Masterarbeit, 2020
33 Seiten, Note: 1,1
Jura - Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte
I Einleitung
II Darstellung der Praxis
III Vergeltung, Prävention, Expression:
IV (Wie) Lassen sich Strafregistereinträge ethisch rechtfertigen?
V Fazit
Wer in Deutschland durch ein Strafgericht verurteilt wird, erhält einen Eintrag im sogenannten Bundeszentralregister. Dieses Vorgehen geschieht, ohne dass die verurteilte Person daran ein Mitbestimmungsrecht hat.
Klienten in der Straffälligenhilfe erkundigen sich oftmals, wie lange ihre Verurteilung noch im Führungszeugnis oder im Bundeszentralregister aufgeführt sein wird.
Die Tatsache, laut Register „vorbestraft“ zu sein, stellt für die Betroffenen einen Makel dar, den sie möglichst schnell wieder loswerden möchten: Das Wissen, dass Daten über das eigene Fehlverhalten in Form strafrechtlicher Einträge für einen längeren Zeitraum gespeichert bleiben, ist belastend. Es besteht das Bedürfnis, dass die zurückliegenden strafrechtlichen Verfehlungen auch auf dem Papier gelöscht und vergessen sein sollen.
Faktisch stellen die Einträge für verurteilte Straftäter ein Resozialisierungshindernis dar. Von konkreter Relevanz ist ein Eintrag beispielsweise bei der Bewerbung in bestimmten Arbeitsbereichen. Registereinträge spielen aber zum Beispiel auch bezüglich der asylrechtlichen Situation, der Erteilung einer Fahrerlaubnis, eines ehrenamtlichen Engagements im Kinder- und Jugendbereich oder des Erwerbs eines Jagdscheins eine Rolle. In behördlichen Zusammenhängen stellen die Einträge oftmals Verweigerungsgründe für Anträge oder Genehmigungen dar. Verurteilten können somit noch weit nach Abschluss ihres Strafverfahrens nachteilige Folgen entstehen. Zweifellos tragen die Betroffenen die Verantwortung für diese Einträge und ihre Folgen. Sie haben Straftaten begangen, also durch rechtswidriges und schuldhaftes Handeln den Tatbestand strafrechtlicher Normen verwirklicht. Die Rechtfertigung für die Registereinträge erscheint demnach ganz offensichtlich: Der Verurteilte darf und muss für sein Fehlverhalten sanktioniert werden.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob zu diesem Zweck nicht bereits die dem Eintrag zugrunde liegende Strafe ausreicht. Wie lassen sich die Strafregistereinträge – als verlängernde Sanktion - aus ethischer Sicht rechtfertigen?
Ein Fallbeispiel soll den Hintergrund meiner Fragestellung, die sich thematisch dem Bereich der Rechtsethik zuordnen lässt, anschaulicher machen.
Die 29jährige Jana V. hat nach einer längeren Phase der Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung als Kassiererin in einer Spielothek gefunden. Der Chef ist mit ihrer Arbeitsleistung sehr zufrieden. Er bittet im Laufe der Probezeit um Vorlage eines Führungszeugnisses.
Jana V. wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Neben dieser Verurteilung liegen zwei ältere Einträge wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vor. Jana V. weiß, dass sie der Aufforderung des Chefs aus rechtlicher Sicht nicht nachkommen müsste. Zugleich sieht sie sich im Zugzwang: Das Dokument nicht vorzulegen, könnte erst recht einen negativen Eindruck machen. Die Klientin hofft, auch angesichts ihrer privaten Situation (zwei Kinder, Schulden, …), dass das nachteilige Führungszeugnis angesichts ihrer guten Arbeit einer Weiterbeschäftigung letztlich nicht im Wege stehen wird.
Von der Einsichtnahme des Chefs in das Führungszeugnis hängt für Jana V. nicht nur ein drohender Arbeitsplatzverlust mit wirtschaftlichen Einbußen und sozialen Folgen ab:
Die Einträge beeinträchtigen für sie als Verurteilte konkrete moralische Rechte, die auch im Grundgesetz verbürgt sind: Die Speicherung der strafrechtlichen Entscheidungen verletzt die sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)1 ableitenden Rechte auf informationelle Selbstbestimmung, auf Privatheit und auf Resozialisierung. Der Registereintrag stellt zudem einen Eingriff in das Recht auf freie Berufswahl nach Art. 12 GG2 dar.
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll jedoch Folgendes veranschaulichen: Das Vorgehen, die verhängte Strafe durch die Einträge weiter festzuhalten, schädigt moralische Rechte der Verurteilten. In dieser Schädigung liegt ein Übel, das die Frage seiner ethischen Begründbarkeit aufwirft.
Den Eintrag und die ihm zugrunde liegende Strafe verbindet die gleiche Intention:
In beiden Fällen geht es um die beabsichtigte Zufügung eines Übels seitens einer autorisierten Instanz in Reaktion auf die bewusste, schuldhafte Verletzung einer Rechtsnorm. In einem liberalen Rechtsstaat sind Einschränkungen von Freiheiten der Bürger und somit auch strafrechtliche Sanktionen aus ethischer Sicht rechtfertigungsbedürftig: Welchem ethisch relevanten Zweck dient dieses Vorgehen?
Die Frage gilt für das Übel der Strafe ebenso wie für das Übel des Eintrags. Es gibt also entscheidende Parallelen zwischen Strafe und Registereintrag, und wie im Folgenden deutlich werden wird, geht in der Praxis das eine mit dem anderen einher.
Dies legt nahe, dass das, was möglicherweise die Strafe rechtfertigt, auch den Registereintrag rechtfertigt.
Ich möchte dieser Überlegung im Hauptteil der Arbeit nachgehen. Dazu stelle ich im ersten Hauptkapitel drei klassische Theorien der moralischen Rechtfertigung von Strafe in ihren Grundzügen vor.
Im zweiten Hauptkapitel werde ich ihre jeweiligen Überlegungen dann separat auf die Registereinträge beziehen. Ich werde diskutieren, ob diese aus Sicht der Vergeltungs-, Präventions- oder Expressionstheorie besondere Effekte bringen, die sie als Ergänzung der Strafe erforderlich machen und damit aus ethischer Sicht rechtfertigen. Im Einzelnen stellt sich die Frage, ob die Einträge möglicherweise dazu dienen, Gerechtigkeit durch Vergeltung wiederherzustellen, ob sie die Sicherheit der Allgemeinheit durch Prävention zukünftiger Straftaten befördern oder die Geltung von Normen und Werten bestärken. Hierzu werde ich die drei Ansätze jeweils mit einem wesentlichen Einwand konfrontieren, der bereits in der Debatte um die ethische Rechtfertigung von Strafe einschlägig ist.
Im Fazit werde ich meine Ergebnisse im Hinblick auf die titelgebende Fragestellung zusammenfassen.
Zunächst aber werde ich die Praxis der Registereinträge vorstellen.
Zentrale technische Begriffe und rechtliche Grundlagen werden erläutert sowie relevante Zahlen und Fakten benannt. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff des Bundeszentralregisters? Was ist in Abgrenzung dazu das Führungszeugnis, und für welchen Personenkreis sind die Registereinträge – als Betroffener oder als Einsicht nehmende Instanz – bedeutsam?
Das Kapitel schließt mit einer Skizzierung der Auswirkungen der Praxis auf die oben genannten moralischen Rechte verurteilter Straftäter.
Wer als Fußgänger trotz roter Ampel die Straße überquert, hat eine Ordnungswidrigkeit und damit einen Verstoß gegen eine Gesetzesnorm begangen. Er muss jedoch nicht befürchten, dass dies einen Eintrag im Strafregister nach sich zieht. Wann aber ist dies der Fall? Und wer erhält in welchem Rahmen und zu welchem Zweck Kenntnis über die Einträge?
a) Das Bundeszentralregister (BZR)
Jede strafrechtliche Verurteilung wird in Deutschland in das vom Bundesamt für Justiz geführte Bundeszentralregister (BZR), eine elektronische Datenbank, eingetragen. Die rechtliche Grundlage für dieses Vorgehen findet sich im Bundeszentralregistergesetz (BZRG). Das BZR setzt sich aus dem Zentralregister mit allen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen und dem Erziehungsregister mit Entscheidungen nach dem Jugendstrafrecht zusammen.
Die von den Registereinträgen betroffenen verurteilten Straftäter sind demnach Personen, gegen die bestimmte Sanktionen nach allgemeinem Strafrecht oder nach dem Jugendstrafrecht verhängt wurden. Verurteilt werden kann nur eine strafmündige Person, d. h. eine Person, die mindestens 14 Jahre alt ist.3
Als hauptsächliche Sanktionen, die zum Eintrag in das BZR führen, sind im allgemeinen Strafrecht Geldstrafen und Freiheitsstrafen (mit oder ohne Strafaussetzung zur Bewährung) zu nennen.
Auch sogenannte Maßregeln der Besserung und Sicherung (z. B. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt), Nebenstrafen wie die Entziehung der Fahrerlaubnis oder Nebenfolgen (wie der Verlust der Amtsfähigkeit) finden sich im BZR-Eintrag wieder.4 Hinzu kommen bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Vermerke über Schuldunfähigkeit sowie nachträglich ergänzte Entscheidungen.
Sofern von den dortigen Behörden mitgeteilt, werden nach § 54 BZRG auch im Ausland erfolgte strafrechtliche Verurteilungen gegen deutsche Bürger eingetragen.
Für Jugendliche und nach Jugendstrafrecht abgeurteilte Heranwachsende gelten bezüglich der Einträge besondere Bedingungen, denn das Jugendstrafrecht ist von pädagogischen Gesichtspunkten, insbesondere vom Erziehungsgedanken, geprägt. Daraus folgt, dass nicht sämtliche Entscheidungen des Jugendgerichts Eingang in das BZR finden.
Nach Abzug aller sich im Vorfeld erledigten Ermittlungsverfahren wurden im Jahr 2017 rund 716.000 Personen strafgerichtlich verurteilt, so dass diese Entscheidungen zu einem (ersten oder weiteren) Eintrag in das BZR geführt haben. Pro 100.000 der Bevölkerung betraf eine gerichtliche Sanktion im Bezugsjahr 865 Personen.5 59 668 Personen wurden 2017 nach Jugendstrafrecht verurteilt.6
b) Wer erhält Einsicht in das BZR?
Auskunft über Eintragungen im Zentralregister wird nur in einem gesetzlich genau festgelegten Rahmen erteilt. Bestimmte, in § 41 BZRG aufgeführte Stellen erhalten auf Antrag unbeschränkt Auskunft aus dem BZR. Zu nennen sind neben den Justizbehörden u. a. oberste Bundes- und Landesbehörden, Ausländerbehörden oder Behörden, die z. B. für die Erteilung eines Waffenscheins zuständig sind.
§ 42 BZRG stellt die Normengrundlage dafür dar, als persönlich Betroffener Auskunft aus dem BZR zu erlangen: „Einer Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag mitgeteilt, welche Eintragungen über sie im Register enthalten sind.“ Telefonische Auskünfte werden von der Registerbehörde nicht erteilt. Eine persönliche Einsichtnahme in den eigenen BZR-Auszug kann nur bei der Registerbehörde selbst oder einem Amtsgericht erfolgen. Nach Einsichtnahme ist das Dokument vom Amtsgericht zu vernichten. Dem Betroffenen darf – laut Gesetzestext zum eigenen Schutz - weder die Mitteilung noch eine Kopie ausgehändigt werden.7
c) Das Führungszeugnis als Auszug aus dem BZR
Aus dem Bundeszentralregister kann jede Person außerdem gemäß § 30 BZRG einen Auszug verlangen, das sogenannte Führungszeugnis. Es handelt sich also um eine behördliche Bescheinigung über bisher registrierte Vorstrafen einer Person und bestimmte Verwaltungsentscheidungen.
