Bachelorarbeit, 2019
53 Seiten, Note: 1,5
Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Geschichtlicher Hintergrund
2.2 Nationalsozialismus als Unterrichtsgegenstand für den Grundschulunterricht
2.3 Potenziale eines problemorientierten Literaturunterrichts
3. Das Bilderbuch als Medium für den Unterrichtsgegenstand Nationalsozialismus
3.1 Das Bilderbuch als Medium
3.2 Das Bilderbuch als Vehikel für den problemorientierten Literaturunterricht
3.3 Anforderungen an die Gestaltung von Bilderbüchern zum Nationalsozialismus
4. Analyse der Bilderbuchbeispiele
4.1 Vorliegende Ansätze zur Analyse von Bilderbüchern
4.2 Elisabeth Reuter: Judith und Lisa
4.2.1 Strukturelle Untersuchung des Textes
4.2.2 Gestaltungsmerkmale der Bilder
4.2.3 Die Entwicklung des Themas in Text- und Bildstruktur
4.3 Judith S. Kestenberg: Als Eure Großeltern jung waren
4.3.1 Strukturelle Untersuchung des Textes
4.3.2 Gestaltungsmerkmale der Bilder
4.3.3 Die Entwicklung des Themas in Text- und Bildstruktur
5. Vergleichende Betrachtung und Bewertung der Bilderbücher
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. […] Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, daß Auschwitz nicht sich wiederhole. […] Da aber die Charaktere insgesamt, auch die, welche im späteren Leben die Untaten verübten, nach den Kenntnissen der Tiefenpsychologie schon in der frühen Kindheit sich bilden, so hat Erziehung, welche die Wiederholung verhindern will, auf die frühe Kindheit sich zu konzentrieren. (Adorno 1966: 88)
Kindern, und insbesondere kleinen Kindern, von den Grausamkeiten des Nationalsozialismus zu erzählen, stößt bei vielen Erwachsenen auf eine abwehrende Haltung. Der wiedererstarkte Neonazismus und aktuelle Themen wie Terror und Krieg lassen sich diesem Widerstand jedoch entgegenstellen und plädieren für eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der Thematik, um der zitierten Forderung Adornos (1966: 88), „daß Auschwitz nicht noch einmal sei“, nachzukommen. Somit ist es auch Aufgabe der Schule, das Thema Nationalsozialismus in den Unterricht zu integrieren und den Schülerinnen und Schülern die Ereignisse durch altersangemessene Materialien als Mahnung begreifbar zu machen. Eine Möglichkeit vor allem junge Kinder mit den grausamen Geschehnissen vertraut zu machen, bietet das Medium Bilderbuch. Mit Roberto Innocentis Rosa Weiss (1986) erschien in Deutschland das erste illustrierte Kinderbuch, welches den Holocaust thematisiert und entsprechend kontrovers aufgenommen wurde. Im Verlauf der Jahre wurden weitere Bilderbücher zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust veröffentlicht, welche jedoch bis heute auf scharfe Kritiken stoßen und die frühe Behandlung des Themas weiterhin in Frage stellen.
Ziel dieser Arbeit ist es daher, die zwei exemplarisch ausgewählten Bilderbücher Judith und Lisa (1988) und Als Eure Großeltern jung waren (1993) hinsichtlich ihrer Eignung für die Vermittlung der Thematik Nationalsozialismus im Literaturunterricht der Grundschule zu untersuchen. Zu diesem Zweck wird zunächst der geschichtliche Hintergrund skizziert, um die dargestellten Ereignisse in den Bilderbüchern besser überblicken und auf ihre geschichtliche Richtigkeit überprüfen zu können. Daraufhin wird der grundlegend umstrittenen Frage, ob eine Thematisierung des Holocaust und Nationalsozialismus bereits in der Grundschule erfolgen sollte, nachgegangen. Anschließend werden die Potenziale des Literaturunterrichts für die Bearbeitung der Thematik beleuchtet und aufgezeigt, weswegen eine Verbindung historischen und literarischen Lernens sinnvoll erscheint. Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Medium Bilderbuch und der Frage, inwieweit sich dieses für den Unterrichtsgegenstand National-sozialismus eignet. Hierfür wird das Bilderbuch zunächst grundlegend definiert und auf seine Einsatzmöglichkeit im problemorientierten Literaturunterricht geprüft. Zudem werden Anforderungen an Bilderbücher zum Thema Nationalsozialismus formuliert, wobei auch auf kritische Äußerungen gegenüber dem Medium eingegangen wird. Daraufhin werden die beiden Bilderbuchbeispiele unter Heranziehung eines geeigneten Analyseansatzes untersucht. Im anschließenden Kapitel werden diese vergleichend betrachtet und in Hinblick auf die zuvor aufgeführten Anforderungen bewertet. Das Fazit stellt die Ergebnisse zusammenfassend dar, indem die Befunde der Analyse vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen reflektiert werden und der zentralen Fragestellung nach der Tauglichkeit der Bilderbücher für den Literaturunterricht der Grundschule nachgegangen wird.
