Essay, 2002
7 Seiten
Walter Grode
>MEDIZIN MIT NEBENWIRKUNGEN<
Der Kampf der Kulturen und der Untergang des Abendlandes
bei Huntington und Spengler
(Erschienen in: >zeitzeichen< Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Heft 9/2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kein anderes politisches Buch hat, wie es scheint, in den vergangenen zehn Jahren, mehr prognostische Kraft besessen, als die Ende 1996 erschienene Studie des amerikanischen Politologen Samuel P. Huntington vom Clash of Civilisations.
Nach dem 11. September 2001 schien sogar dem Autor selbst vor der auf satanische Weise eingelösten Prophetie zu schaudern, so dass er sich in einem Interview beeilte, seine Thesen dahingehend zu relativieren, dass es sich beim Anschlag auf New York (noch) nicht um den von ihm vorhergesagten clash, also den Zusammemstoß der Kulturen gehandelt habe, sondern um einen >Angriff gemeiner Barbaren auf die zivilisierte Gesellschaft der ganzen Welt.< Und in der Tat: Samuel Huntington projizierte seine Warnung vor einem großen Zusammenstoß als einer möglichen Ausprägung des Kampfes der Kulturen erst in das Jahr 2010.
Huntington ersetzt zunächst das Paradigma der Rivalität der Supermächte, das für die Zeit des Kalten Krieges charakteristisch war, durch ein Modell einer "Welt der Kulturen". Diese Welt befinde sich zwar in einem Modernisierungsprozeß, jedoch dürfe Modernisierung nicht mit Verwestlichung gleichgesetzt werden - im Gegenteil, das Gewicht der einzelnen Kulturkreise verändere sich zuungunsten des Westens.
Der Autor unterscheidet sieben bis acht zeitgenössische Kulturkreise, nämlich einen sinischen, japanischen, hinduistischen, islamischen, westlichen, russisch-orthodoxen, lateinamerikanischen und mit Vorbehalt einen afrikanischen. Die Bruchlinien zwischen den einzelnen Kulturkreisen seien heute die Frontlinien, an denen Kriege und Konflikte ausgetragen werden. Als funktionales Äquivalent zu den Supermächten in der Zeit des Kalten Krieges erscheinen die so genannten Kernstaaten der großen Kulturkreise. Sie haben die Aufgabe, Ordnung zu schaffen: Im Innern ihres Kulturkreises durch Disziplinierung der kleineren Staaten, nach außen durch Verhandlungen mit den Kernstaaten der anderen Kulturkreise. Demnach beruht der Weltfriede im 21. Jahrhundert auf der Bereitschaft der Kernstaaten, ihre Einflußsphären wechselseitig zu respektieren: Der islamische Kulturkreis, warnt Huntington, habe hingegen keinen Kernstaat, sondern eine Anzahl von konkurrierenden Machtzentren, und deshalb sei er eine besondere Gefahrenquelle.
Doch auch das westliche Sendungsbewußtsein sei eine große Konfliktquelle. Der Westen versuche in aller Welt, Demokratie und Menschenrechte als universalistische Prinzipien zu propagieren und heize damit den "Kampf der Kulturen" erst recht an: "Was für den Westen Universalismus ist, ist für den Rest der Welt Imperialismus". Abschließend handelt Huntington ausführlich den negativen Eventualfall eines "Kriegs der Kulturen" für das Jahr 20010 ab. Der Versuch, diesen Konflikt zu vermeiden, erfordert nach Huntington, dass Kernstaaten davon absehen, bei Konflikten in anderen Kulturen zu intervenieren. Das ist eine Wahrheit, schreibt Huntington, die zu akzeptieren manchen Staaten, besonders den USA, schwerfallen wird.
Das sich aus Huntingtons Überlegungen ergebende "Prinzip der Erhaltung" und die Abschottung der amerikanisch-europäischen Festung gegen die Migrantenflut hätten freilich zur Folge, dass den politisch Verfolgten in allen Kulturkreisen die Hoffnung auf den Westen - und damit vielleicht die letzte Hoffnung - genommen wird. Das wäre der Preis für das Überleben des Westens. Und ein zweites kommt hinzu: Durch die Implementierung von Abschottung und Enthaltung müßte der Westen, wie Huntington einräumt, den Charakter des abendländischen Menschen unterdrücken, der durch den universalen Anspruch auf individuelle Rechte und Freiheiten integriert ist. Und dieser Charakter bestimmt nach Huntington die Eigenart des abendländischen Kulturkreises.
Der Artikel analysiert Samuel Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" und dessen prognostische Kraft, insbesondere im Kontext des 11. September 2001. Er untersucht, wie Huntington die Welt nach dem Kalten Krieg in verschiedene Kulturkreise einteilt und die Rivalität der Supermächte durch ein Modell der kulturellen Konflikte ersetzt.
Huntington unterscheidet sieben bis acht Kulturkreise: einen sinischen, japanischen, hinduistischen, islamischen, westlichen, russisch-orthodoxen, lateinamerikanischen und mit Vorbehalt einen afrikanischen Kulturkreis.
Die Kernstaaten der großen Kulturkreise haben die Aufgabe, Ordnung zu schaffen: Im Innern ihres Kulturkreises durch Disziplinierung der kleineren Staaten, nach außen durch Verhandlungen mit den Kernstaaten der anderen Kulturkreise. Der Weltfriede hängt demnach von der Bereitschaft der Kernstaaten ab, ihre Einflußsphären wechselseitig zu respektieren.
Der Artikel kritisiert, dass Huntingtons "Prinzip der Erhaltung" und die Abschottung des Westens dazu führen könnten, politisch Verfolgten die Hoffnung auf den Westen zu nehmen. Außerdem müßte der Westen, um sich abzuschotten, seinen eigenen Charakter, der durch universelle individuelle Rechte und Freiheiten geprägt ist, unterdrücken. Die Abschottung des Westens birgt somit die Gefahr, seine eigene Persönlichkeitsstruktur zu deformieren. Zudem besteht die Gefahr, dass Huntingtons Thesen politisch instrumentalisiert und in einen antiliberalen, antidemokratischen und ausländerfeindlichen Kontext gestellt werden können.
Huntington kann das Problem nicht auflösen, dass die zur Erhaltung des Westens vorgeschlagenen Maßnahmen (Abschottung und Enthaltung) negative Nebenwirkungen haben, da sie die Persönlichkeitsstruktur des abendländischen Menschen deformieren können. Huntington argumentiert aus einem liberalen und demokratischen Wertesystem heraus, was diese Lösung erschwert.
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