Bachelorarbeit, 2021
60 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Charakteristika im Unternehmertum
3 Unternehmerische Leidenschaft
3.1 Definition
3.2 Konzeptualisierung
3.3 Folgen
3.4 Stiftung von Identität
3.5 Negative Folgen
3.6 Vorstellung der Leitstudie
3.6.1 Studiendurchführung
3.6.2 Ergebnisse der Leitstudie
3.7 Unternehmertum und Kultur
4 Methodik
4.1 Forschungsdesign
4.2 Stichprobenauswahl
4.3 Analytisches Vorgehen
4.4 Auswertung
5 Ergebnisse
5.1 Zusammenfassung der Hauptergebnisse
5.2 Vergleich der Ergebnisse dieser Forschungsarbeit mit der Leitstudie
6 Diskussion
6.1 Zusammenfassung
6.2 Limitationen der Forschung
7 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Schematische Darstellung des methodischen Vorgehens (Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2: Vergleich der Ergebnisse dieser Forschungsarbeit mit der Leitstudie (Quelle: Eigene Darstellung)
Tabelle 1: Überblick zu den Ergebnissen aus der Studie (Cardon et al., 2017)
Tabelle 2: Überblick zu den Daten der Interviewpartner:innen
Tabelle 3: In der Leitstudie identifizierte Schlüsselsätze in Bezug auf die Quellen der Leidenschaften nach (Cardon et al., 2017)
Tabelle 4: Überblick zu den Ergebnissen dieser Forschungsarbeit
“Perhaps the most observed phenomenon of the entrepreneurial process is the passion of the entrepreneur. Passion is the enthusiasm, joy, and even zeal that come from the energetic and unflagging pursuit of a worthy, challenging, and uplifting purpose.”
(Smilor, 1997, S. 342)
Persönlichkeitsmerkmale, organisatorische Faktoren und Umweltfaktoren wurden von Entrepreneurship-Forschern als Gründe für das Meistern von Herausforderungen im Unternehmertum und den generellen Erfolg von Neugründungen untersucht. Die Ausprägungen von Leidenschaften der Unternehmer:innen nehmen dabei eine entscheidende Rolle ein. Etwa konnten Drnovsek et al. (2016) zeigen, dass es positive Effekte von Leidenschaften auf das Wachstum eines Unternehmens gibt. Unternehmerische Leidenschaft fördert darüber hinaus kreative Problemlösungen, das Erkennen von Chancen, sowie die Innovationskraft (Cardon et al., 2009).
Wenngleich die Wichtigkeit des Themas Leidenschaft in der Literatur immer wieder hervorgehoben wird, fokussieren sich Forscher:innen fast durchgängig auf die Untersuchungen von Leidenschaften für Aktivitäten, wie etwa Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Erfinden oder dem Entwickeln. Denkbar ist jedoch, dass neben der Leidenschaft für Aktivitäten noch viele weitere spezifische Leidenschaften im Unternehmertum existieren. Der einseitige Fokus vergangener Forschungen birgt die Gefahr, dass Quellen der Leidenschaft von erfolgreichen Unternehmer:innen unentdeckt bleiben. Dieses Problem haben die Autoren Cardon et al. (2017) erkannt und in ihrer Studie einen breiteren Begriff von unternehmerischer Leidenschaft verwendet. Die Ergebnisse der Studie konnten bei US-amerikanischen Unternehmer:innen weitere Quellen der Leidenschaft, wie zum Beispiel die Leidenschaft für die Arbeit mit Menschen, identifizieren, die sich deutlich von den bereits entdeckten Leidenschaften unterscheiden.
Die Autoren thematisieren jedoch nicht die Tatsache, dass in der Studie ausschließlich Unternehmerinnen und Unternehmer in den USA befragt wurden. Eigenschaften und Verhaltensweisen, die typischerweise mit Unternehmer:innen in den Vereinigten Staaten assoziiert werden, lassen sich jedoch nicht uneingeschränkt auf andere Länder übertragen (Gupta & Fernandez, 2009). In der vorliegenden Arbeit werden daher unternehmerische Quellen der Leidenschaft über den US-amerikanischen Kontext hinaus untersucht. Konkret ist das Ziel dieser Forschung durch eine Replizierung der Studie von Cardon et al. (2017) zu ergründen, inwiefern sich Ausprägungen von Quellen der Leidenschaften von Unternehmer:innen finden lassen, wenn eine Befragung bei deutschen Unternehmer:innen durchgeführt wird. Daher soll in dieser Arbeit folgende Forschungsfrage untersucht werden:
Inwiefern lassen sich die in den USA entdeckten Quellen der unternehmerischen Leidenschaft auch bei deutschen mittelständischen Unternehmer:innen wiederfinden?
In den folgenden Kapiteln wird zunächst erläutert, welche Charakteristika typischerweise den Unternehmer:innen zugeschrieben werden, um ein grundlegendes Verständnis von Unternehmertum zu vermitteln. Darüber hinaus wird erklärt was Leidenschaft ist, was Leidenschaft tut und warum Leidenschaft für Unternehmer:innen eine wichtige Rolle spielt. Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand in Bezug auf die Entdeckung von Quellen der unternehmerischen Leidenschaft dargestellt. Im Anschluss daran werden Forschungen über die länderspezifischen Unterschiede in Bezug auf das Führen von Unternehmen vorgestellt. Im weiteren Verlauf werden die Forschungsmethode und das methodische Vorgehen dieser Forschungsarbeit erläutert. Ferner werden in den darauffolgenden Kapiteln die Ergebnisse dieser Untersuchung dargestellt und mit den Ergebnissen der Leitstudie verglichen. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und die Forschungsfrage beantwortet.
Um dem Umfang einer Bachelorarbeit gerecht zu werden, verzichtet diese Arbeit auf allzu detaillierte Beschreibungen. Stattdessen findet ein Verweis auf weiterführende Quellen statt. Im Sinne einer Konformität und guten Lesbarkeit wurden nahezu sämtliche englischen Begriffe, Ausführungen oder Zitate frei ins Deutsche übersetzt.
Um ein grundlegendes Verständnis über den Gegenstand der Untersuchungen dieser Arbeit gewährleisten zu können, soll zunächst das Profil einer Unternehmerin bzw. eines Unternehmers und dem damit einhergehenden Unternehmertum anhand der bestehenden Literatur vorgestellt werden.
Smilor (1997) vergleicht die Gründung des Unternehmens als eine Achterbahnfahrt: „Im Kern ist es ein Veränderungsprozess, der die aktuellen Marktbedingungen untergräbt, indem er etwas Neues oder etwas anderes als eine Reaktion auf die wahrgenommenen Bedürfnisse einführt“ (S.341). Unternehmer:innen benötigen die Fähigkeit mit Unerwartetem und Unbekanntem umzugehen. Für jene die Routine brauchen, die Sicherheit und eine Garantie suchen, für die wird laut Smilor der unternehmerische Prozess eine unangenehme Erfahrung. Es gilt daher eine Toleranz gegenüber Unklarheiten zu entwickeln, um einer emotionalen Belastung entgegenzuwirken. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil des unternehmerischen Prozesses. Eine große Anzahl der Forscher:innen verbinden mit der Gründung eines Unternehmens und der Arbeit als Unternehmer:in ein erhöhtes Maß an persönlichen, finanziellen und psychologischen Risiko. Es ist naheliegend, dass dem Konzept des Unternehmertums daher nebst der beschriebenen Toleranz für Unklarheiten auch eine gewisse Risikobereitschaft zugeschrieben werden (de Vries, 1977).
Begley & Boyd (1987) konnten diese Annahme empirisch untermauern und fanden heraus, dass Unternehmensgründer signifikant höhere Werte als Nicht-Gründer in Bezug auf die Risikobereitschaft und die Toleranz gegenüber Unklarheiten aufweisen.
Unternehmer:innen werden im Allgemeinen charakterisiert als Individuen, die nach interner Kontrolle streben. Interne Kontrolle beinhaltet den Glauben der Personen, dass sie einen deutlichen Einfluss auf den Verlauf ihres Lebens haben. Personen mit einer geringeren Ausprägung hinsichtlich interner Kontrolle fühlen sich demnach mehr von äußeren Kräften dominiert. Diese Kräfte werden dem Glück, Schicksal oder der Macht anderer zugeschrieben (Rotter, 1966). Andere Studien konnten zeigen, dass es vor allem die damit einhergehende Unabhängigkeit war, die Unternehmer:innen motivieren, neue Unternehmungen ins Leben zu rufen (Ahmed, 1985). Ferner nimmt die Eigenschaft Innovation einen wichtigen Platz in der Aufzählung von Merkmalen ein, die mit dem Unternehmertum verbunden werden. In diesem Zusammenhang postulierte Schumpeter (1969), dass Unternehmer:innen, Marktchancen vor allem durch technische sowie organisatorische Innovation nutzen können (Tiessen, 1997).
Im Allgemeinen werden Unternehmer:innen typischerweise mit einem hohen Maß an Energie in Verbindung gebracht, die sie sowohl in die Gründung von neuen Unternehmen als auch in das Management investieren (Begley & Boyd, 1987). Es lassen sich kaum Erklärungen für die genannten Eigenschaften finden, wie etwa die hohe Risikobereitschaft, das hohe Maß an Energie vieler Unternehmer:innen und die ungewöhnliche Intensität des Fokus auf unternehmerische Prozesse. Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtungen ist die Leidenschaft der Unternehmer:innen.
„Leidenschaft entsteht, wenn man die Freiheit und die Möglichkeit hat, seinen Traum zu verfolgen. Leidenschaft ist intrinsisch. Sie ist in jedem von uns verankert ... die Leidenschaft entsteht dann, wenn man die Freiheit und Möglichkeit hat, seinen Traum zu verfolgen“ (Smilor, 1997, S. 342).
Seinen Ursprung findet der Begriff Leidenschaft in den Schriften von griechischen und westlichen Philosophen. Aristoteles etwa verband Leidenschaft mit Lust und Schmerz und plädierte für ein angemessenes Maß an Leidenschaft. Ein mittleres Maß empfand Aristoteles in Bezug auf Leidenschaft als eine vernünftige Handlungsmaxime (Roberts, 1924 zitiert nach Cardon et al., 2009). Die Philosophen unterschieden sich in ihren Meinungen insofern, als dass es keine Einigung darüber gab, ob Leidenschaft die Vernunft stärkt, oder trübt (Cardon et al., 2009). Die psychologische Literatur im 21 Jahrhundert versteht Leidenschaft als Energie, die dem Individuum das Gefühl von Freude und Versprechen vermittelt. „Aufgaben, die gleichermaßen Hingabe und Selbstverwirklichung ermöglichen, erfüllen uns mit Begeisterung. Sie erzeugen Leidenschaft, die wiederum in Aktivität mündet und uns ein sinnerfülltes und glückliches Leben beschert. Wo sich Leidenschaft mit Talent verbindet, sind Höchstleistungen möglich“ (Lemper-Pychlau, 2015, S.212). Leidenschaft wird verglichen mit einem Hochgefühl, welches mit den anfallenden Aufgaben und Aktivitäten des unternehmerischen Schaffens verbunden wird (Cardon et al., 2009). Baum & Locke (2004) greifen den Begriff Liebe ebenfalls auf und konzeptualisieren unternehmerische Leidenschaft als die Liebe zur eigenen unternehmerischen Arbeit. Darüber hinaus wird Leidenschaft mit Stolz in Verbindung gebracht (Bierly et al., 2000).
In Bezug auf die Frage, was das Objekt der Leidenschaft sein kann, räumen Forschende ein, dass das Objekt der Leidenschaft eines Individuums auch eine andere Person oder gar ein abstraktes Konzept wie eine Idee, eine Ursache, oder ein Ziel sein kann (Vallerand, 2015). Cardon et al. (2005) postulieren, dass Unternehmer:innen sich selbst in Form von Zeit, Geld und Energie in ihre Unternehmungen investieren und daher neben einer Betrachtung des Individuums auch eine Berücksichtigung der Unternehmung stattfinden muss.
Cardon et al. (2009) kritisieren die Tatsache, dass unternehmerische Leidenschaft nicht systematisch untersucht wurde und die Forschungsarbeiten lückenhaft sind. Die aktuelle Literatur sei nicht in der Lage, das Objekt der unternehmerischen Leidenschaft trennscharf zu identifizieren. Untersuchungen der Autoren ergaben, dass die Literatur Unternehmungen, Gegebenheiten, Produkte Aufgaben oder auch ganz allgemein die eigene Arbeit umfasst. Die Zentralität von unternehmensbezogenen Objekten scheint bei der Konzeptualisierung von unternehmerischer Leidenschaft offensichtlich zu sein, aber es fehlen unterstützende theoretische Arbeiten. Das Urteil der Forschenden ist daher, dass keine Einigkeit darüber besteht, inwiefern eine Definition des Objekts der unternehmerischen Leidenschaft stattfindet. Die Forscher haben daher folgende Themen zusammengefasst, die übereinstimmend mit der Fachliteratur mit dem Begriff unternehmerischer Leidenschaft in Verbindung gebracht wird: „In all diesen Definitionen beinhaltet Leidenschaft immer Gefühle, die überwältigend und von Verlangen durchdrungen sind. Dieses Feuer des Verlangens wird in nahezu allen Schriften über unternehmerische Leidenschaft mit Begriffen wie Begeisterung, Eifer und intensive Sehnsucht bezeichnet“ (Cardon et al., 2009, S.515). Die Wissenschaftler:innen beschreiben Leidenschaft mit einem Gefühl, das hochintensiv und positiv ist, vergleichbar mit Aufregung und einem Hochgefühl, wie zum Beispiel Freude. Leidenschaft beinhaltet demnach keinen negativen Zustand. Wenngleich Stress ein intensiver Zustand ist, so ist Stress gleichzeitig auch ein negativer Zustand und wird daher als nicht kompatibel mit Leidenschaft angesehen. Auch ein Zustand, der nicht intensiv ist, wie zum Beispiel Müdigkeit gilt nicht als kompatibel mit unternehmerischer Leidenschaft.
Auch wenn viele der genannten Aspekte der unternehmerischen Leidenschaft darauf hindeuten, dass der Begriff eng mit Motivation zusammenhängt, ist es wichtig zu erwähnen, dass Leidenschaft dennoch ein eigenes Konstrukt einnimmt. Während Motivation ein breites Spektrum an psychologischen Kräften annimmt, bezieht sich Leidenschaft hingegen wie bereits beschrieben speziell auf die intensive und positive Neigung für das Unternehmertum (Murnieks et al., 2014). Aus diesen genannten Aspekten folgen laut Cardon et al. (2009) drei zentrale Einordnungen von unternehmerischer Leidenschaft:
1. Leidenschaft ist eine intensive positive Emotion
2. Die Leidenschaft ist in der Regel das Objekt unternehmerischer Aufgaben und Aktivitäten
3. Leidenschaft hat eine motivierende Wirkung, der die Unternehmer:innen dazu anregt, Hindernisse zu überwinden und motiviert zu bleiben
Um ein fundiertes Verständnis für das Thema Leidenschaft erlangen zu können und die Wichtigkeit von Leidenschaft im Unternehmertum anzuerkennen, ist es neben einer adäquaten Definition von Leidenschaft darüber hinaus wichtig zu verstehen, was Leidenschaft tut. Anknüpfend daran werden in dem kommenden Abschnitt die Folgen von unternehmerischer Leidenschaft dargestellt.
In der populären Presse haben erfolgreiche Unternehmer:innen, wie etwa Warren Buffet, die Macht der Leidenschaft betont: „In the world of business, the people who are most successful are those who are doing what they love” (Schwantes, 2018). Im Folgenden werden die Erkenntnisse von Wissenschaftler:innen dargelegt, die den Einfluss von unternehmerischer Leidenschaft beschreiben. Entrepreneure sind häufig darauf angewiesen, Investoren, Mitarbeiter und Großkunden zu gewinnen. Demnach müssen sie das unternehmerische Handeln vor Dritten erklären und verkaufen. Um die nötige Überzeugungsarbeit leisten zu können, ist Leidenschaft entscheidend. Studien zeigen, dass die Wahrnehmung von unternehmerischer Leidenschaft mögliche Kapitalgeber signifikant positiv beeinflussen (Murnieks et al., 2016). Diese Überzeugungskraft trifft auch auf andere wichtige Stakeholder zu, wie zum Beispiel Mitarbeiter, oder Geschäftspartner. Ferner koordiniert unternehmerische Leidenschaft zielgerichtete Kognitionen und Verhaltensweisen. Besagte Leidenschaft treibt kreative Problemlösungen an und fördert die Ausdauer in Bezug auf das Lösen von komplexen Aufgaben. Leidenschaft kann dabei helfen, entgegen allen Widrigkeiten weiterzumachen und schwierige Situationen zu überwinden. Dies wiederum fördert zudem das Erkennen von Chancen, erhöht die Innovationskraft und steigert die Chance von gegründeten Unternehmen auf Wachstum (Cardon et al., 2009). Vallerand et al. (2003) stellen fest, dass Leidenschaft ein starker Indikator dafür ist, wie motiviert Unternehmer:innen beim Aufbau eines Unternehmens ist, ob etwaige Ziele trotz Schwierigkeiten weiterverfolgt werden und wie gut er oder sie die Vision gegenüber aktuellen und zukünftigen Mitarbeiter:innen artikuliert und ob er, beziehungsweise sie in der Lage sein wird, Menschen beim Wachstum des Unternehmens zu beeinflussen, zu überzeugen und zu führen. Thomas & Mueller, (2000) definieren vier verschiedene Eigenschaften des unternehmerischen Profils: Innovationsfähigkeit, Risikobereitschaft, interne Kontrollüberzeugung und Energieniveau. Diese tauchen immer wieder in der Ökonomie, Psychologie, Soziologie, und der Entrepreneurship-Forschung auf und sind repräsentativ für die persönlichen Eigenschaften die notwendig sind, um die Aufgaben und Herausforderungen bei der Gründung neuer Unternehmen zu meistern. Baum & Locke, (2004) sehen in der unternehmerischen Leidenschaft die Liebe zur Arbeit. Cardon et al. (2005) behaupten, es sei die Liebe zum Unternehmen selbst. Andere Forscher verknüpfen unternehmerische Leidenschaft mit der Begeisterung für eine Aktivität und mit Menschen, die sie mögen (Vallerand et al., 2003).
Auf Basis dieser Erkenntnisse wird erkennbar, dass Leidenschaft das Verhalten steuern kann. Um ein breiteres Verständnis für dieses Thema zu erlangen, ist es über die Kenntnisnahme der Definition und den Auswirkungen von Leidenschaft hinaus wichtig, die Faktoren zu kennen die Leidenschaft stimuliert und wie sich Leidenschaft im Laufe des Unternehmertums entwickelt.
Die Gründung und das Führen eines Unternehmens ist ein dynamischer Prozess, in dem Unternehmer:innen wiederholt sowohl Erfolge als auch Rückschläge erleben. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass der Grad der unternehmerischen Leidenschaft von Unternehmen im Laufe der Zeit stabil bleibt (Lichtenstein et al., 2007). Demnach ist laut den Autoren zu berücksichtigen, dass unternehmerische Leidenschaft über die Zeit variieren kann. Dieser Ansicht schließen sich Cardon et al. (2012) an und schlagen vor, dass Daten über unternehmerische Leidenschaft zu mehreren Zeitpunkten erhoben werden sollten, um die Veränderungen von Leidenschaft im Verlauf einer Unternehmung sichtbar zu machen. Wenngleich ein Konsens über die generelle Veränderbarkeit von Leidenschaft über einen Zeitraum besteht, ist sich die Literatur in Bezug auf die Mechanismen der Veränderbarkeit von Leidenschaft nicht einig. Dies betrifft unter anderem die Kausalität von unternehmerischen Anstrengungen und Leidenschaft (Gielnik et al., 2015).
Wohingegen wie bereits beschrieben laut Cardon et al. (2009) unternehmerische Leidenschaft eine Eigenschaft ist, die Anstrengungen antreibt, stellen die Autoren Gielnik et al. 2015, S. 6) hingegen folgende Vermutung an: „Wir stellen die Hypothese auf, dass Veränderungen in der unternehmerischen Leidenschaft ein Ergebnis der unternehmerischen Anstrengung sind“. Die Autoren erweitern demnach bestehenden Theorien in der Entrepreneurship-Literatur durch die These, dass es eine zusätzliche kausale Richtung gibt. Um die Veränderungen von unternehmerischer Leidenschaft durch unternehmerische Anstrengung über einen längeren Zeitraum messbar zu machen, verwendeten die Autoren Messwiederholungen, um die Unterschiede innerhalb einer Person zu analysieren. Den Ergebnissen zufolge kann die unternehmerische Anstrengung die unternehmerische Leidenschaft voraussagen, sofern die Anstrengung aus einem freien Willen erfolgt. Darüber hinaus konnten die Autoren zeigen, dass Fortschritt und freie Entscheidung Mechanismen sind, die zu Veränderungen in der unternehmerischen Leidenschaft führen. Die Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Autoren lautet, dass unternehmerische Leidenschaft nicht nur unternehmerisches Verhalten antreibt, sondern dass es auch einen umgekehrten Effekt von unternehmerischer Anstrengung auf unternehmerische Leidenschaft geben kann (Gielnik et al., 2015). Die Studie zeigt somit weitere mögliche Gründe dafür auf, weshalb Unternehmer:innen auf unterschiedliche Art und Weise unternehmerische Leidenschaft erfahren und das sowohl Anstrengung als auch Leidenschaft über die Zeit variieren kann. Die Ergebnisse der Autoren stützt sich über die genannten Aspekte hinaus auch auf die Theorie der Selbstwahrnehmung. Viele Wissenschaftler:innen untersuchen unternehmerische Rollenidentitäten, um die Ausprägungen von unternehmerischer Leidenschaft erklären zu können (Cardon et al., 2009). Die Stiftung von Identität als Befeuerung von unternehmerischer Leidenschaft nimmt eine wichtige Rolle zum Verständnis des Themas ein und wird im Folgenden erläutert.
Forscher haben den Begriff „Identität“ definiert als verinnerlichte Erwartungen über jene Eigenschaften, die Individuen als zentral, unverwechselbar und dauerhaft sowie beständig halten und die sich zumindest teilweise in den von ihnen ausgeübten Rollen widerspiegeln. Die Identitätstheorie der Forscher besagt, dass die Frage nach dem eigenen Selbst das Handeln motiviert. Demnach wird das Selbstbild dadurch beeinflusst, inwiefern sich ein Individuum in Bezug auf seine sozialen und ökonomischen Bedingungen wahrnimmt. Identitäten sind für das Individuum hierarchisch organisiert. Infolgedessen entsteht eine Handlungsmotivation, um die Bedingungen zu eigenen Gunsten zu verbessern und in letzter Konsequenz das Selbstbild aus der subjektiven Wahrnehmung zu verbessern (Burke & Reitzes, 1991). Identitäten sind auch eine Quelle der Motivation für Handlungen. Die Identität hilft den Menschen darüber hinaus bei der Einordnung des Selbstbildes in Form von Rollenidentitäten, wie etwa: "Ich bin ein Erfinder" (Cardon et al., 2009).
Die Kausalität von Identität und Motivation stellt sich wie folgt dar: Individuen definieren sich über dieses Selbstbild und werden dadurch motiviert, diese Art von identitätsstiftendem Selbstbild aufrecht zu erhalten und zu bestätigen. Der Erfinder versucht, dem Selbstbild durch Aktivitäten und der Interaktion mit anderen Menschen seine Rolle des Erfinders zu entsprechen, dies spiegelt also seine Handlungsmotivation wider (Cardon, Wincent, et al., 2005). Aufbauend auf diesen Gedanken postulieren Vallerand et al. (2003), dass Aktivitäten mit der Zeit geschätzt werden und damit einhergehende intensive und positive Gefühle allmählich verinnerlicht und Teil der Identität werden. Die Zentralität für die Identität ist wichtig, denn je zentraler eine Aktivität für die Identität einer Person ist, desto stärker ist die affektive Erfahrung, die durch das Ausüben dieser bestimmten Aktivität hervorgerufen wird (Vallerand et al., 2003). Daraus folgt, dass mit der Zeit die Reaktion in Form von Gefühlen, Emotionen oder Stimmungen und die mit dem Ausüben einer Aktivität verbundene motivationale Funktion stärker werden. Anders gesagt erfährt der Erfinder, befeuert durch ein positives Selbstbild, bei dem Ausführen unternehmerischer Aktivitäten eine intensive und positive Emotion mit einer motivierenden Wirkung.
Mit Hinblick auf die bereits beschriebene Definition von Leidenschaft lässt sich feststellen, dass das Selbstbild einen entscheidenden Einfluss auf die Ausprägungen von unternehmerischer Leidenschaft hat.
Cardon et al. (2009) stellen in diesem Kontext zusammenfassend fest: „Unternehmerische Leidenschaft resultiert aus einem Engagement in Aktivitäten mit identitätsstiftender Bedeutung für den Unternehmer“ (S.515). Die Autoren schlagen drei Rollenidentitäten in Bezug auf unternehmerische Leidenschaft vor:
1. Die Erfinder-Identität, bei der die Leidenschaft des Unternehmers den Aktivitäten gilt, die mit der Identifizierung, Erfindung und Erkundung neuer Möglichkeiten verbunden sind Unternehmer:innen mit einer Erfinder-Identität hegen eine Leidenschaft für die Suche nach neuen Ideen, wie beispielsweise die Entwicklung neuer Produkte, Geschäftsmodelle, Technologien, Verfahren, oder Dienstleistungen.
2. Die Gründer-Identität, bei der die Leidenschaft des Unternehmers den Aktivitäten gilt, die mit der Gründung eines Unternehmens zur Kommerzialisierung und Nutzung von Möglichkeiten verbunden sind Unternehmer:innen mit einer Gründer-Identität sind leidenschaftlich für das Erarbeiten der notwendigen Ressourcen, um eine Gründung einer Firma zu ermöglichen. Dies kann unter anderem die Gewinnung von Mitarbeitern und finanziellen Kapital beinhalten.
3. Die Entwickler-Identität, bei der die Leidenschaft des Unternehmers den Aktivitäten gilt, die mit der Pflege, dem Wachstum und der Expansion des Unternehmens verbunden sind, sobald es gegründet wurde Unternehmer:innen mit einer Entwickler-Identität erleben Leidenschaft, wenn sie sich mit der Marktentwicklung, wie etwa die Gewinnung neuer Kunden, oder dem finanziellen Wachstum des Unternehmens beschäftigen.
In diesem Zusammenhang betonen die Autoren, dass Unternehmer:innen gleichermaßen für alle genannten Identitäten leidenschaftlich sein können. Wenngleich Rollenidentitäten eine wichtige Rolle spielen, sei abschließend angemerkt, dass die Autoren Cardon, Wincent, et al. (2005) herausfanden, dass Leidenschaft schwerer zu zerstreuen sein kann, als eine Rollenidentität. Angesichts von wiederholten negativen Rückmeldungen oder Rückschlägen können sich Identitäten langsam verschieben, wohingegen Leidenschaft ausdauernder und langlebiger sein kann. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig so, den Autoren zufolge ist die Beständigkeit von Leidenschaften auch von der Art und Weise, beziehungsweise der Quelle der Leidenschaft abhängig.
Wie dargelegt kann unternehmerische Leidenschaft dazu beitragen, die Wahrnehmung und das Verhalten von Unternehmer:innen zu koordinieren. Leidenschaft ist ein Antreiber, der das Feuer, die Innovationsfähigkeit, die Beharrlichkeit und letztendlich den Erfolg von Unternehmerinnen und Unternehmen positiv beeinflussen kann (Cardon et al., 2017). Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, dass unternehmerische Leidenschaft auch negative Effekte verursachen kann.
Anhand des Beispiels des im vorigen Abschnitt beschriebenen „Erfinders“ könnte dieser so leidenschaftlich für diese Rolle sein, dass die erfundenen Produkte nie auf den Markt gebracht werden, oder gar die Gründung des Unternehmens nie stattfindet (Cardon, Wincent, et al., 2005). Im Kontrast dazu könnte die Gründer- Identität Unternehmer:innen dazu bringen, das Unternehmen vorzeitig zu veräußern, da sie auf Basis ihrer Identität kein Interesse daran hegen, das volle Marktpotenzial eines Unternehmens auszuschöpfen, nachdem die Gründerphase abgeschlossen ist. Es ist möglich, dass Unternehmer:innen ihren Antreiber in Form von unternehmerischer Leidenschaft verlieren können, da sie im Verlauf der Unternehmensgeschichte, zum Beispiel wenn das Unternehmen wächst, aus ihren Rollenidentitäten gedrängt werden. Die positiven Affekte, die mit der Ausübung der Rollenidentität in Verbindung standen, sind nicht mehr verfügbar, der beschriebene Antreiber bleibt aus (Cardon et al., 2009).
Ferner verweisen die genannten Autoren auf die Behauptung von Shane & Venkataraman, (2000). Der Untersuchung zufolge wird die Entscheidung, unternehmerische Chancen zu nutzen durch die individuellen Unterschiede im Optimismus beeinflusst. Menschen, die ihre Chancen häufig nutzen, schätzen ihre Erfolgschancen höher ein, als sie tatsächlich sind. Wenn diese Menschen neue Unternehmen gründen, treten sie außerdem häufig in Branchen ein, in denen Größenvorteile eine wichtige Rolle spielen, und zwar in einer Größenordnung, die unter dem effizienten Mindestmaß liegt (Audretsch, 1991).
Es gibt viele Fälle von Unternehmer:innen, die von ihren Unternehmungen so besessen sind, dass sie das Wachstum des Unternehmens dadurch hemmen, oder an scheiternden Unternehmungen festhalten (Cardon et al., 2009).
Ein weiterer wichtiger Aspekt wird im Folgenden im Rahmen dieser Arbeit thematisiert. Im Hinblick auf die genannte Literatur zu unternehmerischer Leidenschaft konnte festgestellt werden, dass Forschende sich fast ausschließlich auf Leidenschaften für Aktivitäten konzentrieren. Dieser Fokus lässt die Möglichkeit außer Acht, dass sich Quellen der Leidenschaft jedoch auch über das bloße Ausüben von Aktivitäten hinaus manifestieren können (Cardon et al., 2017).
Im Folgenden Abschnitt wird die Leitstudie dieser Arbeit vorgestellt.
Um ein strukturiertes Leseerlebnis zu gewährleisten, sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die folgenden Ausführungen über die Leitstudie dieser Abschlussarbeit lediglich auf die Beweggründe, die Stichprobe und die Ergebnisse beziehen. Eine detaillierte Beschreibung des methodisch, -analytischen Vorgehens erfolgt im methodischen Teil dieser Arbeit.
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