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus ein Anfang bereitet, und insbesondere jüdische Personen fielen den faschistischen Grausamkeiten zum Opfer (vgl. Hildebrand 2003: 1). In der Zeit von April 1933 bis 1945 wurden insgesamt etwa 2000 Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung erlassen (vgl. Zimmermann 1997: 48).
Als erste Maßnahme, die sich gezielt gegen die jüdische Minderheit richtete, kann der Boykott gegen jüdische Unternehmen gelten, welcher auf den 1. April 1933 befristet wurde (vgl. Longerich 1998: 35). Hierbei handelte es sich jedoch entgegen der offiziellen Bezeichnung nicht um eine „auf der freiwilligen Entscheidung von Konsumenten beruhende[n] Maßnahme“ (Longerich 1998: 35), sondern um eine staatlich organisierte Unterbindung wirtschaftlicher Tätigkeiten der jüdischen Ärzte, Rechtsanwälte und Geschäftsinhaber (vgl. ebd.). Potenzielle Kunden wurden durch Warn-Plakate davon abgehalten in jüdischen Geschäften einzukaufen. Tätigten diese ihre Einkäufe dennoch in den betreffenden Geschäften, wurden sie fotografiert oder mussten ihre Identität bekannt geben (vgl. Longerich 1998: 37). Die Mehrheit der Bevölkerung verhielt sich so, wie das Regime es von ihnen erwartete und mied die jüdischen Unternehmen. Eine „couragierte Minderheit“ (Longerich 1998: 37) jedoch stellte sich gegen den Boykottaufruf und suchte demonstrativ die jüdischen Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Trotz dessen sahen sich viele Geschäftsinhaber gezwungen, ihre Unternehmen für diesen Tag zu schließen, da ihre Kunden vermehrt belästigt wurden (vgl. Longerich 1998: 37).
Am 7. April 1933 folgte der Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das den Ausschluss jüdischer Beamter aus dem öffentlichen Dienst vorsah (vgl. Zimmermann 1997: 48). Durch das Gesetz wurde den Behörden vorgeschrieben, diejenigen Beamten, die aus politischen Gründen für das Regime nicht weiter tragbar erschienen, zwingend auszuschließen, und diejenigen, die nicht arischer Abstammung waren, in den Ruhestand zu verabschieden. Als nicht arisch galten bereits Beamte, welche einen jüdischen Eltern- bzw. Großelternteil besaßen (vgl. Longerich 1998: 42).
Nach weiteren Gesetzen, welche die Begrenzung jüdischer Beschäftigung im Rechtsanwaltswesen, als auch im staatlichen Gesundheitswesen vorsahen, wurde am 25. April 1933 ein Gesetz erlassen, welches einer Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen entgegenwirken sollte und somit eine Zulassungsbeschränkung von 1,5% für jüdische Personen an Schulen und Hochschulen festlegte (vgl. Zimmermann 1997: 48). Am 10. Mai 1933 kam es durch die nationalsozialistische Studentenführung in zahlreichen deutschen Universitätsstädten zur öffentlichen Verbrennung „undeutschen Schrifttums“ (Hildebrand 2003: 446). In den Jahren 1934 und 1935 wurden aus wirtschaftlichen Gründen und außerpolitischen Interessen zwar weniger antijüdische Gesetze erlassen, dennoch wurden in den Schulen Richtlinien festgelegt, welche unter anderem die Vererbungslehre und Rassenkunde am 15. Januar 1935 in den Schulunterricht integrierten (vgl. Scholtz 2009: 143).
