Bachelorarbeit, 2020
43 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Die Institution Frauenhaus in der spätmittelalterlichen Stadt -
Fokus auf den Raum des heutigen Österreichs
2.1. Legitimation durch die Kirche
2.1.1. Augustinus von Hippo und seine Lehre zur Prostitution
2.1.2. Thomas von Aquin und seine Lehre zur Prostitution
2.2. EntstehungsgeschichtevonFrauenhäusern
2.2.1. BeispielmittelalterlichesGraz
2.2.2. BeispielmittelalterlichesWien
2.3. Ausstattung und innerer Betrieb des Hauses
3. Die Prostituierten
3.1. Zur Terminologie der „Dirne“
3.2. Der Weg in die Prostitution
3.3. ArbeitslebenundAlltagimFrauenhaus
3.4. Kleiderordnung
3.5. StellungderDimeinderGesellschaftundimöffentlichen Leben
3.5.1. Randgruppenphänomen
3.6. RechtsstellungderProstituierten
4. Conclusio
5. Literaturverzeichnis
6. Abbildungsverzeichnis
This bachelor thesis gives an overview of prostitution in the late medieval city with a focus on the geographical area of present-day Austria. First, the history of the origins of medieval urban brothels is discussed, followed by the legitimation of the church in relation to this professional group, and finally it is all about the prostitutes themselves and their everyday and working lives, which entailed both social and societal disadvantages. These theoretical chapters are illustrated using appropriate medieval examples like medieval Vienna or Graz.
The basis of this historical work is mainly secondary literature as well as specialist articles to create a compact overview of the urban, medieval prostitution system.
Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Prostitutionswesen der spätmittelalterlichen Stadt beziehungsweise dem Leben und Arbeiten als Prostituierte im Mittelalter. Die urbane Prostitution ist eine Berufsspate, die im Spätmittelalter enormen Wachstum sowie soziale und rechtliche Vor- und Nachteile genossen hat. In fast jeder größeren Stadt des Spätmittelalters prägte die Prostitution und das Frauenhaus das Bild der Stadt und zählte mehr oder weniger zu einem wesentlichen Bestandteil dieser.1
Zu Beginn der Arbeit wird auf die Institution Frauenhaus in der spätmittelalterlichen Stadt, mit Hauptaugenmerk auf den Raum des heutigen Österreichs eingegangen. Hier wird vor allem die Frage behandelt, warum die städtischen Bordelle zu dieser Zeit solch einen großen Aufschwung, wirtschaftlich als auch gesellschaftlich, erlebt haben. Darunter fällt auch, die im Mittelalter injeder Hinsicht mitprägende, kirchliche Lehrmeinung, welchs das Berufsbild nochmal in ein anderes Licht rückte. Dies wird in der Arbeit durch die Vorstellung zweier katholischer Kirchenväter namens Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin und deren Lehrmeinungen zu Tage gebracht.
Ebenso wird anschließend, als schlüssige Grundlage, auf die Entstehungsgeschichte der urbanen Frauenhäuser eingegangen. Dieses Kapitel wird anhand der Beispiele der mittelalterlichen Bordelle in Wien sowie in Graz anschaulich dargelegt und abgerundet. Aber auch der innere Betrieb dieser Institutionen und die Ausstattungen der Arbeitsstätten finden darin Platz.
Zum Schluss wird auf die Prostituierten selbst und dem damit verbundenen Phänomen der Randgruppen eingegangen. Der Stereotyp der mittelalterlichen Dirne wird anhand der Punkte Alltags- und Arbeitsleben, aufgezwungener Kleiderordnungen und den rechtlichen sowie gesellschaftlichen Stellungen dieser veranschaulicht.
Als Grundlage für die folgenden Zeilen wird in erster Linie Sekundärliteratur aus den universitären Bibliotheken der Karl-Franzens-Universität Graz verwendet. Hier konnte ich primär in der Hauptbibliothek und der Fachbibliothek für Geschichte fündig werden. Die wissenschaftlichen Publikationen von Peter Schuster, Beate Schuster und auch Michael M. Hammer dienen als Ausgangspunkt meiner Forschungsergebnisse, da sie dem aktuellen Forschungsstand gerecht werden.
In der Conclusio werden schlussendlich alle gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassend dargestellt. Darauf folgt ein Abbildungs- und Literaturverzeichnis aller zitierten Quellen und Werke, die für die folgende Bachelorarbeit verwendet wurden.
Formen der Prostitution, dem vermeintlich „ältesten Gewerbe der Welt“, sind schon seit der Zeit des Alten Orients bekannt. Überall dort, wo enges Zusammenleben vorhanden war, konnte man mehr oder weniger auch von käuflicher Liebe ausgehen. So auch im Mittelalter, in dem das Phänomen der Frauenhäuser populär wurde.2 In keiner anderen vorhergehenden Epoche der europäischen Geschichte nahm die Prostitution ein derartiges Ausmaß an. Die ursprünglich „Hurenhäuser“ genannten Einrichtungen existierten in ganz Zentraleuropa, von Italien über Deutschland und England.3 Jedenfalls ist davon auszugehen, dassjede bedeutende zentraleuropäische Stadt, auch eine Stätte der Prostitution besaß.4 In Frankreich sprach man dabei vom sogenannten borde, bordieau oder bördelet. Dies lässt sich mit dem italienischen bordello gleichsetzen, welche Begriffe sich allesamt vom altsächsischen borda, dem „kleinen Haus“ ableiten lassen. Der in England verwendete Begriff brothel, welcher sehr ähnlich klingt, entspringt einer anderen sprachlichen Wurzel und steht demnach für „verwüstet“ oder „zerstört“. Die mittelalterliche Gesellschaft verwendete im alltäglichen Leben oft Umschreibungen und nannten das Bordell beispielsweise oft „Frauenhaus“, „Haus der Tante“, „Rosengarten“, aber auch „Schweinestall“ oder gar „Gefängnis“.5 Im weiteren Teil dieser Arbeit wird in erster Linie der Begriff des Frauenhauses gebraucht. Diese Bezeichnung wird bis zum heutigen Tage üblicherweise in der Fachliteratur verwendet, um diese Art der Institution zu beschreiben,6 welches ebenso daraus resultiert, dass der Begriff der Prostitution in der Zeit des Spätmittelalters noch nicht existierte.7 Aber auch die Bezeichnung des Frauenhauses war zur damaligen Zeit ein eher universell gebrauchter und man konnte nicht davon ausgehen, dass mit der Bezeichnung Frauenhaus immer ein Ort der käuflichen Liebe gemeint war. Dies hat den Grund, dass die Bedeutung des Begriffes in städtischen Quellen nicht konkret definiert war. Bis zum 14. Jahrhundert wurden zum Teil auch einfache Häuser, in denen nur Frauen wohnten und die in keinerlei Hinsicht etwas mit einem Bordell zu tun hatten, als Frauenhäuser bezeichnet. Erst durch den Zusatz „offen“ oder „öffentlich“, der von Häusern, die von ehrbaren Frauen bewohnt wurden, abgrenzen sollte, wurde eindeutig, dass mit Frauenhaus, die zuvor oft als „Hurenhaus“ bezeichnete Institution gemeint war. Bordelle, welche im 14. und 15. Jahrhundert unter städtischer Aufsicht standen, bekamen die Ergänzung „gemein“ oder „reht“, um sie eindeutig von „normalen“ Frauenhäuser zu unterscheiden. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts gab es in den meisten Städten allerdings nur mehr eine Art von Frauenhäusem, die städtischen Bordelle und so war jedem undjeder klar, welche Art der Institution mit diesem Begriff gemeint ist und war somit fortan alleinstehend.8
Warum Frauenhäuser vor allem in den mittelalterlichen Städten so großen Anklang fanden, hängt prinzipiell auch mit dem wirtschaftlichen Wachstum durch Kommunikation, Handel und den mehr werdenden Gewerbesparten zusammen. In Städten mit viel Handelsverkehr versammelten sich demzufolge auch viele potenzielle Kunden für die Prostituierten in den städtischen Frauenhäusern. Neben dem mehr oder weniger gesicherten Kundenfluss gab es auch gesicherte Regeln für das Verhalten innerhalb des Frauenhauses, welche in den sogenannten Frauenhausordnungen festgeschrieben wurden. Darin wurden festgelegt, wie sich die Prostituierten in ihrer Freizeit, aber auch im Berufsalltag zu verhalten haben, wie sie von den Frauenwirten und - Wirtinnen behandelt werden müssen oder auch was im Falle von Krankheit und Schwangerschaft mit ihnen passiert. In einigen Fällen wird sogar die Verköstigung der Frauen exakt geregelt. Ein prominentes Beispiel dafür wäre die Frauenhausordnung der Stadt Ulm. Darin wird genau aufgelistet, wieviel der Frauenwirt oder die Frauenwirtin für Kost verlangen darf und auch ob es Suppe, Fleisch, Fisch, Kohl oder beispielsweise Rüben geben soll. Grundsätzlich ist den Frauenhausordnungen aber herauszulesen, dass ein sehr geregeltes, vertragsähnliches Verhältnis zwischen Prostituierten und dem Frauenwirt beziehungsweise der Frauenwirtin geherrscht haben muss und dass die Betonung auch sehr stark auf einem gemeinsamen Tagesab- laufliegt, sodass das Frauenhaus durchaus mit organisierter Kommunität vergleichbar ist, egal ob bei den zusammen eingenommenen Speisen oder auch in der einfachen Lebensführung. Aber nicht nur das innere Geschehen des Frauenhauses wurde somit geregelt, sondern auch die Kommunikation mit der Außenwelt. Darunter fallen grundlegende wirtschaftliche Faktoren wie Miete und Steuer, aber auch die Tage, an denen das Frauenhaus geschlossen haben musste.9
Neben den „klassischen“, städtischen Frauenhäusem gab es in der mittelalterlichen Stadt noch eine weitere Form der Prostitutionsstätte: die Badehäuser. Die Einrichtungen, welche ursprünglich ein Ort der Sauberkeit waren, hatten tatsächlich auch einen bordellartigen Charakter. Sie erfüllten praktisch zwei Zwe name="_ftnref9" title="">[10] Die Badehäuser fungierten also grundsätzlich auch als Stätte der Prostitution,11 denn die sogenannten rlberinne, die Bademägde, welche den männlichen Badegästen Massagen anbieten sollten, standen auch für etwaige Liebesdienste zur Verfügung.12 Dies ging sogar soweit, dass das Wiener Badehaus in der ein oder anderen Geschichtsschreibung sogar als „Fress-, Sauf- und Luderhaus“ bezeichnet wurde.13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Badeszene. Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.
Hierbei ist auch wichtig zu erwähnen, dass zur Zeit des Spätmittelalters das nackt sein in der Öffentlichkeit überhaupt kein Problem darstellte. Die Liebe, welche in diesem Zusammenhang auch öffentlich zur Schau gestellt wurde, war genau so normal wie Essen, Reiten, die Jagd oder Plünderung.14 Am Ende des Mittelalters war es dann allerdings Schluss mit der freien und käuflichen Liebe in Badehäusern, welche den mittelalterlichen Stadträten ohnehin ein Dorn im Auge war, denn das ungezwungene Baden wurde mit zahlreichen Verordnungen und Einschränkungen reformiert und dadurch auch in ihrer bisherigen Form eingeschränkt.15
Der Standort „österreichischer“ Frauenhäuser, welche aufgrund der damaligen topografischen Aufteilung Zentraleuropas nicht exakt mit dem Raum des heutigen Österreichs gleichzusetzen ist, lässt sich in fünf Teilgebiete einteilen und umfasst aus heutiger Sicht betrachtet das Gebiet des heutigen Österreichs sowie Südtirols. Diese Teile sind das Herzogtum Österreich, das Herzogtum Steiermark, die Grafschaft Tirol, die Herrschaft Feldkirch und das Erzbistum Salzburg, welche nachweislich insgesamt 13 Orte mit mittelalterlichen Frauenhäusern zu verzeichnen haben. Einige davon lassen sich bereits in älterer Literatur sowie mittelalterlichen öuellen detaillierter ausfindig machen, andere sind im Gegenzug dazu bis heute eher weniger beforscht.16 Als anschauliches Beispiel werden in noch folgenden Kapiteln österreichische Frauenhäuser des Spätmittelalters, in bedeutenden Städten, genauer beleuchtet.
Die Gesellschaft war in der Zeit des Mittelalters wesentlich von der kirchlichen Lehre geprägt.17 So war auch das Verständnis und das Verhältnis zur Prostitution von der Meinung der Kirche geformt. Bis zur Zeit der Reformation waren die von der Kirche gelehrten Auffassungen, in Bezug auf die städtischen Frauenhäuser, aber auch auf die Prostitution im Allgemeinen, maßgeblich. Die sexualfeindliche Haltung der Kirche ist allerdings nicht erst zur Zeit des Mittelalters aufgekommen, sexuelle Handlungen wurden nämlich bereits vom Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther schlechtgeheißen. Darin warnt er vor Unzucht, damit meint er außerehelichen Geschlechtsverkehr und die Versündigung des eigenen Leibes. Für Paulus war Sex nur innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft in Ordnung. Die Kanoniker nahmen sich demnach aus der Heiligen Schrift alle Rechte und Auffassungen bezüglich Sexualität, Körperlichkeit und auch Prostitution. Auch das Bild der weiblichen Sexualität war innerhalb der kirchlichen Gesellschaft verzehrt. Ihnen wurde eine erhöhte Libido zugeschrieben, welche dazu führte, dass sie jederzeit bereit für sexuelle Handlungen sind. Da die Frau auch generell als schwächeres Geschlecht angesehen wurde, konnte sie, der kirchlichen Auffassung zufolge, diese sexuelle Lust auch nicht unter Kontrolle halten. Aus diesem vermeintlich einfachen Grund hatte die Kirche auch eine simple Erklärung für die Existenz der Prostitution. Finanzielle Nöte oder ökonomische Gründe, welche die Frauen zu diesem Gewerbe zwangen, wurde als keine ausschlaggebenden Motive angesehen.18
Vor allem im Mittelalter war außerehelicher Geschlechtsverkehr in theologischen Kreisen aktueller dennje zuvor. Durch die Reformbewegung der Päpste Gregor VI. und Gregor VII. propagierte man dafür, dass die Ehe der einzig akzeptable Rahmen für Geschlechtsverkehr sei und auch die sexuelle Enthaltsamkeit der Geistlichen, welche zu dieser Zeit weniger ernst genommen wurde, sollte wieder streng gehandhabt werden. Die Kampagne der Päpste für Enthaltsamkeit und gegen außereheliche sexuelle Handlungen hatte aber unter anderem auch den Hintergedanken, nicht noch mehr kirchliches Eigentum zu verlieren. Dies hat den Grund, weil im Laufe der Zeit zu viel Land an die Erben und Geliebten der Priester verteilt wurde. Die Absicht der päpstlichen Kampagne ging auf und es wurden weniger Kinder geboren, welche Väter hatten, die eigentlich ehelos und demnach auch enthaltsam leben sollten. Dieses „aufgezwungene“ Zölibat führte allerdings dazu, dass Kirchenväter nicht mehr außerhalb der Kirche sexuell verkehrten, sondern dies nun untereinander taten. Mönche, Priester, aber auch Äbte und Kardinäle waren nicht im Stande, ihren eigentlichen Verboten standzuhalten und der sexuellen Versuchung zu widerstehen. Und da gleichgeschlechtliche Praktiken, vor allem unter Klerikern, schlimmer waren, als der Besuch im Bordell, war die Prostitution im Mittelalter das geringste Übel in Bezug auf Sexualität.19 Die Dirne wurde demnach, der kirchlichen Lehre und Meinung zufolge, als notwendig, aber abstoßend angesehen.20
Ein weiteres Thema zur Prostitution, welches die mittelalterlichen Theologen beschäftigte, war die Diskussion über die Besteuerung des Gewerbes und die Möglichkeiten der Bekehrung von Dirnen. Außerdem war es ihnen ein Anliegen, die Freier der Prostituierten so wenig sündhaft wie möglich darzustellen. Um die Ehre der Prostituierten machte man sich im Gegenzug weniger Gedanken. Im Jahre 1198 wurde unter anderem aus diesem Grund von Papst Innozenz III. ein Dekret erlassen, welches erklärte, dass es von moralisch hohem Wert sei, als Mann, eine Prostituierte zu heiraten. Diese Bestimmung sollte auch dazu dienen, die in gewisser Weise verlorene Ehre der Prostituierten wiederherzustellen. Anderseits legitimierte sie auch den Besuch bei Prostituierten, denn die Männer konnten so nun behaupten, dass sie die Frauen von ihrer Sünde befreien wollten. Auch Priester und Mönche machten es sich mit dieser Bestimmung einfach und hatten damit mehr oder weniger einen „guten“ Grund für den Besuch bei einer Prostituierten, welche sie unter diesem Vorwand scheinbar vor der „allgemeinen Verwahrlosung der Sitten“ schützen wollten.
Diese Position der katholischen Kirche verschob die allgemeinen Ansichten der Kirche in Bezug auf die Prostitution. Dies ging sogar so weit, dass Bischof Johann von Straßburg 1309 ein Frauenhaus bauen ließ. Dieser Bau brachte der Institution Kirche zweierlei finanzielle Vorteile: In erster Linie durch die Abgaben auf den Verdienst der Huren und später auch durch die Ablasszahlungen für die gewissermaßen sündhaften Tätigkeiten im Bordell. Auch die Theologen selbst profitierten vom neuen, modernen Bordell als Kunden, der moralischen Kontrolle, welche sie innehatten, aber auch mit den verbundenen Einnahmen.21
Zusammenfassend gilt allerdings, dass für die Kirche, der einzig legitime Rahmen für die Ausübung sexueller Handlungen die Ehe war und die Prostitution definitiv nicht gutgeheißen wurde. Außerehelicher Geschlechtsverkehr sollte also in keinerlei Hinsicht zur Norm werden. Die kirchliche Lehrmeinung bezüglich Sexualität im Allgemeinen und Prostitution wurde maßgeblich durch zwei hervorstechende Persönlichkeiten geprägt. Diese sind Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin, deren Meinungen in weiterer Folge näher erläutert werden.22
Sobald die kirchliche Sexualmoral zur Sprache kommt, wird in erster Linie Augustinus von Hippo23 (f 430), einer der wichtigsten Kirchenväter überhaupt,24 zitiert und zur Anklage gebracht.25 Das heißt: Spricht man von Sexualität beziehungsweise Sexualfeindlichkeit und der christlichen Kirche, so ist in erster Linie von Augustinus von Hippo die Rede. Augustinus selbst beschäftigt sich grundsätzlich mit der moralischen Vereinbarung von Sexualität und dem Glauben und galt noch beziehungsweise vor allem unter den mittelalterlichen Kanonikern als federführend bezüglich dieses Themas. Er entwickelte eine hierarchische Liste aller Sexualvergehen, laut welcher die Unzucht das geringste Vergehen war, gleich gefolgt vom Ehebruch. Eines der schlimmsten Verbrechen laut Hippo war die Inzucht, vor allem innerhalb der Familie beziehungsweise zwischen Eltern und Kind. Diese Unzucht konnte nur noch durch gewisse Sexualpraktiken übertroffen werden, die von der gottgewollten menschlichen Natur abwichen. Bei diesem Sexualvergehen nach Hippo wurde nochmal zwischen dem Praktizieren dieser Praktiken mit Prostituierten, welches ein rechtlicher, aber auch moralisch tiefgehender Verstoß war, und dem Praktizieren mit der eigenen Ehefrau, welches als schlimmstes Übel angeführt wurde, differenziert.
Der antike Kirchenvater prägte mit seiner Lehrmeinung das gesamte Mittelalter, keine anderen Lehrmeinungen erreichten diesbezüglich mehr Autorität als seine26 und finden auch in der heutigen Zeit in einiger Hinsicht noch Zuspruch27 und aus diesem Grund waren diese auch in Bezug auf die Prostitution im mittelalterlichen Leben wegweisend. Eines der bekanntesten Zitate Augustinus von Hippos ist jenes, in welchem er einerseits Dirnen und die Betreiber des Gewerbes als schändlich und schmutzig bezeichnet, andererseits aber auf die Dringlichkeit des Gewerbes in der Gesellschaft verweist, denn ohne würde laut Hippo kein konfliktfreies, gesellschaftliches Zusammenleben möglich sein. Die Prostitution und auch die Frauen, welche in diesem Gewerbe arbeiten, sind demnach also grundsätzlich für das Gemeinwohl notwendig, stellen aber, weil Sexualität im Mittelalter eines der sündhaftesten Vergehen überhaupt ist, gleichzeitig ein niederträchtiges Übel dar. Sie gaben sich also voll und ganz der Fleischeslust hin, welche laut Augustinus bei paradiesischen Menschen nicht vorkommen sollte. Ein prominentes Beispiel dafür ist die „Bestrafung“ Adams und Evas, welche, nachdem sie sich gegen Gott auflehnten, mit der Libido bestraft wurden. Diese gaben sie dann an ihre Fortfahren weiter, welche sich nie wieder von dieser vermeintlichen Sünde trennen konnten. Diese scheinbare Erbsünde, welche die Sexualität in kein gutes Licht rückte, war dementsprechend auch für das Dasein der Prostitution ein wesentlicher Nachteil. Für Augustinus von Hippo war die Libido auch deshalb etwas Bösartiges und bloß eine strikte Asexualtität war laut ihm das einzig Richtige. Sexuelle Handlungen waren nur dann zu rechtfertigen, wenn sie innerhalb der Ehe stattgefunden haben und es um die Zeugung leiblicher Nachfolgen ging. Daraus resultiert eben auch die Einstellung zur Prostitution. Da im Rahmen dessen nämlich sexuelle Handlungen außerhalb einer ehelichen Gemeinschaft stattfmden und diese auch nicht für die Zeugung von Kindern gedacht war, sondern einzeln und allein der Lustbefriedigung diente, war diese schlecht. Augustinus arrangierte sich aber damit und deshalb wurde die Prostitution auch noch im Mittelalter beziehungsweise von den mittelalterlichen Theologen als notwendig angesehen, um noch größerem Übel, als es ohnehin schon war, aus dem Weg zu gehen.28
Thomas von Aquin, welcher mit großer Wahrscheinlichkeit circa am Anfang des Jahres 1225 auf Schloss Roccasecca bei Neapel geboren wurde,29 zählt zu den wichtigsten und einflussreichsten Kirchenvertretern des Spätmittelalters, genauer genommen des 13. Jahrhunderts.30 In eine hochadelige Familie geboren, welche ihn im Alter von fünf Jahren zu den Benediktinern nach Monte Cassino brachten, wo sein Onkel als Abt tätig war, kam er sehr früh in den Genuss einer traditionellen, monastischen Erziehung.31 Im Laufe seines Daseins beschäftigte sich Aquin mit den sexualpessimistischen Lehren des Augustinus von Hippo, führte diese fort und ergänzte sie durch Thesen von Aristoteles in Bezug auf Lust und zur Frau im Generellen. So geht auch er, wie es Augustinus bereits gelehrt hat, davon aus, dass die sexuelle Lust als Folge des Sündenfalls entstanden ist. So spricht auch Thomas von Aquin von der sexuellen Lust als Todsünde, die Prostitution ist demnach natürlich ein Verstoß gegen die göttlichen Gesetze. Er selbst sah die Welt des Geistes als eine männliche Sphäre, den Körper beziehungsweise das Fleisch hingegen, sah er als den weiblichen Bereich an. Dies lässt laut seiner Auffassung auch darauf schließen, dass Frauen daher eher zur Fleischeslust neigen und der Männerwelt in ihrem Denken unterlegen sind.
Von Aquins Lehren zu dieser Thematik beziehen sich grundsätzlich auf die Lehrmeinung Augustinus von Hippos. Prostitution ist demnach ein notwendiges, kleineres Übel, würde man diese verbannen, würde die Gesellschaft in Sünde verfallen. Die Frauenhäuser sollten demnach ein fester Bestandteil in der mittelalterlichen Stadt sein, um, so sprechen sich auch andere mittelalterliche Theologen aus, den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren. Prominente Beispiele dafür wären Guido de Baysio, Henricus de Segusio und Nikolaus von Lyra, welche zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert einzuordnen sind.
Im Bereich der mittelalterlichen Städteordnung berief sich die Obrigkeit auf die Lehren von Augustinus und Thomas von Aquin, um die gewerbliche Prostitution zu legitimieren und den Ruf ehrbarer Leute zu behüten. Und auch obwohl es diese Rechtfertigung, welche sich auch auf theologische Lehren bezog, gab, blieb die Prostitution für von Aquin eine Sünde, denn sexuelle Handlungen sollten nur innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft stattfinden und auch hier ausdrücklich nur für die Zeugung von Nachkommen. Im Rahmen der Prostitution findet Sex nicht innerhalb einer ehelichen Beziehung, nicht zu Fortpflanzungszwecken und nur zur Befriedigung der Libido statt. Nach von Aquin eindeutige Merkmale der Sündhaftigkeit. Da die Prostitution aber als notwendig angesehen wird,32 um mit „einigem Schlechten“33 größeres Übel zu vermeiden, machte er sich Gedanken rund um dieses Thema, welche bis zur angemessenen Bezahlung der Dirnen reichten. Seine Annahmen und Aufstellungen in Bezug auf die Prostitution und die Sexualethik generell wurden bis ins 16. Jahrhundert hingenommen und erst im Zuge der Reformation kritisch hinterfragt.
[...]
1 Vgl. ROSSIAUD, Jacques: Dame Venus. Prostitution im Mittelalter. München 1989. S. 12.
2 Vgl. HAMMER, Michael: Gemeine Dirnen und gute Fräulein. Frauenhäuser im spätmittelalterlichen Öster- reich25.Berlin2019. S. 23.
3 Vgl. RINGDAL, Nils Johan: Die neue Weltgeschichte derProstitution. München2006. S. 161-162.
4 Vgl. ROSSIAUD (1989) S. 12.
5 Vgl. RINGDAL (2006) S. 161-162.
6 Vgl. SCHUSTER (1992) S. 31.
7 Vgl. HAMMER (2019) S. 23.
8 Vgl. SCHUSTER, Beate: Die freien Frauen. Dirnen und Frauenhäuser iml5. und 16. Jahrhundert (= Geschichte und Geschlechter 12). Frankfurt am Main/New York 1995. S. 88-90.
9 Vgl. RATH, Brigitte: Prostitution in der spätmittelalterlichen Gesellschaft im österreichisch-süddeutschen Raum. In: APPELT, Heinrich (Hg.): Frau und spätmittelalterlicher Alltag. Internationaler Kongress Krems an derDonau 2. bis 5. Oktober 1984 (=Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte 473). Wien 1986. S. 553-571.
10 Vgl. ROSSIAUD (1989) S. 13.
11 Vgl. BALHAUS, Alexander: Liebe und Sex im Mittelalter. Bergisch Gladbach 2009. S. 157-158.
12 Vgl. LÖMKER-SCHLÖGELL, Annette: Prostituierte, umb vermeydung willen merers Übels in der cristenheit. In: HERGEMÖLLER, Bernd-Ulrich (Hg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Ein Hand- und Studienbuch. Warendorf 1990. S. 52-85.
13 Vgl. BALHAUS (2009) S. 157-158.
14 Vgl BORST, Otto: Alltagsleben im Mittelalter. Frankfurt am Main 1983. S. 403-404.
15 Vgl. BALHAUS (2009). S. 157-158.
16 Vgl. HAMMER (2019) S. 6-7 & 163.
17 Vgl. GOETZ, Hans-Wemer: Leben im Mittelalter. München 2002. S. 43.
18 Vgl. HAMMER (2019) S. 25-26.
19 Vgl. RINGDAL (2006) S. 184-185.
20 Vgl. SCHUSTER, Beate: Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. Und 16. Jahrhundert. In: Vierteljahrshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78 (1991). S. 172-189.
21 Vgl. RINGDAL (2006) S. 184-185.
22 Vgl. HAMMER (2019) S. 28.
23 Vgl. HILPERT, Konrad: Augustinus und die kirchliche Sexualethik. In: Zeitschrift des Bundesverbandes der katholischenReligionslehreranGymnasiene. V. (1985). S.364-374.
24 Vgl. HAMMER (2019) S. 28.
25 Vgl. HILPERT (1985) S. 364-374.
26 Vgl. HAMMER (2019) S. 28.
27 Vgl. HEINZMANN, Richard: Thomas von Aquin. Eine Einführung in sein Denken. Stuttgart/ Berlin/ Köln 1994. S. 92.
28 Vgl. HAMMER (2019) S. 29-30.
29 Vgl. HEINZMANN (1994) S. 22.
30 Vgl. HAMMER (2019) S. 30.
31 Vgl. HEINZMANN (1994) S. 22.
32 Vgl. HAMMER (2019) S. 31-32.
33 Vgl. SCHUSTER, Peter: Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600). Paderbom/München/Wien/Zürich 1992. S. 19.
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