Magisterarbeit, 2008
151 Seiten, Note: 1,7
Tabellenverzeichnis
Danksagung
0 Einleitung
1 Forschungsgegenstand und Zielstellung
1.1 Zielstellung
1.2 Forschungsstand zum Einsatz von Elterntrainings in der Autismusbehandlung
2 Das Spektrum autistischer Störungen
3 Diagnostik und Differentialdiagnose
4 Ätiologie
4.1 Genetische Faktoren
4.2 Umweltfaktoren und Immunologie
4.3 Neuropsychologie
4.4 Neurobiologie
5 Therapeutische Interventionen
5.1 Verhaltensorientierte Interventionen
5.2 Biologische Interventionen
5.3 Kommunikationsförderung und alternative Kommunikationsformen
5.4 Methoden der Beziehungsförderung
5.5 Ergänzende Methoden
6 Der TEACCH Ansatz zur Förderung von Menschen mit Autismus
6.1 Die „TEACCH-Methode“: Strukturierung und Visualisierung
6.1.1 Strukturierung im Rahmen des TEACCH Ansatzes
6.1.2 Visuelle Informationsvermittlung im Rahmen des TEACCH-Ansatzes
6.1.3 Die Praxis des Structured Teaching
6.1.4 Die Strukturierung des Raumes
6.1.5 Die Strukturierung der Zeit
6.1.6 Die Strukturierung der Arbeitsorganisation
6.1.7 Gestaltung von Material und visuell strukturierten Aufgaben
6.1.8 Routinen als Hilfe zur Strukturierung
6.2 Das Elterntraining im Rahmen von TEACCH
7 Theoriegeleitete Gestaltung des Elterntrainings zur Förderung autistischer Kinder und Jugendlicher
7.1 Zur Notwendigkeit unterstützender Angebote für Angehörige von Menschen mit Autismus
7.2 Ziel des Elterntrainings
7.3 Schwierige Trainingssituationen
7.4 Das Curriculum
7.5 Elterntrainingseinheit (E1): Grundlagen zum Störungsbild „Autismus“
7.5.1 Themenkomplex 1: Wesen der Autistischen Störung
7.5.2 Themenkomplex 2: Ursachen der Autistischen Störung
7.5.3 Themenkomplex 3: Stärken autistischer Kinder und Jugendlicher und daraus resultierende Förderansätze
7.6 Elterntrainingseinheit (E2): TEACCH – ein Konzept zur Förderung von Menschen mit Autismus
7.6.1 Themenkomplex 4: TEACCH – Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children
7.6.2 Themenkomplex 5: Theorien, Methoden und Ziele von TEACCH
7.7 Elterntrainingseinheit (E3): Strukturierung und Visualisierung
7.7.1 Themenkomplex 6: Die Ebenen der Strukturierung
7.7.2 Themenkomplex 7: Strukturierung des Raumes
7.7.3 Themenkomplex 8: Strukturierung der Zeit
7.7.4 Themenkomplex 9: Strukturierung der Arbeitsorganisation
7.7.5 Themenkomplex 10: Strukturierung von Material und Aufgaben
7.7.6 Themenkomplex 11: Routinen als Strukturierungshilfen
7.8 Elterntrainingseinheit (E4) – Spezifisches Problemverhalten
8 Diskussion und Ausblick
9 Literatur
10 Anlage A
Anhang 1: Kontrollierte Pre-Post-Studien aus der Schopler-Mesibov-Gruppe
Anhang 2: Nicht-kontrollierte Studien aus der Schopler-Mesibov-Gruppe
Anhang 3: Früherkennung des kindlichen Autismus im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen
Anhang 4: Elternfragebogen M-CHAT
Anhang 5: Sally-Anne Experiment
Anhang 6: Beispiele für PICS-Symbolkarten
Anhang 7: Das Konzept der „Culture of Autism“
Anhang 8: Prinzipien der „TEACCH-Philosophie“
Anhang 9: Konsequenzen für die pädagogische Förderung von Menschen mit Autismus
Anhang 10: Leitfaden zur Raumaufteilung
Anhang 11: Hinweise zur Gestaltung eines individuellen Plans
11 Anlage B
Tabelle 1: Narrative Studien zum Einsatz von Elterntraining im Rahmen der Autismusförderung
Tabelle 2: Diagnosekriterien des Frühkindlichen Autismus nach ICD 10 (F84.0)
Tabelle 3: Diagnosekriterien des Asperger Syndroms nach ICD 10 (F84.5)
Tabelle 4: Komorbidität des Frühkindlichen Autismus
Tabelle 5: Differentialdiagnosen des Frühkindlichen Autismus
Tabelle 6: Hinweise darauf, dass es sich bei Autismus primär um eine biologische Störung handelt
Tabelle 7: Umweltfaktoren, die im Zusammenhang mit Autismus stehen könnten
Tabelle 8: Theorien zum Savant-Syndrom
Tabelle 9: Neurobiologische Befunde bei Autismus
Tabelle 10: Derzeit gebräuchliche Symbolsysteme im Umgang mit kommunikativ beeinträchtigten Menschen
Tabelle 11: Strukturierung in der pädagogischen Arbeit
Tabelle 12: Vorteile visueller Informationen
Tabelle 13: Typische Bereiche einer am TEACCH-Ansatz orientierten Einrichtung
Tabelle 14: Die Aspekte visueller Strukturierung
Tabelle 15: Curriculum des Elterntrainings
Tabelle 16: Fallbeispiel Selbstverletzendes Verhalten
Tabelle 17: Fallbeispiel Aggressives Verhalten
Tabelle 18: Fallbeispiel Unterbrechen von Tätigkeiten
Tabelle 19: Fallbeispiel Stereotypes Verhalten
Tabelle 20: Fallbeispiel Verhaltensdefizite
Ich möchte mich an dieser Stelle vor allem bei meinem Lebensgefährten Thomas Kahl für die moralische Unterstützung, Motivation und Überwindung technischer Tücken bedanken.
Größten Dank schulde ich dem Regionalverband „Hilfe für das autistische Kind“ Chemnitz e.V. und den dort betreuten Kindern, ohne die diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Ich danke meiner Schwester Eva für das unermüdliche Korrekturlesen.
Bei meinen Eltern, Ines und Frank, bedanke ich mich für ihre unendliche Geduld und ihren Rückhalt während meines gesamten Studiums.
Nicht zuletzt gilt mein Dank meiner Betreuerin Karolin Ewald, die mit hilfreichen Ratschlägen und konstruktiver Kritik zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat.
„Ein Schmetterling schlüpfte aus dem Kokon und breitet jetzt seine Flügel aus - und entfaltet eine Farbenpracht
von ungeahnter Schönheit und Vielfalt.
Das ist unsere
W A H R N E H M U N G.“
(Marianne Karle, Mutter eines autistischen Sohnes)
Die Motivation, mich im Rahmen dieser Arbeit mit dem Thema „Autismus“ zu beschäftigen, wurde durch meine derzeitige Tätigkeit im Verein „Hilfe für das autistische Kind“ Chemnitz, wo ich zunächst ein Praktikum absolvierte und nun seit über zwei Jahren als Honorarmitarbeiter tätig bin, geprägt. In dieser Zeit hatte ich die Möglichkeit, zahlreiche autistische Kinder sowie deren Eltern kennenzulernen und mich mit ihren Befindlichkeiten, Bedürfnissen und Eigenarten vertraut zu machen.
Das Bild von Autismus in der Öffentlichkeit ist geprägt von Filmen wie „Rain Man“ und Berichten über Autisten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Autisten gelten als zurückgezogen, in sich gekehrt, als lebten sie in ihrer eigenen Welt. Doch das Störungsbild „Autismus“ umfasst weit mehr Facetten; tatsächlich verfügt nur eine geringe Zahl Betroffener über besondere Fertigkeiten. Auch soziale Kontaktaufnahme ist autistischen Menschen nicht fremd, sie gestaltet sich lediglich anders. In dieser Arbeit werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Phänomen „Autismus“ zusammengetragen, Vorurteile ausgeräumt und etablierte Therapiemethoden vorgestellt.
