Bachelorarbeit, 2021
55 Seiten, Note: 1,3
I Abbildungsverzeichnis
II Tabellenverzeichnis
III Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffserklärung und Abgrenzungen
3. Methodenkapitel
4. Gerechtigkeitstheorien
4.1 Gerechtigkeit als mathematisches Problem
4.1.1 Fairness nach größtmöglichem Nutzen
4.1.2 Rechte & Pflichten für größtmöglichen Nutzen
4.2 Gerechtigkeit durch kollektives Wohlergehen
4.2.1 Fairness nach kollektivem Wohlergehen
4.2.2 Rechte & Pflichten nach kollektivem Wohlergehen
4.3 Gerechtigkeit durch Befähigung
4.3.1 Fairness nach Befähigung
4.3.2 Rechte und Pflichten bei Befähigung
4.4 Gerechtigkeit durch legitime Ungleichheit
4.4.1 Fairness nach legitimer Ungleichheit
4.4.2 Rechte & Pflichten nach legitimer Ungleichheit
4.5 Gerechtigkeit durch Zugehörigkeit
4.5.1 Fairness nach Zugehörigkeit
4.5.2 Rechte & Pflichten bei Zugehörigkeit
5. Faire Verteilung des Covid-19 Impfstoffs
5.1 Trolley-Experiment in Bezug auf Covid-19 Impfstoffverteilung
5.2 Richtlinie für faire Verteilungskriterien
6. Fazit
IV Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Chancengleichheit
Abbildung 2: Equality and Equity
Abbildung 3: Ricardo Modell - Komparativer Kostenvorteil
Tabelle 1: Übersicht der Gruppierungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Entfernte Völker, Fremde, Ausländer und die zukünftigen Generationen leben in demselben moralischen Universum wie unsere eigenen Verwandten und Freunde. Im Gegensatz zum Recht kennt die Moral keine nationalen oder rassischen Grenzen.“
(Oruka, 2000, S. 15)
Forschung und Entwicklung oder mangelnder Zugang zu Bildung. Patient erster Klasse oder Prädisposition für lebensbedrohliche Krankheiten ab dem ersten Lebenstag. Die Welt ist ungleich. Ungleicher als sie Antonyme beschreiben können. Während auf der einen Seite der Weltkugel Enthaarungscremes für monatliche Behandlungskosten von 50 US-Dollar in Millionenhöhe beworben werden, befinden sich auf der anderen Seite der Weltkugel 500.000 Afrikaner1 in Lebensgefahr (Stich & Firmenich, 2001). Auch wieder ein Gegensatz, nur dass es dieses Mal einen grotesken Zusammenhang gibt: Jener Bestandteil der Kosmetika von Gilette mit zahlungskräftigen amerikanischen Kunden im Hintergrund ist der Wirkstoff, welcher in Afrika über Leben oder Tod entscheidet (ebd.). Was das deutsche Ärzteblatt als Die Karriere eines Medikaments bezeichnet, ist ein Paradebeispiel für die ungleiche medizinische Versorgung in der Welt. Umso wichtiger erscheint es, trotz Ungleichheit faire Verteilungskriterien zu etablieren. Auch wenn das obige Beispiel aus der Vergangenheit stammt und der weltweite Zugang zu Eflornithin, dem Medikament zur Behandlung der Schlafkrankheit, seit 2001 gesichert scheint, so haben faire Verteilungskriterien nicht zuletzt in Zeiten einer Pandemie hohe Relevanz.
In dieser Arbeit wird der Fokus folglich auf Gerechtigkeitspositionen gelegt und anhand dieser diskutiert, wie eine weltweite Impfstoffverteilung zur Bekämpfung der aktuellen Covid-19 Pandemie fair aufgebaut werden kann. Nach der Klärung und Abgrenzung für die Arbeit grundlegender Begrifflichkeiten wird kurz auf die Methodik der Arbeit eingegangen. Zur Legitimation der Arbeit werden zunächst philosophisch relevante Positionen zu Gerechtigkeit ausführlich dar- und gegenübergestellt. Auf dieser Basis sollen faire Verteilungskriterien diskutiert und formuliert werden. Durch diese Vorgehensweise soll die Beantwortung folgender zentraler Forschungsfrage sichergestellt werden:
Inwiefern können trotz global herrschender Ungleichheit Verteilungskriterien des Covid-19 Impfstoffs weltweit fair gestaltet werden?
Ziel der Arbeit ist es, trotz bestehender Ungleichheit in der Welt, bei der Impfstoffversorgung der Weltbevölkerung faire Verteilungskriterien als normative Rechtsansprüche zu formulieren. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass globale Ungleichheit kein unüberwindbares Hindernis bei der Schaffung von fairen Verteilungskriterien in der Medizin darstellt. Es soll nicht grundsätzlich ein Gleichgewicht der Welt herbeigesehnt, sondern viel eher die global herrschende Ungleichheit angenommen und unter Berücksichtigung ebendieser die Verteilungskriterien des Impfstoffs während der Covid-19 Pandemie verbessert werden. Ebenso wenig sollen neue Theorien entwickelt, sondern aus der Vielzahl bereits vorhandener philosophischer Ansätze geschöpft werden, was den spezifischen Forschungsstand substantiiert.
Als Grundlage für die Beantwortung der Forschungsfrage dient das altbekannte Trolley-Experiment. Durch die ostentative Anwendung dieses Gedankenexperiments auf jene philosophischen Positionen, die sich im Laufe der Arbeit zur Beantwortung der Ausgangsfrage als wesentlich herausstellen, soll die moralische Komponente – welche, wie später bewiesen wird, konsequent mit Fairness kohäriert – einbezogen werden.
Da zahlreiche Abwandlungen des Experiments existieren, wird zunächst das originale Trolley-Problem von Philippa Foot dargestellt – als Grundlage für die spätere Anwendung auf jene Gerechtigkeitstheorien.
- Der Fahrer eines Straßenbahnwagens [Trolley] steuert auf fünf Personen zu, die das Gleisstück reparieren. Die Straßenbahn muss anhalten, wenn die Personen nicht überfahren werden sollen. Die Bremse funktioniert jedoch nicht. Es gibt ein weiteres Gleis, welches nach rechts abbiegt. Das Abbiegen würde die fünf Gleisarbeiter retten. Auf dem rechten Weg befindet sich jedoch ein Gleisarbeiter. Dieser würde bei Abbiegen von der Straßenbahn getötet werden (Thomson, 2020).
- Ist eine Umlenkung des Straßenbahnwagens moralisch zulässig (ebd.)?
Bei dieser Frage geht es nicht um die Entscheidung für eine Spur, sondern um die moralische Legitimierung, ob eine Um- und somit Einlenkung des Wagenführers zulässig, also zumindest erlaubt wäre (ebd).
Philippa Foots Antwort auf diese konkrete Frage wird an geeigneter Stelle dieser Arbeit beantwortet. An dieser Stelle soll die offene Frage zur individuellen Auseinandersetzung mit Moral assistieren und keine mögliche Antwort auf die nachfolgenden philosophischen Grundannahmen aufoktroyieren.
Um ein gleiches Verständnis zentraler Begriffe dieser Arbeit zu ermöglichen, werden nachfolgend Termini in ihrer Bedeutung im Rahmen dieser Arbeit erläutert. Dies ist keine abschließende Begriffsbestimmung, da weitere zentrale Termini existieren, die von Philosophen verschieden interpretiert werden. Haben Begriffe eine individuelle Definition, die ausschlaggebend ist für das Verständnis einer Theorie, so werden diese im Zusammenhang mit ebendieser unter den Gerechtigkeitstheorien erläutert.
Globale Medizinische Verteilungskriterien
Da es Ziel dieser Arbeit ist, mögliche globale faire Verteilungskriterien für den Impfstoff in der jetzigen Pandemie zu erarbeiten, bezieht sich dieser Begriff einerseits zwar auf die Impfstoffe im Allgemeinen, andererseits – und das ist der wesentliche Punkt – auf grenzübergreifende, globale Kriterien. Dabei spielt es im Kern eine unwesentliche Rolle, ob es sich um Impfstoffe während einer Pandemie oder andere wichtige Medikamente wie beispielsweise das eingangs erwähnte Eflornithin handelt. Allerdings findet in dieser Arbeit die Betrachtung und Diskussion lediglich in Hinblick auf die aktuelle Pandemie statt und rechtfertigt keine globale Antwort auf Verteilungskriterien im Allgemeinen. Unter dem Begriff soll also die Priorisierung verstanden werden, die bei weltweiter Etablierung für eine faire Verteilung des Impfstoffs sorgen würde. Priorisierung deshalb, da von einem Mangel an Impfstoff ausgegangen wird, der aktuell in der Praxis besteht. Denn: Wäre genügend Impfstoff vorhanden, so wäre die Ausgangsfrage nach fairen Verteilungskriterien ohnehin obsolet.
Normative Rechtsansprüche
Die am Ende der Arbeit etablierten Rechtsansprüche sind normativer Natur. Damit diese im Gegensatz zur Jurisprudenz nicht an Gewicht verlieren und somit die Erkenntnisse dieser Arbeit möglicherweise als belanglos deklariert werden, ist es notwendig zu verdeutlichen, welche Geltung normative Rechtsansprüche haben. Nur so wird die Tragweite der Ergebnisse dieser Arbeit ersichtlich.
Der Begriff normativ ist eng verbunden mit Normen und Werten und bedeutet auch bewertend (Hilgendorf, 2010). Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen somit eine Möglichkeit zur Bewertung eröffnen. Entscheidungen zur Impfstoffverteilung können anhand der entwickelten Rechtsansprüche als gerecht oder nicht-gerecht eingeordnet werden. Somit gelten die am Ende ausgearbeiteten Rechtsansprüche nicht zuletzt auch als Verhaltenskodex für relevante Akteure. Wenn stark von diesen Rechtsansprüchen abgewichen wird, so gibt es demnach keine Legitimation, von gerechtem bzw. fairem Handeln zu reden. Die Subjektivität wird somit verringert und faire/gerechte Verteilungskriterien sind keine Frage mehr der Argumentation, sondern des Motivs. Akteure wie Politiker könnten sich nicht mehr auf Fairness/Gerechtigkeit berufen, wenn sie von diesen normativen Rechtsansprüchen stark abwichen. Schließlich bedeutet normativ auch „sich auf Normen beziehend“ (ebd. S. 59). Dies stellt den Zusammenhang zur Jurisprudenz her, die genau wie die Soziologie, auch eine normative Wissenschaft ist (ebd.).
Um den Ergebnissen dieser Arbeit die gebührende Bedeutung zu verleihen, kann unser Grundgesetz hinzugezogen werden: Denn nicht zuletzt zählt auch unsere Verfassung als normative Ordnung und unsere „Freiheit als normatives Prinzip“ (ebd. S. 60).
Impfstoff
Ist von Impfstoff die Rede, so sind alle zugelassenen Covid-19-Impfstoffe auf dem Welt-Markt gemeint. Eine Unterscheidung in verschiedene Wirkstoffe oder Hersteller ist für die Etablierung fairer Verteilungskriterien nicht zielführend und wird somit im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit als Legitimation der Fragestellung
Gerechtigkeit und Gleichheit müssen unterschieden werden. Zahlreiche allseits bekannte bildliche Darstellungen machen darauf aufmerksam. Sei es die Karikatur Hans Traxlers (1976) oder die bildliche Darstellung von equality (Gleichheit), equity (Fairness) und justice (Gerechtigkeit).
Anmerkung der Redaktion: Die Abbildung wurde von der Redaktion entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Chancengleichheit (Traxler, 1983, S. 25)
Anmerkung der Redaktion: Die Abbildung wurde von der Redaktion entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Equality and Equity (o.V., 2014, reddit.com)
Gleichheit kann demnach mit dem Zugang zu gleichen Mitteln beschrieben werden. Dieser kann jedoch unfair und ungerecht sein, sofern nicht dieselben Ausgangsbedingungen oder Bedürfnisse gegeben sind.
In dieser Arbeit sollen demnach nicht gleiche Verteilungskriterien etabliert werden, da diese auf globaler Ebene ungerecht und unfair wären, denn es sind nicht dieselben Ausgangsbedingungen gegeben. Konkret: Es gibt arme und reiche Länder, was sich auf die Bereitstellung der Impfstoffmengen auswirkt. Auf den ersten Blick mögen die Bedürfnisse vielleicht international gleich sein, dies hängt jedoch von der Interpretation ab: Anhand der Auslastung bzw. der Kapazität der Gesundheitssysteme oder auch soziologischer und ökonomischer Aspekte, wie dichte Besiedelung, mangelnde finanzielle Unterstützung bei Arbeitsausfall etc., kann begründet werden, dass der Bedarf an Impfstoff in manchen Ländern höher ist. Allerdings können die genannten Aspekte auch als Ausgangsbedingung gezählt werden. Da beide Begriffe (Ausgangsbedingungen und Bedürfnisse) Teil der Definition von Gleichheit sind, ist eine Unterscheidung jedoch nicht nötig.
Fairness hingegen beschreibt die benötigte, womöglich individuell angepasste Unterstützung, die wiederum ungleich aber nicht ungerecht ausfallen darf.
Die am Ende der Arbeit erarbeiteten fairen Verteilungskriterien werden demnach möglicherweise für die Länder der Welt verschieden ausfallen, was sie nicht in ihrer Gerechtigkeit einschränkt.
Gerechtigkeit bedeutet schließlich die Berücksichtigung aller potentiell unfairen Bedingungen, sodass zu keinem Zeitpunkt eine Unterstützung von Personengruppen nötig ist, weil alle Bedürfnisse im Allgemeinen berücksichtigt sind.
Wenn Gerechtigkeit nun noch mehr wert ist, also eine noch höhere Stellung als Fairness hat, warum sollen in dieser Arbeit dann faire und nicht gerechte Verteilungskriterien etabliert werden? Ausschlaggebend dafür ist die bewusste Eingrenzung unter Punkt 1, dass nicht grundsätzlich ein Gleichgewicht der Welt etabliert werden kann, sondern die existierende Ungleichheit zwangsläufig angenommen wird. Um gerechte (nicht faire) Verteilungskriterien zu etablieren, müssten nach dieser Definition von Gerechtigkeit alle unfairen Bedingungen berücksichtigt werden, was bei der Annahme einer ungleichen Welt eben nicht möglich ist.
Rechte, Pflichten und Verantwortung
Der Begriff Pflicht ist in der Moralphilosophie immer zusammen mit dem Begriff Rechte verbunden und dient als Basis für die Etablierung normativer Rechte (Neuhäuser & Buddeberg, 2015). Da es in dieser Arbeit u.a. um das Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten geht, wird sich dieser Einordnung bedient. Es wird davon ausgegangen, dass „Rechte [existieren], wenn jemand anderes entsprechende Pflichten besitzt.“ (ebd. S.52). Pflichten sind also Handlungen, die wichtig sind, um „den Rechten anderer gerecht zu werden und sich nicht einer Pflichtenverletzung schuldig zu machen.“ (ebd.). Entsprechend gilt, dass auch nur jene Rechte bestehen, wo auf der anderen Seite Pflichten entstehen (ebd.). Ansonsten gibt es keinen Anspruch auf das Recht.
Im Alltag besteht zwischen dem Begriff Pflicht und dem Begriff Verantwortung oft kein wesentlicher Unterschied im Sprachgebrauch. In dieser Arbeit wird Pflicht jedoch nicht synonym für Verantwortung genutzt. Gerechtfertigt wird dies dadurch, dass in der Moralphilosophie lange der Begriff Verantwortung inexistent war (ebd.). Außerdem wird der Begriff Verantwortung wesentlich weicher gefasst, als der der Pflicht (ebd.). In der Wirtschaft wird z.B. im Rahmen von corporate social responsibility (CSR) von Verantwortung und nicht von Pflichten gesprochen, was einen deutlich größeren Handlungsspielraum ermöglicht (ebd.).
In dieser Arbeit wird sich primär auf die Begriffe Rechte und Pflichten gestützt. Nur in Ausnahmefällen wird der Begriff Verantwortung hinzugezogen, wenn die anderen beiden Begriffe für eine Einordnung nicht ausreichen.
Fairness und Moral
Der im Rahmen des Trolley-Experiments bereits angesprochene Zusammenhang zwischen Fairness und Moral soll zur Legitimation der Anwendung ebendieses Experiments hier kurz erläutert werden. Der unabhängigen Bundeszentrale für politische Bildung nach ist Moral wie folgt definiert:
„Als Moral werden die Werte und Regeln bezeichnet, die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind. Wenn man sagt, jemand hat „moralisch“ gehandelt, ist damit gemeint, dass er sich so verhalten hat, wie es die Menschen richtig und gut finden.“ (Schneider & Toyka-Seid, 2021, bpb.de).
Fairness wird von allen Individuen angestrebt, ein jeder möchte selbst fair behandelt werden. Doch nur wenn auch jedes Individuum moralisch, also richtig und gut, handelt, wird auch das Gegenüber fair behandelt. Diese Wechselwirkung zeigt die Notwendigkeit der gemeinsamen Betrachtung beider Begriffe, denn sie bedingen einander. Durch die Anwendung des Trolley- Experiments wird die interferierende Betrachtung von Moral und Fairness gewährleistet.
Um die Vorgehensweise und Recherche dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Validität bewerten zu können, wird nachfolgend auf die Methodik eingegangen. Somit soll bewiesen werden, dass die Herangehensweise wissenschaftlichen Kriterien entspricht und geeignet für die Beantwortung der Ausgangsfrage ist.
Da es sich nicht um eine empirische Arbeit handelt, wird anstelle einer Hypothese, die veri- oder falsifiziert werden müsste, bewusst eine Annahme formuliert (o.V., 2021, empirio.de). Die Annahme, dass globale Ungleichheit keinen unüberwindbaren status quo bei der Schaffung von fairen Verteilungskriterien in der Medizin darstellt, wird im Gegensatz zu einer Hypothese eben nicht empirisch überprüft, sondern lediglich als Rahmen der Arbeit abgehandelt (ebd.).
Durch die Diskussion vom Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten, anhand der ausgewählten philosophischen Positionen und dem Bezug zu Fairness, sollen normative Rechtsansprüche formuliert werden. Wo Rechte – z.B. auf Versorgung aus Sicht von Entwicklungsländern – auf einer Seite bestehen, bestehen häufig (nicht immer) Pflichten – z.B. zur Versorgung vonseiten der Pharmaindustrie oder EU-Politik) – auf der anderen Seite. Es soll beantwortet werden, ob trotz globaler Ungleichheit eine faire Verteilung von Medizin weltweit möglich ist. Fairness wird hierbei gemessen an den diskutierten philosophischen Positionen. Dies wird erreicht, indem aufgezeigt wird, welche Definition von Fairness jeweils existiert, welche normativen Rechtsansprüche mit welchen Pflichten korrespondieren und vor allem, was aus dieser Korrespondenz für die Verteilung in der Praxis folgen soll.
Zur Gewährleistung der Objektivität und Einordnung der Ergebnisse durch den Leser sind die Begriffsdefinitionen unter Punkt 2 unerlässlich. Diese dienen nicht nur zur Legitimation der Begriffsnutzung, sondern veranschaulichen den Wert der Ergebnisse dieser Arbeit. Die Festlegung und Abgrenzung der Begriffe dient einem einheitlichen Verständnis der Begriffe für jeden Leser. Außerdem ermöglicht das Begriffskapitel – in Zusammenhang mit den Gerechtigkeitstheorien – eine Auseinandersetzung mit der Arbeit ohne thematische Vorkenntnisse.
Um die zentrale Fragestellung zu beantworten, hat sich eine reine, deskriptive Literaturarbeit als geeignet herausgestellt, dabei wird deduktiv vorgegangen. Dafür werden die für die Fragestellung relevanten Gerechtigkeitstheorien als Forschungsstand (im Sinne einer Forschungstradition) dargestellt. Der Fokus liegt jeweils auf den philosophischen Positionen (nicht auf den Autoren, der Klassifizierung oder der Chronologie). Es werden explizit nicht alle Philosophen zum Thema Gerechtigkeit erwähnt, da sich auf für das Thema relevante Positionen beschränkt wird und ggf. übereinstimmende Positionen in Bezug auf faire Verteilungskriterien nicht zweifach dargestellt werden.
Als zentraler Bezug wurde für die Gerechtigkeitstheorien primär das Werk Das Gute und das Gerechte von Jan Rommerskirchen gewählt. Diese Auswahl wurde aus verschiedenen Gründen bewusst getroffen:
1) Die ausschließliche Nutzung von Primärliteratur der jeweiligen Philosophen hätte keinen immanenten Zusammenhang mit Gerechtigkeit bzw. Fairness zugelassen. Durch Rommerskirchen kann ein Vergleich in denselben Aspekten vereinfacht werden, sodass eine inhärente Argumentation ermöglicht wird. Nur in jenen Fällen, in denen das Sekundärwerk ungenügend Material bietet, wird auf die Primärliteratur ausgewichen. Primärliteratur wird auch genutzt, um weiterführende Gedanken zu recherchieren oder Zitate zu nutzen. Dies trägt zu einer neutralen und objektiven Wiedergabe bei.
2) Außerdem wurde das Werk von Rommerskirchen ausgewählt, da die genutzte 2.Auflage aktuell ist, aber dennoch vor Ausbruch der Covid-19 Pandemie veröffentlicht wurde. Dies ist zielführend, damit nicht jene Autoren, die sich in Bezug auf die Pandemie äußern mehr Relevanz bekommen als verstorbene Philosophen. Des Weiteren kann somit der Bezug zu Covid-19 Impfstoffverteilungen für alle Positionen selbstständig und unabhängig vom Zeitalter der Positionen hergestellt werden.
3) Letztlich werden durch Rommerskirchen auch Philosophen gegenseitig zitiert, was auch in dieser Arbeit als Stilmittel in wenigen Fällen genutzt wird. Denn durch die bewusste Anwendung, wird der Zusammenhang zweier Philosophen oder Positionen miteinander verdeutlicht. Durch den Quellenverweis im Text wird dies kenntlich gemacht und ist transparent.
Innerhalb einer Gruppierung (einer übergeordneten „Position“ verschiedener Theorien2 ) wird am Ende jeweils der Zusammenhang zu Fairness in der Praxis erläutert, um die Verbindung zur aktuellen Situation bezüglich einer notwendigen Priorisierung herzustellen.
In einem weiteren Schritt wird auf das Verhältnis von Rechten und Pflichten – konkret für die jeweilige Gruppierung – eingegangen. Dies ermöglicht die sofortige Anwendung der Theorie auf die Praxis und dient zeitgleich zur Festigung der einzelnen Abschnitte.
Anschließend werden die Gruppierungen in einem nächsten Punkt zusammengeführt und auf das Trolley-Experiment angewandt, um den moralischen Faktor, also die allgemeine Anerkennung der Kriterien, miteinzubringen. Kurz in der Einleitung erklärt, dient das Trolley-Experiment dem Leser zur gedanklichen Auseinandersetzung. Neben den Gerechtigkeitstheorien in der Forschungstradition trägt das Trolley-Experiment als weiteres Instrument zur Einordnung und Bewertung der jeweiligen Gruppierungen und der Etablierung allgemein zustimmungsfähiger Kriterien für die Impfstoffverteilung bei. Für eine intersubjektiv nachvollziehbare Zusammenführung für die Anwendung auf die Etablierung fairer Verteilungskriterien, werden in einem ersten Schritt die Hauptmerkmale der diskutierten Theorien in Tabellenform dargestellt, um einen visuellen Vergleich prägnant zu ermöglichen. Dies zeigt Übereinstimmungen und Unstimmigkeiten relevanter Parameter untereinander. Für eine eindeutige Zuordnung werden die Parameter kurz paraphrasiert und entsprechend ihrer Gewichtung bzw. Häufigkeit eingeordnet. Unter Beachtung dieser relevanten Parameter kann schließlich das Trolley-Experiment angewandt werden und die Entscheidungsmöglichkeiten den jeweiligen Merkmalen zugeordnet werden. Die daraus resultierenden Fragen werden schließlich anhand der wiederum daraus erarbeiteten Richtlinie beantwortet. Wesentlich ist hierbei auch, mögliche Herausforderungen zu nennen und Möglichkeiten aufzuzeigen diesen Herausforderungen zu begegnen. Nur so hat die ausgearbeitete Richtlinie in der Praxis Bestand.
Schließlich wird im Fazit – neben den erarbeiteten normativen Rechtsansprüchen und einem Ausblick auf die Praxis – auch die offizielle Antwort auf das ursprüngliche Trolley-Experiment gegeben, um das Thema abzurunden.
Um einen Einblick in bisherige Definitionsansätze von Gerechtigkeit zu erlangen, werden nachfolgend Gerechtigkeitstheorien im Sinne einer Forschungstradition dargestellt. Dies soll kein Versuch zur vollständigen Darstellung aller Gerechtigkeitstheorien sein, sondern viel eher eine Verknüpfung jener Grundgedanken ermöglichen, die eine hohe Relevanz für die Etablierung weltweit gerechter Verteilungskriterien in der Medizin haben. Demnach gliedert sich die Einordnung weder chronologisch noch nach Vertretern, noch nach philosophischen Klassifizierungen. Um anschließend die Gruppierungen miteinander zu vergleichen, relevante zu eruieren und sie auf die Praxis – nicht zuletzt auf die eingangs erläuterten moralischen Prinzipien – anzuwenden und schließlich die Ausgangsfrage zu beantworten, erfolgt die nachfolgende Einordnung auf den grundlegenden implizierten Aussagen/Theorien maßgebender Philosophen. Hierbei ist hervorzuheben, dass es sich nicht ausschließlich um Philosophen handelt, sondern in gewissen Fällen auch um andere Theorien, wie beispielsweise ökonomische Modelle, die für die umfassende Erklärung und anschließende Anwendung essentiell sind.
Wie bereits erwähnt, wurde die Auswahl der Theorien auf Grundlage ihrer Relevanz für diese Arbeit getroffen. Folglich gibt es einige Philosophen, die einen Bezug zu Gerechtigkeit haben und trotzdem nicht erwähnt werden.
An erster Stelle ist dabei Immanuel Kant zu nennen. Als Vorreiter dient er vielen nachfolgenden Theorien als Grundlage. Seine Theorie ist zwar nicht identisch mit anderen Theorien, jedoch sind jene impliziten Aussagen bei der Anwendung auf Verteilungskriterien nahezu gleich zu manchen der nachfolgend erwähnten Theorien. Deshalb wäre eine Würdigung der Thesen Kants zwar interessant, jedoch überflüssig zur Beantwortung der Frage.
Aus demselben Grund ist auch Aristoteles, auf den die Diskussionen des Gerechtigkeitsverständnisses zurückgehen, hier hervorzuheben. Er hat erhebliche Grundlagen etabliert, weshalb sich viele Theorien auf ihn beziehen. Eine Erläuterung seiner weitgehenden Position würde demnach großen Raum einnehmen, wäre jedoch schließlich in der Anwendung hinsichtlich der Verteilungskriterien sehr ähnlich wie einige der nachfolgenden Theorien.
Auch Charles Taylor hat sich ausgiebig mit Gerechtigkeit befasst und für die Legitimation eines Staates, sowie für die Gemeinschaft in Demokratien. Dabei setzt er jedoch Gleichheit voraus, was keine saubere Anwendung auf die Ausgangsannahme erlaubt, die auf Ungleichheit basiert. Schließlich ist noch Jürgen Habermas zu nennen, der sich mit Fragen zu aktuellen Ereignissen ausgiebig befasst und diese u.a. hinsichtlich Moral prüft. Dabei bezieht er seine Überlegungen meist auf die Bereiche des Rechts, prüft ethische oder moralische Handlungen auf ihre rechtlichen Aspekte. Dieser Punkt ist wichtig und interessant, jedoch bei der Etablierung normativer Rechtsansprüche ein Aspekt, welcher in die falsche Richtung leitet. Aus diesem Grund musste auf Habermas in dieser Arbeit verzichtet werden.
Um den Zusammenhang der jeweiligen Gruppierungen (Oberkapitel 4.1 bis 4.5) mit dem Begriff der Fairness zu verdeutlichen, wird in den entsprechenden Unterkapiteln (4.1.1 bis 4.5.1) der Bezug zu Fairness in der Praxis diskutiert. Dabei wird konkret auf die Impfstoffverteilung eingegangen.
Selbige Vorgehensweise wird für die Diskussion von Rechten und Pflichten in Bezug auf die jeweiligen Gruppierungen angewandt. In den Unterkapiteln (4.1.2 bis 4.5.2) werden die Standpunkte in Bezug auf die daraus resultierenden Rechte und Pflichten hin diskutiert – natürlich im Rahmen der Verteilungskriterien, die nach den jeweiligen Gruppierungen als fair gelten.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen im Maskulinum gelten gleichermaßen und gleichbedeutend für alle Geschlechter.
2 Der Begriff Positionen bzw. Position wird dann genutzt, wenn es um eine einzelne Position oder mehrere bestimmte Positionen von Philosophen geht. Wenn es um die allgemeine Aussage aller Positionen unter einem Grundbegriff (dem Oberkapitel) geht, so wird der Begriff „Gruppierung“ genutzt. Ausschließlich bei Tabelle 1 wird aus Gründen der Einheitlichkeit durchgehend der Begriff „Gruppierung“ (auch für Rawls und Sandel als einzelne Positionen) genutzt. Dies wird legitimiert, da sie in der Gegenüberstellung zu anderen Gruppierungen auch als Gruppierungen angesehen werden können.
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