Masterarbeit, 2020
46 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Zeitgenössischer Überblick auf Philosophie, Automatenmotiv und Gesellschaft
2.1 Philosophische Sichtweisen des 17. und 18. Jahrhunderts
2.2 Automatenfiguren im 18. Jahrhundert
2.3 Das Automatenmotiv bei E. T. A. Hoffmann
2.4 Die Mechanisierung der menschlichen Natur
3. Die Automatenfiguren in Die Automate und Der Sandmann
3.1 Die Erzählung Die Automate
3.1.1 Die Figur des „Türken“
3.1.2 Die Automatenfiguren des Professor X und ihr Erbauer
3.1.3 Gesellschaftskritik und Funktion im Automatenmotiv
3.2 Die Erzählung Der Sandmann
3.2.1 Die Erbauer der Automate Olimpia
3.2.2 Die Automate Olimpia
3.2.3 Gesellschaftskritik und Funktion im Automatenmotiv
4. Die Automate - Erzählerische Blaupause für den Sandmann?
5. Fazit
Literaturverzei chnis
In dieser Abschlussarbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit an den meisten Stellen das generische Maskulinum verwendet. Es sind hierbei stets alle Geschlechter gemeint.
„Ich ... sehe die Männchen und Gäulchen vor mir herumrücken, und frage mich oft, ob
es nicht ein optischer Betrug ist. Ich spiele mit, vielmehr, ich werde gespielt wie eine
Marionette und fasse manchmal meinen Nachbar an der hölzernen Hand und
schaudere zurück.“
- Die Leiden des jungen Werther
Im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter virtueller Computerwelten, moderner Genforschung und Biotechnologie erlebt der Traum vom künstlichen Menschen einen erneuten Aufschwung. Neben virtuell erschaffenen Figuren wie Lara Croft, Filmen wie Blade Runner, die sich der Thematik annehmen, oder gar intelligenten Geräten wie Alexa, ist vor allem der Versuch vorherrschend, einen künstlichen Menschen nach unserem Abbild zu erschaffen. Damit diese neue entscheidende Phase der Automatisierung einsetzen konnte, musste der Mensch selbst zu einem nüchternen Planer dieser Technologie werden. So ist es kein Wunder, dass dieser Themenkomplex immer wieder Einzug in die zeitgenössische Literatur hält. In dieser kann der Motivkomplex vom künstlich erschaffenen Menschen frei von naturwissenschaftlichen Grenzen und Einschränkungen ersonnen und realisiert werden.
Jedoch ist der künstliche Mensch kein Gedankenspiel der Neuzeit. Literarische Belege lassen sich bereits in der Antike bei den alten Griechen finden. Im Laufe der Geschichte und mit dem Voranschreiten der Technologie entwickelte sich auch die Bandbreite künstlich erschaffener Menschen und weitete sich aus. Was bei Ovids fiktivem Künstler Pygmalion und antiken Marmorstatuen begann, wurde im Lauf der Zeit zu den Golemfiguren der jüdischen Überlieferung, mittelalterlichen Alraunen und Homunculi. Schließlich erlebte die Geschichte im 18. Jahrhundert eine Blütezeit durch Wachspuppen, Marionetten und die mechanischen Automaten der Romantik. Diese Hochzeit gipfelt in der Moderne mit Robotern, Cyborgs und der artifiziellen Intelligenz. Die technische Lebenswelt des 21. Jahrhunderts greift bis in die psychische und physische Existenz unserer Spezies ein. Der Mensch als Subjekt ist heute durch Genmanipulation und Hormongaben grundsätzlich veränder- und sogar steuerbar. Zusätzlich hat die künstliche Gestaltung menschlicher Tätigkeiten vor allem durch die künstliche Intelligenz an Qualität gewonnen, da sie den modernen Maschinen Denkprozesse ermöglicht. Dies hat zur Folge, dass sich die alte Frage nach der Identität des Menschen, die sich durch die Geschichte des Automatenmotivs zieht, neu stellt. Zudem hat es den Anschein, dass die Grenze zwischen Künstlichem, beziehungsweise Totem und Lebendigem, zwischen Maschine und Mensch immer weiter aufbricht und nicht mehr klar zu ziehen ist. Was seinen Ursprung in der phantastischen Darstellung von Künstlern und Literaten in der Historie hatte, gewinnt zunehmend an Ernsthaftigkeit und erhält realen Charakter. Moderne Maschinen und Roboter erwecken immer häufiger den Anschein, wie Humanoide zu denken und zu handeln. Diese Annäherung ist jedoch keine einseitige.Es wird ebenso versucht, biologische Prozesse dem menschlichen Willen zu unterwerfen und das menschliche Verhalten schrittweise zu mechanisieren, kurz gesagt, das vorhandene Lebendige selbst zu kontrollieren. Doch auch dieser Mechanisierungsprozess und die Angst vor dem Verlust der Menschlichkeit ist kein Phänomen der Moderne. Bereits die Literatur der Romantik beschäftigte sich mit der Mechanisierung der menschlichen Natur. Damit dieser Prozess besser nachvollziehbar wird, werden in einem theoretischen Teil zunächst die philosophischen Sichtweisen des 17. und 18. Jahrhunderts umrissen, die den Nährboden für das Automatenmotiv liefern. Dazu gehört auch ein Exkurs in die Epochen der Aufklärung, Romantik und Industrialisierung. In diesem Zug wird zusätzlich das zeitgenössische Automatenwesen skizziert. Besonders bedeutsam für das Automatenmotiv war der Autor E. T. A. Hoffmann, der zahlreiche Werke veröffentlichte, in denen künstliche Menschen eine zentrale Rolle spielen. Aus diesem Grund wird sich die vorliegende Arbeit im Speziellen auf das Automatenmotiv bei E. T. A. Hoffmann und auf seine Werke Die Automate und Der Sandmann konzentrieren. Dabei soll die Bedeutung des Automatenmotivs für die jeweiligen Werke dargestellt und darüber hinaus der Forschungsfrage nachgegangen werden, welche Funktion die Automatenwesen erfüllen und auf welche Weise Hoffmann Kritik durch diese übt. Zudem wird analysiert, wie sich das automatisierte Verhalten der Protagonisten zeigt und welche Bedeutung das für die Erzählungen und Hoffmanns Gesellschaftskritik hat. Abschließend werden die beiden Erzählungen auf diese Gesichtspunkte miteinander verglichen und analysiert, inwiefern Die Automate als Vorlage für die etwas jüngere Erzählung, den Sandmann, gedient haben könnte.
Kommentar zur Methodik
Da die Fülle der Veröffentlichungen zum Sandmann und den Automatenfiguren eine vollständige Auseinandersetzung mit der gesamten Forschungsliteratur unmöglich macht, versucht diese Arbeit zunächst einen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse zu entwickeln, die das Thema des Automaten betreffen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf Forschungsbeiträgen aus den sehr potenten 1970er-1990er Jahren, da das Thema der künstlichen Menschen aufgrund moderner Entwicklungen während dieser Zeit einen erneuten Aufschwung erlebte. Zusätzlich wurden einige aktuelle Theorien aus dem 21. Jahrhundert zurate gezogen, um nach neuen Gesichtspunkten zu forschen, mit dem Ergebnis, dass die Beiträge von Ende des letzten Jahrhunderts keine Aktualität eingebüßt haben. Die Forschungsbeiträge werden beleuchtet und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Aus diesen Ergebnissen soll eine möglichst vielschichtige Grundlage entwickelt werden, welche die Frage aufwirft, zu welchem Zweck Hoffmann die Automaten einsetzt. Diese Fragestellung wird anschließend in einem analytischen Kapitel über die beiden Erzählungen verfolgt. Hierbei scheint eine Arbeit, die sowohl die literaturwissenschaftlichen als auch die sozialhistorischen Grundlagen recherchiert und die beiden Erzählungen auf die genannten Gesichtspunkte miteinander vergleicht sowie auf eine mögliche Vorlagenfunktion untersucht, noch auszustehen. Diese Lücke versucht der vorliegende Forschungsbeitrag zu schließen. Aufgrund der Vielzahl der Interpretationsund Lesarten des Sandmanns, wie der psychologische Diskurs, die Erzählkonzeption, das Unheimliche, die Rolle der Frau oder das Augenmotiv, können diese nicht alle theoretisch dargelegt werden. Dennoch werden diese Themen, vor allem die beiden letzteren, im interpretatorischen Teil Einzug in diese Arbeit halten, wenn die genaue Funktion der Automatenfiguren analysiert und mit der Forschungsliteratur verglichen wird.
Bei der Analyse der beiden Erzählungen Die Automate und Der Sandmann wird auf eine Darstellung des Inhalts verzichtet, da dieser als bekannt vorausgesetzt wird. Zudem wird an späterer Stelle näher erläutert, warum diese beiden Werke von Hoffmann ausgewählt wurden.
Eine Besonderheit des behandelten Gegenstandsbereichs ist die lange und vielschichtige Motivgeschichte der Denkfigur Maschinenmensch, dessen Topos spätestens seit der Aufklärung immer wieder aufgegriffen wurde, wenn eine utopische oder normative Bestimmung des „Menschseins“ gezeigt werden sollte. Die Abgrenzung erfolgt gleichermaßen zur willenlosen Natur und zur Technik, die insbesondere in der Neuzeit die Eigenschaft innehat, zwar vom Menschen geschaffen zu sein, über dessen Kontrolle aber hinauszuwachsen. Dabei dient der künstliche Körper als Medium und Projektionsfläche historisch wechselnder Einschreibungen, in der sich Erlösungsphantasien und desaströse Alpträume immer wieder gegenseitig ablösen.1 Unternimmt man den Versuch einer ausführlichen Darstellung der gesamten Historie des künstlichen Menschen, sieht man sich schnell einer Komposition aus Dichtung und Wahrheit gegenüber, deren Grenzen sich über die Jahrhunderte immer wieder annähem und entfernen. Nicht immer gelingt eine Unterscheidung zwischen geistreicher Phantasie und genialer Ingenieurskunst. Deshalb, und um Platz für die wesentliche Fragestellung zu schaffen, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf den künstlichen Menschen in der Literatur des 18. Jahrhunderts und das gesellschaftliche sowie historische Umfeld, welches maßgeblich für seinen Durchbruch verantwortlich war.
Die Bemühungen, menschliche Maschinen möglichst naturgetreu nachzuahmen und sie auf einem anderen als dem natürlichen Weg zu erschaffen, sind von den geistigen und weltanschaulichen Strömungen des jeweiligen Jahrhunderts nicht loszulösen. Die Maschine als Paradigma der Natur-Interpretation war bei den Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts von enormer Bedeutung und bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierte die Naturwissenschaften ein mechanisches Naturbild. Hierbei spielte die Frage nach dem natürlichen und dem künstlichen Leben eine tragende Rolle.2 3 Diese wurde vor allem angestoßen durch den Menschen immer ähnlicher sehende und handelnde Automatenkonstruktionen. Diese Automatenwesen definiert Rudolf Drux wie folgt: „Der Grad der Menschenähnlichkeit gilt von den ersten nachweisbaren Automaten an als ihr entscheidendes QualitätsmerkmalM Außerdem leitet sich der Begriff „Android“ von den beiden griechischen Wörtern „anér“ für „Mann“ und „eidos“ für „Aussehen, Gestalt“ ab.4
Das breite Publikum fasste die ersten Automaten als sensationelle Entwicklung auf. Die Masse sah in diesen lebendig-toten Gebildenjedoch vielmehr das Werk von Zauberei, da die vielerorts noch verankerten mittelalterlichen Vorstellungen eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen Technik und Magie herstellten. Die Intellektuellen der Zeit wiederum hatten bereits ein mechanisches Weltbild. Folglich fühlten sie sich in ihrer Sichtweise bestätigt und sahen in den Automatenmenschen einen neuen Hinweis darauf, dass Maschine und Mensch verwandt seien. Daher war es nicht verwunderlich, dass sowohl Automatenhersteller als auch Philosophen der katholischen Kirche ein Dorn im Auge waren. Diese fürchtete, dass das Geheimnis des Lebens und der Schöpfung von diesen Mechanikern entmystifiziert würde. Besonders hervorzuheben ist dabei der Philosoph René Descartes (1596-1650), dessen materialistische Vorstellung des menschlichen Körpers und des Lebens den theoretischen und auch philosophischen Grundstein des Maschinen- bzw. Automatenzeitalters legten. Lienhard Wawrzyn hält dazu fest, dass Descartes in seinen Meditationen das natürliche Leben mit den Rädern und Gewichten einer Uhr verglich.5 Bereits im Jahr 1632 schreibt Descartes in seinem Werk De Homine, dass alle physischen Vorgänge eines Körpers der Funktion der Mechanik unterworfen sind. Die Idee, Menschen und Lebewesen im Allgemeinen als Uhrwerke zu betrachten, war nicht neu. Bereits in der Antike kannte die Philosophie und Literatur dieses Motiv. Jedoch war die Radikalität neu, mit der dieses mechanische Weltbild verteidigt wurde.6
Sich dieser Radikalität anschließend, bringt Descartes weiter zu Buche, dass sich der Mensch nur durch seine unsterbliche Seele von einem Automaten unterscheide. Selbst Tiere seien nur Maschinen ohne Seele.7 Wenige Jahre später geht Descartes sogar noch weiter und bezeichnet Tiere als Automaten ohne Seele und schließt die künstliche Erschaffung von Tieren in der Zukunft nicht aus.8 Aufgegriffen wurde diese Idee von Ridley Scott im Film Blade Runner im Jahr 1982, in dem vom Menschen künstlich erschaffene Tiere eine Rolle spielen.9 Im Film sind die erschaffenen Tiere nicht von natürlichen zu unterscheiden. Die Angst der Menschheit, künstlich erschaffene Lebewesen, Tiere wie Menschen, nicht identifizieren zu können, ist nicht nur ein zentrales Motiv in Blade Runner, sondern begegnet dem Leser auch in den beiden Erzählungen, die später analysiert werden.
Auch Julien Offray de La Mettrie (1709-1751), seines Zeichens Arzt und Philosoph, beschäftigte sich mit diesem Themenkomplex. Er führte die Gedanken Descartes weiter aus, konzentrierte sich ganz auf künstliche Menschen und ging in seinem Denken sogar noch weiter. So bezeichnet La Mettrie nicht nur Tiere als Maschinen, sondern auch den Menschen, wenngleich dieser eine hoch entwickelte Maschine sein soll. Genau wie sein Vordenker vergleicht La Mettrie, mit seinem mechanisch-materialistischen Weltbild, den Menschen mit einem sich selbst aufziehenden Uhrwerk und tituliert den menschlichen Körper sogar als „Stoffwechselmaschine“, der in einem sich selbst erzeugenden Kreislauf arbeitet.10 Des Weiteren war sich La Mettrie sicher, dass es irgendwann gelingen werde, einen Automaten zu entwickeln, der dem Menschen gleicht.11 Einen Beweis für seine Theorie und sein mechanisches Weltbild, wonach der Mensch in der Tat wie eine Maschine funktionieren kann, glaubt La Mettrie in Tieren wie Schildkröten oder Eidechsen gefunden zu haben, da diese zuckten, wenn man ihnen nach dem Tod warmes Wasser einspritzte. Zudem forderte er zeitgenössische Wissenschaftler auf, die Vorurteile des Wissens der Kirche abzustreifen. Unter anderem deswegen, und wegen seiner Ansichten, wurde La Mettrie politisch verfolgt. Gleichzeitig legten diese philosophischen Erkenntnisse aber auch den Grundstein für das große Vertrauen, das die Europäer iml8. Jahrhundert in die Technik hatten.12
Bei Hobbes findet man den Satz, dass der Mensch nur das ist, was er macht und versteht. Indem der Mensch Maschinen erschafft und sich dabei als ihr Produzent erweist, bildet sich zugleich die Gleichung zwischen Mensch und Maschine. Erkennbar für uns sind wir nur, wenn wir das zu einer Maschine analog Hergestellte sind. Diese Abhängigkeit des Verständnisses deutet auf eine Beziehung zwischen Mensch und Maschine hin. Man könnte diese Verbindung zunächst als eigenartig titulieren. Sieht man nun die Maschine als Produkt oder vielmehr ein Geschöpf des Menschen, so lässt sich von einer SchöpferGeschöpf-Beziehung sprechen. Jedoch ist es bei genauerer Betrachtung dieser Analogie unklar, wer Schöpfer und wer Geschöpf ist.13 Diese Fragestellung wird die vorliegende Arbeit in einem späteren Kapitel näher analysieren, dennoch sollte der Grundgedanke bereits an dieser Stelle erwähnt und im weiteren Verlauf berücksichtigt werden.
Wie bei Descartes hat La Mettrie Hobbes Maschinensatz von der Philosophie weitergedacht und zu Ende geführt. In seinem 1748 erschienen und Aufsehen erregenden Werk L’homme machine sieht er, wie bereits oben erwähnt, den Mensch als Maschine. Jedoch sei der Mensch nicht, um bei diesem Beispiel zu bleiben, so einfach herzustellen wie eine Uhr: „Ich täusche mich sicher nicht: der menschliche Körper ist eine Uhr, aber eine erstaunliche“,14 Zudem geht es La Mettrie nicht darum, einen Maschinenmenschen zu erschaffen. Vielmehr sieht er im Verständnis der Maschine das Erklärungsprinzip für das Leben als solches. Hier zeigt sich wieder sein gesamtes mechanisches Weltbild, das Leben stelle nur einen komplizierten Maschinentyp dar. Hinsichtlich des zeitgenössischen Automatenwesens und deren Herstellern denkt La Mettrie, dass diese nur noch etwas mehr Kunstfertigkeit hätten aufwenden müssen, um einen autonomen Sprecher herzustellen und dass eine solche Maschine nicht mehr als unmöglich angesehen werden soll. Zudem könne mit dem Vollziehen dieser Tat nachgewiesen werden, was La Mettrie bereits vermutet, dass der Mensch eine Maschine sei. Die Herstellung eines vollkommenen künstlichen Menschen wäre der Nachweis seiner Hypothesen. Zusammenfassend lässt sich über La Mettries Philosophie sagen, dass er seine Maschinenthese aufstellt, um zu verstehen, wie der Mensch funktioniert. Für ihn ist die Welt ein materiell-mechanisches Wirkungsgefüge und ein in sich geschlossenes Maschinensystem. Ebenso ist bei ihm der Evolutionsgedanke in den Maschinengedanken eingebettet. Aus der Natur kommt nur heraus, was sie auch selbst ist; eine Maschine.15 Vor diesem zeitgenössisch-philosophischen Hintergrund ist es folglich nicht verwunderlich, dass das Automatenwesen im 18. Jahrhundert einen derart hohen Anklang sowohl bei Künstlern als auch beim Publikum fand.
Das dargestellte mechanistische Weltbild von Descartes und auch La Mettrie fand seine Verkörperung schließlich im 18. Jahrhundert im Bau von zahlreichen Automaten. Diese galten beim Publikum als nur schwer zu fassende Wunder der Technik, welche Bewunderung und Furcht gleichermaßen auslösten. Im Gegensatz zum heutigen 21. Jahrhundert, in dem wir mit einer geringen Distanz zur Technik aufwachsen, die zudem ein völlig anderes Niveau erreicht hat als die Automaten in der Zeit der Romantik, sahen sich die Menschen damals einer völlig neuen Macht mit scheinbar magischen Kräften gegenüber.16 Der Bau dieser Automaten muss für die zeitgenössischen Intellektuellen mit mechanistischem Weltbild wie eine Bestätigung der Verwandtschaft zwischen Mensch und Maschine gewesen sein, hält Wawrzyn fest. Vor allem die Erfindungen des Automatenbauers Jacques de Vaucanson (1709-1782) galten als Beweise der mechanistischen Denkweise.17 Zunächst sollte jedoch noch eine genauere Definition des Automatenwesens erfolgen. Besonders groß war der Einfluss Vaucansons auf den bereits mehrfach erwähnten La Mettrie, der das Werk des Automatenbauers verehrt haben soll und ihn in L’Homme machine als einen neuen Prometheus pries. Gleichzeitig diente seine Schrift auch als Anregung zur Vervollkommnung der Automaten zu Menschmaschinen.18
Als Vaucanson 1738 seinen „Flötenspieler“ schuf und vorführte, brach damit eine Welle der Automatenkonstruktionen und der technischen Vervollkommnung menschenähnlicher, künstlicher Wesen los. War die Erschaffung solcher Wesen bisher immer mit Taschenspielertricks oder „schwarzer Magie“ verbunden, brachte das 18. Jahrhundert die Ära der technischen Androiden. Dieser „Flötenspieler“ war nahezu lebensgroß und spielte fast menschengleich insgesamt zwölf verschiedene Stücke auf der Flöte, indem er Finger und Lippen bewegte. Der große Unterschied zu bisherigen Automaten, die Laute und Musik erzeugten, lag in der Mechanik im Innern. Während sonst eine Spieluhr verbaut wurde, befand sich im „Flötenspieler“ ein Blasebalg, dessen Luftausstoß von der Flöte tatsächlich Töne erzeugte. Darüber hinaus schuf Vaucanson eine mechanische Ente, die angeblich ein intaktes Verdauungssystem besaß, da der Automat in der Lage war, sowohl Körner aufzupicken als auch eine grüne Flüssigkeit auszuscheiden. Auch hier werden viele Zeitgenossen das philosophische Weltbild Descartes und La Mettries bestätigt gesehen haben. Der Verdauungstrakt der Ente wurde jedoch einige Dekaden später als Fälschung entlarvt, die ausgeschiedene Flüssigkeit befand sich bereits vorher im Körper des Automaten. Vaucansons Automaten können durchaus als Höhepunkt der zeitgenössischen, modernen Mechanik angesehen werden. Völker schreibt dazu, dass die Automatenhersteller wie Vater und Sohn Jaquet-Droz, die nach Vaucanson kamen, lediglich mit kleinen Verbesserungen und Verfeinerungen an ihren Automaten aufwarten konnten, jedoch nichts wirklich Neues schufen.19 Einer der Androiden von Jaquet-Droz scheint für Hoffmann jedoch von besonderer Bedeutsamkeit gewesen zu sein. Dabei handelt es sich um eine 1774 erbaute, hölzerne und reich verzierte Puppe mit beweglichen Augen und imitierter Atmung. Diese konnte aufgezogen rund 90 Minuten auf einem Harmonium musizieren. Die Forschung äußert die Vermutung, dassjene Androide namens “La Musicienne“ als Vorlage für Hoffmanns Olimpia im Sandmann gedient haben könne.20
Als die Automaten schließlich immer perfekter wurden und mit einem natürlichen Menschen verwechselt werden konnten, begannen auch die Dichter, sich für sie zu interessieren. Dabei haben die meisten romantischen Autoren das Thema der Maschinenmenschen aufgenommen. Zu den wichtigsten zeitgenössischen Werken gehören Arnims Gräfin Dolores (1810), Isabella von Ägypten (1812), Brentanos Märchen Gockel, Hinkel und Gackeleia (1811) und Joseph Görres Wunderbare Geschichte von BOGS dem Uhrmacher (1807).21 Insbesondere bei Jean Paul und E. T. A. Hoffmann erscheint der künstliche Mensch als zentrales Motiv und gibt Anlass zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Während Jean Paul jedoch eine gewisse Distanz zum Thema künstlicher Mensch wahrte, war Hoffmann früh von einer gewissen geheimnisvollen Beziehung zwischen Mensch und Maschine überzeugt. Von Völker wird dazu erwähnenswert festgehalten, dass sich Hoffmann gegen die mechanistische Auffassung der Welt als allumfassendes Maschinengetriebe wehrte. Als Folge daraus fokussierte sich Hoffmann auf die psychischen Auswirkungen der künstlichen Maschinen auf den Menschen. Für technische Geheimnisse und Feinheiten interessierte sich Hoffmann offenbar weniger, daher fanden diese kaum Einzug in seine Werke.22
Das Automatenmotiv, zu dem laut Hohoff auch Marionetten und Puppen zählen, nimmt in den Werken E. T. A. Hoffmanns eine zentrale Position ein und lädt zudem zur kritischen Auseinandersetzung. Neben den später betrachteten Erzählungen Die Automate und Der Sandmann fand das Motiv unter anderem auch Einzug in die Werke Nussknacker und Mausekönig, Kater Murr und Meister Floh23 Nicht nur literarisch sondern auch privat hat sich Hoffmann intensiv mit der Automatenthematik beschäftigt. So soll er unter anderem 1801 in Danzig und 1813 in Dresden verschiedene Automatenfiguren gesehen haben, darunter auch den „Schachtürken“ und solche der Gebrüder Kaufmann. Diese zählten zu den bekanntesten Automatenbauern zu Hoffmanns Lebzeiten. Belege dazu lassen sich beispielsweise bei Feldges und Stadler finden, aber auch bei Pabst und Pikulik.2425
[...]
1 Vgl. Harrasser 2005, S. 679.
2 Vgl. Breger 1989, S. 215.
3 Drux 1999, S. 32.
4 Vgl. ebd.,S.32.
5 Vgl. Wawrzyn 1977, S. 98 f.
6 Vgl. Tietzel 1984, S. 34.
7 Vgl. Wawrzyn 1977,S.99.
8 Vgl. Swoboda 1967, S. 83.
9 Vgl. Ridley Scott: Blade Runner: The final cut 1982.
10 Vgl. Wawrzyn 1977, S. 99.
11 Vgl. Swoboda 1967, S. 88 f.
12 Vgl. Wawrzyn 1977, S. 99.
13 Vgl. Baruzzi 1973, S. 79.
14 La Mettrie (franz.-dt.) 1965, S. 135.
15 Vgl. Baruzzi 1973, S. 80 f.
16 Vgl. Bammé et al. 1983, S. 28 ff.
17 Vgl. Wawrzyn 1977, S. 98.
18 Vgl. Völker 1976, S. 370.
19 Vgl. ebd., S. 368-371.
20 Vgl. Lieb 2010, S. 181.
21 Vgl. Hohoff 1988, S. 335.
22 Vgl. Völker 1976, S. 371 f.
23 Vgl. Hohoff 1988, S. 335.
24 Vgl. Feldges u. Stadler 1986, S.140.
25 Vgl. Pikulik 1987, S. 117.
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