Am 13. September 1935 fiel die Entscheidung zum Erlass der Nürnberger Gesetze, welche unter dem Vorwand verabschiedet wurden, Juden vor den Verstimmungen großer Massen der Bevölkerung zu schützen (vgl. Zimmermann 1997: 49). Tatsächlich verhalfen die Gesetze jedoch nicht zum Schutz der Juden, sondern sollten vielmehr der „endgültige[n] Regelung der Judenfrage“ (Zimmermann 1997: 49) dienen. In diesem Sinne erkannte das Reichsbürgergesetz den jüdischen Bürgern die seit 1871 in ganz Deutschland geltende staatliche Gleichheit ab und differenzierte stattdessen zwischen Staatsangehörigen und Reichsbürgern (vgl. Longerich 1998: 105). Als Reichsbürger galten dabei diejenigen Bürger deutschen beziehungsweise artverwandten Blutes, die durch ihr Verhalten zeigen konnten, dass sie dem Deutschen Reich treu dienen würden. Dies sollte durch die Verleihung eines Reichsbürgerbriefs bestätigt werden (vgl. Longerich 1998: 105). Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre untersagte Juden die Eheschließungen sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr mit staatsangehörigen Deutschen oder artverwandten Blutes (vgl. Longerich 1998: 105). Der jüdischen Bevölkerung wurde es zudem verboten, weibliche deutsche Hausangestellte zu beschäftigen, die unter 45 Jahre alt waren, und auch das Hissen der Reichsflagge bzw. das Zeigen der Reichsfarben wurde ihnen untersagt (vgl. Longerich 1998: 105). Um überflüssige Komplikationen zur Zeit der Rheinlandbesetzung und der Olympiade zu vermeiden, stagnierte die antijüdische Politik im Jahr 1936. Weitere Einschränkungen der Rechte jüdischer Personen erfolgten im Jahr 1938 (vgl. Zimmermann 1997: 49). Der jüdischen Bevölkerung war es fortan verboten, öffentliche Parkbänke zu nutzen, nach jüdischen Personen benannte Straßennamen wurden geändert und die Einführung der Zwangsvornamen Israel und Sara diente dem Zweck, die Angehörigkeit zum Judentum offenzulegen (vgl. Zimmermann 1997: 50).
Die Ausweisung von 18000 Juden polnischer Herkunft begann am 28. Oktober 1938, unter denen sich auch die Familie Grynzpan befand. Am 7. November verletzte der in Deutschland aufgewachsene siebzehnjährige Sohn mit polnischer Staatsangehörigkeit als Reaktion auf die Ausweisung den Legationssekretär Ernst vom Rath schwer (vgl. Longerich 1998: 198). Dieses Attentat sollte als Hintergrund der Reichspogromnacht gelten. Der Pogrom wurde als notwendig erachtet, um sich einen finalen Zugriff auf die jüdischen Vermögen verschaffen zu können. Im Verlauf des Pogroms vom 9. und 10. November 1938 drängten SA- und SS-Trupps, sowie Parteiangehörige, in Zivilkleidung als Volk getarnt, gewaltsam in Synagogen ein und brannten diese ab, schlugen Fensterscheiben jüdischer Geschäfte ein und verwüsteten diese. Sie verschafften sich Zugang zu jüdischen Wohnungen, misshandelten deren Bewohner und entwendeten materielle Güter, teilweise brannten sie die Wohnhäuser anschließend nieder (vgl. Longerich 1998: 202f.). Insgesamt wurde der durch den Pogrom verursachte wirtschaftliche Schaden auf 49,5 Millionen Reichsmark beziffert, welcher größtenteils auf die jüdische Bevölkerung abgewälzt wurde (vgl. Longerich 1998: 203). Zwar bezeugen Berichte, dass diese Vorgehensweise von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde, dennoch ließ sich vor allem die Passivität der Menschen als dominierende Reaktion verzeichnen (vgl. Longerich 1998: 204).
Die Kriegssituation machte die Juden als angeblichen Feind für die Nationalsozialisten noch greifbarer, woraufhin ihnen weitere Verbote auferlegt wurden (vgl. Zimmermann 1997: 73). So durften sie nachts ihre Wohnungen nicht mehr verlassen, Lebensmittel nur zu bestimmten Uhrzeiten einkaufen und auch der Kauf von Schokolade, Reis oder Milch wurde ihnen allmählich untersagt (vgl. ebd.). Im September 1941 war es jüdischen Personen verboten, öffentliche Märkte zu besuchen und auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wurde auf bestimmte Stunden am Tag eingeschränkt. Ab dem 14. September 1941 wurde eine öffentliche Kennzeichnung von Juden vorgenommen, indem diese einen „schwarzen Davidstern auf handtellergroßen gelbem Grund“ (Zimmermann 1997: 73) tragen mussten. Die systematischen Massenvertreibungen der jüdischen Bevölkerung begannen am 23. Oktober 1941 aus allen Teilen des Deutschen Reiches. Die Auswanderung war nun offiziell verboten und wurde durch die Deportation zur Vernichtung deutscher Juden ersetzt (vgl. Zimmermann 1997: 73).
Die Integration der Thematik Nationalsozialismus in den Unterricht der Grundschule wirft zunächst einige Fragen auf: Lässt sich das Thema pädagogisch so greifen, dass eine altersgemäße Darstellung der Ereignisse, speziell des Holocausts gelingen kann? Was kann Kindern überhaupt zugemutet werden, ohne dass dabei ihr Vertrauen in die Gesellschaft zerstört wird? Und, inwieweit steht die Behandlung des Themas dem mit Hoffnung in das zukünftige Leben verknüpften Vermittlungsgedanken entgegen (vgl. Deckert-Peaceman 2008: 188)?
Diese Fragen implizieren, dass es sich bei der Vermittlung der Thematik um eine besonders schwierige Aufgabe handelt (vgl. Sahr 1992: 33). Auch wird durch sie auf die bestehende Ambivalenz zwischen „nötiger Zurückhaltung und offenem Zur-Sprache-Bringen“ (Sahr 1992: 33) hingewiesen. Bereits seit Mitte der 90er Jahre wird ein kontinuierlicher Diskurs im Kontext der Grundschulpädagogik und -didaktik geführt, welcher sich mit der Bedeutung, Möglichkeit und Notwendigkeit einer Thematisierung von Nationalsozialismus in der Grundschule, und insbesondere im Sachunterricht befasst (vgl. Pech 2016: 5). Maurice Halbwachs‘ 1925 erstmals erschienene Theorie des kollektiven Gedächtnisses trug maßgeblich zu diesen Diskursen bei. In seiner Theorie formuliert er Erinnerung als einen gegenwartsgeleiteten Prozess, der durch Kommunikation und Interaktion im sozialen Raum entstehe und somit kollektiv geprägt sei (vgl. Steffens 2008: 17). Zwar stehe das Gedächtnis im Besitz des Einzelnen, jedoch entwickle sich dieses erst im Prozess der Sozialisation, wodurch Halbwachs nicht die Individualität der Erinnerung als tragend ansieht, sondern die Teilnahme an kommunikativen Prozessen als ausschlaggebend definiert (vgl. ebd.). Somit sei die Erinnerung „auf die jeweils präsent gehaltenen Rahmungen des kollektiven Gedächtnisses angewiesen“ (Steffens 2008: 17).
Im Rahmen der Geschichtstheorie entdeckte der Ägyptologe Jan Assmann Halbwachs‘ Theorie wieder und machte dessen Überlegungen zur Grundlage einer eigenen Theoriebildung, welche die kollektive Erinnerung in zwei voneinander unterscheidbare Erinnerungsformen unterteilt (vgl. Steffens 2008: 17). Er unterscheidet zwischen dem kommunikativen Gedächtnis, das sich auf Erinnerungen an die gegenwärtige Vergangenheit bezieht, und dem kulturellen Gedächtnis, welches sich auf feste Bezugspunkte der Vergangenheit richtet (vgl. Assmann 2007: 50f.). Dieses diene nach Assmann der „Vergegenwärtigung fundierender Vergangenheit“ (Assmann 2007: 53), wie Mythen, symbolischen Figuren oder identitätsstiftenden Ereignissen, die einer sorgfältigen Unterweisung bedürfen und an Fest- oder Gedenktage gebunden sind. Demnach können Ereignisse des Nationalsozialismus nur dann Gegenstand des kollektiven Gedächtnisses und zugleich zu fundierender Vergangenheit werden, indem ein Übergang der Erinnerung aus dem kommunikativen in das kulturelle Gedächtnis stattfindet (vgl. Steffens 2008: 17). Dies setzt die Teilnahme an kommunikativen Prozessen voraus und spricht für eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Geschehnissen, da die Fülle und Bedeutsamkeit individueller Erinnerung durch die „Dichte der Rahmenbezüge“ (Steffens 2008: 17) bestimmt wird.
Dennoch erschienen erste empirische Untersuchungen über das Wissen und die Vorstellungen von Grundschulkindern über den Nationalsozialismus erst im Jahr 2008 (vgl. Pech 2016: 5). Zu Beginn der didaktischen Diskussionen konnte vor allem eine skeptische Haltung gegenüber der Thematisierung verzeichnet werden, welche durch qualitativ-empirische Forschungsergebnisse jedoch weitgehend ersetzt werden konnte (vgl. Koch 2017: 22). Mittlerweile herrscht vermehrt Konsens, dass eine erste Thematisierung bereits im Unterricht der Grundschule, speziell in der dritten oder vierten Jahrgangsstufe, möglich und sinnvoll sein kann (vgl. Pech 2016: 22). Trotz dessen begegnen Heranwachsende der Thematik Nationalsozialismus oftmals erst in der Sekundarstufe I, da sich nur wenige Lehrerinnen und Lehrer für eine Auseinandersetzung mit der Unterrichtsthematik in der Primarstufe entscheiden (vgl. Beck 1996: 11). Genannte Gründe für diese Entscheidung stützen sich vor allem auf die emotionale und kognitive Überforderung der Grundschulkinder, da die Komplexität der historischen Ereignisse für die Kinder noch nicht greifbar sei (vgl. Armbröster-Groh 1999: 91). Zudem fordere die Auseinandersetzung mit der Thematik eine Konfrontation mit Geschehnissen, die möglicherweise Gefühle von Schuld, Angst, Wut oder Scham in den beteiligten Personen auslösen könnte (vgl. Heyl 1996: 24). Diese Argumente sind keinesfalls außer Acht zu lassen und auch die Widerstände der Eltern, eine zu frühe Auseinandersetzung mit den furchtbaren Verbrechen des Dritten Reiches könne zu Alpträumen führen und die Kinder vor eine unnötige Belastung stellen, sind ernst zu nehmen (vgl. Kammler 1997: 61). Gegen diese Bedenken lassen sich jedoch gewichtige Argumente stellen.
Durch audiovisuelle Medien kommen die Kinder bereits im frühen Alter nicht nur mit Gewalttaten der sie umgebenden Gesellschaft in Berührung, sondern werden zusätzlich mit einer Fülle von Eindrücken und Einzelkenntnissen über die Zeit des Nationalsozialismus konfrontiert (vgl. Kammler 1997: 61). Insbesondere das Medium Fernsehen, aber auch Filme, Computerspiele, Bücher, „Gesprächsfetzen und Spuren in ihrer Umwelt“ (Beck 1996: 11) offenbaren den heutigen Kindern auf unkontrollierte Weise Geheimnisse um die Geschehnisse der Welt und den verschiedenen Zeitepochen, vor welchen die Erwachsenen sie zu schützen gewollt sind (vgl. Heyl 1996: 26). Die Kinder nehmen Teilstücke von Informationen auf, können diese jedoch nicht vollständig verarbeiten und „verharren auf diese Weise in einem Zustand der Halb-Informiertheit“ (Birkmeyer & Kliewer 2010: 4). Dieses fragmentarische Vorwissen kann zum einen zu einer extremen Neugier, zum anderen aber auch zu einem Zustand vehementer Abwehr führen (vgl. Beck 1996: 11). Die frühe Thematisierung des Nationalsozialismus kann dieser Entwicklung entgegenwirken, indem verhindert wird, dass diffuse Ängste, Vorurteile, verzerrte Vorstellungen und falsche Geschichtsbilder erst entstehen (vgl. Armbröster-Groh 1999/Beck 1996/ Birkmeyer & Kliewer 2010). Denn nicht selten lassen sich die Ängste und abwehrenden Haltungen einiger Schülerinnen und Schüler gegenüber der Thematik Nationalsozialismus darauf begründen, dass ihnen die Möglichkeit für eine „empathische Annäherung“ (Birkmeyer & Kliewer 2010: 3) durch eine oberflächliche und wenig reflektierte Begegnung bereits genommen wurde (vgl. Birkmeyer & Kliewer 2010: 4).
Kinder vor gewissen Themen- und Konfliktbereichen zu schützen, indem man diese möglichst lange vor ihnen verbirgt, hat sich mittlerweile als pädagogisch wenig wertvoll erwiesen (vgl. Hollstein & Sonnenmoser 2006: 70). Denn Kinder wissen sehr genau, dass das Leben nicht nur freudige und harmonische Momente mit sich bringt, sondern auch von bedrängenden und grausamen Situationen geprägt sein kann. Die Auseinandersetzung im Unterricht kann den Kindern ein besseres Verständnis dieser Situationen ermöglichen und „dem jungen Menschen Erleichterung verschaffen“ (Sahr 1992: 27). Es erscheint daher wenig sinnvoll, die generelle Befürchtung einer emotionalen Überforderung von Grundschulkindern vor eine Auseinandersetzung mit der Thematik zu stellen, da gerade diese den Kindern die Möglichkeit einräumt, Antworten auf offene Fragen zu finden und sie somit vor Fehleinschätzungen bewahren kann (vgl. Pretzl 2005: 155).
Kinder im Grundschulalter befinden sich zudem in einer Phase, in welcher sie sich gezielt „mit Werten wie Gerechtigkeit und Gleichheit auseinandersetzen“ (Beck 1996: 12) und diese zugleich verinnerlichen, da sie Bestandteil ihrer eignen Erfahrungswelt werden (vgl. ebd.). Sie entwickeln ein Gewissen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und begegnen der moralischen Erziehung mit einer besonders hohen Zugänglichkeit (vgl. Kammler 1997: 61). Daher sind Kinder bereits zu diesem Zeitpunkt dazu befähigt, sich in die Rolle anderer hineinzuversetzen und sich auch mit Personen einer von der Gesellschaft ausgeschlossenen Minderheit zu identifizieren, wodurch ein soziales Lernen gemäß der Entwicklung von Solidarität stattfinden kann (vgl. Beck 1996: 12).
Eine weitere Begründung, das Thema Nationalsozialismus im Unterricht der Grundschule zu bearbeiten, liegt in dem Informationsüberfluss, welchem sich die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I stellen müssen (Kammler 1997: 61). Eine gezieltere Verteilung der Unterrichtseinheit auf verschiedene Jahrgangsstufen „könnte der Gefahr einer fächerübergreifenden Überfrachtung des Unterrichts mit Themen zur NS-Zeit“ (Kammler 1997: 61) entgegenwirken. Denn schon länger führen die ablehnenden Reaktionen Jugendlicher auf öffentliche Gedenkrituale und Medienereignisse zur deutschen Vergangenheitsbewältigung bei jüdischen Beobachtern zu der Angst, dass die Bereitschaft, sich mit Themen wie dem Holocaust auseinandersetzen zu wollen, in naher Zukunft durch einen Zustand der Zurückweisung ersetzt werden könnte (vgl. Kammler 1997: 58). Darüber hinaus kann ein minder ausgeprägtes Einfühlungsvermögen der Lehrkraft oder eine oberflächliche und wenig emotionale Auseinandersetzung, vor allem bei einer späten unterrichtlichen Begegnung mit der Thematik, dazu führen, dass Heranwachsende sich von der Flut der Fakten und Bilder erdrückt fühlen und sich dem Thema weiter verschließen (vgl. Beck 1996: 11). Die Grundschule hingegen kann den Schülerinnen und Schülern erste Zugänge zu historischen Ereignissen des Nationalsozialismus eröffnen und ihnen dadurch grundlegende Werte wie Aufgeschlossenheit, Akzeptanz und Toleranz vermitteln (vgl. Beck 1996: 11). Die frühe Einführung in die Thematik kann den Kindern die Angst vor einer späteren Auseinandersetzung nehmen und sie darin unterstützen, ein „differenzierteres Verständnis“ (Beck 1996: 12) zu entwickeln. Diese Sensibilisierung „korrespondiert eng mit den allgemeinen Zielsetzungen für die pädagogische Arbeit in der Grundschule, wie sie in allen Richtlinien verankert ist“ (Beck 1996: 12). Es stellt sich daher weniger die Frage, ob es sinnvoll ist, Kinder im Grundschulunterricht bereits in die Thematik des Nationalsozialismus einzuführen, stattdessen sollte der Fokus auf die Art der Vermittlung gelegt werden (vgl. Heyl 1996: 26).
Nichtsdestotrotz gilt es zu betonen, dass Kindern im Unterricht der Grundschule lediglich ein erster Zugang zu den Geschehnissen des Nationalsozialismus eröffnet werden kann. Der Gesamtzusammenhang und die Komplexität der Ereignisse sind für diese Altersstufe weder vollkommen erklärlich noch durchschaubar zu machen (vgl. Armbröster-Groh 1999: 91). Jedoch wird hierbei nicht auf eine Verharmlosung der historischen Begebenheiten abgezielt, stattdessen wird es notwendig sein, auf die Verfolgung der Juden, Deportation und schließlich auch auf den Tod einzugehen. Eine Benennung der Täter bleibt somit nicht aus, allerdings sollte das Augenmerk sich vielmehr auf Angehörige von Widerstandsbewegungen, Helfer, Retter und Überlebende richten (vgl. Beck 1996: 14).
Im Bereich der Geschichtsdidaktik und der politischen Bildung wurden in den vergangenen Jahren entscheidende Überlegungen zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust in der Schule angestellt (vgl. Birkmeyer 2008: 1). Fundamentale Überlegungen zum Literaturunterricht blieben dabei jedoch eine Ausnahme, wenngleich zahlreiche Beiträge spezifische Texte und Werke für den „Deutschunterricht didaktisieren und die Relevanz des fragilen Themas herausarbeiten“ (Birkmeyer 2008: 1). Generell wird eine Vermittlung der Thematik Nationalsozialismus in den Bildungsstandards deutscher Grundschulen, welche von den verschiedenen Kultusministerien festgelegt werden, nicht explizit vermerkt (vgl. Wyrobnik 2007: 176). Dies führt zum einen dazu, dass nur bedingt Forschungsergebnisse zum schulischen Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus im Literaturunterricht vorliegen, zum anderen verfügt die gegenwärtige Deutschdidaktik über kein grundlegendes Fundament zum Umgang von Literatur über den Nationalsozialismus für den Deutschunterricht (vgl. Birkmeyer & Kliewer 2010: 4). Daher stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit literarische Werke zum Nationalsozialismus und Holocaust als relevant gelten können und sich somit für einen Einsatz im Literaturunterricht begründen lassen (vgl. Birkmeyer & Kliewer 2010: 5).
Darüber hinaus wird auch über die literarische Darstellbarkeit des Holocausts debattiert (vgl. Dahrendorf 1999: 2). Jedoch stellt sich die Frage nach einer angemessenen Darstellung des Völkermordes nicht nur in Hinblick auf das literarische Lernen, sondern bezieht sich auf alle den Holocaust thematisierenden Bereiche:
Wohl in kaum einem anderen Sujet aber als dem der Erlebnisse in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager manifestiert sich so deutlich die Unvereinbarkeit von Erleben und vorhandenen Ausdrucksmitteln. Das Problem der Unsagbarkeit entsteht und verfestigt sich hier im Spannungsfeld der Erwartung und Authentizität einerseits und der Schwierigkeit ihrer Kommunizierbarkeit andererseits. (Pretzl 2005, 146)
Die angesprochene Problematik verstärkt sich zwar, wenn sie auf den Bereich der Kinder- und Jugendliteratur zum Thema Holocaust übertragen wird, dennoch bleibt die Schwierigkeit, über die Komplexität des Völkermordes zu berichten, generell bestehen. Dies betrifft auch die Versuche visueller Darstellungen durch Fotografien und Bilder, welche die Grausamkeiten trotz ihrer Eindringlichkeit nur bis zu einem gewissen Grad abbilden können (vgl. Pretzl 2005: 146).
Trotz fehlender Aufgabenbestimmung des Literaturunterrichts in den Rahmenrichtlinien der deutschen Grundschulen und den Zweifeln an einer literarischen Darstellbarkeit des Holocaust, kann der Literaturunterricht einen durchaus wichtigen und nicht zu unterschätzenden Beitrag bei der Vermittlung der Thematik Nationalsozialismus in der Grundschule leisten. Folgt man Spinners „Elf Aspekten literarischen Lernens“ (Spinner 2006: 8), bilden die subjektive Involviertheit und Perspektivübernahme literarischer Figuren zwei der elf grundlegenden Teilkompetenzen des literarischen Lernens (vgl. ebd.). Nach Spinner (2006) geht es bei der subjektiven Involviertheit um die Herstellung eines persönlichen Bezugs zum Text, wodurch Leserinnen und Leser ihre eigenen Erfahrungen, Unsicherheiten und Wunschgedanken im Text wiederfinden (vgl. Spinner 2004: 174). Dies ermöglicht ihnen beispielsweise, eigene Probleme zur Sprache zu bringen, ohne sich dabei auf die eigene Person beziehen zu müssen, und sich stattdessen auf die literarischen Figuren zu berufen (vgl. Spinner 2006: 9). Auch im niedersächsischen Kerncurriculum für die Grundschule, welches im Folgenden der exemplarischen Nutzung dient, wird diese Teilkompetenz als Bildungsbeitrag des Faches Deutsch definiert. Schülerinnen und Schüler werden durch die literarische Bildung in ihrer Persönlichkeitsbildung unterstützt, indem sie in der Auseinandersetzung mit Texten und Medien „Verstehens- und Verständigungskompetenzen“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2017: 5) entwickeln und zugleich zum Nachdenken über ethische Grundpositionen angeregt werden, wodurch sie eigne Wertvorstellungen erwerben (vgl. Armbröster-Groh 2005: 973).
Ferner formuliert Spinner (2006) das Nachvollziehen von Perspektiven literarischer Figuren als weitere Teilkompetenz des Literaturunterrichts (vgl. Spinner 2006: 9). Auch das niedersächsische Kerncurriculum stellt unter dem Kompetenzbereich „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“, das Verwenden von Literatur für unterschiedliche Interessen als ein Teilziel dar. Dies schließt unter anderem die Entwicklung von Vorstellungen und das Nachvollziehen von Perspektiven literarischer Figuren mit ein (vgl. Niedersächsischer Kerncurriculum 2017: 10). Die Schülerinnen und Schüler werden somit zur empathischen Identifikation mit literarischen Figuren befähigt und können sich durch die literarischen Texte in unbekannte Lebenslagen und Gefühle hineindenken (vgl. Spinner 2004: 172). Zugleich werden dadurch ihre sozialen Kompetenzen gestärkt, die für ein Zusammenleben in einer Gesellschaft von großer Bedeutung sind (vgl. Spinner 2012: 28).
Somit kann der Literaturunterricht der Grundschule durch Verwendung von Kinder- und Jugendliteratur die Schülerinnen und Schüler gleichermaßen zum zeitgeschichtlichen Denken veranlassen, wie es der Geschichtsunterricht tut (vgl. Lange 2005: 485). Mit Hilfe literarischer Texte kann die häufig sachlich gehaltene und eher unpersönliche Darstellungsweise in Geschichtsbüchern durch anschauliche und erlebnisreiche Darstellungen ergänzt werden (vgl. Freiling 1994: 281). Literarische Texte bieten zudem nicht nur die äußere Beschreibung der Geschehnisse, sondern binden die Emotionen einzelner Figuren und die zwischenmenschlichen Beziehungen unter ihnen mit ein (vgl. Spinner 2011: 8). Somit bieten sie den Kindern eine bessere Identifikationsmöglichkeit mit den literarischen Figuren und vermögen in ihnen „eine Vorstellung der Nazi-Zeit zu wecken“ (Lange 2005: 485). Darüber hinaus kommt literarischen Texten ein besonderes Erinnerungspotenzial zu, indem diese „die Erfahrungen vergangener Generationen aus der Perspektive Betroffener“ (Fingerhut 2012: 149) erzählen und darstellen. Die Kinder können sich dadurch besser in die fiktive Welt hineinbegeben, wodurch ihr Geschichtsbewusstsein auf eine besondere Weise gefördert werden kann (vgl. Fingerhut 2012: 149). Den Beitrag, den der Literaturunterricht zur Vermittlung der Thematik Nationalsozialismus leisten kann, liegt folglich in seiner „narrativ-ästhetische[n] Auseinandersetzung“ (Terrahe 2008: 206) mit den Geschehnissen. Häufig kann diese den Kindern ein besseres Verständnis ermöglichen als der oftmals an Fakten und Daten orientierte Geschichts- bzw. Sachunterricht. Die Schilderung individueller Schicksale in literarischen Texten lässt die Schülerinnen und Schüler in einen Verstehensprozess eintauchen, der sie mehr Sensibilität für Minderheiten entwickeln lässt und in der Reflexion ihrer moralischen Einstellungen unterstützt (vgl. Terrahe 2008: 206).
Infolgedessen sollte eine fächerübergreifende Vermittlung der Thematik angestrebt werden, die es den Schülerinnen und Schülern erlaubt, dem Thema sowohl durch historisches Fachwissen als auch durch subjektive und ästhetische Zeiterfahrungen zu begegnen (vgl. Kammler 1997: 50). Hierbei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Kinder in der Grundschule erst allmählich Kompetenzen zur Perspektivübernahme mehrerer literarischer Personen und deren Beziehungen untereinander entwickeln, und sich daher vorrangig auf die Hauptfigur der literarischen Erzählung fokussieren (vgl. Armbröster-Groh 2005: 973). Zudem muss sich auch das Verständnis für die inneren Vorgänge, sprich die Gefühle und Einstellungen einer literarischen Figur, erst entwickeln (vgl. Spinner 2011: 8), wodurch Lehrerinnen und Lehrer der Grundschule dazu angehalten sind, der Vorstellungskraft der Schülerinnen und Schüler angemessene Berücksichtigung zu schenken (vgl. Armbröster-Groh 2005: 873).
Das Bilderbuch entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer eigenen Buchgattung, welche von „literarischen und bildnerischen Einflüssen“ (Thiele 2003: 12) gleichermaßen geprägt wurde und diese bis heute charakterisiert (vgl. ebd.). Es wird zur Kinder- und Jugendliteratur gezählt und wurde ursprünglich für Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren geschrieben und illustriert (vgl. Schulz 2005: 126). In den letzten Jahren erweiterte sich der eingangs angestrebte Wirkungsradius jedoch erheblich, weswegen das Bilderbuch heutzutage Betrachter jeder Altersstufe ansprechen kann (vgl. Hollstein & Sonnenmoser 2006: 3).
Generell lässt sich das Bilderbuch als „hoch komplexes ästhetisches Gebilde aus unterschiedlichen Schichten“ (Thiele 2003: 13) beschreiben, für dessen Handlungsablauf das besondere Spannungsverhältnis zwischen Text und Bild konstitutiv ist (vgl. Thiele 2005: 229). Sowohl Text als auch Bild nehmen im Bilderbuch eine primär narrative Funktion ein, welche „in Form paralleler Linien, eines geflochtenen Zopfes oder in kontrapunktischer Spannung zueinander verlaufen“ (Thiele 2005: 230) können und wechselseitig aufeinander einwirken. Somit treten Text und Bild nicht als zusammenhangslose Symbolsysteme auf, sondern stellen zwei nicht voneinander trennbare und in enger Wechselbeziehung zueinander stehende Ebenen dar (vgl. Thiele 2003: 36). Die Textebene des Bilderbuchs bildet eine Kurzform der erzählenden Literatur und präsentiert seine Zeichen in einer klaren Reihenfolge, welche vom Leser wahrgenommen wird (vgl. Thiele 2005: 229). Daher können gleichzeitig auftretende Geschehnisse auf sprachlicher Ebene immer nur nacheinander aufgeführt werden (vgl. Schulz 2005: 131). Die Bildebene hingegen entzieht sich solchen Kategorisierungen, „da die Anzahl von Bildern grundsätzlich keine formalisierenden oder charakterisierenden Aussagen zulässt“ (Thiele 2003: 36). Zudem präsentiert das Bild im Unterscheid zur Textebene alle seine Inhalte gleichzeitig, weswegen der Betrachter die Reihenfolge, in welcher er die Bildelemente wahrnimmt, selbst bestimmt (vgl. Schulz 2005: 132). Welche spezifische Wirkung Text- und Bildebene auf den jeweiligen Betrachter haben, lässt sich nicht formulieren. Diese Schwierigkeit begründet sich vor allem durch die Komplexität, welche durch das gleichzeitige Wahrnehmen „textlicher und bildnerischer Äußerungen“ (Thiele 2003: 43) entsteht.
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