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Bachelorarbeit, 2019
49 Seiten, Note: 2,7
1. Einleitung und Motivation:
2. Kulturgeschichtlicher Hintergrund
3. Theoretischer Hintergrund
4. Hauptteil und Analyse:
5. Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Interpretation
6. Einbettung in den schulischen Kontext
7. Zusammenfassung und Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis:
Abbildungsverzeichnis:
Und kein Traum […] ist völlig Traum.1
Dieses Zitat beschließt die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. Ein Werk, welches nicht nur zur Zeit seiner Veröffentlichung, sondern auch in der heutigen Zeit eine hochmoderne Thematik aufarbeitet – die Flucht aus dem tristen Alltag in die Welt unserer Träume und Sehnsüchte. Dass dieses Werk aus dem 19. Jahrhundert moderne Probleme aufweist, zeigt sich auch in der 1999 entstandenen Verfilmung „Eyes Wide Shut“ von Regisseur Stanley Kubrick. Mit Nicole Kidman und Tom Cruise wurde dieser Film darüber hinaus auch hochkarätig besetzt. Zwar ist auch dieser Film mittlerweile 20 Jahre alt, die Thematik ist jedoch noch immer aktuell. In Zeiten von Terror, Angst und wirtschaftlicher Unbeständigkeit ist die Flucht in die eigenen Träume und Sehnsüchte zentraler denn je.
Für mich, als Verehrer der Filmkunst von Stanley Kubrick war recht schnell klar, dass ich mich mit ihm und seinem Schaffen näher beschäftigen möchte. Bei der Suche nach einem geeigneten Thema rückte seine Verfilmung von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ schnell in den Fokus. Dadurch, dass die „Traumnovelle“ bereits mehrfach Verwendung im Zentralabitur NRW gefunden hat, ergab sich so für mich die Möglichkeit, meine Interessen in diesem Kontext weiterzuverfolgen und gleichzeitig einen didaktischen Bezug für meine spätere Berufsausübung im Lehramt herzustellen.
Im Folgenden werden die Aufteilung und das Ziel dieser Arbeit näher beschrieben.
Nach einer Einführung in die kulturhistorischen wie theoretischen Hintergründe folgt ein anschließender Analyseteil, in dem drei Szenen analysiert und ihre jeweiligen Realisierungsformen (literarisch und filmisch) miteinander verglichen werden. Außerdem wird die wichtige metaphorische Bedeutung der Ballmaske herausgestellt werden. Ziel der Analyse wird es sein, die Frage zu klären, durch welche schriftsprachlichen und filmischen Mittel der Übergang zwischen Traum und Wirklichkeit dargestellt und welche Wirkung dadurch erzielt wird. Nach einer Zusammenfassung der Analyseergebnisse folgt ein kurzer Exkurs in die didaktische Bedeutung beider Werke unter dem Aspekt der Medienkompetenz im Schulunterricht. Abschließend wird ein Gesamtfazit gezogen und ein Ausblick gewagt.
Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in Wien geboren. Nach dem Erlangen der allgemeinen Hochschulreife im Juli 1879 studierte er an der Universität Wien Medizin. Er arbeitete als Assistent in der Praxis seines Vaters und war später auch als Redakteur bei der von seinem Vater gegründeten „Internationalen Klinischen Rundschau“ tätig. Nebenbei veröffentlichte er aber auch immer wieder eigene Werke. Nach dem Tod seines Vaters gab Schnitzler den Arztberuf auf und widmete sich ausschließlich dem Schreiben. 1931 verstarb er im Alter von 69 Jahren an den Folgen einer Hirnblutung.2 Eine weitere Persönlichkeit des Wiens des 19. Jahrhunderts war der Psychologe Sigmund Freud, der mit seinen Abhandlungen über die Traumdeutung und die Psychoanalyse neue wissenschaftliche Erkenntnisse lieferte. Eine derart detaillierte Erforschung der menschlichen Gedankenwelt hatte ich bis dato noch nicht gegeben.
