77e.
56 Ebd.
57 Junker, ArbR, Rn. 77e.
58 Ebd.
59 Hromadka/Maschmann, S. 174, Rn. 128f.
60 Ebd.
61 Hromadka/Maschmann, S. 174, Rn. 128f.
62 Junker, ArbR, Rn. 77g.
63 Lakies, ArbR - AGB, S. 77, Rn. 363.
64 Junker, ArbR, Rn. 77h.
65 BAG, 21.04.2005, NZA 2005, 1053 (1054).
66 Hromadka/Maschmann, S. 175, Rn. 130.
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