Diese Magisterarbeit widmet sich insbesondere der Gestaltung eines Trainingsprogramms für Eltern autistischer Kinder, die durch die Entwicklungsstörung ihres Kindes vor eine anspruchsvolle Erziehungsaufgabe gestellt werden. Sie sind die Zielgruppe des vorliegenden Elterntrainings, das konkrete, alltagstaugliche Hilfen für den Umgang mit einem autistischen Kind vermitteln will, um so einen Teil zur Entwicklung positiver Eltern-Kind-Interaktionen und zur Gestaltung eines ausgeglichenen Familienlebens beizutragen.
Bevor die Inhalte des Elterntrainings vorgestellt werden, sollen einführend allgemeine Informationen zum Thema „Autismus“ vermittelt werden. Symptome, Ursachen und therapeutische Interventionsformen sind thematische Schwerpunkte im ersten Teil dieser Arbeit.
Der darauf folgende Abschnitt befasst sich mit den Inhalten des TEACCH-Programms, das die Grundlage des Elterntrainings bildet. Diese Ausführungen münden in den Hauptteil, der das Wesentliche dieser Arbeit ausmacht – die Gestaltung des Elterngruppentrainings zur Förderung autistischer Kinder auf Basis der TEACCH-Prinzipien.
Bei Autismus (v. griech.: αὐτός >selbst<) handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, der komplexe Störungen im zentralen Nervensystem zugrunde liegen. Die erste Erwähnung findet dieser Begriff 1911 bei dem schweizerischen Psychiater Eugen Bleuler, der Autismus als Grundsymptom der Schizophrenie beschrieb. Leo Kanner (1943) und Hans Asperger (1944) griffen den Terminus „Autismus“ unabhängig voneinander auf und beschrieben damit ein Störungsbild, bei dem, anders als bei der Schizophrenie, eine Zurückgezogenheit von Geburt an grundlegend ist. Heute versteht man unter „Autismus“, das von Kanner und Asperger beschriebene Störungsbild. In den Ausführungen von Kanner und Asperger finden sich große Übereinstimmungen. So wird die soziale Isolation bzw. die starke Beeinträchtigung der sozialen Interaktion als wesentliches Symptom der Autistischen Störung angesehen (vgl. Asperger 1944: 84, 103, 113; Kanner 1943: 217ff). Weiter beschrieben beide den Hang zu repetitivem Verhalten, ein zwanghaftes Ordnungsbedürfnis sowie den Widerstand gegen jegliche Art von Veränderung (vgl. Asperger 1944: 105f, 109, 113; Kanner 1943: 219, 222, 248). Im Gegensatz zu Kanner beinhaltet der von Asperger beschriebene Autismus keine signifikanten Verzögerungen in der kognitiven und verbalen Entwicklung, sondern lediglich Beeinträchtigungen in Grobund Feinmotorik (vgl. Asperger 1944: 96, 102, 107; Kanner 1943: 228, 230f). Auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden heute Asperger-Syndrom und Frühkindlicher Autismus (auch: Kanner-Syndrom) unterschieden. Des Weiteren wird der Frühkindliche Autismus in Anbetracht des Intelligenzniveaus in „high-“ oder „low-functioning autism“ differenziert. Diese Formen des Autismus bilden das Autismusspektrum. Im Verlauf der Entwicklung kann es zu Übergängen innerhalb dieses Spektrums kommen (vgl. Poustka et al. 2004: 11f). Bei allen Zuständen innerhalb dieses Spektrums sind die Symptome eingeschränkte soziale Interaktion, eingeschränkte Kommunikation und repetitive Verhaltensmuster zu beobachten.
Die Auswirkungen der Autistischen Störung hindern Betroffene je nach Ausprägung der Störung auf vielfältige und unterschiedliche Art daran, Beziehungen zur Umwelt aufzunehmen und am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Die Verhaltensauffälligkeiten erschweren hauptsächlich den Bezugspersonen den alltäglichen Umgang mit autistischen Menschen; ein normales Familienleben ist mit einem autistischen Kind kaum möglich. Viele Eltern autistischer Kinder fühlen sich von der Herausforderung ein autistisches Kind zu erziehen überfordert und leiden selbst an physischen und psychischen Beschwerden. Neben der hohen fi nanziellen Belastung behindert mangelnde Unterstützung durch das soziale Umfeld viele Eltern darin, eine familiäre Basis aufrecht zu erhalten auf deren Grundlage positive Eltern- Kind-Interaktionen dauerhaft möglich sind (vgl. Loh 2003: 449).
Daher ist es notwendig, neben der Behandlung und Betreuung der betroffenen Kinder und Jugendlichen, für Eltern und andere nahe Bezugspersonen kombinierte Angebote von Elternberatung und Elterntraining zur Verfügung zu stellen, um Frustration entgegenzuwirken, Hilfen aufzuzeigen und Selbsthilfekompetenzen zu stärken. Nur durch die konsequente Einbeziehung der Bezugspersonen in die therapeutische Arbeit kann eine Passung zwischen Kind und Elternhaus hergestellt werden, die unbedingt notwendig ist, um den erfolgreichen Verlauf von Interventionen zu gewährleisten.
Ziel dieser Magisterarbeit ist die theoriegeleitete Gestaltung eines Elterntrainingsprogamms, das sich an den Grundsätzen des TEACCH-Ansatzes zur Förderung autistischer Menschen orientiert.
Das TEACCH-Programm1 ist ein staatliches Programm zur Förderung und Begleitung von Menschen mit Autismus, das 1972 in den USA im Bundesstaat North Carolina ins Leben gerufen wurde und mittlerweile ein Netzwerk von Einrichtungen umfasst, in denen Diagnostik, Beratung, Förderung und Ausbildung von Fachtherapeuten angeboten wird. Zu den Komponenten des TEACCH-Programms gehören das Erkennen und Verstehen von Autismus, die Partnerschaft mit den Eltern, eine individuelle Diagnostik als Basis für eine individuelle Förderung, die Orientierung an den Stärken der Kinder, die Anwendung von kognitiver Psychologie und Lerntheorie sowie die Langfristigkeit der angebotenen Hilfen (vgl. Mesibov/ Shea o.J.: 9ff). Das Programm versteht sich nicht als eigenständige Therapieform, sondern vielmehr als individuell gestaltbare entwicklungsorientierte Förderung, die ihre Wurzeln in verhaltenstherapeutischen Ansätzen sieht (ebd.).
Das TEACCH-Programm ist als staatliche Institution in den USA nahezu einzigartig, doch der dort entwickelte therapeutisch-pädagogische Ansatz hat unter dem Namen „TEACCH-Ansatz“ auch im europäischen Raum Anerkennung gefunden und in einigen Einrichtungen werden bereits Elemente dieses Ansatzes angewandt (z.B. Autea gGmbh).
Hauptbestandteil des TEACCH-Ansatzes ist das Structured Teaching, also die Strukturierung des Alltags in den Bereichen Raum, Zeit, Arbeitsorganisation, Tätigkeiten und Routinen. Durch den Einsatz von Strukturierungshilfen, die hauptsächlich auf den visuellen Kanal abzielen, sollen bei den Kindern die Fähigkeit zur selbständigen Tätigkeit und Kompetenzen zur Freizeitbewältigung entwickelt werden (Schopler et al. 1995: 3ff). Die Kooperation mit den Eltern ist dabei ein unverzichtbarer Eckpfeiler. Sie haben im Rahmen der Förderung eine aktive Rolle inne. Eltern werden als Experten für ihr Kind verstanden und haben ein Mitspracherecht in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Fachleuten (ebd.).
Dieses pädagogische Konzept bildet den theoretischen Rahmen für die Gestaltung des Elterntrainingsprogamms. Hauptziel bei der Gestaltung des Trainings ist die Stärkung elterlicher Kompetenzen als Voraussetzung, positiv auf das Verhalten des autistischen Kindes einzuwirken. Das Programm soll den Bedürfnissen der Eltern entsprechen, indem es umsetzbare Theorieund Trainingsinhalte vermittelt und Handlungskompetenzen in den Bereichen Strukturierung, Kommunikationsförderung sowie Förderung der sozialen Interaktion aufbaut. Das Trainingsprogramm wird ergänzt durch einen Elternleitfaden, der die Inhalte des Trainings anschaulich zusammenfasst.
Nach einem Überblick zum aktuellen Forschungsstand erläutert diese Arbeit zunächst Wesen, Ursachen und Diagnostik der Autistischen Störung. Danach werden die derzeit gebräuchlichsten Interventionen in der Autismustherapie unter besonderer Berücksichtigung der Inhalte des TEACCH-Ansatzes dargestellt. Auf Grundlage dieser theoretischen Ausführungen erfolgt die Gestaltung des Elterntrainings.
Probst ordnet fünf Forschungsnetzwerken im angloamerikanischen Sprachraum umfassende Behandlungsprogramme zur Förderung autistischer Kinder zu, in denen Elterntrainingskomponenten integriert sind (vgl. Probst 2003: 5).
Es handelt sich hier um die Forschungsnetzwerke um:
1. Eric Schopler und Gary Mesibov,
2. Ivaar Lovaas,
3. Robert Koegel und Laura Schreibman,
4. Sandra Harris und Vera Bernhard-Opitz und
5. Patricia Howlin und Michael Rutter (vgl. Probst 2003: 5f).
Die hervorgegangenen Ansätze weisen drei gemeinsame Behandlungskomponenten auf: Verhaltensorientierte Kinderpsychotherapie bzw. sonderpädagogische Interventionen, psychoedukatives Elterntraining und Breitband-Elternberatung (ebd.).
Probst stellt fest, dass sich Mehrkomponentenansätze, die diese drei Bausteine enthalten, als effektiv bezüglich der Kindund Familienmerkmale erwiesen haben (Probst 2001: 26ff).
Für die vorliegende Arbeit sind vor allem die Forschungsergebnisse der Wissenschaftlergemeinschaft um Schopler und Mesibov von Bedeutung. Mit der Gründung des Forschungsund Behandlungszentrums TEACCH konnten sie ein Konzept zur Förderung autistischer Menschen etablieren, das großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den Eltern legt. Das Hauptziel des Elterntrainings stellt die Qualitätsverbesserung der Eltern-Kind-Beziehung dar. Zu diesem Zweck werden die Eltern in den TEACCH-Zentren in der Methode der „Strukturierten Unterweisung“ geschult. Des Weiteren soll bei den Eltern eine Einstellung herausgebildet werden, die es ihnen ermöglicht, sich auch auf die Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder einzulassen, um nicht in eine aufopfernde Fehlhaltung gegenüber dem autistischen Kind zu verfallen (ebd.: 4).
Im Rahmen des Elterntrainings kommen folgende Methoden zum Einsatz: Theroretische Instruktionen, Modelltraining, Verhaltensbeobachtung, Hausaufgaben und Supervision der Hausaufgabenprogramme (ebd.).
Das Elterneinzeltraining wird von zwei studentischen Therapeuten in acht bis zehn einstündigen Sitzungen in der Klinik durchgeführt. Die kotherapeutische Tätigkeit der Eltern umfasst anderthalb bis sieben Stunden in der Woche. Die Teilnahme am Elterntraining ist grundsätzlich freiwillig und hat keinerlei Einfluss darauf, ob andere Behandlungskomponenten durchgeführt werden (ebd).
Im Anhang dieser Arbeit sind die Ergebnisse der empirischen Studien der Schopler-Mesibov- Gruppe zusammengefasst. Die Effektstärken weisen darauf hin, dass das TEACCH-Programm nach derzeitigem Forschungsstand eine empirisch begründete Behandlungsform darstellt (vgl. Anlage A.1 und 2).
Im Vergleich zu diesen Befunden weist der Forschungsstand im deutschsprachigen Raum erhebliche Mängel auf. Abgesehen von einer nicht-kontrollierten Pre-Post-Kurzzeitstudie von Hartmann (1997)2 und einer psychometrischen Einzelfallstudie von Süss-Burghart (1994) existieren lediglich narrative Studien, die den „Einsatz von Elterntraining bei der Behandlung Tiefgreifender Entwicklungsstörungen“ untersuchen (vgl. Probst 2003: 6).
In Hartmanns Gruppenstudie wurden die Effekte eines Eltern-Kind-Gruppentrainings auf einer psychiatrischen Eltern-Kind-Station untersucht, wobei sich signifikante Pre-Post-Effekte in den Merkmalen der „Kind-Verhaltensanpassung“ und der „Eltern-Kind-Interaktion“ zeigten (ebd.).
Süss-Burghart beschreibt den Entwicklungsverlauf eines sechsjährigen autistischen Jungen über acht Jahre hinweg. Wesentliche Behandlungselemente sind hier: Kinderverhaltenstherapie, Mutter-Kind-Einzeltraining und Elternberatung in ambulanter Nachsorge. Es zeigten sich substantielle Verbesserungen in der Sprachentwicklung, im symbolischen Spiel und in der allgemeinen kognitiven Entwicklung (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Narrative Studien zum Einsatz von Elterntraining im Rahmen der Autismusförderung.
Quelle: nach Probst 2003: 7
Probst' Analyse der narrativen Studien zeigt, dass Elterntraining im Allgemeinen als effektive Interventionsform zur Behandlung autistischer Kinder bewertet wurde und dass die Ergänzung von Elterntrainings mit Verfahren empfohlen wurde, die die emotionalen Bedürfnisse der Eltern und weiterer Familienmitglieder in den Vordergrund stellen (vgl. Probst 2003: 7).
Häußler (1998) kam im Rahmen einer in Deutschland, Dänemark und den USA durchgeführten Interviewstudie zu dem Ergebnis, dass deutsche Eltern im Durchschnitt eine geringere Zufriedenheit mit der Qualität ihrer Professionellen-Beziehung aufweisen als Eltern aus den anderen beiden Ländern – 40% waren mit ihrem Informiertheitsstatus „sehr unzufrieden“, 35% zeigten sich „sehr unzufrieden“ durch den Mangel an Möglichkeit zur Ausübung einer Kotherapeuten-Rolle (ebd.: 7f).
Als Fazit aus der Sichtung der bestehenden Literatur lässt sich formulieren, dass im Rahmen der Behandlung autistischer Kinder das Elterntraining eine von den Angehörigen gewünschte und sinnvolle Intervention darstellt. Der Mangel an Informiertheit zeigt, dass Elterntrainings notwendig sind, um den Angehörigen auf der emotionalen Seite zu unterstützen und um aktuelles Wissen über das Wesen des Autismus zu vermitteln, damit Eltern in der Lage sind, die Entwicklungsstörung ihres Kindes zu verstehen und so adäquat damit umgehen können.
Zwar existieren einige Modelle zum Einsatz von Elterntrainings bei Autismusspektrum-Stö- rungen, doch im Vergleich zu den Bemühungen im angloamerikanischen Raum besteht im deutschsprachigen Kulturraum auf diesem Feld noch ein erhebliches Defizit.
1944 beschrieb Asperger eine Gruppe von Kindern, die sich zwar durch normale Intelligenz auszeichneten, aber durch soziale Anpassungsschwierigkeiten, pedantische Sprache und spezielle Interessen sowie charakteristische Verhaltensweisen als „autistisch“ auffielen (vgl. Steindal 2002: 11). Er vermutete, dass dieser Persönlichkeitsstörung eine genetische Ursache zugrunde liege. Während der im Jahre 1943 von Kanner veröffentlichte Aufsatz „Autistische Störungen des affektiven Kontaktes“ rasch großen Einfluss in der Fachwelt erreichte und die von ihm beschriebene Störung seinen Namen erhielt, wurde erst in den 80er Jahren die Bezeichnung „Asperger-Syndrom“ als Untergruppe des Autismus ernsthaft diskutiert (ebd.).
Nach wie vor besteht in Fachkreisen Uneinigkeit darüber, ob sich das Asperger-Syndrom grundsätzlich vom Frühkindlichen Autismus unterscheidet und ob in Anbetracht zahlreicher Ähnlichkeiten, eine Unterscheidung überhaupt sinnvoll ist (ebd.: 11f).
International wird jedoch die Annahme geteilt, dass das Asperger-Syndrom einen Teil des „autistischen Kontinuums“ bildet, innerhalb dessen unscharfer Grenzen sich Personen im Laufe ihres Lebens von einer Gruppe hin zu einer anderen entwickeln können (ebd.: 12).
Das autistische Kontinuum reicht von der am stärksten physisch und psychisch beeinträchtigten Person, bei der soziale Beeinträchtigung nur eines von vielen Problemen darstellt bis hin zu der begabtesten, hochintelligenten Person, deren soziale Interaktion in einem Mindestmaß gestört ist und die einzige Beeinträchtigung darstellt (vgl. Wing 1991: 111). Demnach umfasst das Spektrum autistischer Störungen das Asperger-Syndrom, den Frühkindlichen Autismus sowie den atypischen Autismus. Die Merkmale dieser Störungen werden im Folgenden näher charakterisiert.
Da in der deutschsprachigen Psychiatrie und in den internationalen Klassifikationssystemen mittlerweile die Unterscheidung zwischen Asperger-Syndrom und Frühkindlichem Autismus üblich ist, werden die nachstehenden Ausführungen dieser Einteilung folgen, sofern sie relevant ist. Die Bezeichnung „Autismus“ bzw. „Autistische Störung“ wird verwendet, wenn eine Unterscheidung nicht möglich bzw. nicht sinnvoll ist.
Frühkindlicher Autismus
Der Frühkindliche Autismus (auch: Kanner-Syndrom; Kanner-Autismus) ist dadurch gekennzeichnet, dass bei der betroffenen Person eine beeinträchtigte Entwicklung in mindestens einem der Bereiche Sozialverhalten, Kommunikation oder funktionalem bzw. symbolischem Spielverhalten auftritt (vgl. WHO 2000: 177). Die Charakteristika des Autismus werden noch ausführlicher dargestellt; die vollständige Darstellung der Diagnosekriterien nach ICD 10 findet sich in nachfolgender Tabelle (vgl. Tabelle 2).
Der Frühkindliche Autismus tritt bei vier bis zehn von 10.000 Kindern auf, wobei Jungen dreibis viermal häufiger betroffen sind als Mädchen. In ca. 75% der Fälle ist er mit geistiger Behinderung kombiniert. Autistische Personen, deren Intelligenz innerhalb des Normbereiches oder knapp darunter liegt, zählen zur Gruppe der „high-functioning“-Autisten. Bei diesen Autisten mit hohem Entwicklungsniveau können Sprachprobleme auftreten, während die Fähigkeiten auf anderen Gebieten gemäß der Altersnorm entwickelt sind (vgl. Steindal 2002: 13).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Diagnosekriterien des Frühkindlichen Autismus nach ICD 10 (F84.0).
Quelle: nach Weltgesundheitsorganisation 2000: 177f
Asperger-Syndrom
Wie beim Kanner-Autismus zeichnet sich das Asperger-Syndrom durch qualitative Beeinträchtigungen der wechselseitigen sozialen Interaktion, ein stereotypes und repetitives Verhaltensrepertoire sowie eingeschränkte Spezialinteressen auf bestimmten Gebieten aus (vgl. WHO 2000: 182).
Der wesentliche Unterschied zum Frühkindlichen Autismus besteht darin, dass beim Asperger-Syndrom keine generelle Verzögerung der Sprachentwicklung vorliegt. Dennoch sind beim Asperger-Syndrom ähnliche Kommunikationsschwierigkeiten zu beobachten, wie beim Frühkindlichen Autismus, da die Sprache nur mangelhaft an soziale Zusammenhänge angepasst wird. Motorische Einschränkungen sind oft zu beobachten, sie stellen jedoch kein zwingendes Diagnosekriterium dar. Es lässt sich keine spezifische Altersstufe ausmachen – die Problematik zeigt sich besonders nach dem dritten Lebensjahr. Das Asperger-Syndrom tendiert dazu, sich bis ins Erwachsenenalter hinein fortzusetzen, scheinbar ohne dass sich die Charakteristik wesentlich durch Umwelteinwirkungen beeinflussen lässt (vgl. Steindal 2002: 15).
Unsicherheiten bestehen in Bezug auf die Häufigkeit des Asperger-Syndroms. Die Göteborger Studie von Ehlers und Gillberg ergab eine Häufigkeit von 3,6 pro 1000 Schulkinder im Alter von 7 bis 16 Jahren, mit einem Verhältnis 4:1 von Jungen zu Mädchen (vgl. Ehlers/ Gillberg 1993: 1327ff), während die ICD 10 die Geschlechterverteilung mit dem Verhältnis 8:1 angibt.
Eine Abgrenzung zwischen Kanner-Autismus und Asperger-Syndrom ist heute hauptsächlich in Hinblick auf die Forschung relevant (Steindal 2002: 16).
Tabelle 3: Diagnosekriterien des Asperger Syndroms nach ICD 10 (F84.5).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Weltgesundheitsorganisation 2000: 182
Komorbidität
Autismus ist mit anderen psychischen und physischen Erkrankungen und Störungen überzufällig assoziiert. In Tabelle 4 sind die möglichen komorbiden Störungen des Frühkindlichen Autismus und deren Häufigkeit aufgeführt.
Tabelle 4: Komorbidität des Frühkindlichen Autismus.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Poustka et al. 2004: 22
Um den (Frühkindlichen) Autismus diagnostizieren zu können, ist die Berücksichtigung verschiedener Symptome notwendig. Die Wissenschaft geht derzeit davon aus, dass die Ursachen für dieses Syndrom multifaktoriell sind. Erste Anzeichen der Störung zeigen sich bereits vor dem 36. Lebensmonat (vgl. BV HAK 2002: 2).
Da die Frühförderung autistischer Kinder die meisten und am längsten anhaltenden positiven Effekte aufweist, ist die Früherkennung von entscheidender Bedeutung (vgl. Kusch/ Petermann 2001: 201).
Autistische Störungen ähneln anderen Verhaltens-, Kommunikationsund Lernbeeinträchtigungen. Deshalb ist eine genaue Diagnose von grundlegender Bedeutung. Es gilt Autismus zu differenzieren von geistiger Behinderung, Schizophrenie, schizoider Persönlichkeitsstö- rung, Sprachentwicklungsstörungen, Hörbehinderung oder einer nicht weiter spezifizierbaren tiefgreifenden Entwicklungsstörung (vgl. Mesibov 1996: 3).
In Tabelle 5 sind die Differentialdiagnosen des Frühkindlichen Autismus aufgeführt.
Tabelle 5: Differentialdiagnosen des Frühkindlichen Autismus.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Poustka et al. 2004: 20
Eine Verdachtsdiagnose „Frühkindlicher Autismus“ oder „Autistisches Syndrom“ kann bereits zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr getroffen werden. Im Anhang findet sich eine Checkliste, die diagnostisch relevantes Verhalten bis zum vierten Lebensjahr einordnet, wobei zu beachten ist, dass einzelne Verhaltensweisen auch bei gesunden Kindern zu beobachten sind (vgl. Anlage A.3). Weisen die routinemäßigen Früherkennungsuntersuchungen auf eine autismustypische Entwicklungsabweichung hin, sind weitere diagnostische Schritte nötig, um diese Störung von anderen Störungen des Säuglingsund Kleinkindalters abzugrenzen (vgl. Kusch/ Petermann 2001: 202).
Neben den einschlägigen diagnostischen Verfahren sind ausführliche Berichte der Eltern und weiterer naher Bezugspersonen unabdingbar, um den weiteren Verlauf von Diagnostik und Therapie zu gestalten (vgl. BV HAK 2002: 4).
Das ADI-R (Autismus Diagnostisches Interview – Revision), das ADOS-G (Autism Diagnostic Observation Schedule – Generic) und M-CHAT (The Modified Checklist for Autism in Toddlers) sind die derzeit in Deutschland am häufigsten verwendeten und zuverlässigsten diagnostischen Instrumente zur Erfassung autistischer Verhaltensweisen. Das ADI-R ist ein Elterninterview und dient der Lebenszeitdiagnostik. Es umfasst Fragen zu qualitativen Auffälligkeiten in den Bereichen soziale Interaktion, Kommunikation und Verhalten. Das ADOS-G „…besteht aus einer Reihe von strukturierten Aufgabenstellungen, psychodramatischen und Interview-Elementen, die ausschließlich eine Einschätzung aktuellen Verhaltens betreffen…“ (Bölte/ Poustka 1999: 6). Obwohl es nicht spezifisch zur Früherkennung konzipiert worden ist, kann Modul 1 jedoch zur Identifikation von Autismus ab dem zweiten Lebensjahr eingesetzt werden (Bölte/ Poustka 2005: 7f). M-CHAT ist ein Elternfragebogen zur Früherkennung von Autismus-Spektrum-Störungen im Alter von 24 Monaten. Die Skala findet sich im Anhang (vgl. Anhang 4).
ADI-R, ADOS-G und M-CHAT werden ergänzt durch Intelligenzdiagnostik, die Einschätzung des adaptiven Verhaltens, neurologische Untersuchungen, eine allgemeine Krankheitsanamnese und eine Blutabnahme zur Erstellung eines Chromosomenbildes (vgl. Bölte/ Poustka 1999: 6).
Zum jetzigen Zeitpunkt werden in Forschungskreisen zwei verschiedene Standpunkte bzgl. der Verursachung von Autismus vertreten. Die Göteborger Forschungsgruppe um Christopher Gillberg vertritt die Ansicht, dass es sich beim Autismus nicht um ein einheitliches Syndrom mit einer klaren Ätiologie handelt, wonach viele verschiedene somatische Erkrankungen (wie das Fragile X-Syndrom, das Rett-Syndrom und die tuberöse Hirnsklerose) zur Entstehung des autistischen Phänotyps führen, was die Suche nach einer Hauptursache des Autismus obsolet mache (vgl. Bölte/ Poustka 1999: 8). Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass 37% der Fälle auf bekannte körperliche Erkrankungen zurückzuführen sind und sich diese nicht von idiopathischen Fällen unterscheiden (vgl. ebd.).
Der Großteil der Wissenschaftler vertritt dagegen die Ansichten der Londoner Forschungsgruppe um Michael Rutter, die davon ausgeht, dass der Anteil von bekannten Grunderkrankungen, die einen autistischen Phänotyp hervorbringen können etwa zehn Prozent beträgt. Daher gehe man von einer anderen, einheitlichen, höchstwahrscheinlich genetischen Ursache des Autismus aus (ebd.).
Seit den 70er Jahren wird eine genetische Ursache des Autismus vermutet. Zwillingsstudien ergaben hinsichtlich des Autismus eine 60%ige Übereinstimmung für eineiige gegenüber 0% bei zweieiigen Zwillingspaaren (vgl. Bölte/ Poustka 1999: 8). Drei Prozent der Geschwisterkinder von Autisten sind ebenfalls erkrankt (dieser Wert ist 50-100mal höher als es dem durchschnittlichen Erwartungswert in der Bevölkerung entspricht). Schätzungen der Vererblichkeit betragen 91-93%, womit Umweltfaktoren bei der Genese der Autistischen Störung wahrscheinlich zu vernachlässigen sind (ebd.).
Am wahrscheinlichsten ist „...ein polygenetisches Modell mit einer interagierenden, multiplikativen Verknüpfung (Epistasis) von drei bis vier Genen, die vermutlich während der Gehirnentwicklung aktiv sind...“ als die genetische Grundlage des Autismus anzusehen (Bölte/ Poustka 1999: 8; vgl. Poustka et al. 2004: 24). Welche Gene das sind und welche Regionen auf dem menschlichen Chromosom untersucht werden müssen, ist bislang noch unbekannt. Die Region die am ehesten zutrifft, liegt im Bereich des Chromosoms 7q31-q35. Eine weniger bedeutsame Region liegt am Ende des Chromosoms 16, während das gesamte X-Chro mosom als Kandidatenregion ausgeschlossen werden konnte (vgl. Bölte/ Poustka 1999: 8). In Tabelle 6 sind die Hinweise zusammengefasst, die darauf deuten, dass es sich bei Autismus primär um eine biologische Störung handelt (vgl. Poustka et al. 2004: 22).
Tabelle 6: Hinweise darauf, dass es sich bei Autismus primär um eine biologische Störung handelt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Poustka et al. 2004: 22
Da die Verhaltensübereinstimmung bei monozygoten Zwillingen aber nicht 100% beträgt, müssen auch Umweltfaktoren berücksichtigt werden, wobei bei Autistischen Störungen die genetischen Faktoren eine weitaus größere Rolle spielen (vgl. Poustka et al. 2004: 24).
Schätzungen der Erblichkeit zufolge erklären Umwelteinflüsse maximal 10% der phänotypischen Varianz des Autismus. Als Umweltfaktoren versteht man alle psychobiosozialen Faktoren, die von außen auf den Organismus einwirken (Poustka et al. 2004: 26). Umweltfaktoren, die im Zusammenhang mit Autismus diskutiert werden, finden sich in Tabelle 7.
Tabelle 7: Umweltfaktoren, die im Zusammenhang mit Autismus stehen könnten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Poustka et al. 2004: 27
Die Einflüsse dieser Faktoren sind allerdings „…empirisch schwach fundiert, beruhen auf Einzelfallstudien, kleinen Stichproben oder fragwürdiger Methodik. Die größte Evidenz besteht für einen kausalen Zusammenhang zwischen angeborenen Röteln und autistischer Symptomatik.“ (Poustka et al. 2004: 26f). Doch es bleibt anzumerken, dass nur etwa ein Prozent der Menschen mit Autismus an angeborenen Röteln leide (vgl. Poustka 2004: 27).
Jüngste Studien widerlegen auch den Zusammenhang zwischen MMR-Impfung und dem Auftreten von Autismus. Die aktuellste Studie zu diesem Thema stammt von Eric Frombonne, der 2006 in seiner Untersuchung an 28.000 Kindern hier keinen signifikanten Zusammenhang feststellen konnte (vgl. Frombonne et al. 2006: 139ff). Ebenso entbehrt die Annahme, dass Autismus aus einer Lebensmittelunverträglichkeit (z.B. Gluten und Casein) oder einer Antibiotikamedikation resultiert, jeglicher empirischer Fundierung. Das Risiko hingegen, Krankheiten zu entwickeln, wird durch „…die Vorenthaltung von Nahrungsbestandteilen, Antibiotika oder Vakzination […] ganz allgemein erhöht.“ (Poustka et al. 2004: 27).
Bezüglich der Neurobiologie des Autismus werden vorrangig Besonderheiten der Intelligenzstruktur, Störungen der Theory of Mind, der Exekutivfunktionen sowie eine schwache zentrale Kohärenz als mögliche psychologische Korrelate autistischen Verhaltens erforscht. Auch die vereinzelt auftretenden besonderen Fähigkeiten („Inselbegabungen“ bzw. Savant-Syndrom) von Menschen mit Asperger Syndrom werden in diesem Zusammenhang betrachtet (vgl. Poustka et al 2004: 28f).
Autistische Personen weisen bestimmte basale Wahrnehmungsund Denkbesonderheiten auf, die testpsychologisch untersucht werden können und vermutlich eng mit der Kernsymptomatik assoziiert sind (Bölte/ Poustka 1999: 6).
Inselbegabungen
Im Rahmen von intelligenzdiagnostischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Menschen mit Autismus ein relativ stabiles und charakteristisches Leistungsprofil in den Wechsler-Intelligenzskalen zeigen. Tendenziell gute Leistungen werden im Bereich der visuellräumlichen Fähigkeiten und der mechanischen Gedächtnisfunktion erreicht, wohingegen die Leistungen im Bereich soziale Kognition meist stark unterdurchschnittlich sind (vgl. Poustka et al. 2004: 29).
Das Savant-Syndrom beschreibt „…das Auftreten eines herausragenden umschriebenen kognitiven Funktionsbereichs oder einer erstaunlichen Fähigkeit vorwiegend bei allgemeiner Intelligenzminderung.“ (Bölte et al. 2002: 291). Besondere Kompetenzen sind vor allem in den Bereichen Gedächtnis, Musik, Zeichnen, Rechnen und Lesen zu finden. Savants sind unter Menschen mit Autismus vergleichbar häufig anzutreffen (vgl. ebd.). Als tatsächlich spektakuläre, normativ herausragende Fälle wurden bisher lediglich etwa 100 beschrieben (ebd.: 292). Bei durchschnittlichen Leistungen, die nur in Anbetracht der Behinderung bemerkenswert sind, spricht man hingegen von splinter-skills (ebd.: 291). Autistische Savants besitzen häufig die Fähigkeit des Kalenderberechnens, d.h. sie können zu einem beliebigen Datum der Vergangenheit oder Zukunft den entsprechenden Wochentag nennen. Auch besondere Gedächtnisleistungen sind charakteristisch für Savants. Bislang liegt noch kein einheitliches Erklärungsmodell zum Savant-Syndrom vor (ebd.: 292f). In Tabelle 8 sind die verschiedenen Theorien zur Abbildung dieses Syndroms zusammengefasst.
Tabelle 8: Theorien zum Savant-Syndrom.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Bölte et al. 2002: 203
Theory-of-Mind (ToM)
Die Theory of Mind bezeichnet ein breites Spektrum sozio-kognitiver Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche soziale Interaktion notwendig sind. Sie „…umfasst alle Kognitionen, die es ermöglichen, fremdes und eigenes Verhalten und Erleben zu erkennen, zu verstehen, zu erklä- ren, vorherzusagen und zu kommunizieren.“ (Poustka et al. 2004: 30). Bei vielen Autisten besteht ein Mangel an Theory of Mind, was sich darin zeigt, dass sie Probleme haben, z.B. subtile soziale Vorgänge, Stimmungen, Witze und Sarkasmen zu verstehen, oder auch nonverbale Hinweisreize richtig zu deuten (vgl. ebd.; Bölte/ Poustka 1999: 6).
Nach Beendigung des ersten Lebensjahres sind normal entwickelte Kleinkinder in der Lage, die Handlungen anderer Personen als zielgerichtet und selbstbestimmt zu identifizieren, im weiteren Kleinkindalter können sie andere täuschen und Täuschungen anderer als solche erkennen. Um das Alter von vier Jahren können sie sich in Gedanken und Gefühle anderer hineinversetzen (Baron-Cohen 1995: 59f). 1985 stellten Simon Baron-Cohen, Uta Frith und Alan Leslie die These auf, dass die drei Kardinalsymptome des Autismus – Kommunikationsprobleme, abnormes Sozialverhalten und eingeschränktes Spielverhalten – das Resultat des fehlenden Vermögens, Gedanken zu lesen („mindreading“) sind (Baron-Cohen 1995: 63).
Sie machten vier Mindreading-Mechanismen aus: Intentionality Detector (ID), Eye-Direction Detector (EDD), Shared-Attention Mechanism (SAM) und Theory-of-Mind Mechanism (ToMM). Der ID ist ein Wahrnehmungsmechanismus, der auf Basis von (Eigen-) Bewegungen Objekten Ziele und Wünsche zuschreibt. Der EDD basiert auf dem Sehvermögen; durch ihn werden Sehrichtung und –verhalten beobachtet. SAM verbindet ID und EDD und erweitert so die zweidimensionalen Repräsentationen (Ich/ Person – Objekt) durch eine dritte Dimension (Ich – Person – Objekt). ToMM enthält Daten von SAM und umgekehrt. Durch diese Mechanismen werden anderen Personen epistemische Geisteszustände (wie täuschen, denken und glauben) zugeschrieben. Das ermöglicht die Reflexion über (evtl.) falsche Annahmen anderer Personen, siehe „False-Belief-Tests“). Da die meisten Autisten in der Lage sind, bewegten Objekten Ziele und Wünsche zuzuschreiben sowie auch die Blicke anderer in Hinsicht auf Seherlebnisse zu deuten, geht man davon aus, dass ID und EDD intakt sind. Die Entwicklung von SAM und ToMM hingegen sind gestört – die meisten Autisten beachten die Blicke anderer nicht und versuchen auch nicht, sie auf etwas Bestimmtes zu lenken. Da es ihnen an einem Konzept ihres Gegenübers mangelt, sind sie nicht in der Lage, z.B. ihre Intonation an eine Person oder Situation anzupassen (reden zu laut oder leise; versuchen nicht, interessant zu klingen) – sie haben Probleme, die mentalen Zustände anderer zu verstehen (vgl. Baron-Cohen 1995: 32ff).
Die gestörte Entwicklung von SAM und ToMM zeigt sich darin, dass ein Großteil der Autisten sog. „False-Belief“-Aufgaben nicht lösen kann. Der bekannteste Test, der dazu durchgeführt wird, ist das Sally-Anne-Experiment (vgl. Anlage A.5). Bei diesem Test wird eine Szene mit zwei Puppen vorgespielt. Sally hat einen Ball, den sie in einen Korb legt und dann aus dem Raum geht. Während sie draußen ist, holt Anne den Ball aus dem Korb und legt ihn in eine Schachtel. Sally kommt wieder, um den Ball zu holen. Die Frage lautet nun, wo sie den Ball suchen wird. Sie müsste annehmen, dass der Ball noch im Korb ist. Während normal entwickelte Kinder diese Aufgabe bestehen, vermutet ein Großteil der autistischen Kinder, dass Sally den Ball dort suchen würde, wo er tatsächlich ist (Frith 1991: 18f).
Die Theory of Mind ist zwar geeignet, um Beeinträchtigungen der Imagination, Sozialisation und Kommunikation zu erläutern, dennoch lässt sie restriktives, repetitives und stereotypes Verhalten außer Acht (Bölte et al. 2001: 224).
Schwache zentrale Kohärenz
Die zentrale Kohärenz ist die Tendenz, ganzheitlich, kontextgebunden und gestaltmäßig zu denken. Das Konzept der zentralen Kohärenz wird anhand des (Children) Embedded Figures Test erfasst (vgl. Poustka 2004: 31).
Bei Autisten besteht oft ein Mangel an zentraler Kohärenz, was dazu führt, dass sie Informationen nicht in einen Gesamtzusammenhang bringen können, während die Tendenz, Reize isoliert zu verarbeiten, stark ausgeprägt ist (Happé 1991: 360f).
Die schwache zentrale Kohärenz führt dazu, dass „…die Umwelt nicht als eine geschlossene Einheit verstanden wird und Ereignisse in ihr kontextfrei interpretiert werden.“ (Bölte/Poustka 1999: 6).
Exekutive psychologische Funktionen
„Exekutivfunktionen umfassen eine recht uneinheitliche Gruppe kognitiver Funktionen höherer Ordnung, die im Dienste der zielgerichteten Handlungsplanung und Selbststeuerung stehen…“ (Poustka et al. 2004: 30). Man geht davon aus, dass vor allem das Arbeitsgedächtnis exekutive Prozesse vermittelt. Mehrere Studien belegen, dass Autismus wahrscheinlich mit Störungen der Exekutivfunktionen verknüpft ist (vgl. ebd.).
Exekutive psychologische Dysfunktionen, also gestörte vorausschauende und problemorientierte Prozesse, führen zu einer Beeinträchtigung von Verhaltensplanung und -kontrolle (Bölte/ Poustka 1999: 8).
„Während exekutive Dysfunktionen mit einer frontalen zerebralen Symptomatik assoziiert sind, ist das organische Korrelat der schwachen zentralen Kohärenz und der Theory-of-Mind noch unklar.“ (Bölte/ Poustka 1999: 8).
Unumstritten ist die Meinung, dass ein Zusammenhang zwischen Autismus und Dysfunktionen des zentralen Nervensystems besteht; bei ca. 90% der Betroffenen finden sich Auffälligkeiten, die auf neurologische Störungen hinweisen (vgl. Poustka et al. 2004: 32).
Die vermehrte Beobachtung von Epilepsie und abnormen EEG bei autistischen Menschen waren die ersten Anzeichen für eine organisch bedingte Ätiologie des Autismus. Zwar variieren die Ergebnisse zur Prävalenz zwischen zehn und 80% für EEG-Auffälligkeiten und 20 bis 35% für Epilepsie, dennoch ist dadurch eine gestörte Gehirnaktivität indiziert (ebd.). Die gesamten neurobiologischen Befunde bei Autismus sind in Tabelle 9 zusammengestellt.
Tabelle 9: Neurobiologische Befunde bei Autismus.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: nach Poustka et al. 2004: 32
Während die Physiognomie von Autisten als weitgehend unauffällig beschrieben wird, zeigen jüngere Studien, dass eine überzufällig große Zahl einen vergrößerten Kopfumfang aufweist. Diese Makrozephalie zeige sich an konsistentesten bei Menschen mit Asperger-Syndrom (ebd.).
Derzeit ist keine Behandlungsmöglichkeit zur Heilung des Autismus bekannt; ein Großteil der Betroffenen benötigt lebenslang ein zumindest gewisses Maß an Betreuung und Unterstützung, die durch eine fachübergreifende Kooperation von Psychiatern, Psychologen, Pädiatern, Heilpädagogen, weiteren therapeutischen Spezialisten und nicht zuletzt der Eltern und weiteren Personen aus dem Lebensumfeld der Betroffenen gewährleistet werden muss. In der Regel verfolgt die therapeutische Intervention vier zentrale Ziele: „Hilfestellungen für die Familie bei der Bewältigung des Autismus sowie auf Seiten des Patienten die Förderung der sozialen und kommunikativen, vor allem der sprachlichen Entwicklung, die Unterstützung beim Lernen und Problemlösen, die Verminderung von Verhalten, das Lernprozesse oder den Zugang zu entwicklungsgerechten Erlebnissen verhindert.“ (Bölte/ Poustka 1999: 9).
In den USA bestehen die meisten Interventionen aus intensiven Einzeltherapien, an denen das Kind, ein Elternteil und der Therapeut teilhaben. Die Intervention findet im Elternhaus und im schulischen Umfeld statt. Eltern haben die Möglichkeit, sich in Trainingszentren über Programme zu informieren, die sie selbst zu Hause anwenden können (vgl. Sigman/ Capps 2000: 143f). In Japan dagegen finden Trainingsprogramme oft in kommunalen Zentren statt, wo Gruppen autistischer Kinder und deren Angehörige aufeinander treffen (ebd.).
Da es in Deutschland an geeigneten speziellen Einrichtungen mangelt, sind viele Betroffene bis heute langfristig in psychiatrischen Kliniken untergebracht (ebd.: 145).
1970 wurde in Deutschland der Bundesverband „Hilfe für das autistische Kind e.V.“3 aus einer Initiative betroffener Eltern heraus gegründet. Der Verband konnte mit seinen Regionalverbänden eigene Therapieambulanzen, Tageseinrichtungen, stationäre Einrichtungen und Wohneinrichtungen für Erwachsene aufbauen (vgl. BV HAK, 20.12.2006). Eine ganztägige spezielle schulische Betreuung für autistische Kinder ist bislang nur in Bremen, Berlin und Hannover möglich (vgl. BV HAK, 21.12.2006). Für die über 30.000 erwachsenen Autisten in Deutschland stehen bislang nur etwa 400 adäquate Wohnplätze zur Verfügung (ebd.).
Die hier vorgestellten Therapien zielen auf die Förderung der sozialen Interaktion, Kommunikationsfähigkeit, Selbständigkeit, sprachlicher Fähigkeiten sowie den Abbau von Zwängen, Aggressionen, Hyperaktivität, motorischer Defizite und Isolation (vgl. Bölte/ Poustka 2002: 273). Bei einigen therapeutischen Ansätzen liegt der Fokus zunächst auf der Behandlung schwerwiegender Begleiterkrankungen (z.B. Epilepsie), um den Weg für weitere Interventio nen überhaupt erst zu ermöglichen (ebd.). Da einige Therapieansätze methodologisch integrativ konzipiert sind, ist eine klare Abgrenzung der Interventionen voneinander schwierig. In der Literatur finden sich verschiedene Klassifizierungen der unterschiedlichen Ansätze.
Verhaltensorientierte Maßnahmen haben ihren Ursprung in der psychologischen Lerntheorie. Beschränkten sie sich anfangs auf den systematischen Einsatz von Belohnung und Bestrafung, so wurden sie stetig weiterentwickelt. Heute finden mehrere verhaltensorientierte Systeme auch in der Autismustherapie Anwendung: Operantes, kognitives und soziales Lernen (vgl. Mesibov 1996: 10).
Operante Methoden
Operante Trainingstechniken setzen die wesentlichen Prinzipien der Lerntheorie – Belohnung und Bestrafung – direkt um. Dabei soll erwünschtes Verhalten entwickelt und gesteigert und unproduktives abgebaut werden. Operante Methoden haben sich bei der Entwicklung kommunikativer und sozialer Verhaltensweisen als wirksam erwiesen; besonders schwere Verhaltensprobleme wie Aggressionen und selbstverletzendes Verhalten können dadurch reduziert werden. Dabei werden Methoden wie Verstärkerentzug, time-out Prozeduren und Überkorrektur eingesetzt (vgl. Mesibov 1996: 10).
Anfänglich gehörten auch aversive Stimulationen, wie leichte Stromstöße bei autoaggressivem Verhalten zum Repertoire der Verhaltensintervention. Diese extremen Maßnahmen sind aber nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr zu rechtfertigen (vgl. Sigman/ Capps 2000: 147).
Obwohl sich operante Methoden als effektiv erwiesen haben, treten Fachleute dafür ein, sie durch positivere Verfahren zu ersetzen (vgl. Mesibov 1996: 10).
Kognitive Methoden
Kognitive Methoden beziehen, anders als die operanten, die unbeobachtbaren Variablen ein. Obwohl Kognitionen wie Gedanken und Ideen schwer zu erfassen sind, haben sie eine zentrale Rolle inne, da diese Prozesse den grundlegenden Regeln von Lernen und Verhalten folgen (vgl. Mesibov 1996: 10).
Bei Autisten werden oft strukturierte Unterrichtstechniken eingesetzt – im Unterschied zu den operanten Techniken heben sie nicht das Prinzip der Belohnung hervor, sondern das Verständnis der autistischen Person für das, was von ihr erwartet wird (ebd.). In einem nützlichen und bedeutsamen Rahmen werden auch Belohnung und Bestrafung eingesetzt, daneben finden Techniken wie die Organisation der physischen Umgebung, der Einsatz von Zeitplänen, das Durchführen einer sorgfältigen Förderdiagnostik sowie das Schaffen positiver Routinen Anwendung. Entspannungstraining und Biofeedback werden ebenfalls im Rahmen der kognitiven Methoden angewandt, um Ängste abzubauen und um die Kontrolle über sich selbst zu bewahren (vgl. ebd.: 10f).
Methoden des sozialen Lernens
Soziale Lerntheorien betrachten Verhalten in ihrem sozialen Kontext. Da Autisten ein zentrales Defizit der sozialen Interaktion zeigen, liegt der Fokus der sozialen Methoden auf dem Training sozialer Fertigkeiten. Diese Fertigkeiten werden unter Einsatz von Rollenspielen, Vorbildern und Proben in der natürlichen Umgebung geübt. Sonderpädagogische Programme setzen individuelle Verhaltensziele und konzentrieren sich zu diesem Zweck auf eine individuelle Förderdiagnostik und die Entwicklung einer sinnvollen Umgebung (vgl. Mesibov 1996: 10f). Um ein solches Training effektiv zu gestalten, ist es unabdingbar, es in der Gesellschaft anzusiedeln und die Kooperation von Eltern und Fachleuten zu gewährleisten. Im Rahmen sonderpädagogischer Programme zeigt sich eine Bewegung hin zum gemeinde-orientierten Unterricht, der Lernmöglichkeiten außerhalb des institutionellen Rahmens bietet, um auf ein Leben im Alltag vorzubereiten (z.B. Einkaufen gehen, Mobilität verbessern…) (ebd.).
Darüber hinaus sollten Möglichkeiten für Autisten geschaffen werden, gemeinsam mit nicht behinderten Kindern zusammen zu sein. Eine solche integrative Lernsituation wirkt sich nachweislich positiv auf Sozialund Spielverhalten aus. Allerdings besteht noch Uneinigkeit darüber, wie derartige Programme am effektivsten umgesetzt werden können (ebd.).
Das bekannteste verhaltenstherapeutisch begründete Autismusfrühförderprogramm geht auf Ivar Lovaas zurück. Es beruht auf dem Prinzip der Applied Behaviour Analysis (ABA), „…einer systematischen Anwendung und Evaluation lerntheoretisch basierter Techniken der Verhaltensmodifikation.“ (Bölte/ Poustka 2002: 273). Die Therapie umfasst 15 bis 40 Stunden pro Woche über mehrere Wochen oder sogar Jahre. Zu Beginn sollen grundlegende soziale und spielerische Verhaltensweisen erlernt werden. Im weiteren Verlauf liegt der Schwerpunkt auf dem Erwerb sprachlicher Fähigkeiten. Parallel dazu versucht man stets, Kontakte zu nor malentwickelten Kindern anzubahnen. Der abschließende Therapiepunkt betrifft die „…Beschäftigung mit Emotionen, vorschulischen Fertigkeiten und der Fähigkeit zur Selbstregulation in fremder Umgebung.“ (Bölte/ Poustka 2002: 273f).
Die Arbeitsgruppe um Lovaas legte als erste hinreichende Evaluationsstudien auf diesem Gebiet vor. Kinder, die über ca. drei Jahre hinweg intensiv behandelt wurden, zeigten in kognitiven und adaptiven Verhaltensskalen im Vergleich zu den Kontrollgruppen Verbesserungen von ein bis zwei Standardabweichungen, die langfristig recht stabil blieben. Die Effekte dieser Methode gehören im Bereich der Autismusforschung zu den wissenschaftlich am besten untersuchten (ebd.: 274).
Derartige verhaltenstherapeutisch begründete Verfahren fanden überwiegend in den USA und Norwegen weite Verbreitung, während man ihnen im deutschen Sprachraum skeptischer gegenübersteht, was unter anderem daran liegt, dass zeitlicher und finanzieller Aufwand sehr hoch sind und dass einige Methoden den Eindruck einer „Dressur“ des Patienten erwecken.
Psychopharmaka wie z.B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Stimulantien und atypische Neuroleptika können störende und überschüssige Verhaltensweisen abbauen. Sie können unterstützend wirken bei der Minimierung von impulsivem und motorisch unruhigem Verhalten, bei Ritualen, Zwängen und selbstverletzendem Verhalten. Obwohl es keine Standardmedikation des Autistischen Syndroms gibt, wird in den USA ein Großteil der autistischen Patienten pharmakologisch behandelt (Bölte/ Poustka 1999: 10).
Stimulantien können Hyperaktivität reduzieren, aber auch eine Verschlechterung im Verhalten bewirken (vgl. Mesibov 1996: 8).
Antidepressiva wie Phenothiazine werden bei Angststörungen, Aggressivität und selbstverletzendem Verhalten eingesetzt. Haldol (Wirkstoff: Haloperidol) ist das am häufigsten verwendete Präparat. Allerdings kann eine derartige Medikation Lernschwierigkeiten fördern. Fluotexin wird bei nicht behinderten Menschen als Antidepressivum eingesetzt, es konnte aber auch erfolgreich bei jugendlichen und erwachsenen Autisten mit Depressionen eingesetzt werden. Ähnliche Erfolge zeigte Anaframil bei extrem zwanghaften Verhaltensweisen (ebd.: 9).
Atypische Neuroleptika werden gelegentlich bei episodisch auftretendem aggressiven Verhalten verabreicht, oder aber wenn andere Medikamente nicht ansprechen. Allerdings ist die Medikation stark zu überwachen, da die Spanne zwischen therapeutischem und toxischem Niveau sehr klein ist (ebd.).
Die Konzentration der Neurotransmitter im Gehirn beeinflusst unter anderem die Stimmung, Aggressivität und Vigilanz. Da man davon ausgeht, dass bei autistischen Menschen der Serotoninspiegel im Gehirn erhöht ist, soll er, im Rahmen der Neurotransmittertherapie , durch Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gesenkt werden (vgl. Kehrer 1990: 207). Fenfluramin (in Dtl. Ponderax) wurde ursprünglich als Appetitzügler entwickelt, reduziert aber auch den Blut- Serotonin-Spiegel im Gehirn. Zwar konnte durch die Gabe von Fenfluramin in isolierten Fällen eine positive Veränderung erzeugt werden, aber durch die schwerwiegenden Nebenwirkungen stellt diese Medikation keine Behandlungsalternative dar (Mesibov 1996: 9).
Die Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn bewirkt die Herabsetzung von Schmerzen und verbessert die Durchblutung verletzter Stellen. Die Blockierung des Endorphins Dynorphin bewirkt, dass Lähmungserscheinungen und Schock verringert werden (vgl. Kehrer 1990: 207f). Naltrexon, ein opiater Morphinantagonist wird unter der Auffassung, dass mit Autismus eine erhöhte opioide Gehirnaktivität verbunden ist, nur im experimentellen Rahmen eingesetzt. In Einzelfällen konnte durch Naltrexongaben ein Rückgang von Echolalie, stereotypen Bewegungen und Autoaggressionen beobachtet werden (ebd.). Da Berichte über die Effektivität bislang noch unzureichend sind, muss die Forschung auf diesem Gebiet weitere Ergebnisse vorlegen (vgl. Mesibov 1996: 9).
Die Befunde bezüglich der Gaben von Megavitaminen sind uneindeutig und zeigten bisher nur bescheidene Verbesserungen und stellen so keine moderate Behandlungsalternative dar (ebd.).
Da Schwierigkeiten im kommunikativen Bereich zu den zentralen Merkmalen der Autistischen Störung gehören, stellen Methoden der Kommunikationsförderung sowohl bei sprechenden, als auch bei nicht sprechenden Patienten einen wichtigen Bestandteil im Rahmen therapeutischer Interventionen dar. Durch den Gebrauch von Handzeichen und Gesten oder aber mittels Gebärdensprache kann man auch nicht-sprechenden Autisten einen kommunikativen Zugang zur Welt schaffen. Aber auch Symbolsysteme und unterstützte Kommunikation gehören zu den Methoden der Kommunikationsförderung, die den Weg für weitere Interventionen ebnen sollen.
[...]
1 TEACCH steht für Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children
2 Probst weist darauf hin, dass diese Studie erhebliche methodische Mängel aufweist (vgl. Probst 2003: 6)
3 Der Bundesverband „Hilfe für das autistische Kind e.V.“ wird im Folgenden aus Gründen der Lesbarkeit mit BV HAK abgekürzt.
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