Arthur Schnitzler wie auch Sigmund Freud lebten in Wien am Ende des 19. Jahrhunderts. Das gesellschaftliche Leben dieser Zeit war gekennzeichnet von sozialen Spannungen. Österreich verlor nach dem Krieg von 1866 seine Vormachtstellung im deutschen Bund. Der österreichische Vielvölkerstaat musste erneuert werden. 1867 konnte man sich mit Ungarn auf einen Ausgleich einigen, wodurch die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie entstand. Die Industrialisierung erreichte Österreich und vor allem Wien erst sehr spät, sodass die Metropole zwischen 1869 und 1910 mehr als eine Million Zuwanderer auf der Suche nach Arbeit und Konsum anzog. Das Kleinbürgertum grenzte sich gegenüber dem Arbeitertum sehr scharf ab. Die sozialen Spannungen führten später zu einem Nationalitätenproblem und zu antisemitischen Tendenzen. Durch die Industrialisierung und zunehmende Automatisierung fühlten sich die Menschen immer mehr entfremdet und ersetzt und zunehmend nutzloser. Es entstand ein Gefühl, dass das eigene Selbst nicht mehr als wichtig erachtet wurde. Wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzten den durch die Kirche gefestigten Glauben. Das allgemeine Bewusstsein wurde geprägt durch Nationalismus, Sozialdarwinismus zur Rechtfertigung imperialer Ziele und Positivismus. Es lassen sich, wenn auch weniger politisch geprägt, Bezüge zur heutigen Zeit herstellen. Auch wir leben in einer Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs, aber auch der Ungewissheit um die Zukunft. Die Gesellschaft im Österreich des 19. Jahrhunderts wurde weiterhin von einem Gefühl der Dekadenz geprägt. Das Wort Dekadenz bezieht sich vor allem auf die Endzeitstimmung dieses Zeitalters. Pessimismus und Melancholie waren damit unlöslich verbunden.3 Die Literatur der Dekadenz war jedoch nur selten gesellschaftskritisch, da sie Missstände innerhalb der Gesellschaft nur selten ansprach. Zumeist verstand man sich auf die Kritik am öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Leben. Dies ist ein grundlegender Unterschied zum sich in Europa auftuenden Naturalismus, einer Stilrichtung, die sich durch realistische Schilderungen positiver, wie negativer Einflüsse verstand.4 Als eine Gegenströmung zum Naturalismus fungierte die sogenannte Wiener Moderne (1890-1910). Diese deutliche Tendenz zur Innenschau und Kenntnis seelischer Dinge intensivierte sich ab ca. 1890.5 Einige Wiener Schriftsteller, zu denen unter anderem Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler gehörten, griffen diese naturalistischen Ideen auf und entwickelten sie weiter. Bekannt wurde diese Strömung als sogenannte Kaffeehausliteratur. Der Grund dafür war, dass sich die Schriftsteller, die dieser Bewegung angehörten, zumeist im Café Griensteidl trafen. Nachdem dieser Treffpunkt jedoch im Zuge einer städtischen Neugestaltung abgerissen wurde, siedelten viele Künstler in das Café Central um. Die literarische Weiterentwicklung erfolgte unter anderem durch das Wiederaufgreifen und Verbinden romantischer Positionen. Durch diese Kombination verschiedener Elemente gelang es den Schriftstellern, die Realität des Unbewusstseins neuartig darzustellen, wie es bisher in der Literatur nicht der Fall gewesen war.6
Die literarischen Arbeiten, die um die Jahrhundertwende in Wien entstanden, wurden charakterisiert durch die Synthese verschiedene, stilistischer Elemente wie beispielsweise Positivismus, Psychologie, Leben und Traum. Auch epochenspezifische Elemente des Naturalismus und der Romantik waren enthalten.7 Folglich kann die Wiener Moderne als eine Zeit des vielschichtigen künstlerischen und wissenschaftlichen Aufbruchs beschrieben werden. Mit der Wiener Moderne gingen auch die Forschungen von Sigmund Freud konform, der mit seinen Werken „Die Traumdeutung“ und „Die Psychoanalyse“ erstmals eine wissenschaftlich psychologische Technik zur Analyse und Deutung von Träumen vorstellte.8
Laut Freud stellt das Unterbewusstsein die ursprüngliche Form des Seelenlebens dar. Das Bewusstsein entwickelt sich erst durch die Anpassung an die Erfordernisse der Außenwelt. Dieses Seelenleben wird nach Freud aus kindlichen Vorstufen heraus entwickelt, da Säuglinge und Kleinkinder anfangs ausschließlich über einen unbewussten psychischen Apparat verfügen.9 Freud fasst das Seelenleben in seinem dreiteiligen Instanzmodell zusammen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Instanzmodell nach Freud.10
Es wird zwischen dem Unbewussten, dem Vorbewussten und dem Bewussten unterschieden. Zwischen dem Unbewussten und dem Vorbewussten wird eine Art Zensurinstanz geschaltet. Diese Zensurinstanz repräsentiert die allgemeinen gesellschaftlichen Normen. In diesem Zusammenhang nennt er auch die Begriffe Ich, Über-Ich und Es und ordnet diese den drei Stufen zu. Das Es fällt dem Unbewussten zu und strebt nach sexueller Triebbefriedigung. Das Über-Ich dagegen, welches dem Vorbewusstsein zugeschrieben wird, verlangt eine Triebbeschränkung. Beide wirken auf das Ich (Bewusstsein) ein, dessen Aufgabe in der Registrierung der Außenwelt und in der Rücksichtnahme besteht. Mit den anderen beiden Instanzen steht das Ich im ständigen Konflikt.11 Laut Sigmund Freud stellt der Traum eine Bühne dar, auf der die nicht-bewussten Regungen auftreten können, da während des Schlafens die Zensurinstanz weniger aktiv sei. Trotzdem sei die Zensur nie komplett inaktiv, wodurch das Auftreten dreier verschiedener Traumtypen erklärt wird. Freud unterscheidet zwischen den sinnvollen verständlichen, den zusammenhängenden aber befremdenden und den unzusammenhängenden sinnlosen Träumen. Die Mehrzahl der bei Menschen auftretenden Träume können der dritten Gruppe zugeordnet werden. Viele Traumbilder erscheinen oft unzugänglich, was von Freud dahingehend erklärt wird, dass diese zumeist durch die dahinterstehenden unbewussten Wünsche, welche nicht selten erotischer Natur sind, aus dem Bewusstsein verdrängt und verschlüsselt werden. Auch erscheinen in Träumen selten konkrete Gesichtszüge, eher verschwommene Mienen.12 Freud sieht in Träumen zwei Aufgaben: Zunächst sollen auf diese Weise unbewusste Triebe und Wunschregungen verarbeitet werden, die ansonsten zu psychischen Spannungen während des Schlafens führen würden. Diese Spannungen können jedoch ausgeglichen und dadurch der Schlafzustand erhalten werden. Darin besteht die zweite Aufgabe: Der Traum ist „der Hüter des Schlafes“.13 Die Verarbeitung und der Ausgleich werden in der sogenannten Traumarbeit vollzogen. Durch die Traumarbeit komme es zur Transformation von latenten Trauminhalten, also psychischen Regungen, deren Sinn und Bedeutung erst durch Analyse und Interpretation deutlich werden, hin zu manifesten Trauminhalten. Freud versteht darunter den in der Erinnerung vorliegenden Traumtext, also die Bilder, an die sich der Träumende auch nach dem Aufwachen noch erinnern kann. Bei der Kreation der manifestierten Traumbilder wird zumeist noch ein sogenannter „Tagrest“ mit einbezogen, der aus nicht zu Ende geführten Gedanken der Wachzeit bestehe. Außerdem verfügt jeder Mensch nach Freud über ein Repertoire von 257 Symbolen mit zumeist erotischem Inhalt. Diese Symbole dienen der Ausschmückung des Traumes und sind vorwiegend Abbildungen von Genitalien, aber auch Familienmitglieder, Geburt und Tod. Auch dem Koitus kommt eine zentrale Rolle zu.14
Arthur Schnitzler war sehr interessiert an den Lehren Freuds, stimmte ihm jedoch nicht in all seinen Ergebnissen zu. Dies betrifft in erster Linie die konzeptionellen Aspekte. Schnitzler geht, wie auch Freud es tut, von einem dreiteiligen Modell aus. Auch Schnitzler nutzt die drei Instanzen Bewusstsein, Unbewusstsein und Vorbewusstsein. Letzteres nennt er allerdings Halb- oder Mittelbewusstsein. Schnitzler richtet besonders hierauf sein Hauptaugenmerk und nicht auf das von Freud favorisierte Unbewusste. Laut Schnitzler ist das Mittelbewusste eine psychologische Kategorie, die eine flexible Einordnung nicht-bewusster Gedanken ermögliche. In diesem Zusammenhang lässt sich auch seine Kritik an der scheinbar willkürlich vorgenommenen Deutung von Traumsymbolen nennen, die bei Freud beinahe ausnahmslos sexuell motiviert sind. Schnitzler wendet sich mit dieser Haltung gegen Willkür und wilde Spekulation. Dies ist nur zu verstehen im Hinblick auf die Besonderheit des Traumes innerhalb seiner Erzählungen. Schnitzler gesteht dem Traum die Funktion zu, verborgene Gefühlsqualitäten aufzuspüren, die durch eine rationale Analyse nicht mehr zugänglich sind. Die psychologische Analyse dient hier als Mittel um eine bestimmte Situation, einen bestimmten Sachverhalt zu beleuchten. Dadurch können sich anschließend Konsequenzen für die Realität ergeben.15
Auch die Arbeiten von Regisseur Stanley Kubrick zeichnen sich immer wieder durch eine Anlehnung an die Forschung Freuds aus. Zumeist betrifft dies die Hauptfiguren in seinen Geschichten. In seinem Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ steht der psychologische Konflikt zwischen dem Supercomputer „Hal 9000“ und dem Astronauten David Bowman im Vordergrund.
Deutlicher werden die Freud’schen Bezüge jedoch in seinen späteren Werken, deren Anfang „Uhrwerk Orange“ aus dem Jahr 1971 bildet. Der dortige Hauptcharakter „Alex“ hat mit dem Nichtausleben von Sexualität und Brutalität durch zwischenmenschliche und gesellschaftliche Eingrenzungen zu kämpfen. In diesem Trieb des sexuellen Auslebens stecken bereits viele Bezüge zur Traumdeutung von Freud. Besonders deutlich werden die Bezüge zu Freud jedoch in seinem Film „Eyes Wide Shut“, der gleichzeitig auch die Literaturverfilmung von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ ist.
Da bereits die literarische Vorlage deutliche Bezüge zur Psychoanalyse besitzt, ist es nur die logische Konsequenz, dass Kubrick diese Elemente auch für seinen Film aufgreift. Er nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Mittel wie Licht, Ton, Bildgestaltung, Farbgebung, Kameraführung und Szenenarrangement, um die jeweiligen psychischen Zustände der Figuren zu untermalen. Darauf wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit jedoch noch näher eingegangen.
Eine Literaturverfilmung ist ein klassisches Beispiel von Intermedialität. Im Folgenden soll der Begriff „Intermedialität“ erläutert und definiert werden.
Der Begriff „Intermedialität“ wird sowohl in der Kultur- und Medienwissenschaft als auch in der Publizistik verwendet. Dabei bezieht sich der Begriff auf den gezielten Medienwechsel oder die Gleichzeitigkeit verschiedener Ausdrucksformen. Es wird zwischen den Typen Intramedialität, Transmedialität und Intermedialität unterschieden. Der Begriff Intramedialität beschreibt die Beziehung unterschiedlicher Medienprodukte innerhalb eines Mediums also beispielsweise die Darstellung und Rezeption eines Gemäldes innerhalb eines Filmes. Die Intermedialität fasst die Gesamtheit aller mediengrenzenüberschreitenden Phänomene zusammen. Der Begriff Transmedialität bezieht sich auf medienunspezifische Phänomene, wie beispielsweise die Umsetzung des gleichen Stoffes in verschiedenen Medien. Ein Beispiel für Transmedialität ist die sogenannte „Fanfiction“.
Hier bekommen fiktive Charaktere, Orte etc. durch mediale Umsetzungen (z.B. Wikis, etc.) eine Hintergrundgeschichte, die in der ursprünglichen Handlung keinen Platz gefunden hat. Dadurch wird beispielsweise die literarisch erdachte Welt durch das Medium Internet erweitert. Diese Erweiterungen stehen stets in Verbindung mit dem Originalmedium. Die Intermedialität teilt sich zudem in die Unterkategorien Medienwechsel und intermediale Bezüge auf. Der Begriff Medienwechsel beschreibt den im Sinne des Originals stattfindenden Wechsel hin zu einem anderen Medium (z.B. Literaturverfilmungen). Als intermediale Bezüge werden alle aufgeführten und wahrnehmbaren Einzelphänomene zusammengefasst.16 Dieses Gefüge wird durch die nachfolgende Grafik verdeutlicht, wobei hier die Intramedialität aufgrund ihrer weniger häufigen Verwendung nicht berücksichtigt wird. Der Begriff Intermedialität ist im Zusammenhang dieser Arbeit wichtig um die nachfolgend analysierten Medien und ihre Stellung zueinander zu verstehe.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Beziehungsgefüge intermedialer Begrifflichkeiten.17
Ein Medienwechsel, vor allem bei Literaturverfilmungen, ist nicht immer frei von Problemen. Diese Probleme können zunächst direkt den Inhalt betreffen. Deutlich wird dies bei der „Herr der Ringe“-Trilogie von Peter Jackson. Die von Tolkien erschaffene Welt ist sehr detailliert und umfangreich, ebenso wie seine Geschichte. Obwohl die jeweiligen Filme mit einer Laufzeit von deutlich über drei Stunden bereits verhältnismäßig lang sind, war es dennoch nicht möglich die komplette Geschichte der Bücher 1:1 zu übernehmen. Dass deutliche Kürzungen in der Handlung vorliegen zeigt ein Interview mit Jacksons langjährigem Mitarbeiter Michael Pellerin. Laut seiner Aussage existieren noch über 20 Stunden weiteres, unveröffentlichtes Filmmaterial.18 In Bezug auf die „Traumnovelle“ fällt diese Diskrepanz weniger stark aus, was auch mit dem deutlich kürzeren Ausgangsmaterial zu tun hat. Dennoch lassen sich auch hier Unterschiede zwischen der literarischen Vorlage und ihrer Verfilmung finden (z.B. Verlagerung der Handlung vom Wien des 19. Jahrhunderts in das New York des 20. Jahrhunderts, Modernisierung der Namen, etc.). Ein viel größeres Problem des Medienwechsels ist, dass eine Verfilmung lediglich eine visuell erfahrbare Interpretation des jeweiligen Regisseurs ist. Beim Lesen eines Buches entstehen automatisch Bilder im Kopf des Lesers. Der Rezipient entwickelt eine Vorstellung davon, wie die Charaktere aussehen, wie ihre Stimmen klingen oder wie die Umgebung aussieht. So entsteht ein Stimmungsbild der gesamten Geschichte. Durch eine Verfilmung verliert die Eigeninterpretation an Bedeutungskraft, da diese Verfilmung bereits eine komplette Interpretation des Ausgangsmaterials ist. Dieses Wissen muss bei einer Analyse behalten werden um die einzelnen filmischen Elemente genau ausdifferenzieren zu können. Vor allem beim schulischen Einsatz einer Literaturverfilmung ist es wichtig, auf die Besonderheiten eines solchen Mediums aufmerksam zu machen.
Es gibt mehrere erzählerische Werkzeuge, um eine bestimmte Wirkung auf die Rezipienten zu erzielen: Die sogenannten rhetorischen Mittel. Welche Wirkung erzielt wird, hängt vom verwendeten Mittel ab. Obwohl der Ursprung rhetorischer Mittel in der Literatur liegt, finden diese auch in anderen Kunstformen Verwendung.19 Im Nachfolgenden werden einige rhetorische Mittel und Erzähltechniken vorgestellt. Das Hauptaugenmerk wird jedoch bei den Mitteln Metaphorik und Ekphrasis liegen, die sowohl in Schnitzlers „Traumnovelle“ als auch in Kubricks „Eyes Wide Shut“ Verwendung finden. Als theoretischer Grundlagentext für diese Definitionen dient die Ausarbeitung von Sandra Poppe mit dem Titel „Visualität in Literatur und Film – Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen“. Der Fokus der „Traumnovelle“ liegt auf den inneren Gedankenwelten der Figuren. Erzähltechniken die Rückschlüsse auf das Innenleben einer Figur ermöglichen sind beispielsweise Fragesätze, erlebte Rede und inneres Monologisieren. Vor allem letzteres ist eine Reflektion der eigenen Gedanken, da der innere Monolog nicht ausgesprochen wird, sondern lediglich Gedankengänge visualisiert. Die zunehmende Verwirrung Fridolins findet sich in der Traumnovelle auch in einer Vermischung aus erlebter Rede und inneren Monologen wieder. Diese Vermischung führt zu einer Subjektivierung der Geschehnisse, wodurch der Leser nicht mehr unterscheiden kann, was tatsächlich erlebt wurde und was nur in den Gedanken stattgefunden hat. In der Traumnovelle und ihrer Verfilmung sind jedoch nicht nur die inneren Gefühlswelten wichtig. Zum Gesamtkonstrukt gehört auch eine visuelle Gestaltung der gesamten Umgebung.
Die Visualität ist laut Poppe die Voraussetzung für die „äußerliche Gestaltung der fiktionalen Welt […]“.20 Folglich geht sie davon aus, dass in der Literatur wie auch bei Filmen, eine eigene Realität durch verschiedene sprachliche und filmische Mittel konstruiert wird, die der „Wirklichkeit“ jedoch nur ähnelt.21 Vor allem bei den in dieser Arbeit untersuchten Werken nimmt die Visualität einen zentralen Untersuchungsaspekt ein, da hier nicht nur mit Abbildern der Wirklichkeit, sondern auch mit träumerischer Surrealität gearbeitet wird. Auch deshalb sind die im Folgenden definierten Begriffe wichtig für die Analyse der beiden Werke.
Zunächst stellt Poppe heraus, dass die Metaphorik „ein wichtiges Mittel der Beschreibung und Bedeutungsvermittlung“22 sei. Es wird weiterhin davon ausgegangen, dass die Metaphorik neben der Narrativität eine große Gemeinsamkeit von Film und Literatur23 ist. Allerdings sei es schwierig, eine genaue Definition der einzelnen filmischen Stilfiguren zu geben, pointiert Poppe weiter.24 Diese Aussage wird von dem Germanisten Klaus Kanzog bestätigt. Er stellt klar, dass keine spezifische Aussage über Stilfiguren getroffen werden kann, da der verwendete Stil letzten Endes vom Regisseur bzw. dem Autor abhängt. Vielmehr lassen sich die Stilmittel nur anhand konkreter Beispiele aufzeigen.25 Dennoch werden bei einer Fallbeispielanalyse Definitionen verwendet, weshalb nun die gängigsten im Folgenden dargestellt werden. Poppe bezieht sich zunächst auf das Konzept der „visuellen Metapher“, welches von Virgil C. Aldrich konzipiert wurde. Aldrich definiert die visuelle Metapher „als ein Motiv, das auf etwas anderes, nicht Sichtbares per Assoziation verweist“.26 Dies veranschaulicht er mittels eines theoretischen Beispiels. In diesem Beispiel wird eine sogenannte triadische Beziehung dargestellt, bei der die drei Objekte M, A und B miteinander verbunden sind. M stellt dabei ein beliebiges „Ding“27 dar, welches durch die verbindende Funktion, beziehungsweise das Vorstellungsbild B zu A wird. A steht durch die erfolgreiche Transfiguration nun für ein neues „Ding“, welches die vorherige Bedeutung von M ersetzt. Diese Theorie wird durch die nachfolgende Grafik (Abbildung 1) veranschaulicht: Vorstellungsbild, verbindende Funktion 28
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: triadische Bedeutungsbeziehung der visuellen Metapher
Der englische Autor Trevor Whittock unterstützt diese Theorie. Er bezeichnet die vorgestellte Form der filmischen Metapher als „Substitution“.29 Der Begriff „Substitution“ stammt in diesem Zusammenhang aus dem Bereich der Logik und meint das Ersetzen eines Ausdrucks durch einen anderen. Im Verlauf macht er deutlich, dass die filmische Metapher „als Pendant zur Metapher in einem literarischen Text“30 gesehen werden kann. Seine Theorie veranschaulicht er mittels eines Beispiels. Für dieses Beispiel wählt er eine Großaufnahme aus dem französischen Film „Eine Liebe von Schwann“ (orig. Un amour de Swann), in welcher eine niederbrennende Kerze gezeigt wird. Legt man die vorgestellte Theorie von Aldrich zu Grunde, stellt die Kerze zunächst das beliebige Objekt (M) dar, da die Kerze zunächst keine explizite Bedeutung hat. Das Niederbrennen der Kerze ist in diesem Fall die verbindende Funktion (B), da diese gezeigte Zustandsveränderung der Kerze einen Bedeutungswandel zuschreibt. Die niedergebrannte Kerze bekommt in der Folge eine neue Bedeutung zugeschrieben, nämlich als Symbolbild für die vergehende Leidenschaft (A) der beiden Hauptfiguren. Poppe nennt im weiteren Verlauf ihres Textes noch einige konnotative Ausdrucksmöglichkeiten. Diese Ausdrucksmöglichkeiten haben zumeist eine indexikalische Bedeutungsbeziehung. Für den amerikanischen Filmwissenschaftler James Monaco stehe der Index in einer direkten Beziehung zu der Bedeutung, auf die er verweist. Zur besseren Veranschaulichung nennt er das Beispiel der Hitze. So seien „Schweiß oder flimmernde Luft Indizes für Hitze.“31 In der Literatur ist eine Metapher ein sprachlicher Ausdruck, bei dem eine Übertragung in einen neuen Bedeutungszusammenhang stattfindet. Nicht selten sind sprachliche Metaphern bildliche Übertragungen.32
Es lässt sich also sagen, dass die Metaphorik ein stilistisches Mittel für beide Medien ist.
Neben der Metapher nennt Sandra Poppe noch ein weiteres stilistisches Element: Die Ekphrasis. Dieses wird von Poppe zunächst als literarisch beschrieben. Sie sagt, der „Begriff Ekphrasis bezeichnet die verbale Beschreibung einer visuellen Reproduktion […].“33 Laut Poppe zeichne sich die Ekphrasis durch den „besonderen Gegenstand aus.“34 Dieser Definition schließt sich auch Haiko Wandhoff in seinem Buch „Ekphrasis – Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters“ an. In diesem Buch beschreibt er die Ekphrasis als ein „Diktum über den Moment der Einsicht und Klarheit, der daraus resultiert, daß zwei Medien sich wechselseitig beleuchten, […].“35
Obwohl dieses Phänomen eher literarische Verwendung findet, verfügt auch der Film als audiovisuelles Medium über die Möglichkeiten der ekphrasischen Darstellung. In diesem Fall wird von der „filmischen Ekphrasis“ gesprochen.36 Durch die vielfältigen Abbildungsmöglichkeiten des Mediums Film ergibt sich die Möglichkeit, die filmische Ekphrasis in die Handlung einzubinden. Poppe geht dabei noch einen Schritt weiter und sagt, dass die gezeigten visuellen Reproduktionen (Kunstgegenstände, Architektur etc.) nicht unbedingt real sein müssen, sondern eigens für den Film geschaffen worden sein können.37
Eine moderne Definition liefert der Nürnberger Autor Denis Leifeld. Er bezeichnet das ekphrasische Schreiben als das Aufgreifen der „spezifische[n] Sinnlichkeit der Erfahrungen und Erinnerungen.“38 Weiter beschreibt er die gestalterischen Mittel als „ein plastisches Einfühlen in ein vergangenes Geschehen.“39 Leifeld geht davon aus, dass der beschreibende Prozess ein gestalterischer und kreativer sei. Er stellt dabei die Illusion des beschreibungssprachlichen Abbildens in den Vordergrund.40 Auch Wandhoffs Definition lässt sich auf die moderne Interpretation der Ekphrasis anwenden. Die „zwei Medien“41, die „sich wechselseitig beleuchten“42, könnten beispielsweise in der narrativen und der visuellen Ebene gefunden werden. Dies ist der Fall, wenn der Film zunächst von einer „Anomalie“ berichtet und diese dann im Anschluss zeigt.
[...]
1 Zitiert nach: Schnitzler, Arthur: Traumnovelle, Philipp Reclam, 2006, S. 97, Z.7.
2 http://www.bildarchivaustria.at/Pages/Ausstellung/Ausstellungen.aspx?AusstellungID=3807544 , Seite der Österreichischen Nationalbibliothek
3 Traumnovelle, Braunschweig, 2009, S. 110 ff.
4 ebenda.
5 Worbs Michael, Nervenkunst, 1983, S. 9.
6 ebenda. S. 8.
7 ebenda, S. 8.
8 ebenda.
9 Perlmann, Der Traum in der literarischen Moderne, 1987, S. 32.
10 entnommen aus: https://www.wipub.net/wp/wie-funkioniert-die-menschliche-persoenlichkeit-das-strukturmodell-nach-freud/ .
11 ebenda, S.40.
12 ebenda.
13 Freud, Traumdeutung, 2011, S. 45.
14 Perlman, S. 51.
15 Perlman, S. 52ff.
16 Barczok, Achim/Fraas,Claudia: Intermedialität – Transmedialität. Weblogs im öffentlichen Diskurs, Hildesheim, 2006, S. 4ff.
17 entnommen aus: Barczok,Achim/Fraas,Claudia: Intermedialität – Transmedialität. Weblogs im öffentlichen Diskurs, Hildesheim 2006, S. 4ff.
18 vgl. https://www.hollywoodnews.com/2010/04/09/exclusive-‘lord-of-the-rings’-consultant-discusses-current-future-blu-ray-releases/#comment-3834 .
19 Die nachfolgenden Kapitel „Rhetorische Mittel“, „Metaphorik“ und „Ekphrasis“ sind eine überarbeitete, erweiterte und auf den Kontext dieser Arbeit angepasste Version der theoretischen Grundlagen aus meiner früheren Hausarbeit „Christopher Nolan – INCEPTION. Mit welchen filmsprachlichen Mitteln verdeutlicht Christopher Nolan die postmoderne Verwendung der ontologischen Wirklichkeit?“ aus dem Sommersemester 2017, eingereicht als Prüfungsleistung für das Hauptseminar „„Schule des Sehens“ – Visualität in Literatur (19. u. 20. Jh.) und Film bei Prof. Dr. Rita Morrien, Universität Paderborn.
20 Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, S.68.
21 ebenda, S.69.
22 ebenda, S. 79.
23 Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, S.79.
24 ebenda.
25 ebenda.
26 ebenda.
27 ebenda, S.80.
28 Abbildung 1: triadische Bedeutungsbeziehung der visuellen Metapher, selbsterstellt.
29 Whittock, Trevor, zitiert nach: Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, S. 80.
30 ebenda.
31 Monaco, James, zitiert nach: Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, S. 80.
32 vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Metapher .
33 ebenda.
34 ebenda.
35 Wandhoff,Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters, S.1.
36 Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen, S. 83.
37 ebenda.
38 Leifeld,Denis: Performances zur Sprache bringen. Zur Aufführungsanalyse von Performern in Theater und Kunst, Bielefeld, 2015, S. 290.
39 ebenda.
40 ebenda.
41 Wandhoff,Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters, S.1.
42 ebenda.