Bachelorarbeit, 2020
147 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung: Kiezdeutsch, Türkenslang oder Kanak Sprak?
2.1 Kiezdeutsch als Multiethnolekt des Deutschen
2.2 Phänomene des Kiezdeutschen
2.2.1 Fremdwörter als Teil des Kiezdeutschen
2.2.2 Reduktion von Präpositionen und Artikeln
2.2.3 Neue Aufforderungswörter und neue Verwendungen der Partikeln
3. Was sind Partikeln?
4. So und seine Verwendungen
4.1 So als Intensitätspartikel
4.1.1 So als Vergleichsauslöser
4.2 So in Verbindung mit Konjunktionen
4.3 So als Heckenausdruck
4.3.1 Unschärfesignale: Und so/oder so
4.4 So als Quotativmarker
4.5 So als Fokuspartikel
4.6 So als Interjektion
5. Methodik
5.1 Datenbeschreibung: Das KiezDeutsch-Korpus
5.1.1 Abkürzungen im KiezDeutsch-Korpus
5.2 Vorgehen
5.3 Klassifizierung von so in Kategorien
6. Ergebnisse
6.1 Verwendungen von so im KiezDeutsch-Korpus
6.2 Positionierungen im Fokuspartikelgebrauch
7. Diskussion
8. Fazit
9. Quellen- und Literaturverzeichnis
10. Abbildungsverzeichnis
11. Anhang
„Dis find ich voll cool so. Is voll gechillte Beziehung, Mann, Alter. Is voll witzige. Man kann auch Scheiße reden so, alles, so Blödsinn so machen so“ (Wiese 2012: 95).
Das einleitende Zitat stammt aus einer Konversation zwischen jungen Erwachsenen des Stadtviertels Berlin-Kreuzberg. Diese Jugendlichen sprechen kein falsches Deutsch oder sind Teil des Verfalls der deutschen Sprache. Nein, sie sprechen Kiezdeutsch. Sobald man sich im urbanen Raum aufhält, wird man mit diesem Phänomen an jeder Ecke konfrontiert. Aufgrund von grammatischen Besonderheiten, Neuerungen im Wortschatz und Veränderungen der kodifizierten grammatischen Normen hebt sich Kiezdeutsch von unserer gewohnten Art des Sprechens ab. Aufgrund dessen steht es auch sehr häufig in der Kritik. Die Germanistin Heike Wiese (2012) bezeichnet diese verbreitete Varietät als Kiezdeutsch und hebt sich dadurch von den vorherigen Forschungsarbeiten ab. Denn Arbeiten von Auer (2003), Kern (2013) oder Zaimoglu (2011) untersuchen diese Sprachvariation häufig in Verbindung mit der türkischen Sprache. Wiese hingegen betitelt es in ihrer Forschung als einen neuen deutschen Dialekt, der sich in multiethnischen, urbanen Wohnvierteln wie Berlin-Kreuzberg entwickelt hat. Bis heute ist sie die führende Forscherin und es gibt kaum vergleichbare Arbeiten auf diesem Fachbereich.
Das zu Beginn angeführte Zitat verdeutlicht die Unterschiede zu unserer alltäglichen Sprache. Diese Wahrnehmung ist besonders der Verwendung der Partikel so geschuldet, die im Kiezdeutschen an vermeintlich ungewohnten Positionen eingesetzt wird. Die Verwendung von so im Rahmen des multiethnischen Dialekts Kiezdeutsch ist bisher nicht ausreichend untersucht worden. Zu nennen wären hier Forschungen von Heike Wiese (2008), die sich jedoch hauptsächlich auf den Gebrauch von so als Fokuspartikel beschränkt hat oder Jannendy (2010), die jedoch ihr Hauptaugenmerk auf die Genderfrage in der Verwendung von so im Kiezdeutschen gelegt hat. In dieser Arbeit soll herausgestellt werden, wie so im Kiezdeutschen generell verwendet wird. Dabei sollen alle möglichen Verwendungen betrachtet werden. Welche Besonderheiten treten auf, die in der Standard- und Umgangssprache nicht vorkommen? Hierbei soll ebenfalls das Markieren eines Fokus durch die Partikel so noch einmal hervorgehoben werden. Die Position von so in diesem Gebrauch kann jedoch stark variieren und es soll gezeigt werden, welche Verwendung am häufigsten auftritt und was somit die Norm ist. Es soll außerdem verdeutlicht werden, in welchen Zusammenhängen es an einer bestimmten Stelle positioniert wird. Da es zu wenige Arbeiten auf diesem Gebiet gibt, auf die sich gestützt werden könnte, sollen die Daten anhand einer quantitativen Forschung im Rahmen einer Korpusuntersuchung erhoben werden.
Um eine Basis zu schaffen, soll zunächst eine Begriffserklärung erfolgen. Wie hat sich diese Varietät in der Forschung entwickelt und womit haben wir es hierbei zu tun? Dies soll anhand einiger Beispiele, die das Kiezdeutsche charakterisieren, untermauert werden. Da sich diese Arbeit auf so in seinem Gebrauch als Partikel fokussiert, wird ebenfalls eine kurze Definition von Partikeln im weiteren Sinne erfolgen. Darauf aufbauend werden die Verwendungen von so vorgestellt, die im Kiezdeutschen und somit auch für die darauffolgende Forschung von Relevanz sind. Selbstverständlich wird so diesbezüglich in seinen kodifizierten Verwendungen auftauchen, jedoch liegt der Hauptfokus auf den Verwendungen, die besonders im Rahmen der Jugend- und Umgangssprache auftauchen und demnach nicht in Grammatiken zu finden sind. Die Theorie soll als Basis für die darauffolgende Forschung fungieren, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit Bezug genommen wird. Anschließend wird die Methodik und das Vorgehen der Korpusuntersuchung dargelegt und das verwendete Korpusprogramm kurz vorgestellt. Dies soll einen Einblick in die Daten bieten, die nachfolgend in Form einer Stichprobe ausgewertet werden. In der Diskussion soll mithilfe des theoretischen Teils eine Wertung und Analyse der Forschung erfolgen und ebenso geklärt werden, was mit dieser nicht erreicht werden konnte, d.h. wo ihre Grenzen liegen. Ein abschließendes Fazit fasst sowohl die Theorie als auch die Empirie noch einmal gebündelt zusammen.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich für diese Art des Sprechens die verschiedensten Bezeichnungen entwickelt. Wie sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, überwiegt besonders das Türkische in dieser Varietät. Daher ist es nicht verwunderlich, dass lange Zeit Bezeichnungen wie Türkenslang (Auer 2003), Kanak Sprak (Zaimoglu 2011) oder Türkendeutsch (Androutsopoulos 2001; Kern 2013) in der Forschung dominierten. Problematisch bei diesen Begriffsbestimmungen ist jedoch, dass sie sich sehr stark auf eine spezifische Gruppe beschränken. Wiese stellt in ihren Arbeiten fest, dass nicht nur das Türkische seinen Platz im Kiezdeutschen gefunden hat, sondern auch anderen Sprachen wie Arabisch und Kurdisch. Darüber hinaus sind Begriffe wie Kanak Sprak häufig negativ konnotiert und werten seine Sprecher ab. Außerdem wird dieser Sprachgebrauch als eine eigene Sprache bzw. Sprak bezeichnet und somit vom Deutschen isoliert. Ähnliches gilt für Türkenslang oder Türkendeutsch, denn sie grenzen ihre Sprecher ebenfalls ethnisch ein (vgl. Wiese 2012: 17). Dirim und Auer erkennen in ihrer Arbeit, dass diese Jugendsprache nicht nur bei Kindern und Jugendlichen auftritt, deren Eltern/Großeltern aus anderen Ländern als Deutschland stammen (vgl. Dirim & Auer 2004: 204). Es handelt sich somit eben nicht um eine Varietät, die sich allein durch das Türkische entwickelt hat. Nicht nur zugezogene Deutsche bedienen sich dieser Varietät, sondern ebenso Jugendliche, die keine zweite Muttersprache wie Türkisch oder Arabisch erlernt haben. Deutsch hat somit ebenfalls einen enormen Einfluss auf diese Varietät, weshalb Bezeichnungen wie Türkendeutsch, Türkenslang oder Kanak-Sprak einen falschen Eindruck vermitteln (vgl. Wiese 2012: 16f.). Die Bezeichnung als Kiezdeutsch bietet einen neutralen Zugang zu dieser Thematik. Sie grenzt weder ein, noch wertet sie ab. Dieser Terminus resultierte aus einem Interview mit Jugendlichen aus Berlin-Kreuzberg. Ihnen wurde die Frage gestellt, wie sie ihren Sprachgebrauch bezeichnen würden und sie sagten, dass es einfach die Sprache sei, die man hier im Kiez spreche. Die Bezeichnung als Kiezdeutsch verdeutlicht, dass es sich um „eine informelle, alltagssprachliche Form des Deutschen handelt“ (ebd.: 15) und zeigt darüber hinaus, dass es eine Varietät des Deutschen und eben kein Türkenslang ist.
Es ist wichtig, Sprache als einen Prozess zu verstehen und nicht als ein festgeschriebenes Gesetz. Es ist ein normaler Bestandteil einer Sprache, dass sich im Laufe der Zeit Variationen entwickeln, die von der entwickelten Sprache1 abweichen. Durch den Gebrauch der Sprechergemeinschaft wird eine Sprache erst lebendig und kann sich daher durch Variationen der Sprecher verändern. Durch die Variationen der Sprechergemeinschaften entstehen neue Stile und Dialekte, wodurch sich in den letzten Jahrhunderten neue Fremdwörter in den Wortschatz integriert, Lautstrukturen verändert und/oder Wörter ihre alte Bedeutung verloren haben (vgl. Wiese 2012: 41). Auf diesen Prozess hat der Einzelne keinen Einfluss, denn dieser Prozess geschieht automatisch, d.h. durch unbewusste Verbreitung einer Variante in einer spezifischen Sprechergemeinschaft. Kiezdeutsch ist daher kein falsches Deutsch, wie es oft betitelt wird, sondern eine Varietät der deutschen Sprache und kein Indiz für den Sprachverfall. Nun stellt sich selbstverständlich die Frage, was Kiezdeutsch jetzt genau ist, wie es entstanden ist und was es ausmacht. Kiezdeutsch ist hauptsächlich bei Jugendlichen in urbanen, multiethnischen Wohngegenden verbreitet und zählt daher zu den Jugendsprachen. Die Neuerungen, die im Folgenden noch erläutert werden, lassen vermuten, dass sich hauptsächlich Jugendliche dieser Varietät bedienen, die in einem multiethnischen Familienumfeld aufgewachsen sind. Das Besondere ist jedoch, dass sich ebenfalls Jugendliche dieser Varietät bedienen, die außerhalb multiethnischer Wohngebiete aufgewachsenen sind. Diese Jugendsprache hat sich im Laufe der Zeit in den verschiedensten Wohngebieten verbreitet und bildet eine Varietät des Deutschen, die systematische, grammatische Eigenheiten vorbringt (vgl. ebd.: 45).2
Dass das Türkische einen starken Einfluss auf die Entwicklung von Kiezdeutsch hat, wurde bereits erwähnt. Durch den Einfluss der Gastarbeiter mit hauptsächlich türkischer Herkunft entwickelte sich in den 50er bis 70er Jahren eine Sprechweise, die von bestimmten Sprechern „mit einer oder mehreren nicht-deutschen ethnischen Gruppen assoziiert wird“ (Auer 2003: 256). Es handelt sich hierbei um eine Varietät einer Sprache, die ihre Sprecher verwenden und sich damit einer bestimmten ethnischen Gruppe zuweisen. Durch die Verwendung dieses Ethnolekts verdeutlichen die Minderheiten ihren Minderheitenstatus innerhalb eines Landes, in dem eine andere Sprache den Standard prägt (vgl. Freywald et al. 2011: 54). Ein Ethnolekt kann in den verschiedensten Formen auftreten. Auer (2003) beschäftigt sich mit dem primären, sekundären und tertiären Ethnolekt und inwieweit diese zusammenhängen.3 Der primäre Ethnolekt ist der, der sich in deutschen Großstadt-„Ghettos“ entwickelt hat und der meist auf Jugendliche der 2./3. Generation türkischer Gastarbeiter zurückzuführen ist (vgl. Auer 2003: 256). Dieser Ethnolekt ist am ehesten mit dem Kiezdeutschen verwandt und hatte einen direkten Einfluss auf seine Entwicklung. Untersuchungen haben darüber hinaus gezeigt, dass sich der primäre Ethnolekt in multiethnischen und multilingualen Vierteln deutscher Großstädte auch bei nicht-türkischen Jugendlichen ausgebreitet hat. Der Ethnolekt wurde demnach im Laufe der Zeit de-ethnitisiert (vgl. ebd.: 263). Durch Migration der unterschiedlichsten Nationalitäten wurde Deutschland zu einem multikulturellen Land, was sich auch in der Sprache zeigt. Dies führte dazu, dass der Ethnolekt nicht nur bei deutschsprachigen Jugendlichen Anklang fand, sondern auch bei kurdischen und arabischen Muttersprachlern. Durch tägliche Kommunikation entwickelte sich eine neue Varietät. Kiezdeutsch ist somit kein einfacher Ethnolekt, sondern ein Multiethnolekt oder wie Wiese sagt ein multiethnischer Dialekt, der sich besonders durch seine Dynamik auszeichnet (vgl. Wiese 2012: 130). Man spricht dann von einem Multiethnolekt, wenn sich die Sprechweise durch spezifische Sprachmerkmale vom Standard abhebt und die Variablen nicht willkürlich sind, sondern einem System erliegen. Der Multiethnolekt muss sich dabei nicht zwangsweise auf eine Gruppe beschränken, sondern kann auf ein ganzes Viertel übertragen werden (vgl. Freywald et al. 2011: 51).
Zusammenfassend hat sich Kiezdeutsch bei Jugendlichen in multiethnischen Wohngebieten entwickelt und zählt somit auch zu den Jugendsprachen. Durch Neubildungen und Umdeutungen der Standardsprache grenzen sich die Jugendlichen von anderen ab (vgl. Neuland 1998: 74). Durch den Prozess der Stilverbreitung werden bestimmte Formulierungen an Jugendliche weitergegeben, die nicht in einem multiethnischen Familienumfeld aufgewachsen sind. Daraus resultiert, dass Kiezdeutsch nicht nur mit Bekannten gesprochen wird, die ebenfalls arabische Eltern haben. Kiezdeutsch wird mit seinen Freunden in der Schule gesprochen und dabei ist es nicht von Relevanz, welche Nationalität die Eltern haben (vgl. Wiese 2012: 14). Durch den Einfluss verschiedenster Sprachen, konnten neue Lautformen und Ortsangaben entstehen, Fremdwörter in das System integriert und bestimmte Satzstrukturen verändert werden. Der mehrsprachige Einfluss macht Kiezdeutsch somit zu einer sehr dynamischen Varietät, die sich umso schneller verändert und offen für Veränderungen ist. Zu erwähnen ist hingegen, dass besonders die Fremdwörter in ihrer Aussprache an das deutschsprachige Lautsystem angepasst werden und auch bei deren Positionierung im Satz werden die Regeln der kodifizierten Normen der deutschen Sprache eingehalten. Demnach wird zwar auf Zweit- und Muttersprachen zurückgegriffen, dies geschieht jedoch integrativ. Es erfolgt keine Sprachmischung oder Mischsprache, sondern die Formulierungen, die Positionen einiger Wortgruppen oder die Verwendung von Fremdwörtern werden an das deutsche Sprachsystem angepasst (vgl. ebd.: 41). Die Abb. 1 verdeutlicht, wie sich Kiezdeutsch nun zusammensetzt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Kiezdeutsch als Jugend- und Kontaktsprache (Wiese 2012: 46)
Zum einen ist es eben eine Jugendsprache, die häufig Anglizismen in ihren Sprachgebrauch aufnimmt und sich durch ihre Verwendung abgrenzt, aber zum anderen auch eine Kontaktsprache, die sich im Laufe der Zeit durch Ethnolekte und den Zweitspracherwerb entwickelt hat und durch den Einfluss verschiedenster Sprachen weiterentwickelt wird. „Diese Kombination aus Jugend- und Kontaktsprache macht Kiezdeutsch zu einem besonders interessanten sprachlichen Phänomen“ (ebd.: 46). Es ist somit keine Mischsprache oder Türkenslang, sondern ein Teil des Deutschen.
Um das eben Genannte zu veranschaulichen, folgen nun einige Beispiele, die aufzeigen, inwiefern sich Kiezdeutsch vom Standard unterscheidet und welche Besonderheiten es aufweist. Die Aufnahme von Fremdwörtern in die Alltagssprache der Jugendlichen, die Reduktion von Artikeln und Präpositionen sowie die Entstehung neuer Aufforderungswörter und Partikeln erscheinen auf den ersten Blick auffällig und sollen im Folgenden kurz aufgeführt werden.
In multiethnischen Bevölkerungszusammensetzungen werden häufig Übernahmen bestimmter Wörter oder sogar ganzer Äußerungen festgestellt. Die meisten Neuzugänge kommen aus dem Türkischen und Arabischen. Besonders das Türkische und seine Wendungen gehören in multiethnisch zusammengesetzten Jugendgruppen dazu und fungieren als eine Art Repertoire, auf das die Jugendlichen zurückgreifen können, wenn sie untereinander kommunizieren (vgl. Dirim 2005: 19f.). Es ist oftmals unumgänglich sich die neuen Wendungen im Kiezdeutschen anzueignen, da sich unter den Jugendlichen das Kiezdeutsche als Prestigeverwendung etabliert hat. Das Ignorieren dieser Verwendungen könnte zu Ausgrenzungen oder erfolgloser Kommunikation führen. Diese Ausdrücke werden dann geschickt in deutschsprachige Zusammenhänge integriert (vgl. ebd.: 20). Nun folgen einige Beispiele zur Verdeutlichung:
(1) Hätt ich die Kassetten vorher mitgenommen bilyon mu, hätt ich jetzt wieder eine fertig lan (ebd.: 22).
(2) Egal, was für ein Hiphopmusik isch höre, ey, mein Körper drinne tanzt voll, lan (Wiese 2012: 40).
Diese Beispiele zeigen die Verwendungen des Ausdrucks lan, was so viel bedeutet wie Typ oder Mann. Lan leitet sich von dem türkischen Wort ulan für Kerl ab, was meist eher negativ konnotiert ist (vgl. ebd.: 39). Diese Bezeichnung wird im Kiezdeutschen meist zur Beendigung einer Aussage eingesetzt (vgl. Dirim 2005: 22).
Besonders bei Ortsangaben kommt es im Kiezdeutschen zu Reduktionen von Präpositionen und Artikeln. In Äußerungen wie „Wir sind gleich Alexanderplatz“, „Ich steige heute Hauptbahnhof um“ (Wiese 2012: 54) oder „Ich geh Kino“ (Wiese & Pohle 2016: 172) wird der lokale Kontext durch eine alleinstehende Nominalphrase (NP) angegeben. Diese lokalen NPs werden besonders oft bei Angaben von Zielen öffentlicher Verkehrsmittel verwendet (ebd.). Wiese (2012) stellt fest, dass sich dieses Phänomen bereits in der Alltagssprache etabliert hat.4 Im Kiezdeutschen wurde dieses nun verallgemeinert und weiter ausgebaut. Diese Reduktion hat sich somit zum Teil aus dem bereits existierenden Phänomen und dem Einfluss des Türkischen entwickelt. Das Türkische verfügt nämlich über keine bestimmten Artikel und auch vor Substantiven wird keine Präposition verwendet. Daher passiert es des Öfteren, dass türkischsprachige Jugendliche sowohl Artikel als auch Ortangabe ausklammern. Es kann sich jedoch nicht um ein rein türkisches Phänomen handeln, welches übernommen wurde, denn im Türkischen wird die Präposition an das Substantiv angehängt und dies passiert im Kiezdeutschen nicht. Dies macht den alleinigen Einfluss des Türkischen eher unwahrscheinlich. Es handelt sich eher um eine deutsche Ausdrucksform, die sich im Kiezdeutschen weiterentwickelt hat (vgl. Wiese 2012: 56ff.).
(3) Yallah, lassma gehen!
(4) Musstu mal Pärschen-Date mit Sascha machen (ebd.: 64).
Diese neuen Ausdrücke suggerieren im Kiezdeutschen einen Vorschlag oder eine Aufforderung. Die Ausdrücke entstehen durch einen Verkürzungsprozess der Ausdrücke „Lass uns mal“ und „Musst du“ (vgl. Wiese 2006: 255). Sie fungieren als sogenannte Partikeln, die im Satz nicht verändert werden können. Das Besondere ist jedoch, dass die nun verflochtenen Wortarten (Verb und Personalpronomen) zu einer Einheit wurden, die zwar bei musstu auf dem Singulargebrauch „Musst du“ basieren, jedoch ebenso an mehrere Hörer gerichtet werden kann. Darüber hinaus scheint bei musstu auch die Position der Satzglieder im ersten Moment falsch, denn eigentlich müsste es „Du musst“ und nicht „Musst du – Musstu“ heißen. Diese Satzstellung kommt in vielen Dialekten des Deutschen vor und ist auf ein informelles, gesprochenes Deutsch zurückzuführen. Sie dienen in Sprechakten als Beschwichtigungs- oder Beruhigungsinstrument. Das Pronomen wird dann in der gesprochenen Sprache an das Verb angehängt. Im Kiezdeutschen wird diese Verwendung zu einer festen Partikel umfunktioniert und dient nicht mehr lediglich zur Beschwichtigung oder Beruhigung, sondern als eine Aufforderung (vgl. Wiese 2012: 65f.). Darüber hinaus spielen Partikeln im Bereich des Kiezdeutschen eine besondere Rolle. Nicht nur lassma und musstu, sondern auch die einfache Partikel so sind im Kiezdeutschen sehr präsent.
Partikeln werden meist nur in der gesprochenen Sprache verwendet und können die verschiedensten Funktionen abdecken. So gibt es Grad-, Fokus-, Negations- oder Abtönungspartikel. Besonders auffällig ist die Kürze der Partikeln (vgl. Duden 2016: 870). Diese Wortart hat keine spezifische Funktion im Satz, sondern ist stets Teil eines Satzgliedes. Sie können das zugehörige Satzglied durch ihre Präsenz intensivieren oder abtönen (vgl. Hennig 2006: 421). Durch diese engere Auffassung des Partikelbegriffs fungiert er nicht mehr als Sammelbecken für alle nicht-flektierbaren Wortarten wie Adverbien oder Präpositionen.
