Bachelorarbeit, 2021
42 Seiten, Note: 1,0
0. Einleitung
1. Religion und Kindheit im Wandel
1.1. Religion im Wandel
1.1.1. Die Säkularisierungsthese – Ein langfristiger Bedeutungsverlust von Religion in der Moderne
1.1.2. Die Individualisierungsthese – Ein modernitätsspezifischer Wandel der Religion
1.1.3. Die Pluralisierungsthese – Eine Entfaltung der Religion in eine Vielfalt
1.2. Kindheit im Wandel
1.2.1. Grundschulkinder heute – Aspekte einer veränderten Kindheit
1.2.2. Die religiöse Denkweise der Kinder
1.2.3. Die großen Fragen und Ängste heutiger Grundschulkinder
1.3. Konsequenzen für die Religionspädagogik
2. Bildung und Religion
2.1. Die bildungspolitische Veränderung – Vom Lehrplan zu den Bildungsstandards
2.2. Das Bildungspotenzial des Religionsunterrichts aus theologischer Sicht
2.3. Religiöses Lernen aus Sicht der Religionsdidaktik
3. Eine kritische Analyse zweier kirchlicher Positionen
3.1. Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/ Primarstufe
3.2. Der Bildungsplan der Grundschule Katholische Religionslehre Baden-Württemberg
3.3. Kritische Analyse – Sind die „Kirchlichen Richtlinien“ zu Bildungsstandards noch aktuell?
4. Kompetenzen im Fach Katholische Religion am Ende der vierten Klasse
4.1. Kompetenz- und Leistungsbewertung der Schülerinnen und Schüler im katholischen Religionsunterricht
4.2. Stärken und Schwächen der Kompetenzorientierung im katholischen Religionsunterricht
5. Resümee
Der Religionsunterricht ist ein Unterrichtsfach mit viel Potenzial. Häufig erhält er jedoch nicht die Akzeptanz und Anerkennung, die er verdient. Bislang wurde der Religionsunterricht viel Kritik ausgesetzt und musste sich immer wieder aufs Neue beweisen. Die Modernisierung der Gesellschaft trägt dazu bei, dass sich die Bedeutung der Religion im Leben der Menschen verändert. Des Öfteren hört man Einwände wie der Religionsunterricht gehöre nicht in die Schule, Religion sei nicht mehr aktuell oder Religion interessiere doch niemanden. Immer mehr Menschen stehen dem Religionsunterricht kritisch gegenüber. Trotz allem ist er in den meisten Bundesländern nach wie vor noch fester Bestandteil des Fächerkanons in der Schule. Auf welcher Grundlage der Religionsunterricht basiert, wer für ihn verantwortlich ist, welche Ziele er verfolgt und inwieweit der Religionsunterricht sinnvoll für das Leben der Menschen ist wird im Folgenden näher betrachtet.
Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob die Kirchlichen Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/ Primarstufe der deutschen Bischöfe aus der Not geboren wurden und infolgedessen eventuell einer Aktualisierung bedürfen. Des Weiteren wird sich mit den Kompetenzen auseinandergesetzt, die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit erworben haben sollen.
Zu Beginn wird beschrieben, inwiefern sich Religion im Laufe der vergangenen Jahre gewandelt hat. Dafür werden die zentralen Aussagen der Säkularisierungs-, der Individualisierungs-, sowie der Pluralisierungsthese vorgestellt. Des Weiteren werden Aspekte einer veränderten Kindheit sowie die religiöse Denkweise und aktuelle Themen, Fragen und Ängste, mit denen sich heutige Kinder befassen betrachtet. Anschließend werden Konsequenzen gezogen, die sich daraus für die Religionspädagogik ergeben.
In Kapitel zwei wird die Bedeutung von Religion und religiösem Lernen für die Bildung erläutert. Daneben wird auf die bildungspolitische Veränderung von den bisherigen Lehrplänen zu den aktuellen Bildungsstandards eingegangen sowie auf die Frage welche Folgen sich daraus für den Religionsunterricht ergeben.
In Kapitel drei werden sowohl die Kirchlichen Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe der deutschen Bischöfe als auch der Bildungsplan der Grundschule Katholische Religionslehre Baden-Württemberg dargestellt und kritisch analysiert. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, ob die Kirchlichen Richtlinien noch aktuell sind.
In Kapitel vier wird Bezug zu den Kompetenzen genommen, die die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit erworben haben sollen. Es wird aufgezeigt, welche Bereiche des Religionsunterrichts sich in Kompetenzen und Bildungsstandards ausdrücken lassen und inwieweit diese gemessen und bewertet werden können. Daneben werden Stärken und Schwächen der Kompetenzorientierung im katholischen Religionsunterricht aufgezeigt.
Im abschließenden fünften Kapitel erfolgt ein Fazit, welches einen Überblick über den aktuellen Stand religionspädagogischer Unterrichtsforschung sowie einen Ausblick auf zukünftige Untersuchungen gibt.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich nicht nur Religion im Allgemeinen, sondern auch die Lebenswelt der Kinder stark gewandelt. In der vormodernen Zeit waren der christliche Glaube und das Leben verbindlich durch die Kirche geregelt und fest im Alltag der Menschen integriert. Sowohl Erwachsene als auch Kinder begegneten dem christlichen Glauben und der Kirche aufgeschlossen. Heute hingegen überwiegen religiöse Gleichgültigkeit und Unbestimmtheit.1 Glaube und Religion sind nicht mehr fester Bestandteil im Leben der Menschen. Technik, Medien, Schule und Freizeitaktivitäten treten in den Vordergrund. Religion kommt häufig zu kurz. Welche weiteren Auswirkungen die moderne Welt auf die Religion und die Kindheit hat, wird in den folgenden Unterkapiteln näher erläutert.
Die Gesellschaft galt früher als eine traditionsgeleitete Einheit, an deren Spitze Kaiser und Papst gemeinsam thronten. Die Weltanschauung der Menschen war stark an Religion, Kirche und deren Gebote gebunden, denen sich die Menschen unterstellen mussten.2 Die aus der Aufklärung im 18. Jh. resultierende, rasante wirtschaftliche Entwicklung veränderte das gesellschaftliche Leben nachhaltig. Wissenschaft und Technik beeinflussten die Lebenswelt der Menschen immer stärker.3 Durch die Trennung von Kirche und Staat wurde Religion aus dem öffentlichen in den privaten Bereich verdrängt.4 Die Religionssoziologie befasst sich mit den sozialen Voraussetzungen von Religion und geht der Frage nach, welche Bedeutung die Religion unter modernen Bedingungen im Leben der Menschen hat. In diesem Zusammenhang haben sich drei theoretische Ansätze etabliert.5
Die geläufigste Annahme ist die Säkularisierungsthese. Diese geht davon aus, dass die Modernisierung langfristig zum Bedeutungsverlust und schließlich zum Verschwinden der Religion aus der Lebenswelt der Menschen führt.6 Das größer werdende Spannungsverhältnis zwischen Religion und Moderne hat zur Folge, dass Religion mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen (z.B. Medizin, Politik, Bildung und Recht) konkurrieren muss und somit ihre Bindekraft verliert.7 Die sinkende Zahl der Gottesdienstbesucher,8 ein ansteigender Verlust von Mitgliedern9 sowie eine erhöhte Konfessionslosigkeit10 werden als Anzeichen eines religiösen Bedeutungsverlustes gewertet. Auch im Alltag der Menschen kann beobachtet werden, dass kirchliche Traditionen und Feste wie Weihnachten, Taufe oder Hochzeit ihre religiöse Bedeutung verlieren.11 Viele Menschen feiern Weihnachten aufgrund der gemütlichen Atmosphäre und dem gemeinsamen Beisammensein der Familie. An die Geburt Christi denken jedoch nur wenige. Auch eine kirchliche Hochzeit wird nicht mehr gefeiert, um sich ein Versprechen vor Gott zu geben, sondern weil es der schönste Tag im Leben des Paares sein soll und eine große Feier mit vielen Gästen in einer hübsch geschmückten Kirche dazugehört.
Viele Kritiker der Säkularisierungsthese sehen diese als überholt oder dringend differenzierungsbedürftig an12. So kommt es, dass sich im Laufe der Jahre neben der Säkularisierungsthese noch zwei weitere Thesen etabliert haben: Die Individualisierungsthese und die Pluralisierungsthese.
Die Individualisierungsthese beschreibt eine Ablösung von institutionellen Vorgaben, indem Religion individuell abgewandelt wird.13 In der modernen Gesellschaft möchten die Menschen selbst und unabhängig von anderen bestimmen, woran sie glauben und wie sie diesen Glauben zum Ausdruck bringen. Ein individueller Glaube ist von außen nicht sichtbar und könnte daher ebenfalls als (Glaubens-)Verlust gedeutet werden. Hier zeigt sich, wie nah die Annahmen der Säkularisierungsthese und der Individualisierungsthese beieinander liegen. Da Religion nur noch selten in ihrer institutionalisierten Sozialform auftritt, verlieren religiöse Institutionen ihre Bindungskraft. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsweise, dass Religion aus der Gesellschaft verschwindet.14 So lässt sich aus der sinkenden Zahl der Gottesdienstbesucher in den letzten Jahren nicht unbedingt darauf schließen, dass die Menschen weniger an Gott glauben oder der Glaube allgemein verloren geht. Vielmehr kann es bedeuten, dass die Menschen aufgrund ihres individuellen Glaubens sogar stärker und intensiver glauben, diesen allerdings anders ausüben.
Die Pluralisierungsthese beschreibt eine Entfaltung der einen christlichen Religion in eine Vielfalt.15 Sowohl der Anspruch auf maximale persönliche Freiheit und Selbstverwirklichung16 als auch die Pluralisierung der Gesellschaft führt dazu, dass diverse Meinungen, Überzeugungen und Weltanschauungen existieren,17 aus denen die Menschen frei wählen können. Sie konstruieren sich so ihre eigene Religiosität, indem sie sich aus anderen Religionen und Weltanschauungen etwas Eigenes aussuchen, mit dem sie sich am meisten identifizieren können. Die Beziehung zur christlichen Kirche wird zunehmend brüchig und die Bindung an sie schwindet, da viele Menschen vor allem bei der ‚Beantwortung letzter existenzieller Fragen‘ im Christentum nicht fündig werden.18 Das vielfältige Angebot an alternativen Religionen und Weltanschauungen ermöglicht es den Menschen, auf andere Weise Antworten auf ihre offenen Fragen zu finden19 und somit eigene, individuelle religiöse Erfahrungen zu machen. Diese können stärker sein, als ausformulierte vorgegebene Lehren,20 die einem persönlich fremd sind. Die Suche der Menschen nach Antworten und das Bedürfnis an etwas zu glauben, an dem man sich festhalten kann, lässt davon ausgehen, dass sowohl Religion allgemein als auch religiöse Erfahrungen im Alltag der Menschen durchaus noch eine wichtige Rolle spielen. Ein Aussterben der Religion, wie es in der Säkularisierungsthese beschrieben wird, zeigt sich nicht.
Diese drei kontrovers und in vielfältiger Weise diskutierten Thesen und der religiöse Wandel allgemein sind deutlich komplexer als hier dargestellt. Eine ausführlichere Auseinandersetzung würde allerdings über den Rahmen dieser Arbeit hinaus gehen. Der kleine Überblick genügt, um sich im Folgenden mit Aspekten der veränderten Kindheit und mit dem Religionsunterricht in der Schule zu befassen.
„Die Kindheit ist die Zeit der Abhängigkeit von den Eltern in der Grundversorgung des Lebens. Sie dauert bis zum Eintritt der Pubertät mit 12 oder 13 Jahren.“21 Besonders seit den 1970er- und 1980er Jahren hat sich die Kindheit stark gewandelt22 und auch die Bedingungen des Aufwachsens haben sich für Kinder heute verändert.23
Die vielfältigen Modernisierungsprozesse wirken sich nicht nur auf die Gesellschaft und die Religion aus, sondern ebenfalls auf die Kindheit. Materieller Wohlstand, Sicherheit, medizinische und pädagogische Versorgung kennzeichnen die heutige Lebenswelt der Kinder. Sie scheinen alles zu haben, doch häufig fehlt ihnen das Wichtigste: Aufmerksamkeit, Liebe und Zeit.24
Die Zeit ist hierbei ein sehr wichtiger Faktor. Aufgrund der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern verbringen viele Kinder bis zu acht Stunden am Tag in der Schule. So könnte Kindheit heute auch als ‚Schulkindheit‘ bezeichnen werden. Immer mehr Grundschulen bieten ganztägige Angebote an, die nicht nur weit über den regulären Unterricht hinaus gehen, sondern auch Aufgabenbereiche der Eltern abdecken.25 (z.B. Nachmittagsbetreuung, gemeinsames Essen). Schule wird somit zu einem Ort, an dem Kinder unterschiedlichste Erfahrungen sammeln, die auch für ihr späteres Leben von hoher Bedeutung sind.
Neben Multikulturalität, veränderten Familienformen und erhöhtem Leistungsdruck ist die Nutzung von Medien jeglicher Art besonders charakteristisch für die heutige Kindheit. Fast jeder Haushalt verfügt über ein Fernsehgerät, einen Internetzugang und ein Smartphone.26 Diese Medien werden sehr regelmäßig genutzt27 und nehmen viel Platz im Alltag der Kinder ein. Die Medien eröffnen den Kindern die Möglichkeit, sich schon früh mit vielen verschiedenen Themen auseinanderzusetzen. Oftmals gehen dadurch allerdings authentische Erfahrungen, wie beispielsweise Naturerfahrungen verloren.28
Während die Kinder früher häufig in der Natur lebten, vielen verschiedenen Menschen unterschiedlichen Alters begegneten und nachmittags mit anderen Kindern spielen konnten, leben heute dagegen viele Kinder in Großstädten, in denen ihnen aufgrund der hohen Verkehrsbelastung deutlich weniger Spielmöglichkeiten zur Verfügung stehen29 und auch Kontakte zu anderen Kindern verringert werden.
Ein gewandelter Erziehungsstil – ‚vom Befehlen und Gehorchen zum Verhandeln‘ – ist ebenfalls sehr charakteristisch für die heutige Kindheit und zeigt sich auch in der religiösen Erziehung. Diese findet heute kaum noch gezielt statt, da sich Eltern im religiösen Bereich häufig überfordert fühlen und somit ihren Kindern die Freiheit geben selbst zu entscheiden, inwieweit sie Religion in ihren Alltag und ihr Leben integrieren möchten.30 Das Sammeln religiöser Erfahrungen wird für Kinder somit jedoch immer schwieriger, da ihre religiösen Einstellungen primär in der Familie geprägt werden.31 Diese distanziert sich jedoch immer weiter von der Kirche, was sich unter anderem darin zeigt, dass christliche Bräuche oder religiöse Familienrituale wie beispielsweise das Tischgebet oder gemeinsame Gottesdienstbesuche immer seltener werden.32
Unabhängig davon, ob Kinder eine religiöse Erziehung erfahren haben oder nicht, beschäftigen sie sich mit religiösen Themen wie beispielsweise dem Sinn des Lebens oder der Frage nach dem Leid (Theodizee). Dabei setzen sie sich auf eine eigene, individuelle Art mit ihren vielfältigen Fragen auseinander. Diese unterscheidet sich deutlich von der Denk- und Verstehensweise Erwachsener. Kognitiv-strukturelle Entwicklungstheorien können helfen, den geistigen Entwicklungsstand der Kinder zu erfassen. In Anlehnung an die Stufentheorie von Piaget zur kognitiven Entwicklung von Kindern entwickelten sowohl Fritz Oser und Paul Gmünder als auch James Fowler unabhängig voneinander Stufentheorien der religiösen Entwicklung.33 Beide Stufentheorien haben gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass die Entwicklung der Menschen stufenförmig und nur in eine Richtung verläuft. Wurde eine Stufe erreicht, entwickelt sich der Mensch in der Regel nicht mehr zurück.
Oser und Gmünder erforschten die Entwicklung des religiösen Urteils, indem sie Testpersonen verschiedene religiös relevante Dilemma-Geschichten vorlegten, die diese bewerten sollten. Besondere Bedeutung hatte hierbei die Frage, wie Menschen ihr Verhältnis zum Letztgültigen (Ultimaten) bestimmen. Die bekannteste Dilemma-Geschichte, das Paul-Dilemma, handelt von einem angehenden Arzt, der während einer Flugreise in Lebensgefahr gerät, da das Flugzeug abzustürzen droht. Voller Panik betet Paul zu Gott und verspricht, sein zukünftiges Leben als Arzt in Afrika zu verbringen und sich um die Menschen dort zu kümmern, sofern er diesen Absturz überlebt. Paul überlebt. Nach einer Zeit wird ihm eine sehr gute Stelle in einer Privatklinik angeboten, die er nur zu gerne annehmen würde. Doch dann kommt ihm sein Versprechen, welches er Gott gegeben hat, wieder in den Sinn. Wie soll er sich nun entscheiden?
Basierend auf den gegebenen Antworten und Begründungen der Kinder stellten Oser und Gmünder fünf Stufen des religiösen Urteils auf.
Auf der ersten Stufe wird Gott als allmächtig, unnahbar und unbeeinflussbar angesehen. Er kann in die Welt eingreifen, um zu strafen und zu belohnen, ohne dass die Kinder Einfluss darauf nehmen können. Sie fühlen sich Gott völlig ausgeliefert. (deus ex machina)34
Junge, 10 Jahre: „Er soll schon gehen, weil er es versprochen hat…“
Frager: „Wieso soll man ein Versprechen halten?“
Junge: „Weil man vielleicht sonst doch bestraft wird. Gott tut, dass man im Innern Weh hat - Bauchweh oder so etwas.“35
Dieses Kind fürchtet sich vor der Strafe Gottes und würde daher sein Versprechen einhalten. Es hat Angst, dass Gott ihm etwas Schlechtes widerfahren lassen würde, wenn es sein Versprechen bricht.
Auf der zweiten Stufe tritt Gott in ein Tauschverhältnis mit den Kindern. Er wird nach wie vor noch als allmächtig angesehen, kann jedoch durch Gebete und gutes Verhalten beeinflusst werden (do ut des – ich gebe, damit du gibst).36
Ein neunjähriger Junge argumentiert so: „Ja das muss er, Gott hat ihn auch gerettet. Er hat den Paul vielleicht darum gerettet, weil er immer lieb zu ihm war. Er hat nicht so viel Böses gemacht. Wenn wir nämlich gut zu Gott sind, dann hilft uns Gott vielleicht auch wieder einmal.“37
Dieses Verständnis, Paul hat sich gut verhalten, dafür hat Gott ihn gerettet, verleitet die Kinder dazu, sich besonders gut zu verhalten, in der Hoffnung, dass ihre Wünsche daraufhin in Erfüllung gehen oder Gott ihnen aus schwierigen Situationen hilft.
Die meisten Grundschulkinder befinden sich aufgrund ihrer kognitiven Entwicklung auf den ersten beiden Stufen. In wenigen Fällen wird bereits im Grundschulalter Stufe drei erreicht. Hier erkennen die Kinder nun, dass sie häufig auch ohne Gottes Hilfe handeln können. Sie befreien sich aus der Abhängigkeit von Gott und übernehmen selbst die Verantwortung für ihr Leben. Da die vierte und fünfte Stufe für die Grundschule nicht von Bedeutung sind, 38 werden diese hier nicht weiter ausgeführt.
Der Amerikaner James Fowler entwickelte 6 Stufen des Glaubens. Er reflektiert den Lebensglauben der Menschen und konnte nachweisen, dass sich ihr Glaube und die Art und Weise wie Menschen glauben entwickelt. Dabei unterscheidet er zwischen faith (Lebensglaube) und belief (Glaubensinhalte).
Der intuitiv-projektive Glaube (Stufe 1) ist stark von der Fantasie geprägt und kann noch nicht von der Realität unterschieden werden. Er begleitet die Kinder zwischen ihrem dritten und siebten Lebensjahr. In dieser Zeit werden die Grundlagen des Glaubens geprägt.
Darauf folgt der mythisch-wörtliche Glaube (Stufe 2). Dieser ist sehr charakteristisch für Grundschulkinder. Fantasie und Wirklichkeit können nun voneinander unterschieden werden.
[...]
1 Vgl. Ritter, Werner H/Simojoki, Henrik: Religion und Kindheit im Wandel. Pluralisierung, Individualisierung, Globalisierung. In: Georg Hilger/Werner H. Ritter/Konstantin Lindner/Henrik Simojoki/Eva Stögbauer (Hrsg.): Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts. München, Stuttgart 2014 (Überarbeitete Neuausgabe). S. 26f.
2 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 27.
3 Vgl. Kunstmann, Joachim: Religionspädagogik. Eine Einführung. Tübingen 2004. S. 19.
4 Vgl. Schmidt, Thomas M./Pitschmann, Anette (Hrsg.): Religion und Säkularisierung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2014. S. 246.
5 Vgl. Schmidt/Pitschmann: Religion und Säkularisierung. S. 221.; vgl. Pickel, Gert: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? Religiosität und ihre Erklärungsfaktoren im europäischen Vergleich. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 62 (2) (2010). S. 221.
6 Vgl. Schmidt/Pitschmann: Religion und Säkularisierung. S. 1.; vgl. Ritter, Werner H./ Simojoki Henrik: Religion und Kindheit im Wandel. S. 25.
7 Vgl. Ritter, Werner H./ Simojoki Henrik: Religion und Kindheit im Wandel. S. 29.
8 Vgl. Pickel: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? S. 228.; vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 255.
9 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 28f.; vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 255.
10 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 29.; vgl. Pickel: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? S. 226.
11 Vgl. Meulemann, Heiner: Ohne Kirche leben. Säkularisierung als Tendenz und Theorie in Deutschland, Europa und anderswo. Wiesbaden 2019. S. XV-XVI.
12 Vgl. Schmidt/Pitschmann: Religion und Säkularisierung. S. 1.
13 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 25.
14 Vgl. Schmidt/Pitschmann: Religion und Säkularisierung. S. 74 + S. 223.
15 Vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 251.; Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 25.
16 Vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 243.
17 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 28.
18 Vgl. Pickel: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? S. 238.
19 Vgl. Pickel: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? S. 230.
20 Vgl. Schmidt/Pitschmann: Religion und Säkularisierung. S. 223.
21 Kunstmann: Religionspädagogik. S. 83.
22 Vgl. Rolff/Zimmermann 2001, zitiert nach: Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 33f.
23 Vgl. Grethlein, Christian/Lück, Christhard: Religion in der Grundschule. Ein Kompendium. Göttingen 2006. S. 23.
24 Vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 83.
25 Vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 30.
26 Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-Studie 2018. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz 2018. (https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2018/KIM-Studie_2018_web.pdf) [20.12.20] S. 9.
27 Vgl. ebd. S. 11.
28 Vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 30.
29 Vgl. ebd. S. 24f.
30 Vgl. Schweitzer/ Biesinger 2009, zitiert nach: Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 36.
31 Vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 36.
32 Vgl. Kunstmann: Religionspädagogik. S. 88f.; vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 35.
33 Vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 41f.
34 Vgl. ebd. S. 42f.; vgl. Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 41f.
35 Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 43.
36 Vgl. ebd. S. 42.; vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 43f.
37 Ritter/Simojoki: Religion und Kindheit im Wandel. S. 43.
38 Vgl. ebd. S. 42.; vgl. Grethlein/Lück: Religion in der Grundschule. S. 43f.
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