Bachelorarbeit, 2021
33 Seiten, Note: Zwei
1) Einleitung
2) Allgemeines
2.1) Hagens Herkunft
2.2) Hagens Stellung am Wormser Hof
2.3) Hagens Aussehen und Charakter
3) Hagens Funktion im ersten Teil des Nibelungenlieds
3.1) Hagen, der Berater
3.2) Hagen, der Mörder
3.3) Hagen, der Dieb
4) Hagens Funktion im zweiten Teil des Nibelungenlieds
4.1) Hagen, der Berater und Vorhersehende
4.2) Hagen, der Anführer der Reise
4.3) Hagen, der Provokateur
4.4) Hagen, der treue Vasall bis in den Tod
5) Die Klage
5.1) Allgemeines
5.2) Hagens Nachruf
5.3) Die Frage nach der Schuld
6) Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis:
Hagen von Tronje ist eine der bedeutendsten und komplexesten Figuren des Nibelungenlieds. Einerseits ist er der Mörder von Siegfried, in weiterer Folge dann auch der Mörder von Ortlieb. Großteils wird das Bild eines kalten und skrupellosen Mannes vermittelt. Andererseits ist Hagen gebildet, intelligent und der Inbegriff der Vassalentreue. Um zu klären, wie diese gegensätzlichen Charakterzüge in einer Person vereint werden können und ob diese „Doppelrolle“ keinen „Bruch oder inneren Widerspruch in der Hagenrolle “ (Backenköhler 1961, S.87) auslöst, werden zunächst alle Aspekte Hagens beleuchtet. Was ist sein familiärer Hintergrund, wo kommt er her, welche Rolle nimmt er am Wormser Hof ein und wann kommt der „Bruch“ seiner Persönlichkeit? Wann und warum wird er vom treuen Vasallen zum kaltblütigen Mörder? Um diese Fragen zu beantworten, werden die Stellen des Nibelungenlieds, in denen Hagen auftritt, erörtert, sowie auch die Unterschiede der verschiedenen Fassungen (A,B,C) aufgezeigt werden. Hagens „Vermächtnis“ die Erinnerung die an ihn bleibt, werden im Anschluss an den verschiedenen Fassungen der Nibelungenklage erörtert. Unterschiede, die nicht den Inhalt, sondern lediglich die Orthographie oder Grammatik betreffen, werden nicht angeführt, da diese nicht ins Gewicht fallen. Eine einheitliche Rechtschreibung gab es um 1200 ohnehin nicht.
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit und sprachlichen Einheitlichkeit wird in der nachfolgenden Arbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert keine Benachteiligung des weiblichen oder anderer Geschlechter, sondern soll als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
Hagen wird bereits in der 1. Aventiure des Liedes zusammen mit den wichtigsten Personen des Burgundenhofs vorgestellt. Vor ihm werden Kriemhild, Ute, Giselher, Gunther und Gernot in die Geschichte eingeführt. In der Fassung A steht geschrieben: „Daz was von Tronege Hagene vnd ŏch der brv̊ der sin, Danchwart der vil snelle, vnde von Mecen Ortwin“ (NL,A,9,1-2/NL,B,7(9),1-2/NL,C,8,1-2)
Die drei Fassungen unterscheiden sich hier inhaltlich gar nicht, die einzigen Unterschiede liegen in der Strophenzahl und in der Schreibweise einzelner Wörter. An der frühen Erwähnung Hagens lässt sich schließen, dass er eine wichtige Rolle in dem Epos spielt. Außerdem erfährt man, dass Dankwart sein Bruder ist. In der dritten Aventiure offenbart sich, dass Ortwein von Metz sein Neffe ist. In Fassung C heißt es: „Des antwrte ein reche,/ der hiez Ortwin -/starch uñ chůne/mohter wol sin:/ „Sit wir ir niht erchennen, so suIt ir heizen gan/ nach mime hoheim Hagene;/ den sul wir si sehen lan.“ (NL,C,81,1-4). In der Fassung A ist der Text fast gleich, lediglich bei der Beschreibung von Ortwin weicht er leicht ab. Er ist hier „rivch“ statt „starch“ (NL,A,82,2). Die Fassung B stimmt der der Fassung A überein. In Aventiure 28 schließlich offenbart sich die Kindheit Hagens. Er wächst, neben Walther von Spanien, als Geisel an Etzels Hof auf und verlässt diesen wieder als erwachsener Mann. Sein Vater ist Aldrian, er gehört zur Gefolgschaft von Etzel und wird von diesem zum Ritter geschlagen. (NL,A,1691,1f./NL,B,1750(1753),1f./NL,C,1794,1f.) In Aventiure 15 und 19 zeigt sich, dass Hagen in einem Verwandtschaftsverhältnis zum Königshaus der Burgunden steht. Si [Kriemhilt] sprach:„du bist mîn mâc, sô bin ich der dîn.“ (NL,B,895(898),1) In Fassung A ist dieser Satz in der Strophe 841,1 und in Fassung C in der Strophe 905,1. Inhaltlich unterscheiden sie sich nicht, Hagen ist also in jeder Fassung mit dem Könighaus verwandt.
Ein weiterer Beleg dafür findet sich in der Aventiure 19: „Dô sprach der herre Gîselher: […]wær’ er niht mîn mâc, ez gienge im an den lîp.“ (NL,B,1130(1133),3). In Fassung C wird statt dem Wort „mâc“ das Wort „sippe“ verwendet. (NL,C,1147,3) In Fassung A befindet sich dieser Satz in der Strophe 1173,3, der Text stimmt mit Fassung B überein. Das Wort „mâc“ bezeichnet eine blutsverwandte Person in der Seitenlinie. (Lexer 1992,S.153) Hagen ist also eindeutig mit der Königsfamilie verwandt, wie erwähnt stimmen die drei Fassungen darin auch überein, allerdings ist die Verwandtschaft weitläufig. Nähere Angaben über Hagens Herkunft werden nicht gemacht.
Weit häufiger als Hagens Herkunft wird seine Stellung am Hof von Worms betont. Das zeigt sich in der Bezeichnung „sînem man“ (NL,A,819,1/NL,B,873(876),1/NL,C,884,1) oder „Hagene Gunthêres man“(NL,A,391,4/NL,B,405(408),4/NL,C,416,4), woran sich erkennen lässt, dass Hagen die Stellung eines Dienstmanns innehat. Auch an der Anrede von Gunther und Kriemhild wird das noch einmal deutlich. So spricht er Kriemhild mit „liebiu vrouwe“ (NL,A,838,2/NL,B,892(895),2/NL,C,902,2) an. Die Unterredung, die Hagen mit Brünhild bei ihrer Ankunft in Island führt, unterstreicht das noch einmal. So sagt Brünhild zu Hagen: „ Ist er dîn hêrre, und bistû sîn man“ (NL,A,402,1/NL,B,421(424),1/NL,C,432,1), Hagen bejaht das, indem er antwortet: „Gunthêr mîn herre“(NL,A,403,3/NL,B,422(425),3/NL,C,433,3). Es wird also klargestellt, dass Hagen, auch wenn er mit dem König verwandt ist, ein Vasall und somit Gefolgsmann Gunthers ist, allerdings ein Gefolgsmann mit Macht und Einfluss. Sowohl Gunther und seine Brüder als auch Kriemhild und Siegfried vertrauen ihm und folgen seinem Rat. Schon bei Hagens erstem Auftritt wird klar, dass Hagen offenbar einer der Gebildetsten am Hof ist. Als Siegfried nach Worms an den Hof kommt, fragt sich jeder danach, wer er wohl sein mag. Hagens Neffe Ortwin weiß Rat: „Sît wir ihr niht erkennen, nû sult ir heizen gân/nâch mînem œheim Hagenen, den sult ir si sehen lân./Dem sint kunt diu rîche und ouch die vremden lant“ (NL,A,82f./NL,B,79(81),3f./ NL,C,81,3f.) Hagen wird also gerufen, wenn sonst niemand mehr weiter weiß. Tatsächlich kennt und erkennt Hagen als einziger Siegfried, und er weiß sogar von Siegfrieds Heldentat, den Drachen zu töten. Woher er diese Auskunft hat, ist nicht bekannt, ein vorheriges Aufeinandertreffen von Siegfried und Hagen findet nicht statt. Dass er Siegfried trotzdem erkennt, unterstreicht das Wissen Hagens und seine geradezu hellsichtigen Fähigkeiten. Hagen wird also gerufen wenn sonst niemand mehr weiter weiß. Er kennt alle Reiche und fremden Länder und er gibt bereitwillig Auskunft. Hagens wichtige Rolle als Ratgeber des Königs sollte daher nicht unterschätzt werden. Peter Wapnewski beschreibt das Verhältnis zwischen Hagen und Gunther mit folgenden Worten sehr treffend:
„Seinem Herren unverbrüchlich ergeben, aber nicht untergeben. […] Die Bindung ist vollzogen durch eigenen Willen.“ (Wapnewski 1987,S.4f.). Bis zu Siegfrieds Ermordung ist Hagens Beziehung zur Königsfamilie von freundschaftlicher Art. Gunther und Kriemhild schätzen ihn sehr und sprechen von ihm als „friunt her Hagene “ (NL,A,497/NL,B,527,3) in Fassung C sind die ersten beiden Sätze der Strophe 538 gleich, allerdings kommt hier in Strophe drei das Wort „friunt“ nicht vor. „wande wir in disen ziten ander niemen han“, heißt es stattdessen. „Vil lieber vriunt Hagene“ (NL,A,836,1/NL,B,890(893),1/NL,C,900,1), nennt ihn Kriemhild. Hagen ist außerdem ein wichtiger Staatsmann und ein begabter Heerführer.
Hagens Aussehen wird am Anfang des Lieds bei seinen ersten Auftritten nicht erwähnt, da es für seine Persönlichkeit anscheinend keine große Rolle spielt. Es ist außerdem nicht weiter verwunderlich, da das Aussehen der Männer meistens nicht thematisiert wird. Bei den weiblichen Protagonisten verhält es sich anders, zumindest bei Kriemhild wird als erstes erwähnt, dass sie schön ist. Im weiteren Verlauf des Epos findet allerdings auch Hagens Aussehehen Erwähnung, wenn auch an wenigen Stellen. Dabei sticht vor allem eines hervor: Hagen sieht furchterregend aus. Hagens Aussehen wird als erstes in der Aventiure sieben erwähnt, als Gunther, Siegfried und er Brünhild vorgestellt werden.
Der dritte der gesellen, der ist sô griulîch und doch mit schœnem lîbe, küneginne rîch von swinden sînem blicken, der er sô vil getuot.
Er ist in sînen sinnen, ich wæne, grimme gemuot. (NL,B,411(414),1-4/NL,C,422, 1-4)
In Fassung A fehlt diese Strophe über Hagens Aussehen. In Fassung C heißt es statt „griulîch“ „gremlich“. Wobei „gremlich“ von „gram“ abgeleitet wird, was im Mittelhochdeutschen nichts anderes als Unmut oder Zorn bedeutet. (Lexer 1992,S.84) „Griulîch“ hingegen wird mit Schrecken oder Grauen erregend, grausig oder gräulich übersetzt. (Lexer 1992,S.85) In jedem Fall ist es kein positiv konnotiertes Adjektiv. Dass mit „zornig“ oder „Grauen erregend“ Hagens Mimik gemeint ist und es nicht bedeutet, dass Hagens gesamtes Aussehen grausig ist, zeigt sich in der Zeile zwei, in der es heißt „ und trotzdem hat er einen schönen Leib“. Diese Bemerkung ist eine der wenigen positiven Bemerkungen, die über Hagens Aussehen gemacht werden. Hagen ist also durchaus ansehnlich, aber auch überaus furchterregend, so dass seine beängstigende Seite überwiegt. Strophe vier bezieht sich auf sein Wesen. Hagen hat ein „grimme gemuot“, was laut dem Lexer mit unfreundlich, zornig, wild, schrecklich oder schmerzlich übersetzt wird. (Lexer 1992,S.85) Zumindest nach der Ansicht einer von Brünhilds Vasallen. Weitere Äußerungen, die sich auf Hagens Aussehen beziehen sind „er dûhte si sô vorhtlîch“ (NL,A,1604,4/NL,B,1662(1665),4/NL,C,1704,4), „er ist ein grimmer man“ (NL,A,1691,3/NL,B,1750(1753),3/NL,C,1794,3) und der „grimme Hagene“ (NL,A,934,1/NL,B,990(993),1/NL,C,1002,1). Wobei sich die letzten beiden Bezeichnungen sowohl auf sein Äußeres, als auch auf sein Wesen beziehen könnten. Dem Betrachter des Textes wird in jedem Fall das Bild eines düsteren und gefährlichen Mannes vermittelt. Damit steht er im Gegensatz zum strahlenden Helden Siegfried. Eine Textstelle beschreibt Hagens Äußeres genauer:
Der helt was wol gewahsen, daz ist als wâr. grôz was er zen brusten, gemischet was sîn hâr mit einer grîsen varwe. diu bein wâren im lanc und eîslich sîn gesihene. er hete hêrlîchen ganc. (NL,A, 1762,1-4/NL,B,1731(1734),1- 4/NL,C,1774,1-4 )
Diese ausführliche Beschreibung des Erzählers vermittelt einen besseren Eindruck von Hagen: Offensichtlich ist er wohl gewachsen, also wahrscheinlich groß und kräftig. Was im nächsten Satz noch einmal verstärkt wird. Außerdem ist Hagen nicht mehr ganz jung, da er bereits einige graue Strähnen im Haar hat. Auch hier wird wieder sein furchteinflößender Blick betont, den er aus seinem einen Auge wirft. (vgl. Ehrismann 1989,S.91)
In Island, auf der Festung Isenstein, zeigt Hagen, dessen Charakter allein schon durch seinen Gesichtsausdruck aggressiv erscheint, eine andere Seite seines Wesens. Er fragt Gunther „wâ nû, künec Gunthêr, wie verliese wir den lîp? der ir dâ gert ze minnen, diu ist des tiuvels wîp.“ (NL,A,417,3-4/NL,B,436(438),3-4/NL,C,447,3-4) In Fassung C wird statt „tiuvel“ „valandes“ verwendet. In der Bedeutung wirkt sich dieser Wortwechsel allerdings nicht aus. Ein „vâlant“ ist ein teufelsähnliches Wesen. (Lexer 1992,S.310) Hagen zeigt mit dieser Äußerung das erste Mal eine menschliche Regung und fürchtet um sein und Gunthers Leben. Ein bislang unbekannter Zug von Hagen. Ein paar Strophen vorher, klingt Hagen noch um einiges selbstbewusster. So sagt er zu Brünhilde:“ vrouwe, lât uns sehen/ iweriv spil div starchen./ ê daz iv mste iehen/ Gvnther min herre, da mvste iz herte sin.“ (NL,A,403,1- 3/NL,B,422(424),1-3/NL,C,433,1-3) Auch nach Gunthers bzw. Siegfrieds Sieg über Brünhild ist es Hagen, der die Konsequenzen fürchtet und sorgenvoll in die Zukunft blickt. „ daz wir sin verlorn?/so ist vns div magt edele/ ce grozzen sorgen geborn.“ (NL,A, 447,3-4/NL,B, 476(478),3-4/NL,C,489,3-4) Womit er auch recht behalten wird. Hagen zeigt hier also eine ängstliche, menschliche für ihn neue Seite an sich. Allerdings zeichnet er sich, nach wie vor, vorwiegend durch ritterliche Tugenden aus. Die ritterlichen Fähigkeiten Hagens werden im Nibelungenliede öfter erwähnt. So wird seine Stärke betont: „Do sprach der starche Hagne“ (NL, A, 120,1 /NL,B,119(121),1), in Fassung C Strophe 120 fehlt das Wort „starche“. Ebenfalls Erwähnung findet seine Schnelligkeit: „ Do sprach der snelle Hagene“ (NL,A,1120,1/NL,B,1177(1180),1/NL,C,1204,1), sein Mut: „ des frevte sich do Hagene, der degen chvme vnt balt.“ (NL,A,440,4/NL,B,466(468),4/NL,C,479,4) und seine Tapferkeit: „ so sprach der chune reche“ (NL,A,150,4/NL,B,149(152),4/NL,C,152,4). Auch seine Hilfsbereitschaft wird hervorgehoben: „von in wart michel dienest den edeln gesten getan.“ (NL,A,739,4/NL,B,793(797),4/NL,C,803,4)
Zusammenfassend kann man sagen, dass Hagen einige positive Eigenschaften hat, vor allem seine ritterlichen, kämpferischen Fähigkeiten und sein Wissen stechen positiv hervor. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist seine Treue zu Gunther. Zu seinen negativen Eigenschaften zählen sein Streben nach Macht und dass er wortwörtlich „über Leichen geht“, um seine Ziele zu erreichen. Gerd Backenköhler fasst es folgendermaßen zusammen:
Im ganzen ist die Zeichnung der Hagenbildes nirgends stärker differenziert und zugleich vereinheitlicht als im NL. Seine grimmige, düstere Wesensart, Tapferkeit und Entschlossenheit treten, verstärkt durch großenteils konsequent ausgeführten Ausmalungen des Details, aufs kräftigste hervor. (Backenköhler 1961,S.87)
Wie schon erwähnt, genießt Hagen hohes Ansehen am Hof von Worms und ist der Vertraute der königlichen Familie sowie die rechte Hand und der Berater von König Gunther. Als Berater ist es seine Aufgabe, für die Sicherheit der Königsfamilie und für einen Machtzuwachs zu sorgen. Nachdem Siegfried allen außer ihm unbekannt ist, sieht er es als seine Aufgabe an, ihn einzuschätzen und mögliche, durch ihn ausgehende Gefahren abzuwehren. Er kann Auskunft über Siegfrieds Heldentaten geben, was er in den Strophen 86- 101 Fassung A und C bzw. 84-99 auch tut. Der Inhalt der Fassungen ist hier gleich, es gibt allerdings ein paar Unterschiede in den einzelnen Strophen. In Fassung A und B wird Siegfrieds Schwert Balmung zwei Strophen später erwähnt als in Fassung C. Strophe 102 und 103 aus Fassung C, bzw. 100 und 101 in Fassung B, kommen in Fassung A nicht vor. Im Zuge der Auskunft Hagens stellt sich heraus, dass er fast alles über Siegfried weiß. Er weiß, dass Siegfried aus den Niederlanden kommt, er weiß ebenfalls, dass er im Besitz des Nibelungenhortes ist. Hagen ist ebenfalls in Kenntnis darüber, dass Siegfried mit dem Zwerg Alberich kämpfte, gewann und deswegen Alberichs Tarnkappe in seinen Besitz überging. Außerdem weiß Hagen, dass Siegfried einen Linddrachen erschlug, in seinem Blut badete und nun unverwundbar ist. Was Hagen nicht weiß, ist, dass Siegfried noch eine einzige verwundbare Stelle hat. Das erfährt er erst in Aventiure 15 durch Kriemhild. Nachdem Hagen Auskunft über Siegfried gegeben hat, rät er zur Vorsicht, aufgrund Siegfrieds großer Stärke.
„daz wie iht verdienen/dem sinen stachen haz/sin lip der ist so chune, man sol in holden han. (NL,A,102,2-3/NL,B,99(101),2-3 /NL,C,101,2-3)
In allen Szenen, in denen Rat oder eine Entscheidung gefragt ist, hat Hagen eine tragende Rolle. Er gibt Auskunft über Siegfried, er weiß, wie Gunther Brunhild besiegen kann, er schmiedet den Mordkomplott gegen Siegfried, er wird von Kriemhild gebeten, ihren Mann zu beschützen, nützt ihr Vertrauen aus und kann so schließlich auch den Mord begehen. Er warnt vor der Reise zu Etzels Hof und er weiß schließlich vor allen anderen, dass diese tödlich für ihn und die Burgunden, ab dem Zeitpunkt der Reise „Nibelungen“ genannt, enden wird.
Hagens Funktion als Berater ist nicht zu leugnen. Durch Siegfried erhält er in seiner Funktion als Berater allerdings Konkurrenz, denn auch Siegfried hat ein großes Wissen und wird von Gunther um Rat gefragt. So fragt Gunther Siegfried: „sagt mir, friwent Sivrit,/ ist iv daz behant,/ wer sint diese bvrge/vñ ŏ ch daz herliche lant?“(NL,A,372,3-4/NL,B,381(383),3- 4/NL,C,192, 3-4) Siegfried weiß die Antwort und gibt auch bereitwillig Auskunft: „ ez ist mir wol bechant,/ez ist Prvnhilde/livte vñ lant.“ (NL,A,1-2/NL,B,382(384),1-2/NL,C,393,1-2) Dass Siegfried hier Bescheid weiß, trifft Hagen vermutlich, da er laut seinem Neffen zwar alle Länder und Reiche kennt, Island ihm aber nicht bekannt ist. „daz het von Tronege Hagene/ ê vil selten bekannt. (NL,C,390,4) In Fassung A und B kommt dieser Vers nicht vor, dort heißt es stattdessen: „daz was niemen mere/wan Sifride bechant.(NL,A,371/4) oder, leicht abgewandelt: daz was ir deheinem/ niwan Sivride erchant.“ (NL,B,380(382),4) Siegfried rät Gunther außerdem dazu, der Königin Brünhild mit Umsicht gegenüber zu treten. „so mvzen wir mir sorgen/ for der kuniginne stan.“ (NL,A,374,4/NL,B,383(385),4/NL,C,394,4) Gunther wendet sich an noch einer Textstelle direkt an Siegfried und bittet ihn um Hilfe und um Rat: „wiltv mir helfen,/degen Sifrit,“ (NL,A,331,1/NL,B,330(332),1/NL,C,338,1) und: „Dv solt mir sagen, Sifrit“. (NL,A,347,1/NL,B,337(339),1/NL,C,347,1) Dadurch, dass Gunther Siegfried um Rat frägt, bekommt Hagen in seiner Rolle als Berater Konkurrenz. Auch Siegfried besitzt genug Wissen, um Gunther Auskunft geben zu können, auch Siegfried ist ein vortrefflicher Kämpfer, er wird außerdem bald in die Königsfamilie einheiraten und somit ein naher Verwandter des Königs werden und Gunther vertraut auf sein Urteil. Fürchtet Hagen daher um seine Stellung am Hof? Sieht er seine Einflussnahme auf den König durch Siegfried in Gefahr? Liegt hier die Motivation für Siegfrieds spätere Ermordung? Oder ist er „ein so kalter wie brutaler, von aller Not des Gewissens befreiter Machtpolitiker“, (Wapnewski 1993,S.66), dessen Ziele einzig und allein ein Machzuwachs der Burgunden und sein eigenes Ansehen am Hof zu erhöhen, sind? Oberflächlich gesehen verliert Hagen durch Siegfried an Bedeutung, aber Gunther bittet Siegfried auf Hagens Anraten, ihn nach Island zu begleiten. Es liegt also nicht allzu fern anzunehmen, dass Hagen versucht, Siegfried in Sicherheit zu wiegen, indem er ihm Vertrauen vorgaukelt, im insgeheimen aber schon plant, gegen ihn vorzugehen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Hagen Siegfried in seiner Nähe haben will, um überwachen zu können, was er tut und fürchtet, wenn Siegfried am Hof in Worms bleiben würde, könnte er in der Abwesenheit des Königs und sämtlicher seiner besten Recken versuchen, an eine Machtposition zu gelangen. Dass Siegfried angekündigt hat, wieder in seine Heimat zu reisen, spielt keine Rolle, denn Hagen misstraut Siegfried, was er schon bei dem Einzug Siegfrieds nach Worms klar macht, als er sagt: „man sol in holden han.“ (NL,A,102,3/NL,B,101(103),3/NL,C,101,3) Laut Ottfried Ehrismann, hat der Hörer hier zwei Bedeutungen zu erwägen: Entweder, man macht Siegfried zu seinem Freund, oder zu seinem Untertan. Ehrismann schließt daraus, dass Hagen Siegfrieds Kommendation betreibt. (vgl. Ehrismann 1989, S.101) Das Schicksal spielt Hagen dabei in die Hände, unverhofft ergeben sich mehrere Möglichkeiten, Siegfried an König Gunther zu binden.
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