Bachelorarbeit, 2021
52 Seiten, Note: 1,0
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlage
2.1 Videospiele und ihre Geschäftsmodelle
2.2 In-Game-Käufe
2.3 Lootboxen
2.4 Erweiterungspacks mit zufälligen Inhalten
2.5 Echtes Glücksspiel und simuliertes Glücksspiel
2.6 Gambling Prozesse
2.7 Glücksspielsucht
3 Methodik
3.1 Ziel und Fragestellung
3.2 Methodenwahl
3.3 Fragebogenkonstruktion und Datenerhebung
4 Ergebnisse
4.1 Darstellung der Ergebnisse
4.2 Interpretation und Bewertung der Ergebnisse
5 Diskussion und Fazit
5.1 Beantwortung der Fragestellung
5.2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Die ersten Videospiele wurden vor über 70 Jahren vermarktet und bestanden damals nur aus primitiven Mechaniken und sehr begrenzten Möglichkeiten. Bis ins 21. Jahrhundert entwickelten sich diese jedoch zu einer der beliebtesten Freizeitgestaltungen, einem etwa 160 Mrd. Dollar schweren Markt und einer einflussreichen Industrie. Wie genau sich die Videospielkonzerne finanzieren, welche Geschäftsmodelle verwendet werden und wie sich Glücksspiel in dieser digitalen Welt wiederfinden lässt, völlig frei zugänglich, ohne USK Einstufung, soll in dieser Arbeit genauer beleuchtet werden. Darüber hinaus wird durch eine quantitative Umfrage (n = 214) untersucht, inwiefern eine Beziehung zwischen Videospielen und Glücksspielsucht besteht. Diese Arbeit soll die Frage, ob das Tätigen von In-Game-Käufen in Videospielen, deren Geschäftsmodell Gambling Prozesse enthält, zu einer Glücksspielsucht führen kann, beantworten und einen Ausblick auf mögliche Gegenmaßnahmen geben.
In diesem Kapitel soll die theoretische Grundlage dieser Arbeit dargestellt werden. Dazu wird wesentliche Literatur verwendet und Schlüsselbegriffe werden erklärt.
Im letzten Jahrzehnt nahm die Professionalisierung innerhalb des Videospielmarkts immer weiter zu, sodass dieser inzwischen zu einer neuen Freizeitindustrie angewachsen ist. Es verbreiteten sich immer mehr Genres auf allen möglichen Endgeräten wie anfangs Spielkonsolen oder Computer, bis heutzutage hin zu Smartphones und Tablets. Ein riesiger Absatzmarkt entwickelte sich und damit einhergehend entwickelten Videospielunternehmen verschiedenste Geschäftsmodelle, um ihren Gewinn möglichst effizient zu vermehren. Es wurden vielfältigere Methoden entwickelt, als nur ein Spiel zu einem festen Preis anzubieten, worin bereits jeglicher Inhalt mitinbegriffen ist. Auf dem Videospielmarkt im Jahre 2021 bieten sich Unternehmen weitaus mehr Möglichkeiten, um Umsatz zu generieren: Werbeeinnahmen, Abonnements, Zahlungen für virtuelle Gegenstände, egal ob kosmetisch oder mit spielerischem Vorteil, Erweiterungspacks und Ertrag durch Sammlung von Daten. Im Folgenden soll auf die bekanntesten und, für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Untersuchung relevantesten, Geschäftsmodelle auf dem Videospielmarkt eingegangen werden. Vorab sei jedoch angemerkt, dass durch die starke Diversität und Einzigartigkeit beinahe jedes Spiels, nur auf die typischen Merkmale eingegangen werden kann, welche sich im Einzelfall nicht exakt unterscheiden lassen können (Fiedler, Ante & Steinmetz, 2018).
Das älteste Geschäftsmodell auf dem Videospielmarkt ist das sogenannte „Flat Fee“-Modell. Hierbei wird eine einmalige Gebühr fällig, um das Spiel spielen zu können. Eine Erweiterung dessen ist das „Add-on“-Modell. Das sogenannte Add-on, auf Deutsch auch Erweiterungspack genannt, beinhaltet zusätzliche Inhalte für das bereits erworbene Flat Fee Spiel (Fiedler et al., 2018).
„Free2Play“-Spiele erfreuen sich einer großen Beliebtheit, sowohl bei Anbietenden als auch bei Verbrauchenden. Spiele wie „Fortnite“, „League of Legends“, „Candy Crush Saga“ und „Pokemon Go“ generierten laut dem Marktanalyse-Unternehmen SuperData im Jahr 2019 zusammengerechnet 6,2 Milliarden US-Dollar (Halley, 2020). Wie der Name bereits verrät, lässt sich ein Spiel der Kategorie „Free2Play“ kostenlos spielen. Das Unternehmen erwirtschaftet seinen Gewinn durch beispielsweise Sammeln von Daten, Schalten von Werbung oder freiwillige Zahlungen der Spielenden. Diese freiwilligen Zahlungen können zum Unterstützen der Entwickelnden und Produzierenden dienen, zum Erwerb eines werbefreien Spielerlebnisses, aber auch um virtuelle In-Game-Gegenstände (Items) zu kaufen. Hierbei haben die Items keinen Einfluss auf den Erfolg im Spiel, vielmehr dienen sie oft zu kosmetischen Zwecken, beispielsweise als Kostüm des spielbaren Avatars (Fiedler et al., 2018).
Manchmal wird in der Literatur eher der Begriff „Freemium“ oder „Freemium Games“ verwendet. Das Prinzip ist gleich: Das Basisspiel ist für die Konsumierenden kostenlos („Free“), zusätzlich lassen sich Premiuminhalte (-„mium“) durch zusätzliche Zahlungen freischalten. Der Begriff „Freemium“ lässt sich jedoch nicht allzu leicht abgrenzen, da dieser mittlerweile auch für Vollpreistitel mit zusätzlichen Kaufoptionen verwendet wird, obwohl das Basisspiel nicht „free“ ist. Bei „Freemium Games“ wird auch nicht darin unterschieden, ob die erworbenen Gegenstände einen Spielvorteil bringen können oder ausschließlich kosmetischen Zwecken dienen (Schwiddessen, 2018).
Einen Spielvorteil gegenüber anderen erkaufen - genau das bietet das Geschäftsmodell „Pay2Win“. Das Basisspiel kann kostenlos sein, und somit „Free2Play“, aber auch in die Kategorie „Flat Fee“ fallen, ist aufgrund dessen mit einer einmaligen Gebühr verbunden. Den Spielenden wird durch eine Kaufoption die Möglichkeit gegeben ihren Spielfortschritt zu beschleunigen oder ihren Spielerfolg zu erhöhen (Fiedler et al., 2018).
Unter dem Begriff In-Game-Käufe versteht man zunächst einmal alle Käufe, die innerhalb eines Spiels getätigt werden. Sie bilden einen Zukauf zum eigentlichen Produkt, welches bereits im Besitz des Spielenden ist. Darunter fallen virtuelle kosmetische Gegenstände: Veränderung des Spielcharakters, beispielsweise Kleidung, aber auch funktionelle Gegenstände wie Level- oder Erfahrungsboosts, Gegenstände für ein Zeitersparnis oder In- Game-Währung. Die Vielfalt, welche den Konsumierenden in den Shops der Videospiele geboten wird, ist entsprechend den zahlreichen Genres und Subgenres der Videospielindustrie, groß. In-Game-Käufe werden meist über ein spezielles Spielmenü abgewickelt und es wird mit echtem Geld bezahlt (Verbraucherzentrale.de, 2021). Diese In- Game-Käufe findet man nicht nur in „Pay2Win“ spielen, sondern in allen anderen Geschäftsmodellen, wie „Free2Play“- oder „Flat Fee“-Spielen oder in „Freemium Games“.
Besonders in den öffentlichen Medien wird eher weniger von In-Game-Käufen, sondern viel mehr von „Mikrotransaktionen“ gesprochen. Ob dieser Begriff für das zugrundeliegende Angebot treffend ist, wird in der Spielerschaft stark diskutiert. Unter Mikrotransaktionen versteht man kleinere Beträge, ca. 0,01 bis 5,00€. Alles was darüber hinausgeht wird entsprechend mit Makrotransaktion betitelt ( Get Paid Small Amounts Online With Micropayments | PayPal UK, 2021c). Die kontrovers diskutierten In-Game-Käufe wie beispielsweise Lootboxen fallen somit eher in den Begriff der Makrotransaktionen, da diese meist ab 5,00 € und aufwärts zu erhalten sind. Ein Beispiel ist in Abb.1 abgebildet: Im Shop des Ego-Shooter Spiels „Overwatch“ lassen sich 50 Lootboxen + 10 gratis für 39,99 € erwerben (Overwatch® - Halloween-Lootboxen, 2021e). Soweit die Definition - in der Praxis hingegen wird der Begriff der Makrotransaktionen nur selten verwendet. Wenn nicht anders benannt, wird im Folgenden der Begriff „In-Game-Käufe“ verwendet, um über Mikro- und Makrotransaktionen zu sprechen.
Eine Kategorie innerhalb der In-Game-Käufe sind Lootboxen. Ursprünglich wurde das Konzept in Japan entwickelt. Es wird dort „Gachapon“ genannt und beruht auf einem Spielzeugautomat. Man wirft ein Geldstück in den besagten Automaten und dieser wirft eine Kapsel aus, in der ein zufälliges Spielzeug enthalten ist. Der japanische Begriff setzt sich aus dem Drehgeräusch des Automaten zusammen - „Gacha“ und dem Fallen der Kapsel - „Pon“ (Sztainert, 2018).
Der in westlichen Ländern verwendete Begriff „Lootboxen“ hingegen setzt sich aus dem Begriff „Loot“ - Beute und „Box“ - Behälter“ zusammen. Der sogenannte Loot kann kosmetische Gegenstände enthalten, aber auch komplett neue Spielinhalte wie Waffen, Fähigkeiten, In- Game-Währung oder Charaktere. Die enthaltenen Gegenstände können je nach Spiel auch im Spielverlauf erspielt werden und/oder im Shop erworben werden. Manchmal sind diese Gegenstände auch ausschließlich über den Erwerb von Lootboxen zu erhalten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 (Screenshot aus dem Videospiel Overwatch) Der Screenshot zeigt verschiedene Kaufangebote von Lootboxen zum „Halloween-Event“ im Videospiel Overwatch. Sie beinhalten garantiert ein „Halloweenextra“ – einen kosmetischen Gegenstand in Halloweendesign. Dabei wird nicht garantiert, dass die Käufer*innen Gegenstände erhalten, welche sie noch nicht besitzen. Ein Duplikat wird mit „Credits“ entschädigt – eine In-Game-Währung. Es wird ein Mengenrabatt angeboten. Darüber hinaus wird der Kauf einer Lootbox angeboten, in der sich garantiert ein „legendäres“ – also seltenes – Item befindet. Die Lootboxen können direkt und ausschließlich über Echtgeld erworben werden.
Die Mechanik hinter Lootboxen basiert auf dem Zufallsprinzip. Bevor die Lootbox erworben wurde, weiß man nicht was sie enthält. Dabei sind seltenere Gegenstände bedeutend unwahrscheinlicher in den Lootboxen erhalten. Bei manchen Gegenständen beschränkt sich die Wahrscheinlichkeit sogar nur auf 0,005 % oder weniger. Die Spielenden werden somit motiviert mehrere Lootboxen zu kaufen, um mit einer höheren Wahrscheinlichkeit den gewünschten Gegenstand zu erlangen (Schwiddessen, 2018). Lootboxen sind ein sehr beliebtes Prinzip von Videospielunternehmen, um Gewinn zu generieren. Oft wird der Begriff der Lootbox auch für andere Shop Gegenstände mit Zufallscharakter verwendet, welche sich von dem Grundprinzip der Lootboxen jedoch nicht wesentlich unterscheiden.
Erweiterungspacks mit zufälligen Inhalten können in die Kategorie der Lootboxen eingeordnet werden, sollen jedoch aufgrund der aktuellen Beliebtheit und der neusten öffentlichen Kritik in diesem Abschnitt genauer beleuchtet werden. Sie beruhen, ebenso wie die Lootboxen, auf einem bereits aus der analogen Welt bekannten Prinzip. Panini-Päckchen, Pokémon- Sammelkarten, oder, besonders in der Zeit von EM-Fußball oder WM-Fußball beliebten Sammelkarten der Nationalmannschaften - das Prinzip bleibt das Gleiche. Man kauft ein Paket („Pack“), welches eine bestimmte Anzahl der Sammelkarten enthält. Welche Sammelkarten man letztendlich erhält, weiß man jedoch erst nach dem Kauf und dem Öffnen der Packung. Um die Sammlung zu vervollständigen sind besonders seltene Karten beliebt, weniger seltene Karten erfreuen sich keiner Beliebtheit. Die Motivation viele Packungen zu kaufen, um die Wahrscheinlichkeit auf eine seltene Sammelkarte zu erhöhen, ist somit groß.
Ähnlich funktioniert das Prinzip der Erweiterungspacks mit zusätzlichen Inhalten in Videospielen. In den öffentlichen Medien bekannt, wurden diese Erweiterungspacks, nachdem der Videospielkonzern Electronic Arts durch den Sammelkartenmodus „FIFA Ultimate Team“ vermehrt in Kritik geriet (Noack, 2020). FIFA gehört zu einer Spielreihe aus Fußballsimulationen, wobei jedes Jahr eine neue Ausgabe des Spiels erscheint, mit neuen Features und neuen spielbaren Fußballbekanntschaften. Hierbei kann das Spiel alleine aber auch gegen andere Spieler gespielt werden (Arts, 2020). Durch die Sammelkarten, sogenannte „FIFA Packs“, welche durch In-Game-Währung gekauft werden, oder durch Spielzeit erspielt werden, wird es den Spielenden ermöglicht neue spielbare Fußballspieler für ihr Team freizuschalten (YouTube, 2021). In Abb. 2 ist ein solches Angebot abgebildet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 (Handwerk, 2021) Der Onlineshop des Spiels FIFA 21 bietet eine Vielzahl an FIFA Packs. Hier abgebildet sind ein Gold-Pack und ein Premium-Gold-Pack. Darüber hinaus gibt es Silber-Packs, Premium-Silber-Packs, Bronze-Packs und Premium-Bronze Packs. Sie unterscheiden sich in Preis und Inhalt. Bezahlt wird mit FUT- Münzen oder FIFA Points.
Hierbei erfreuen sich bekannte „Top-Spieler“ großer Beliebtheit und erhöhen die Wahrscheinlichkeit das Spiel zu gewinnen. Das Ziel ist es, sich ein gutes Team aus herausragenden Fußballspielern zu erstellen, um möglichst erfolgreich zu sein. Die Wahrscheinlichkeit in einem der Packs einen „Top-Spieler“ aus den FIFA Packs zu erhalten liegt bei 4,2% (Arts, 2019).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 (Microsoft Store, 2021) Add-Ons (dt. Erweiterungspacks) für das Videospiel FIFA 20 des
Videospielunternehmens Electronic Arts. Zu sehen sind drei Add-Ons: 1. 100 FIFA Points für 0,89 € 2. 2200 FIFA Points für 17,99 € 3. 1050 FIFA Points für 8,99 €. FIFA Points bilden eine Art der In-Game-Währung und können im Spiel eingelöst werden, um FIFA Packs zu erwerben.
Eine Form der Monetarisierung, welche sich EA zu Nutze macht: Um ein Team zusammenstellen zu können, mit dem die Chance ein Spiel zu gewinnen hoch ist, müssen die Spielenden viel Zeit oder viel Geld in die FIFA Packs investieren. Das führt zu viel Kritik aus der Community, Spielmagazine wie eurogamer.de, esports.com, ingame.de und mein- mmo.de. Auch Verbraucherschützer*innen warnten vor den FIFA-Packs. Da sie mit In-GameWährung erworben werden können, soll gerade dies zum Verlust des Bezugs zu den Ausgaben führen. Besonders junge Spielende seien davon betroffen (WettanbieterCheck, 2021). FIFA unterliegt keiner Altersbeschränkung, lediglich die Geschäftsbedingungen von Electronic Arts besagen, dass Spielende mindestens 13 Jahre alt sein müssen, um die OnlineFunktionen des Spiels nutzen zu dürfen.
Letztendlich führte die Kritik zu einem Gerichtsurteil in Den Haag, wonach es zu einem Verbot der FIFA Packs in den Niederlanden kam und EA zu einer Strafe von bis zu 10 Mio. € verurteilt wurde (Rechtbank Den Haag, 2020). Ob es zu einem Verbot oder einer Altersbeschränkung in Deutschland kommen wird, ist noch fraglich.
Der Begriff des Glücksspiels ist in Deutschland an festgelegte Kriterien geknüpft. Ein Spiel, in dem ein gewisser Geldbetrag für den Erwerb einer Gewinnchance verlangt wird, ist ein Glücksspiel. Der Gewinn, welcher dabei erspielt werden kann, muss einen tatsächlichen Vermögenswert darstellen. Nicht die Geschicklichkeit des Spielenden entscheidet über Gewinn oder Verlust, sondern das Zufallsprinzip. Echtes Glücksspiel ist reguliert und nicht jugendfrei. Für Deutschland bedeutet das: Personen unter 18 dürfen nicht am Glücksspiel teilnehmen (Jahn, 2019). Des Weiteren ist der Zugang zu Spielhallen in vielen Bundesländern erst ab dem 21. Lebensjahr erlaubt. So will man junge Menschen in Deutschland schützen, denn Glücksspiel ist mit Risiken verbunden.
Die Initiative „automatisch verloren“ klärt auf ihrer Webseite über die Risikofaktoren auf. Die schnelle Spielabfolge soll zu einem Nervenkitzel bei den Spielenden führen, das sekundenschnelle Ende des Spiels lässt einen den Verlust aus den Augen verlieren. Dabei richtet sich der Blick bereits auf den nächsten Einsatz und damit eine neue Gewinnchance. Oft erfolgt die Auszahlung des Gewinns direkt, das Geld ist schnell verfügbar und kann direkt in ein neues Spiel eingesetzt werden. Manche Spielautomaten binden die Spielenden mit ein. Sie müssen Stopptasten betätigen, was den Eindruck erweckt, als könnten sie durch Geschicklichkeit das Spiel beeinflussen. Dies soll das Suchtpotenzial steigern. Darüber hinaus wird in manchen Glücksspielen nicht direkt mit echtem Geld gespielt, sondern mit bestimmten „Jetons“, wodurch die tatsächliche Höhe des Einsatzes verschleiert wird und die Spielenden schnell vergessen, wie viel Geld im Spiel ist (Glücksspiele - unterschiedlich riskant - Automatisch verloren!, 2021d).
Im letzten Jahrzehnt entwickelte sich ein neuartiges Spielangebot - „simuliertes“ Glücksspiel. Simuliertes Glücksspiel folgt dem gleichen Prinzip wie echtes Glücksspiel und zeigt sich in verschiedenen Subgenres. Die Mechaniken und Darstellung ähneln sich sehr. Das klassische simulierte Glücksspiel zeigt digitale Spielautomaten, Spielhallen, Pokertische und vieles mehr. Laut Definition ist der einzige Unterschied: der Gewinn zeigt keinen echten Vermögenswert auf. Es wird ausschließlich um virtuelle Währung gespielt (Jahn, 2019). Unternehmen wie Zynga Poker, Slotomania, DoubleDown Casino, Bingo Blitz und Best Casino verzeichnen 49,8 Mio. Nutzer*innen. Den Konsumierenden wird eine große Vielfalt an (virtuellen) Belohnungen geboten (Senger-Hoffmann, 2019).
Ob mit echtem Geld direkt der Einsatz im Spiel finanziert wird, oder ob der Einsatz indirekt durch Spielwährung gekauft wird, ist vom einzelnen Videospiel abhängig. Offiziell fallen Online-Casino-Videospiele nicht unter das Glücksspielgesetz. Und das obwohl in einer Befragung des Statista Research Department nur 5% der Online-Casino-Spielenden angaben, kein Echtgeld in simulierten Glücksspielen auszugeben. 21% der Befragten hingegen gaben an 50 - 100 € monatlich in Online-Casino-Spiele einzuzahlen. Durch das digitale Angebot ist Online-Glücksspiel rund um die Uhr verfügbar, kann beinahe überall gespielt werden und dabei müssen die Konsumierenden nicht ihr Haus verlassen, an Glücksspiel teilzunehmen. Dies führt zu viel Kritik. Prof. Dr. Martin Dietrich, Kommissarischer Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sagte in einem Statement, dass er davon ausginge, dass simuliertes Glücksspiel ein weitaus höheres Suchtrisiko mit sich bringe, als echtes Glücksspiel ( Deutscher Suchtkongress, 2019).
Die Online-Glücksspielunternehmen bewegen sich mit ihrem Geschäft derzeit in Deutschland in einer Gesetzesgrauzone (Hamburger Abendblatt, 2020). Denn simuliertes Glücksspiel wird nicht als echtes Glücksspiel anerkannt und unterliegt aufgrund dessen auch keine Altersbeschränkung. Und dennoch: Bereits 2019 veröffentlichte Tobias Hayer und sein Team einen Artikel über Simuliertes Glücksspiel im Internet in der Fachzeitschrift „Kindheit und Entwicklung“. In der Studie wurden Schüler*innen der Klassenstufen 6 bis 10, mit einem Durchschnittsalter von 13,8 Jahren, befragt. Dabei gaben etwa die Hälfte der Befragten an, innerhalb der letzten 12 Monate an simuliertem Glücksspiel teilgenommen zu haben (Hayer, Rosenkranz, Meyer & Brosowski, 2019).
Unter die Definition des simulierten Glücksspiels fallen jedoch nicht nur die klassischen Glücksspiel-Anwendungen von den Unternehmen Best Casino, Zynga Poker und Ähnlichen. Es lassen sich Gemeinsamkeit zwischen Lootboxen, Erweiterungspacks mit zufälligen Inhalten und simuliertem Glücksspiel finden. Auf diese sogenannten „Gambling Prozesse“ innerhalb der In-Game-Käufe in Videospielen soll im nächsten Abschnitt genauer eingegangen werden und die Schnittstellen zwischen simuliertem Glücksspiel und Lootboxen, sowie Erweiterungspacks mit zufälligen Inhalten aufgezeigt werden.
2.6 Gambling Prozesse
In einer Studie zum Abhängigkeitspotential von Lootboxen schreiben Andrew Brady und Garry Prentice, dass Lootboxen die Grenze zwischen „Gaming“ (Videospiele spielen) und „Gambling“ (Glücksspiele spielen) verwischen lassen (Brady & Prentice, 2021). In-GameKäufe wie Erweiterungspacks mit zufälligen Inhalten und im weiteren Sinne auch Lootboxen lassen sich in die Definition des simulierten Glücksspiels einordnen (Sztainert, 2018). Die Spielenden erwerben durch Einsatz von Echtgeld eine Chance auf den Gewinn von virtuellen Gütern wie beispielsweise digitale Sammelkarten, In-Game-Währung, kosmetische Extras und vieles mehr. Dabei wird der Gewinn durch Zufall generiert und kann weniger erwünschte Gewinne oder mehr erwünschte Gewinne, wie seltene oder legendäre Gegenstände enthalten. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit einen weniger begehrten Gegenstände zu erhalten um einiges größer, als einen sehr begehrten Gegenstand zu erhalten und ähnelt somit dem Prinzip eines „Jackpots“ im echten Glücksspiel (Hayer et al., 2019; Schaack, Dreier, Theis, Krell & Roth, 2019).
Bereits 2010 haben Harrigan, Collins, Dixon und Fugelsang einige Gemeinsamkeiten zwischen Game Design Features, beispielsweise Lootboxen, und Spielautomaten herausgestellt. Das Öffnen von Lootboxen bringt ansehnliche Soundeffekte und Animationen mit sich, was den Konsumierenden das Gefühl eines Gewinns vermitteln soll. Die bereits angeführte unregelmäßige Größe oder Begehrtheit der Gewinne, stellt eine weitere Gemeinsamkeit zu Spielautomaten und somit zu „Gambling“ dar. Die regulären kleineren Gewinne, gebildet durch weniger begehrte Gegenstände, verschleiern das Gefühl des Verlierens. Obwohl die Spielenden nicht den gewünschten hohen Gewinn durch die Lootbox erhalten haben, bekommen sie den „Trostpreis“ eines kleineren Gewinns. In manchen Spielen (beispielsweise Counter-Strike: Global Offensive) sind Lootboxen so konzipiert, dass sie den Konsumierenden aufzeigen, welcher Gewinn in der Lootbox hätte enthalten seinen können. Damit wird das Gefühl eines „near miss“ vermittelt - der Gewinn war zum Greifen nahe. Die Motivation eine erneute Investition zu tätigen, wird durch dieses Prinzip enorm erhöht. Andere Spiele lassen die Spielenden die Lootbox, welche sie öffnen möchten, auswählen. Dies vermittelt ein Gefühl von Kontrolle und weist den Charakter eines Spielautomaten auf, bei dem die Spielenden ebenfalls eine Stopptaste o.ä. drücken müssen. Dies erschafft die Illusion, die Spielenden könnten mit notwendiger Geschicklichkeit die Chance auf einen Gewinn erhöhen. Des Weiteren können seltene Gegenstände einen Wiederkennungswert aufweisen, was eine Art Wettbewerb zwischen den Spielenden hervorrufen kann. Wer die seltensten Gegenstände vorzeigen kann bekommt die meiste Anerkennung (Harrigan KA, Collins K, Dixon MJ, Fugelsang J, editors, 2010; Travis Sztainert, 2018).
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Gaming und Gambling besteht in der Finanzierungsform der Unternehmen. Die hohen Umsätze der Glücksspielindustrie lassen sich auf eine kleine Gruppe von Intensivspielenden zurückführen. Nur ein kleiner Teil der Spielenden macht den größten Teil der Gewinne zugunsten des Unternehmens aus. Die große Anzahl an Spielenden, welche nur wenig Geld in das Spiel investieren kann, sogar Verluste hervorrufen. Für Glücksspielanbieter*innen ist es folglich lohnend, die Intensivspieler*innen als Kunden zu behalten, indem sie Faktoren verstärken, welche Sucht hervorrufen können. Diese Strategie unterscheidet sich nicht groß zu der der Videospielunternehmen. Besonders die neuen Formen der Geschäftsmodelle in der Videospielindustrie wie „Freemium“, „Free2Play“ oder „Pay2Win“ basieren auf der Finanzierung durch Intensivspielende (Fiedler et al., 2018, S. 46 f). Bei 13 US-Patenten von Videospielunternehmen wie beispielsweise Activision ließen sich neue Formen der Interaktion zwischen Spielenden und Bezahlsystem feststellen. So seien Bestrebungen zu erkennen die Umgebung, in der die Nutzenden ihr Geld in Free-2-Play ausgeben, zu manipulieren. Die Bezahlsysteme können das Verhalten der Spielenden analysieren, um den optimalen Zeitpunkt zu errechnen, um Preise und Preisnachlässe anzupassen. Dadurch soll die Bereitschaft der Spielenden, Investitionen im 10
Shop zu tätigen, erhöht werden. Auch die Höhe der Investition soll gesteigert werden. Die Videospielunternehmen sammeln große Datenmengen über die Gesamtheit ihrer Spielerschaft. Mit ihnen lassen sich vulnerable Nutzergruppen identifizieren um spezielle Angebote für diese zu gestalten (Schaack et al., 2019).
Der eher umgangssprachliche Begriff Glücksspielsucht wird der fachlichen Bezeichnung Glücksspielstörung zugeordnet, welche in der elften Auflage der „International Classification of Diseases“ (ICD) verzeichnet ist. Der Begriff des Pathologischen Glücksspielen ist in älteren Klassifikationsschemata wie dem ICD-10 aufzufinden.
Im Jahr 1980 wurde in Amerika das Pathologische Spielen das erste Mal in ein Klassifikationsschemata aufgenommen, in der dritten Version des „Diagnostic and Statistical Manuel of Mental Disorders“ (DSM) (Rumpf, Trachte & Bischof, 2019). Im DSM-5 ist das Pathologische Spielen unter den Abhängigkeitserkrankungen zu finden. Für eine Diagnose müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
1. Um die gewünschte Anfangserregung zu erhalten, wird mit immer höheren Einsätzen gespielt
2. Wenn versucht wird das Glücksspiel einzuschränken, tritt Reizbarkeit und Unruhe auf
3. Der wiederholte Versuch das Glücksspiel einzuschränken, aufzugeben oder zu kontrollieren bleibt erfolglos
4. Gedanken kreisen um das Glücksspiel (neue Spielerfahrungen werden geplant, erlebte Spielerfahrungen verarbeitet)
5. In negativer Stimmung wird häufiger gespielt
6. Sog. „Chasing“: dem Verlust „hinterherjagen“ - zeitnahe Rückkehr zum Glücksspiel, um erspielte Verluste auszugleichen
7. Ausmaß des Glücksspiels wird vertuscht, indem andere angelogen werden
8. Durch das Glücksspiel wird der Verlust einer Beziehung, des Arbeitsplatzes, o.ä. in Kauf genommen
9. Auf das Geld anderer angewiesen zu sein, um aus finanzieller Notlage, welche durchs Glücksspiel hervorgerufen wurde, herauszufinden (Association, 2013)
Im, europäischen Raum häufig verwendetem, ICD-10 hingegen ist pathologisches Glücksspiel wie folgt definiert: „Die Störung besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaftem Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.“ (BfArM, 2021, S. 192)
[...]
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare