Bachelorarbeit, 2021
79 Seiten, Note: 1,7
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Prokrastination
2.1.1 Erklärungsansätze der Prokrastination
2.1.2 Formen und Folgen von Prokrastination
2.1.3 Maßnahmen zur Überwindung von Prokrastination
2.2 Persönlichkeit
2.2.1 Persönlichkeitstheorien
2.2.2 Das Big-Five-Model der Persönlichkeit
2.2.3 Selbstkontrolle
2.3 Forschungsstand und Ableitung der Hypothesen
3 Methode
3.1 Stichprobe
3.2 Untersuchungsdesign und -durchführung
3.3 Messinstrumente
3.4 Datenaufbereitung und statistische Verfahren
4 Ergebnisse
4.1 Reliabilität
4.2 Deskriptivstatistische Datenanalyse
4.3 Inferenzstatistische Prüfung der Hypothesen
5 Diskussion
5.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
5.2 Stärken und Schwächen der Studie
5.3 Implikation für Forschung und Praxis
5.4 Fazit
6 Literaturverzeichnis
Anhang
A) Fragebogen
B) Abbildungen
C) Tabellen
Abbildung 1..rten der Selbststeuerung (eigene Darstellung nach Beckmann & Beckmann- Waldenmayer, 2020, S. 450)
Abbildung 2..erteilung Prokrastination über die gesamte Stichprobe
Abbildung 3..erteilung Selbstkontrolle über die gesamte Stichprobe
Abbildung 4..erteilung Gewissenhaftigkeit über die gesamte Stichprobe
Abbildung 5..erteilung Extraversion über die gesamte Stichprobe
Abbildung 6..erteilung Offenheit für neue Erfahrung über die gesamte Stichprobe
Abbildung 7..erteilung Verträglichkeit über die gesamte Stichprobe
Abbildung 8..erteilung Neurotizismus über die gesamte Stichprobe
Abbildung 9..rüfung der Linearität der ersten Hypothese
Abbildung 10..rüfung der Linearität der zweiten Hypothese
Abbildung 11..rüfung der Linearität der dritten Hypothese
Abbildung 12..rüfung der Linearität der vierten Hypothese
Abbildung 13..rüfung der Linearität der fünften Hypothese
Abbildung 14..rüfung der Linearität der sechsten Hypothese
Tabelle 2 Deskriptive Kennwerte Prokrastination
Tabelle 3 Deskriptive Kennwerte Selbstkontrolle
Tabelle 4 Deskriptive Kennwerte Gewissenhaftigkeit
Tabelle 5 Deskriptive Kennwerte Extraversion
Tabelle 6 Deskriptive Kennwerte Offenheit für neue Erfahrung _
Tabelle 7 Deskriptive Kennwerte Verträglichkeit
Tabelle 8 Deskriptive Kennwerte Neurotizismus_
Tabelle 10 Korrelation nach Bravais Pearson der ersten Hypothese (H1)
Tabelle 11 Korrelation nach Bravais Pearson der zweiten Hypothese (H2)
Tabelle 12 Rangkorrelation nach Spearman der dritten Hypothese (H3)
Tabelle 13 Rangkorrelation nach Spearman der vierten Hypothese (H4)
Tabelle 14 Rangkorrelation nach Spearman der fünften Hypothese (H5)
Tabelle 15 Korrelation nach Bravais Pearson der sechsten Hypothese (H6)
Tabelle 16 T-Test für unabhängige Stichproben der siebten Hypothese (H7)
Tabelle 17 Statistik der achten Hypothese (H8)
Tabelle 18 Wilcoxon Test der Prokrastination in Bezug auf Altersgruppen
Tabelle 19 Deskriptive Kennwerte der Prokrastination in Bezug auf die Semestergruppe
Tabelle 21 Post-hoc-Test mit Bonferroni-Korrektur zur Prokrastination und Semestergruppen _
Tabelle 1 Reliabilitätsstärken der Untersuchungsvariablen
Tabelle 9 Test auf Normalverteilung aller Skalen mit Shapiro-Wilk Test _
Tabelle 20 Test auf Homogenität der Varianzen mit Levene-Test _
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Thesis hat einen Umfang von 17.260 Wörtern. Grundlage ist der Leitfaden zum wissenschaftli-chen Arbeiten in der Wirtschaftspsychologie in der Version 1.1 vom 01.08.2019.
In der vorliegenden Arbeit wird der Zusammenhang von akademischer Prokrastination und den Big- Five Persönlichkeitsmerkmalen thematisiert. Zusätzlich wird untersucht, inwiefern auch das Konstrukt Selbstkontrolle mit Prokrastination zusammenhängt. Zudem werden Geschlechts-, Alters- und Semesterunterschiede hinsichtlich des Aufschiebeverhaltens analysiert. An der Online-Befragung nahmen Studierende (N. 407) verschiedener Hochschulen und Universitäten Deutschlands teil. Die Stichprobe umfasst 32% männliche und 68% weibliche Probanden im Durchschnittsalter von 17 bis 57 Jahren (M. 25.54, SD. 6.97). Für die Datenerhebung wurde der Academic Procrastination State Inventory (APSI-d) von Helmke und Schrader (2000), die Self-Control Skala (Seipel, 2014) und das NEO-FFI-30 (Körner et al., 2008) herangezogen.
Die Ergebnisse der Untersuchung berichten einen signifikanten Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit (r. -.47, p.lt; .001), Neurotizismus (r. .58, p.lt; 001) und Selbstkontrolle (r. .32, p.lt; .001) mit Prokrastination. Die restlichen Big-Five-Faktoren Extraversion, Offenheit für neue Erfahrung und Verträglichkeit zeigen keine Signifikanz auf. Weitere Ergebnisse ergeben, dass ein signifikanter Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Studierenden hinsichtlich ihres Prokrastinationsver- haltens besteht (t.405) = - 3.11, p.lt; .01). Auch bezüglich des Alters konnte ein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Chi[2] =.1.24, p <.01). Im Durschnitt prokrastinieren Studierende unter 22 Jahren häufiger als Studierende ab 26 Jahren. Hinsichtlich des Semesters gibt es ebenso einen signifikanten Unterschied zwischen den Anfangssemestern und höheren Semestern (F.1, 405) = 9.02, p.lt; .01, nP[2]. .02, N. 407).
Aufgrund der möglichen Konsequenzen die das Phänomen bei Betroffenen nach sich ziehen kann, wird empfohlen, die Forschung zu dieser Thematik weiter zu vertiefen.
In the current study the relation between academic procrastination and the Big Five personality traits is going to be observed. Furthermore the self-control construct in relation to procrastination will be investigated. Moreover, the differences between age, gender and and University term-time regarding procrastination behavior are going to be analyzed. Students (N. 407) from various colleges and universities in Germany have opted to take a part in the online survey. The sample included 32% male and 68% female subjects with an average age of 17 to 57 years (M. 25.54, SD. 6.97). The Academic Procrastination State Inventory (APSI-d) by Helmke and Schrader (2000), the Self-Control Scale (Seipel, 2002) and the NEO-FFI-30 (Körner et al., 2008) were used for data collection. The results of the study reported a significant correlation between conscientiousness (r. -.47, p.lt; .001), neuroticism (r. .58, p.lt; 001) and self-control (r. .32, p.lt; .001) with procrastination. The remaining Big Five factors as Extraversion, Openness to Experience and Agreeableness show no significance. Further results show that there is a significant difference between female and male students regarding their procrastination behavior (t.405) = - 3.11, p.lt; .01). A significant difference with regard to the age was found (Chi[2] =.1.24, p <.01). On average, students under 22 years old procrastinate more often than students over 26 years old. Regarding the University term, there is also a significant difference between the students in their initial semesters and higher semesters (F.1, 405) = 9.02, p.lt; .01, nP[2]. .02, N. 407).
Due to the possible consequences and effects of this phenomen on the obesrved groups, it is recommended to intensify this field of research.
Ich möchte mich an erster Stelle bei meiner Familie bedanken, die mich während meines gesamten Studiums bedingungslos unterstützt und mir dieses Studium überhaupt ermöglicht haben.
Ein besonderer Dank geht auch an meine Betreuerin Frau Dr. Schultchen. Bedanken möchte ich mich besonders für Ihren Rat und Ihre zuverlässige, freundliche und vor allem hilfreiche Unterstützung.
Letztlich möchte ich auch allen Teilnehmenden meiner Befragung für die engagierte Mitarbeit danken.
Während der Begriff Prokrastination für manche Menschen fremd ist, erkennen sich viele dennoch in dessen Definition wieder. Individuen prokrastinieren, indem sie eine wichtige Entscheidung oder Aktivität von einem früheren auf einen späteren Zeitpunkt verlegen (Höcker, Engberding & Rist, 2017). Für sie ist das Aufschieben von eher unangenehmeren Tätigkeiten, wie die Abgabe der Steuererklärung, das Aufräumen der Wohnung, sowie dem Entrümpeln des Kellers, um sich angenehmeren Dingen zu widmen, wie beispielsweise die eigene Lieblingsserie anzusehen, nicht fremd. Obwohl es den Betroffenen bewusst ist, dass das Aufschieben gewisser wichtiger Erledigungen negative Konsequenzen mit sich bringen kann, zeigen sie dieses Verhalten auf.
Etwa 90% aller Untersuchungen dieses Phänomens stammen aus dem englisch-sprachigen Raum (Höcker et al., 2017, S. 14). Einer US-amerikanischen Studie zufolge, bezeichnen sich ca. 20% der Bevölkerung als „chronische Aufschieber“ (Ferrari, O'Callaghan & Newbegin, 2005). Jedoch gibt esmittlerweileauch in Deutschlandvermehrt Forschungen zum pathologischen Aufschieben. In der aufgeführten Studie handelt es sich um die sogenannte Alltags-Prokrastination bei der Aufgaben, die im alltäglichen und sozialenLeben anfallen, aufgeschoben werden. Deutlich mehr im Fokus steht bei der Prokrastinationsforschung und auch in der vorliegenden Arbeit die akademische Prokrastina- tion, womit das pathologische Aufschieben vonSchülern und Studierenden beiSchul- oder Studienbezogenen Tätigkeiten gemeint ist (Höcker et al., 2017). Folglich könnte angenommen werden, dass prokrastinierendes Verhalten in akademischen Bereichen häufiger vorkäme oder negativere Konsequenzen mit sich zöge, als vergleichsweise im Alltag- oder Berufsleben. Der richtige Erklärungsansatz hierfür ist, dass „Prokrastination (...) bei Studierenden lediglich leichter festzustellen und zu untersuchen (ist), da diese als Probanden für Forscher leichter verfügbar sind und da die Anforderungen des Lernens und des Schreibens wissenschaftlicher Arbeiten vergleichsweise standardisierte Bedingungen herstellen, in denen Prokrastination leicht erkennbar ist“ (Höcker et al., 2017, S. 14).
In einer ihrer Studien stellten die Forscher Schouwenburg, Lay, Pychyl und Ferrari (2004) fest, dass 80 - 95 % aller Studierenden im Verlauf ihres Lebens bereits prokrastiniert haben und 75% gaben an, während ihres Studiums dieses Verhaltensmuster aufzuzeigen. Ganze 20 bis 40% der Befragten sehen die Prokrastination als ein schwerwiegendes Hindernis ihrerseits an. Auch an der Universität Münster zeigte eine Untersuchung (N. 836), dass prokrastinierendes Verhalten bei Studierenden weit verbreitet ist. 14,6% der Befragten erreichten Prokrastinationswerte, die höher als die Mittelwerte der Studierender liegen, welche sich wegen ihres pathologischen Aufschiebeverhaltens in der Psychotherapie-Ambulanz der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in eine Therapie begeben haben (Deters, 2006).
Obwohl Prokrastination weit verbreitet zu sein scheint und eine Vielzahl an Menschen davon betroffen sind, erhielt das pathologische Aufschieben erst in den letzten Jahren eine beachtliche Stellung im psychologischen Forschungsbereich. Da dieses Themengebiet bis heute nicht grundlegend erforscht ist, stellt die akademische Prokrastination ein interessantes Forschungsthema dar. Es könnte davon ausgegangen werden, dass im Zentrum das Individuum mit seiner Persönlichkeit steht. Das Ergebnis, dass Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmale korrelieren, erzielte Steel (2007) in seiner Metaanalyse.
Um weitere Erkenntnisse zu diesem Forschungsgebiet beizutragen, wird in der vorliegenden Arbeit der Zusammenhang von akademischer Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen untersucht. Zudem soll erforscht werden, ob Selbstkontrolle als Prädiktor für die Anfälligkeit von prokras- tinierendem Verhalten verstanden werden kann. Ebenfalls steht im Interesse dieser Arbeit herauszufinden, ob Unterschiede bezüglich des Geschlechts, der Semester oder der Altersgruppen, hinsichtlich Prokrastination bestehen. Im Folgenden wird im zweiten Kapitel ein Überblick über den für die Fragestellung relevanten theoretischen Hintergrund gegeben, aus dem die Forschungsfrage und die Hypothesen abgeleitet werden. Nach der methodischen Darstellung der Studie in Kapitel 3, werden in Kapitel 4 die Ergebnisse der erhobenen Untersuchung berichtet, diskutiert und abschließend in Kapitel 5 zusammengefasst.
Wie bereits im einleitenden Teil dieser Arbeit erwähnt, liegt der Fokus in der Prokrastina- tionsforschung in erster Linie auf dem schulischen und akademischen Aufschiebeverhalten. Aus diesem Grund, beziehen sich die für die vorliegende Studie herangezogenen Theorien, Modelle, Hypothesen und Studien überwiegend auf den akademischen Kontext. Einführend soll die Begrifflichkeit der Prokrastination definiert und nachfolgend in den akademischen Kontext eingeordnet werden. Weiterführend werden zuerst die Erklärungsansätze und anschließend die Formen der Prokrastination vorgestellt. Des Weiteren werden mögliche Maßnahmen zur Überwindung von Prokrastination erläutert. Im darauffolgenden Abschnitt wird das Konstrukt Persönlichkeitsmerkmale genauer definiert und mithilfe des Big-Five-Modells dargestellt. Der vorletzte Abschnitt befasst sich mit der Interaktion zwischen den Konstrukten Selbstkontrolle und Prokrastination. Abschließend werden die Forschungsfragen und Hypothesen dargestellt.
Der Begriff Prokrastination, unter dem auch zwanghaftes oder auch pathologisches Aufschiebeverhalten verstanden wird, hat seinen Wortstamm in der lateinischen Sprache und leitet sich aus dem Verb „procrastinare“ ab. Das Verb setzt sich aus den Einzelteilen pro = “für“ und crastinus°= “morgen“ zusammen, die sich ins Deutsche als „vertagen“ oder „verschieben“ übersetzen lassen . Früher war damit „eine eher positiv bewertete Verhaltensweise gemeint, nämlich das reflektierte Aufschieben von schwerwiegenden Entscheidungen bis zu einem günstigen Zeitpunkt, der einer Handlung mehr Erfolg sichert“ (Höcker et al., 2017, S.9). In der heutigen Zeit wird pathologisches Aufschieben mit einer negativen Verhaltensweise assoziiert. Individuen „schieben“ längst überfällige Erledigungen vor sich hin oder zögern sie soweit es geht hinaus um angenehmere Dinge vorzuziehen, auch wenn sie wissen, dass dieses Verhalten eine negative Konsequenz mit sich ziehen kann (Ferrari, 1993). So bezeichnen auch Solomon und Rothblum (1984) die Prokrastination als ein unnötiges Aufschieben von Aufgaben bis zu dem Zeitpunkt, an dem man Unzufriedenheit empfindet. Ähnlich definiert auch Steel (2007) das pathologische Aufschiebeverhalten. Er beschreibt Prokrastination als eine beabsichtigte und freiwillige Handlungsverlagerung die hinausgezögert wird, obwohl der Betroffene Kenntnis darüber hat, sich danach in eine negative Situation zu begeben. Helmke und Schrader (2000) bezeichnen Prokrastination als „dysfunktionales Aufschieben, Verschieben oder Vermeidungsverhalten“ (Helmke & Schrader, 2000, S. 207). Für prokrastinierendes Verhalten existiert jedoch bis heute keine einheitliche Definition. So unterschiedlich wie die Beschreibungen dieses Phänomens der Forscher auch sind, führen sie in ihrem Kern auf die gleichen Merkmale zurück. Der häufigste gemeinsame Nenner dieser unterschiedlichen Definitionen ist, „dass Aktivitäten, die zur Erreichung wichtiger Ziele nötig sind, zugunsten anderer Aktivitäten aufgeschoben werden“ (Höcker 3 et al., 2017, S.12). Wenn von Prokrastination die Rede ist, fällt folglich auch häufig der Begriff „Aufschieben“. Jedoch sollte an dieser Stelle deutlich hervorgehoben werden, dass Prokrastination nicht mit dem klassischen „Aufschieben“ gleichzusetzten ist. Das Aufschieben von Tätigkeiten im Alltag ist demnach nichts Außergewöhnliches. Jedes Individuum priorisiert seine Erledigungen unterschiedlich. Nur weil eine Tätigkeit aufgeschoben wird, weil einer anderen eine höhere Priorisierung zugeordnet wird, handelt es sich nicht zwangsläufig um Prokrastination. Demnach ist das Aufschieben von Erledigungen nicht direkt dysfunktional, sondern fordert die Organisation von alltäglichen Tätigkeiten. Entscheidend ist, dass es sich erst um ein dysfunktionales Verhaltensmuster handelt, wenn wichtigen Aufgaben, welche die zur Erreichung bestimmter Ziele erforderlich sind, konstant nicht nachgegangen wird und stattdessen andere Handlungen bevorzugt werden (Höcker et al., 2017).
Im folgenden Kapitel werden verschiedene psychologische Ansätze dargestellt, mit denen prokrastinierendes Verhalten erklärt werden kann.
Bislang liegt für das komplexe Konstrukt Prokrastination noch keine allgemeingültige Theorie vor. Demnach können für dieses Phänomen verschiedene Erklärungsansätze herangezogen werden (Klingsieck, 2013).
Der erste Ansatz mit dem das pathologische Aufschieben erklärt werden kann, kommt aus dem Fachbereich der differentiellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Sie „erforscht Unterschiede in biologischen, psychologischen und sozio-kulturellen Strukturen und Prozessen (a) zwischen Personen oder Gruppen (interindividuelle Sichtweise) oder (b) innerhalb einer Person (intraindividuelle Sichtweise) über die Zeit und/oder Situationen hinweg“ (Rauthmann, 2016, S.2). In diesem psychologischen Fachbereich wird zwanghaftes Aufschiebeverhalten als eine überdauernde Persönlichkeitseigenschaft (trait procrastination) betitelt. Demzufolge haben bereits einige Forscher in ihren Studien versucht prokrastinierendes Verhalten in ein nomologisches Netzwerk einzuflechten. Auch Steel (2007) machte dies in seiner umfassenden Metaanalyse deutlich. In seiner Studie überprüfte der Forscher die Stärke des Zusammenhangs von verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen, wie beispielsweise Gewissenhaftigkeit oder Selbstkontrolle auf Zusammenhang mit Prokrastination. Die Ergebnisse seiner Untersuchung verdeutlichen, dass prokrastinierendes Verhalten durchaus auf Persönlichkeitsmerkmale zurückgeführt werden kann. Welche Zusammenhänge zwischen Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen bestehen, wird im Rahmen dieser Arbeit folglich näher betrachtet.
Im Fokus der Motivations- und Volitionspsychologie sind Erläuterungen zu finden, aus welchem Grund sich manche Absichten in der Handlungssteuerung etablieren, während andere Absichten nicht ausgeführt werden. „Der Begriff Motivation bezieht sich auf Prozesse und Phänomene, die mit dem Setzen von Zielen aufgrund deren Wünschbarkeit und Realisierbarkeit zu tun haben“ (Achtziger & Gollwitzer, 2018, S. 361). Demnach kann gemutmaßt werden, dass wenn ein Individuum nicht der Meinung ist, dass ein mögliches Ziel erreichbar und/oder wünschbar ist, wird es nicht die Motivation aufbringen, diesem entgegenzustreben. Als Volition dagegen wird die Umsetzung von Zielen beschrieben und basiert darauf, wie „die Umsetzung einer bereits gefassten Zielintention reguliert wird“ (Achtziger & Gollwitzer, 2018, S. 361). Die Basis des motivations- und volitionspsy- chologischen Ansatzes ist darauf ausgelegt, dass Prokrastination eine Störung im Verlauf der Motivation und/oder Volition aufzeigt, welche zu einer Lücke (Intention-Action-Gap) zwischen der Absicht zu handeln und der wirklichen Handlung führt (Steel, 2007).
Dem Rubikon-Modell der Handlungsphasen von Heckhausen und Gollwitzer (1987) nach, erfolgt eine Handlung erst, wenn vorher diverse Phasen der Absichtsbildung erfolgreich durchgeführt wurden. In diesem Modell wird der Handlungsverlauf in vier Phasen dargestellt. Diese vier Handlungsphasen differenzieren sich bezüglich der Aufgaben, welche sich einem Handelnden stellen, wenn dieser eine der Handlungsphase erfolgreich beenden möchte.
Die prädezisionale Handlungsphase stellt die erste Phase des Rubikon-Modells dar und ist kennzeichnend dafür, dass sich der Handelnde zunächst bewusst ist, welche seiner Wünsche und Anliegen er in die Tat umsetzen möchte. Letztlich wird in dieser Handlungsphase ein verbindliches Ziel festgelegt und somit der imaginäre Rubikon vom Wunsch zum Ziel überschritten (Heckhausen & Gollwitzer, 1987).
In der zweiten präaktionalen Phase überlegt der Handelnde welche Pläne und Strategien zu befolgen sind, um letztendlich das gesetzte Ziel zu erreichen. Diese volitionale Phase macht deutlich, dass schließlich von einer reinen Motivation das Ziel zu erreichen, ein Übergang zum wirklichen Erreichen des Ziels stattgefunden hat. Für Individuen die prokrastinieren, kann dies zunächst eine Hilfestellung sein, da dieses konkrete Planungsvorhaben eine bestimmte kognitive Strukturierung hervorbringt, welche Erleichterungen mit sich bringen kann. Andererseits kann eine Automatisierung des Planungsprozesses erfolgen (Heckhausen & Gollwitzer, 1987). Laut Helmke & Schrader (2000), planen Prokrastinierende detailliert unwichtige minimale Aufgaben, um tatsächlich geplante Arbeitshandlungen weiter aufschieben zu können (Helmke & Schrader, 2000).
In der nächsten aktionalen Phase, „versucht ein Handelnder, die in der präaktionalen Handlungsphase gefassten Pläne zur Realisierung des am Ende der prädezisionalen Handlungsphase gefassten Ziels in die Tat umzusetzen“. Dies wird durch ein beharrliches Verfolgen der Realisierung des Ziels und „die konsequente Wiederaufnahme unterbrochener Zielhandlungen ermöglicht“ (Achtziger & Gollwitzer, 2018, S. 360). Bei Individuen die Aufschiebeverhalten aufzeigen, kann eine bereits angefangene Handlung durch hervorkommende Selbstzweifel oder durch die Ablenkung von kurzzeitig entlastenden oder ansprechenderen Erledigungen vorübergehend oder auch ganz beendet werden (Helmke & Schrader, 2000).
In der letzten postaktionalen Phase bewertet der Handelnde sein Ergebnis. Falls dieser das Ziel als befriedigend empfindet, verwirft er das am Ende dieser Phase gesetzte Ziel. Falls jedoch keine Zufriedenheit bei demjenigen aufkommt, verringert dieser entweder seine Anforderungen und verwirft folglich das Ziel oder behält das Ziel bei, überlegt erneute Handlungen und versucht daraufhin wiederholt den erstrebten Zielzustand zu erlangen (Heckhausen & Gollwitzer, 1987). Demzufolge kann angenommen werden, dass der Verlauf der Motivation und Volition durch Prokrastinationsver- halten beeinträchtigt werden kann.
Der klinisch-psychologische Erklärungsansatz für pathologisches Aufschieben kommt aus der Psychoanalyse, in der kognitiven Verhaltenstherapie, sowie in der Neuropsychologie (Ferrari, Johnson & McCown, 1995). In einer aktuellen Studie untersuchte Caroline Schlüter zusammen mit ihrem Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum, Probanden (N. 264) bezüglich ihrer Handlungskontrolle und dem daraus resultierenden prokrastinierenden Verhalten. Mit einer Kernspintomografie bestimmte das Forscherteam das Volumen einzelner Hirnareale der Probanden und ihre funktionelle Vernetzung, während sie einen Fragebogen ausfüllten. Für den Fragebogen wurde die Handlungskontrollskala (HAKEMP 90) von Kuhl (1990) verwendet, um interindividuelle Unterschiede in der Handlungskontrolle zu erfassen (Schlüter, Fraenz, Pinnow, Friedrich, Güntürkün & Geng, 2018). Hervorzuheben ist, dass die Amygdala dafür zuständig ist, Situationen zu bewerten, sowie vor denkbaren daraus resultierenden Folgen zu warnen (Wise & Rompre, 1989). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Individuen mit einem größeren Amygdala-Volumen mehr Bedenken vor negativen Konsequenzen einer Handlung haben, somit zögern sie und prokrastinieren. Menschen mit geringerem Amygdala-Volumen sind folglich in entscheidungsbezogenen Kontexten tendenziell handlungsorientierter (Schlüter et al., 2018). Auch die Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, führt unterschiedliche klinische Untersuchungen hinsichtlich Prokrastination durch und stellte Zusammenhänge mit ADHS, Depression und Versagensangst fest. Im Zuge ihrer Studie entwickelten die Forscher hierzu ein Behandlungskonzept in der Prokrastinationsambulanz an der Universität Münster, welches im Kapitel „Maßnahmen zur Überwindung von Prokrastination“ näher erläutert wird (Höcker et al., 2017).
Im folgenden Kapitel wird die akademische Prokrastination als Form der Prokrastination genauer definiert. Die akademische Prokrastination ist wohl die bekannteste Form des pathologischen Aufschiebens. Fast jede existierende Studie zu Prokrastinationsverhalten bezieht sich auf den akademischen Kontext (Höcker et al., 2017). Auch in der vorliegenden Arbeit ist der Fokus ausschließlich auf die akademische Prokrastination gerichtet. Diese Prokrastinationsform richtet sich speziell auf das Aufschiebeverhalten im schulischen und akademischen Bereich.
Studierende sind durch ihr Hochschulstudium, welches bereits hohe fachliche Anforderungen an sie stellt, einem hohen Druck ausgesetzt. Es wird erwartet, dass sie ihr Wissen selbständig und eigeninitiativ erwerben, jedoch sind nicht alle Studierende dazu in der Lage dieser Herausforderung gerecht zu werden. Viele fangen schließlich an die anstehenden Aufgaben, die im Rahmen ihres Studiums zu erledigen sind, aufzuschieben. Beispielhaft für typische akademische Aufgaben sind das Lernen für eine Klausur, das Schreiben von Hausarbeiten oder auch die Vorbereitungen für eine Präsentation. Laut Steel (2007) ist prokrastinierendes Verhalten unter Studenten mit bis zu 70% an Betroffenen weit verbreitet. Bisherigen Studien zufolge ist das Schreiben einer Hausarbeit die am häufigsten prokrastinierte studienrelevante Tätigkeit. Ganze 40 % der Befragten gaben an immer oder größtenteils das Schreiben einer Hausarbeit aufzuschieben (Solomon & Rothblum, 1984). Wie bereits im einleitenden Teil dieser Arbeit erwähnt, ist prokrastinierendes Verhalten im schulischen Kontext nicht häufiger als im Berufs- oder Alltagsleben, jedoch ist es in diesem Bereich einfacher festzustellen (Höcker et al., 2017). Es stellt sich dennoch die Frage, wie diese hohe Prokrastinationsanzahl bei Studierenden zustande kommt. Lay und Burns (1991) fanden heraus, dass Individuen die an unstrukturierten Studienprogrammen teilnehmen oder auch selbständige Personen, öfter von Prokrastination betroffen sind (Lay & Burns, 1991). Eine mögliche Ursache hierfür wäre, dass Studierende oder auch Selbständige an keine festen zeitlichen Termine in ihrem Alltag gebunden sind und demnach frei wählen können wann sie ihre Aufgaben, wie Lernen oder das Schreiben ihrer Hausarbeit, beginnen möchten. Sie können ihren Alltag nach Belieben selber planen und haben vorerst keine negativen Konsequenzen zu fürchten. Individuen die an feste Arbeitszeiten gebunden sind, haben demnach ein geringeres Zeitfenster ihre Aufgaben zu erledigen und somit ist die Verlockung prokrastinierende Verhaltensweisen aufzuzeigen geringer (Lay & Burns, 1991).
Die Folgen, die mit diesem Phänomen einhergehen, scheinen zunächst harmlos zu sein. Jedoch gibt es eine Studie die belegt, dass Prokrastinierende einen geringeren akademischen Erfolg haben, weniger Leistung bei spezifischen Aufgaben aufbringen oder gar zu schlechten Noten neigen (Ackerman & Gross, 2005). Naheliegend ist somit, dass prokrastinierendes Verhalten auf Dauer zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Die Forscher Tice und Baumeister (1997) machen deutlich, prokrastinierende Studierende würden häufiger über ein erhöhtes Stresserleben klagen ihren Aufgaben nachzukommen und fallen dadurch einen sogenannten „Teufelskreis“ aus dem sie sich schwer wieder retten können. Die Forschergruppe Patrzek, Sattler, van Veen, Grunschel und Fries (2015) fand in ihrer Studie heraus, dass Prokrastination ein akademisches Fehlverhalten fördert. Sie untersuchten die Auswirkung von Prokrastination auf das Ausführen von Fehlverhalten, wie beispielsweise das Kopieren von Abschnitten aus anderen Hausarbeiten, die Verwendung von verbotenen Hilfsmitteln in Klausuren oder anderweitigen Prüfungen sowie unter anderem der Fälschung von Daten in wissenschaftlichen Arbeiten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung berichten, dass
Prokrastination jegliche Formen von akademischem Fehlverhalten beeinflusst. Der stärkste Effekt zeigte sich bei der Verwendung von betrügerischen Ausreden. Welche Maßnahmen zur Überwindung dieses Phänomens helfen können, wird im nachfolgenden Kapitel dargelegt.
Pathologisches Aufschieben von wichtigen Erledigungen im Alltag oder auch im schulischen Kontext versetzt die Betroffenen in einen sogenannten „Teufelskreis“. Besonders bei terminlich gebundenen Aufgaben die Prokrastinierende meistern sollten, ist oft ein ähnlicher Situationsablauf erkennbar. Studierende haben beispielsweise einen bestimmten Abgabetermin für ihre Hausarbeit mit der sie jedoch erst so spät beginnen, dass sie in eine Stresssituation verfallen und erst kurz vor Abgabeende fertig werden oder gar den Termin verschieben müssen. Im letzteren Fall häufen sich im Verlauf des Studiums immer mehr Abgabe- und Klausurtermine bei denen der Betroffene kaum nachkommt.
Um solchen Szenarien entgegenzuwirken haben Höcker et al. (2017) in der Prokrastinations- Ambulanz der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster auf Basis psychologischer Befunde und Erklärungsansätze ein Behandlungsmanual entwickelt. Die Teilnehmenden sollen während eines sechswöchigen Trainings ihr derzeitiges Arbeitsverhalten, die daraus resultierenden Konsequenzen reflektieren und mithilfe von Arbeitsmodulen verbessern. Das Ziel dieses Behandlungskonzeptes ist es, dass Studierende ihre Arbeits- und Lerntätigkeiten mit einem positiven Gefühl konnotieren und im Zuge dessen ein Erfolgserlebnis verspüren können. Das Behandlungsmanual setzt sich aus unterschiedlichen Modulen zusammen. Das Modul A wird als „pünktlich beginnen“ bezeichnet, das Modul B umfasst „realistisches planen“ und zuletzt das Modul C, betitelt mit „Arbeitsrestriktion und Bedingungsmanagement“. Die einzelnen Module können in verschiedenen Konstellationen miteinander kombiniert werden. Beispielsweise Intervention A und B, nur Intervention C oder das Kombinationsmodul ABC. Welche Modulkombination gewählt wird hängt davon ab, wie die Problemstellung des Patienten definiert ist. Um diese patientenspezifische Problemstellung bestimmten zu können muss vorab eine Bedingungsanalyse durchgeführt werden. Hierzu muss im ersten Schritt der Intervention eine Selbstbeobachtung in Form des Münsteraner Arbeitstagebuchs erfolgen. Des Weiteren wird ein individuelles Störungs- und Veränderungsmodell aufgestellt. Fakultativ kann zusätzlich ein sogenannter „Masterplan“ erstellt werden oder/und auch das Modul K „kognitive Therapie“ hinzugezogen werden. Darauffolgend wird auf Basis der Module der patientenspezifische Arbeitsplan erstellt. Im nächsten Absatz werden die einzelnen Interventionsmodule genauer erläutert (Höcker et al., 2017).