Um eine Forschung auswerten zu können, sollten die verschiedenen Verwendungen des Wortes so, die im Rahmen des Kiezdeutschen von Relevanz sind, aufgezeigt werden. Bisher gibt es kein Werk, welches alle Verwendungen von so auflistet (weder im Standard, noch rein im Kiezdeutschen) und einer bestimmten Kategorie zuordnet. Eine gute Übersicht bieten u.a. Ehlich (1987), Sandig (1987), Auer (2006) und die üblichen Werke wie der Duden (2016) etc. Die einzelnen so -Konstruktionen werden aber immer nur unter einem spezifischen Gesichtspunkt betrachtet. So erläutert Ehlich das sprachliche Handeln und die deiktische Funktion von so oder Sandig fokussiert sich auf die Korrelation von wenn…so. So ist ein klassisches Beispiel für die Unschärfe der Kategorisierung und zeigt dahingehend, dass das Sprachsystem kein festes Regelwerk besitzt (vgl. Ehlich 1987: 283). Da so in der Rangliste der hochfrequenten deutschen Wortformen den 22. Platz einnimmt (vgl. Thurmair 2001: 27) und dies in den unterschiedlichsten Verwendungen, ist es schwierig so einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Die nun folgenden Verwendungen beziehen sich explizit auf den kiezdeutschen Gebrauch und sind somit teilweise besonders in der Jugendsprache vertreten.
Eine der wohl bekanntesten Verwendungen von so ist die Verwendung als Intensitätspartikel. Diese so -Konstruktion finden wir sowohl in der gesprochenen Sprache als auch in schriftlicher Form jeder Altersklasse. Anders als bei den folgenden Verwendungen beschränkt sich die Intensitätspartikel nicht auf den jugendsprachlichen Gebrauch. Die Intensitätspartikel wird dann verwendet, wenn eine bestimmte Norm (meist die Normalform) erheblich überschritten wird.
(5) Das wird so toll (3846, MuH1WD)!5
(6) Warum hat Holland eigentlich so schlecht gespielt (4442, MuH23MT)?
So hat hier eine ähnliche Funktion wie sehr. Der Sprecher geht davon aus, dass der Hörer seinem Appell folgen kann. Er muss sich durch seine Erfahrungen die Überschreitung der Norm vorstellen können (vgl. Burkhardt 1987: 302). Das Verb, Adjektiv oder Substantiv wird durch ein vorangestelltes so intensiviert. Sie geben somit an, welchen Intensitätsgrad ein Sachverhalt erhalten soll. Sie können darüber hinaus betont werden, um den Grad einer Eigenschaft oder eines Sachverhalts noch stärker zu markieren. Intensitätspartikel können nicht alleine ins Vorfeld geschoben werden, d.h. sie sind von einem Teil des Satzes abhängig (vgl. Duden 2016: 870).
Eine ähnliche Verwendung wie die als Intensitätspartikel weist so in vergleichenden Aussagen auf. Diese Kategorie ist ebenfalls eine standarddeutsche Verwendung. So wird nicht nur als alleinstehende Wortform verwendet, sondern auch als Korrelat in bestimmten Ausdrücken, die gleich weiter ausgeführt werden. So taucht besonders häufig im Vergleichskontext mit einer Konjunktion auf. Nach Eisenberg fungiert so auch als eine Konjunktion, die zusammen mit wie den „zentral stehenden Eigenschaftsterm“ (Eisenberg 1986: 332) einrahmt. In diesem Fall verweist so
„deiktisch auf die wie-Gruppe als Komparationsbasis, aus der bezüglich des Vergleichsaspektes ein Ausprägungsgrad abzuleiten ist, der mit dem Ausprägungsgrad der Eigenschaft, der für das Komparandum anzusetzen ist, in Beziehung zu bringen ist“ (Thurmair 2001: 28).
So fungiert somit als Vergleichsauslöser, der meist auf das Komparandum folgt und vor dem Vergleichsaspekt (Adjektiv/Adverb) steht.
(7) Das ist ungefähr so groß wie deins (3914, SPK45).
(8) Und das […] hieß für mich so viel wie […] (4083, SPK8).
In den Beispielen (7) und (8) wird das Komparandum nicht ausgeführt, da es in den vorherigen Aussagen bereits thematisiert wurde. So verweist somit auf das Wort im Satz, das als Vergleichsaspekt dienen soll.
Darüber hinaus kann so gemeinsam mit einer Konjunktion auftauchen und als Korrelat fungieren. In diesem Fall wird ebenfalls auf einen Vergleich hingewiesen, welcher jedoch nicht explizit genannt werden muss. Die Vergleichsangabe erfolgt durch einen Nebensatz (vgl. Thurmair 2001: 30). So nimmt hierbei jedoch nicht die Funktion einer Partikel, sondern eines Adverbs ein. Korrelate sind Ausdrücke, die mit den verschiedensten Nebensätzen oder Infinitiv- und Partizipialgruppen auftreten. Die Adverbien so und dann gelten als die relevantesten Korrelate des Deutschen (vgl. Eisenberg 1986: 344).
(9) So lange, dass wir 100 Euro bezahlen mussten (3744, SPK45).
(10) Und er sah so aus, als wenn er liest […] (3765, SPK45).
(11) […] dann müssen wir es halt irgendwie noch so machen, dass entweder ich noch mal komme oder du nochmal (3947, MuH1WD).
Die Beispiele verdeutlichen, wie so gemeinsam mit Konjunktionen auftauchen kann. Durch die Positionierung von so im Hauptsatz als Vorfeldbesetzung für den darauffolgenden Nebensatz dient es als Bindungsglied zwischen beiden Teilsätzen (vgl. Hennig 2006: 416). So taucht demnach mit Konsekutivsätzen (so + X + dass) oder als komparativer Konnektor (so + X + als) (vgl. Duden 206: 1811) auf. Beispiel (9) verdeutlicht die eben genannte Vergleichsangabe und intensivierende Meinung von so im konsekutiven Gebrauch. Im Nebensatz wird eine bestimmte Hinsicht als Maßstab genannt, an dem die vorab durch so eingeleitete Intensität gemessen wird (vgl. Burkhardt 1987: 302). Anders verhält es sich im Beispiel (10). So dient nicht als einleitende Vergleichsangabe, hängt aber dennoch ebenfalls mit der Konjunktion dass zusammen. Darüber hinaus kann so einen Nebensatz einleiten, welcher ohne eine Konjunktion beginnt, jedoch auch eine Korrelatfunktion einnimmt.
(12) Also bei mir ist das immer so, ich habe auch keinen Bock […] (3737, MuH1WD)
In diesem Beispiel scheint der Konsekutivmarker dass irrelevant für das Verständnis zu sein. Jugendsprache lebt von Verkürzungen einiger Wörter oder Suffixen (vgl. Neuland 2008: 64). Der Satz hätte auch wie folgt lauten können: „Also bei mir ist das immer so, dass ich auch keinen Bock habe“. Die Formulierung ist eine Zusammensetzung aus Konsekutivsatz und Quotativ-Einleitung (siehe 4.4).
Die Partikel so kann aber auch ohne intensivierende Wirkung oder folgenden Nebensatz auftauchen. In der nun folgenden Verwendung steht so selten vor Adverbien oder Adjektiven, sondern taucht meist in Verbindung mit Verbal- oder Nominalphrasen auf (vgl. Umbach & Ebert 2009: 161).
(13) Also da gibt es nicht einmal so eine große Auswahl (3728, MuH1WD).
(14) Ich würde gerne so eine haben (3729, SPK4).
(15) Du warst schon immer so ein Bücherkind (3731, MuH1WD).
Diese Beispiele sind aus einer Unterhaltung zwischen zwei Jugendlichen entnommen, die sich über ihre Stadtbibliothek und deren Bestände unterhalten. So erscheint hier zusammen mit einer NP, die mit einem indefiniten Artikel eingeleitet wird. Thurmaier ist der Ansicht, dass es sich hierbei um eine Verkürzung handele, die sich im Laufe der Zeit besonders in der Jugendsprache entwickelt habe (vgl. Thurmair 2001: 38). Besonders am Beispiel (14) ist dies gut zu erläutern. Der Sprecher möchte ausdrücken, dass er gerne so eine Bibliothek haben würde, wie es sie in den großen Städten gibt. Der Vergleich mittels der Konjunktion wie bleibt in den oberen Beispielen hingegen offen. Es wird vom Sprecher vorausgesetzt, dass der Hörer in der Lage ist, den genannten Begriff in Vergleich mit dem prototypischen Vertreter zu setzen. So bezieht sich in diesem Fall auf „eine begleitende nonverbale Handlung, die hinsichtlich eines Aspektes (und zwar des auffallendsten) mit dem Geäußerten gleichzusetzen ist“ (ebd.: 37). Die Partikel so fungiert hier somit als ein sogenannter Heckenausdruck oder auch Hedging-Ausdruck, der eine Situation unscharf abbildet. Aus diesem Grund werden Heckenausdrücke ebenso als Unschärfeausdrücke bezeichnet. Durch den indefiniten Artikel wird das Substantiv nicht genauer bestimmt und verbleibt unscharf. Die Verbalphrase wird durch diese so -Konstruktion ebenfalls unscharf bestimmt.
(16) […], wo wir dann mit diesem Floß dann da immer so rumgefahren sind (3802, MuH1WD).
(17) Und wir mussten uns da so ranziehen […] (3808, MuH1WD).
So wird in den Beispielen (16) und (17) nicht deiktisch verwendet. Taucht so gemeinsam mit einer Verbalphrase auf, so wird es als situativer Verweis bezeichnet und verweist auf das nach ihm folgende Verb. Aus diesem Grund bezeichnet Jannedy diese Verwendung bspw. als referential use of so (vgl. Jannedy 2010: 50). Es handelt sich jedoch ebenfalls um Heckenausdrücke. Ähnlich verhält es sich bei Zeit- oder Mengenangaben (vgl. Umbach & Ebert 2009: 162):
(18) Nur so vier Sachen oder so und er leiht sich immer zehn oder mehr aus (3750, SPK45).
(19) […] Dann drucken die einen die so einen ellenlangen Zettel aus, mit ungefähr so 30 oder 40 Sache drauf (3752, SPK45).
Der Sprecher möchte in den Beispielen (18) und (19) die Anzahl der ausgeliehenen Bücher wiedergeben. Er ist sich hingegen über die genaue Anzahl nicht im Klaren und versucht dies mithilfe der Partikel so abzuschwächen.
Nach Henning stellen und so und oder so die wichtigsten Heckenausdrücke im Deutschen dar (vgl. Hennig 2006: 425). Beide Phänomene gehören unbestreitbar in die Kategorie der Heckenausdrücke, da sie ebenso einen Teil einer Aussage abschwächen sollen. Durch ihr Auftreten zum Beenden eines Satzes führen sie einen bestimmten Gedanken nicht aus. Sie kommen somit sowohl ohne einen lexikalischen Ausdruck wie Adverb oder Adjektiven als auch ohne eine Phrase vor. Bei Burkhardt werden und so und oder so als Ungenauigkeits- oder Unschärfesignal bezeichnet, was ideal zur kategorischen Abgrenzung dient (vgl. Burkhardt 1987: 311). Wie auch die Heckenausdrücke tauchen und so und oder so ausschließlich in der gesprochenen Sprache auf, da es sich um rein nähesprachliche Ausdrücke handelt (vgl. Hennig 2006: 424). Der Planungs- und Äußerungsprozess einer Konversation fällt auf einen Zeitpunkt. Der Sprecher hat somit kaum Zeit, seine Aussage exakt zu planen und redet einfach los. Um diese mangelnde Zeit zu kompensieren, werden Unschärfeausdrücke in die Sätze integriert (ebd.). Besonders am Ende eines Satzes möchte der Sprecher nicht nur Zeit gewinnen, um seine Aussage zu ergänzen, sondern ist sich darüber hinaus sicher, dass der Hörer weiß, was er aussagen möchte. Durch die Verwendung von und so und oder so appelliert der Sprecher an den Hörer, dass er nun einen vorgegebenen Spielraum hat, den er selbst ausfüllen kann. Im Duden wird diese Verwendung aufgrund ihrer häufigen Position am Ende des Satzes als Endsignal einer Konversation bezeichnet und zu den Gesprächspartikeln gezählt (vgl. Duden 2016: 883). Diese Verwendung ist im doppelten Sinne unbestimmt. Zum einen bezieht sie sich auf subjektiv nicht genauer Benennbares, da der Sprecher selbst nicht genau weiß, für was die Verwendung und so am Ende seines Satzes steht und zum anderen ist sie als Unsicherheit „bestimmt“ gekennzeichnet (vgl. Burkhardt 1987: 310f.).
(20) Das war so cool. Mit den Decken und so (3824, MuH1WD).
(21) […] vielleicht den DVD-Abend, den wir noch machen, oder so (3939, SPK45).
Das Auffüllen durch Heckenausdrücke und Unschärfesignale deutet auf eine gewisse Unsicherheit des Sprechers hin, da er seinen Satz nicht ausführlich geplant hat. Diese Unsicherheit ist besonders bei jungen Sprechern zu finden und tritt aus diesem Grund bei jugendlichen Konversationen relativ häufig auf (vgl. Burkhardt 1987: 311).
Die nun folgende Konstruktion ist in deutschen Grammatiken bisher noch nicht zu finden. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass es sich um eine recht junge Verwendung von so handelt, die an das englische Wort like angelehnt ist (vgl. Auer 2006: 296). Diese Konstruktion wird besonders häufig in mündlichen (medial mündlich, konzeptionell mündlich) Gesprächen verwendet, wenn die Aussage bestimmter Personen wiedergegeben wird. Hierbei ist es irrelevant, ob die Aussage direkt oder indirekt wiedergegeben wird. So fungiert nun als Einleitung für eine zitierte Aussage. Es informiert über die jeweilige Unterhaltung, d.h. über den Satzinhalt, der an eine Person vermittelt werden soll, oder als Verarbeitung eines Gesprächs (vgl. Tree 2006: 724).
(22) Und sie so : Ja. Aber ich habe keine Lust (4068, SPK45).
(23) Ich so : Hallo? Warum denn nicht (4069, SPK8)?
(24) Und sie sagt noch so : Ich weiß nicht (4057, MuH1WD).
(25) Dann dachte ich mir so : Oh Gott! Ist die dumm (4058, MuH1WD)!
Die Einleitung durch Und ich so und er/sie so wird meist verwendet, um den Faktor zu erwähnen, der später zum Höhepunkt der Geschichte führt. Das eingeleitete Zitat kennzeichnet die Relevanz dieser Passage, sodass der Hörer der Geschichte folgen kann (vgl. Golato 2000: 30). Von Bedeutung ist hierbei, dass die Konversation an die verschiedenen Adressaten angepasst wird, sodass ein nichtbeteiligter Sprecher die Situation nachvollziehen kann. Der Sprecher hat jeder Zeit die Chance, Informationen zu ergänzen, um die Geschichte verständlicher zu gestalten. Das Wiedergeben beruht somit auf Gemeinsamkeiten zwischen Sprecher und Hörer und wird je nach Gesprächspartner angepasst (vgl. Tree 2006: 725). Meist liegt der Fokus hierbei auf dem Pronomen (meist 1. oder 3.P.Sg.) und auf der zitierten Aussage . So bleibt dabei unakzentuiert und der Satz enthält darüber hinaus häufig kein Verb oder Verbum dicendi wie sagen, meinen, fragen (vgl. Auer 2006: 295f.) wie in den Beispielen (22) und (23) zu sehen ist. Dass die 2. P. Sg. ausbleibt, hängt damit zusammen, dass diese Person meist nicht involviert war, da der Sprecher das Gespräch sonst nicht darlegen müsste. Darüber hinaus bietet diese Verwendung von so dem Sprecher die Möglichkeit Gesten oder Gesichtsausdrücke in ein Gespräch zu involvieren. Dies kann auch mit einem kombinierten Zitat auftreten (vgl. Golato 2000: 31).
Besonders im Kiezdeutschen taucht so an Positionen auf, die für das Standarddeutsche eher untypisch sind. Nach Wiese bekommt so im Kiezdeutschen eine ganz neue Aufgabe, die bisher weniger verbreitet ist (vgl. Wiese 2012: 92).
(26) Und da in der Zeit war ich nicht oft so in der Bücherei (3741, SPK45).
(27) Und dann so der wahre Alltag (3788, MuH1WD).
(28) Aber es kommt einem voll komisch rüber so (4204, SPK8).
(29) Aber ist voll komisch so, so alle zum gleichen Zeitpunkt (4257. MuH1WD).
So ist in diesen Beispielen an kein Wort oder keine Phrase geknüpft. Als Intensitätspartikel steht so bspw. immer mit einem Adjektiv oder Adverb zusammen, welches es verstärken soll. Als Quotativ-Marker steht so gemeinsam mit der Phrase, die die Wiedergabe eines Gesprächs einleitet. In den Beispielen (26) bis (29) lässt sich solch eine Eindeutigkeit in der Positionierung zunächst nicht feststellen. Es wirkt so, als sei so irgendwo in den Satz willkürlich eingeordnet. Bei dieser Verwendung von so bleibt die Partikel bedeutungsleer und hat demnach zunächst keine Funktion. Der Satz würde auch ohne so vollkommen verständlich sein und seinen Inhalt nicht verändern. So bekommt eine ganz neue Funktion für die Organisation eines Satzes und „steht jeweils vor dem Teil des Satzes, der die wichtige, besonders hervorzuhebende Information liefert“ (Wiese 2012: 93). Im Beispiel (26) unterhalten sich zwei Personen über die Bibliothek in ihrem Ort und über ihr Leseverhalten. Eine der beiden Personen möchte betonen, dass sie zu einer gewissen Zeit nicht so häufig die Bücherei besucht hat. Der Fokus soll auf dem Büchereiaufenthalt liegen, weshalb so genau vor diesem Teil des Satzes platziert wird. So ist demnach nicht willkürlich im Satz positioniert, sondern taucht an der Stelle auf, wo der Fokus des Satzes liegt. Somit hat so eine ganz neue Aufgabe bekommen, die in traditionellen Grammatiken wie dem Duden nicht aufgeführt wird. Normalerweise wird der Fokus des Satzes durch die Intonation markiert, d.h. die wichtigste Information des Textes erhält den Satzakzent. Je nachdem, welcher Teil des Satzes hervorgehoben werden soll, wird mithilfe der Betonung verstärkt und kann ebenso durch die Wortstellung unterstützt werden (vgl. ebd.: 95). Kiezdeutsch bietet nun eine ganz neue Funktion, wie der Fokus auf einen Teil des Satzes gelenkt werden kann. So erfüllt keine semantische, sondern eine pragmatische Aufgabe (vgl. Wiese et al. 2014: 295).
Wie die Beispiele (28) und (29) verdeutlichen, muss die Fokuspartikel nicht zwangsweise vor dem Fokusausdruck stehen, sondern kann auch nach seiner Ko-Konstituente stehen oder eine Klammer um diese bilden (vgl. ebd.). Die unterschiedlichen Optionen in der Stellung von so weisen auf eine mögliche „Differenzierung von Funktionen hin, die dieser Fokusmarker ausüben kann“ (Wiese 2012: 101). Bei der Verwendung von so in der Poststellung fällt auf, dass es häufig am Ende des Satzes oder vor dem Komma steht und dient möglicherweise als Satzabschluss. Die Zirkumstellung hebt sich etwas von der Prä- und Poststellung ab, denn durch die Klammer, die gebildet wird, wird der höchste Mitteilungswert des Satzes vom Rest abgegrenzt. Die beiden so’s umschließen somit den Fokusausdruck und heben diesen im Satz vor.
(30) Und dann kam ich auch so irgendwann drauf so (3734/5, MuH1WD).
(31) Und dem Kind wird immer so voll was Tolles erklärt so (3779/80, MuH1WD).
Die Beispiele (30) und (31) zeigen, wie die Fokuspartikel so eine Klammer um einen bestimmten Teil des Satzes baut. Im Beispiel (31) unterhalten sich zwei Jugendliche über die Schule und dass sich Grundschüler so sehr auf die Schule freuen, da ihnen nur Tolles berichtet wird. Aus diesem Grund möchte der Sprecher „voll was Tolles erklärt“ in seiner Aussage besonders hervorheben und schafft dies durch die Zirkum-Position von so. Wie die Beispiele schon zeigten, bietet die Verwendung von so als Fokuspartikel die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten. Sie kann mit Nominalgruppen, Präpositionalphrasen, Adjektiven und Verben stehen. Dies hängt damit zusammen, dass der Fokus des Satzes ebenfalls variieren kann. In einem Satz soll vielleicht die Tätigkeit hervorgehoben werden, indem so vor dem Prädikat oder Verbgefüge des Satzes platziert wird oder der Sprecher möchte eine bestimmte Eigenschaft hervorheben und stellt so hinter ein Adjektiv (vgl. Wiese 2012: 101).
Es handelt sich hierbei jedoch um kein isoliertes Phänomen. Die Verwendung von so als bedeutungsleere und/oder pragmatische Partikel ist auch in einigen Fernsehberichten oder Gesprächen präsent. So hat durch Grammatikalisierung und Pragmatikalisierung seine ursprüngliche Bedeutung abgelegt. Der erste Schritt zu der neuen Verwendung von so beginnt, wenn seine Bedeutung durch eine Art Bleichungsprozess verallgemeinert wird. Dadurch entstand so als Heckenausdruck (siehe Kapitel 3.5), welcher durch seine häufigen Verwendungen an den zentralen Stellen des Satzes in der Verwendung als Fokuspartikel mündete. Dadurch verliert so nochmals seine ursprüngliche Bedeutung und hat keinen semantischen Bezug mehr. So wandelt sich von einem Inhalts- zu einem Funktionswort, das die pragmatische Aufgabe des Fokus innehat (vgl. ebd.: 96ff.).
Um spontane Emotionen zu verdeutlichen, werden in der gesprochenen Sprache besonders häufig Interjektionen wie igitt, ach oder au verwendet. Aufgrund der Spontanität und Bewertung einer Situation werden sie auch als Ausdruckspartikel bezeichnet. Worauf sie sich beziehen, lässt sich nicht genau definieren, denn es kann sowohl ein Vorkommnis als auch eine Aussage sein. Die Ausdruckpartikel Ach so setzt sich hier aus zwei Wörtern zusammen und bildet eine neue Interjektion, die ebenfalls eine Expression zeigt. Wie auch alle anderen Partikeln, können die Interjektionen nicht flektiert werden, aber können einen eigenständigen Satz bilden, welcher mit einem Ausrufezeichen endet. Sie sind somit syntaktisch autonom (vgl. Duden 2016: 887).
Die Theorie soll nun als Grundlage für die folgende Forschung dienen. So kann als Partikel in den verschiedensten Verwendungen auftauchen. Doch wie wird so im Kiezdeutschen verwendet? Ist nur die Fokuspartikel ein ausschlaggebendes Kriterium für das Kiezdeutsche? Besonders häufig wird die Verwendung als Fokuspartikel isoliert von allen anderen Verwendungen von so in diesem Kontext untersucht. Es gibt Wörterbücher, die sich Zweifelsfällen, sprachlicher Variationen auf regionaler Ebene oder rein jugendsprachlichen Phänomenen widmen. Zwar haben sich in der Vergangenheit schon einige Forscherinnen und Forscher wie Auer, Kern und besonders Heike Wiese mit der Thematik der Kiezsprache auseinandergesetzt, doch eine einheitliche Grammatik, auf die zurückgegriffen werden könnte, gibt es nicht. Dies hängt möglicherweise mit der negativen Konnotation des Kiezdeutschen zusammen. Nicht selten wird Kiezdeutsch als Zeichen des Sprachverfalls oder falsches Deutsch bezeichnet und die grammatischen Besonderheiten außer Acht gelassen. Dass es jedoch durchaus Regeln gibt, die das Kiezdeutsche befolgt und deren Verwendung nicht willkürlich erfolgt, soll sich im Folgenden zeigen. Außerdem ist Wiese die einzige Person auf diesem Fachgebiet, die sich für die Entwicklung eines jugendsprachlichen Dialekts einsetzt und ihre grammatischen Innovationen als solche ernst nimmt. Der Fokus soll bei der folgenden Forschung auf dem Gebrauch der Partikel so liegen und zeigen, dass diese nicht willkürlich im kiezdeutschen Sprachgebrauch auftaucht. Da Kiezdeutsch aber nur medial und konzeptionell mündlich auftaucht, ist es schwierig eine geeignete Datenbasis zu finden, die eine Untersuchung der Verwendung von so gewährleisten kann. Es wäre nicht von Vorteil mithilfe eines Fragebogens Jugendliche nach den Besonderheiten ihres Sprachgebrauchs zu befragen. Da Sprache eben ein System und kein Regelwerk ist, fällt es häufig schwer seine eigene Verwendung grammatischer Besonderheiten zu beschreiben. Die Jugendlichen denken nicht darüber nach, wie sie das Wort in ihre Aussagen integrieren. Dies passiert automatisch und ohne darüber nachzudenken. Auch eine wissenschaftliche Umfrage mit Beispielen würde das Ergebnis verfälschen. Durch die Vorlage bestimmter Antwortmöglichkeiten kann kein valides Ergebnis erzielt werden. Um herauszufinden wie und wie häufig bestimmte Verwendungen und Positionen von so im Kiezdeutschen auftauchen, bietet sich eine Korpusuntersuchung als einzige geeignete Methode an.
Die Daten, die für diese Forschung erhoben worden sind, wurden alle aus dem KiezDeutsch-Korpus entnommen. Das Korpus „wurde von 2008-2015 im Teilprojekt B6 (Leitung: Heike Wiese) des Sonderforschungsbereichs 632 Informationsstruktur an der Universität Potsdam erstellt“ (Das KiezDeutsch-Korpus o.J.). Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Texten, die aus spontanen Gesprächen von Kreuzberger Jugendlichen von 14 bis 17 Jahren mithilfe eines Aufnahmegeräts und Ansteckmikros dokumentiert wurden. Hierbei hielten sich die Jugendlichen in ihrem geschützten Umfeld auf, d.h. bei Freunden/Freundinnen in ihren Peer-Groups (vgl. Wiese et al. 2008: 102). Sie konnten ihre Unterhaltungen untereinander führen, ohne von Sprachwissenschaftlern beobachtet zu werden oder ohne, dass ihnen spezifische Fragen wurden. Es handelt sich demnach „um spontane, mündliche, informelle, nicht-monologische Sprache“ (ebd.: 103). Die Gespräche umfassen die unterschiedlichsten Themen wie Schule, Kleidung, Filme etc.
Die Jugendlichen wurden über zwei Schulen gesucht, weshalb es auch einen Haupt- und einen Ergänzungskorpus gibt. Das Hauptkorpus umfasst Transkriptionen von 48 Stunden Aufnahmen von Schülerinnen und Schülern einer Berlin-Kreuzberger Schule, die einen nicht-deutscher Herkunftssprache-Anteil von 84,4% aufweist. Das Teilkorpus umfasst hingegen 18 Stunden Gesprächsmaterial von sechs Jugendlichen aus einer Hellersdorfer Schule mit einem nicht-deutscher Herkunftssprache-Anteil von 4,8%.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Erhobene Merkmale der Anker-Sprecher/innen (Wiese et al. 2008: 104)
Abb. 2 verdeutlicht genauere Angaben zu den Sprechern dieses Korpus, die sich sowohl auf Wohnort, Alltags- und Familiensprache beziehen (vgl. ebd.: 103). Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, wurde für die Audiodateien „keine phonetische Transkription gewählt, sondern eine, die an die Konventionen des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT) für das Basistranskript angelehnt ist“ (ebd.). Die insgesamt 330.000 Tokens sind somit in normaler Orthographie über das Hamburger Sprachzentrum für Korpora zugänglich. Diese Form der Transkription erlaubt es dennoch, dass gesprochensprachliche und individuelle Besonderheiten nicht verloren gehen. Hauptakzente und Pausen (mit dem Sigle PAUSE_M oder PAUSE_S bezeichnet) werden ebenfalls angegeben. Darüber hinaus werden bei der Verschriftlichung der Gesprächsaufnahmen sämtliche Wörter ohne orthografische Entsprechung verzeichnet. Hierzu zählen Interjektionen wie ah und oha, Rezeptionssignale wie hm oder Verzögerungspartikel wie ähm oder äh (vgl. ebd.: 105). Wörter oder Formulierungen, die jedoch sehr undeutlich waren und dadurch nicht zugeordnet werden konnten, werden mit der Bezeichnung UNINTERPRETABLE ersetzt. Demnach bietet dieses Korpus eine Perspektive auf einen multienthnischen Gebrauch von Kiezdeutsch durch den Hauptkorpus, aber durch den Ergänzungskorpus auch einen monolingualen Blick auf dieses Phänomen. Dies verdeutlicht, dass Kiezdeutsch nicht nur von Jugendlichen gesprochen wird, die bilingual oder multilingual aufgewachsen sind, sondern auch von nicht-mehrsprachig aufgewachsene Kinder. Kiezdeutsch hat sich eben in einigen Vierteln in größeren Städten etabliert, weshalb dieses Korpus eine perfekte Basis für die Untersuchung der Positionen und Verwendungen der Partikel so bietet. Wie wird so verwendet, gibt es Besonderheiten, was ist anders als im Standard? Fokus als Indiz für Kiezdeutsch? Wie oft kommt es vor?
Ein Korpus, der auf gesprochenen Daten basiert, braucht einige Bezeichnungen, die bei medial schriftlichen Korpora nicht von Bedeutung sind. Die einzelnen Jugendlichen werden anonymisiert, um eine weitestgehend unverfremdete Konversation zu erhalten. Das Programm, mit dem die aufgenommenen Daten in schriftliche Form umgewandelt wurden, ermöglicht es sogar, dass die einzelnen Dialoge in verschiedenen Spuren angezeigt und Überlagerungen erkannt werden. Die Kürzel, die den jeweiligen Sprecherinnen und Sprechern zugeteilt werden, setzen sich aus ihren jeweiligen Daten zusammen (siehe hierzu Abb.2). Die Bezeichnungen erschließen sich aus mehreren Eigenschaften. Eine Sprecherin wird mit dem Sigle MuH1WD abgekürzt. Die ersten beiden Buchstaben „Mu“ oder „Mo“ stehen für ein multiethnisches oder monoethnisches Wohngebiet, aus dem die Sprecherin oder der Sprecher stammt. Die zweite Variable, in dem genannten Beispiel H1, gibt die Sprechernummer an. Die dritte Variable gibt mit M oder W das Geschlecht an und die vierte Variable steht für die Familiensprache der jeweiligen Person. Hierbei gilt A für Arabisch, D für Deutsch, K für Kurdisch und T für Türkisch. Ist kein Name bekannt wird die Sprecherin oder der Sprecher mit SPK und einer fortlaufenden Nummer abgekürzt (vgl. ebd.: 108).
Die meisten Korpora beziehen ihre Daten aus geschriebenen Ressourcen wie Zeitungsartikeln. Für diese Untersuchung bieten sich solche Korpora nicht an, da sie meist weder auf Jugendsprache oder Kiezdeutsch noch auf gesprochener Sprache basieren. Das KiezDeutsch-Korpus setzt seinen Fokus hingegen auf spontane Gespräche unter Jugendlichen, die in die Gruppe der Kiezdeutsch-Sprecher gezählt werden können. Darüber hinaus fühlten sich die Jugendlichen bei der Aufnahme nicht beobachtet und konnten sich untereinander so unterhalten, wie sie es auch sonst in ihrem gewohnten Umfeld tun. Mithilfe des KiezDeutsch-Korpus soll gezeigt werden, wie die Partikel so auftritt und wo sie sich im Satz positioniert. Das KiezDeutsch-Korpus ist durch die Software Annis 2.0 zugänglich. Die Software ermöglicht es nach bestimmten Ausdrücken im KiezDeutsch-Korpus zu recherchieren. Es bietet sich die Möglichkeit an, nur im Hauptkorpus (kidko_mu_v2.0) oder nur im Teilkorpus (kidko_mo_v2.0) nach Treffern zu suchen. Dies ist dann von Vorteil, wenn man die Präsenz von kiezdeutschen Phänomen in monolingualen oder multilingualen Wohngebieten untersuchen möchte. Da sich die Forschung hingegen nicht auf eine Unterscheidung von mono- und multilingualen Wohngebieten, sondern die gesamten Konversationen bezieht, wird sowohl der Haupt- als auch der Teilkorpus ausgewählt. Durch das Einbeziehen des Teilkorpus kann eine Multiperspektivität gewehrleistet werden. Mit dem Suchbegriff „so“ wurden alle Ergebnisse für das Auftreten von so im KiezDeutsch-Korpus recherchiert. Damit so in den jeweiligen Sätzen bestimmt und einer spezifischen Kategorie zugordnet werden kann, muss ein Kontext gegeben sein. Im KiezDeutsch-Korpus ist es möglich den Kontext links und rechts des Treffers auszuwählen. Ein Kontext von zehn Worten links und rechts ist ausreichend, um den Kontext erschließen zu können. Es wurde bereits erwähnt, dass so auf Platz 22 der häufigsten Wörter positioniert und somit auch im Kiezdeutschen häufig vertreten ist. Für den Suchbegriff so werden in beiden Korpora insgesamt 6436 Treffer in 258 Dokumenten angezeigt. Die 4541 Treffer für so im Hauptkorpus machen einen Prozentsatz von 1,32% aus und im Teilkorpus bei einer Trefferzahl von 1895 1,29%. Dies soll zeigen, dass so in beiden Korpora fast gleich häufig auftritt, weshalb es plausibel ist, die Korpora für diese Forschung zusammenzulegen und nicht einzeln zu betrachten. Die Trefferanzahl von 6436 Ergebnissen zu untersuchen ist für eine Forschung in diesem Ausmaß nicht notwendig. Es ist sinnvoller eine Stichprobe einer geeigneten Größe zu wählen, die stellvertretend für alle Treffer stehen soll. Bei dieser Anzahl an Ergebnissen ist eine Stichprobe von 1000 Ergebnissen mit 15,54% aller Treffer eine geeignete Größe, um auf die gesamten Treffer schließen zu können. Die Stichprobe von 1000 Treffern wurden willkürlich ausgewählt und erfasst die Tokens 3721 bis 4720 aus den verschiedensten Gesprächen, in denen so auftaucht. Dass hierbei hauptsächlich Sprecher aus multilingualen Gebieten auftauchen, ist reiner Zufall und nicht so ausgewählt. Diese Ergebnisse wurden mithilfe eines Exporters (Simple Text Exporter) als Download zur Verfügung gestellt. Um die einzelnen Ergebnisse von so mit ihrem Kontext auswerten zu können, werden diese in eine Exceltabelle übertragen und in die Spalten: Ergebnis, Speaker, Kontext links, Treffer, Kontext recht und Klassifizierung eingeteilt. In der letzten Spalte wird jeder einzelne Treffer mithilfe des linken und rechten Kontextes einer bestimmten Kategorie zugeordnet, um die Verwendung von so auswerten zu können. Alle Ergebnisse dieser Forschung inklusive der Klassifizierungen sind im Anhang zu finden. Die bereits in der Theorie erläuterten und vielseitigen Verwendungen von so sollen nun im Folgenden noch einmal aufgegriffen und benannt werden.
Die in Kapitel 3 vorgestellten Verwendungen von so werden auch in dieser Forschung auftauchen. Die typischen und auch im Standarddeutschen bekannten Verwendungen von so kommen selbstverständlich auch im Kiezdeutschen vor, da es sich eben um einen Teil bzw. eine Varietät der deutschen Sprache handelt. So in verstärkenden Zusammenhängen wie „so groß“ oder ähnliches wird hierbei als Intensitätsanzeiger bezeichnet, da es den Grad eines Adjektivs, Adverbs oder Substantivs verstärkt. An diese Kategorie knüpft so als Einleitung für einen Vergleich an wie bei „er ist so groß wie ich“. Die Ergebnisse in dieser Kategorie werden mit der Bezeichnung Vergleich gekennzeichnet. So als Intensitätspartikel und als Vergleichsauslöser sind die Verwendungen, die auch in den Grammatiken auftauchen. Dasselbe gilt für die Verwendung als Korrelat, welches gemeinsam mit einer Konjunktion einen Nebensatz einleitet. Diese Verwendung hebt sich dennoch von den ersten beiden ab, weshalb sie einen eigenen Wert in der Forschung erhält. Oftmals erscheint so zusammen mit dem Ausdruckswort ach, um eine gewisse Expression zu äußern, jemanden zuzustimmen oder ähnliches. Da es sich hierbei um eine Form der Gefühlsäußerung handelt, wird diese Kategorie als Ausdruck bezeichnet. Heckenausdrücke werden die Verwendungen von so bezeichnet, bei denen so gemeinsam mit einem unbestimmten Artikel als eine vage Formulierung auftritt und somit einen gewissen Gegenstand unklar abbildet. Ein nach Burkardt für die Jugendsprache typisches Merkmal sind die Formulierungen und so und oder so (vgl. Burkhardt 1987: 311). Beide Anwendungsformen werden unter dem Punkt Unschärfesignal zusammengefasst, da sie durch die Verbindung mit den Subjunktionen und und oder die Thematik nicht genau bestimmen, sondern für den Hörer offenlassen.
Eine für das Kiezdeutsche charakteristische Verwendung von so ist die als Fokuspartikel. Dabei steht die Partikel gemeinsam mit dem Teil des Satzes, der den Hauptfokus des Satzes trägt. Dabei kann so sowohl vor, nach als auch um den wichtigsten Punkt des Satzes stehen. Im ersten Teil der Forschung werden alle drei Positionen unter der Bezeichnung Fokus zusammengefasst. Im zweiten Teil wird nochmal ein Augenmerk auf die verschiedenen Positionen gelegt, um herauszuarbeiten wie häufig welche Verwendung ist. Da das Kiezdeutsche auch Einflüsse von jugendsprachlichen Phänomenen aufweist, ist auch der Quotativ-Marker so von Relevanz. Dieser taucht besonders häufig bei Gesprächen junger Erwachsener auf, die einen Kommunikationsakt o.ä. wiedergeben. Diese Verwendungen von so werden mit der Bezeichnung Quotativ abgekürzt. In den Sätzen, in denen so in Konstruktionen wie „so oder so“ oder „so was“ auftaucht, wird unter dem Punkt Konstruktionen zusammengefasst. Selbstverständlich kommt es bei den Ergebnissen zu unbrauchbaren Treffern, die z.B. vor Pausen auftreten oder wenn ein Satz falsch begonnen wurde. Diese undefinierbare Verwendung werden als misc (miscellaneous items) bezeichnet (vgl. Jannedy 2010: 50).
Nun sollen die Ergebnisse der Forschung vorgestellt werden. Am häufigsten taucht so als Unschärfesignal und so und oder so mit insgesamt 237 Treffern (23,7%) auf. Diese Verwendung tritt besonders häufig am Ende des Satzes auf: „Darfst du auch nicht raus und so? (4715, MuH27WT) oder „[…] das Bein umgeknickt oder so“ (4486, SPK13). Die zweitgrößte Gruppe bilden die Heckenausdrücke mit 202 Treffern (20,2%) in Verwendungen wie „Das ist doch immer so“ (4351, MuH1WD), „[…] bestimmt auch so ein komischer Name“ (4173, MuH1WD) oder „Ich habe keinen Bock auf so eine Mannschaftskabine“ (4039, SPK10). Sie stehen gemeinsam mit einer Nominalphrase wie in Ergebnistreffer 4173 und 4039. So als Heckenausdruck kann aber ebenso ein Verb ungenau bestimmen wie in 4351 zu sehen. Mit 133 von 1000 (13,3%) Treffern folgt so als Intensitätsanzeiger in Verwendungen wie „Das Halbjahr ist so schnell vergangen“ (3990, MuH1WD), „Das schmeckt so krass auch“ (4588, MuH25MA) oder „Mein ist auch so kaputt“ (4702, SPK21). So steht hier gemeinsam mit dem zu intensivierenden Adjektiv wie kaputt oder krass. Da es sich hierbei um eine standarddeutsche Verwendung von so handelt, die auch als kodifizierte Norm auftritt, taucht sie auch im gesprochenen und jugendsprachlichen Deutsch häufig auf. Obwohl es sich bei der nächsten Kategorie so als Vergleichsauslöser ebenfalls um ein standarddeutsch bekanntes Phänomen handelt, ist es mit 15 Treffern (1,5%) sehr selten vertreten. Beispielhaft zu nennen wären „[…] wenn jemand so zu mir, wie ich zu SPK39 war“ (4199, SPK8) oder „[…] so wie bei uns in der Schule?!“ (4528, MuH25MA). Auch die Verwendungen von so, die unter dem Punkt Konstruktionen zusammengefasst werden, fallen mit 8 von 1000 Treffern (0,8%) ebenfalls sehr gering aus. Hierzu zählen Beispiele wie „Ich bin so und so alt“ (3872, MuH1WD), „Du isst ja so oder so nicht viel“ (4349, MuH1WD) oder „Er macht so was?“ (4416, SPK4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Verwendungen der Partikel so im Kiezdeutschen
Als Korrelat wie in „[…] gar nicht so gesehen, als wenn […]‘“ (3832, MuH1WD) und „[…] aber so, dass […]“ (4147, MuH1WD) tritt so hingegen 32 Mal (3,2%) auf. Der Quotativ ist besonders häufig in medial mündlichen Konversationen aufzufinden und ist ebenfalls in dieser Strichprobe mit 93 Treffern (9,3%) vertreten. Hierzu zählt sowohl die Einleitung mit verbum dicendi „Und ich sage so“ (3771, SPK45) oder ohne „Ich so: Hm“ (3848, MuH1WD), die Einleitung einer wörtlichen als auch indirekter Rede. Die Verwendung von so als Ausdruck einer Expression ist mit 63 Treffern (6,3%) ebenfalls sehr häufig vertreten. Die vorletzte Kategorie sind die miscellaneous (misc) mit 44 Treffern (4,4%) in Beispielen wie „Alles so ähm“ (3841, MuH1WD). So in der Verwendung als Fokuspartikel verzeichnet eine Anzahl von 173 Treffern (17,3%) und macht somit den drittgrößten Prozentsatz aus. Im Folgenden wird ein spezifischer Blick auf diese Kategorie gelegt.
Besonders als Fokuspartikel kann so in ihrer Position im Satz variieren. Es zeigte sich, dass sie sowohl vor als auch nach dem Satzteil steht, der den Fokus des Satzes tragen soll. Jedoch kann so ebenfalls eine Klammer um diesen Satzteil bilden und umklammert demnach dieses Satzglied. Nur welche Position ist am häufigsten vertreten? Taucht so als Fokuspartikel mit Klammer auf, so wurde es im ersten Teil der Forschung als doppelter Treffer gezählt, da es zweimal im Satz vertreten ist. Daher wird in diesem Teil nicht von einer Gesamtanzahl von 173 Treffern ausgegangen, sondern nur rund 144. Diese Belege wurden demnach nur in der Kategorie der Fokuspartikel im Gebrauch der Klammer reduziert. Die verschiedenen Positionen werden mit Prä-, Post- und Zirkumstellung bezeichnet.
Am häufigsten taucht so als Fokuspartikel in der Prästellung mit 74 Treffern (51,39%) auf, was bedeutet, dass der wichtigste Teil des Satzes mit dem bedeutungsleeren so eingeleitet wird, um es von den anderen Satzgliedern abzuheben und zu betonen. Beispiele dafür aus dem KiezDeutsch-Korpus lauten wie folgt: „Also so ihr Zimmer habe ich nicht gesehen“ (3915, MuH1WD), „[…] auf einmal ich war so London drin“ (4655, SPK102) oder „[…] wenn ich so mit paar Jungs mich treffe“ (4342, SPK10).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: So in seinen Positionen als Fokuspartikel
Anders verhält es sich jedoch bei der Poststellung, denn diese weist die zweithäufigsten Treffer auf. Die 40 Treffer auf 144 Belege machen rund 27,78% aus. Die Postposition schließt zum einen häufig den Satz ab, aber setzt ebenso den Fokus auf das vorhergegangene Satzglied wie in „[…] bleiben uns noch die schlechtesten Spieler so“ (4410, SPK4) oder „Ich will dich auch nicht mit freundschaftlich so haben“ (4400, SPK101). Die Zirkumposition mit 30 Treffern (20,83%) tritt somit am seltensten auf. Die besondere Verwendung von so als Fokuspartikel hebt die wichtigste Information des Satzes vom Rest durch eine doppelte Verwendung von so ab. Die Konstruktionen können wie folgt aussehen: „[…] wird immer so voll was Tolles erklärt so“ (3779, MuH1WD), „[…] die sagen so die ganze Zeit so“ (4042, MuH1WD) oder „[…] einmal so paff so“ (4616, MuH25MA).
Dass die Verwendungen von so am häufigsten auftreten, die sich entweder in der Alltagssprache etabliert haben oder in Grammatiken kodifiziert sind, scheint nicht verwunderlich. Hierzu zählen die Verwendung als Intensitätspartikel, Unschärfesignal und Heckenausdruck. Kiezdeutsch ist eben eine Varietät des Deutschen und keine Mischsprache oder Kanaksprak. Die Regeln der deutschen Grammatik werden demnach zwar angepasst, aber dennoch nicht ignoriert. Es darf nur nicht vergessen werden, dass das Kiezdeutsche sich aus der Kontakt- und der Jugendsprache zusammensetzt. Jugendsprachliche Phänomene spielen somit auch eine Rolle in der Grammatik dieser Varietät. Dies lässt sich auch anhand der Partikel so festmachen. Besonders der Quotativmarker mit 9,4% ist ein weitverbreitetes jugendsprachliches Phänomen, dass sich ebenso im Kiezdeutschen etabliert hat. Es bestätigt die Annahme, dass das Kiezdeutsche eben nicht reines Türkendeutsch ist, dass durch die Einflüsse der Eltern mit Migrationshintergrund entstanden ist. Dasselbe gilt für die Unschärfesignale und so und oder so, die den größten Prozentsatz mit 23,6% dieser Forschung ausmachen. Da diese Signale dann verwendet werden, wenn der Sprecher unsicher ist, könnte vermutet werden, dass es mit den Aufnahmegeräten zusammenhängt. Jedoch sind sowohl Burkhardt (1987), Jannedy (2010) als auch Wiese (2012) der Meinung, dass besonders Jugendliche in ihrer Selbstfindung oftmals Unsicherheit ausstrahlen. Häufig sind die Peer-Groups aber auch so gut befreundet, dass das Offenhalten der Information direkt gefüllt werden kann. Die Verwendung innerhalb der Gruppe dieses Signals bietet eine besondere Abgrenzung von Erwachsenen. Das gilt für so als Quotativmarker ebenso wie für so als Unschärfesignal. Es wird in der Forschung viel zu wenig Wert auf den jugendsprachlichen Aspekt im Kiezdeutschen gelegt. Die meiste Forscherinnen und Forscher wie Androutsopoulus (2001), Auer (2003, 2006), Dirim (2005) und Kern (2013) fokussieren sich auf den mehrsprachigen Einfluss auf das Kiezdeutsche. Dass sich viele Phänomene der Varietät aus jugendsprachlichen Wendungen – oftmals mit US-Einflüssen – entwickelt haben wie eben der Quotativ, wird oftmals außer Acht gelassen. Ähnliches gilt für die Heckenausdrücke, die ebenso im englischsprachigen Raum auftreten können, nur, dass es im Englischen verschiedene Partikeln gibt, die das deutsche so in den unterschiedlichsten Situationen ersetzt. Mit 20,6% ist diese Verwendung von so sehr häufig vertreten. Das hängt zum einen damit zusammen, dass unter diesem Punkt die Verwendungen des Heckenausdrucks mit Verbal- oder Nominalphrasen zusammengefasst wurden, aber zum anderen handelt es sich hierbei um ein Phänomen, dass sich alltagssprachlich bereits enorm etabliert hat. Da Kiezdeutsch eben auch eine Kontaktsprache ist, hat die Alltagssprache ebenso Einflüsse wie die Jugendsprache. Sprache lebt durch die Verwendung ihrer und durch Neuerungen, die sich in den Alltag integrieren. Daher ist es nicht überraschend, dass so als Heckenausduck sehr häufig im Kiezdeutschen auftaucht. Positiv ist, dass die misc-Kategorie, die keine relevanten Informationen bietet, in dieser Forschung mit 4,4% sehr gering ausfällt.
Ein besonderer Fokus wurde auf den Gebrauch von so als Fokuspartikel gelegt. Diese Kategorie ist in der Literatur leider sehr wenig erforscht. Zwar gibt es einige Arbeiten, die sich mit Fokuspartikeln im Allgemeinen beschäftigen, jedoch taucht so in den aktuellen Grammatiken nicht auf. Ebenso die spezifischen Forschungen zum Kiezdeutschen befassen sich eher wenig mit diesem Phänomen. Wiese befasst sich als Einzige mit den Besonderheiten von so in dieser Verwendung. Sie versucht zu erklären, wie sich dieser Gebrauch aus den Heckenausdrücken entwickelt hat. Dies sind hingegen nur Vermutungen. Diese Forschung kann nicht herausstellen, wie die Fokuspartikel so in all ihren Positionierungen entstanden ist. Dafür fehlt die ausreichende Literatur und eine genauere Untersuchung würde den Rahmen dieser Forschung sprengen. Es konnte sich jedoch zeigen, welche Position von so sich im Rahmen des Fokuspartikelgebrauchs am häufigsten ins Kiezdeutsche integriert hat. Die Prästellung mit 51,68% ist somit wohl die Verwendung mit Prestigecharakter. Durch die Positionierung von so vor dem Satzteil, der den Hauptakzent erhalten soll, kann eine besondere Betonung erzielt werden. Die hervorzuhebende Information wird mithilfe der Fokuspartikel direkt angezeigt. Anders verhält es sich bei der Poststellung, die mit 27,52% um einiges seltener auftaucht als die Prästellung. Da so in dieser Verwendung meist am Ende eines (Teil-)Satzes positioniert wird, könnte eine mögliche Erklärung sein, dass hierdurch nicht exakt ersichtlich wird, welcher Teil des Satzes nun hervorgehoben werden soll. Andererseits wird in der Forschung auch nicht deutlich, ob es sich bei der Poststellung nicht schlichtweg um das Beenden eines Satzes und keine Fokusmarkierung handeln könnte. Die soeben genannten Positionierungen der Fokuspartikel von so tauchen des Öfteren auch in der Alltagssprache auf. Anders verhält es sich bei der Zirkumstellung. Diese hebt sich ganz besonders vom Standard ab und ist ein Erzeugnis aus der Prä- und Poststellung. Mit 20,8% taucht sie zwar am seltensten auf, unterscheidet sich jedoch am eindringlichsten von anderen Phänomenen. Diese Verwendung taucht in der „normalen“ Jugendsprache oder sonst nicht auf. Dies ist eine Verwendung von so, die es nur im Kiezdeutschen gibt und dieses charakterisiert. Darüber hinaus sind die Fokuspartikeln in ihrer Verwendung und Positionierung so vielfältig wie der Satz an sich und bedürfen einer ausführlicheren Forschung, die hoffentlich in den nächsten Jahren nicht allein auf Heike Wieses Arbeiten beschränkt bleibt.
„Dis find ich voll cool so. Is voll gechillte Beziehung, Mann, Alter. Is voll witzige. Man kann auch Scheiße reden so, alles, so Blödsinn so machen so“ (Wiese 2012: 95).
So lautete das Zitat, welches diese Forschung einleitete. Der Fokus fiel besonders auf die Verwendung von so in diesen Sätzen, welche im Rahmen einer Korpusuntersuchung untersucht wurde. Diese auf den ersten Blick falsche Positionierungen der Partikel so tauchen besonders im Multiethnolekt Kiezdeutsch auf. Es zeigte sich, dass es sich hierbei um eine Varietät des Deutschen handelt, die sich aus den unterschiedlichsten Bereichen entwickelt. Um ein Verständnis für diese Sprechweise zu schaffen, musste jedoch zunächst geklärt werden, dass es sich nicht um falsches Deutsch oder Sprachverfall handelt. Die Bezeichnung als Kiezdeutsch und nicht als Türkendeutsch, Kanak Sprak oder Mischsprache betont darüber hinaus, dass es sich um einen Teil der modernen deutschen Sprache handelt. Die Einflüsse der Ethnolekte, die sich durch hauptsächlich türkische Gastarbeiter und dem Zweitspracherwerb der Migranten unterschiedlichster Herkunft entwickelten, führten zu einer besonderen Dynamik im Kiezdeutschen. Besonders bei Jugendlichen in multiethnischen Wohngebieten etablierte sich diese Varietät im Laufe der letzten Jahrzehnte und wurde auch zu einem festen Bestandteil bei Jugendlichen, deren Muttersprache Deutsch ist. Durch die Einflüsse des Türkischen, Kurdischen oder Arabischen und auch der jugendsprachlichen Phänomene entstehen grammatische Neuerungen oder bestehende Verwendungen bestimmter Ausdrücke werden verändert. Es sollte anhand eines Beispiels verdeutlicht werden, dass die Verwendung und Positionierung spezifischer Ausdrücke oder in diesem Falle der Partikeln nicht willkürlich erfolgt, sondern einem System, d.h. einer Regelmäßigkeit unterliegen. Anhand der Partikel so wurde mit Hilfe einer Korpusuntersuchung deutlich, wie diese Partikel im Kiezdeutschen verwendet und positioniert wird. Sowohl Verwendungen von so, die aus dem Standarddeutschen bekannt und in den verschiedensten Grammatiken kodifiziert sind wie die Intensitätspartikel oder der Vergleichsauslöser, als auch zunächst unbekannte Phänomene, die teilweise aus dem Englischen übernommen wurden wie die Verwendung als Quotativ-Marker, sind Teil des Kiezdeutschen. Da das Korpus, mit dem gearbeitet wurde, sich auf mündliche Konversationen zwischen Jugendlichen in ihren Peer-Groups fokussiert, tauchen viele Verwendungen von so auf, die nicht in Grammatiken aufgeführt sind. Sie tauchen eben hauptsächlich in Konversationen zwischen Jugendlichen auf und sind auch in der Forschung mit hohen Prozentsätzen vertreten wie eben die Verwendung von so als Quotativ-Marker ich so oder sie so, als Unschärfesignale und so oder oder so und als Heckenausdruck. Ein besonderes Charakteristikum, welches sich auch im Anfangszitat niedergeschlagen hat und bisher zu wenig erforscht ist, ist die Verwendung von so als Fokuspartikel. Besonders hierbei konnte festgestellt werden, wie so positioniert wird. Durch die Gliederung in Post-, Prä- und Zirkumstellung wurde deutlich, wie sehr die Verwendung variieren kann, aber jedoch stets an den Fokus des Satzes angeknüpft ist. Hingegen konnte gezeigt werden, dass die Prästellung als Fokusmarker einen Prestigecharakter gegenüber den anderen Positionen erhält. Die Verwendung von so als Fokuspartikel ist im Kiezdeutschen eine der häufigsten Verwendungen neben denen als Unschärfesignal oder Heckenausdruck. Letztere sind besonders auf den jugendsprachlichen Einfluss zurückzuführen, der in Abb. 1 verdeutlicht wurde. Die Fokuspartikel ist die Verwendung, die sich aus den unterschiedlichsten anderen Gebrauchsformen von so entwickelt hat und sich damit von anderen Varietäten wie der „normalen“ Jugendsprache abhebt. Es handelt sich um eine besondere Form, um sich einer bestimmten Gruppe zuzuteilen und sich von anderen abzuheben.
Kiezdeutsch ist demnach eine sehr wandelbare Varietät, die sowohl standarddeutsche Verwendungen als auch Neuerungen in ihren Wortschatz aufnimmt. Die mehrsprachigen Einflüsse und die Jugendsprache werden wohl auch zukünftig zu einigen Neuerungen in diesem Bereich führen. Sprache ist eben kein festgeschriebenes Gesetz, sondern ein System, was stetig im Wandel ist.
Ammon, Ulrich (2005): Standard und Variation: Norm, Autorität und Legitimation. In: Eichinger, Ludwig M. (Hg.) Standardvariation. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 28–40.
Androutsopoulos, Jannis (2001): Ultra korregd Alder. Zur medialen Stilisierung und Aneignung von "Türkendeutsch". Deutsche Sprache 29, S. 321–339.
Auer, Peter (2003): 'Türkenslang': Ein jugendsprachlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen. In: Häcki Buhofer, Annelies; Hofer, Lorenz (Hg.) Spracherwerb und Lebensalter. Tübingen [u.a.]: Francke, S. 255–264.
Auer, Peter (2006): Construction Grammar meets Conversation. Einige Überlegungen am Beispiel von "so"-Konstruktionen. In: Günthner, Susanne (Hg.) Konstruktionen in der Interaktion. Berlin [u.a.]: de Gruyter, S. 291–314.
Burkhardt, Armin (1987): SOSO? Kritik und weiterführende Überlegungen zu Konrad Ehlichs Aufsatz über die Funktionen des deutschen so. In: Rosengren, Inger (Hg.) Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1986, S. 299–314.
Das KiezDeutsch-Korpus (o.J.): Das KiezDeutsch-Korpus. http://kiezdeutschkorpus.de/de/kidko-home.html (Zugriff: 11.05.2020).
Diko, Miryam (2019): Kiezdeutsch & Rinkebysvenska–Sprachliche Merkmale der multiethnischen Jugendsprache. Linguistische Treffen in Wroclaw 15.
Dirim, İnci (2005): Zum Gebrauch türkischer Routine bei Hamburger Jugendlichen nicht-türkischer Herkunft. In: Hinnenkamp, Volker (Hg.) Sprachgrenzen überspringen. Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbstverständnis. Tübingen: Narr, S. 19–49.
Dirim, İnci; Auer, Peter (2004): Türkisch sprechen nicht nur die Türken. Über die Unschärfebeziehung zwischen Sprache und Ethnie in Deutschland. Berlin [u.a.]: de Gruyter.
Ehlich, Konrad (1987): so - Überlegungen zum Verhältnis sprachlicher Formen und sprachlichen Handelns, allgemein und an einem widerspenstigen Beispiel. In: Rosengren, Inger (Hg.) Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1986, S. 279–298.
Eisenberg, Peter (1986): Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart.
Freywald, Ulrike; Mayr, Katharina; Özçelik, Tiner; Wiese, Heike (2011): Kiezdeutsch as a multiethnolect. Ethnic styles of speaking in European metropolitan areas, S. 45–73.
Golato, Andrea (2000): An innovative German quotative for reporting on embodied actions: Und ich so/und er so ‘and i'm like/and he's like’. Journal of Pragmatics 32 (1), S. 29–54.
Hennig, Mathilde (2006): So, und so, und so weiter. Vom Sinn und Unsinn der Wortklassifikation/So, und so, und so weiter. On the purpose and nonsense of part-of-speech classification. Zeitschrift für germanistische Linguistik 34 (3), S. 409–431.
Jannedy, Stefanie (2010): The Usage and Distribution of so in Spontaneous Berlin Kiezdeutsch. ZAS Papers in Linguistics 43 (52), S. 43–61.
Kern, Friederike (2013): Rhythmus und Kontrast im Türkischdeutschen. Berlin [u.a.]: de Gruyter.
Kotsinas, Ulla-Britt (1998): Language contact in Rinkeby, an immigrant suburb. In: Androutsopoulos, Jannis K.; Scholz, Arno (Hg.) Jugendsprache - langue des jeunes - youth language. Linguistische und soziolinguistische Perspektiven. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang.
Kotsinas, Ulla-Britt (2000): Pidginization, creolization and creolids in Stockholm, Sweden. I: N. Smith & T. Veenstra (red.), Creolization and contact. Amsterdam: John Benjamins.
Neuland, Eva (1998): Vergleichende Beobachtungen zum Sprachgebrauch Jugendlicher verschiedener regionaler Herkunft. In: Androutsopoulos, Jannis K.; Scholz, Arno (Hg.) Jugendsprache - langue des jeunes - youth language. Linguistische und soziolinguistische Perspektiven. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, S. 71–90.
Neuland, Eva (2007): Subkulturelle Sprachstile Jugendlicher heute Tendenzen der Substandarisierung in der deutschen Gegenwartssprache. In: Neuland, Eva (Hg.) Jugendsprache - Jugendliteratur - Jugendkultur. Interdisziplinäre Beiträge zu sprachkulturellen Ausdrucksformen Jugendlicher. 2. Auflage. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, S. 131–148.
Neuland, Eva (2008): Jugendsprache. Tübingen [u.a.]: Francke.
Sandig, Barbara (1987): Kontextualisierungshinweise: Verwendungen von so im Prozeß sprachlichen Handlens. In: Rosengren, Inger (Hg.) Sprache und Pragmatik. Lunder Symposium 1986, S. 327–334.
Thurmair, Maria (2001): Vergleiche und Vergleichen. Tübingen: Niemeyer.
Tree, Jean E. Fox (2006): Placing like in telling stories. Discourse Studies 8 (6), S. 723–743.
Umbach, Carla; Ebert, Cornelia (2009): German demonstrative so–intensifying and hedging effects. Sprache und Datenverabeitung (International Journal for Language Data Processing) 1 (2), S. 153–168.
Wiese, Heike (2006): Soziolinguistik, "Ich mach dich Messer “: Grammatische Produktivität in Kiez-Sprache ("Kanak Sprak"). Linguistische Berichte 2006 (207), S. 245–273.
Wiese, Heike (2012): Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht. München: Beck.
Wiese, Heike; Freywald, Ulrike; Schalowski, Sören; Mayr, Katharina (2008): Das KiezDeutsch-Korpus. Spontansprachliche Daten Jugendlicher aus urbanen Wohngebieten. Deutsche Sprache 53, S. 97–123.
Wiese, Heike; Pohle, Maria (2016): „Ich geh Kino “oder „… ins Kino “? Zeitschrift für Sprachwissenschaft 35 (2), S. 171–216.
Wiese, Heike; Simon, Horst J.; Zappen-Thomson, Marianne; Schumann, Kathleen (2014): Deutsch im mehrsprachigen Kontext: Beobachtungen zu lexikalisch-grammatischen Entwicklungen im Namdeutschen und im Kiezdeutschen. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, S. 274–307.
Wöllstein, Angelika; Eisenberg, Peter; Peters, Jörg; Gallmann, Peter; Fabricius-Hansen, Cathrine; Nübling, Damaris; Barz, Irmhild; Fritz, Thomas A.; Fiehler, Reinhard (2016): Duden, die Grammatik. 9. Auflage. Berlin: Dudenverlag.
Zaimoglu, Feridun (2011): Kanak Sprak. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
[...]
1 Es wird häufig von einer Standardsprache ausgegangen, die sich im Laufe der Zeit aus den historischen Mundarten entwickelt hat. Sie fungiert als überregionales Verständigungsmedium und besitzt daher einen hohen Prestigecharakter. Die Standardsprache ist darüber hinaus in den verschiedensten Grammatiken oder Lexika kodifiziert und wird in den Schulen gelehrt (vgl. Neuland 2007: 135) Standardsprache wird hierbei als Synonym für die Standardvarietät verstanden (z.B. Standarddeutsch) (vgl. Ammon 2005: 31). Die aufgeführten Vergleiche meinen somit die Abweichung von der standardisierten deutschen Sprache, die in Regelwerken verankert ist.
2 Bei Kiezdeutsch handelt es sich nicht um ein rein deutschsprachiges Phänomen, sondern nur eines von vielen ähnlichen Phänomenen in Europa. Diese weisen ähnliche Besonderheiten wie das Kiezdeutsche auf (vgl. Wiese 2012: 109). Eines der bekanntesten Beispiele ist das sogenannte Rinkebysvenska, welches schon seit Ende der 1980er von Forschern wie Kotsinas (1998, 2000) untersucht wird. Jüngere Forschungen wie von Miryam Diko vergleichen sogar das Kiezdeutsche mit dem Rinkebysvenska und finden einige Parallelen (Diko 2019).
3 Der primäre Ethnolekt zeichnet sich besonders durch seine meist türkischstämmigen Sprecher aus, die aufgrund ihrer Vorfahren nach Deutschland migriert sind und sich die deutsche Sprache selbst aneigneten. Der primäre Ethnolekt gilt als Bezugspunkt für den sekundären und tertiären Ethnolekt. Als sekundärer Ethnolekt gilt die Art des Ethnolekts, die in den Medien verkörpert und meist von deutschen Jugendlichen imitiert wird. Wird nur dieser mediale Input zitiert und verinnerlicht, spricht man von einem tertiären Ethnolekt. Hierbei bleibt der Kontakt zu türkisch-sprachigen deutschen Jugendlichen oder deutschsprachigen Jugendlichen aus (vgl. Auer 2003: 256).
4 In ihrer Forschung stellte Wiese, dass sich diese bloßen Ortsangaben bereits im gesprochenen Deutsch etabliert haben. Mithilfe von Studierenden aus einem ihre Grammatikseminare an der Universität Potsdam führte sie eine Studie in Berlin und Magdeburg durch. Indem sie Passanten nach dem Weg fragten, die nicht den Eindruck erweckten, dass sie das Kiezdeutsche in ihrem Alltag verwenden, stellten sie fest, dass 124 der 200 Sätze Reduktionen in der NP aufweisen. Dies macht rund zwei Drittel aller Belege aus und ist demnach ein bekanntes Phänomen der Alltagssprache, welches sich das Kiezdeutsche zu Nutze macht (vgl. Wiese 2012: 55f.).
5 Einige Beispiele werden aus den Treffern der Forschung entnommen, um die Theorie anhand von Beispiel zu veranschaulichen. Die Zitate stammen von den einzelnen Sprechern, deren Gespräche im Rahmen des Projekts KiezDeutsch-Korpus aufgenommen wurden (siehe 5.). Die Zitate werden mit der Ergebnisnummer und dem Kürzel der jeweiligen Sprecherin/des jeweiligen Sprechers angegeben.
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare