Bachelorarbeit, 2021
54 Seiten, Note: 2
1. Einleitung
1.1 Aktuelle Lage
1.2 Bereiche
1.3 Forschungsmethoden und Aufbau
2. Medienbildung
2.1 Relevanz
2.2 Bildungsplanbezug
3. Filmanalyse in der Grundschule
3.1 Begriffsklärung
3.2 Geschichte
3.3 Argumentation
3.4 Filmdidaktik
3.5 Kinderfilm
3.5.1 Entwicklung
3.5.2 Gattung
3.5.3 Kriterien
3.6 Voraussetzungen
4. Diversität
4.1 Situation und Repräsentation
4.2 Transkulturalität
4.3 Filmauswahl
5. Filmanalyse - Beispiel
5.1 Literaturbezug
5.2 Inhalt
5.3 Wirkung
5.4 Grobanalyse
5.4.1 Szenischer Aufbau
5.4.2 Allgemeine Merkmale
5.4.3 Charaktere
5.4.4 Abenteuer
5.4.5 Umschlag
5.5 Feinanalyse einzelner Szene
5.6 Filmkritik
5.6.1 Öffentliche Äußerungen
5.6.2 Bewertung
6. Theorie und Praxis
6.1 Methodische Grundlagen
6.2 Anwendung
6.3 Fächerdiversität
7. Fazit
8. Quellen
8.1 Literatur
8.2 Film
8.3 Internetquellen
8.4 Podcast
9. Anhang
9.1 Szenenprotokoll
9.2 Sequenzprotokoll
9.3 Charaktere
„Lückenfüller“, „Zeitvertreiber“, eine Belohnung für gute Mitarbeit oder eine Art vor den Ferien die letzten Stunden zu verbringen. Obwohl der Einsatz von Filmen von Schülerinnen und Schülern stets begrüßt wird, so scheint dies aus den falschen Gründen zu sein. Für sie heißt „Filme schauen“ im Unterricht nicht automatisch „Lernen“ und „Wissen vertiefen“ oder sogar „Analyse betreiben“. Stattdessen ist es für sie eine Chance auf Entspannung und Pause vom normalen Unterricht. Die größte Freude wird den nicht-wissenschaftlichen Filmen entgegengebracht. Jedoch sorgt auch der Einsatz von wissenschaftlichen für Vorfreude. Nicht jedoch auf die begleitende Methode, die häufig als Mitschreiben und dem Beantworten von Fragen besteht. Lehrkräften wird – hauptsächlich von Seiten der Elternschaft – mangelnde Vorbereitung oder Motivationslosigkeit zu „richtigem“ Unterricht vorgeworfen. Der Einsatz von Filmen wird in der Schule stets skeptisch betrachtet, im Besonderen da eine produktiv-reflexive Auseinandersetzung mit ihnen meist ausbleibt. Dabei nehmen Filme und filmische Produkte einen großen und wichtigen Part in unserem alltäglichen Leben ein. Sie übernehmen beinahe unsere gesamte mediale Sozialisation und verfügen über eine stärkere Präsenz als Texte jeglicher Art. Unsere Zeit ist geprägt von Digitalität und in dieser von starken audio-visuellen Einflüssen, in Form von Filmen und Kurzvideos. Dabei beschränkt sich der Einfluss nicht nur auf die Freizeit. Beispielsweise sind auch Lernvideos oder Berichterstattungen im Internet in großer Häufigkeit zu finden. Zudem hat sich der Konsum von audio-visuellen Medien auch bei Kindern und Jugendlichen stark erhöht. Aus diesem Grund ist es wichtig, von Kindheit an die Medienkompetenz auszubilden und Grundlagen für die Filmrezeption zu schaffen, damit Filme und Videos kritisch und kompetent betrachtet werden können. Diese Aufgabe kann nicht alleine beim Elternhaus liegen und ist somit Aufgabe der Schulbildung.
Diese Bachelorarbeit soll im Folgenden hauptsächlich die Bedeutsamkeit des Mediums Film in der unterrichtlichen Praxis allgemein sowie im Grundschulunterricht im Besonderen aufzeigen. Dabei werden die verschiedenen Bereiche der Filmanalyse herausgearbeitet und diese in ihrer Bedeutung für die Kinder und Jugendlichen belegt. Auch auf Aspekte der Diversität in Filmen und die Relevanz von Repräsentation in Medien soll eingegangen werden. Im Hinblick auf den gewählten Film, werden dabei mögliche Ansätze für die unterrichtliche Praxis herausgearbeitet.
Die Arbeit trägt den Titel „Filmanalyse im Deutschunterricht der Grundschule“. Beispielhaft wird der Kinderspielfilm „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ betrachtet.
Die Thematik dieser Arbeit nimmt eine Vielzahl an Bereichen ein. Der der Arbeit übergeordnete Bereich ist die Deutschdidaktik, bzw. das Fach Deutsch. Die Filmanalyse soll deshalb für den Deutschunterricht aufgearbeitet werden. Die Filmanalyse ist jedoch auch Teil der Medienbildung, weshalb diese nicht außer Acht gelassen werden darf. Weitere Bereiche der Filmanalyse auf schulischer Ebene sollen in Teil 6.3 „Fächerdiversität“ kurz angesprochen werden.
Die Methoden im Rahmen der Arbeit werden sich auf eine filmische Analyse und Literaturauswertung beschränken. Die filmische Analyse bezieht sich dabei auf den Film als ganzheitliches Produkt und auf eine gewählte Szene in kleinschrittiger Weise. Ausführliche Beobachtungen dazu wurden im Anhang hinterlegt.
Aufgrund der aktuellen globalen Pandemie, ist es nicht möglich eine Unterrichtseinheit für eine bestimmte Gruppe zu planen und durchzuführen, jedoch sollen methodische Vorschläge für die Unterrichtspraxis gemacht werden.
Im Verlauf der Arbeit soll zunächst auf Bereiche der Medienbildung und den Bildungsplanbezug eingegangen werden. Es folgt eine Übersicht über die Filmanalyse in der (Grund-)Schule samt Begriffsklärung, geschichtlichem Überblick, einer Begründung und Abwägung sowie Aspekte der Didaktik und Praxis. Im weiteren Verlauf wird auf den Aspekt der Diversität in Medien und speziell in Filmen eingegangen. Es wird deren Relevanz geklärt und Schlussfolgerungen für die Filmauswahl gezogen. Der nächste große Teil beinhaltet eine Betrachtung und Analyse des gewählten Films, aus welchem im darauffolgenden Teil Schlussfolgerungen für die unterrichtliche Praxis gezogen werden. Dies verläuft beispielhaft und wird nicht in der Praxis überprüft. Den Abschluss bildet ein Fazit.
Medien bilden die feste Grundlage unserer Kommunikation und haben so einen festen Bestandteil in unserem Alltag. Unterschiedlich aufgefasst wird dabei die Definition des Medienbegriffs. Dieser leitet sich ab von dem lateinischen Wort „medium“, was „Mitte“ oder „Zentrum“ bedeutet.1 Medien stehen zwischen – also in der Mitte von – Sender und Empfänger2 und dienen somit als Kommunikationsmittel und Informationsträger. Dabei bleibt festzuhalten, dass Medien die unterschiedlichsten Formen annehmen können. Das grundlegende Medium ist die Sprache, was bedeutet, dass Medien in zwischenmenschlicher Kommunikation so lange existieren, wie es Menschen gibt. Weitere Formen sind Zeichenträger, wie Schriftstücke, Bilder, oder filmische Produkte. Eine noch immer recht moderne und besondere Form der Medien, sind die Massenmedien (Print oder Digital), welche in kurzer Zeit viele Menschen mit Informationen versorgen.
Es ist zu erkennen, der Medienbegriff umfasst nicht nur den alltäglichen Begriff „digitalen“ Medien, sondern ist viel weiter zu fassen. Medien sind somit unausweichlich Unterrichtsgegenstand und Unterrichtsmittel, sei es in Form von tatsächlicher Sprache oder gegenständlich in Büchern, kürzeren Texten oder Filmen. Unterrichtliches Ziel sollte somit die Medienkompetenz sein.
Bevor jedoch die Medienkompetenz erreicht werden kann, muss die Grundlage geschaffen sein. Diese beschreibt sich als Rezeption. Rezeption leitet sich vom lateinischen Verb „recipere“ ab. Dies kann mit dem deutschen Wort „aufnehmen“ übersetzt werden.3 Das Individuum muss folglich erst in der Lage sein das Medium aufzunehmen, bevor an weitere Schritte gedacht werden kann. Rezeption erfolgt mit den menschlichen Sinnen. Im biologischen Bereich sind dabei alle fünf Sinne nennen, die Umwelteinflüsse über Rezeptoren an das Gehirn kommunizieren. Im Bereich der Medien, genauer im schulischen Kontext, bezieht sich dies hauptsächlich auf das Sehen, in Form von Lesen und Bildrezeption (bewegt und fest), und das Hören, Sprache und Töne in aufgenommener, produzierter oder direkter Form.4
Dieter Baake beschreibt den Begriff der Medienkompetenz wie folgt; Sie setze sich aus den Teildimensionen Vermittlung und Ziel zusammen. Vermittlung beinhaltet dabei theoretische Aspekte, sowohl Medienkunde als auch Medienkritik, die Zieldimension die praktische Mediennutzung und die Mediengestaltung. Die Medienkunde bezieht sich dabei auf Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich stark auf technische Aspekte beziehen. „Technik“ ist hierbei mit Bedacht zu nennen, da die jeweiligen Kenntnisse vom Medium abhängen. Weiterhin beinhaltet die Medienkunde Bereiche des Verständnisses des jeweiligen Mediums, bezogen auf dessen Funktion und spezifisches Zeichensystem5 mit diesem Medium sowie geschichtliche oder kulturelle Aspekte. Medienkritik bezieht sich auf Analyse und Reflexion. Hierbei wird nicht nur das Medium selbst, sondern auch das eigene Handeln mit diesem in Betracht genommen. Übergehend zur Praxis, ist die Mediennutzung die am meisten verbreitete Teilkompetenz. Das Individuum kann Medien zielgerichtet nutzen und bewusst rezipieren. Gleichzeitig liegt hier ein großer Handlungsaspekt. Das Medium soll sowohl interaktiv als auch individuell zur Vermittlung eigenen Gedankenguts genutzt werden. Hierbei ist die Unterscheidung zur Mediengestaltung nicht eindeutig festzulegen. Diese erfolgt ebenfalls aktiv nutzend, bezieht sich aber mehr auf die individuelle und innovative Verwendung und das Kombinieren und kreative Arbeiten in der Produktion.6
Knaus definiert Medienkompetenz weiterhin als Fähigkeit eines Menschen, Medien, (digitale) Werkzeuge und Technik im Allgemeinen souverän für eigene Ziele und Bedürfnisse zu nutzen und selbst‐, medien‐ und gesellschaftsbezogen zu reflektieren, kreativ und partizipativ zu handeln sowie analytisch und strukturell Wissen zu erwerben. In der Medienpädagogik wird unterschieden zwischen dem Lernen „mit“ und dem Lernen „über“ Medien. Dabei sind diese in ersterem Fall Begleit- und Hilfsmittel im Lehr-Lern-Prozess und in zweiterem Unterrichtsgegenstand.7
Häufig wird in Bezug auf Medien vom Wandel der Kommunikationsmedien gesprochen. Dabei bleibt festzuhalten, dass textliche Medien nicht abgelöst oder verstoßen werden, wie es von Vielen befürchtet wird. Es gibt viel mehr eine Erweiterung der Kommunikationsmedien. Im Laufe der Geschichte sind solche Entwicklungen oft festzustellen. Gesprochen wird auch von medialen Revolutionen. Beispiele hierfür sind etwa der Buchdruck, aber auch die Entstehung des Films oder des Internets. Letztere wird auch als digitale Revolution bezeichnet.8
In unserer modernen Welt, erfolgen Entwicklungen kleinerer Art verstärkt und mit zeitlich kürzeren Abständen. Ständig müssen neue, zu den Entwicklungen passende, Handlungsweisen erlernt werden. Durch diese beschleunigte Entwicklung, gibt es einen verstärkten Mangel an Vorbildern. Medienerziehung ist deshalb kaum noch in familiären Kontexten möglich und wird deshalb wichtiger Bestandteil des Unterrichts.
Um diesen Anspruch gerecht zu werden, muss auch in der Ausbildung der Lehrkräfte Medienkompetenz erreicht werden. Dies belegt Kulcke in seiner Arbeit von 2020. Er zitiert zu Beginn den von Rudolf Kammerl und Sandra Ostermann beschriebenen Teufelskreislauf, der besagt, dass „fehlende Medienkompetenzen bei Schüler*innen auf fehlende Medienkompetenzen und fehlende medienpädagogische Kompetenzen von Lehrer*innen zurückzuführen sind“9 . Kulcke beschreibt einen Kreislauf, welcher sich durch die gesamte Schulbildung und das Studium zieht. Mangelnde Ausbildung der Medienkompetenz in der Schule wird zu mangelnder Voraussetzung im Studium. Mangelnde Ausbildung der Medienkompetenz im Lehramtsstudium führt zu fehlenden Fähigkeiten in der Vermittlung von Medienkompetenz an die Schülerschaft.10 Diese Annahmen bestätigt Kulcke nach Auswertung der Befragung, welche der Arbeit zugrunde liegt.11
Medienkompetenz, in Bezug auf digitale und filmische Medien, sollte deshalb verstärkt sowohl in Schule als auch in Studium thematisiert und ausgebildet werden. Sie ist Teil unseres Alltags und des späteren Berufslebens der Schülerinnen und Schüler.
Obwohl die Relevanz der Medienkompetenz und Filmbildung im Verlauf der Schule potentiell zunimmt, wird sich die Betrachtung des Bildungsplans auf den der Grundschule beschränken, da diese als Referenz dieser Arbeit gewählt wurde. Betrachtet wird zudem nur der Bildungsplan der Grundschulen in Baden-Württemberg im Fach Deutsch.
Bereits in den Leitgedanken erkennt der Bildungsplan von 2016 die mediale Vielfalt der aktuellen Zeit an. Als Ziele werden die Erfahrungserweiterung mit Medien, die Einbeziehung medialer Vorerfahrungen der Kinder und die Ausbildung der Medienkompetenz genannt.12 Auch von den Leitperspektiven lassen sich einige auf die Thematik anwenden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Medien- aber auch die Verbraucherbildung und die berufliche Orientierung.13 Medienbildung, weil sowohl die Nutzung, als auch die Integration verschiedener Medien in den eigenen Alltag und Lehr-Lern-Prozess, angesprochen wird. Die Verbraucherbildung setzt weiterhin auf den reflexiven Umgang mit Medien. Im Bezug auf die berufliche Orientierung, können den Schülerinnen und Schülern Berufe im Kontext Film und Filmproduktion nähergebracht werden. Die Relevanz der Perspektive „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ wird in einem späteren Punkt vertieft.
Was die prozessbezogenen Kompetenzen betrifft, so muss ein Schritt in Richtung Interpretation gewagt werden. Der Bereich „Sprechen und Zuhören“ wird wichtig bei der hohen auditiven Komponente von Filmen und bei mündlichen, reflektiven Gesprächen über Medien.14 Der Bereich des Lesens mag sich nur auf Texte beziehen,15 wie im Verlauf der Arbeit aber noch festgestellt werden soll, kann die Betrachtung von Film rezeptiv geschehen und in diesem ein Filmtext erkannt werden.
Bei den inhaltsbezogenen Kompetenzen ist „Mit Texten und anderen Medien umgehen“ hervorzuheben. Zwar kann auch Sprache in Filmen untersucht werden, dies bleibt hier zunächst aber zweitrangig. Bei ersterer Kompetenz werden „Filme“16 zum ersten Mal wörtlich erwähnt und somit direkt einbezogen. Dabei werden sowohl die Rezeptionsfähigkeit, das Verstehen und auch die Anwendung betont. Der Deutschunterricht soll explizit dabei helfen, Medienkompetenz auszubilden und dabei den reflektierten Umgang mit Medien aller Art zum Ziel haben. Eine besondere Relevanz kommt dabei Literaturverfilmungen und dem Medienvergleich zu, ebenso wie der Entwicklung der „Bildlesekompetenz“.17
In den weiterführenden und explizit beschriebenen Standards, wird der Film erst wieder für die dritte und vierte Klasse erwähnt. Dabei kommt wieder der Medienvergleich, bzw. der Vergleich unterschiedlicher Realisierungen von Texten in verschiedenen Medien zu tragen. Erkannt werden soll dabei die Vielfältigkeit von Realisierungsmöglichkeiten sowie die reflektierte Medienerfahrung.18
Das Substantiv „Film“ existiert bereits seit dem 16. Jahrhundert und bedeutet „dünne Haut“. Übertragen in den Bereich der Fotografie wurde damit das chemische Gel auf den Fotoplatten bezeichnet. Später, seit Anfang des 20. Jahrhunderts, wurde daraus die Bezeichnung für schnell abgespielte Einzelbilder, welche durch die schnelle Abfolge zu einem fließenden, bzw. bewegtem Bild („motion picture“) oder eben dem Film wurden.19
In schulischen Kontexten wird von Medienpädagogik als einem übergeordneten Begriff gesprochen. Dem unterzuordnen ist die Filmpädagogik. Aus dieser folgen Ansätze der Filmdidaktik, welche gleichzeitig allgemeine didaktische Prinzipien nutzt und Inhalte der Fachwissenschaft Film trägt.20 Letzterer Bestandteil ist die Filmtheorie, auch „Sprache des Films“21 oder Filmsemiotik, welche dem Medium eine eigene Syntax zugesteht. Dazu zählen Format, Bildausschnitt, Kamera- und Figurenbewegung, Lichtgestaltung, Ton und viele weitere Gestaltungsmittel, welche die Handlung beeinflussen und emotionssteuernd wirken.22
Das Medium Film existiert seit etwas über einem Jahrhundert. Obwohl sich Kritiker darüber streiten, wer tatsächlich den ersten Film drehte, gelten als Erfinder des Kinos, als Ort der Ausstrahlung und gemeinsamer Filmrezeption, die Brüder Lumière. Diese führten 1895 in Paris ihren Film "Die Ankunft des Zuges auf dem Bahnhof La Ciotat" in einem Café vor. Ob es daraufhin tatsächlich zu Panik bei den Zuschauern kam, als der Zug scheinbar ins Café einfuhr, kann heute nicht sicher gesagt werden.23 Doch nicht nur der Film als Medium durchlief seit dieser Zeit einige Entwicklungen (z.B. von schwarz-weiß zu Farbe oder von stumm zu vertont). Dasselbe gilt für die Filmerziehung. Die Leitfrage ist dabei stets, welche Rolle Film- und Filmerziehung in der Schulbildung spielen sollen und dürfen.
Vor etwa hundert Jahren, als das Kino (in Form eines dafür ausgelegten Raums) seinen Anfang nahm, kamen in der Kinoreformbewegung (ab ca. 1907)24 viele kritische und sogar warnende Stimmen auf. Dem neuen Medium wurden unter Anderem gesundheits- und entwicklungsschädliche Folgen vorgeworfen, wie beispielsweise die „Verrohung“25 durch die Darstellung von sexuellen oder gewalttätigen Inhalten oder auch eine zu starke Reizüberflutung. 1920 wurde das sogenannte „Lichtspiegelgesetz“26 als staatliche Prüfstelle einberufen, welche bewerten sollte, welche Filme öffentlich gezeigt werden dürften. Vor dem siebten Lebensjahr war die Teilnahme an einer Filmvorführung untersagt.27 Diese staatliche Zäsur sollte zum guten Film erziehen und den „schlechten“ ablehnen. Der Bildungscharakter von Filmen wurde diskutiert.28 Diese Zeit lässt sich unter dem Stichwort der Bewahrpädagogik zusammenfassen. Deren Gedanken wurden von der Literaturkritik („Schundliteratur“) auf Film und Kino übertragen („Schundfilme“). Auch die Vorführräume, in denen damals noch geraucht werden durfte, wurden stark kritisiert.29
Die Schulfilmbewegung der Weimarer Republik entwickelte erstmals didaktisch reflektierte Einbringungen von Filmen in der Schule. Dabei wurden Filme ausgewählt, vorgeführt und unter strenger Anleitung besprochen. Eine eigenständige Reflexion der Schülerinnen und Schüler fand nicht statt.30 Gleichzeitig baute sich der gegensätzliche Ansatz der Reformpädagogik aus. Dieser stellte die Verbindung, welche Filme zum Individuum aufbauen könne und den motivationalen Aspekt in den Vordergrund. Dabei wurden meist das Filmgespräch und kreative Aufgabenstellungen genutzt.31 In dieser Zeit (nach 1920) wurden weitere staatliche Stellen eingerichtet, welche für die „pädagogische Beratung der Filmindustrie zuständig waren“32 und unter anderem Begleitmaterial für Lehrkräfte und deren Ausbildung bereitstellten.33
Diese Apparate wurden in der NS-Zeit zu Propagandazwecken genutzt.34 Die Nationalsozialisten stellten den Film textueller Literatur gleich und sorgten dafür, dass die Schulen mit Projektoren ausgestattet wurden. Hauptsächlich wurden Filme jedoch unreflektiert rezipiert und sollten zur Vermittlung von nationalsozialistischem Gedankengut dienen.35 Etwa zu derselben Zeit kam der projektorientierte Ansatz unter Reichwein auf. Dieser legte den Fokus auf eine kritische Haltung gegenüber filmischen Inhalten und Gestaltungsweisen.36 Sein Konzept wird auch „kritische Seherziehung“37 genannt.
In der Nachkriegszeit setzte die Bewahrpädagogik erneut an. Ziel dabei war die Erziehung hin „zum wertvollen Spielfilm“38 . Im Deutschunterricht herrschte eine distanzierte bis ablehnende Haltung gegenüber Filmen. Grund dafür war eine Art Entsetzen gegenüber amerikanischen Produktionen, welche durch die Besetzungsmächte nach Europa kamen.39 Obwohl der Stellenwert audio-visueller Medien besonders bei Jugendlichen stieg, wurden Filme noch nicht als „eigenständige Form von Kunst oder Literatur“40 angenommen.
Die Sechziger und Siebziger sorgten für eine Öffnung des Deutschunterrichts gegenüber den filmischen Massenmedien. Versucht wird mittels der „ideologiekritischen Deutschdidaktik“41 die Schülerinnen und Schülern zu kritischen Konsumenten zu erziehen. Sie sollten selbstständig und produktiv mit Medien umgehen können. Neben analytisch-rezeptiven Betrachtungen wurde deshalb viel aktiv und kreativ gearbeitet.42
Die 1980er Jahre bringen die „handlungs- und lebensweltorientierte Medienpädagogik“43 hervor. Diese betrachtet den Zuschauer als nicht nur passiven Konsumenten, sondern als wichtigen Teil der Deutung. Das Publikum wird erstmals als aktiv und nicht länger als beeinflusst angesehen.44 Hauptelement der Analysen stellten Literaturverfilmungen dar. Zu großen Teilen erfolgte der Vergleich von Text und Verfilmung im Unterricht.45
Durch die digitale Revolution in den 1990er Jahren, kam es zu einer engeren Verflechtung der Medien. Stellvertretend dafür steht die „integrierte Medienerziehung“46 samt der Integration der Medienpädagogik in den Deutschunterricht.47
Unser heutiges Zeitalter ist ein audio-visuelles, unser Leitmedium der Film. Eine aktuelle Entwicklung sind dabei private Produktionen und Kurzvideos im Internet. Dies prägt vor allem Kinder und Jugendliche individuell und die Kindheit und Jugend im Allgemeinen. Der Konsum filmischer Medien steigt dabei mit zunehmendem Alter an. Doch auch das weltliche Geschehen beeinflusst den Medienkonsum. Durch den Pandemieausbruch letzten Jahres, wurden in vielen Familien mehr technische Geräte angeschafft, manche Schulen stellen Tablets oder Laptops zur Verfügung. Die JIM-Studie stellt die nachfolgenden Entwicklungen fest. Jeder dritte Jugendliche verfügt heute über einen eigenen Fernseher mit Internetzugang. Die tägliche Internetnutzungsdauer soll 2020 auf durchschnittlich 258 Minuten angestiegen sein (2019 waren dies noch 205), wobei ein Drittel der Zeit der Unterhaltung zukommt. Besonders beliebt sind dabei Streaming-Plattformen (an erster Stelle Netflix und YouTube). 87 Prozent der Jugendlichen sehen dabei regelmäßig (mehrmals pro Woche) Videos auf diesen Plattformen. Im Vorjahr betrug der Anteil nur 74 Prozent. Auch das Fernsehen erfuhr wieder einigen Zuwachs. Der tägliche Konsum stieg auf durchschnittlich zwei Stunden. Neben linearem Fernsehen wurden dabei Mediatheken vermehrt genutzt.48
Abgesehen von allgemeiner Unterhaltung, finden zu großen Teilen Werbung und Nachrichtenerstattung audio-visuell statt. Dabei ist das technische Endgerät zweitrangig. Trotz weit verbreiteter Kritik – zu sehen beispielsweise am negativ konnotierten Wortschatz, wie in „Glotze“ oder „viereckige Augen bekommen“, der schon lange (meist in familiären Kontexten) genutzt wird – am filmischen Medienkonsum, lässt sich die Bedeutung des Films und filmischer Medien nicht abstreiten. Den Medien wird inzwischen sogar zugeschrieben, neben Familie und Schule, die dritte Großmacht in der kindlichen Erziehung zu sein.49 Dennoch sind negative Folgen, wie zum Beispiel eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne (bei moderneren Internetplattformen wie TikTok noch extremer festzustellen)50 bei unreflektiertem und übermäßigem Konsum nicht unüblich.51 Dies ist Grundlage der Filmdidaktik. Der Filmkonsum soll nicht länger unreflektiert geschehen. Stattdessen sollen filmische Medien aufgeschlüsselt und reflektiert und genutzt betrachtet werden, sowohl inhaltlich als auch gestalterisch.
Das Medium Film existiert seit über einem Jahrhundert, dennoch herrschen im Unterricht noch immer Berührungsängste, obwohl dieses Medium von Abraham und Kepser 2005 als vierte große Literaturgattung klassifiziert wurde, was die rezeptive und produktive Einbeziehung in den Deutschunterricht zwingend notwendig macht.52 Film ist in seiner Sprache, seiner Ästhetik und in seinen gestalterischen Mitteln nachzuvollziehen, damit eine reflexive Betrachtung auch im Alltag möglich wird. Ziel soll dabei die Medienkompetenz sein, welche eng mit dem Deutschunterricht verzahnt ist und Film genauso einschließt wie etwa Lyrik,53 wobei ersteres in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen eine weit größere Rolle spielt. Dabei sollen Medien exemplarisch in das unterrichtliche Geschehen eingebunden werden und unter einem methodisch-didaktischen Rahmen Kommunikationsprozesse offenlegen und Handlungs-orientierung bieten.54
Die meisten Argumente gegen den Filmkonsum stammen aus der Bewahrpädagogik, welche auch heute noch an vielen Stellen laut wird. Diese nutzen nicht nur den erwähnten negativ konnotierten Wortschatz, sondern bringen verschiedene Vorwürfe. Menschen, die sich radikal gegen den Konsum filmischer Medien stellen, sprechen von Sprachverfall, vermehrter Gewaltbereitschaft, einer schwindenden Anzahl sozialer Kontakte, Haltungsschäden, Bewegungsmangel usw. Ein Hauptgrund dafür sei das sogenannte „Zapping“ durch verschiedene Sender oder online vorhandener Angebote. Dieselbe Argumentationsweise wurde jedoch bereits in der Rhetorik der Literaturkritik verwendet und ist dabei nicht vollkommen abzutun. Bei der Gegenüberstellung der jeweiligen Punkte, ist festzustellen, dass beispielsweise Haltungsschäden gleichermaßen durch Lesen oder Fernsehen entstehen können. Soziale Kontakte hingegen können durch den gemeinsamen Konsum von Filmen sogar gesteigert werden (siehe Kinobesuche) und unreflektiertes Durchblättern textueller Medien kommt genauso vor wie das schnelle Umschalten. Relevant ist stets der Grad an Reflexion und Anleitung. Die vorgeworfene „passive Konsumhaltung“55 existiert nicht. Es erfolgt stets eine Verarbeitung im Gehirn. Kammerer weist stattdessen auf den „Grad (der) Bewusstheit“56 hin. In der Verarbeitung werden allein zum Verstehen verschiedene Operationen durchgeführt, welche bewusst gesteuert werden oder unterbewusst agieren. Somit ist auch Konsum zum Genuss von Verstehen und Interpretation abhängig.57
Ein amerikanischer Psychologe, Daniel R. Anderson, beschreibt die positiven Folgen, die Filmkonsum auf schulische Leistungen haben kann. Die mentale Beschäftigung ist vor dem Bildschirm genauso hoch wie beim Lesen; Das Leistungsniveau eines Kindes verschlechtere sich nur bei einem extrem hohen Filmkonsum. Er vertritt die Annahme, man könne Film als „sprechende(s) Bilderbuch(…)“58 bezeichnen (Verbindung der visuellen und der auditiven Komponente). Film trage seiner Meinung nach zur Entwicklung der Sprach- und Begriffsentwicklung bei.59
Sahr nennt zusätzlich drei weitere positive Aspekte des Filmkonsums. Dieser sei kommunikationsstiftend (bietet Gesprächsthemen in Peers), biete Vorbilder (diese müssen nicht immer wie befürchtet gewaltanstiftend sein, sondern bieten genauso Vorbilder in Menschlichkeit und Freundschaft oder anderen positiven Werten) und wirke lesefördernd (Buch zum Film).60
Um es abschließend nach Kepser zu formulieren: „Schülerinnen und Schüler sind überaus interessiert daran, Spielfilme inhaltlich, formal und nicht zuletzt historisch zu reflektieren.“61 Dass die Schülerinnen und Schüler der Filmanalyse eine hohe intrinsische Motivation entgegenbringen – etwa im Vergleich zu Lyrikinterpretationen – sollte und darf nicht außer Acht gelassen werden. Diese Motivation muss stattdessen explizit aufgegriffen werden. Denn wird dieser Aspekt mit Sahrs Theorie des lesefördernden Aspekts verknüpft, könnte bei den Schülerinnen und Schülern ein allgemeines literarisches Interesse aufgebaut oder erweitert werden.
Die Filmdidaktik setzt sich nach Kammerer zusammen aus „Analyse (Verstehen), Kritik (Beurteilen), Nutzung (Partizipieren) und Gestaltung (Produzieren)“.62 Spielmann setzt Filmdidaktik aus vier etwas abweichenden Punkten zusammen. Ähnlich wie Kammerer ordnet er die Filmanalyse, in welcher der Sachgegenstand Film wertneutral betrachtet wird, und die Filmkritik, welche wertend darauf aufbaut, zu der Filmdidaktik zu. Abweichend spricht er von der Filmgeschichte, welche sich mit epochalen Besonderheiten auseinandersetzt sowie Entwicklungen technischer, inhaltlicher und gestalterischer Art beschreibt, und von der Filmtheorie. Diese steht für alle filmischen Metatexte, also diejenigen Schriften und Arbeiten, die sich wissenschaftlich-theoretisch mit Filmen, deren Ästhetik, Technik, Rezeptionsart usw. auseinandersetzt.63
Spielmann beschreibt einige Chancen und Ziele, welche mit der Integration von Filmen in den Unterricht erreicht werden können und sollten. In jedem dieser Ziele sind die grundlegenden Aspekte der Filmdidaktik zu erkennen. Die ersten fünf dieser Ziele sind theoretischer Natur.
Durch die Rezeption einzelner Filme unterschiedlicher Art, wird umfassendes Genrewissen erlangt, welches mit Informationen zur Filmgeschichte angereichert werden sollte. Die Filmgeschichte ist wichtiger Bestandteil unseres Kulturgutes. Somit wird filmspezifische kulturelle Kompetenz erlangt. Diese ermöglicht es, Filme schnell in historische und genrebedingte Verbindungen zu setzten.64
Die explizite Rezeption audio-visueller Medien verbessert die Wahrnehmungsfähigkeit. Ton und Bild können gezielt sowohl isoliert als auch in Gesamtheit betrachtet werden. Die Vielschichtigkeit des Mediums wird erkannt und in die Analyse miteinbezogen. Es kann von ästhetischer Sensibilisierung gesprochen werden.65
Der Punkt der Geschmacksbildung wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich aufgefasst. Wurde früher darunter noch das Erziehen zum guten Geschmack hin verstanden, so sollen die Schülerinnen und Schüler heute, durch intensive Auseinandersetzung mit einem breiten Feld, eigene Vorlieben erkennen und diese begründen können. Dies entwickelt sich in schulischen Kontexten reflektierter als in privaten und fördert gleichzeitig die Fähigkeit zu Bewerten.66
Was zur Geschmacksbildung beitragen kann, trägt genauso zur Ausprägung der filmischen Sozialisation bei. Dies wird im Deutschunterricht meist mit Literaturverfilmungen gesteuert.67
Indem sich die Schülerinnen und Schüler in die Akteure filmischer Handlungen hineinversetzen, wird ihr Empathievermögen ausgeprägt. Darauf ausgerichtete Aufgaben-stellungen können diesen Prozess erleichtern.68
Die folgenden Ziele beziehen sich vermehrt auf praktische Tätigkeiten und werden von Spielmann sogar in den Kunst- oder filmpraktischen Unterricht verortet.
Die praktische Auseinandersetzung mit Filmen, indem z.B. eigene Projekte erarbeitet werden und eigene Filmproduktionen entstehen, gewährt den Schülerinnen und Schülern Einblicke in verschiedenste Rollen von Akteuren, die am Film mitarbeiten. Dies gibt Überblicke über Berufsmöglichkeiten in der Filmbranche. In Anfängen können diese erprobt und für die Zukunft in Erwägung gezogen werden.69
Diese Produktionen finden hauptsächlich in Gruppenarbeit statt. Dies fördert soziale Kompetenzen und schult die Zusammenarbeit an kreativen Projekten, wobei meist viele verschiedene Ansichten und Ideen aufeinanderprallen, Konflikte ausgetragen und Kompromisse gefunden werden müssen.70
Eben dieser kreative Aspekt wird als weiteres Ziel gerechnet. Das Erarbeiten eines eigenen Projekts wird als kreativitätsfördernd angesehen. Es wird viel erprobt und experimentiert. Dabei müssen Ideen gefunden, umgesetzt und reflektiert werden. Hier hat auch Motivation einen hohen Stellenwert. Diese muss durch positive Rückmeldung von der Lehrperson erhalten und gestärkt werden.71
Abschließend wird es als Ziel betrachtet, dass die Kunstform Film von den Schülerinnen und Schülern als eigenes Ausdrucksmittel genutzt wird. Es ist durch Videoplattformen wie YouTube und TikTok bekannt, dass Jugendliche ein großes Interesse daran haben und dies weltweit in Eigenproduktionen bereits ausüben. Dabei arbeiten die Kinder und Jugendlichen jedoch vollkommen frei, wodurch es zu unreflektierten Uploads kommen kann.72 Dies kann mit ihnen im schulischen Kontext gemeinsam problematisiert werden. Exemplarische Eigenproduktionen können dann an gewählten Inhalten auf reflektierte Art ausprobiert werden. Möglich ist dabei auch die Projektarbeit zu Interessensthemen der Schülerinnen und Schüler.73
Offiziell gibt es die Produktion von Kinderfilmen seit 1920, jedoch gab es bereits zuvor inoffizielle Kinderfilme. Diese waren meist schwarz-weiß Filme, komödiantische Stücke, die auch für Kinder geeignet waren. Auch Scherenschnitt- und Silhouettenfilme waren üblich. Eine der bekanntesten Kinderfilmproduktionen nach 1920 ist der Kinderspielfilm „Emil und die Detektive“ 1931 von Lamprecht nach dem gleichnamigen Werk von Erich Kästner. Vorreiter war daraufhin Walt Disney, der 1937 den ersten Tontrickfilm für Kinder „Schneewittchen“ herausbrachte. Der erste Spielfilm unter dieser Produktion ist die „Schatzinsel“, erschienen 1950.74 All diese Filme basieren auf literarischen Vorlagen. Literaturverfilmungen sind bei Kinderfilmen auf weit mehr als die Hälfte zu schätzen. Die ersten Kinderfilme hatten zumeist Märchen oder Sagen zum Vorbild.75 Während des Dritten Reichs wurden Kinderfilme (wie auch Produktionen für Erwachsene) für Propagandazwecke genutzt und zeigten Vorbilder „deutscher“ Tugenden. Nach dem Krieg nahmen Märchenverfilmungen wieder an Bedeutung zu. In ihnen sollte eine möglichst heile Welt dargestellt werden. Die DDR nutzte Kinderfilme hauptsächlich um einen moralischen Kompass vorzugeben.76 Die Siebziger gaben im Kontrast dazu eine Umorientierung zum Realismus vor. Dargestellt wurden Alltagsprobleme der Kinder. Ein Beispiel dafür sind die „Vorstadtkrokodile“ von 1977. Die sich anschließenden Achtziger legen den Fokus auf die Phantastik. Paradebeispiel für phantastische Kinderfilme ist die „Unendliche Geschichte“ von 1984. Heute ist es kaum möglich eine inhaltliche Ausrichtung pauschal zu beschreiben. Neben der reinen Quantität an (Kinder-)Filmen sind auch die Genres zahlreich geworden.77
Genre oder Gattungen ordnen Filme nach spezifischen Inhalten, Handlungsmustern, Figurentypen oder -konstellationen, Schnittmustern und Gestaltungsarten.78 Die Zuordnung erfolgt über die Summe der einzelnen Gestaltungs- und inhaltlichen Punkte, welche Genre oder Gattungen vorgeben. Dabei kann es zu Mischformen kommen. Beispiel dafür wäre die „Romcom“,79 die romantische Komödie.
Die Begrifflichkeiten fluktuieren dabei. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Genre“ und „Gattung“ meist synonym verwendet, was sich in Übersetzungsproblemen gründet. Der englische Begriff „genre“ kann im Deutschen beide Begriffe als Übersetzung haben. Da sich große Teile der Filmwissenschaft auf amerikanische (also englischsprachige) Produktionen stützt, kam es erst spät, in den 1980er Jahren zu ersten Unterscheidungen. Eine mögliche Unterscheidung ist die Zuordnung der Gattung zu einem Format (Erzählmodus)80 und des Genres zu Intentionen81 und Verwendungszweck. Gleichzeitig werden dieser Unterscheidung Schwachstellen zugestanden. Zwischen Gattung und Genre käme es zu Überschneidungen oder Deckungsgleichheiten. Oft wird der Genrebegriff aber als hierarchisch der Gattung untergeordnet beschrieben.82 Jedoch ist es schwer hier eindeutige Aussagen zu treffen.83
Oft werden Filme auch nach ihrem „Autor“ bzw. Produzenten oder Regisseur geordnet, so er oder sie eine wiedererkennbare Handschrift aufweist.84
Der Kinderfilm ist gattungstechnisch meist dem Spiel- oder Animations- bzw. Zeichentrickfilm zuzuordnen, als Genre aber kaum zu definieren, da stets unterschiedliche Inhalte behandelt werden. Definiert werden Kinderfilme stattdessen über ihren Adressatenbezug, der sich auf Kinder ausrichtet. Zugeordnet werden diejenigen Filme, die Kinder als Hautcharaktere haben und für Kinder produziert und von Kindern konsumiert werden. Somit ist der Kinderfilm kein üblicher Genrefilm, weist jedoch Merkmale eines solchen auf. Nach Claudia Wegener erfüllt der Kinderfilm die Funktion eines Genrefilms, indem ihm eine bestimmte Erwartungshaltung entgegengebracht, welche im Folgenden erfüllt wird. Er knüpft an die Erfahrungswelt von Kindern an (Alter vier bis zwölf) und berücksichtigt ihre narrativen und rezeptiven Kompetenzen. Aus diesem Grund ist der Kinderfilm somit als eine Metagenre zu bezeichnen, welches verschiedene Inhalte und Gestaltungsweisen zulässt. Je Film ist von verschiedenen Subgenres zu sprechen, die oft auch in einem Genremix auftreten. Häufige Themen sind dabei Freundschaft und Abenteuer, Mischungen wären beispielsweise Tierfreundschaftsfilme.85
Begrifflich abzugrenzen sind der Kindheits- und der Familienfilm. Ein Kindheitsfilm muss nicht zwingend auch ein Kinderfilm sein. Er behandelt die Kindheit inhaltlich und meist in historischen Kontexten. Ein Beispiel dafür ist „Lauf Junge Lauf“ von 2013, der sich mit einem jüdischen Jungen und dessen Überlebenskampf auseinandersetzt. Der Familienfilm bezieht sich in seiner Definition wie der Kinderfilm auf seine Zielgruppe. Eine Besonderheit dabei ist, dass er inhaltlich und gestalterisch generationenübergreifend ausgelegt ist.
[...]
1 Vgl. Stowasser (2006), S.312.
2 Die Bezeichnung baut auf dem Modell von Schulz von Thun auf. Zwischen der Person, die eine Nachricht abgibt (Sender) und derjenigen Person, die diese aufnimmt (Empfänger), steht das jeweilige Medium. Dies können – im Falle von Schulz von Thun – die Sprache, oder auch schriftliche, auditive, visuelle oder auditiv-visuelle Formen der Medien sein.
3 Vgl. Stowasser (2006), S.429.
4 Vgl. Kammerer (2009), S.63.
5 Im Sinne, wie die jeweilige Vermittlung von Inhalten mittels dieses Mediums erfolgt.
6 Vgl. Kammerer (2009), S.56f.
7 Frei wiedergegeben nach Prof. Dr. Thomas Knaus (Abteilung Medienpädagogik Pädagogische Hochschule Ludwigsburg).
8 Vgl. Spielmann (2011), S.36.
9 Kulcke (2020), S.8.
10 Vgl. a.a.O., S. 41.
11 Vgl. a.a.O., S. 306.
12 Vgl. Bildungsplan (2016), S.3.
13 Vgl. a.a.O., S.4.
14 Vgl. a.a.O., S.5f.
15 Vgl. a.a.O., S.7.
16 A.a.O., S.8.
17 Vgl. a.a.O., S.8.
18 Vgl. a.a.O., S.30.
19 Vgl. Anders (2019), S.3.
20 Vgl. Spielmann (2011), S.27.
21 A.a.O., S.11ff.
22 Vgl. a.a.O.., S.13f.
23 Vgl. Kürten, Jochen: Vor 125 Jahren erfanden die Brüder Lumière das Kino. (Stand: 18.05.2021) https://www.dw.com/de/vor-125-jahren-erfanden-die-br%C3%BCder-lumi%C3%A8re-das-kino/a-52303674. (13.02.2020).
24 Vgl. Spielmann (2011), S.28.
25 Anders (2019), S.39.
26 Ebd.
27 Vgl. ebd.
28 Vgl. Spielmann (2011), S.30.
29 Vgl. a.a.O., S.28.
30 Vgl. a.a.O., S.30.
31 Vgl. a.a.O., S.31.
32 Anders (2019), S.39.
33 Vgl. ebd.
34 Vgl. ebd.
35 Vgl. Spielmann (2011), S.31.
36 Vgl. ebd.
37 A.a.O., S.32.
38 Anders (2019), S.39.
39 Vgl. Spielmann (2011), S.32.
40 Anders (2019), S.39.
41 Ebd.
42 Vgl. ebd.
43 Spielmann (2011), S.35.
44 Vgl. ebd.
45 Vgl. Anders (2019), S.39.
46 Ebd.
47 Vgl. ebd.
48 Vgl. Klicksafe (kein Autor): JIM-Studie 2020 zur Mediennutzung von Jugendlichen veröffentlicht: Deutlich mehr Medienzeit im Coronajahr (Stand: 25.05.2021). https://www.klicksafe.de/service/aktuelles/news/detail/veroeffentlichung-der-jim-studie-2020-zur-mediennutzung-von-jugendlichen/. (o.D.).
49 Vgl. Sahr (2004), S.11.
50 Hier ist die Länge der Videos auf 15 bis 60 Sekunden begrenzt.
51 Vgl. Sahr (2004), S.12.
52 Vgl. Kammerer (2009), S.16.
53 Vgl. a.a.O., S.50f.
54 Vgl. a.a.O., S.53.
55 A.a.O., S.89.
56 Ebd.
57 Vgl. a.a.O., S.90.
58 Sahr (2004), S.14.
59 Vgl. ebd.
60 Vgl. ebd.
61 Kammerer (2009), S.79.
62 A.a.O., S.99.
63 Vgl. Spielmann (2011), S.91.
64 Vgl. a.a.O., S.87.
65 Vgl. ebd.
66 Vgl. a.a.O., S.87f.
67 Vgl. a.a.O., S.88.
68 Vgl. ebd.
69 Vgl. ebd.
70 Vgl. ebd.
71 Vgl. ebd.
72 Problematisch sind unter Anderem übermäßige Nacktheit bei Minderjährigen in Videoformaten (oder Bildern) auf beliebigen Plattformen. Dies kann auf Trends gegründet sein oder aus Wunsch nach positivem Feedback geschehen. Dass so auch unerwünschte Aufmerksamkeit entstehen kann, bleibt unbemerkt bzw. unreflektiert.
73 Vgl. Spielmann (2011), S.88.
74 Vgl. Sahr (2004), S.28.
75 Vgl. a.a.O., S.27.
76 Vgl. a.a.O., S.28.
77 Vgl. a.a.O., S.29.
78 Vgl. Kammerer (2009), S.109.
79 Nach „romantic comedy“.
80 Beispiele wären Spielfilm, Animationsfilm oder Dokumentarfilm.
81 Mögliche Intention des Genres „Horrorfilm“ wäre es das Publikum zu erschrecken.
82 Somit wäre ein Western Untergenre der Gattung Spielfilm.
83 Vgl. Mundhenke (2020), S.46-49.
84 Hierbei wird der Autorenname als Überbegriff genommen. Gesprochen werden kann beispielsweise von den Tim-Burton-Filmen.
85 Vgl. Anders (2019), S.49.
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