Examensarbeit, 2020
28 Seiten, Note: 11,5 Punkte
Jura - Europarecht, Völkerrecht, Internationales Privatrecht
Literaturverzeichnis
Gliederung
Thema:
A. Zielsetzung
B. Begriffsbestimmung
I. Gender Equality
II. Schutzmechanismen
C. Gender Equality in den Gründungsverträgen
I. Die Ziele und grundlegenden Werte der Union
II. Querschnittsklauseln der Art. 8 und 10 AEUV
III. Zwischenfazit: Gender Mainstreaming als Schutzmechanismus
IV. Gender Quality durch Art. 157 AEUV
1. Verpflichtung der Mitgliedsstaaten
a) Anwendungsbereich
aa) Entgelt
bb) Gleiche oder gleichwertige Arbeit
cc) Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts
dd) Rechtfertigung
b) Durchsetzung
c) Rechtsfolgen eines Verstoßes
2. Das Lohngleichheitsgebot als Schutzmechanismus
3. Ermächtigung der Union
4. Ermächtigung der Mitgliedsstaaten
V. Zwischenfazit Art. 157 AEUV als Schutzmechanismus
D. Gender Equality in der Grundrechtecharta
I. Artikel 21 und 23 GRC
1. Anwendungsbereich des Art. 23 GRC
a) Verpflichtete
b) Durchsetzung
c) Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
2. Rechtsfolgen
II. Artikel 33 und 34 GRC
III. Fazit: Die Grundrechte als Schutzmechanismus
E. Gesamtfazit
Bergmann, Jan/Dienelt, Klaus Ausländerrecht Kommentar, 13. Auflage, München 2020. (zit.: Bearbeiter – Bergmann/Dienelt Art. Rn.)
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Lehner, Roman Kleiner als die Polizei erlaubt? Warum der Normgeber (manchmal) nicht nicht diskriminieren kann zum Urteil des EuGH v. 18.10.2017 – Kalliri in Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht 2018 S. 377-387. (zit.: Lehner EuZA 2018, 377 S.)
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Schwarze, Jürgen/Becker, Ulrich/Hatje, Armin/Schoo, Johann EU-Kommentar, 4. Auflage, Baden-Baden 2019. (zit.: Bearbeiter – Schwarze/Becker Art. Rn.)
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Welche Schutzmechanismen hält das EU-Primärrecht (die Gründungsverträge einschließlich der Grundrechtecharta) in Sachen „gender equality“ vor.
Gehen Sie bei der Beantwortung der Frage auch auf die einschlägige Judikatur des EuGH ein.
Die Benachteiligung der Frau gegenüber dem Mann in ist in Europa historisch gewachsen und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Gerade im Wirtschaftsleben, wird sie besonders deutlich.1 Im Recht der Europäischen Union (EU) und bei seiner Durchführung durch die Mitgliedsstaaten darf sich diese Ungleichheit nicht fortsetzen. Vielmehr muss ein Beitrag zum Abbau von Diskriminierungen und zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter geleistet werden. Um dies zu erreichen sieht die EU unterschiedliche rechtliche Instrumente vor, deren Besonderheiten und Unterschiede in dieser Arbeit aufgezeigt werden. Ziel ist es, festzustellen, inwiefern sie zur Verwirklichung der Gleichstellungsziele beitragen. Neben den Rechtsgrundlagen, wird auch die Rechtsdurchsetzung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) dargestellt und an Beispielen näher erläutert.
Zunächst müssen die für die Arbeit wesentlichen Begriffe dargelegt werden.
Rechtliche Maßstab dieser Arbeit ist das Recht der Europäischen Union, sodass der Begriff Gender Equality auf unionaler Ebene zu definieren ist. Eine Legaldefinition dieses Begriffs lässt sich den Verträgen nicht entnehmen. Das europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) übersetzt den Begriff als „Gleichstellung der Geschlechter“ und definiert hierunter „gleiche Rechte, Pflichten und Chancen von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen“.2 Bei der EIGE handelt es sich um eine Einrichtung der EU. Seine Begriffsdefinition erfolgt mithin auf europäischer Ebene und soll dieser Arbeit zu Grunde gelegt werden.
Auch zur Bestimmung des Begriffs „Schutzmechanismus“ muss, über die nationale hinaus, eine europäische Perspektive eingenommen werden. Das primäre Unionsrecht bietet sowohl gerichtliche3 als auch außergerichtliche4 Möglichkeiten des Rechtsschutzes. Aber auch ein bestimmtes Konzept vermag unter Umständen einen Schutzmechanismus in Sachen Gender Equality zu begründen. Hier sollen deshalb diejenigen Instrumente des Primärrechts als Schutzmechanismen in Betrachtet gezogen werden, welchen der Zweck innewohnt, die Union und die Mitgliedsstaaten für die Umsetzung von Gender Equality einstehen zu lassen. Dabei wird der Fokus auf dem Rechtsschutz durch den EuGH liegen.
Gender Equality wird auf verschiedene Weise in den Gründungsverträgen, namentlich dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), verbürgt. Hier wird zunächst das Konzept des Gender Mainstreamings untersucht, welches erstmals durch den Vertrag von Amsterdam im Unionsrecht (damals Gemeinschaft) verankert wurde.5 Sodann wird auf die konkreten Verpflichtungen der Union und der Mitgliedsstaaten eingegangen, welche aus Art. 157 AEUV erwachsen, und die Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben gewährleisten sollen.
Das EU-Primärrecht normiert Gender Equality einerseits als ein zu erreichendes Ziel und andererseits als einen der Union zugrundeliegenden Wert. Vertragsziele, wie das der Gleichstellung von Männern und Frauen in Art. 3 III UAbs. 2 EUV, müssen zunächst durch weitere Vorschriften konkretisiert und vervollständigt werden.6 Sie begründen keine Kompetenz für ein Tätigwerden der Union im Einzelnen,7 sondern müssen bei der Wahrnehmung von Kompetenzen, und auch nur im Rahmen dieser, angestrebt werden.8 Das gilt insbesondere dann, wenn der Union ein Ermessen zusteht, welches dann im Lichte der Zielvorschriften ausgeübt werden muss.9 Der EuGH zieht die Unionsziele bei der Auslegung des primären und sekundären Unionsrechts heran.10 Die Mitgliedsstaaten sind folglich nicht direkt an die Ziele gebunden, dürfen sich diesen aber nicht gänzlich verschließen oder ihnen gar entgegenwirken.11
Auch aus den in Art. 2 EUV niedergelegten Werten ergibt sich die Gleichheit von Mann und Frau. Diese Werte sind nicht als Vorgabe zu verstehen, sondern als gemeinsame Identität aller Mitgliedsstaaten und damit Fundament des Bestehens der Union an sich.12 Es wird vorausgesetzt, dass die Mitgliedsstaaten diese Werte bereits innerstaatlich (durch Verankerung in der jeweils eigenen Verfassung) achten und fördern. Das ergibt sich aus Art. 49 I EUV, wonach nur unter diesen Umständen ein Beitritt zur Union überhaupt beantragt werden kann. Art. 7 EUV sieht ein mehrstufiges Verfahren vor, wonach bei einer schwerwiegenden Verletzung der Werte aus Art. 2 EUV durch einen Mitgliedsstaat bestimmte Rechte des Staates in der EU ausgesetzt werden können. Allerdings wird die Gleichheit von Frauen und Männern in Art. 2 EUV nicht ausdrücklich als ein Wert normiert, sondern als Teil einer den Werten zugrundeliegenden Gesellschaft. Art. 7 EUV stellt nicht klar, ob eine Sanktionierung der Verletzungen derartiger Gesellschaftswerte möglich ist. So verweist die Vorschrift zwar auf den gesamten Art. 2 EUV, spricht aber lediglich von den „Werten“. Damit beziehe sich Art. 7 EUV nur auf die Werte iSd. Art. 2 S. 1 EUV und nicht auf deren gesellschaftliche Grundlage.13 Ein Verfahren nach Art. 7 EUV ist bisher einmalig in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet worden.14 Hieraus lassen sich hinsichtlich der Gesellschaftswerte keine Schlüsse ziehen. An dieser Stelle ist es mithin nicht möglich abschließend zu beurteilen, ob durch ein Verfahren nach Art. 7 EUV auch die Verletzung von Gesellschaftswerten sanktioniert werden kann. Im Ergebnis muss also davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedsstaaten nur mittelbar an Art. 2 S. 2 EUV gebunden sind, wenn dessen Forderungen in das Handeln der Union einfließen.
Die Querschnittsklausel des Art. 8 AEUV gebietet der Union bei all ihren Tätigkeiten darauf hinzuwirken, „Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern“. Hinzu kommt, dass nach Art. 10 AEUV, die Union bei der „Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen“ darauf abzielt, Diskriminierungen zu bekämpfen. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Klauseln besteht darin, dass Art. 8 AEUV die Förderung der Gleichstellung ausdrücklich gebietet, wohingegen Art. 10 AEUV die Bekämpfung von Diskriminierung lediglich als ein Ziel festschreibt.
Adressat beider Querschnittsklauseln ist die Union mit ihren Organen und Institutionen, zumindest dann, wenn sie auf Grundlage des AEUV tätig wird.15 Die Klauseln begründen keine Kompetenz, sondern bestimmen, welche Ziele bei der Erfüllung der Kompetenzen nicht aus den Augen gelassen werden dürfen16 und sind in dieser Hinsicht auch rechtlich verbindlich.17 Hierbei bleibt den Organen jedoch ein weiter politischer Handlungsspielraum.18 Im Rechtsschutz wirken die Querschnittsklauseln, ebenso wie die Werte und Ziele der Union, lediglich mittelbar bei der Auslegung von Sekundärrecht und primärrechtlichen Handlungsbefugnissen.19 Eine Verletzung des Art. 8 AEUV liegt nur vor, wenn die Unionsorgane bei ihrer Ermessensausübung überhaupt nicht auf die Gleichstellung hin- oder dieser sogar entgegenwirken.20 Art. 10 AEUV ist insoweit durch den EuGH justiziabel, als dass dieser die Vorschrift bei der Rechtfertigung von dem Ziel dienenden Maßnahmen heranziehen kann und auch muss.21
Gender Equality findet also an wesentlichen Stellen Einzug in das EU-Primärrecht, denn gerade die Vorschriften über Zielsetzung und Werteorientierung der Union wirken in alle weiteren Bereiche ihrer Tätigkeit hinein. Die beiden Querschnittsklauseln haben direkten Einfluss auf Ermessensentscheidungen der Unionsorgane, was vom EuGH auch in dieser Hinsicht geprüft werden kann. Daneben wird durch die hier aufgezeigten Vorschriften das sogenannte Gender Mainstreaming rechtlich in der EU verankert.22 Die Gender Mainstreaming Leitlinie besagt, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in die Gesamtheit aller politischen Konzepte und Maßnahmen der Union einzubinden ist, und zwar auf allen Ebenen“.23 Ziel ist dabei einerseits der Abbau von Diskriminierung und andererseits die Förderung der Chancengleichheit.24 Das Konzept ist richtungsweisend, wenn die EU die ihr zustehenden Kompetenzen wahrnimmt. Das Gender Mainstreaming wirkt jedoch nur mittelbar in die Politik der Mitgliedsstaaten hinein, denn es verpflichtet sie weder dazu konkrete Handlungen vorzunehmen, noch bestimmte Standards in Sachen Gender Equality zu gewährleisten. Einen Schutzmechanismus zeichnet jedoch aus, dass sich im Einzelfall (auch vor Gerichten) auf dessen Schutz berufen werden kann und entweder die EU oder ihre Mitgliedsstaaten für Verletzungen einzustehen haben. Das Gender Mainstreaming allein vermag einen solchen Schutz nicht zu gewährleisten. Vielmehr müssen die übrigen Pflichten, welche die Verträge den Mitgliedsstaaten und der Union auferlegen, im Lichte des Gender Mainstreamings wahrgenommen werden.
Nachdem das Gender Mainstreaming als Leitlinie der Gründungsverträge hinsichtlich der Gender Equality dargestellt worden ist, soll nun auf die konkreten Verpflichtungen eingegangen werden, welche das EU-Primärrecht der Union und den Mitgliedsstaaten auferlegt. Hier wesentlich ist Art. 157 AEUV, welcher den ehemaligen Art. 119 I EWGV beziehungsweise Art. 141 I EGV abgelöst hat. Der nachfolgenden Erörterung liegen deshalb auch Urteile des EuGHs zur Anwendung der Vorgängernormen zu Grunde.
Art. 157 I AEUV verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur „Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit“. In Defrenne II entschied der EuGH, dass alle Mitgliedsstaaten zur Umsetzung dieses sozialpolitischen Grundsatzes verpflichtet sind, damit einzelne Mitgliedsstaaten, welche die Lohndiskriminierung zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen nicht beseitigen, im innerunionalen Wettbewerb keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangen können.25 Der Grundsatz gilt nicht nur für staatliche Arbeitgeber, sondern erstreckt sich auf alle Verträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln.26 Dies wurde vom EuGH zuletzt in Praxair MRC bestätigt.27
a) Anwendungsbereich
Art. 157 I AEUV gilt zu Gunsten aller Arbeitnehmer in der EU. In Anlehnung an den von der Rechtsprechung zu Art. 45 AEUV entwickelten unionalen Begriff, ist „Arbeitnehmer“ derjenige, der für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Damit werden Selbstständige auch von Art. 157 I AEUV nicht erfasst.28 Im Gegensatz zur Arbeitnehmerfreizügigkeit besteht jedoch keine Ausnahmeregelung hinsichtlich öffentlich Bediensteter. Auch diese sind Arbeitnehmer iSd. Art. 157 I AEUV.29
[...]
1 Laut dem EIGE beträgt das geschlechtsspezifische Lohngefälle („ gender pay gap “) im EU-Durchschnitt 16%. 11% mehr Frauen sind unbeschäftigt als Männer („ gender employment gap “), alle Statistiken hierzu sind abrufbar unter: https://eige.europa.eu/gender-statistics/dgs (Zugriff 8.10.20).
2 EIGE „Gender Equality/Gleichstellung der Geschlechter“.
3 Vgl. Art. 258-281 AEUV.
4 Z.B. das Petitionsrecht in Art. 20, 24, 227 AEUV, Art. 44 GRC; der Bürgerbeauftragte Art. 20, 24, 228 AEUV, Art. 43 GRC.
5 Durch Änderung der Art. 2, 3 und 119 des EG-Vertrages.
6 Jacqué – vd Groeben/Schwarze Art. 3 EUV Rn. 1; Frenz Bd. 6 Rn. 2032.
7 Kadelbach – vd Groeben/Schwarze Art. 5 EUV Rn. 8; Geiger – Geiger/Kotzur Art. 3 EUV Rn. 15; Terhechte – Grabitz/Hilf Art. 3 EUV Rn. 8.
8 Dies ergibt sich aus Art. 5 II EUV „zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele“.
9 Frenz Bd. 6 Rn. 2044; Ruffert - Calliess/Ruffert Art. 3 EUV Rn. 8.
10 EuGH 12.11.2019 C-363/18 – juive européenne ua Rn. 48; EuGH 27.2.2018. C-266/16 – Western Sahara Campaign Rn. 52 ff. jew. zu Art. 3 V EUV; EuGH 26.3.2019 C-377/16 – Spanien/Parlament Rn. 36 zu Art. 3 III Uabs. 4 EUV.
11 EuGH v. 5.2.1983 319/81 - Kommission/Italien Rn. 20; Frenz Bd. 6 Rn. 2035.
12 Vermerk d. europäischen Konvents S. 11; Geiger - Geiger/Kotzur Art. 2 EUV Rn. 1; Frenz Bd. 6 Rn. 1968.
13 Van Vormizeele – vd Groeben/Schwarze Art. 7 EUV Rn. 10.
14 KOM (2017) 835.
15 Kotzur - Geiger/Kotzur Art. 10 AEUV Rn. 1; Schorkopf - Grabitz/Hilf Art. 8 AEUV Rn. 20.
16 Klein S. 27; Hakenberg Rn. 272.
17 Rebhahn – Schwarze/Becker Art. 10 AEUV Rn. 4; Streinz – Streinz Art. 10 AEUV Rn. 1.
18 Rust – vd Groeben/Schwarze Art. 8 AEUV Rn. 23; Rossi – Calliess/Ruffert Art. 10 AEUV Rn. 5.
19 Hakenberg Rn. 273; Kotzur – aaO. Art. 10 AEUV Rn.1.
20 Rust – aaO; Rossi – Calliess/Ruffert Art. 8 AEUV Rn. 5.
21 Rebhahn – Schwarze/Becker Art. 10 AEUV Rn. 4.
22 Klein S. 97; Ellis/Watson S. 178.; Leitfaden BfFSFJ 2003 S. 13.
23 KOM (1996) S. 2; EIGE ‘Gender-Mainstreaming’.
24 Leitfaden BfFSFJ 2003 S. 13.
25 EuGH v. 8.4.1976 C-43/75 Defrenne II Rn. 8/11.
26 EuGH v. 8.4.1976 C-43/75 – Defrenne II Rn. 39; Fuchs/Marhold S. 176.
27 EuGH v. 8.5.2019 C-486/18 – Praxair MRC Rn. 67.
28 EuGH v. 13.1.2004 C-256/01 – Allonby Rn. 66 ff.; Krebber – Calliess/Ruffert Art. 157 AEUV Rn. 14; Grünberger/Husemann Rn. 5.43.
29 EuGH 2001 C-366/99 – Griesmar; EuGH 2003 C-5/02 – Becker; vd Decken – Haselhaus/Nowak S. 1054 Rn. 17.
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