Wenn ein Teilnehmender Probleme hat mit einer bestimmten Aufgabe zu beginnen, bietet sich das Modul A „pünktlich beginnen“ an. Zunächst sollte der Patient einen realistischen Beginnzeitpunkt wählen an dem dieser mit seiner Aufgabe starten möchte. Um die Gefahr zu umgehen prokrastinierendes Verhalten zu zeigen, sollte hier die Uhrzeit exakt eingehalten werden. Auch der Arbeitsplatz an dem die Erledigung der Aufgabe stattfindet, sollte der Teilnehmende bereits bestimmt haben (z.B. Schreibtisch). Das Modul A empfehlt zudem, sich mit einem Signalton an das Beginnen der Aufgabe zu erinnern. Hierfür eignet sich beispielweise ein Handywecker der anzeigt, dass der Patient zu einer bestimmten Uhrzeit mit der Aufgabe beginnen möchte. Zusätzlich sollte vor der Tätigkeit ein Ritual ausgesucht werden (z.B. das Hören eines bestimmten Liedes oder sich einen Tee zu kochen). Die Autoren heben hier die Wichtigkeit hervor, von Ritualen abzuwägen, die den Patienten dazu animieren könnten die Aufgabe aufzuschieben. Damit sind Tätigkeiten wie das Beantworten von E-Mails oder Fernsehen gemeint. Um den Erfolg zu erhöhen, können motivierende Denkmuster beim Studierenden wie beispielsweise „Wenn ich heute mit dem Arbeiten fertig bin, dann..herangezogen werden.
Das Modul B „realistisch Planen“ ist für Patienten geeignet bei denen die Problematik besteht, ihre Aufgaben nicht realistisch und strukturiert planen zu können. Demzufolge leiden die Betroffenen unter Motivations- und Konzentrationsschwäche. Dieses Modul soll mithilfe eines strukturierten Arbeitsablaufs bei der Erledigung der Aufgaben unterstützen. Als erstes wird vom Patienten eine Zeiteinheit festgelegt, in der die Tätigkeit durchgeführt wird. Anschließend wird vom Teilnehmenden definiert, was in dieser Zeitspanne erledigt werden soll. Beispielweise möchte dieser in 60 Minuten einen Fachartikel lesen und sich hierzu bestimmte Grundbegriffe herausschreiben. In diesem Modul ist es wichtig, sich die Schrittfolge zum Erledigen der Aufgabe zu notieren und sich an diese zu halten. Nur so kann eine strukturierte Arbeitsweise gewährleistet werden. Da durchgehende Konzentration ein hohes Maß an kognitiven Ressourcen fordert, ist es sehr von Bedeutung, dass der Patient Lernpausen einlegt. Die Länge sowie die Häufigkeit dieser Pausen ist von der individuellen Konzentrationsfähigkeit, als auch der Aufmerksamkeitspanne abhängig und sollte vom Betroffenen bestimmt werden. Abschließend in diesem Modul ist der Fokus auf ein bestimmtes Ziel in dieser Arbeits-/Lerneinheit zu setzen. Ein mögliches Ziel könnte sein, dass der Patient zu allen unverständlichen Grundbegriffen Recherche betrieben hat und folglich alle Kernbegrifflichkeiten nachvollziehen kann. Zudem ist es wichtig, dass sich der Teilnehmende realistische Pläne und Ziele setzt, um anschließend sein Erfolgserleben zu maximieren und sich somit von prokrastinierenden Verhaltensweisen distanziert.
Bevor das Modul C genauer definiert wird, gibt es im Behandlungsmanual an diesem Punkt zwei mögliche Vorgehensweisen. Zum einen kann direkt an das Modul C „Arbeitsrestriktion und Bedingungsmanagement“ angeknüpft werden oder die Intervention wird mit einer Abschlusssitzung beendet. Falls das Modul C erfolgt, wird vorausgesetzt, dass noch ausreichend Zeit bis zur Prüfung oder dem Abgabetermin der zu erfassenden Arbeit besteht. Nur so kann eine Restriktion der Arbeitszeit durchgeführt werden, ohne dass dem Patienten zu viel Druck entgegengebracht wird. Die Autoren empfehlen hier eine Zeitspanne von mindestens vier Wochen.
Das Modul C wird als „Arbeitsrestriktion und Bedingungsmanagement“ betitelt und ist für Teilnehmende gedacht, die aufgrund von Prokrastination mit einem ständigen Unwohlsein zu kämpfen haben. Die Betroffenen planen ein zu hohes Pensum an Erledigungen ein und schieben die zu erledigenden Aufgaben vor sich hin. Diesem Szenario zufolge können die Patienten die Freizeit von ihrer Arbeitszeit kaum noch unterscheiden. Häufig tritt bei ihnen dann der Gedanke „Eigentlich müsste ich heute noch diese Sache erledigen...“ auf. Diese Überlegungen lösen bei demjenigen schließlich ein unangenehmes Gefühl und somit ein gewisses Stresserleben aus. Um diesen Vorkommnissen gegenzusteuern, wird das Prinzip der Arbeitsrestriktion, welches auf Basis von festgelegten Arbeits- und Lernzeiten aufgebaut ist, angewendet. Der Betroffene legt bestimmte Arbeitsoder Lernzeiten fest und widmet sich ausschließlich nur in diesem Zeitfenster den Aufgaben. Es nicht gestattet, dass sich der Patient außerhalb der bestimmten Zeiten mit seinen Erledigungen beschäftigt. Zielführend für diese Maßnahme ist, dass der Betroffene seine Denkweise von. Diese festgelegten Arbeitszeiten werden zunächst nach der jeweiligen Arbeitseffizient des Patienten bestimmt und können bei steigender Produktivität durch weitere Zeitfenster aufgestockt werden. Der Fokus des Moduls ist, dass der Arbeits- und Lernzeitraum so effektiv wie möglich genutzt wird, aber auch die Sichtweise seine Aufgaben erledigen „zu dürfen“ die Motivation des Teilnehmenden erhöht und folglich pro- krastinierendes Verhalten minimiert. Der Studierende erfährt somit eine Art psychischer Entlastung bei der er seine Freizeit ohne ein schlechtes Gewissen zu haben ausleben kann (Höcker et al., 2017).
Eine weitere Gegenmaßnahme wurde im Rahmen eines Verbundprojekts der Universität Bielefeld und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) realisiert. Der Forscher Stefan Fries hat zusammen mit seinem Forschungsteam ein Konzept entwickelt, Prokrastinationstendenzen bei Studierenden frühestmöglich zu erkennen. Mithilfe eines Trainings gegen Prokrastinationsverhalten sollen Studierende vor den daraus resultierenden negativen Konsequenzen bewahrt werden. Das Training gliedert sich in die Phasen Diagnostik, Intervention und Evaluation. In der ersten Phase werden die Teilnehmenden mittels eines Interviews über ihre persönlichen Theorien zu akademischen Aufschiebeverhalten befragt. Folglich werden aus ihren Antworten Fragebögen für das weitere Vorgehen erstellt. Der Hintergrund dieser Befragung ist, durch die subjektive Sichtweise der Teilnehmenden verschiedene Prokrastinationstypen, Handlungsverläufe oder auch Prokrastinationstendenzen zu identifizieren. Diese Ergebnisse stellen eine Basis für die Phase der Intervention in diesem Projekt dar. In der nächsten Phase des Projekts sollten mithilfe von entwickelten und getesteten Interventionen gegen die Prokrastination bei Studierenden, OpenSource-Lernplattformen zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser Lernplattform befindet sich ein Behandlungsmanual unter der Bezeichnung „Training gegen das Aufschieben im Studium“, bei dem Studierende Trainingseinheiten zu verschiedenen Themen bezüglich der Vermeidung von Prokrastination finden. In der letzten Phase wurde anhand der Befragungsdaten von 52 Studierenden dargelegt, dass das Training zu einer deutlichen Verringerung der Prokrastination bei Studierenden geführt hat. Aufgrund der positiven Resonanz aller Beteiligten und auch der ersichtlichen Effektivität des Trainings wird das Trainingskonzept zukünftig vor allem bei Studienberatern weiterverbreitet und angewendet (Patrzek, Gunschel & Fries, 2012).
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist wie bereits beschrieben, zu untersuchen, ob Zusammenhänge zwischen Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen bestehen. Um Parallelen zwischen den Konstrukten Persönlichkeit und Prokrastination ziehen zu können, wird in diesem Kapitel ein spezifischer Einblick in die theoretischen Ansätze der Persönlichkeit gewährt.
Die Persönlichkeit eines Individuums liefert Inhalt für eines der wichtigsten Themen im Psychologischen Forschungsbereich. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit der Frage, wie Persönlichkeit als solches definiert werden kann, wie ihr Entwicklungs- und Veränderungsverlauf unter Einfluss bestimmter Faktoren ist und wie sie anhand gewisser Verhaltensweisen prognostiziert und gesteuert werden kann (Maltby, Day & Macaskill, 2010). Da es sich bei der Persönlichkeit um ein umfassendes Forschungsgebiet handelt, sind in der Literatur demnach zahlreiche Definitionen zu finden. Der Begriff Persönlichkeit stammt aus dem lateinischen „persona“ ab und bedeutet im deutschen „Theatermaske“ (Schmitt, Altstötter-Gleich & Platzer, 2010). Gordon Allport (1961), ein einflussreicher Wissenschaftler aus der Psychologie, veröffentlichte 1961 eine Definition der Persönlichkeit, die bis heute von vielen Forschern verwendet wird. Allport beschreibt die Persönlichkeit als ein dynamisches Konstrukt, das für die intrapersonalen Prozesse eines Individuums zuständig ist und somit dessen Gedanken und Verhalten steuert. Die Persönlichkeit ist nach Eysenck (1970, S. 2) eine „mehr oder weniger stabile und dauerhafte Organisation des Charakters, Temperaments, Intellekts und Körperbaus eines Menschen, die seine einzigartige Anpassung an die Umwelt bestimmt.“ Hierbei umfasst der Charakter das konative Verhalten, das Temperament das affektive Verhalten, das Intellekt das kognitive Verhalten und abschließend der Körperbau das physische Verhalten, welches zusätzlich die hormonelle Zusammensetzung umschließt. Pervin, Cevone und John (2005) fassten diese umfangreiche Definition von Eysenck (1970) vereinfacht zusammen. Für sie ist die Persönlichkeit als ein andauerndes Schema von Gefühlen, Kognitionen und Verhaltensweisen zu verstehen. Die Forscher bezeichnen sie als ein zeitlich überdauerndes stabiles Konstrukt (trait), welches sich bezüglich des Denkens, Fühlen und Empfinden bei jedem Individuum unterschiedlich auszeichnet. Diese Einzigartigkeit ist laut Pervin et al. (2005) auf genetische Komponenten zurückzuführen.
Im nächsten Kapitel werden einige Ansätze zum Konstrukt Persönlichkeit näher definiert. Darauffolgend wird auf das Big-Five-Modell der Persönlichkeit eingegangen, welches die Basis dieser Untersuchung darstellt.
Die Persönlichkeitsforschung ist ein breitgefächertes Forschungsgebiet in der Psychologie. Demnach gibt es nicht nur zahlreiche Definitionen, sondern auch unterschiedliche theoretische Ansätze um die Persönlichkeit aus verschiedenen Sichtweisen beschreiben zu können (Herzberg & Roth, 2014). Die Theorien dieses Konstrukts reichen bis zum Anfang des 19. Jahrhundert zurück. Einer der ältesten Denkansätze zur Persönlichkeit ist die Typenlehre, die unter anderem von Sheldon und Stevens (1942) gestaltet wurde. Diese folgt der Annahme, dass eine bestimmte Anzahl an Grundtypen existiert und die Menschen anhand von physikalischen Merkmalen kategorisiert werden (Sheldon & Stevens, 1942). Dieser Denkansatz wurde in der heutigen Forschung bereits verworfen. Heutzutage gibt es eine Vielzahl an fundierten Ansätzen zur Persönlichkeit. Besonders von Bedeutung ist für diese Untersuchung der eigenschaftstheoretische Ansatz, der die Grundlage für das im nächsten Kapitel genauer erläuterte Big-Five-Modell darstellt. Bevor dieser Ansatz aufgezeigt wird, werden diverse andere bekannte Theorien vorgestellt.
Viele bedeutende Modelle aus der heutigen Persönlichkeitspsychologie sind auf psychoanalytische Konzepte der Persönlichkeit zurückzuführen, die erstmals vom Forscher Sigmund Freud (1961) entwickelt und anschließend von weiteren Theoretikern optimiert und abgewandelt wurden. Laut Freud (1961) entfaltet sich die Persönlichkeit eines Individuums aus dem Gegenspiel zwischen aggressiven und die Lust suchenden biologischen Triebregungen und den verinnerlichten sozialen Zwängen, die diese Bedürfnisse hemmen. Er vertritt die Annahme, dass die Persönlichkeit das Resultat der Bemühung ist, diesen Konflikt zu lösen. Freud (1961) postuliert, dass sich die Struktur der Persönlichkeit aus den drei psychischen Systemen „Ich“, „Über-Ich“ und „Es“ zusammensetzt. Das „Es“ handelt nach Grundsatz der Lustbefriedigung. Das „Über-Ich“ repräsentiert eingeprägte Ideale und Normen von Eltern und Vorbildern und somit eine Richtschnur für die Urteilsfähigkeit. Das „Ich“ agiert nach dem Realitätsprinzip und dient als Vermittler zwischen den beiden anderen Instanzen. Diese drei Systeme werden beim Durchlaufen diverser psychosexueller Perioden aktiviert und verlaufen nach Freud (1961) auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen. Diese Ebenen gliedern sich in Bewusste-, Unbewusste und Vorbewusste Ebenen.
Die humanistische Persönlichkeitstheorie ist als eine Art Gegenbewegung zum Behaviorismus und der Psychoanalyse Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden. Der Gegenstand dieser Theorie ist das Streben nach Selbstverwirklichung (Rammsayer & Weber, 2016). Wichtige Begründer dieser Persönlichkeitstheorie sind Rogers (1955) und Maslow (1954). Um seine Theorie zu stützen, stellte Maslow (1954) eine Bedürfnispyramide mit fünf Gruppen in hierarchischer Reihenfolge auf. Unterschieden wird zwischen physiologischen und psychologischen Bedürfnissen. Vier dieser Gruppen stellen Mangelbedürfnisse dar, wie beispielsweise Hunger, Wohnen oder der Partner. An der Spitze der Bedürfnispyramide befindet sich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. In Rogers (1955) Theorie liegt der Fokus auf dem Verlangen nach Wertschätzung durch andere Individuen sowie der Selbstachtung. Zudem soll sich jede Person durch ihre Individualität auszeichnen, indem sie die Realität aus ihrer Sicht wahrnimmt und interpretiert.
Der behavioristische Persönlichkeitsansatz richtet sich nach dem objektiv beobachtbaren Verhalten von Individuen. Folglich wird angenommen, dass der Mensch nach seiner Geburt bis auf wenige angeborene Reflexe und instinkthafte Verhaltensmuster, ein „unbeschriebenes Blatt“ ist. Durch klassische Konditionierung, auch dem Signallernen genannt (Pavlov, 1928) und der operanten Konditionierung, dem Lernen durch Belohnung oder Bestrafung (Skinner, 1948), werden Verhaltensweisen gelernt, durch die sich Routinen und somit die Persönlichkeit entwickelt. Hierbei ist die positive und negative Verstärkung des Verhaltens ein entscheidendes Kriterium, durch das sich eine ReizReaktionskette bildet. Die Ausprägung dieser Reiz-Reaktions-Kette wird durch die Wahl der Konsequenz bedingt. Indem spezifische Reize eingesetzt werden, kann ein individuelles Verhalten der Person vorhergesagt werden.
Die kognitive Persönlichkeitstheorie basiert auf der Annahme, dass interindividuelle Unterschiede durch eine inhomogene Verarbeitung von Erfahrung eintreten. Je nachdem wie ein Individuum sein Umfeld wahrnimmt und es sich aufbaut, hat dies einen maßgeblichen Einfluss auf dessen Verhalten. Der Psychologe Georg Kelly (1955) ist einer der bekanntesten Vertreter dieses psychologischen Ansatzes. Kellys (1955) Konstrukttheorie zufolge werden persönliche Erfahrungen in verbale oder präverbale Konstrukte gegliedert. Das Verhalten des Individuums ist demnach das Resultat der Antizipation dieser Konstrukte. Nach Kelly (1955) erfolgt dieses Prozedere mittels 11 Korollarien. Hierbei wird die Person, anders als beim behavioristischen Ansatz, in ihrem Verhalten und Erleben nicht gehindert.
Der eigenschaftstheoretische Ansatz definiert die Persönlichkeit anhand von einzelnen Traits. Unter Trait wird eine situationsunabhängige, zeitlich stabile und überdauernde Persönlichkeitsdisposition verstanden. Diese Eigenschaften sind nicht direkt beobachtbar, sondern äußern sich in Verhaltensweisen, wie beispielsweise der Mimik und Gestik. Längsschnittstudien zufolge, kann bei erwachsenen Individuen eine durchgehende Beständigkeit der Eigenschaften angenommen werden (Rammsayer & Weber, 2016). Wie stark bestimmte Eigenschaften bei einem Individuum ausgeprägt sind, wird durch die Häufigkeit und Intensität der beobachtbaren Verhaltensweisen definiert (Salewski & Renner, 2009). Die Grundgesamtheit dieser Eigenschaften wird somit als Persönlichkeit betitelt (Rammsayer & Weber, 2016). Grundlegend für die Eigenschaftstheorie ist der psychometrische Ansatz. Demzufolge sind alle Ausprägungen einer Person messbar und qualifizierbar. Ein bekanntes Konzept des eigenschaftstheoretischen Ansatzes ist das Fünf-Faktoren-Model der Persönlichkeit nach Costa und McCrae (1992). Im folgenden Kapitel werden die Grundlagen und die Entstehung dieses Models genauer erläutert.
Das Bestreben, die Persönlichkeit von Individuen zu erfassen und zu definieren, hat eine lange Tradition. Bereits in der Antike beschäftigten sich Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler damit was die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht und wie diese Persönlichkeit definiert werden kann. Die amerikanischen Forscher Allport und Odbert erstellten 1936 eine Übersicht von 18 000 Adjektiven aus dem Webster's New International Dictionary und filterten daraus 4500 Wörter, die sich zu einer Deskription von Persönlichkeitsmerkmalen eigneten. Hieraus entstand der lexikalische Ansatz auf dem das heutige Big-Five-Model der Persönlichkeit beruht. Die erstellte Liste von Allport und Odbert (1936) wurde schließlich von Cattell (1949), mithilfe statistischer Verfahren gekürzt und letztlich zu dem Persönlichkeitsinventar 16 personality factors (16pf), weiterentwickelt. Trotz fehlender Überzeugung der psychologischen Forschung zu dieser Thematik, plädierten Forscher (Fiske, 1949; Norman, 1963) für die fünf grundlegenden Faktoren Neurotizismus, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue Erfahrung und Verträglichkeit. Die Wissenschaftler Costa und McCrae (1992) bestätigten, dass diese fünf Faktoren als stabile Grundlage für die Persönlichkeit existieren und entwickelten das Fünf-Faktoren-Inventar NEO-Personality Inventory (NEO-PI) zur Messung dieser Dimensionen. Parallel und unabhängig zu diesen Erkenntnissen bestätigten auch Saucier und Goldberg (1998) durch ihre Analysen die fünf Faktoren und führten erstmals den Begriff Big-Five ein. Diese wissenschaftlichen Forschungsergebnisse wurden auch im deutschsprachigen Raum von Angleitner und Ostendorf (1990) anerkannt.
Das Persönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae (1992) ist bis heute der bekannteste Fragebogen zur Erfassung der Big-Five-Faktoren und hat sich auch mit der Übersetzung von Bor- kenau und Ostendorf (1993) als NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) im deutschen Sprachraum etabliert. Das Big-Five-Model der Persönlichkeit gliedert sich in die fünf unabhängigen Faktoren Extraversion, Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für neue Erfahrungen und Verträglichkeit. Diese Persönlichkeitsfaktoren können in ihrer Ausprägung zwischen einem geringen und einem hohen Pol variieren (Simon, 2006). Jede Dimension des NEO-Persönlichkeitsinventars beinhaltet jeweils sechs Subfacetten, dies bedeutet, dass das Inventar nach einer hierarchischen Struktur aufgebaut ist. Da die einzelnen Faktoren sehr breit konzipiert sind, wird mithilfe der Subfacetten eine gezielte und individuelle Analyse der einzelnen Merkmale sichergestellt (Rammsayer & Weber, 2016).
Für die Untersuchung der vorliegenden Arbeit wird der NEO-FFI-30 verwendet (Körner et al., 2008). Wie dieser Fragebogen aufgebaut ist, wird im Kapitel Methoden genauer definiert. Folglich werden die fünf Faktoren des Big-Five-Models erläutert.
Extraversion
Individuen mit einem hohen Wert für Extraversion sind sehr gesellig und mögen somit die Anwesenheit anderer. Sie sind zudem sehr gesprächig und tauschen sich gerne mit anderen Menschen aus. Sie haben eine fröhliche und heitere Lebensweise und begegnen anderen mit Freundlichkeit und Herzlichkeit. Im Gegensatz hierzu, gelten introvertierte Individuen als weniger aktiv und leben eher zurückgezogen, als unter vielen Menschen. Ihre Art ist eher als reserviert und formell zu definieren (Simon, 2006).
Neurotizismus
Menschen bei denen Neurotizismus ausgeprägt ist, werden als temperamentvoll, besorgt und oftmals ängstlich beschrieben. Laut Eysenck und Eysenck (1968) hängt diese Dimension auch stark mit Depressivität, Spannungsgefühlen und Reizbarkeit zusammen. Sie reagieren bei Problemsituationen emotionaler als andere Individuen und weisen zudem eine erhöhte Stressreaktion auf. Sie zeigen, im Gegensatz zu Personen bei denen Neurotizismus wenig ausgeprägt ist, emotional instabile Verhaltensweisen auf (Rammsayer & Weber, 2016).
Gewissenhaftigkeit
Rammsayer und Weber (2016) zufolge, zeigt diese Dimension vor allem bei sehr zuverlässigen, ordentlichen, pünktlichen, disziplinierten, und ehrgeizigen Menschen eine hohe Polung. Gewissenhafte Menschen gelten als sehr genau, sorgfältig und haben keine Bedenken Verantwortung zu übernehmen. Die gegensätzliche Ausprägung kennzeichnet die betroffenen Personen als eher nachlässig oder verantwortungslos. Sie leben unbekümmert in den Tag hinein und gelten als planlos und unorganisiert.
Offenheit für neue Erfahrung
Menschen die hohe Werte auf dieser Dimension aufzeigen, sind sehr kreativ. Sie interessieren sich oftmals für Bereiche wie Kunst und sind offen für neue Eindrücke, Erfahrungen und Ideen. Individuen mit einer niedrigen Ausprägung in diesem Faktor, leben konservativer und zeigen für Kreatives nicht viel Interesse. Sie bevorzugen ihnen vertraute Dinge mehr als neue Erfahrungen zu sammeln (Rammsayer & Weber, 2016).
Verträglichkeit
„Verträglichkeit bezeichnet ein Verhalten, das dazu neigt, anderen entgegenzukommen, Konfrontation zu vermeiden, sich anzupassen und um Konformität zu bemühen“ (Simon, 2006, S. 120). Laut Rammsayer und Weber (2016), erfasst dieser Faktor das zwischenmenschliche Verhalten. Individuen mit einem hohen Verträglichkeitswert sind mitfühlend, kooperativ und hilfsbereit. Sie verhalten sich zudem bescheiden und aufrichtig. Personen mit einem niedrigen Verträglichkeitswert sind eher kühl, distanziert und egozentrisch.
In diesem Teil der Arbeit wird ein Einblick in das Konstrukt Selbstkontrolle gewährt. Es wird als ein zusätzliches Persönlichkeitsmerkmal neben den Big-Five für die Untersuchung über Zusammenhänge zwischen Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen hinzugezogen.
Es ist allgemein bekannt, dass Schüler und Studierende in ihrer gesamten Schullaufbahn dem Druck ausgesetzt sind, die bestmöglichen Leistungen zu erbringen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden ist der soziale Austausch mit anderen Schülern oder Studierenden sowie ein strukturierter Tagesablauf bzw. Lernablauf äußerst wichtig. Ein bedeutender und tragender Faktor der Schüler und Studierende hierbei begleitet ist die Selbststeuerung. Als Selbststeuerung wird die „Fähigkeit definiert, Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele zu bilden und sie gegen innere und äußere Widerstände umzusetzen“ (Fröhlich & Kuhl, 2003, S.222). Vor allem in einer besonderen Zeit, wie in der aktuell herrschenden Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen, werden Schüler und Studierende vor die Herausforderung gestellt, sich Lerninhalte eigenständiger zu erarbeiten. Seit bereits zwei Semestern findet an Hochschulen kaum oder keine Präsenzlehre mehr statt, sondern nur Online-Vorlesungen. Manche Universitäten zeichnen diese Vorlesungen auf und stellen diese online, sodass Studierende kaum noch an feste Vorlesungszeiten gebunden sind und deren Alltag somit immer mehr an Struktur verliert. In diesem Fall ist eine gute Selbststeuerung der Studierenden von Vorteil. Die Selbststeuerung versteht sich als übergeordneter Begriff der Komponenten Selbstkontrolle, sowie Selbstregulierung und ist geprägt durch eine gute Organisation und Motivation des Studierenden (siehe Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Arten der Selbststeuerung (eigene Darstellung nach Beckmann & Beckmann-Waldenmayer, 2020, S. 450)
Der Fokus dieses Faktors ist, dass die gesetzten Ziele trotz aufkommender Hindernisse umgesetzt werden. Auf den akademischen Kontext bezogen würde das bedeuten, dass Studierende oder Schüler trotz herrschender Umstände ihren Klausuren oder anderen Prüfungen nachgehen. Obwohl die Begriffe Selbstkontrolle und Selbstregulierung oft als synonym verwendet werden, sollten sie aufgrund ihrer teils unterschiedlichen Eigenschaften und Folgen differenziert werden (Beckmann & Beckmann-Waldenmayer, 2020). Die Selbstregulation wird in der Psychologie auch als „innere Demokratie“ bezeichnet, bei der sich viele Stimmen auftun, die individuelle sowie fremde Bedürfnisse, Werte und Gefühle bei Entschlüssen beachten und involvieren. Die Selbstregulation basiert darauf, sich individuelle Ziele zu setzen, die bedacht und flexibel umgesetzt werden. Der Unterschied zur Selbstkontrolle ist, dass die aufkommenden kritischen Stimmen nicht unterdrückt, sondern berücksichtigt werden (Kuhl, 2001). Nach Deci und Ryan (2000) begünstigt die Selbstregulierung eine Selbstbestimmung des Individuums. Hierbei ist die Handlungsweise vom erstrebten Inhalt (Was?) als auch von der Intention der Zielverfolgung (Warum?) bedingt. Als Selbstkontrolle wird eine Art der willentlichen Steuerung beschrieben, bei der sich ein Individuum in der Konfliktsituation befindet sich zwischen verschiedenen Verhaltensweisen zu entscheiden, wobei jede einzelne Verhaltensweise positive oder negative Folgen mit sich ziehen kann. Hierbei wird bei Menschen die kognitive von der emotionalen Präferenz ausgespielt. Beckmann und Beckmann-Waldenmayer (2020) definieren Selbstkontrolle auch als Selbstdisziplin oder Willensstärke. In der Psychologie wird Selbstkontrolle auch als „innere Diktatur“ bezeichnet, da sie auf eine strikte Zielverfolgung fixiert ist und jede Handlungsintention, die nicht unmittelbar Zielführend ist unterbindet (Kuhl, 2001). Die Umsetzung der Ziele wird bei der Selbstkontrolle durch präzise Zielvornahmen vereinfacht (Gollwitzer, 1999). Die Forscher Gottfredson und Hirschi (1990) sehen aufgrund der Kontrolltheorien und der von ihnen 17 entwickelten General Theory of Crime (GTOC) die Selbstkontrolle als ein Persönlichkeitsmerkmal an. Laut den beiden Forschern tendieren Individuen mit einer geringen Selbstkontrolle dazu, abweichende Verhaltensweisen verschiedenster Art aufzuzeigen, sofern sich passende Möglichkeiten ergeben (Gottfredson & Hirschi, 1990).
Da besonders in der momentanen Zeit ein hohes Durchhaltevermögen von Schülern und Studierenden gefordert wird, stoßen viele an ihre Grenzen. Individuen bei denen Selbstkontrolle ausgeprägt ist, fokussieren sich trotz aller hindernden Umstände auf ihr Ziel das Studium oder die Schule abzuschließen, auch wenn sich ihre Motivation aufgrund sämtlicher Einschränkungen am Minimum befindet (Kuhl, 2001). Die Tatsache, dass sich Individuen trotz eines eventuell aufkommenden Unwohlseins einer Aufgabe widmen und diese erledigen, legt nahe, dass sie nicht zu prokrastinierendem Verhalten neigen (Solomon & Rothblum, 1984). Demnach könnte eine wenig ausgeprägte Selbstkontrolle prokrastinierendes Verhalten begünstigen. Ob Selbstkontrolle als ein Persönlichkeitsmerkmal und der Faktor Prokrastination Zusammenhänge aufzeigen, wird in dieser Arbeit untersucht.
Die möglichen Ursachen für prokrastinierendes Verhalten werden seit einigen Jahren in der Wissenschaft diskutiert. Um weitere Erkenntnisse in diesem Forschungsbereich zu gewinnen, untersucht die vorliegende Arbeit, inwiefern Zusammenhänge zwischen Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen bestehen. In diesem Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zur Prokrastination, den Persönlichkeitsmerkmalen und der Selbstkontrolle dargestellt, um folglich aus den bisherigen wissenschaftlichen Ergebnissen die Forschungsfrage dieser Arbeit, die Hypothesen und die Zielsetzung ableiten zu können. In den bisherigen Studien zu dieser Thematik wurden unterschiedliche standardisierte Erhebungsinstrumente verwendet, um die Ausprägungen der zu untersuchenden Konstrukte messen zu können. Zur Darlegung des aktuellen Forschungsstands, werden die Ergebnisse dieser Studien genauer erläutert. Es ist erneut anzumerken, dass es sich bei den Studien zur Prokras- tination ausschließlich um akademische Prokrastination handelt. Als nächstes werden die Resultate der Studien vorgestellt, die den Zusammenhang von Prokrastination und den Persönlichkeitsmerkmalen Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrung, Neurotizismus und Verträglichkeit, untersuchten.
Schouwenburg und Lay (1995) führten eine Studie zum Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und Prokrastination durch. Die Probanden dieser Untersuchung waren 81 männliche und 271 weibliche Studenten einer kanadischen Universität. Die Alterspanne betrug 17 bis 49 Jahre und ergab ein Durchschnittsalter der Teilnehmenden von 21 Jahren. Um die Ausprägung der Prokras- tination bei den Probanden bestimmten zu können, wurde die von Lay (1988) entwickelte Prokrasti- nation Skala angewandt. Zur Messung der Persönlichkeitsmerkmale verwendeten die Forscher bei dieser Untersuchung die revidierte Version des NEO-Personality Inventory (NEO-PI-R) von Costa und McCrae (1992). Schouwenburg und Lay (1995) konnten mit ihrer Studie demonstrieren, dass der Persönlichkeitsfaktor Gewissenhaftigkeit sehr stark mit Prokrastination (r. -.67, p. <.001) korreliert. Einen mittleren positiven Zusammenhang konnte die Forscher bei Prokrastination und Neurotizismus feststellen (r. .34, p.<.001). Die Merkmale Verträglichkeit und Extraversion korrelierten nur schwach mit Prokrastination (r. -.15, p.lt; .001, r. -.14, p.lt; .001), zeigten aber eine Signifikanz auf. Der Persönlichkeitsfaktor Offenheit für neue Erfahrung ergab kein signifikantes Ergebnis (r.=°.01 , p.lt; .001). Nach einer Faktoranalyse führten die Forscher eine multiple Regressionsanalyse durch. Bei der Regression von Prokrastination und den Big-Five-Faktoren ergab Gewissenhaftigkeit eine Varianz von 33% (semi-partial r. -.57, p.lt; .001) und Neurotizismus hingegen eine Varianz von 1% (semi-partial r. .09, p.lt; .02). Die anderen Faktoren wiesen keine Verbindung mit Prokrastination auf. Folglich konnten Schouwenburg und Lay (1995) mit den Ergebnissen in dieser Studie keine Unterschiede hinsichtlich des weiblichen und männlichen Geschlechts aufweisen.
Auch Milgram und Tenne (2000) untersuchten Zusammenhänge zwischen Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen an Sozialwissenschaftsstudierenden der Universität Tel Aviv. An dieser Studie nahmen insgesamt 130 Probanden (M. 28.39, SD. 5.1), von denen 47,7 % weibliche und 52,3% männliche Probanden waren, teil. Um die Ausprägung der Persönlichkeitsfaktoren zu messen, wurde auch bei dieser Studie die revidierte Version des NEO-Personality Inventory (NEO-PI-R) eingesetzt (Costa und McCrae, 1992). Zur Erhebung der Prokrastination wendeten die Forscher die Academic Procrastination Scale (APS) (Milgram, Mey-Tal & Levison, 1998) an. Die Ergebnisse dieser Studie ergaben, dass auch hier der Faktor Gewissenhaftigkeit am stärksten mit Prokrastination korreliert (r. -.43, p.lt; .01). Für die Dimension Offenheit für neue Erfahrung und Prokrastination zeigte sich ein mittelstarker positiver Zusammenhang (r..36, p.lt; .01), während die Dimensionen Neurotizismus (r. .26, p.lt; .01) und Extraversion (r. -.28, p.lt; .01) nur eine leichte bis mittlere Korrelation ergaben. Für den Faktor Verträglichkeit (r. .16, p.lt; .01) stellten Milgram und Tenne (2000) eine eher schwache Korrelation fest.
Watson (2001) führte 2001 eine Studie mit 349 kanadischen Universitätsstudierenden (M.=°21.98, SD. 5.16), von denen 256 weibliche und 86 männliche Probanden waren, durch. Diese Studie umfasste ebenso das Ziel, den Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und Prokrasti- nation zu untersuchen. Zur Erfassung der fünf Persönlichkeitsfaktoren und ihren sechs Facetten verwendete der Forscher auch das NEO-PI-R von Costa und McCrae (1992). Die Ausprägung der Pro- krastination bei den Studierenden wurde mittels der Procrastination Assessment Scale for Stundents (PASS) gemessen (Solomon & Rothblum, 1984). Mit einer Regressionsanalyse konnte bei der Untersuchung unterschiedliche Zusammenhänge zwischen der Prokrastination und den Persönlichkeitsfaktoren ermittelt werden. Die stärkste Korrelation zeigte sich beim Faktor Gewissenhaftigkeit (r°.° -.55, p.lt; .001). Der Faktor Neurotizismus hingegen, weist einen positiven mittleren Zusammenhang auf (r. .42, p°.lt;°.001). Die schwächste Korrelation macht sich beim Persönlichkeitsfaktor Extraversion ersichtlich (r. -.21 , p.lt; .001). Bei den Dimensionen Verträglichkeit und Offenheit für neue Erfahrung konnte kein Zusammenhang festgestellt werden.
Der Wissenschaftler Hakan Karatas (2015) untersuchte in seiner Studie an der Technischen Universität Yildiz ebenfalls den Zusammenhang dieser zwei Konstrukte. An der Studie nahmen 475 Probanden teil, von denen 33.9% weibliche und 66.1% männliche Studierende waren. Um die Pro- krastinationswerte bestimmen zu können, verwendete Karatas (2015) bei seiner Studie die Academic Procrastination Scale (APS) von Tuckman (1991). Die Persönlichkeitsfaktoren wurden mit dem Personality Test Based on Adjectives (PTBA) von Bacanli, ilhan und Aslan (2009) untersucht, welcher auf der Grundlage des Modells der Big-Five Persönlichkeitsfaktoren von Costa und McCrae (1992) beruht. Den Ergebnissen der Studie zufolge, ist zwischen den Konstrukten Gewissenhaftigkeit und Prokrastination ein schwacher bis mittlerer negativer Zusammenhang (r. -.28, p.lt; .01) ersichtlich. Auch die Dimension Extraversion zeigt eine schwache negative Korrelation (r. -.16, p.lt; .01) mit Prokrastination auf. Die anderen Konstrukte wie Neurotizismus, Offenheit für neue Erfahrung und Verträglichkeit zeigten keinen signifikanten Zusammenhang. In dieser Studie wurde zusätzlich mittels eines T-Tests überprüft, ob Geschlechterunterschiede bezüglich akademischer Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen bestehen. Den Ergebnissen zufolge unterscheiden sich weibliche und männliche Studierende nicht hinsichtlich ihres Prokrastinationsverhaltens (t.98) = - .32, p. .74).
In der bereits erwähnten Metaanalyse von Steel (2007), bei der unter anderem auch der Zusammenhang von Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmalen untersucht wurde, ist ersichtlich, dass Gewissenhaftigkeit stark mit Prokrastination korreliert (r. -.62, p.lt; .001). Als eine Facette des Persönlichkeitsmerkmals Gewissenhaftigkeit zeigt der Faktor Selbstkontrolle gleicherweise eine hohe negative Korrelation auf (r. -.58, p.lt; .001). Beim Merkmal Neurotizismus wurde eine schwache bis leichte Kohärenz mit Prokrastination festgestellt (r. .24, p.lt; .001). Bei den Persönlichkeitsfaktoren Extraversion und Verträglichkeit ist eine identische geringe Korrelation erkennbar (r. -.12, p.lt; .001). Zuletzt ist in dieser Studie deutlich, dass der Big-Five-Faktor Offenheit für neue Erfahrung den schwächsten Zusammenhang mit Prokrastinationsverhalten darlegt (r. .03, p.lt; .001). Steel (2007) konnte mit seiner Metaanalyse einen schwachen nicht signifikanten Zusammenhang von Geschlecht und Prokrastination bestätigen (R[2]. .01, F.1, 125) = 1.86, p. .18).
Den teils unterschiedlichen Ergebnissen des aktuellen Forschungsstands zum Zusammenhang der Konstrukte Prokrastination und Persönlichkeitsmerkmale zufolge ist ersichtlich, dass es hier noch einer weiteren Nachforschung bedarf. Auf Grundlage dieser wissenschaftlichen Ergebnisse werden für diese Studie folgende Hypothesen aufgestellt:
Hypothese 1:
Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Pro- krastination.
Hypothese 2:
Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Neurotizismus und Prokras- tination.
Hypothese 3:
Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen Extraversion und Prokrasti- nation.
Hypothese 4:
Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen Offenheit für neue Erfahrung und Prokrastination.
Hypothese 5:
Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen Verträglichkeit und Prokras- tination.
Die Forscher Dan Ariely und Klaus Wertenbroch (2002) führten zwei Studien am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit Studierenden zum Prokrastinationsverhalten und Selbstkontrolle durch. Sie untersuchten wie sich die Leistungsverhältnisse der Probanden verändern, wenn sie sich diese eigenständigen Fristen für Abgaben setzen oder ihnen diese Abgabefristen vorgegeben werden. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die Selbstkontrolle bei selbstgesetzten Fristen sinkt und das pathologische Aufschiebeverhalten häufiger auftritt als bei vorgegeben Abgabefristen. Zudem wurde in der Untersuchung eine effektive Leistungssteigerung bei vorgegebenen Abgabeterminen ersichtlich.
In einer aktuellen Studie führten Guoqing Liu, Gang Cheng, Juan Hu, Yun Pan und Shouying Zhao (2020) an der Guizhou Normal Universität in China eine Untersuchung zu akademischer Selbstwirksamkeit, Selbstkontrolle und Prokrastination durch. An der Studie nahmen 650 Masterstudierende teil, davon waren 351 weiblich und 226 männlich. Zur Messung der Ausprägungen der jeweiligen Faktoren füllten die Probanden einen Fragebogen aus, der sich aus dem Academic Self-Efficacy of Postgraduate Students Questionnaire (Li, 2010), dem Academic Self-Control Questionnaire (Zhang, 2006) und dem Academic Procrastination of Postgraduate Students Questionnaire (Hu, 2008) zusammensetzt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung berichten, dass Selbstkontrolle einen mittleren negativen Zusammenhang mit Prokrastination aufweist (r. -.42, p.lt; .01).
Aufgrund der bisherigen Forschung sowie der Annahme, dass Individuen mit einer ausgeprägten Selbstkontrolle seltener zu Prokrastination neigen, soll mit folgender Hypothese erneut untersucht werden, ob diese Annahme und die bisherigen Studien gestützt werden können:
Hypothese 6: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Selbstkontrolle und Prokrastination.
Der aktuelle Forschungsstand berichtet einen schwachen bis keinen Zusammenhang des Geschlechts zum Prokrastinationsverhalten (vgl. Karatas, 2015; Steel, 2007). Die Forscherin Sichan He (2017) hat im Zuge ihrer Studie zur Prokrastination folgende Ergebnisse zu Geschlechterunterschie- den und dem Alter der Probanden erzielt. Zum einen konnte sie feststellen, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Studierenden hinsichtlich der Prokrastination gibt (t.199) = .28, p. .79), zum anderen ergab ein Ergebnis ihrer Studie, dass unter 20-jährigen Studierenden den höchsten und Studierende zwischen 21 und 25 Jahren den zweithöchsten Prokras- tinationswert aufzeigten. In den höheren Altersgruppen machten sich niedrigere Werte von Prokras- tination deutlich. Insgesamt ergab die Untersuchung einen negativen Zusammenhang des Faktors Prokrastination und dem Alter (p = -.1, p.lt; .05). Den Ergebnissen ihrer Studie zufolge, sinkt die Prokrastination mit steigendem Alter des Studierenden. Aufgrund der geringen Forschungsgrundlage zu Geschlechter- und Altersunterschieden bei Prokrastinationsverhalten wird in dieser Untersuchung näher darauf eingegangen. Somit lassen sich die folgenden Hypothesen aufstellen:
Hypothese 7:
Weibliche und männliche Studierende unterscheiden sich hinsichtlich ihres Prokrastinationsverhaltens.
Hypothese 8:
Studierende unter 22 Jahren, Studierende zwischen 22 und 25 Jahren und Studierende ab einem Alter von 26 Jahren unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Prokrastination.
Einen Neuheitsaspekt, den die vorliegende Arbeit zur Thematik Prokrastination aufbringt, ist zu untersuchen, ob sich die Ausprägung des Prokrastinationsverhaltens innerhalb der Studiensemester unterscheidet. Daher wird folgende Annahme getroffen:
Hypothese 9:
Studierenden in Anfangs-, mittleren und in höheren Semestern unterscheiden sich hinsichtlich ihres Prokrastinationsverhaltens.
In diesem Kapitel wird die empirische Ausarbeitung der aufgestellten Hypothesen dargestellt. Einleitend erfolgt die Erläuterung der Stichprobe, gefolgt vom Untersuchungsdesign und - durchführung. Anschließend werden die Messinstrumente für die durchgeführte Untersuchung definiert und letztlich ein Überblick zur Datenaufbereitung und den statistischen Verfahren gegeben.
Da bei der vorliegenden Arbeit der Fokus auf der akademischen Prokrastination liegt, besteht die Stichprobe ausschließlich aus Studierenden. Für diese Studie wurden Teilnehmende aus allen Semestern und aus diversen Fachbereichen von verschiedenen Universitäten und Hochschulen Deutschlands befragt. 30 % der Probanden befinden sich im Anfangssemester (1. bis 2. Semester), 34 % im 3. bis 5. Semester und 36% bereits im 6. oder höheren Semester. Die Befragung erfolgte mittels eines Fragebogens der im Online-Campus der FOM veröffentlicht und auch über soziale Netzwerke geteilt wurde. Insgesamt nahmen 512 Probanden (N. 512) an der Untersuchung teil. Alle Teilnehmenden, welche die Befragung abgebrochen haben und auch solche, die die Überprüfungsfrage Studierender zu sein verneinten, wurden aus dem Datensatz entfernt. Demnach ergab sich eine Anzahl der Befragten von 409 Studierenden (N. 409). Die Stichprobe setzt sich aus 32 % männlichen und 68 % weiblichen Probanden zusammen. Die zu geringe Stichprobe des Geschlechts divers (n°.°2), kann die Repräsentativität der Stichprobe nicht gewährleisten und verursacht möglicherweise eine Verzerrung der Ergebnisse. Aus diesem Grund wird das Geschlechtsmerkmal divers nicht weiter in die Untersuchung miteinbezogen und es ergibt sich letztlich eine Anzahl der Teilnehmenden von 407 Studierenden (N. 407) (Döring & Bortz, 2016). Die Alterspanne der Studierenden, die an der Untersuchung teilnahmen, beträgt 17 bis 57 Jahre (M. 25.54, SD. 6.97).
Die im Zuge dieser Arbeit durchgeführte Studie liegt einem quantitativen wissenschaftstheoretischen Ansatz zugrunde. Zudem ist das Erkenntnisziel auf dem diese empirische Untersuchung basiert, grundlagenwissenschaftlich. Es wurden eigene Daten erhoben und keine Messwiederholung durchgeführt. Folglich handelt es sich hierbei um eine Erweiterung des wissenschaftlichen Kontextes und eine Querschnittsstudie (Döring & Bortz, 2016, S.183). Bei dieser Untersuchung wurde eine Stichprobe aus Studierenden mittels eines Online-Fragebogens zum Zusammenhang von Prokrasti- nation und Persönlichkeitsmerkmalen befragt. Die Probanden nahmen zu einem beliebigen Zeitpunkt und in einem nicht kontrollierbaren Umfeld (Zuhause oder Unterwegs) an der Befragung teil, sodass diese Untersuchung als Feldstudie definiert wird.
Der Ablauf der Studie gliedert sich wie folgt. Die Erfassung der Daten für diese empirische Studie erfolgte mittels einem vollstandardisierten Online-Fragenbogen via soscisurvey. Diese Methode wurde gewählt, da eine Online-Befragung einerseits eine zeitliche und räumliche Unabhängigkeit bietet und andererseits, mit geringem bis gar keinem finanziellen Aufwand verbunden ist. Zudem ist die Fehleranfälligkeit hierbei geringer, als bei einer manuellen Datenerhebung (Wagner & Hering, 2014, S. 662). Der Fragebogen setzt sich neben den demographischen Angaben, wie beispielsweise Alter, Geschlecht und Berufstätigkeit, zusätzlich aus drei Skalen zusammen. Die Prokrastination erfasst der Academic Procrastination State Inventory (APSI-d) von Helmke und Schrader (2000). Die Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale wird mit dem NEO-FFI-30 (Körner et al., 2008) gemessen und die Selbstkontrolle der Probanden wurde mit der deutschen Version der Self-Control Skala (Seipel, 2014) ausgewertet. Der Link zum Fragebogen wurde über den Online Campus der FOM München, aber auch durch unterschiedliche soziale Medien an so viele Personen wie möglich weitergeleitet. Alle Probanden, die an der Umfrage teilnahmen, wurden zu Beginn darauf aufmerksam gemacht, dass die Befragung zum Schutz von personenbezogenen Daten anonym ist. Die Bearbeitungsdauer des Fragebogens betrug ca. 10 bis 15 Minuten. Letztlich erstreckte sich der Befragungszeitraum vom 02.02.2021 bis zum 19.03.2021.
Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt erläutert, wurden die Daten für die vorliegende Arbeit mithilfe eines Fragebogens (siehe Anhang A) erhoben. Dieser setzt sich aus vier Erhebungsinstrumenten zusammen. Nach einer kurzen Einleitung beginnt der Fragebogen mit soziodemographischen Fragen, gefolgt von den jeweiligen Skalen zur Prokrastination und abschließend den Persönlichkeitsmerkmalen. Insgesamt besteht der Fragebogen aus 84 Items.
Das erste Erhebungsinstrument, bestehend aus neun Items, ist der soziodemographische Teil des Fragebogens. In diesem Teil werden die Probanden unter anderem zu ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer Beschäftigung befragt. Die nächsten 22 Items des Fragebogens sind dem APSI-d von Helmke und Schrader (2000) zuzuordnen. Der APSI-d erfasst das Prokrastinationsverhalten des Probanden. Die Skala beruht auf der niederländischen Fassung des Academic Procrastination State Inventory (APSI) von Schouwenburg (1995) und wurde von Helmke und Schrader (2000) ins Deutsche übersetzt. Der APSI-d misst den Mangel an Unverzüglichkeit, also das Verschieben des Beginns von Aufgabenerledigungen und den Vorzug anderer konkurrierender Aufgaben. Der APSI-d gliedert sich in die drei Subdimensionen: State-Prokrastination im engeren Sinne, Angst und Unsicherheit, sowie Abneigung. Um Antworttendenzen entgegenzuwirken ist das Item „Sie sind/haben auch tatsächlich den Stoff gelernt, den Sie sich vorgenommen hatten“ in der Subdimension State-Prokrastination im engeren Sinne, negativ gepolt und musste für die Auswertung umgepolt werden. Die Beantwortung der Items erfolgt auf einer fünf-stufigen Likert-Skala von „niemals“ bis „immer/ständig“. Um einschätzen zu können wie stark die Items der Skala durchschnittlich miteinander korrelieren, wurde die Reliabilität des APSI-d mit dem Koeffizienten Cronbachs Alpha (a) ermittelt und ergab eine gute interne Konsistenz mit Werten zwischen a=.82 bis a = .89 (Helmke & Schrader, 2000).
Die zweite Skala des Fragebogens ist die deutsche Version der Self-Control Skala nach Seipel (2014). Sie beinhaltet 23 Items und misst die Ausprägung von Selbstkontrolle bei Probanden. Entwickelt wurde die Self-Control Skala von Gottfredson und Hirschi (1990) basierend auf der General Theory of Crime (GTOC) und den Kontrolltheorien. Die GTOC nimmt an, dass deviantes Verhalten durch eine Kosten-Nutzen-Abwägung eintritt und demnach rationalem Handeln zugeordnet werden kann. Darüber hinaus neigen Individuen mit einer geringen Ausprägung an Selbstkontrolle dazu, verschiedenste Formen abweichenden Verhaltens aufzuzeigen, sofern sich die mögliche Gelegenheit hierzu anbietet (Gottfredson & Hirschi, 1990). Grasmick, Tittle, Bursik, und Arneklev (1993) entwickelten auf dieser Grundlage die amerikanische Version der Self-Control Skala und entfernten nach einigen Analysen ein Item. Später übersetzte Seipel für eine eigene Untersuchung (1999, 2000) die amerikanische Version von Grasmick, et al (1993) ins Deutsche. Die Skala erfasst die sechs Subskalen: Impulsivität (Impulsivity), einfache Aufgaben (Simple Tasks), risikoreiches Verhalten (RiskSeeking), körperliche Aktivität (Physical Activities), Selbstbezogenheit (Self-Centered) sowie Gereiztheit (Temper). Die Gütekriterien zeigen bezüglich der Reliabilität nach Cronbachs Alpha für die Subskalen einen Wert von a= .44 bis .76 und einen Gesamtwert aller Items von a= .68 auf. Somit ist die interne Konsistenz der Subskalen aufgrund der niedrigen Itemanzahl allgemein als zufriedenstellend zu beurteilen (Döring & Bortz, 2016, S. 271). Für die Beantwortung der Items sind fünfstufige Ratingskalen 1 = „trifft überhaupt nicht zu“, 2 = „trifft eher nicht zu“, 3 = „trifft gelegentlich zu“, 4 = „trifft eher zu“, 5 = „trifft voll und ganz zu“ vorgesehen (Seipel, 2014).
Die letzte Skala des Fragebogens ist das NEO Five Factor Inventory 30 Item Short Version (NEO-FFI-30), eine Kurzversion des NEO-FFI von Costa und McCrae (1992). Das von Costa und McCrae (1992) entwickelte NEO-FFI zur Messung von Persönlichkeitsmerkmalen ist ein international einge-setztes Verfahren und wurde 1993 von Borkenau und Ostendorf ins Deutsche übersetzt. Dieses Verfahren überprüft die Ausprägungen der Merkmale Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit mit insgesamt 60 Items. Die Kurzform des NEO-FFIs basiert auf den Item-, Skalen- und Faktorenanalysen der ursprünglichen 60-Item-Ver- sion des NEO-FFI (Körner et al., 2008). Das Inventar besteht nun aus 30 Items mit je sechs Items pro Subskala. Die Antwortangabe für die Skala besteht aus einer vierstufigen Ratingskala mit 0 für „starke Ablehnung“ bis 4 für „starke Zustimmung“. Körner et al. (2008) konnten insgesamt eine akzeptable interne Konsistenz dieses Inventars anhand einer deutschen Bevölkerungsstichprobe (N. 1908) mittels Cronbachs Alpha ermitteln und erzielten Werte zwischen a = .67 und a = .81. Die Dimension Neurotizismus zeigte hier eine Reliabilitätsstärke von α = .81 und demnach eine gute interne Konsistenz. Die Analyse für das Persönlichkeitsmerkmal Gewissenhaftigkeit ergab einen Wert von α = .78. Für die Dimensionen Verträglichkeit und Extraversion konnte jeweils eine Reliabilitätsstärke von α = .75 und α = .72 gemessen werden und demnach sind alle drei Werte als akzeptabel einzustufen. Die niedrigste interne Konsistenz mit α = .67 wurde beim Persönlichkeitsmerkmal Offenheit für neue Erfahrung festgestellt und ist demnach als kritisch einzuordnen.
[...]
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare