Bachelorarbeit, 2017
140 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
1.1 Begründung der Themenwahl
1.2 Zielstellung der Arbeit
1.3 Wissenschaftliche Fragestellung
1.4 Inhaltlicher Aufbau der Arbeit
1.5 Methodisches Vorgehen
2. Grundlagen der Gruppendynamik
2.1 Begriffsdefinition
2.1.1 Soziale Gruppe
2.1.2 Gruppendynamik
2.2 Phasen der Gruppenentwicklung
2.3 Normen und Rollen in Gruppen
2.3.1 Normenbildung
2.3.2 Rollendifferenzierung
2.3.3 Modell nach Raoul Schindler
2.4 Gruppendynamischer Raum
2.4.1 Dimension Zugehörigkeit (Drinnen - Draußen)
2.4.2 Dimension Macht und Einfluss (Oben – Unten)
2.4.3 Dimension Intimität (Nah – Fern)
2.5 Aspekte der Gruppendynamik
2.5.1 Leistungsvorteile
2.5.2 Gefahren
Kooperation – Konflikt
2.6 Interventionsmöglichkeiten von Intergruppenbeziehungen
3. Bindungstheoretische Grundlagen
3.1 Bindungssystem
3.1.1 Bindungsperson
3.1.2 Bindungsverhalten
3.1.3 Konzept der Feinfühligkeit
3.1.4 Bindung als inneres Arbeitsmodell
3.2 Bindungsqualitäten
3.2.1 Sichere Bindung (Typ B)
3.2.2 Unsicher-vermeidende Bindung (Typ A)
3.2.3 Unsicher-ambivalente Bindung (Typ C)
3.2.4 Unsicher-desorientierte Bindung (Typ D)
3.3 Schutz- und Risikofaktoren
3.4 Bindungsentwicklung im Jugendalter
4. Bindungsabbrüche
4.1 Reaktion von Bindungsabbrüchen für Kinder und Jugendliche
4.2 Auswirkung auf die Bindungsqualität und die pädagogische Hilfestellung
4.3 Verlust- und Bindungsangst
4.4 Bindungsstörungen
4.4.1 Die Einteilung nach dem ICD-10
4.4.2 Typologie nach Karl Heinz Brisch
4.5 Typen gestörter Gruppenbindung
4.6 Prävention und Intervention von Bindungsstörungen
5. Kinder- und Jugendhilfe
5.1 Kerngedanken der Kinder- und Jugendhilfe
5.2 Heimerziehung
5.3 Besonderheiten in der Gruppendynamik
5.4 Heimerziehung in Bezug auf Bindung
6. Beschreibung der Erhebungsinstrumente
6.1 Methodische Vorgehensweise
6.2 Gruppendynamische Spiele
6.2.1 Theoretische Grundlagen der gruppendynamischen Spiele
6.2.2 Durchführung
6.2.3 Auswertung
6.3 Big-Five-Test
6.3.1 Theoretische Grundlagen des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit (Big Five Modell)
6.3.2 Durchführung
6.3.3 Auswertung
6.4 Soziogramm
6.4.1 Theoretische Grundlagen des Soziogramms
6.4.2 Durchführung
6.4.3 Auswertung
6.5 Fragebogen
6.5.1 Theoretische Grundlagen
6.5.2 Konstruktion und Vorbereitung
6.5.3 Durchführung
6.5.4 Auswertung
6.6 Auswertung aller Erhebungen
7. Fazit und Reflexion
8. Abkürzungsverzeichnis
9. Literaturverzeichnis
11. Darstellungsverzeichnis
11.1 Tabellenverzeichnis
11.2 Abbildungsverzeichnis
„Ich bin in zwei Heimen […] aufgewachsen. […] Den Drill und die strengen Regeln vermisse ich ganz und gar nicht, aber sie haben uns Kinder dazu gebracht, uns gegenseitig beizustehen. An Nicolaus war das besonders deutlich, wenn man zu denen zählte, die mal wieder eine Kohle bekommen haben und aus Mitleid von den anderen was süßes abbekamen. [Dann kam der Auszug.] Alles war auf einmal anders und man musste alles auf einmal allein für sich selbst machen. Niemand war da, der einem einen Ratschlag geben konnte. Niemand, der einem beistand und half. Immer ist die Angst, alles zu verlieren und von vorne anfangen zu müssen. Das Misstrauen vor allem, [dass man verlassen werden könnte]. Wie soll man da eine Freundschaft oder Beziehung aufbauen? Am liebsten würde man alles festhalten und nie mehr loslassen, für ein wenig Stabilität. Und immer das Alleinsein. Meine Beziehung ist letzten Endes gescheitert und meine Frau ist gegangen, da sie sich von mir eingeengt fühlte. Wenn ich jetzt nachhause komme, ist es immer so still und leer. Im Heim war immer jemand da. Man war nie allein, ob im Bad oder im Schlafraum, immer waren die anderen da. Jetzt sind nur noch die Alpträume und schlimmen Erinnerungen aus der Heimzeit übrig, die mich nicht mehr los lassen. Gern würde ich meine alten Heimkammerraden noch einmal treffen und sehen, wie sie die Zeit nach dem Heim überstanden haben. Aber keiner ist mehr da“ (Pierre, 2017).
Das Magazin „chrismon“ veröffentlichte 2013 einen Artikel zum Thema „So fühlen sich ehemalige Heimkinder“. So geht die Autorin Günther auf die Schwierigkeiten der Integration, Einsamkeit und geschaffene Überlebensstrategien nach dem Auszug in ein freies Leben ein (Günter, 2017). Pierre reagierte mit seiner authentischen Lesermeinung, in der er hervorhebt, dass die sogenannte „Heimzeit“ anstrengend, aber mit Leben gefüllt war. Als Erwachsener lernt er seine ehemaligen Mitbewohner zu schätzen. Sie konnten ihn verstehen, weil sie als Gruppe in der gleichen Situation waren und ähnlich empfanden. Das Mitgefühl hat Pierre nicht mehr. Das Gefühl der Verlustangst hat sich vertsärkt. Es ist Teil einer möglichen Bindungsstörung, unter der auch heute viele Heimkinder leiden.
Die Zahl der Leistungsempfänger in der Heimunterbringung steigt stetig, was auch durch das Zukommen der unbegleiteten, minderjährigen Ausländer verursacht wird (KomDat, 2016, S. 9). Zwar ist der eben genannte Artikel der ehemaligen Heimkinder aus dem Jahr 2013, dennoch hat sich seine Aktualität eher verstärkt, als verloren.
Kinder und Jugendliche1, die diese Hilfe zugesprochen bekommen, werden in dieser Zeit meistens von vorerst Fremden begleitet. Nach einiger Zeit werden manche ihrer Wegbegleiter neue Vertraute, bspw. einzelne Erzieher oder manche Mitbewohner. Wie Pierre beschreibt, lernte er in dieser Jugendgruppe Regeln des gemeinschaftlichen Miteinanders. „Das Zusammenleben in der Gruppe muss organisiert werden durch Vereinbarungen, Regeln, die Übernahme von Verantwortlichkeiten und gegebenenfalls auch die Kontrolle der Einlösung – es muss gefestigt und entlastet werden durch Rituale. Je eher Kinder, später Jgdl., ihre Regeln selber finden und für ihre Gruppe kodifizieren, umso mehr stehen sie dafür ein und lernen zugleich Wichtiges“ (Thurn, 2016, S. 356). Auch das ehemalige Heimkind Pierre sprach von diesem Zusammenhalt, den er erlebte. Auf diese Erfahrungen, die er dabei sammeln durfte, stütze er sich sein gesamtes weiteres Leben.
Ähnliche Wirkungen hat die erlebte Bindung auf einen Menschen. In den ersten Lebensjahren ist die angemessene Reaktion auf kindlichen Bedürfnisse durch die Bezugspersonen, meist durch die Eltern, überlebenswichtig. Daraus entwickelt sich eine sichere Bindung, was das Kind selbstbewusst in der Umwelt auftreten lässt. Wird nicht zureichend auf die Bedürfnisse in dieser sensiblen Phase eingegangen, stellt sich das Kind darauf ein und entwickelt möglicherweise Verhaltensstörungen. Das unsichere Verhalten wirkt auch nach außen (Brisch, SAFE® - Sichere Ausbildung für Eltern: Sichere Bindung zwischen Eltern und Kind [E-Book], 2015). Gerade Kinder und Jgdl. in der Heimerziehung mussten oft schlechte, sogar traumatisierende Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie erleben. Sie haben oft Probleme langfristig Vertrauen in Personen aufzubauen, auch Pierre ging es so.
Die Autorin der vorliegenden Thesis sieht einen hohen Bedarf, sich mit diesen Themengebieten auseinanderzusetzen. Gerade in der Praxis der Heimerziehung ist es schwierig, angemessen auf den Bedarf der jeweiligen Jgdl. zu reagieren und dennoch den Gruppenfrieden zu wahren.
Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit den Themen der Bindung und dem Zusammenleben diversen Charakteren in einem Kinder- und Jugendheim. In diesem Zusammenhang wird untersucht, welchen Einfluss die Bindung auf die verschiedenen Bereiche des Zusammenlebens und Interaktionsformen innerhalb des Heimalltags nimmt. Dafür wird die Bindungstheorie erläutert, Bindungsformen dargestellt und die Folgen einer Bindungsstörung aufgezeigt. Des Weiteren werden Elemente der Gruppendynamik und deren Einflussfaktoren dargelegt. Vor allem der Zusammenhang von einer Bindungsstörung bzw. das Vorliegen einer Nicht-Sicheren-Bindung und dem Gruppenverhalten werden untersucht. Ziel ist es also einen umfassenden Überblick über die Inhalte sowie den Zusammenhang zu geben. Zudem wird der Bezug zu den Erziehungshilfen hergestellt.
Die Verbindung der theoretischen Grundlagen soll praktisch in den Erhebungen dargestellt werden. Die Untersuchungsobjekte sind die Jgdl. des Heimes. Die Gruppenprozesse werden an der Jugendgruppe genauer beleuchtet, wobei auch das individuelle Bindungsverhalten der einzelnen Gruppenmitglieder betrachtet wird. Ein weiteres Ziel der Autorin besteht darin, pädagogische Hindernisse im Alltag zu erkennen und möglich Anhaltspunkte für Interventionsmaßnahmen zu finden, um einen Synergieeffekt im Sine der Hilfe zur Selbsthilfe zu erreichen.
Die Fragestellung, welche sich aus der eben genannten Zielstellung ergibt ist folgende; Inwieweit wirkt eine Bindungsstörung in eine Gruppendynamik bei einer bestehenden Gruppe? Gibt es Hinweise auf Strategien, die zur einer gelingenden Dynamik und zum Selbsthilfeprozess beitragen? Um diese umfassende Problematik klarer zu strukturieren, wurden die Themengebieten nochmals untergliedert.
1. Grundlagen der Gruppendynamik
- Welche Rollen sind bei sechs Gruppenmitgliedern möglich?
- Welche Funktionen haben Rollen?
- Wie bilden Gruppen Normen aus?
- Haben Gruppen Leistungsvorteile?
- Hat Gruppenarbeit auch negative Seiten?
- Wie wirkt eine pädagogische Erziehung in eine Gruppendynamik ein?
2. Grundlagen von Bindung und von Bindungsabbrüchen
- Was bedeutet der Begriff Bindung?
- Welche Formen der Bindung gibt es?
- Wie zeigen Jgdl. eine Bindungssangst oder eine Bindungsstörung?
- Wie entsteht eine Bindungsstörung?
- Nach welchen Handlungsansätzen gehen die Pädagogen mit einer Bindungsstörung um?
- Welche Präventions- und Interventionsmaßnahmen gibt es dazu?
3. Zusammenhang der Gruppendynamik und der Bindung
- Welche Rollenbilder zeigen sich bei Jgdl. mit einer Bindungsschwäche /-störung?
- Verändern sich die Gruppenprozesse, wenn Gruppenmitglieder bindungsgestört sind?
- Wie gehen andere Gruppenmitglieder mit dieser Störung um?
- Kann die Dynamik von außen so beeinflusst werden, dass sich die Bewohner gegenseitig helfen? Wenn ja, wie?
4. Kinder- und Jugendhilfe
- Was beinhaltet die Kinder und Jugendhilfe?
- Was bedeutet die Heimerziehung?
- Wie kann eine sichere Bindung in den Hilfen zur Erziehung gefördert werden?
- Welche speziellen Dynamiken sind in einer Jugendgruppe in einem Heim zu erkennen?
- Wie wirkt die Heimerziehung auf ein bereits bindungsschwachen Jgdl.?
5. Erhebungsmethoden
Gruppendynamische Spiele
- Was zeichnen gruppendynamische Spiele aus?
- Was ist bei der Durchführung zu beachten?
- Welche Schlüsse können möglicherweise aus den Beobachtungen gezogen werden?
Soziometrie
- Was ist eine Soziometrie?
- Wie baut sich eine Soziometrie auf?
- Welche Erkenntnisse sind daraus zu entnehmen?
Fragebogen
- Wie baut sich ein Fragebogen auf?
- Wie wird er nach der Erstellung durchgeführt?
- Ist ein Fragebogen für eine solche Thematik geeignet?
Die vorliegende Thesis unterteilt sich in der Aufarbeitung theoretischer Grundlagen und mit einer anschließenden praktischen Auseinandersetzung.
Die wissenschaftliche Dimension der Gruppendynamik stützt sich auf die Kleingruppenforschung. Dabei werden die Phasen der Gruppenentwicklung, die Funktionen von Normen und Rollen, der gruppendynamische Raum und vereinzelte Interventionsmaßnahmen behandelt.
Zudem ist ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit die Bindung. Dazu wird das Bindungssystem, die Bindungsqualitäten sowie die Schutz- und Risikofaktoren erklärt. Es erfolgt eine altersspezifische Einordnung innerhalb der Entwicklung. Die Autorin geht auf die Auswirkungen von Bindungsabbrüchen ein, wobei die einhergehenden Ängste beleuchtet werden. Die Bindungsstörungen werden nach der Auslegung des ICD-10 und nach Brisch charakterisiert. Auch hier wird auf Interventionsmaßnahmen hingewiesen.
Der theoretische Teil wird mit der Darlegung der Kinder- und Jugendhilfe abgeschlossen. In diesem Teil werden die Grundzüge der Heimerziehung sowie die Verbindung zur Gruppendynamik und zur Bindung präzisiert.
Im zweiten Abschnitt der Arbeit erfolgen empirische Erhebungen durch die Autorin, wobei die theoretischen Grundlagen Anwendung finden.
In einer abschließenden Zusammenfassung werden die erhobenen Daten mit der Theorie abgeglichen. Da die Situation im Heimalltag selten für eine Feldforschung genutzt wird, ist es Ziel, pädagogische Erkenntnisse zu finden.
Der theoretische Anteil basiert auf einer tiefgründigen Literaturrecherche. Sie stellt einen wichtigen Teil der Thesis dar, da diese den aktuellen Forschungsstand wiederspiegelt. Viele Wissenschaftler setzten sich mit der hier ausgeführten Thematik auseinander und ermöglichen damit eine differenzierte Betrachtung. Dabei wurden Bücher, E-Books, Zeitschriften, klinische Berichte, Gesetzestexte und Internetquellen betrachtet. Die Literatur bezog die Autorin aus den umliegenden Bibliotheken der Sozialwissenschaft und wissenschaftliche, elektronische Datenbanken. Bei der Auswahl der verwendeten Literatur achtete die Autorin auf den direkten Zusammenhang mit der Thematik, um die Stringenz zu wahren. Bindung, wie auch Gruppendynamik sind ein weit erforschte Felder. Somit mussten Punkte, wie bspw. das Bindungstrauma oder die Entwicklung der Gruppendynamik abgegrenzt werden, um den Rahmen dieser Arbeit zu entsprechen. Wichtige Autoren des Themenfelds Bindung sind Karl Heinz Brisch, John Bowlby, Theodor Hellbrügge sowie Karin und Klaus Grossmann. Gruppendynamische Erkenntnisse erfolgen zum Großteil von Oliver König, Karl Schattenhofer, Klaus Antons und Erving Goffmann.
Die praktische Anwendung der Theorie beinhaltet empirische Erhebungsmethoden. Diese wurde mit der Jugendgruppe des Kinder- und Jugendheims durchgeführt. Das sind zwei Mädchen und vier Jungen. In der Gruppe befinden sich zudem zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren. Sie wurden allerdings in der Erhebung ausgeschlossen, da sie andere, altersentsprechende Methoden und eine altersspezifische theoretische Analyse benötigen. Diese zusätzlichen Ausführungen sind im Rahmen einer Bachelorarbeit nicht möglich. Zudem nehmen die Kinder keinen ausschlaggebenden Interaktionsraum in der Gruppe ein, da sie sich in der meisten Zeit zu zweit beschäftigen.
Die gruppendynamischen Spiele wurden dahingehend ausgewählt, dass die Interaktionen unter den Jgdl. nur geringfügig von bestehenden Freundschaften beeinflusst werden. Die Charaktereigenschaften werden durch so durch die individuelle Handlungsweise klar erkennbar. Die Spiele wurden mit allen sechs Jgdl. an einem Nachmittag durchgeführt. Die Auswertung erfolgte mit einer zweiten Beobachterin, welche die Autorin begleitete.
Der Big-Five-Test misst die fünf grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit. Diese sind Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Der Test erfasst die Verhaltensstrukturen jedes Jgdl. und damit auch die Verhaltensweisen, die sie anderen Gruppenmitgliedern entgegenbringen. Das lässt Rückschlüsse auf die Ursachen der Gruppendynamik zu.
Die Feststellungen der Spiele sowie auch der des Big-Five-Tests werden in einer Soziomatrix festgehalten. Dabei wird entschieden, ob ein Jgdl. in die Interaktion mit einem Gruppenmitglied gehen möchte oder diese ablehnt. Mit den Feststellungen wird ein Soziogramm hergestellt, das die Beziehungen in der Gruppe grafisch darstellt. Zudem verbildlichte die Autorin den gruppendynamischen Raum in den Dimensionen Macht und Einfluss, Intimität sowie Zugehörigkeit. Das verdeutlicht verstärkt die Interaktionen und gibt Hinweise zu den Hintergründen der Beziehungen.
In einem Fragebogen wird das Bindungsverhalten der Jgdl. durch die Kontakterzieher genauer betrachtet. Die Fragen beziehen sich auf eine mögliche diagnostizierte Bindungsstörung, den familiären Hintergrund und das Gruppenverhalten.
In einer Zusammenfassung der Erhebungsmethoden werden die Ergebnisse in einem Kontext zusammengebracht.
In der Arbeit wird eine Anonymisierung der Namen und Geburtstagen aller Jgdl. vorgenommen, um deren Privatsphäre zu schützen. Dabei werden die Vornamen auf die ersten beiden Buchstaben reduziert.
Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten verwendet die Autorin in der Regel die männliche Schreibform. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass jedoch die Inhalte nicht geschlechtsspezifisch sind und daher für Mädchen wie Jungen gelten.
Die soziale Gruppenarbeit als eine der wichtigsten Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit nimmt einen hohen Stellenwert ein, was sich in umfassenden Literatur wiederspiegelt. Durch verschiedene Begrifflichkeiten erfolgt zunächst eine Abgrenzung der allgemeinen Verwendung, um der Thematik gerecht zu werden.
In der Forschung herrscht bezüglich der Begriffsbestimmung „Soziale Gruppe“ Uneinigkeit.
So sind bspw. Individuen „so miteinander verbunden, dass in einem gewissen Grade gemeinsame Funktionen möglich sind, Rollenbeziehung zwischen den Mitgliedern bestehen und Normen existieren, die das Verhalten der Gruppe und ihrer Mitglieder regeln“ (MacDavid/Harari 1968, zit. n. Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 13). Wird diese Definition an einer Gruppe Menschen verglichen, die zusammen in einem Fahrstuhl fährt, so ist diese keine soziale Gruppe. Anders wäre es, wenn der Fahrstuhl stehen bleiben würde. Somit haben diese Menschen die gemeinsame Aufgabe den Fahrstuhl zu verlassen, Rollen und Normen können so entstehen.
Metzinger fügt weitere zentrale Bestimmungselemente ein;
„(1) Zusammengehörigkeitsgefühl: Je nachdem wie häufig eine Gruppe miteinander Kontakt hatte, wird auch ihr Zusammenhalt sein. […]
(2) Dauerhaftigkeit: Eine zeitweilige oder dauerhafte Beständigkeit zeichnet eine Gruppe aus, womit sie sich der flüchtigen Begegnung von Menschen oder einer Masse (z.B. Demonstration, Zuschauer in einem Stadion) unterscheidet.
(3) Interaktion und Kommunikation: […] Mit Interaktion wird dabei das gegenseitige Agieren und Reagieren zwischen Personen bezeichnet, während sich Kommunikation auf die Übermittlung von Informationen zwischen Menschen bezieht.
(4) Gruppenziele: Gemeinsame Gruppenziele und Teilnahmemotivation der Mitglieder tragen ebenfalls zum Zusammenhalt bei […]" (Metzinger, 2010, S. 9 f.).
Neben diesen Kriterien betont auch Metzinger die Bedeutung der Normenbildung und der Rollendifferenzierung, wobei eine Aufgabeneinteilung einhergeht.
Bezogen auf das Beispiel der steckengebliebenen Fahrstuhlfahrer, sind diese nach der Definition eine soziale Gruppe. Die nehmen Kommunikation untereinander auf, um das weitere Vorgehen zu strukturieren. Sie entwickeln unbewusst Normen und Rollen. Das gemeinsame Ziel, den Fahrstuhl zeitnah verlassen zu können, hat Einfluss auf ihr kurzzeitiges Zusammengehörigkeitsgefühl. Ist dieses Ziel erreicht, zerfällt die Gruppe. Die Dauerhaftigkeit steht somit im Zusammenhang mit der Erreichung des Gruppenziels.
Edding und Schattenhofer entgegnen mit einer zeitlichen Untergliederung; „Die Gruppe besteht einer gewissen zeitliche Dauer, angefangen von etwa drei Stunden (der durchschnittlichen Lebensdauer vieler Gruppen aus der experimentellen Psychologie) bis viele Jahre“(Edding und Schattenhofer 2015, S. 10). Demnach müssten die Fahrstuhlfahrer mindestens drei Stunden stecken bleiben und an einer Lösung arbeiten, bevor diese als eine soziale Gruppe zu bezeichnen ist.
Desweitern ist es möglich eine Gruppe nach den Umständen der Zusammenkunft und nach den Rahmenbedingungen zu differenzieren. Das Entscheidungsmerkmal ist hierbei ihre Grundmotivation. Ist die Bereitschaft, sich einer bestimmten Gruppe anzugliedern hoch, so ist von einer Wahlgruppe zu sprechen. Dabei handelt es sich um „Interessenten […], die sich freiwillig – also ausschließlich auf Grundlage subjektiver Entscheidungskriterien – zur Teilnahme entscheiden“ (Schmidt-Grunert, Soziale Arbeit mit Gruppen, 2009, S. 89). Bei einer Funktionsgruppe dagegen bleibt die Freiwilligkeit aus. Diese Gruppen bestehen aufgrund von Vorschriften, Gesetze und anerkannten Regeln (Schwendtke 1977, S. 123 zit. n. Schmidt-Grunert, 2009, S. 89).
Eine weitere Unterscheidung, die eng mit der Motivation der Teilnehmer in Verbindung steht, ist die Frage nach der Formalität. So ist eine formal gebildete Gruppe fest organisiert, zweckmäßig aufgebaut und untersteht einer Leitungsebene. Ein Beispiel dazu ist eine Schulklasse. Eine informelle Gruppe bildet sich hingegen spontan und verfügen über kein gemeinsames Ziel (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 14). Freundschaftsgruppen sind bspw. informell, da sie keine Rahmenbedingungen haben und kein direktes Ziel verfolgen.
Die genannten Bestimmungselemente haben dabei einen erheblichen Einfluss auf die Gruppendynamik.
Die Verwendung des Begriffs „Gruppendynamik“ ist im Alltag oft diffus und wird teilweise trivialisiert. Die erste Publikation, die von einer Gruppendynamik sprach stammte 1939 von Kurt Lewin. Darin beschrieb er eine wissenschaftliche Erforschung des Verhaltens und der Verhaltensänderungen in Gruppen (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 15).
Die heutzutage gängige Bedeutung beinhaltet zwei Ebenen; die der Methode und die der wissenschaftlichen Disziplin.
Die Dimension der Methode beschreibt eine Vorgehensweise zur Veränderung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese wird in Gruppentherapien angewendet, wie z. B. in Selbsthilfegruppen. Eine spezielle Form stellen hierbei T-Gruppen2 dar, dessen ursprüngliche Idee aus der USA stammt (König & Schattenhofer, Einführung in die Gruppendynamik, 2016, S. 13).
Dabei werden verschiedene Techniken zur Verdeutlichung und Beeinflussung des Gruppengeschehens genutzt. Diese sind bspw. Rollenspiele, Soziogramme oder Kommunikationsübungen. Oft entstehen Methoden in der Praxis ad-hoc von Gruppenleitern statt, dessen Grundgedanken in die Erkenntnisse der Kleingruppenforschung eingehen können. Diese Übertragung ist als „Soziales Lernen“, also als Lernen von sozialen Interaktionen zu bezeichnen. Die Gruppendynamik, wie sie oft im Alltag angewendet wird, wird oft mit dieser Dimension gleichgesetzt (vgl. ebd.).
Die Dimension der wissenschaftlichen Disziplin der Gruppendynamik ist ein Teilgebiet der Sozialpsychologie. Dabei bildet die „Forschung der wechselseitigen Beziehungen und Einflüsse in Gruppen [den Inhalt dieser Disziplin, sowie auch] die Frage nach den spezifischen Mustern, die in Gruppen wirken“ (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 15).
Es handelt sich also um Beobachtung aller ablaufenden Prozesse in einer Gruppe, wobei diese sozialwissenschaftliche Rückschlüsse bieten (Rechtien, 2007, S. 5 f.). Die Prozesse werden als Kräfte der Veränderung gesehen. Die Veränderungen können im Zuge der Gruppenbildung oder Rollenentwicklung entstehen. Dabei können sich diese in der Gruppe unterschiedlich darstellen, da bspw. „Individuen einander näher durch Kommunikation kommen, durch Angleichung von Haltung und Meinungen oder [da] Gruppen sich ihren Zielen näheren, soziale Hindernisse beseitigt werden oder dergleichen“ (Lewin, 1936, S. 46 zit. n. Rechtien, 2007, S. 5). Welche Interaktionen innerhalb einer Gruppe ablaufen, steht im Zusammenhang mit der Gruppenentwicklung. Diese wird anschließend genauer beleuchtet.
Damit sich eine Gruppe entwickeln kann, muss sie folgende Voraussetzungen erfüllen;
- Die potenziellen Gruppenmitglieder haben Möglichkeit in Beziehung zu treten bzw. Kommunikation aufzubauen.
- Dabei vertreten sie gemeinsame Ziele, haben ähnliche Motive und Interessen.
- Es besteht eine gewisse Sympathie und Identifikationsmöglichkeit zu anderen Gruppenmitgliedern (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 9).
Jede Gruppe zeigt eine dynamische Entwicklung, welche Gesetzmäßigkeiten und Phasen untersteht. Jedoch kann der Vorgang „individuell“ unterschiedlich schnell ablaufen. Das ist davon abhängig, welche Entwicklungsaufgaben in der Phasen im Vordergrund stehen und wie die Gruppe damit umgeht. Das Phasenmodell dient dem Gruppenleiter, um den aktuellen Stand zu zeigen und Problembereiche „seiner“ Gruppe zu analysieren (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 12).
Tuckmanns Modell von 1945 sieht vier Phasen in folgende Aufstellung vor; Forming, Stromings, Norming und Performing (Stahl, 2012, S. 68). Das erweiterte Tuckman-Modell sieht zudem noch die Phase des Abschieds und damit des Reformings vor.
Neben Tuckman haben auch weitere sozialpsychologische Kleingruppenforschung, wie z.B. James A. Garland, Hubert E. Jones, Ralph L. Kolodny 1969 ähnliche Modelle entworfen (Schmidt-Grunert, Soziale Arbeit mit Gruppen, 2009, S. 173).
In den folgenden Ausführungen wird jede einzelne Phase genauer erklärt.
Die erste Phase Forming dominiert vor allem durch die Intensionen der Orientierung und Exploration. Bei den potentiellen Mitgliedern herrscht Unsicherheit und Angst, vor dem was bevorsteht. Die Mitglieder versuchen sich allmählich kennenzulernen. Obwohl Kontakte zu Beginn sympathisch wirken, sind die Interkationen eher distanziert. „Konventionsstruktur: Die geltenden Regeln stehen im Dienste der Vorsicht und sind im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners vor allem von vermeintlichen «Benimmregeln» geprägt“ (Stahl, 2012, S. 70). Ziel eines jeden Gruppenmitgliedes ist es, einen Überblick über die Gruppe zu gewinnen. Das Verhalten erstreckt sich ebenso über die Rahmenbedingungen, wie auch über den Gruppenleiter hinaus. „Dabei erhofft man sich Hilfe vom Gruppenleiter, der in seinen Verhalten aber ebenfalls getestet wird. Unverbindliches Verhalten und Ich-Denken dominier[en dabei]“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 12). Die Dimensionen Zugehörigkeit, Macht und Intimität3 treten in den Vordergrund. Die Aufgabe des Gruppenleiters ist es nun eine möglichst lockere und ungefährliche Atmosphäre herzustellen und die Rahmenbedingung zu verdeutlichen. Oftmals werden durch den Gruppenleiter (sachliche) Aufgaben in Kleingruppen aufteilt, um so den unter den Gruppenmitgliedern Erkundungsprozesse fördern.
Die zweite Phase Storming setzt sich mit der Rollenklärung auseinander und zeigt eine Auseinandersetzung aufgrund des Machtkampfes. Dabei ist die Beziehung zwischen den Einzelnen noch nicht stabil. Das Ich-Denken und die Selbstbehauptung dominieren noch. Entwicklungsaufgabe dieser Phase ist es einen Platz im Beziehungsgefüge der Gruppe finden sowie eine für sich vorgesehene Einordnung in der Rangordnung erkämpfen. Dieses Verhalten findet Parallelen zu sozial lebenden Tieren, wie z. B. die Hackordnung auf dem Hühnerhof (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 12).
Unter den Mitgliedern besteht ein Konkurrenzverhalten, wobei viele Diskussionen bei wenigen Entscheidungen stattfinden. Anstelle einer Integration geschieht eher eine Differenzierung. Unter anderen existieren unterschiedliche Zielvorstellungen in der Gruppe, diese „prallen mehr oder minder hart aufeinander“ (Stahl, 2012, S. 70).
Die Kritik untereinander wird verdeckt, wobei sie gegenüber der Leitung offen formuliert wird. Der Gruppenleiter hat nun die Aufgaben den Teilnehmern die Möglichkeiten zu bieten, ihre Stärken und Fähigkeiten zu zeigen. Obwohl auch die Leitung in die Konflikte mit einbezogen wird, muss er die Kontrolle über sich bewahren, da sonst seine Rolle bestreitbar wäre. Zudem ist es auch möglich, dass der Gruppenleiter oft als Sündenbock dargestellt wird oder als «Blitzableiter der Gefühle» fungieren muss. Dieses Verhalten der Gruppenmitglieder muss die Leitung aufhalten und zwischen den Mitgliedern vermitteln (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 12).
Norming ist die dritte Phase der Gruppenentwicklung und schafft Bindung und Vertrauen.
Die Gruppenmitglieder ziehen nun ein Fazit aus den Auseinandersetzungen. Es besteht nun die Frage: „Auf was können wir uns jetzt einigen, wo klar ist, wer was mit wem unter welchen Bedingungen erreichen will?“. Die Zielvereinbarung wird dabei angesichts bestehender Differenzen hergestellt (Stahl, 2012, S. 71). Neben der starken Identifikation mit den erkämpften Rollen und des gemeinsamen Gruppenziels bilden die Gruppenmitglieder ein klares „Wir-Gefühls“ aus. Damit baut sich Sicherheit auf, womit die Mitglieder bereit sind, sich emotional zu öffnen. In der Gruppe entsteht ein gemeinsamer Bezugsrahmen, welcher sich unter anderem mit dem gruppenspezifischen Verhaltensnormen4 auseinandersetzt. Dieser Rahmen wird individuell erlebt, wobei er dennoch gruppenspezifisch geprägt wird.
In dieser Phase wird der Zusammenhalt gefördert, der Pol Integration dominiert.
Die Aufgabe des Gruppenleiters besteht darin, die ablaufenden Prozesse transparent darzustellen. Er sollte Konflikte im Ansatz erkennen, dennoch erst in Intervention gehen, wenn die Auseinandersetzung problematische Entwicklung nimmt. Intervention bietet die Leitung, indem sie dennoch entwicklungsrelevante Unterstützung bietet. So können Aufgaben nach Tendenz verteilt und die Verantwortung schrittweise delegiert werden, um die Selbstständigkeit der Gruppenmitglieder zu fördern (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 12 f.).
In der vierten Phase Perfoming dominieren Differenzierung und Festigung.
Die höchste Stabilität ist innerhalb der Grupp erreicht, so werden bspw. Traditionen entwickelt. Erst ab dieser Phase ist die Gruppe bereit neue Mitglieder aufzunehmen. Diese Phase wird auch die „goldene Phase“ genannt, da sich die Gruppenabläufe routiniert haben und somit die Arbeitsleistung voll etabliert ist. Es werden nun alle Kräfte mobilisiert, um das Gruppenziel zu erreichen. Es ist nun Zeit des „Sich-Einbringens“, „Sich-Engagierens“ und des „Sich-Profilierens“ (Stahl, 2012, S. 71).
Eine Entwicklungsaufgabe ist es einen Autostereotyp (Gruppenselbstbild) und einen Heterostereotyp (die anderen) herauszubilden, wobei der Autostereotyp positiv hervorgehoben wird (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 14).
Das Gruppenkonzept, welches im Prozess Norming entwickelt wurde, zeigt nun im Gruppenalltag seine Wirksamkeit. „Der Gruppenvertrag wird nun dem Wirklichkeitstest unterworfen und muss sich bewähren“ (Stahl, 2012, S. 71). Tut er das nicht, muss die Gruppe sich an dieser Stelle neu entwickeln. Hat sich das Gruppenkonzept bewährt, hat sich auch das Rollensystem in der Gruppe gut etabliert. Zwei Dimensionen zeigen den Erfolgt. Zum einen ist das gemeinsame Gruppenziel erreicht, wobei vor allem leistungs- und aufgabenorientierte Positionen5 beigetragen haben. Zum anderen ist zu erkennen, dass die Gruppe nun verstärkt an Beziehungen und emotionalen Bedürfnissen orientiert ist. Gruppenprozessorientierte Positionen sind dafür verantwortlich6. Neben der Arbeitsaufteilung ist in dieser Phasen auch die Hierarchie noch erkennbar7 ; „Der erfolgsorientierte Teilnehmer ist nur in seltenen Fällen auch der beliebteste“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 14). Anstelle einer Intervention, hat der Gruppenleiter lediglich die Aufgabe der Moderation. Ansonsten soll dieser sich eher Zurückziehen.
Die fünfte Phase setzt sich mit dem Abschied und der Neuorientierung auseinander.
Dabei ist nun das Gruppenziel erreicht. Der offene Umgang mit der Auflösung findet mit weniger oder starker Beteiligung statt. Häufig werden neue, gemeinsame Ziele gefunden, dabei wird die Gruppe reformed und besteht in verkleinerter Form weiter. Oftmals kommen in diesem Fall ähnliche Gefühle, verglichen an der Forming-Phase auf. Es besteht Unsicherheit; „Gelten alte Regeln noch?“ (Stahl, 2012, S. 71).
Die Abschiedsphase hat oft eine Bilanzstruktur, in der das Vergangene bewertet, auf das Bestehende reagiert und das Anstehende eingeschätzt wird (Stahl, 2012, S. 72).
Die Aufgaben des Gruppenleiters besteht nun darin die Mitglieder in der neue Situation betreuen bzw. Möglichkeit der Umstrukturierung des Gruppenziels aufzuzeigen. Darüber hinaus sollte die Leitung einen angemessenen Abschluss veranlassen, wie auch Hilfestellung in der Zielauswertung sein (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 14 f.).
Dieser Ablauf in den fünf Stufen ist idealtypisch. Im Gruppenalltag endet oftmals die Existenz vieler Gruppen nach der zweiten Phasen, da die Auseinandersetzungen nicht mehr tragbar aufgefangen werden können. Es kommt ebenso im Alltag vor, dass einige Phasen von Gruppen wiederholt werden, um ihren Entwicklungsaufgaben zu entsprechen.
Die Elemente Normen und Rollen nehmen in Gruppen eine bedeutende Rolle ein. Sie formen das Handeln, sowie das Zusammenleben in einer Gruppe und entscheidet somit, ob ein Mitglied in der Gruppe zufrieden ist. Sieht dieser weiteren Handlungsbedarf, werden alle anderen Gruppenteilnehmer in die Veränderung mit einbezogen.
Der Begriff der Normenbildung ist in verschiedenen Wissenschaften auf unterschiedlicher Weise geprägt. In einer Definition für soziale Normen innerhalb Gruppen wird betont; „Normen bezeichnen die Verhaltenserwartungen, die für alle Mitglieder einer Gruppe gleichermaßen Geltung beanspruchen und damit auf das Gemeinsame und die Gleichheit der Gruppenmitglieder abzielen“ (König & Schattenhofer, 2016, S. 43). Die Norm formuliert somit einen Standard, die alter an ego stellt. Dieser Standard ist die Grundlage für das Zusammenleben und bietet Orientierung für die Gruppenmitglieder, somit werden Unsicherheiten und Ängste reguliert (Rechtien, 2007, S. 60).
Es ist Aufgabe der Gruppenleitung bzw. des Trainers frühzeitig Grundnormen für die Entwicklung der Gruppenprozesse zu schaffen bzw. zu erkennen. „Solche Normen sind z. B. Gefühle sollen ausgedrückt werden, Aggressionen sollen gezeigt werden, Gegenstände der Gruppenarbeit sollen im Hier und Jetzt8 entstammen, Feedback soll bestimmten Regeln entsprechen“ (Rechtien, 2007, S. 60). Damit die entstandenen und von der Gruppe akzeptierten Normen im Alltag umgesetzt werden, sind diese durch Sanktionen gesichert und verstärkt. Diese könnten bspw. ein kurzzeitiger Gruppenausschluss oder eine Rollenneubesetzung bedeuten. Somit erfolgt unter den Gruppenmitgliedern ein «gewisser Anpassungsmechanismus»“ (Metzinger, 2010, S. 44). Hat die Gruppe diese Normen verinnerlicht, kann die Gruppe anschließend sich überlassen werden. Wie in den Entwicklungsphasen beschrieben, beobachtet die Leitung lediglich die Interaktionsprozesse und das Gruppengeschehen (Rechtien, 2007, S. 60).
Die Normen können unterschiedlich nach Interaktionen und deren Absichten klassifiziert werden. Die Einheiten Beziehungsnormen, Kommunikationsnormen, Bedürfnisnormen sowie Sanktionsnormen decken die Interaktionen im Gruppenalltag vollständig ab und geben damit für jede Situationen einen entsprechenden Verhaltenskodex (Kirsten & Müller-Schwarz, 1994, S. 85).
Dabei haben Normen unterschiedliche Reichweite und damit auch eine unterschiedliche Wirkung auf die Gruppenmitglieder. So werden Normen z. B. kulturell, altersspezifisch oder geschlechtsspezifisch differenziert. Dabei können Konflikte zwischen widersprechenden Normen entstehen. Welche Verhaltensvorschrift umgesetzt wird, ist von der Werthaltung an unterschiedlichen Bezugsgruppen orientiert. Somit haben Jgdl. möglicherweise den Konflikt bzgl. der religiösen Norm vor der Ehe sexuell enthaltsam zu leben. Dagegen spricht die kulturelle, wie auch altersspezifische Norm in der Jugend sexuelle Erfahrungen zu sammeln und somit einer gesunden Entwicklung zu unterstützen. Der Jgdl. entscheidet nun, welche Bezugsgruppe für ihn wichtiger ist und richtet sich danach aus.
Inwiefern eine Norm umgesetzt werden ist vom Geltungsbereich von Macht und Einfluss des Repräsentanten abhängig (König & Schattenhofer, 2016, S. 45). Das kann unterschiedliche Konsequenzen haben. Ein positiver Aspekt ist es, dass somit das Wir-Gefühl einer Gruppe gestärkt ist. Es gibt dennoch auch gewichtige Nachteile, „In funktionierenden Gruppen besteht ein starken Konformitätsdruck auf den Meinungen der Gruppenmitglieder, er kann verhindern, dass die sich richtige Ideen durchsetzen (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 59).
Die Umsetzung einer Norm ist auch davon abhängig, ob sie nach außen offen oder verdeckt getragen wird. So sind explizite Vereinbarungen bspw. in der Jugendwohngruppe, dass alle Konflikte offen ausgesprochen werden oder dass jeder seine Meinung offen sagt. Dagegen stehen die impliziten Normen, sich z. B. an den Gruppenführer zu halten oder die Emotionen nur gezielt einzusetzen. Dieser Kodex ist verdeckt, wird aber meistens eher angewendet. Auslöser dazu sind individuelle Beweggründe für das Anpassungsverhalten, wobei auch oft gruppentypische Motive, wie Wahrung des individuellen Spielraums oder der Interessenlagen genannt werden. Somit ist das oberstes Ziel nach außen Harmonie auszustrahlen, um eine gegenseitige Ruhe wahren (König & Schattenhofer, 2016, S. 46). Daher ist als Gruppenleiter zu prüfen, welche Normen in der Gruppe Bestand haben und aus welcher Motivation heraus Normen geschaffen werden.
Eine Rolle ist ein „Satz von Erwartungen (von irgendjemandem) bezüglich des Inhabers einer Position“ (Sader M. , 1969, S. 209). Ähnlich, wie bei den Normen, soll ein Mensch diese Rolle erfüllen, um somit ein absehbares Verhalten zu zeigen. Das hat auf die Umwelt eine beruhigende Wirkung.
In den Sozialwissenschaften wird in diesem Bezug oft von der Theatermetapher gesprochen, wobei ein Mensch auf der gesellschaftlichen Bühne unter der Sicht von Mitspielern und Zuschauer eine Rolle mit passenden Charaktereigenschaften spielt (Goffman & Dahrendorf, 2003, S. 23 f.). Der Anspruch an sich, eine Rolle zu sein, entsteht aus den Erwartungen, die die Mitspieler bzw. das Publikum entgegenbringen.
Jedoch erfüllt eine Rolle keine komplette Person, sondern nur eine bestimmte Facette. So wird bspw. eine Person in der Rolle im Beruf oder im Privatbereich differenziert (König & Schattenhofer, 2016, S. 47). Jeder Mensch verteilt Zeit auf den diversen Positionen. Dieses Positionsgefüge mit all den latenten Erwartungshaltungen zu verwalten, wird als Rollenhaushalt definiert.
Dabei sind Rollenkonflikte möglich. Hat die Umwelt „an den Inhaber einer Position unterschiedliche Erwartungen“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 20) ist von einem Intrarollenkonflikt zu sprechen. So wird z. B. von einem Lehrer erwartet, dass dieser autoritär handelt. Ist jedoch ein Lehrer aus diversen Gründen seinen Schülern unterlegen, kommt es zu einem Rollenkonflikt.
Dagegen ist auch ein Interrollenkonflikt möglich „[wobei] ein Mensch verschiedene Positionen besetzt, deren Rollenerwartungen widersprüchlich sind“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 20). Ein typisches Beispiel ist der Konflikt einer „Rabenmutter“, die anstelle der Kinderbetreuung wieder ihren Job aufnimmt und stattdessen ganztätig die Mutterrolle zu übernehmen.
In der sozialpsychologischen-gruppendynamischen Betrachtungsweise gibt es in jeder Gruppe bestimmte Aufgaben und damit verbunden eine personelle Zusammensetzung. Somit bildet sich ein „entsprechendes Set von Rollenmustern“ (König & Schattenhofer, 2016, S. 49), das nur teilweise vom Rollenträger bestimmt wird. Erst wenn eine Gruppe ein bestimmtes Rollenrepertoire vorweist, ist diese arbeitsfähig. Wie würde sich ansonsten eine Gruppe verhalten, wenn niemand die Führung übernimmt, Entscheidungen trifft oder keiner, der Gefolgschaft leitet? Es ist daher ein Mindestmaß an Ausdifferenzierung an ergänzenden, komplementären Verhaltensweisen notwendig (König & Schattenhofer, 2016, S. 49).
Die Rollenbilder sind auf die anderen Gruppenmitglieder bezogen. Selbst in einer Fortbildungsgruppe von Führungskräfte werden folgende Differenzierung getroffen; der beschützende Harmoniestrebende, abwägende Beobachter, offene Gute-Laune-Macher und der selbstbewusste Führende (König & Schattenhofer, 2016, S. 50).
Rollen können außerdem situationsspezifisch verteilt werden und lassen Handlungen für andere Gruppenmitglieder offen. Innerhalb der Gruppenentwicklung zeigt sich, welches Gruppenmitglied diese Rolle besetzen und damit die Aufgaben bzw. Erwartungen erfüllen wird. Das ist auch der Fall, wenn ein wechselseitig bedingender Prozess der Rollenzuweisung eintritt. Zwei Gruppenmitglieder konkurrieren so bspw. um eine Rolle, trauen sich aber nicht diese zu besetzen und lassen damit den Handlungsraum frei (König & Schattenhofer, 2016, S. 49 f.).
Bei den persönlichkeitspsychologischen Typologien werden die gruppendynamischen Rollen auf der Basis von Charakterrollen vergeben. Die Gruppenmitglieder bringen Charakter und Identität in die Gruppe und suchen sich demnach ihren Platz und Rolle innerhalb der Gruppe. „Gruppendynamische Rollen sind Rollen, die durch ihren Einfluss auf das sachliche und zwischenmenschliche Gruppengeschehen, ihre gruppendynamische Macht, beschrieben werden: Führer, Mitläufer, Sündenbock, graue Eminenz usw.“ (Stahl, 2012, S. 301). Die Wirkung der Charakterrolle steht im Zusammenhang der in der Gruppe anstehenden Themen. Nach den Interaktionen der Gruppenmitglieder werden sie in die Charakterrolle neu einteilt. Dabei bilden sich Gegenpole, so steht z.B. erfolgsorientierte Streber dem harmoniestrebenden Gruppenführer gegenüber (Stahl, 2012, S. 302).
Das rangdynamische Modell wurde 1971 von Raoul Schindler erstellt. „Dieses besagt, dass in Gruppen ab drei Personen immer drei bis vier unterschiedliche Positionen besetzt sind. In diesen Positionen geht es um Macht, Einfluss und Führung innerhalb der Gruppe. Dieses Phänomen der Positionsaufteilung erfolgt in jeder Gruppe und ohne, dass es den Gruppenmitgliedern bewusst ist“ (Franca, 2017). Es ist ein Erklärungsmodell zur Entstehung typischer Gruppenkonflikte.
Die Gruppe wird als System mit Alpha, Beta, Gamma und Omega verstanden, die in Kontakt zum Gegenüber G steht. In den folgenden Ausführungen werden die Positionen genauer erläutert.
„ G “ steht für das Gegenüberstehen der Gruppe oder auch für den Gegner. Das kann möglicherweise eine Person, eine andere Gruppe oder einen Auftrag im äußeren Umfeld sein. G setzte sich mit dem Gruppenziel auseinander und teilweise mit der Identität einzelner Gruppenmitglieder. Zudem ist G außerhalb der Gruppe angesiedelt, die Gruppe selbst grenzt sich zudem von ihm ab. Diese Abwehr stärkt das Wir-Gefühl der Gruppe. Die Beziehung zwischen G und der Gruppe ist weder feindlich, noch freundlich, aber dennoch sehr intensiv.
„ Alpha “ stellt den Kristallisationskern der Gruppe dar. Dabei besteht die Erwartung, dass sich Alpha erfolgreich mit G auseinander setzt und den Bedarf der Gruppe zu ihm vermittelt. Diese Position übernimmt die Führung der Gruppe und verspricht dabei Erfolg die Gruppenziele zu erreichen. Alpha steht für die Identität und Kontinuität der Gruppe. Diese Position muss dafür sorgen, dass die Gruppenentwicklung nicht erstarrt.
„ Gamma “ identifiziert sich mit Alpha und folgt ihr, solange der Erfolg für diese Position anhält.
„ Omega“ zeigt die maximale Distanz zu Alpha auf. Zwar ist diese Position ein Teil der Gruppe, identifiziert sich dennoch mit G. Damit ist Omega am weitesten vom Mitgliedspotenzial entfernt. Er verunsichert die Gruppe, da es das Abzuwehrende repräsentiert. Das regt Veränderung an und stellt den momentanen Zustand infrage. Durch diese opponierende Wirkung zieht Omega Aggressionen auf sich, was einen Ausschluss provoziert.
Eine weitere Position ist „ Beta “, welche eine beratende und fachlich unterstützende Rolle übernimmt. Trotz dieser Kritiken, erkennt er die Position von Alpha fachlich an. Beta hat als einziger in der Gruppe keinen direkten Konflikt mit Alpha und Omega und bildet damit eine unabhängige Position (König & Schattenhofer, 2016, S. 52 f.).
Die Positionen werden nicht dauerhaft besetzt, sondern werden situationsspezifisch eingenommen, wenn z.B. Probleme in der Gruppe langfristig nicht gelöst werden. Da somit das Modell nicht statisch ist, spricht Schindler daher von Rangdynamik (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 230). Das Modell zeigt eine gruppendynamische Interpretation der Aktionen von Einzelnen auf dem Hintergrund, wie seine Interaktionen auf die Gruppe wirkt. „Es gibt keine inhaltlichen Voraussetzungen für diese Theorie. Das Rangdynamik-Modell eignet sich sehr gut zur Ergänzung der Teamphasen nach Tuckman“ (Stadler & Brandl, 2017). Das Modell ist inhaltsneutral, wobei sich die Gruppendynamiken in unterschiedlichen Gruppenkontexten herausbilden (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 230).
Das Gruppenziel zu erreichen ist zum einen eine Sachfrage, aber zugleich auch eine Frage nach den Bedingungen, mit dem sie das Ziel erreichen wollen. Dieses Bedingungsgefüge steht in einer Wechselwirkung zwischen der Sachebene und der psychosozialer Dynamik. Jede Gruppe hat grundlegende Konflikte und Spannungen, dennoch müssen die sachlichen Bedingungen abgedeckt werden. So müssen z. B. in einer Jugendwohngruppe täglich Reinigungsdienste unter den Jgdl. aufgeteilt werden, unabhängig davon, ob sie im Moment im Streit stehen. Innerhalb dieser Konflikte handelt es sich oftmals um die Themen;
- Zugehörigkeit, also dem Bedürfnis, mit jemanden zusammen zu sein oder von jemanden getrennt sein,
- Macht - im eigenen Lebensraum etwas mitbestimmen können und
- Intimität und damit die Differenzierung der relevanten Beziehungen nach dem jeweiligen Grad der Nähe und Distanz (Amann 2003 zit. nach König & Schattenhofer, 2016, S. 35).
Diese drei Pole sind elementare Aufgaben, die das emotionale Leben von Gruppen prägt (Edding & Schattenhofer, 2015, S. 437). Das Modell benutzt keine Phasenabfolge, sondern einen dreidimensionalen Raum. Somit sind die Themen dynamisch verbunden, womit die drei Dimensionen aufeinander verweisen und untereinander involviert sind (König & Schattenhofer, 2016, S. 35).
Jedes Thema kann sich je nach Ausprägung, in den Vordergrund schieben. „Wird zum Beispiel in der Gruppe offensichtlich die Frage der Macht behandelt, so werden gleichzeitig Zugehörigkeit und Nähebedürfnis gestaltet“ (Edding & Schattenhofer, 2015, S. 438). Es gibt also eine statische Ordnung im Gruppenbild, sondern eher eine ständige Entwicklung.
Die Dimension verdeutlicht räumlich, wer in der Gruppe „drin“ und „draußen“ ist. Es wird also definiert, wer dazu gehört und welches Gruppenmitglied nicht. Gruppen tendieren dazu sich zu anderen Individuen und Gruppen abzugrenzen. Ist diese Grenze allerdings zu strikt, dass kein Austausch mehr mit der Umwelt möglich ist, besteht die Gefahr, dass das Entwicklungspotenzial eingeschränkt wird (König & Schattenhofer, 2016, S. 35)
Wer zur Gruppe dazu gehört, wird während des Entstehungsprozess im informellen Gefüge beschlossen. Es finden Ein- und Ausschlussprozesse statt, ohne sie klar zu benennen, teilweise verläuft diese Entwicklung auch unterbewusst. „Die emotionale Spannung, die wir gerade bei Gruppenanfängern spüren, […] verweist uns auf die Chancen und Risiken, die jedem Anfang innewohnen, auf das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und auf die Angst vor Ausschluss“ (König & Schattenhofer, 2016, S. 36). Im Findungsprozess sind viele Menschen sehr offen und tolerant gegenüber anderen Gruppenmitgliedern. Dabei werden individuelle Merkmale mit dem Ziel des Kontaktaufbaus verändert. Erst nach einiger Zeit werden die Persönlichkeiten in der Gruppe bewusst und zur Erreichung des Gruppenziels genutzt. Somit muss das einzelne Mitglied sich nicht mehr profilieren und kann sich in der Gruppe entfalten. Um dennoch die Harmonie in der Gruppe zu wahren, ist es wichtig die „Wir-Ich-Balance“ (Edding & Schattenhofer, 2015, S. 439) zu wahren. Die Zuordnung in der Dimension ist davon abhängig, inwiefern diese Balance in der Gruppe vereinbar ist.
Die „Macht ist ein Beziehungsgeschehen und stellt sich erst dann her, wenn Macht zum einen zugeschrieben und zum anderen diese Zuschreibung auch realisiert wird (Edding & Schattenhofer, 2015, S. 439). Nach der gruppendynamischen Sichtweise ist die Macht daher ein Merkmal von sozialen Beziehungen. „Dabei kann die Macht einer Person noch so groß sein, sie ist eingebunden in ein Netz sozialer Beziehungen, in denen sie entsteht“ (König & Schattenhofer, 2016, S. 37). Die Macht ist also relativ und abhängig vom jeweiligen Umfeld. Dabei ist es ein funktionales Mittel, denn es hat Einfluss die Interessen des Gruppenmitglieds durchsetzen zu können (Edding & Schattenhofer, 2015, S. 439). Seine Machteinwirkung auf andere Gruppenmitglieder ist vom Einfluss abhängig, wie angesehen eine Person ist und welchen Status diese in der Gruppe trägt. „Sie sind umso höher, je mehr es zu ihrem Gestus gehört und je wichtiger es für sie ist, sich mit Steuerung und bestehenden Machtunterschieden auseinander zusetzen“ (Antons, Amann, Clausen, König, & Schattenhofer, 2004, S. 309).
Die Machtverteilung läuft über zwei Lösungswege, über eine Hierarchie oder über Normen.
Einen hierarchischen Aufbau ist bspw. im Berufsalltag zu erleben. Durch die formale Hierarchie von Arbeitsgebern und Arbeitsnehmern werden verfügbare Führungsaufgaben übertragen, womit die Macht und der Einfluss wachsen. Zudem besteht auch hier eine informelle Hierarchie unter z. B. Kollegen. Dabei ist fraglich, wie durchsetzungsfähig ein Kollege auf derselben Hierarchiestufe ist. Davon abhängig ist die Erreichung des Gruppenziels, welches durch solche Dynamiken möglicherweise gefährdet ist (König & Schattenhofer, 2016, S. 37).
Eine andere Art Macht und Einfluss zu erreichen, sind Normen. Diese sind zum Teil formal vorgegeben. So hat z. B. jeder Jgdl. einer Wohngruppe im Verhältnis das Recht auf die Ressourcen Nahrungsmittel oder Gelder. Die Norm, die das definiert, ist die Gleichberechtigung. Die Gruppendynamik betrachtet dabei die Interaktionen auf der Hinterbühne, da dort Macht- und Einflussmöglichkeiten nach dem eigenen Regelwerk bestimmt werden (König & Schattenhofer, 2016, S. 38).
Die Ausgestaltung der Dimension Intimität ist von Sympathie und Antipathie gegenüber einem Gruppenmitglied abhängig. Die daraus ergebenen Prozesse zeigen sich in Annährung bzw. Abstoßung zu dieser Person (König & Schattenhofer, 2016, S. 38).
Intimität ist eng mit den Dimensionen Zugehörigkeit und Macht verbunden. Eine Rangordnung begründet sich z. B. aus der Attraktivität einer Person. Andere Gruppenmitglieder, die abstoßend wirken, befinden sich oft am Rand des gruppendynamischen Raums.
Eine weitere Beeinflussung dieser Dimension stellt auch der Nähewunsch dar. Somit entsteht bei zwei Personen, die um die Nähe eines Gruppenmitglieds werben Konkurrenz (König & Schattenhofer, 2016, S. 39). Dabei handelt es sich um einen stillen Wettbewerb, welche Eigenschaft in einer Gruppe attraktiv wirkt. Die attraktivsten Personen bildet dabei das Machtzentrum. „Aufgrund der Nähe einzelner Gruppenmitglieder kann es so auch zur Untergruppierung innerhalb einer Gruppe kommen, was umso wahrscheinlicher wird je grösser die Gruppe ist“ (Katrynski, 2017). Gerade Untergruppierungen durch eine Freundschafts- und Liebesbeziehung bieten, vor allem im Arbeitskontext, besondere Sprengkraft, da diese in der Gruppe eine Exklusivität aufbaut. Die spezifische Nähe-Distanz-Regulierung, welche in einer Gruppe vorherrschen sollte, steht somit in Konflikt mit der Logik einer Paarbeziehung. Diese problematische Dynamik steigert sich, wenn diese Beziehung quer zur Hierarchie und diese sogar im Geheimen stattfindet. Es wirft Fragen der Gleichbehandlung und der Gleichberechtigung in der Gruppe auf (König & Schattenhofer, 2016, S. 39 f.).
Die Ausprägung dieser Dimension gibt Aufschluss über Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern. „Eine Gruppe hat eine niedrige Ausprägung auf dieser Achse, wenn die „Angst vor Nähe“ überwiegt, Beziehungen eher distanziert, Kühl, sachbezogen und funktionalisierend gehandhabt […] werden“ (Antons, Amann, Clausen, König, & Schattenhofer, 2004, S. 309). Die Dimension verbirgt eine höchst individuelle Ebene, da Intimität oft in Zusammenhang mit Ängsten stehen. „Überwiegt die Suche nach Autonomie und die Angst, sich zu verstricken und sich in einer Beziehung zu verlieren?“ Einige Gruppenmitglieder können auf diese Fragen nur sehr emotional und vertraulich antworten (König & Schattenhofer, 2016, S. 39). Diese Dimension wirkt zudem als „Katalysator [der] Geschlechterdifferenz und vor allem durch die steigende Diffusität und Intimisierung der Gruppenkommunikation“ (Dr. Amann, 2017). Gerade in Kinder- und Jugendgruppe hat diese Thematik einen zunehmenden Stellenwert.
Die Gruppendynamik, also die Wirkung der unterschiedlichen Gruppenmitglieder zueinander, haben verschiedene Auswirkungen. Dabei fallen Leistungsvorteile, aber auch Gefahren im Gruppenalltag an. In den folgenden Ausführungen wird zudem das synergetische System der Kooperation und des Konflikts beschrieben sowie Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt.
„Wenn es die Gruppe nicht geben würde, dann müssten wir sie erfinden, da in ihr Ergebnisse erzielt werden können, die der individuellen Leistung der einzelnen Gruppenmitglieder überlegen sind“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 54). In der Gruppenarbeit ist es möglich, Ideen vieler Gruppenmitglieder zu sammeln und damit ein effektives Ergebnis zu erarbeiten.
Der Erfolg ist vor allem von Führung abhängig, da sie Handlungsweisen vorgeben und Ziele sowie Aufgaben koordinieren. Auf sie wirkt auch die organisatorische Ebene, welche Ressourcen und Struktur vorgeben. Der gesellschaftliche Sektor umrahmt das System, da es Ziele und die funktionierende Logik als Rahmenbedingungen absteckt9 (Kuhn, 2017). So wird z. B. eine Schulklasse von dem Klassenlehrer geführt, welcher Lernziele und Aufgaben an die Schüler vergibt. Der Lehrer richtet sich dabei an die Schule und deren verfügbaren Ressourcen und der strukturellen Möglichkeiten. Die Schule wiederrum richtet nach den gesellschaftlichen Standards, wie die Anwendung der Grundgesetze. Demnach, wie die Führung der Gruppe mit diesem Rahmen umgeht, ist ein Leistungserfolg sichergestellt.
Ein weiterer Leistungsvorteil einer Gruppe ist die Unterstützung in der jgdl. Entwicklung. In dieser Phase findet eine Ablösung von der dyadischen Eltern-Kind-Beziehung statt. „Gruppen […] dienen alle bevorzugt der Stressregulation und helfen, die von einem Jgdl. alleine als bedrohlich erlebten Gefühle und Bedürfnisse […] in der Phase der Loslösung von der Ursprungsfamilie besser zu steuern“ (Brisch, Bindungsgestörte Jugendliche in Gruppen von Gleichaltrigen, 2014, S. 278). Die selbstgewählten Gruppen, in der sich die Jgdl. befinden, bildet damit eine Art „2. Familie“.
Wenn ein Gruppenergebnis schlechter ausfällt, ist das oft von individuellen Faktoren abhängig. Mögliche Ursachen liegen bspw. in der Dominanz einzelner Teilnehmer, womit eine Regelverletzung, der bereits genannten Faktoren vorliegt (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 57).
Hofstätter fasst die Leistungsvorteile einer Gruppe in vier Typen zusammen;
- Der „Typus des Heben und Tragens“ beschreibt die Addition der individuellen Kräfte aller Gruppenmitglieder. Somit werden Leistungen erbracht, die ein Einzelner nicht gewährleisten konnte. Dieser Vorteil wird bildlich im Heben schwerer Gegenstände dargestellt.
- Beim „Typus des Suchen und Findens“ wird die Situation eines Problems beschrieben, welches schwer, aber objektiv lösbar ist. Durch eine Diskussion in der Gruppe kann die Lösung besser und zufrieden stellender gefunden werden, wenn jeder „etwas richtiges“ beiträgt. Diese Allwissenheit ist jedoch durch Kommunikations- sowie Akzeptierungsschwierigkeiten bei Großgruppen begrenzt.
- Der „Typus des Bestimmens“ behandelt ein Problem, welches objektiv nicht lösbar. Somit einigt sich die Gruppe auf subjektive Norm oder auf eine Lösung, mit Problem umzugehen. „Diese Lösungen sind zweifellos Meinungen und Vorurteile. Ihr Gruppenvorteil liegt darin, dass der Einzelne seine Unsicherheit gegenüber dem bestehenden Problem verliert und sich mit seiner Lösung akzeptiert fühlt“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 58). Im Alltag wird oft unbewusst eine ähnliche Lösungsweise benutzt.
- Zudem besteht ein „Typus des Wettstreits“, wobei eine Leistungsverbesserung mancher Teilnehmer nur unter einer Beobachtung oder in einer Wettbewerbssituation angeregt wird.
- Neben dieser vier Typen wirkt der emotionale Gruppenvorteil, welcher durch das Wir-Gefühl und die Sicherheit unter den Teilnehmern geweckt wird (Hofstätter zit. n. Wellhöfer, 2007, S. 57 f.).
Der Ausspruch „Viele Köche verderben den Brei“ versinnbildlicht eine mögliche Gefahr der objektiven Gruppenleistung. Die Gefahren sind beispielsweis der Gruppen- und Autoritätsdruck, das Austragen von emotionalen Spannungen auf der Inhaltsebene, Sympathieeffekte oder Einfluss von „Dauerrednern“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 61). In den folgenden Ausführungen wird auf den Konformitätsdruck und das Gruppendenken Bezug genommen.
Konformität
Der Begriff Konformität stammt aus der Sozialpsychologie und beschreibt die „Übernahme von allgemein anerkannten Normen und Werten einer Referenzgruppe bzw. einer Gesellschaft als Ganzes“ (Rechtien, 2007, S. 147).
Erstmals wurde dieses Gruppenverhalten von Sherifs im Jahr 1935 als „autokinetisches Phänomen"10 festgestellt. Dabei sollte eine Gruppe von Versuchsteilnehmern eine Entfernung des Punktes im verdunkelten Versuchsraum in mehreren Einzelversuchen schätzen. Zuerst alleine und anschließend in der Einteilung in Dreigruppen musste jeder Teilnehmer nacheinander laut und deutlich seine Schätzung laut aussprechen. Bei der Wiederholung der Durchgänge, welche auch Rechenaufgaben beinhalteten, wurden deutliche Annäherungen der Urteile zum Entfernungswert festgestellt. Das verdeutlicht, dass ein gemeinsamer Bezugspunkt gebildet wurde, wobei sich eine Norm bezüglich der Bewegung feststellte (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 58).
Höffstätter (1986, S.66f.) erkannte, dass es bei dieser Norm nicht um das arithmetisches Mittel, sondern um ein harmonisches Mittel handelte. Somit kann der Konformitätsdruck verhindern, dass sich richtige Ideen durchsetzen. Gruppenentscheidungen werden also durch diesen Faktor stark beeinflusst. Der Gruppenvorteil „Typus des Suchens“ geht damit verloren. Das Festhalten an der eigener Wahrnehmungen und Meinungen sind scheinbar emotional stark besetzt (Psychologie Heute, 2005).
Ähnliche Experimente führten Asch (1952,1956) und Crutchfield (1955) durch.
In Untersuchungen folgende Ergebnisse:
- Der Gruppendruck bewirkt ein Nachgeben bei den einzelnen Teilnehmer. Würde dieser Druck nicht bestehen, hätten sie nicht nachgegeben.
- Je problematischer die Situation ist, desto höher ist die Konformitätsbereitschaft.
- Je bedeutsamer die Problemsituation für die Teilnehmer ist, desto stärker hält er an eigenen Auffassungen fest.
- Je höher der Gruppenzusammenhalt ist, welche durch den Uniformitätsdruck oder der Bedrohung von außen wächst, desto höher ist der Konformitätsgrad.
Der Status einer Person steht mit dem Konformitätsdruck in einer kurvilinearen Beziehung; eine Person mit mittlerer Statushöhe hat dabei die größte Bereitschaft seine Meinung zu ändern (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 61).
Gruppendenken
Janis analysierte 1972 und 1982 politische Fehlentscheidungen in den USA. Dabei bewertete er historische Auszeichnung von politischen, schwerwiegenden Entscheidungen. Diese wurden von Gruppen verliehen, die in der damaligen Zeit das Gefühl hatten, loyal in einer kritischen, aufgeheizten Atmosphäre zu leben. Innerhalb dieser Forschung wurde das Phänomen des Gruppendenkens genauer betrachtet. „[Dabei] besteht eine hohe Solidarität und Konformitätszwang, man ist zu höherem Risiko bereit und lehnt widersprüchliche Argumente ab“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 61). Das einzelne Gruppenmitglied beachtet weniger seine eigene Meinung und legt sein Vertrauen eher in die Einschätzungen der gesamten Gruppe. Gruppendenken „tritt in Gruppen mit hohen Zusammenhalt auf, die eine von allen getragene Entscheidung tragen müssen. „Groupthink“ führt dazu, dass wichtige Alternativen nicht betrachtet oder vorzeitig verworfen werden und dass die Risiken eine Entscheidung nicht hinreichend durchdacht und diskutiert werden“ (Rechtien, 2007, S. 146). Um dieser Gefahr vorzubeugen, wurden Handlungsleitfäden entwickelt, bei denen Gruppenentscheidungen durchdachter gestaltet werden.
Die Begriffe Kooperation und Konflikt sind ziemlich gegensätzlich, dennoch stehen die zusammen in einem Kapitel. Eine Kooperation und damit Harmonie in Gruppen und in die alltägliche Umwelt zu schaffen, ist meistens erwünscht. Dennoch ist dieser Part oft von Konflikten unterlegt, welche es zu bekämpfen gilt. In den folgenden Aufführungen wird die Frage geklärt, warum bei einer Zusammenarbeit oder einer Kooperation oft von Konflikten begleitet wird?
Kooperation
„Teamarbeit“ hat in der heutigen Gesellschaft eine hohe ideologische Bedeutung, die aber auf lange Zeit gesehen sehr schwierig zu erfüllen ist. Während der Kooperation, bspw. während eines Wettbewerbes, werden bestimmte Bedürfnisse der Teilnehmer unterdrückt. „Die dauerhafte Kooperation scheint ein Ideal zu sein, das in der Praxis durch individuelle Motive bedroht ist“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 68). Um die eigene Identität in der Gruppe und damit die Selbstverwirklichung nicht zu bedrohen, müssen Regeln aufgestellt werden, wie in der Gruppe miteinander umgegangen wird. Ost wird das in der Praxis nicht thematisiert. „Wenn man Menschen, die miteinander arbeiten, nach den dabei gültigen Kooperationsregeln fragt, lautet die Antwort häufig: «Regeln – haben wir nicht». Während die Vereinbarungsstruktur das geplante Vorgehen der Gruppe festlegt, ist die Kooperationsstruktur das Substrat ihrer tatsächlichen Arbeitsweise“ (Stahl, 2012, S. 166). Die Gruppenleistung steht also damit in Verbindung, welches Klima im Miteinander herrscht. Durch das gemeinsame Gruppenergebnis, welche von allen Beteiligten getragen werden muss, ist bei der Gewinnbeteiligung von einem „Null-Summenspiel“ zu sprechen. So sind bei den meisten Entscheidungen alle Gruppenmitglieder zufrieden gestellt, alternativ profitieren oder verlieren beide oder das Verhältnis ist nicht ausgewogen (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 70).
Um eine Kooperation aufzubauen, ist Vertrauen wichtig. So sind zukünftige Verhaltensweisen anderer Gruppenmitglieder vorhersehbar sowie planbar und eine zukunftsorientierte Zusammenarbeit möglich (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 70). Haben Gruppenmitglieder zu wenig Erfahrung miteinander oder stehen Profitgedanken von Einzelnen im Vordergrund, führt das oft zu Konflikten innerhalb der Gruppe. Eine solche Situation ist mit dem Gefangenen-Dilemma11 vergleichbar. Auch dort wird nur ein befriedigender Kompromiss gefunden, wenn auf beiden Seiten Vertrauen und Kooperationswille sowie die Bereitschaft auf den maximalen Gewinn zu verzichten, besteht. Inwiefern eine solche Basis besteht ist von den Individuen mit deren Prägung, Erfahrungen, Motiven und Bedürfnissen abhängig. Mit einem entstanden Konflikt umgehen, wobei ein Teil der Gruppe gewinnt, wobei der andere verliert, ist schwierig (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 70). „Die Befriedigung eines Wunsches kostet einen „Preis“. […] Das kann dann Geld, Anstrengung, Gefahr oder anderes sein. Auch das ist eine konfliktfähige Situation“ (Gäde & Listing, 2002, S. 100). Möglicherweise kann auch ein Kontaktabbruch zu dem Einzelnen oder zu der Gruppe erfolgen.
Konflikt
„Ein Konflikt besteht, wenn gleichzeitig mehrere gegensätzlich und gleich strake Motive wirksam sind. Liegen die unvereinbaren Motive […] zwischen Personen oder Personengruppen, die voneinander abhängig sind, dann sprechen wir von einem interindividuellen (sozialen) Konflikt“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 74 f.). Neben der gegensätzlichen Faktenlage innerhalb einer Diskussion, bezieht sich Glasl zudem auf Widersprüche in der Wahrnehmung, im Denken, der Vorstellung und Interpretation, sowie im Fühlen, durch Sympathie, Antipathie, etc. und des Wollens (Glasl, 2002, S. 14 f.). Oft werden bei einem Konflikt negative Gefühlen wie Bedrohung oder Scham empfunden. Dabei wird in der Sozialwissenschaft bei spontanen Auseinandersetzung in zwei extreme Pole differenziert; Angriff oder Rückzug. Zwischen den beiden Extremen kann eine positive Auseinandersetzung mit einem Konflikt erfolgen12. Diese Konfliktfähigkeit dient als Basis der Weiterentwicklung sozialer Systeme (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 75).
„Jeder Konflikt ist ein Zeichen für einen Veränderungsprozess. In welche Richtung diese Veränderung geht, ist damit noch nicht gesagt“ (Gäde & Listing, 2002, S. 102). Die Veränderung, die aus einem Konflikt hervorgeht, ist von dem Umgang der Auseinandersetzung abhängig. Diese kann als Chance oder als Risiko des Gruppenzerfalls gesehen werden. Um das zu entscheiden, spielen zentrale psychische Konfliktmechanismen eine bedeutende Rolle. Diese Mechanismen werden von der Wahrnehmung und Einstellung der jeweiligen Person beeinflusst (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 77).
Wahrnehmung
Die Wahrnehmung ist aktiv und selektiv. In Belastungs- und Konfliktsituationen dient sie dazu, Bedrohungen schneller wahrzunehmen, wobei nur bestimmte Inhalte der Umwelt ausgewählt. Innerhalb der bedrohungsorientierte Wahrnehmung nutzt der Mensch (Feind-)Bilder mit stereotypischen Bildern, um so die Selektion aller einströmenden Faktoren zu vereinfachen. Ein ähnlicher Prozess geschieht in gruppendynamischen Prozessen. Vor allem in der Findungsphase werden andere Mitglieder in ihrer Wirkung reduziert, um eher ein Gesamtbild der Gruppe zu erlangen (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 77). Doch auch innerhalb eines funktionierenden Gruppenalltags ist dieses Phänomen zu beobachten. Die relative Deprivation beschreibt eine „Wahrnehmung [in einem Jugendheim], weniger zu haben als einem zusteht, die mit einem Gefühl der Unzufriedenheit einhergeht. Eine wichtige Quelle relativer Deprivation ist der soziale Vergleich“ (Stürmer & Siem, 2013, S. 68). Obwohl also faktisch allen Gruppenmitgliedern dieselben Ressourcen zur Verfügung stehen, manipuliert die Wahrnehmung die Einschätzung der Situation und bietet eine Basis für Gruppenkonflikte.
Einstellung
Um eine Einstellung zu einem gewissen Subjekt zu gelangen, beeinflussen sich drei Komponenten gegenseitig; die kognitive, affektive und konative Seite.
Die kognitive Komponente beansprucht das konkretes Wissen, Glauben und Denken über das Einstellungsobjekt. Dabei gehen feine Differenzierungen gehen verloren, es tritt das Schwarz-Weiß-Denken ein. Einstellungskonträre Informationen werden dabei oft durch die Wahrnehmung hervorhebend oder vernachlässigend bewertet.
Die affektive Seite greift auf die Gefühle und Empathie zu dem Objekt, welches bewertet wird zurück. Innerhalb eines Konflikts schwinden Sympathie und Empathie unter den Gruppenmitgliedern, was ein Distanzaufbau hervorruft.
Konative Komponenten sind Handlungstendenzen gegenüber zum Einstellungsobjekt. Daher wird entschieden, ob ein Wille oder ein konkretes verbales bzw. nonverbales Verhalten vorliegt. Möchte ein Gruppenmitglied mit dem Objekt überhaupt in Berührung gehen? Der Verhaltensspielraum würde sich dabei auf ihn polarisieren (Glasl, 2003, S. 126 zit. n. Wellhöfer, 2007, S. 77).
Die Komponenten beeinflussen sich gegenseitig und stellt damit eine Grunddimension für den Konflikt dar. So wird z. B. ein Mitbewohner einer WG mit unterschiedlichen Ansichten bezüglich der Mülltrennung (kognitiv), mit einer unerträglichen Stimme (affektiv) und der dazu immer zu viel Waschmittel nimmt (konativ) wahrscheinlich schlecht in die Gruppe aufgenommen. Seine anderen Mitbewohner sind schlecht auf ihn eingestellt. Die Konflikte können einen unterschiedlich enden, wie in Vermeidung, Eliminierung, also Ausschluss der Person, Unterdrückung, Zustimmung, Zusammenschluss oder einem Kompromiss (Metzinger, 2010, S. 58).
Dabei kann in unterschiedlichen Stufen der Konflikteskalationen nach Redlich und Miranow (2003) differenziert werden. Dabei beginnt die Einschätzung in einer Diskussion. Darauf folgen die Polarisierung und Ausgrenzung. Die letzte Stufe ist die Vernichtung. Redlich und Miranow beleuchten zudem den Zusammenhang zu Kommunikation, Beziehungsgestaltung, Konfliktinhalte und Ergebnis im Bezug der jeweiligen Konfliktstufe13 (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 80).
Um den Ursprung eines Konfliktes zu erfassen, ist eine Konfliktdiagnose möglich. Bei dieser Methode werden mit einem Fragebogen14 nach den konkreten Streitpunkten gesucht und bisherige Mittel zur Konfliktsteuerung sowie die Bereitschaft der Beteiligten, sich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen beleuchtet. Zudem werden die strategische Ziele der Beteiligte offen gelegt. Bei der Analyse eines Konflikts, ist es dienlich die Situation immer wieder zu problematisieren, um unbeachtete Vorgänge, wie Macht- und Zwangsstrategien nicht zu übersehen (Rechtien, 2007, S. 89).
Unter dem Einbezug der Ergebnisse des eben genannten Fragebogens sowie der zentralen psychischen Mechanismen in letzten Absatz können oft Grundlagen zu einer Interventionsmöglichkeit geschaffen werden. „Mit Intervention wird in der angewandten Gruppendynamik das gruppenbezogene Handeln des Trainers bezeichnet, mit welchem dieser auf die Laboratoriumsarbeit einwirkt“ (Rechtien, 2007, S. 109). Es ist damit ein Teil der professionellen Rolle des Trainers, Verbesserungsmöglichkeiten für eine Gruppe zu finden. Diese Interventionen erfolgen absichtlich und zielgerichtet bzw. zukunftsorientiert. Dabei ist es Ziel, den üblichen Ablauf von Ereignissen in der Gruppe, zwischen einzelnen Mitgliedern oder interpersonell zu verändern. Intersubjektiven Theorien15 dienen zwar als Orientierung, dennoch sind Interaktionen selten geplant, sondern eher „situationsangemessen aus den geschilderten Haltungen heraus generiert“ (König & Schattenhofer, 2016, S. 97).
Ein mögliches Mittel der Produktion von Intervention ist die Reflexion der Situation innerhalb der gruppendynamischen Leitung. Bei einem kollegialen Austausch kann über das Vorgehen, die Richtung und die Themen diskutiert werden. Dabei ist das pädagogische Team auf sein Gespür angewiesen. Das professionelle Handeln erfolgt im Nachgang bei der Reflektion und der Begründung. „Eine Gruppenleiterinvention ist ein theorie- und indikationsbezogenes, absichtsvolles Verhalten, das darauf abgerichtet ist, Veränderungen im Prozess einer Gruppe oder ihrer Mitglieder zu bewirken“ (Voigt & Antons, 2006, S. 226). Um diese Diskussion im Team zu systematisieren, kann der Interventionsstil in vier Dimensionen analysiert werden; innerhalb des Ziel, der Art, der Tiefe und der Intensität.
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1 Nachfolgend mit „Jgdl.“ abgekürzt
2 Die T-Gruppe ist bis heute eine oft verwendete Methode, dessen Ursprung von Kurt Lewin und Jakob Levy Moreno herrührt. Die Gruppen finden dabei in Seminaren von mehreren Tagen statt. Zwar wird das Diskussionsthema wird von der eigenen Gruppe, dennoch bleibt die zentrale Aufgabe immer gleich; sich selber zu beobachten und zu untersuchen. Was geht gerade in der Gruppe vor sich? „Die Aufmerksamkeit der Teilnehmer wird auf diese Weise immer wieder auf das Hier und Jetzt gelenkt, auf die Beobachtung und Reflexion des aktuellen Geschehens. Geschult wird dadurch die eigene Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität für typische Gruppenprozesse“Es ist eine ungültige Quelle angegeben..
3 Themen des gruppendynamischen Raums, siehe Punkt 2.4
4 Siehe dazu Punkt 2.3.1
5 Beispiele von arbeitsorientierten Positionen: Koordinatoren, kritischer Bewerter, Verfahrens- und Durchführungstechnologen (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 230)
6 Beispiele von gruppenprozessorientierte Positionen: „Rolle der Ermutiger, [der Harmonierende], der Kommentator, der vorbildlichen Gruppenmitglieder“ (Behnisch, Lotz, & Maierhof, 2013, S. 230)
7 Weiteres in 2.3.2 Rollendifferenzierung
8 Hier-und-Jetzt-Prinzip auf Grundlage der Feldtheorie Lewins „Nur solche Ereignisse können Einfluss auf aktuelle psychologische Prozesse nehmen, die im gegenwärtigen Lebensraum real vorhanden sind“ (Rechtien, 2007, S. 100).
9 Eine grafische Darstellung diesen Systems im Anhang Punkt 10.2 Abbildung 1
10 „Unter dem autokinetischen Phänomen versteht man den Sachverhalt, dass ein kleiner und schwacher Lichtpunkt, der in einer unbekannten Entfernung für eine kurze Zeit dargeboten wird, sich zu bewegen scheint. Dies liegt daran, dass unsere Augenachsen auch bei intensiver Anregung nie völlig ruhig bleiben. Deshalb scheint dieser schwache Lichtpunkt – obwohl er objektiv fixiert ist – subjektiv zu bewegen“ (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 58).
11 Das Gefangenendilemma ist ein Gedankenexperiment, wobei es sich um eine gemeinsame Straftat von zwei sich unbekannten Menschen handelt. Vor Gericht bekommen beide Personen unabhängig voneinander das Angebot, zu gestehen. In dem Fall bekommen derjenige dafür drei Jahre und der Partner fünf Jahre Haftstrafe. Gestehen beide Angeklagte nicht, beträgt die Strafe ein Jahr. Wenn beide gestehen, bedeutet das drei Jahre Haft für jeden Es ist eine ungültige Quelle angegeben..
12 Eine genaue Übersicht zur Differenzierung von Konfliktfähigkeit, Angriff und Rückzug nach Wellhöfer im Anhang Punkt 10.1 Tabelle 1
13 Eine genauere Erklärung dieser Stufen nach Wellhöfer im Anhang Punkt 10.1 Tabelle 2
14 Möglicher Vorschlag eines solchen Fragebogens in (Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen, 2007, S. 81)
15 Intersubjektive Methoden unterliegen der Prüfung der „Nicht-Widersprüchlichkeit“ und der Übereinstimmung mit empirischen Forschungsergebnissen (Rechtien, 2007, S. 109).
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