Das Führungszeugnis ist mit dem BZR inhaltlich nicht völlig deckungsgleich, sondern enthält weitaus weniger Eintragungen. Nach § 32 BZRG werden ausschließlich Geldstrafen von mehr als 90 Tagessätzen und Freiheitsstrafen von mehr als drei Monaten in das Führungszeugnis aufgenommen. Wer in diesem Strafrahmen verurteilt wurde, gilt nach deutschem Recht als vorbestraft. Unterhalb dieser Grenze enthält das Führungszeugnis die Bemerkung „keine Eintragung“. Allerdings bleibt es nur eintragungsfrei, wenn im BZR keine früheren Einträge vorliegen. Ist dort bereits eine (auch nur geringe) Strafe vermerkt, werden nach der zweiten Verurteilung beide Strafen ins Führungszeugnis aufgenommen.8
Im Jugendstrafbereich gilt auch für das Führungszeugnis, dass nur bestimmte Einträge vorgenommen werden. Es stehen pädagogische Gesichtspunkte im Vordergrund, vor allem der Gedanke, dass delinquentes Verhalten im jugendlichen Alter einer gewissen Unreife geschuldet sein kann. Jungen Straftätern sollen deshalb durch die Einträge keine unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bezüglich ihrer Resozialisierung entstehen.
Es gibt unterschiedliche Ausformungen des Führungszeugnisses: Wer es z.B. zur Vorlage beim Arbeitgeber benötigt, kann ein Privatführungszeugnis beantragen.
2010 wurde das sogenannte erweiterte Führungszeugnis etabliert. Behörden sind befugt, eine Person zu dessen Vorlage aufzufordern, und können es darüber hinaus beim Bundesamt für Justiz anfordern, soweit sie es „zur Erledigung ihrer hoheitlichen Aufgaben benötigen und eine Aufforderung an die betroffene Person (...) nicht sachgemäß ist oder erfolglos bleibt“ (§ 31 BZRG). Das erweiterte Führungszeugnis kommt beispielsweise zum Tragen, wenn eine persönliche Zuverlässigkeitsprüfung erfolgt, unter anderem im Rahmen von Gewerbe- und Gaststättengenehmigungen, Führerscheinausstellung, dem Pass- und Visumswesen sowie bevorstehenden Verbeamtungen. Es enthält neben strafgerichtlichen Urteilen auch bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden. In diesem umfangreicheren Registerauszug sind auch geringfügige Verurteilungen sowie Gerichtsentscheidungen, die wegen Fristablaufs im einfachen Führungszeugnis keine Erwähnung mehr finden, aufgeführt.
Personen, die beruflich oder ehrenamtlich im Kinder- und Jugendbereich tätig werden wollen, müssen ebenfalls das erweiterte Führungszeugnis vorlegen.
Das Europäische Führungszeugnis wird in Deutschland lebenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union erteilt. Es gibt auch Auskunft darüber, ob die betreffende Person im EU-Staat ihrer Herkunft vorbestraft ist.9
d) Tilgungsfristen in BZR und Führungszeugnis
Je nach Strafmaß wird eine Verurteilung für eine nach dem BZRG geregelte Zeit gespeichert. Aus Resozialisierungsgründen wurde ein gestaffeltes System von Fristen etabliert, nach deren Ablauf gespeicherte Verurteilungen zunächst nicht mehr im Führungszeugnis aufgeführt und schließlich auch im BZR gelöscht werden.10
Diese Löschung eines Eintrags geschieht grundsätzlich automatisch.
Beim Führungszeugnis gelten je nach Höhe des verhängten Strafmaßes unterschiedliche Fristen (vgl. § 34 BZRG). Die Abwägung fällt umso eher zugunsten des Resozialisierungsinteresses des Verurteilten gegenüber dem Interesse Dritter an der Einsichtnahme aus, je geringer das Strafmaß ist.
Für drei Jahre aufgeführt bleibt beispielsweise eine Freiheitsstrafe von bis zu maximal drei Monaten oder eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach fünf Jahren wird beispielsweise eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr nicht mehr im Führungszeugnis aufgeführt.
Die Tilgungsfristen im BZR sind gemäß § 46 BZRG mit Zeiträumen zwischen fünf und zwanzig Jahren erheblich länger. Beispielsweise wird die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erst nach zwanzig Jahren gelöscht.
Die Tilgung bewirkt für verurteilte Personen nicht nur, dass Dritte nichts mehr von einer Vorstrafe erfahren. Vielmehr darf laut § 51 BZRG dem Betroffenen eine Tat und die Verurteilung (außer in bestimmten Ausnahmefällen) zukünftig nicht mehr vorgehalten oder zu seinem Nachteil verwertet werden . 11 Unter bestimmten Bedingungen kann unabhängig von den gesetzlichen Fristen eine Löschung beantragt werden (§§39, 49 BZRG), „soweit es kein entgegenstehendes öffentliches Interesse gibt“. Erfolgreich sind solche Anträge jedoch in der Praxis so gut wie nie.
Der Bundesrat hat im März 2020 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des BZRG vorgelegt, durch den die zeitlich unbegrenzte Aufnahme von Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in das erweiterte Führungszeugnis ermöglicht werden soll. Ziel des Entwurfs ist es, verurteilten Sexualstraftätern den beruflichen oder ehrenamtlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen dauerhaft zu verwehren. Die Argumentation lautet, dass der Schutz Minderjähriger vor zukünftigen Übergriffen einschlägig vorbestrafter Sexualstraftäter deren Interesse an einem engen und unbeaufsichtigten Umgang mit Minderjährigen überwiege.12
e) Auswirkungen auf moralische Rechte Verurteilter
Dass die verurteilte Person kein Mitbestimmungsrecht über die Speicherung und Verwertung ihrer strafrechtlichen Daten hat, verletzt ihr Recht auf i nformationelle Selbstbestimmung. Diese Schädigung bedingt die genannten Einschränkungen weiterer moralischer Rechte, deren jeweilige Auswirkungen sich überschneiden:
So beeinträchtigen die Einträge die verurteilte Person in ihrer persönlichen Entscheidung, ob strafrechtliche Informationen privat bleiben sollen. Ihr somit betroffenes Recht auf Privatheit wird zwar nur gegenüber Stellen vollständig verletzt, die aus sicherheitsrelevanten Gründen gesetzlich befugt sind, unbeschränkte Auskunft über die Inhalte zu erhalten. Doch das Recht auf freie Berufswahl wird dadurch in zweierlei Hinsicht verletzt: Zum einen hat die betroffene Person zu einigen Arbeitsfeldern aufgrund der Einträge keinen Zugang mehr. In anderen Bereichen wird sie sich zum anderen gar nicht erst bewerben oder den Kontakt zum Arbeitgeber abbrechen, falls die Einträge dort offengelegt werden müssen.
Diese Effekte lassen sich ebenso als Verletzung des Rechts Verurteilter auf Resozialisierung benennen wie z. B. ihre eingeschränkten Erfolgsaussichten behördlicher Anträge.
Im Kontext einer öffentlichen Hauptverhandlung wegen erneuter Straffälligkeit wird das Recht Verurteilter auf Privatheit durch die Einträge in besonderer Weise beeinträchtigt: Als Teil der Beweisaufnahme verliest der Richter den aktuellen Auszug aus dem BZR des Angeklagten. Dies erfolgt in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten, aber auch unbeteiligter Zuschauer (z. B. Schulklassen). Alle derzeit eingetragenen Verurteilungen inklusive der ihnen zugrundeliegenden Delikte werden in dieser Situation gegenüber Dritten offengelegt. Diese werden zugleich nicht zur Verschwiegenheit über die erhaltenen Kenntnisse verpflichtet.
In der praktischen Ausgestaltung erfahren die moralischen Rechte Verurteilter dadurch Berücksichtigung, dass die Registereinträge zum Schutz des Rechts auf Privatheit nicht von jedermann eingesehen werden können. In vielen Bereichen auf dem freien Arbeitsmarkt oder im Ehrenamt spielt das Führungszeugnis zudem ohnehin keine Rolle. Hier kann die verurteilte Person letztlich selbst darüber entscheiden, ob sie ihr Führungszeugnis vorlegt und damit Dritten Einblick in ihre Vorstrafen gewährt.
Dem Recht des Verurteilten auf Resozialisierung wird in der Praxis Gewicht verliehen, indem die Einträge abhängig vom Strafmaß im Führungszeugnis aufgeführt werden und dessen Informationsumfang je nach Verwendungszweck differiert. Diesem moralischen Recht Verurteilter sind auch die gesetzlichen Tilgungsfristen in ihren verschiedenen Abstufungen geschuldet.
Dennoch ändern diese auf Resozialisierung hinwirkenden Beschränkungen der Eintragspraxis nichts an der Tatsache, dass die genannten Verletzungen moralischer Rechte bestehen und die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten Verurteilter beschränken. Die obige Darstellung verdeutlicht nochmals: Für die Zufügung dieser Übel bedarf es einer ethischen Rechtfertigung.
Drei Ansätze zur ethischen Rechtfertigung staatlicher Strafen
Einleitend habe ich dargestellt, welcher Zusammenhang sich zwischen dem Übel der Registereinträge und der Strafe herstellen lässt: Beide Vorgehensweisen stellen eine beabsichtigte staatliche Leidenszufügung in Reaktion auf eine Normverletzung dar.13 Dass die Leidenszufügung beabsichtigt erfolgt, macht sie aus ethischer Sicht rechtfertigungsbedürftig, denn diese bewusste Schädigung verkörpert ihrerseits einen moralischen Normverstoß.14 Wie vorangehend deutlich wurde, stehen Strafe und Eintrag auch in der Praxis in direktem Zusammenhang.
Diese Aspekte lassen eine Betrachtung vergleichbarer Rechtfertigungsgründe für Einträge wie auch Strafe plausibel erscheinen. Um der Frage nach einer ethischen Rechtfertigung der Registereinträge nachzugehen, möchte ich daher im Folgenden die Grundzüge dreier klassischer Straftheorien vorstellen. Sie führen jeweils sehr unterschiedliche Elemente an, aufgrund derer eine staatliche Strafe gerechtfertigt sein kann.15 Im nächsten Schritt werde ich die jeweiligen Kriterien bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf die Rechtfertigung der Registereinträge untersuchen.
a) Die Vergeltungstheorie
Die Vergeltungs- oder Retributionstheorie findet einflussreiche philosophische Vertreter wie Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Sie lässt sich zudem in den alttestamentarischen Vorstellungen einer ausgleichenden Gerechtigkeit nach dem „Auge für Auge, Zahn für Zahn“-Prinzip16 erkennen.
Diese Straftheorie nimmt eine rückwärtsgerichtete Perspektive zur Rechtfertigung staatlichen Strafens ein. Durch die begangene Normverletzung hat ein Straftäter erwiesenermaßen Schuld auf sich geladen. Dieses Kriterium rechtfertigt seine Bestrafung nicht nur, es macht sie nach retributiver Auffassung sogar zwingend geboten: Zweck der Strafe ist nämlich die Wiederherstellung der durch die Straftat beschädigten Gerechtigkeit. Dies soll erreicht werden, indem die Normverletzung dem Täter „durch die Zufügung des Strafübels angemessen vergolten wird“.17
Hingegen ist im Sinne der Vergeltungstheorie jeglicher in die Zukunft gerichtete Strafzweck nicht nur entbehrlich, sondern zur Begründung von Strafe sogar illegitim. Kant zufolge muss die staatliche Strafe gegen einen Straftäter „jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt (…) werden, (...).“18 Durch die Bestrafung die Beförderung eines anderen moralischen Gutes, z. B. die Abwendung zukünftiger Straftaten Dritter, zu bezwecken, würde aus retributionstheoretischer Sicht eine Instrumentalisierung des Bestraften darstellen.
[...]
1 https://www.ra-plutte.de/persoenlichkeitsrechtsverletzung/
2 https://dejure.org/gesetze/GG/12.html
3 Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 32
4 ebd., 35
5 ebd., 9 sowie Tabelle 16a
6 ebd., 41f.
7 vgl. § 42 BZRG
8 vgl. § 32 II Satz 5 BZRG
9 vgl. § 30 b BZRG
10 Ausgenommen hiervon sind Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese bleiben sowohl im BZR als auch im Führungszeugnis aufgeführt.
11 Eventuelle Ansprüche Dritter, die aus der Straftat folgen, sind nicht von der Tilgung betroffen. Sie können weiterhin geltend gemacht werden.
12 Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode; Gesetzesentwurf des Bundesrates; Drucksache 19/18019; 18.03.2020, S- 9 ff.
13 vgl. Hoerster 2012, 11-14
14 Hallich in Zeitschrift für Praktische Philosophie Band 5, Heft 1, 2018, 82
15 Quellen: Hoerster 2012; Hallich a. a. O.
16 Exodus, 21, 24, Einheitsübersetzung 1980
17 Hoerster a. a. O., 26
18 Kant 1977, 453
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare