Bachelorarbeit, 2020
35 Seiten, Note: 1,85
Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation
1.Einleitung
2. Forschungsstand zu politischen Bildern
3. Historischer Hintergrund der Republik Türkei
4. Selbstdarstellungen von Erdogan. Beispiele und Analysen
4.1 Der Behüter der nationalen Einheit
4.2 Der Mann des Volkes
4.3 Der Familienvater
4.4 Der Freund des Orients
4.5 Integration der Frauen
5. Die Relevanz von sozialen Netzwerken in der Bilderpolitik von Erdogan
6. Resümee
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anhang
[Anm. d. Red.: Der Anhang ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten]
Im Jahr 2001 gründete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (türkisch: Adalet ve Kalkinma Partisi: Abk.: AKP), in der er bis heute Vorsitzender ist. Seitdem haben seine politischen Erfolge zugenommen. So wurde er im Jahr 2003 erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt und im Jahr 2014 zum Staatspräsidenten erklärt (Vgl. Akyol 2018, S. 393-394).
Mit Erdogans Popularität wuchs auch seine Unbeliebtheit, sodass er auch zu den meist-diskutierten Politikern der Türkei gehört. Die Meinungen um ihn polarisierten insbesondere im Jahr 2017, in der eine Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems und die Abschaffung eines parlamentarisch-kontrollierenden Regierung erfolgte. An dem Vorhaben der Systemveränderung wurde kritisiert, dass die Gewaltenteilung zugunsten einer höheren Machtgewalt Erdogans eingeschränkt wird (Vgl. Ebd., S. 371- 372).
In dieser Zeit warb die AKP mit einer „Ja-Kampagne“ für das Referendum, die sich im Straßenbild und in den klassischen Medien bemerkbar machte. Plakate und Stoffbanner mit dem Abbild Erdogans durchzogen den öffentlichen Raum und auch im Fernsehen wurde Erdogans Wahlkampf live übertragen (Vgl. Ebd., S. 372). Dabei merken Kritiker wie Kristina Karasu an, dass die Medienlandschaft unter der Kontrolle der türkischen Regierung ist. Die Einschränkung der Pressefreiheit und die Führung von Medien durch regierungsnahe Unternehmen haben zum Stillschweigen von Oppositionellen und zu einer einseitigen Berichtserstattung geführt (Vgl. Karasu 2017, S. 63-66).
Nicht nur in den klassischen Medien, sondern auch in den sozialen Netzwerken wurde der Wahlkampf vorangetrieben. Interessant ist, dass sich durch den Medienwandel auch die politischen Wahlkämpfe verändert haben. Politiker können durch öffentlich zugängliche Seiten die Wähler anwerben und mobilisieren. Soziale Netzwerke sind damit für Politiker ein unerlässliches Mittel geworden, sich zu präsentieren. Zu einem der beliebtesten Online-Plattformen gehört Facebook. Neben Videos, Texte, dem Teilen und dem Kommentieren von Beiträgen spielen auch Bilder eine wichtige Rolle. Mithilfe von Sozialen Netzwerken lassen sich Bilder in kurzer Zeit weit verbreiten. Es handelt sich somit um Produkte einer Öffentlichkeitsarbeit, in der die Fotografien gezielt ausgewählt und eingesetzt werden. Dabei werden Politiker von persönlichen Fotografen bei ihrer Arbeit begleitet. Ein Beispiel hierfür ist der Fotograf des ehemaligen Präsidenten der USA Barack Obama, Pete Souza, der dessen Fotografien im Internet veröffentlichte und die Betrachter an seinem Leben teilhaben ließ (Vgl. Przyborski/ Haller 2014).
Medien beeinflussen und formen die Wahrnehmung und konstruieren eine bestimmte Realität. Die Auswahl und die Planung von fotografischen Bildern sind mit Entscheidungen verbunden, die den Blick des Betrachters steuern und eine bestimmte Bilddeutung nahelegen (Vgl. Eliders 2006, S. 182-183). Auch Politiker nutzen sie, um eine bestimmte Vorstellung von sich und ihrer Regierung zu vermitteln. Mit Bildern können sie sich sichtbar machen, Eigenschaften und Kompetenzen zeigen und somit eine Wirklichkeit von sich erzeugen. Die Vorstellung, die wir von Politikern haben, ist somit ein mediales Konstrukt. Hierbei muss erwähnt werden, dass Fotografien von Politikern bestimmten Konventionen folgen und gleiche Motive bei verschiedenen Politikerbildern wiederholt auftauchen (Vgl. Klemm 2011, S. 195). Visuelle Politik ergibt sich durch „ Rückgriffen auf ein kollektives Bildgedächtnis - auf vorgegebene Bilder, Bildmuster, -schemata, die den jeweiligen Akteuren "passend" erscheinen“ (Wenk 2005, S. 63).
Bisher gibt es keine Forschungen, die sich mit der Bilderpolitik von Erdogan auseinandergesetzt haben, obwohl dies angesichts der vielen Diskussionen über Erdogan und seiner Politik von Belangen wäre. Mit dieser Arbeit soll untersucht werden, wie und was der türkische Staatspräsident von sich zu sehen gibt, welchen Bildtraditionen und Konventionen er nachgeht und welche Rolle die sozialen Netzwerke in der Verbreitung seiner Bilder einnehmen. Die Forschungsfrage, die dieser Arbeit zugrunde liegt, lautet daher:
Wie nutzt Recep Tayyip Erdogan Bilder, um eine bestimmte Vorstellung von sich hervorzurufen und welchen Einfluss haben die sozialen Netzwerke in seiner Bilderpolitik?
Dazu werden die veröffentlichten Bilder auf der verifizierten Facebook-Seite von Erdogan zur Zeit des Verfassungsreferendums im Jahr 2017 betrachtet. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 10. Februar 2017 bis zum 17. April 2017
Wie bereits oben angeführt wurde, ist das kulturelle Bildgedächtnis und der Rückgriff auf vorhandene Bilder für visuelle Politik von Bedeutung. In der Türkei sind Bilder von Mustafa Kemal Atatürk, dem Staatsgründer der Türkei, allgegenwärtig. Das lässt vermuten, dass das kulturelle Bildgedächtnis der türkischen Bevölkerung über einen Politiker weitgehend von Atatürk geprägt ist. Ein Großteil Teil der Arbeit beschäftigt sich folglich mit dem Vergleich mit Atatürk. Um der Forschungsfrage nachgehen zu können, werden im ersten Teil dieser Arbeit Positionen zu (politischen) Bildern vorgestellt. Dafür wird das Bilderwissen aus verschiedenen Forschungsrichtungen herangezogen. Nachdem ein Rahmen für ein grundlegendes Bilderwissen geschaffen ist, wird im zweiten Teil auf das eigentliche Erkenntnisinteresse der Arbeit fokussiert. Anhand von sieben ausgesuchten Bilderbeispielen werden die Selbstdarstellungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan kritisch analysiert. Da für die Selbstdarstellungen Erdogans auch der Verwendungskontext der Bilder von Bedeutung ist, werden im dritten Teil die Möglichkeiten und (Aus-)Wirkungen vernetzter Medien betrachtet. Abschließend werden dann im Hinblick auf die Forschungsfrage die wichtigsten Ergebnisse zusammengetragen und ein Ausblick formuliert. An dieser Stelle sei hingewiesen, dass die Bildanalyse sich ausschließlich auf fotografische Bilder bezieht und somit der Begriff des Bildes und der Fotografie als synonym gebraucht werden.
Nachfolgend werden Positionen und Forschungen aus der Kunstgeschichte, den Studien zur visuellen Kultur und den Medienwissenschaften vorgestellt. Ausgehend davon soll erläutert werden, welche Aspekte in dieser Arbeit betrachtet werden und welchen Beitrag die vorliegende Forschungsarbeit leistet.
Die Bedeutung von Bildern
Dass die Bedeutung von Bildern nicht naturgegeben, sondern erst in einem kulturellen Kontext entsteht, betonen Sigrid Schade und Silke Wenk. Sie plädieren nämlich gegen „ die Vorstellung einer unmittelbaren Verständlichkeit von Bildern und dass diese unabhängig von kulturellen, subjektiven, historischen und anderen Kontexten immer das Gleiche bedeuten“ (Schade/ Wenk 2011, S. 8). Anhand von ikonologischen und zeichentheoretischen Perspektiven erläutern die Autoren, dass Bedeutungsproduktion durch Tradierungen erfolgt und sich zu Konventionen und Automatismen etablieren. Allerdings gehen sie nicht von einer unausweichlichen Tradierung aus, sondern betonen, dass Bedeutungen sich auch verändern oder durchbrochen werden können (Vgl. Ebd., S. 120-121).
Auch im Handbuch der politischen Ikonographie (Warnke/ Fleckner/ Ziegler 2011) wird aufgezeigt, wie bestimmte Motive und Themen immer wieder von der Antike bis zur Gegenwart verwendet oder einem Bedeutungswandel unterzogen wurden. Dabei wird verdeutlicht, dass Bilder schon seit Jahrhunderten für Herrscherdarstellungen und als eine Machttechnik benutzt wurden. Ein Beispiel ist die Abbildung von Herrschern auf Medaillen oder Münzen. Beim Einzug eines neuen Herrschers wurden Warnke zufolge Münzen verteilt, um das Bildnis des Herrschers unter der Bevölkerung zu verbreiten (Handbuch der politischen Ikonographie 2011, S. 175-176). In dem Werk beschäftigen sich die Autoren mit Bildbeispielen und führen eine verallgemeinernde Interpretation aus, die sich auch auf andere Bildbeispiele transferieren lässt. Daher wird für die Arbeit das Handbuch der politischen Ikonographie herangezogen, um die Einzelbilder in einen motivischen Kontext einordnen zu können.
Der Einsatz von Bildern als Machtinstrument wird auch in Linda Hentschels Aufsatz deutlich (Vgl. Hentschel 2008). Sie zeigt auf, wie Politiker und Regierungen Bilder als eine Technik nutzen, um zu regieren. Ihre Überlegungen lassen sich auch auf die Bilderpolitik Erdogans übertragen auf die detaillierter in der Bildanalyse eingegangen wird.
In diesem Zusammenhang kann auch herangeführt werden, dass der Blick in der Bedeutungsproduktion von Bildern relevant ist. Kaja Silverman spricht auch von einem Blickregime und verweist auf die Wirkungsmacht von kollektiven Blickweisen. In einem kollektiven Bildrepertoire seien bestimmte Darstellungsparameter eingespeist, an die sich Wahrnehmung richte. Sie bestimme, wie und was eine Gesellschaft sehe und dem Gesehenen Bedeutung zuspreche (Vgl. Silverman 1997, S. 58). Jemand, der erblickt werden möchte, muss folglich sich an die Darstellungsparametern des Blickregimes halten. Es ist erdenklich, dass Silvermans These sich auch auf die Politikerdarstellung übertragen lässt. Damit Politiker einem Idealbild gleichen, müssen sie sich nach spezifischen Darstellungsweisen ablichten.
Unterstützt kann dies mit der Arbeit von Michael Klemm. Dieser stellt dar, dass Politiker in ihrer Selbstdarstellung bewusst standardisierte Visualisierungen einsetzen, da sie Rezipienten Sicherheit vermitteln und ein Konsens verschaffen, wie Politik funktioniert. Diese durchgesetzten Darstellungen werden nach Klemm mit bestimmten Zuschreibungen verknüpft und seien zentral für das angestrebte Image des Politikers, sodass praktisch kein Politiker auf vertraute Bildstrategien verzichte (Vgl. Klemm 2011, S. 195).
Elke Grittmann erwähnt, dass in journalistischer Bildberichterstattung eine hochgradige Standardisierung bemerkbar sei und bestimmte Aufnahmen sich zu einer konventionalisierten Bildikonografie entwickelt haben. Das Bildrepertoire von Politikern sei durch eine ständige Wiederkehr von bestimmten Bildmotiven gekennzeichnet (Vgl. Grittmann 2012, S. 144).
Ebenfalls wird diese Ansicht von vielen Forschungen zur visuellen Wahlkampfberichterstattungen angeführt wie von Michael Sülflow und Frank Esser (Vgl. Sülflow/ Esser 2014). Auch Carl Glassmann und Keith Kenney ordnen Bildern von amerikanischen Politikern konventionalisierte Mythen zu, die sich auch auf Politiker anderer Staaten überführen lassen (Vgl. Glassmann/ Kenney 1994). Für die hier vorliegende Bildanalyse wird damit auch auf verschiedenen Forschungen zurückgegriffen, die sich mit Fotografien von Präsidentschaftswahlkämpfen auseinandersetzen. Darunter ist auch die Arbeit von Marion G. Müller zu nennen, die mehrere Wahlplakate und Werbespots amerikanischer Politiker analysiert hat und aufzeigt auf welchen Traditionen Bildstrategien beruhen (Vgl. Müller 1997).
Mit der Arbeit soll somit auch aufgedeckt werden, welche Darstellungskonvention bzw. welche Bildtraditionen in den Selbstdarstellungen des türkischen Präsidenten wiederzufinden sind.
Der Träger der Bilder
Marshall McLuhans Zitat „ Das Medium ist die Botschaft“ (McLuhan 1997, S. 112) verdeutlicht, dass nicht nur allein der Inhalt, sondern auch das Medium von Relevanz ist. Er beschreibt, dass die Medien die Lebensbereiche des Menschen unterwandern und den Menschen formen. So hat auch das Aufkommen von Massenmedien und des Internets die Sicht- und Wahrnehmbarkeit von Politikern verändert. Die in Massenmedien verbreiteten Bilder haben nach Simone Derix die Gedankenwelt der Gesellschaft über das Bild von Politik geprägt. Dabei haben sich sowohl Chancen als auch Risiken für Politikerdarstellungen ergeben und zu Veränderung der Politik geführt, die Derix anhand von verschiedenen Politikerbildern zeigt (Vgl. Derix 2013). Die Veränderung der Politikerdarstellung können mit Derixs Ausführungen in drei Punkten zusammengefasst werden-
Zum einen kam mit der Etablierung von Massenmedien die Gefahr auf, negativ dargestellt zu werden, sodass verschiedene Strategien verfolgt wurden, um die Kontrolle über das Bild zu bewahren. Die Arbeit wurde professionalisiert, indem Bild- und Medienexperten die Handlungsabläufe planten und Räume gestalteten. So wurden beispielsweise Fähnchen verteilt, jubelnde Menschengruppen positioniert oder Spruchtransparante aufgestellt. Auch kamen Versuche auf, Massenmedien und Medienvertreter zu kontrollieren, indem beispielweise mit Regeln festgesetzt wurde, was fotografiert werden durfte und was nicht. Weiterhin wurde die Anzahl der Bildjournalisten beschränkt, um die Möglichkeiten der Bildproduktion zu regulieren. Neben der Kontrolle kam es auch zu Kooperationen mit Medienvertretern, die in die politische Inszenierung eingebunden wurden (Vgl. Ebd. S, 181-182).
Der Druck, das gesamte Erscheinungsbild des politischen Akteurs in Szene zu setzen, wurde verstärkt. Nicht mehr die Stimme und die Redefähigkeit standen im Mittelpunkt der Wahrnehmung, sondern auch die Mimik, Gestik und der gesamte Körper. Infolge musste die gesamte Erscheinung des Politikerkörpers fernseh- und fototauglich gemacht und zugleich die Wirkung von Natürlichkeit und Authentizität beibehalten werden. Somit mussten Politiker permanent bereit sein in einem günstigen Licht abgebildet zu werden und ihre Performance unter Kontrolle zu halten (Vgl. Derix 2013, S. 180-181).
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