Magisterarbeit, 1997
66 Seiten, Note: 1
Einleitung
I. Inzest - Inzestverbot / Inzestneigung - Inzestscheu
1. Soziologische Positionen
2. Biologische Positionen
II. Inzestmotiv in der Goethezeit
1. Kulturelles Wissen um Inzest
2. Formen und Funktion poetischer inzestuöser Konstellationen
III. Form und Funktion inzestuöser Konstellationen bei Goethe
A. Reale Konstellationen
"daß wir uns beide grenzenlos unglücklich hielten, und um so mehr, als in diesem seltsamen Falle die Vertrauenden sich nicht in Liebende umwandeln durften"
Johann Wolfgang und seine Schwester Cornelia
Stilisierung der Geschwisterbeziehung durch Inzestnähe und Inzestvermeidung Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811-1833)
1. "die kleine Schwester Cornelia liebte er schon zärtlich, als sie noch in der Wiege lag" Die Schwester als Objekt der Liebe oder Eifersucht des Bruders
2. "so daß sie sich wohl für Zwillinge halten konnten" Die symbiotische Geschwisterbeziehung
3. "die heilige Scheu der nahen Verwandtschaft" Inzestnähe und Inzestvermeidung
4. "Neige dich für diese Ehre die ich dir anthue, tief, noch tiefer, ich sehe gern wenn du artig bist, noch ein wenig! Genug! Gehorsamer Diener" Entfremdung der Geschwister während Goethes Aufenthalt in Leipzig
5. "wenn meine Schwester heurathet, so muss sie fort ich leide keinen Schwager" Weitere Entfremdung von Cornelia
6. "Die Züge ihres Gesichts, weder bedeutend noch schön sprachen von einem Wesen dass weder mit sich einig war noch werden konnte" Inhumanität in der Übermittlung des Schwesterbildes - Die häßliche und unsinnliche Schwester
B. Übertragene Konstellationen
"das ist die erste Gabe, seit es mir meine Schwester nahm, die das Ansehn eines Aequivalents hat"
Goethes Schwesteriibertragungen
Inzestuöse Metaphorik für erotische Beziehungen
1. "wo sie dahinten ist zweyhundert Meil[en] von mir meine geliebte Schwester" Briefwechsel mit Auguste von Stolberg
2. "Ach du warst in abgelebten Zeiten / Meine Schwester oder meine Frau" Verhältnis zu Charlotte von Stein
C. Poetische Konstellationen
"Unter allen könnt' ich am wenigsten leiden, wenn sich ein paar Leute lieb haben und endlich kommt heraus daß sie verwandt sind, oder Geschwister sind"
Vermeintlicher und unbewußter Geschwisterinzest
1. "Es ist so ein gar erbärmlich Schicksal!" Die Geschwister (1776) Vermeintlicher Inzest
2. "Seht die Lilien an: entspringt nicht Gatte und Gattin auf Einem Stengel?" Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) Unbewußter Inzest / Inzest als Symbol der alchemistischen Coniunctio
3. "Seine reine Seele fühlte, daß sie die Hälfte, mehr als die Hälfte seiner selbst sei" Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) Wilhelm/Mariane als Spiegelung des Geschwisterpaares Augustin/Sperata
IV. "Tausend kränkende Gedanken, tausend halb gedachte Wünsche, die im gleichen Augenblick zurückgewiesen werden. Ich möchte - aber nein - ich möchte nichts"
Zwischen Hoffnung, Sehnsucht und Verzweiflung
Das tragische Schicksal Cornelias
1. Betrachtung der Verhältnisse Cornelias zum Vater, zur Mutter, zum Bruder
und zum Ehemann
2. Cornelias Verlassenheit und Isolation
V. "Meine Schwester der ich so lang geschwiegen habe als dir, plagt mich wieder heute um Nachrichten oder so was von mir" Untergang Cornelias
Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis
An den Wurzeln heiliger Eiche Schwillt ein Lebensquell hervor, Und so, ohne Nachbar-Gleiche, Wuchs die Edle still empor. Äste streckt sie, Blätterbüsche Sonnig, über glatte Flut, Und in ewig grüner Frische Spiegelt sich des Dankes Glut.1
Inzestuöse Konstellationen, in Form realer, übertragener und poetischer Verbindungen sind ein auffälliges Merkmal in Goethes Leben und Werk. Sie beruhen auf verschiedenen Begriffen der Verwandtschaft. Diese kann gekennzeichnet sein durch die leibliche Form der Blutsverwandtschaft oder durch eine seelische oder Wahl-Verwandtschaft aufgrund geistigen und seelischen Verwandtseins. Die Bruder-Schwester-Konstellation ist die am häufigsten vorkommende Verwandtschaftskonstellation in Goethes Schaffensperiode bis 1796.
Zunächst erfolgt ein einleitender Blick auf die Forschung zu Inzest, Inzestverbot, Inzestneigung und Inzestscheu, die sich an die umfangreiche soziologische Untersuchung von Jörg Klein hält.
Das Vorkommen des Inzestmotivs in der Goethezeit wird im Anschluß betrachtet und beruht auf der sehr detaillierten juristischen und statistischen Arbeit von Michael Titzmann. Die Untersuchung von Form und Funktion inzestuöser Konstellationen bei Goethe wird unterteilt in reale, übertragene und poetische Konstellationen und erfolgt in einer Mischung aus biographischem, text- und kontextorientiertem Ansatz. Die reale Konstellation findet sich im Verhältnis zu seiner Schwester Cornelia, das Goethe selbst durch Inzestnähe charakterisiert, in der poetischen Stilisierung der Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811-1833).
Für die übertragenen Konstellationen, die sich durch Verwendung inzestuöser Metaphorik für erotische Beziehungen auszeichnen, werden Goethes Verhältnisse zu Auguste von Stolberg und zu Charlotte von Stein untersucht (Briefe/Gedichtanalyse).
Die poetische Konstellationen werden textbezogen analysiert in Form der Gestaltungen des vermeintlichen Inzests im Schauspiel Die Geschwister von 1776 und des unbewußten Inzests im Roman Wilhelm M eisters Lehrjahre von 1795/96. Als Spiegelung des inzestuösen Geschwisterpaars Augustin und Sperata erfolgt noch die Betrachtung des Paares Wilhelm und Mariane im gleichen Roman.
Aufgrund der großen Bedeutung der Schwester für die Kreativität Goethes und des zutiefst betroffen machenden negativen Selbstbildes Cornelias erfolgt im Anschluß ein genauerer Blick auf ihr Leben. Dies geschieht unter großer Anteilnahme an ihrem tragischen Schicksal unter kontextorientiertem Aspekt und unter Bezug auf die einfühlsamen, umfangreichen und ausführlichen Untersuchungen zur Frauenforschung von Sigrid Damm und Ulrike Prokop. Es soll dabei nachgewiesen werden, daß die Schwestergestalten bei Goethe als Spiegel und Quelle des Bruders fungieren, als Mittel zur Lösung von Bindungen, zur Kompensation von Gefühlen wie Entsagung und Verlust und zur Erhaltung der künstlerischen Kreativität, wobei alle Schwestern als Animagestalten bezeichnet werden können. Daß Inzestmotiv kann somit als Symbol für Selbstliebe betrachtet werden.
In diesem Abschnitt über Inzest wird auf die ausführliche Untersuchung von Jörg Klein2 Bezug genommen, in der neben der Darbietung eines Forschungsüberblicks über die bisherige Literatur zur Inzestdiskussion der Versuch unternommen wird, die verschiedenen Positionen auszudiskutieren.
Den Schwerpunkt bilden hierbei Fragen nach der menschlichen Inzestneigung, nach der universellen Verbreitung des Inzestverbots und nach den Ursachen des Inzestverbots, wobei Klein als Soziologe eine biologische Position der natürlichen Inzestscheu des Menschen vertritt.
Inzest wird dabei im engeren Sinne verstanden als heterosexueller Geschlechtsverkehr zwischen blutsverwandten Eltern und Kindern sowie zwischen blutsverwandten Geschwistern, da "das Vater-Tochter-, Mutter-Sohn- und Bruder-Schwester-Verbot den historischen Ursprung und universalen Kern jeglicher [...] Inzestverbote ausmache."3
Seit etwa hundert Jahren gibt es eine intensive und kontrovers geführte Diskussion um die Hintergründe, die im Zusammenhang mit Inzest, Inzestverbot, Inzestneigung und Inzestscheu stehen, hierbei insbesondere bezüglich der Frage nach den Ursachen des Inzestverbots und nach den Gründen, warum die meisten Menschen keinen Inzest praktizieren. An dieser Diskussion beteiligt sind u.a. Anthropologen, Ethnologen, Psychologen und Soziologen.
Dabei gibt es zwei Hauptrichtungen, unterteilt nach soziologischen und biologischen Aspekten, mit der kontroversen Auffassung von natürlicher Inzestneigung einerseits und natürlicher Inzestscheu andererseits, die beide nach den jeweiligen Ursachen der Aufstellung des Inzestverbots fragen.
Die soziologischen Positionen betonen das primäre Vorhandensein von starker Inzestneigung des Menschen, verbunden mit stärkster sexueller Leidenschaft.
Dieser Inzestneigung entgegen stehe ein strenges Inzestverbot. Das Aufstellen des Verbots erfolge sekundär aufgrund der Bedrohung der Grundstrukturen der Gesellschaft durch den Inzest.
Das Inzestverbot diene als kulturelle Norm zur Verhinderung der Realisierung des Inzests. Die Ursache des Verbots bestehe in der Vermeidung des Inzests wegen der mit ihm verbundenen sozialen Nachteile.
Vier Gründe werden hauptsächlich als Beweis für das Vorhandensein von Inzestneigung angegeben:
- Das Inzestverbot beweise indirekt das Vorhandensein von Inzestneigung.
- Die psychoanalytische Therapie erbringe regelmäßig den Nachweis der Inzestneigung.
- Die Inzestneigung finde Bestätigung durch häufiges Vorkommen von offenem oder verschlüsseltem Inzestverlangen in Mythos, Märchen und Literatur.4
- Das Vorkommen von Inzestfällen beweise die fehlende instinktive Hemmung.
Die Inzestscheu wird als Ergebnis des Inzestverbots (Lerneffekt) bezeichnet. Vertreter dieser soziologischen Positionen sind u.a. Freud, Seligman, Malinowski, Fortune, White, Lévi-Strauss, Murdock und Parsons.
Besondere Bedeutung kommt hierbei Freud zu, der mit seiner sogenannten "Triebtheorie" von 1897 die These vom starken Inzestwunsch des Menschen vertrat. Von großer Bedeutung für die Entwicklung dieser These ist allerdings Freuds bedauerliche Revision der ursprünglichen Theorie von 1896. Diese wurde später unpassend als "Verfuhrungstheorie"5 bezeichnet ("Mißbrauchstheorie" wäre ein treffenderer Terminus).
In dieser Theorie gelangen Freud fundamentale Erkenntnisse zur Aufdeckung sexuellen Kindesmißbrauchs und zur Theorie seelischer Erkrankungen. Durch gesellschaftliche, historische und individuelle Umstände veranlaßt, revidierte Freud leider seine Erkenntnisse.6
Die "Triebtheorie" (treffenderer Terminus "Inzestwunschtheorie"), die, abgesehen von der Inzestthematik, von großer Bedeutung für die Entdeckung der kindlichen Sexualität ist, revidiert den realen sexuellen Mißbrauch des Kindes durch Aufstellen der These vom Ödipuskomplex in einen solchen der gewünschten Verführung und Phantasie, in eine Theorie vom starken Inzestwunsch des Menschen, speziell dem Begehren des Kindes nach dem gegengeschlechtlichen Elternteil.
Funktionen des Inzestverbots
Für die Funktionen des Inzestverbots entwickelten die Vertreter der soziologischen Positionen verschiedene Thesen, die hier aufgeführt werden:
- Verhinderung von sexueller Rivalität und Eifersucht zwischen den Familienmitgliedern (Eifersuchtsthese)
- Verhinderung von unlösbaren Rollenkonflikten innerhalb der Familie (Rollenverwirrungsthese)
- Verhinderung der Fortsetzung der engen Eltern-Kind-Bindung der Kindheit und Vermeidung des Stehenbleibens der Kinder auf einer infantilen Entwicklungstufe aufgrund der Hinderung von Reifung und Ablösung von den Eltern (Reifungsthese)
- Verhinderung der Isolation einzelner Familiengruppen durch Schaffung sozialer Bindungen (Allianzen) mittels Exogamieregel (Allianzthese)
- Verhinderung der Fortpflanzung durch Inzest aufgrund der Erkenntnis über auftretende Schäden durch Erbkrankheiten beim Nachwuchs (Erbhygienethese)
- Verhinderung von Endogamie als Folge des ursprünglichen Frauenraubs aus fremden Gruppen in der Frühzeit des Menschen oder bei bestimmten Kulturen (Frauenraubthese)
Die biologischen Positionen betonen den Vorrang instinktiver Inzestscheu als Ergebnis der natürlichen Selektion, da eine Fortpflanzung durch Inzest mit biologischen Nachteilen verbunden sei.
Inzestscheu, als angeborener Faktor (Instinkt), gilt für sie als natürlicher, erblich fixierter und biologisch bedingter Mechanismus der Inzestvermeidung.
Das Inzestverbot als Fixierung der natürlichen Scheu sei nur gegen eine kleine Zahl von Außenseitern gerichtet. Das Inzestverbot existiere neben der natürlichen Inzestscheu.
Wirkungsweise der biologischen Inzestvermeidung
- Inzestvermeidung entstehe aufgrund des engen Zusammenlebens von früher Jugend an (Existenz eines angeborenen Widerwillens gegen sexuellen Kontakt zwischen Personen, die von früher Jugend auf eng beieinanderleben) (Vertrautheitsthese)
- es existieren kaum Vorfälle von Mutter- und Sohn-Paarungen bei Primaten (Mutter/Sohn-These)
- Inzestvermeidung erfolge aufgrund von mangelndem Interesse (sexuelle Unattraktivität) bei großem Altersunterschied zwischen zwei Generationen (Altersunterschiedsthese)
- Verhinderung von Inzest in Analogie zu Inzestvermeidungsverhalten bei Tieren mit Bindungsverhalten zwischen Eltern und Nachwuchs (These über Inzestvermeidung bei Tieren)
Funktionen der biologischen Inzestvermeidung
- Verhinderung von Erbkrankheiten bei der Fortpflanzung (Erbhygienethese)
- Vermeidung der Reduzierung der genetischen Variabilität durch Neukombination des Erbgutes (These der genetischen Variabilität)
Jörg Klein zieht als Ergebnis seiner Untersuchung folgendes Resümee:
Die Verbreitung des Inzestverbots unter den Kulturen der Welt ist zwar außerordentlich groß, dennoch können Zweifel an einer Universalitätsthese dieses Verbotes geäußert werden. Hierfür kann man den praktizierten dynastischen und magischen Inzest in verschiedenen Kulturen heranziehen (Ägypten, Iran, Peru, Schwarzafrika, Polynesien). Daneben gibt es auch aufgrund von interkulturellen Studien Zweifel an der Existenz eines strengen Inzestverbots. Auch die logische Schlußfolgerung vom Inzestverbot auf ein Inzestverlangen kann in Zweifel gezogen werden.
Wahrscheinlicher als die universelle Verbreitung eines Inzestverbot ist jedoch das Vorhandensein einer biologischen Inzestscheu. Diese würde existieren, wenn Inzest durch willkürliche Partnerwahl wesentlich seltener vorkommt als andere Verbindungen.
Über die Häufigkeit des Vorkommens von Inzestfällen kann nur spekuliert werden. Inzestfälle, Frauen betreffend, existieren fast ausschließlich in Form des Mißbrauchs von minderjährigen Töchtern und Schwestern. Zwischen zwei Erwachsenen kommt Inzest sehr selten vor und äußerst selten zwischen Mutter und Sohn. Die häufigsten Inzestfälle sind Vater-Tochter-Inzest und Bruder-Schwester-Inzest, wobei diese von Seite des männlichen Inzestors als ein Ausüben von Macht gegenüber den schwächeren weiblichen strukturiert sind. In fast allen Fällen von Vater-Tochter-Inzest sind die Töchter Opfer des sexuellen Mißbrauchs durch ihre Väter, ähnliche Verhältnisse gelten für den Geschwisterinzest, wobei hier noch der Aspekt der sexuellen Neugier oder der Verlegenheitslösung hinzukommt.
Vorkommen von Inzest spiegelt ein großes Maß an männlicher Sozialisation wieder, da praktizierter Inzest fast immer Ausdruck der Gewalt-Konstellation von Macht-Ohnmacht, Täter-Opfer ist.
Inzest erscheint so als eine Folge des Zusammenlebens in Kleinfamilien, in der die abhängigsten Personen ausgebeutet werden.
Unter Erwachsenen scheint nur bei einem Teil der Vätern eine Inzestneigung vorzukommen, die wiederum wahrscheinlich nur auf der Machtstruktur, der Verfügbarkeit der Töchter und fehlenden Ersatzlösungen beruht und aufgrund der Doublebind-Struktur aufrechterhalten werden kann.
Klein führt unter Bezugnahme auf die biologische Position drei alternative Thesen für die Ursachen des Inzestverbots an, wobei er die beiden letzten als Ursachen für die Entstehung des Inzestverbots hält:
- Verhinderung von sexuellem Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Familie
- Verhinderung der Verwirrung und Bedrohung von Verhaltenserwartungen und Sinnorientierungen, Garantie der Gleichartigkeit des Verhaltens (Inzestverbot als kulturelle Fixierung der natürlichen Inzestscheu, Norm als Unterstützung oder Ersatz des Instinktes)
- Empfindung von instinktivem Abscheu, Mißtrauen und Abwehr gegenüber Personen mit inzestuösem Verhalten aufgrund der natürlichen Inzestscheu
In diesem Abschnitt folgt eine Betrachtung über das Inzestmotiv in der Goethezeit (etwa 1770-1830), die sich an die umfassenden Ausführungen von Michael Titzmann7 8 hält.
Daneben wird auch Bezug genommen auf zwei Arbeiten von Christina von Braun und einen Aufsatz von Bärbel Götz.9
In der Literatur der Goethezeit registriert Titzmann ein gehäuftes Vorkommen inzestuöser Situationen, die im Vergleich mit der vorhergehenden Zeit zahlenmäßig und qualitativ einen neuen Status erreichen. In Erzähltexten der Goethezeit fällt besonders eine sprunghafte Zunahme inzestuöser Konstellationen in den neunziger Jahren auf (vgl. Diagramme auf Seite 13).
Unter Inzest wird dabei vorwiegend die sexuelle Beziehung von Personen verstanden, die durch biologische (Abstammung) oder soziale (Vormundschaft) Kennzeichen miteinander verbunden sind. Sie gelten im kulturellen Wissen (Alltagswissen, Theologie, Philosophie, Wissenschaften) als verwandt und ihre sexuelle Beziehung als verboten.
In der Literatur werden solche Konstellationen behandelt, die zum Kern der gesetzlichen Eheverbote gehören. Die Darstellungen des Inzests beschränken sich auf die Beziehungen innerhalb der Kernfamilie. Sie behandeln biologische oder soziale Verwandtschaft zwischen Eltern und Kind sowie zwischen Geschwistern. Dominierend ist hierbei die Phantasie der generationsinternen Geschwisterkonstellation. Eine Hierarchisierung erfolgt nach dem Grad der Normverletzung. Das stärkste Tabu liegt auf der Mutter-Sohn-Konstellation, danach folgt die Vater-Tochter-Konstellation. Der Geschwisterinzest ist weniger scharf sanktioniert.
Verwendete Topoi der Texte sind Unwissenheit über die Verwandtschaft, Trennung der Familienmitglieder, Vergehen gegen Normen in der Elterngeneration (Schuldzuweisung an Eltern).
Christina von Braun stellt in ihren Untersuchungen zum Geschwisterinzest fest: "Das Motiv der Geschwisterliche taucht ab etwa 1800 in der europäischen Literatur immer häufiger auf. Es wird zu einem der großen Themen von Romanen und Novellen und durchzieht die Literatur vom Zeitalter der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert."10, "Mit der Romantik [...] gewinnt die Liebe zwischen Bruder und Schwester eine völlig neue Dimension, die sie zu dem Liebesmythos der Moderne machen wird - vor allem im deutschsprachigen Raum. Es gibt in der deutschsprachigen Literatur von 1800 bis 1945 kaum einen Schriftsteller, der nicht den Topos der Geschwisterliebe als erotisches Motiv aufgegriffen hätte."11
In der Goethezeit existiert eine Divergenz zwischen dem theologischen und juristischen Wissen um Inzestverbote bezüglich Umfang, Status und Begründung. Für die Literatur ist die juristische Position bedeutender als die theologische. Die juristischen Gesetze entspringen dem Denken der Aufklärung und damit teilweise einer Opposition zur Theologie. Das Denken des 18. Jahrhunderts ist von rationaler Normbegründung begleitet, von einem "Prozeß der Ablösung der Normproblematik vom theologischen Kontext".12
Bezüglich der Normen des familiären und sexuellen Verhaltens zeigt sich die Tendenz zur Aufrechterhaltung vorhandener Normen.
Die Gesetze enthalten als Kern der Verbote Eheverbote bei biologischer Verwandtschaft zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Geschwistern und bei sozialer Verwandtschaft zwischen Stiefeltern und Stiefkindern unter Einbeziehung von Vormundschaftsbeziehungen.
Argumente für Inzestverbot
Die konservative Argumentation für das Inzestverbot beruht neben einer ethnohistorischen Begründung, dem im allgemeinen universal vorkommenden Inzestverbot und somit geltenden natürlichem Gesetz auf der theologischen Begründung. Die theologische Begründung des Inzestverbots beruht auf der Bezugnahme auf die "mosaischen Gesetze" (3. Buch Mose, 18,6-18), die im Alten Testament unter dem "Verbot geschlechtlicher Verirrungen" aufgezählt werden.
Fundamentale Bedeutung haben dabei die Betonung der Blutsverwandtschaft beim geschlechtlichen Umgang, wodurch der Inzest in die Nähe zum Blutmystizimus gelangt und der Eingriff in die (Besitz)-Rechte und die Gefahr des Ehrverlustes durch die Beschädigung der Ehre von Männern.
Der machtspezifische, besitzbezogene und ökonomische Hintergrund dieser Bestimmungen ist unübersehbar. Sie sollen im folgenden in extenso zitiert werden, da aus ihnen ersichtlich wird, daß sie fast ausschließlich das männliche Ego betreffen, mit einem Verbot von sexuellen Beziehungen, die sich über vier Generationen erstrecken.
Keiner unter Euch soll sich irgendwelchen Blutsverwandten nahen, um mit ihnen geschlechtlichen Umgang zu haben; [...] Du sollst mit deinem Vater und deiner leiblichen Mutter nicht Umgang haben. [...] Du sollst mit der Frau deines Vaters nicht Umgang haben; denn damit schändest du deinen Vater. Du sollst mit deiner Schwester, die deines Vaters oder deiner Mutter Tochter ist, sie sei in oder außer der Ehe geboren, nicht Umgang haben. Du sollst mit der Tochter deines Sohnes oder deiner Tochter nicht Umgang haben, damit schändest du dich selbst. Du sollst mit der Tochter der Frau deines Vaters, die deinem Vater geboren ist und deine Schwester ist, nicht Umgang haben. Du sollst mit der Schwester deines Vaters nicht Umgang haben; denn sie ist deines Vaters Blutsverwandte. Du sollst mit der Schwester deiner Mutter nicht Umgang haben; denn sie ist deiner Mutter Blutsverwandte. Du sollst den Bruder deines Vaters nicht damit schänden, daß du seine Frau nimmst; denn sie ist deine Verwandte. Du sollst mit deiner Schwiegertochter nicht Umgang haben, denn sie ist deines Sohnes Frau; [...]. Du sollst mit der Frau deines Bruders nicht Umgang haben; denn damit schändest du deinen Bruder. Du sollst nicht mit einer Frau und mit ihrer Tochter Umgang haben, noch mit ihres Sohnes Tochter oder ihrer Tochter Tochter; denn sie sind ihre Blutsverwandten, und es ist eine Schandtat. Du sollst die Schwester deiner Frau nicht zur Nebenfrau nehmen und mit ihr Umgang haben, solange deine Frau noch lebt.13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus diesen Ausführungen und der Grafik gewinnt man als Erkenntnis das Fehlen des Verbots der Beziehung eines Vaters zu seiner eigenen Tochter. Abgesehen von der einleitenden Formel fehlt die diesbezügliche explizite Aufführung der verbotenen Vater- Tochter-Konstellation im ausführlichen Register verbotener Beziehungen. Der Vater- Tochter-Inzest unterliegt auch sonst nicht der Verurteilung, wie aus dem Beispiel der Episode von Lot und seinen Töchtern hervorgeht, wobei für Lot noch zusätzlich die Schuld gemindert wird durch die wiederholte Betonung seines Nichtbemerkens "und er ward es nicht gewahr".
Beim Vater-Tochter-Inzest erfolgt kein Eingriff in die Rechte Dritter männlicher Personen (Eigentum, Besitz, Ehre), er bedeutet omnipotenten Besitz.
Argumente gegen Inzestverbot
Die Epoche der Goethezeit verfügt über keine außertheologische rationale Begründung des Inzestverbots. Unter rationaler Argumentation wird der Inzest deshalb von einem hochrangigen Verbrechen gegen Gott und/oder Natur zu einem niedrigen desakralisiert.
Als Argumente gegen die Widernatürlichkeit des Inzests werden ebenfalls ethnohistorische und biblische Argumente angeführt.
Als ethnohistorisches Gegenargument werden Zweifel an der Universalität des Inzestverbots aufgrund der Existenz von Inzestehen bei verschiedenen Völkern angemeldet.
Meiners zieht in seinem Grundriß der Geschichte der Menschheit (1793) das Resümee: "Nationen von dem selbigen Stamme und der selbigen Race hatten über verbotene und nicht verbotene Grade die entgegengesetztesten Begriffe. Ehen zwischen nahen oder den nächsten Blutsverwandten fanden sich, oder finden sich noch jetzt unter einer viel größeren Zahl von Völkern, als die Verteidiger des natürlichen Abscheus blutschänderischer Vereinigungen vermutet haben".14
Als biblisches Gegenargument existiert in Zedlers Universal-Lexikon von 1733 die Ansicht, daß die von Gott geschaffenen ersten Menschen sich anfangs notwendigerweise durch Inzest hätten vermehren müssen: "Die Blutschande ist zwar also nicht wider die Natur, daß die menschliche Gesellschaft nicht bey derselben bestehen könne, der Anfang des menschlichen Geschlechtes so wohl als die angeführten Gewohnheiten derer Völcker bezeugen dieses".15
Diese beiden Argumente werden auch in poetischen Texten angeführt, in denen eine Diskussion über den Inzest erfolgt, aber vollzogener Inzest wird immer mit der Höchststrafe sanktioniert.
Die Literatur nimmt somit eine Mittelstellung zwischen dem konservativen theologischen und dem fortgeschrittenen juristischen System ein. Dies läßt für Titzmann den Schluß zu, daß ein kulturelles Bedürfnis existierte, die Aufrechterhaltung der konservativen Norm durch die Literatur zu vermitteln.
In den poetischen Texten der Goethezeit wird die Verwerflichkeit des Inzests als absolut verständlich vorausgesetzt. Es wird nur mit wenigen Ausnahmen nicht gegen das Inzestverbot argumentiert. Titzmann schreibt dazu:" Die Literatur der GZ [=Goethezeit] erfüllt in ihrer Inzest-Behandlung eine kompensatorische Funktion, insofern sie an die Systemstelle tritt, die die Theorie der Epoche nicht mehr besetzen kann: wo die Theorie versagt, ersetzt die Literatur die scheiternde rationale Begründung von Bewertungen und Einstellungen durch deren stillschweigende Einübung."16
Literatur und juristische Gesetze existieren nebeneinander. Dies erlaubt die gleichzeitige Befriedigung einander ausschließender kultureller Bedürfnisse: "des Bedürfnisses nach Aufrechterhaltung des tradierten mythisch-sakralen Charakters des Inzests und des Bedürfnisses nach rationaler Rechtslegitimation und entsprechenden Strafmaßnahmen."17 Titzmann schreibt weiter: "Bezüglich des Inzests ist nicht nur dieses kulturelle System an sich ambivalent, wie die Opposition von Literatur und Recht zeigt, sondern die Literatur selbst ist auch, in anderer Hinsicht, in sich ambivalent: sie erlaubt sich zugleich die Versuchung des Inzestes als Faszinosum, indem sie ihn unermüdlich durchspielt und ausführlich darstellt, und seine Ausschließung , indem sie seine Urheber und seine Folgen anschließend aus der Welt tilgt (und sich damit zugleich ihr gutes Gewissen sichert)."18
Diagramme: Zeitliche Verteilung der inzestuösen Situationen19
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle: Verteilung der inzestuösen Situationen nach "Verwandtschaftsgrad" / "(Nicht-)Wissen" / "(Nicht-)Vollzug"20
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bruder-Schwester-Konstellation (78%)
Die Konstellation von Bruder und Schwester kommt am häufigsten vor und erhält geringe Zuweisung von Schuld. Sie ist vorwiegend gekennzeichnet durch Unwissenheit (88%), meist wechselseitige erotische Zuneigung und durch die Verhinderung des Vollzugs bei Wissen um die Verwandtschaft.
Vater-Tochter-Konstellation (15%)
Die Vater-Tochter-Konstellation kommt am zweithäufigsten vor. Sie wird eher gekennzeichnet durch Wissen der Verwandtschaft (50%), wobei dies immer auf der Seite der Väter ist und Vollzug des Inzests trotz Wissens um die Verwandtschaft (34 %). Die erotische Zuwendung ist in den meisten Fällen einseitig und unerwidert und geht in der Regel vom Vater aus.
Mutter-Sohn-Konstellation 17%)
Diese Konstellation ist charakterisiert durch Nichtwissen der Verwandtschaft (100%) und Nichtvollzug des Inzests (100%). Dies ist kein Merkmal für den geringeren Rang des Vergehens sondern für seine "kulturelle Undenkbarkeit" (Titzmann).
Titzmann resümiert: "der bewußt und von vornherein von beiden Partnern gewollte Inzest scheint einen kaum denkbaren Grenzfall des Systems darzustellen".21
Die Ursachen für die Häufung inzestuöser Situationen in der Goethezeit liegen für Titzmann begründet im folgenden:
- Wandel von Werten und Normen des Komplexes Liebe/Ehe/Familie
- Wandel des Modells der Partnerwahl (Unaustauschbarkeit/Einmaligkeit/Nichtersetzbarkeit)
- Problem der Abgrenzung von Emotionen (Verwandtschaft/Freundschaft/Liebe)
- Verwirrung der Gefühle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Jean Véber: Puppen (1900)
Die Frauen, sagte er, sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen. Meine Idee von den Frauen ist nicht von den Erscheinungen der Wirklichkeit abstrahiert, sondern sie ist mir angeboren, oder in mir entstanden, Gott weiß wie. Meine dargestellten Frauen-Charaktere sind daher auch alle gut weggekommen, sie sind alle besser, als sie in der Wirklichkeit anzutreffen sind.
(Eckermann, Gespräche mit Goethe)22
Ein Zentralmotiv bei Goethe (besonders im Alterswerk) ist die Entsagung. Über die Rolle der Entsagung als eines gesellschaftlichen Zwanges und den Mechanismus, wie dieser Zwang mittels Übertragung erleichtert ertragen werden kann, äußert sich Goethe im Spinoza-Abschnitt von Dichtung und Wahrheit: "Unser physisches sowohl als geselliges Leben, Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit, Philosophie, Religion, ja so manches zufällige Ereignis, alles ruft uns zu daß wir entsagen sollen; so manches was uns innerlich eigenst angehört sollen wir nicht nach außen hervorbilden, was wir von außen zu Ergänzung unsres Wesens bedürfen, wird uns entzogen, dagegen aber so vieles aufgedrungen das uns so fremd als lästig ist. Man beraubt uns des mühsam Erworbenen, des freundlich Gestatteten, und ehe wir hierüber recht ins Klare sind finden wir uns genötigt unsere Persönlichkeit erst stückweis und dann völlig aufzugeben. Dabei ist es aber hergebracht daß man denjenigen nicht achtet der sich deshalb ungebärdig stellt, vielmehr soll man, je bittrer der Kelch ist, eine desto süßere Miene machen, damit ja der gelassene Zuschauer nicht durch irgend eine Grimasse beleidigt werde. Diese schwere Aufgabe jedoch zu lösen, hat die Natur den Menschen mit reichlicher Kraft, Tätigkeit und Zähigkeit ausgestattet. Besonders aber kommt ihm der Leichtsinn zu Hülfe, der ihm unzerstörlich verliehen ist. Hierdurch wird er fähig dem Einzelnen in jedem Augenblick zu entsagen, wenn er nur in dem andern nach etwas Neuem greifen darf; und so stellen wir uns unbewußt unser ganzes Leben immer wieder her."23
Die Schwestergestalten Goethes, reale, übertragene und poetische, sind gekennzeichnet durch eine ganz spezielle Funktionalität, die sich auszeichnet durch ihre Stilisierung im völligen Bezug auf den Bruder, der von selbstverständlicher Dienstbarkeit bis zur Gynophagie reicht.
Martina Lassacher kennzeichnet solche Frauen in Bezug auf die Dichter der Romantik als Animageliebte, die nur eine bestimmte Funktion zu erfüllen haben, zu denen aber kein menschliches Verhältnis existiert. Ein solcher Vergleich ist auch auf die Schwestergestalten Goethes angebracht. Sie sind Ideen und keine realistischen Frauen. Lassacher schreibt dazu: "So wie der 'romantische' Dichter kaum echte Beziehungen zu seiner Umwelt hat, hat er auch ein eigentümliches Verhältnis zu der Frau, die er liebt. Für ihn, der sich der Welt in einer besonderen Weise verschrieben hat, kann es gar keine glückliche, erfüllte Liebe geben, denn eine solche Liebe würde seiner Aufgabe im Wege stehen. So entwickelt er unbewußt Schutzmechanismen, die die Gefahr einer echten Beziehung mildern, und verliebt sich nur in Frauen, die für ihn unerreichbar sind. Entweder will die auserwählte Frau nichts von ihm wissen [...] ist schon mit einem anderen verheiratet [...] ist seine eigene Schwester [...] ist dem Tode geweiht [...] oder sie ist die übervollkommene Wunschvorstellung einer idealen Geliebten [...] Eine Frau, zu der man auf diese Art eine Entfernung geschaffen hat, kann dann zu der einzigen, lebenslänglichen Geliebten hochstilisiert werden, neben der nie wieder eine andere - vielleicht erfüllte- Liebe bestehen kann. So entstehen dann diese Animagestalten, halb Mann, halb Jungfrau, halb Schwester, die den Dichter zwar in seinem Auftrag beflügeln und fördern, jedoch nie in sein menschliches Leben eingreifen, weil das Verhältnis zu ihnen durch Unkörperlichkeit und Heiligkeit gekennzeichnet ist."24
Alice Raphael schreibt über Goethe, daß "die hochentwickelte Schwester die Anima-Figur hinter seiner Beziehung zu Charlotte von Stein war"25 und "Berechtigte Sperren erwiesen sich in Goethes Liebesleben in jeder Situation als unüberwindliche Hindernisse vor der Ehe. Man könnte sagen, daß seine Anima diesen Sachverhalt bestimmte, denn er wurde nie ein verheirateter Mann im konventionellen Sinne. Die Wiederholung eines psychologischen Musters implizierte immer eine Form von Hinderung"26, sodaß ihm keine Synthese zwischen körperlicher und geistiger Liebe gelang.
aber der Mensch ist ein wahrer Narziß; er bespiegelt sich überall gern selbst; er legt sich als Folie der ganzen Welt unter.
(Goethe, Die Wahlverwandtschaften)27
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Johann Wolfgang and Cornielia Friederike Christiane Goethe28
Goethe beschreibt in Dichtung und Wahrheit über viele Seiten verstreut das Verhältnis zwischen ihm und seiner Schwester Cornelia. Es wird von Beginn an als ein liebevolles dargestellt, das in der Zeit der Jugend eindeutig als ein erotisches, zwischen Inzestnähe und Inzestvermeidung schwankend, stilisiert wird.
Die Erinnerungen an Kindheit und Jugend und das Wesen der Schwester entstehen in einem großen zeitlichen Abstand zum Erlebten. Es ist dies eher eine Stilisierung dieses Verhältnisses im Hinblick auf die Selbstdarstellung in der Autobiographie als eine Widerspiegelung der Realität. Dies wird deutlich bei näherer Betrachtung von Goethes eigenen Bemerkungen hierzu, den Briefen an Cornelia aus Leipzig sowie bei Betrachtung von Cornelias Briefen und Selbstzeugnissen. Das Verhältnis entspricht nicht dem einer ungebrochenen Zuneigung.
[...]
1 Undatiertes Altersgedicht Goethes, aufgenommen in Band 7 der nachgelassenen Werke von 1833 unter der Rubrik "Übergangenes, Unterdrücktes", zitiert nach: Kayser, Walter: Zur Symbolisierung des Wassers bei Goethe, Freiburg 1991,S.261
2 Klein, Jörg: Inzest: Kulturelles Verbot und natürliche Scheu. Opladen 1991
3 Klein (1991), S. 11
4 Vgl. dazu die umfangreiche Arbeit über das Inzest-Motiv von Otto Rank, Das Inzest-Motiv in Dichtung und Sage. Grundzüge einer Psychologie des dichterischen Schaffens. Leipzig und Wien 1926
5 Bezeichnung für die in Freuds Vortrag (gehalten am 21. April 1896 vor seinen Kollegen vom Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien) unter dem Titel ''Zur Ätiologie der Hysterie" entwickelte Theorie, in der gesellschaftliche Ursachen im Gegensatz zur bis dahin geltenden Theorie von der biologischen Vererbung als Ursache von Hysterie aufgezeigt werden.
6 Vgl. die Arbeit von Jeffrey Moussaieff Masson, Was hat man dir, du armes Kind, getan? Siegmund Freuds Unterdrückung der Verführungstheorie. Reinbek 1984
7 Titzmann, Michael: Literarische Strukturen und kulturelles Wissen: Das Beispiel inzestuöser Situationen in der Erzählliteratur der Goethezeit und ihrer Funktionen im Denksystem der Epoche, in: Erzählte Kriminalität. Zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in Strafrechtspflege. Publizistik und Literatur zwischen 1770 und 1920. hg.v. Jörg Schönert, Tübingen 1991, S. 229-281
8 von Braun, Christina: Die "Blutschande". Wandlungen eines Begriffs: Vom Inzesttabu zu den Rassegesetzen, in: Dies.: Die schamlose Schönheit des Vergangenen. Zum Verhältnis von Geschlecht und Geschichte. Frankfurt a.M. 1989, S. 81- 111
von Braun, Christina: Nana Dada Ada - Oder die Liebe nach dem Jüngsten Gericht, in: Literatur und Sexualität. Freiburger literaturpsychologische Gespräche, Band 10, hg.v. Johannes Cremerius u.a., Würzburg 1991, S. 77-109
9 Götz, Bärbel: Bruder, Freund, Geliebter, Verführer. - Die Geschwisterinzest-Phantasie in Therese Hubers Roman Die Familie Seldorf in: Psychoanalyse und die Geschichtlichkeit von Texten. Freiburger literaturpsychologische Gespräche, Band 14, hg.v. Johannes Cremerius u.a., Würzburg 1995, S. 219-242
10 Braun (1989), S. 85
11 Braun (1991), S. 80 f.
12 Titzmann (1991), S. 232
13 Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung Martin Luthers. Leipzig o.J., S. 127
14 S. 206, zitiert nach: Titzmann (1991), S. 261 f., die Hervorhebungen bei Titzmann werden nicht mit übernommen
15 Bd. 4, Sp. 253, zitiert nach: Titzmann (1991), S. 262
16 Titzmann (1991), S. 264
17 Titzmann (1991), S. 264 f.
18 Titzmann (1991), S. 265
19 Diagramme aus: Titzmann (1991), S. 249
20 Tabelle aus: Titzmann (1991), S. 250
21 Titzmann (1991), S. 251
22 MA, 19, S. 270 (22. Oktober 1828) FA, 14, S. 729 f.
23 FA, 8, S. 300
24 Lassacher (1987), S. 179 f.
25 Raphael (1990), S. 53
26 Raphael (1990), S. 54
27 FA, 8, S. 300
28 Montage der Abbildung Johann Wolfgang Goethes aus: Johann Caspar Lavater, Phvsiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe. Eine Auswahl mit 101 Abbildungen, Stuttgart 1984, S. 241 und der Abbildung Cornelia Goethes aus: Georg Witkowski, Cornelia die Schwester Goethes. Frankfurt am Main 1903
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