Bachelorarbeit, 2020
48 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Definition von Beratung
1.1. Psychosoziale Beratung
1.2. Der Unterschied zwischen Beratung und Therapie
1.3. Beratung und Therapie bei Carl Rogers
2. Die personenzentrierte Beratung
2.1. Werdegang des Begründers Carl R. Rogers
2.2. Wertevorstellungen und Grundannahmen Carl Rogers
2.3. Entstehung des personenzentrierten Beratungsansatzes
2.4. Das Menschenbild und die Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers
2.4.1. Spezielle Bestandteile der Persönlichkeitstheorie nach Carl Rogers
2.4.2. Organismisches Wertungssystem, Selbstbild und Inkongruenz
2.4.3. Symbolisierung, Aktualisierungstendenz und Selbstaktualisierungstendenz
3. Das personenzentrierte Beziehungskonzept
3.1. Absolute Wertschätzung
3.2. Echtheit/ Kongruenz
3.3. Empathie
3.4. Das Zusammenwirken der Beziehungsvariablen
4. Gesprächstechniken
5. Stellenwert des personenzentrierten Ansatzes von Carl Rogers
6. Die Schwangerschaftskonfliktberatung
6.1. Der Schwangerschaftskonflikt
6.2 Das Strafrecht als Grundlage der Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland
6.3. Zugrundeliegendes Beratungsverständnis und Ziele der Schwangerschaftskonfliktberatung
6.4. Inhalt und Ablauf der Beratungsgespräche
6.5. Die Ausbildung, Qualifikation und Handlungskompetenz des/der Berater*in
7. Möglichkeiten und Herausforderungen der personenzentrierten Beratung in der Schwangerschaftskonfliktberatung
7.1. Herausforderungen
7.2 Möglichkeiten
Fazit
Literatur
Eidesstaat
Anhang
Anhang 1: Falldarstellung
Abbildung 1: Die Inkongruenz und Kongruenz von organismischen Erfahrungen und Selbstbild
Abbildung 2: Das magische Dreieck der personenzentrierten KernbedingungenS
Abbildung 3: Beraterische Kompetenz
Abbildung 4: Menschliche Kompetenz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Obgleich sich für den Berater also die SKB [Anm. d. Verf. Schwangerschaftskonfliktberatung] ebenfalls, wenn auch in ganz anderer Weise, als schwierig und konflikthaft darstellt, gibt es erstaunlicherweise kaum Untersuchungen oder Hinweise zu dem spezifischen, im Beratungsprozeß [sic.] praktizierenden Verhalten des Beraters“ (Jungermann et.al. 1981, S. 27).
Dieses Zitat, aus der Schriftreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, zum Thema Beratung bei Schwangerschaftskonflikten, weißt schon damals auf die fehlenden Studien zu den angewandten Beratungsmethoden in der Schwangerschaftskonfliktberatung hin und sieht einen dringenden Handlungsbedarf, welcher immer noch von Gültigkeit zu sein scheint. Auch die Autorin Ursula Kersting-Otte verweist exakt 30 Jahre nach Veröffentlichung dieser Schriftreihe auf die immer noch „verbesserungswürdige Forschungslage hinsichtlich der Wirkung von Beratung in diesem besonderen Arbeitsfeld“ (2011, S.14).
Das von Ursula Kersting-Otte beschriebene „besondere Arbeitsfeld“ der Schwangerschaftskonfliktberatung stellt ein Beratungsfeld dar, welches unter so ungünstigsten Voraussetzungen arbeitet, dass sie in der Fachliteratur sogar als die „Champions League der Beratung“ betitelt wird (vgl. Koschorke 2019, S. 109).
Für die Schwangerschaftskonfliktberatung gelten in Deutschland besondere Regeln und Gesetze. Diesen unterliegen nicht nur die Klientinnen, sondern lassen auch den Berater*innen wenig Spielraum, wie sie diese konfliktbehaftete Beratung gestalten. Besonders der Grad der Freiwilligkeit erschwert die Dynamik. Entsprechend betroffen ist aber vor allem das Beziehungsgeschehen des Beratungsgesprächs (vgl. Koschorke 2019, S. 147). Ebenfalls tragen gesellschaftliche Stigmatisierung und Tabuisierung dazu bei, dass eine SKB oft nicht ohne Schamgefühle wahrgenommen werden kann (vgl. Kunze 2008, S. 212). Im Grunde geht es bei den Beratungen der SKB um die Gestaltung eines Klimas, wie es in der personenzentrierten Beratung nach Carl Rogers von höchster Bedeutung ist, um eine vertrauensvolle zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. (vgl. Stimmer & Ansen 2016, S. 119-123). Doch bietet dieser Beratungsansatz auch Mittel, welche im Kontext und Spannungsfeld einer SKB ein vertrauensvolles Beziehungsgeschehen fördern? Dies soll in der vorliegenden Arbeit wissenschaftlich untersucht werden. Die Relevanz des Themas ergibt sich zum einen aus der stetigen kontroversen Diskussion unserer Gesellschaft zum Thema Schwangerschaftsabbruch und zum anderen aus der verbesserungswürdigen Forschungslage hinsichtlich der Wirkung des personenzentrierten Beratungsansatzes in der SKB (vgl. Kersting-Otte 2011, S. 14). Daher lautete die Fragestellung dieser Bachelorarbeit: „Inwieweit kann die personenzentrierte Beratung eine professionelle und förderliche Beziehung zwischen Klientin und Berater*in in der Schwangerschaftskonfliktberatung entstehen lassen?“
Ziel dieser Arbeit ist es, Anhand der erarbeiteten Elemente herauszufinden, ob der personenzentrierte Beratungsansatz die Beziehungsgestaltung zwischen Berater*in und Klientin in der SKB positiv beeinflusst. Des Weiteren soll die Schwangerschaftskonfliktberatung in all ihren Facetten und strukturellen Besonderheiten untersucht und analysiert werden, um dann die Ergebnisse miteinander in Beziehung zu setzten. Hier werden dann konkrete Möglichkeiten und Herausforderungen aufgezeigt, wie der personenzentrierte Beratungsansatz in der Schwangerschaftskonfliktberatung anwendbar ist und auf das Beziehungsgeschehen wirkt. Da die Zielsetzung dieser Arbeit durch theoretische Forschung in Form von Literaturarbeit erreicht werden soll, bietet sich die Verwendung von Erfahrungsberichten aus der psychosozialen Arbeit und Gesprächssituationen aus dem Alltag der Schwangerschaftskonfliktberatung als Methoden an. Diese bieten Einblick in individuelle Gesprächssituationen der SKB und zeigen transparent die Entwicklung des Beziehungsgeschehen zwischen Berater*in und Klientin. Die verwendete Literatur kommt unter anderem von Carl Rogers, dem Begründer des personenzentrierten Beratungsansatzes und geht daher bis in die 1950er Jahre zurück. Ebenso wurden neueste Quellen, Artikel und Praxisleitfäden zur Schwangerschaftskonfliktberatung gesichtet und das Strafgesetzbuch (StGB) verwendet. In dieser Arbeit werden wörtliche Zitate nicht in die gendergerechte Form umgeschrieben, jedoch sind alle Geschlechter mitberücksichtigt. Ab dem 6. Kapitel wird nur noch von der weiblichen Klientin gesprochen, da diese die Adressatin der Schwangerschaftskonfliktberatung ist (wird durch Fußnote gekennzeichnet).
Bedingt durch die zeitlichen Rahmenbedingungen sowie strukturellen Gegebenheiten einer Bachelorarbeit, können verschiedene Aspekte der Schwangerschaftskonfliktberatung nicht diskutiert oder vertiefend bearbeitet werden. Hierzu gehört das thematische Abgrenzen von ethischen und politischen Überlegungen zu Schwangerschaftsabbrüchen. Des Weiteren werden medizinische sowie kriminologische Indikationen und die Pränataldiagnostik außen vorgelassen, da diese den Fachgebieten der Medizin und Rechtswissenschaften zugehörig sind und hier die Thematik von einer erziehungswissenschaftlichen Sicht analysiert wird.
Aufbauend auf einer Definition von Beratung bzw. psychosozialen Beratung werden Beratung und Therapie miteinander verglichen, da personenzentrierte Beratung in beiden Handlungsfeldern agiert. Das erste Kapitel schließt mit dem Verständnis von Beratung und Therapie Carl Rogers ab, da dieser die beiden Felder anders einordnet als die übliche Fachliteratur. Der erste große Teil der Bachelorarbeit widmet sich der personenzentrierten Beratung. Dabei wird zunächst auf den biographischen Werdegang des Begründers Carl Rogers eingegangen. Darauffolgend wird die komplexe Entstehung des personenzentrierten Beratungsansatzes beschreibend dargestellt und die Wertevorstellungen und Grundannahmen des Begründers in diesem Zusammenhang aufgezeigt. Im Anschluss wir das personenzentrierte Menschenbild und die dazugehörige Persönlichkeitstheorie vorgestellt. Ein besonderer Fokus liegt hier auf den speziellen Bestandteilen der Persönlichkeitstheorie nach Carl Rogers. Insbesondere das Organismische Wertungssystem, Selbstbild und Inkongruenz sowie Symbolisierung, Aktualisierungstendenz und Selbstaktualisierungstendenz stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Kapitel 3 ist dem personenzentrierten Beziehungskonzept gewidmet. Hier wird aufbauend auf der Absoluten Wertschätzung, der Echtheit/Kongruenz und der Empathie, besonderes das Zusammenwirken der Beziehungsvariablen, auch anhand einer Grafik, vergleichend dargestellt. Im Fokus des vierten Kapitels stehen die Gesprächstechniken, welche von enormer Bedeutung für einen professionellen Beziehungsaufbau sind. Das Thema der personenzentrierten Beratung wird im fünften Kapitel mit dem Stellenwert des personenzentrierten Ansatzes von Carl Rogers abgeschlossen und gewährt kurzen Einblick in die Wirksamkeitsforschung sowie der Professionalisierung von personenzentrierter Beratung.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht die Schwangerschaftskonfliktberatung und wird in Kapitel sechs unter verschiedenen Sichtweisen erläutert. Darauf aufbauend wird der Begriff des Schwangerschaftskonflikts kritisch diskutiert, um im darauffolgenden Kapitel das Strafrecht als Grundlage der Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland zu analysieren. Die Paragraphen §§ 218/219 des Strafgesetzbuches kommen hier zum Tragen und werden wie üblich in Fußnoten zitiert. Nach einem Überblick über das zugrundeliegende Beratungsverständnis und den Zielen der Schwangerschaftskonfliktberatung, werden die Inhalte und Abläufe der Beratungsgespräche dargestellt. Der zweite Teil schließt mit der Ausbildung, Qualifikation und Handlungskompetenz der Berater*innen ab, da diese maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf einer Schwangerschaftskonfliktberatung haben und somit von großer Bedeutung sind (vgl. Koschorke 2019, S. 116).
Der letzte Abschnitt beantwortet die Fragestellung dieser Arbeit indem er auf den Grundlagen aus den vorherigen Teilen aufbaut und konkrete Möglichkeiten und Herausforderungen für die personenzentrierte Beratung in der SKB untersucht. Diese Arbeit endet mit einem Fazit, in dem die Endergebnisse bilanziert und zusammengefasst werden. Eine persönliche Schlussbetrachtung zur Thematik sowie ein Bezug zum Titel dieser Arbeit wird diese Bachelorarbeit abschließen.
Die zunehmende Orientierungslosigkeit durch Pluralisierung und Individualisierung von Lebensformen sowie Diskontinuitäten und Unsicherheiten im Leben, werden als mit Grund für einen steigenden Beratungsbedarf in der modernen Gesellschaft gesehen. Die Postmoderne bietet unverbindliche Lebenskonstruktionen und nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, welche störanfällig sein können. Die neue Unübersichtlichkeit und komplexer werdenden Entscheidungsprozesse, können ebenfalls zu steigendem Informations- und Beratungsbedarf führen (vgl. Peters, Suschek & Schnoor 2013, S. 21ff.). Die Deutsche Gesellschaft für Beratung (DGfB) formuliert in ihren Gründungspapieren ihr Beratungsverständnis als eine theoriegeleitete Grundlage mit unterschiedlichen Entwicklungsaufgaben und multifaktoriell bestimmten Problem- und Konfliktsituationen (vgl. Deutsche Gesellschaft für Beratung 2003, S. 4). Ihrem Beratungsverständnis liegt ein Handlungskonzept zugrunde, welches sozialwissenschaftlich und interdisziplinär arbeitet. „Beratung ist subjekt-, aufgaben- und kontextbezogen. Abhängig von den zu bewältigenden Anforderungen, Problemlagen und Krisensituationen, in denen sich die Ratsuchenden befinden, kann Beratung Ressourcen aktivieren, gesundheitsfördernd, präventiv, kurativ oder rehabilitativ sein.“ (ebd., S. 4). Des Weiteren weißt die DGfB darauf hin, dass Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche von Beratung gekennzeichnet sind durch unterschiedliche Beratungsfelder (z.B. Erziehungsberatung, Berufsberatung oder auch Schwangerschaftskonfliktberatung) und zum anderen durch unterschiedliche Beratungsansätze oder auch Anliegen. Als Beispiel wäre hier der psychosoziale Ansatz oder psychologische Ansatz zu nennen (vgl. ebd., S. 4).
Psychosoziale Beratung ist ein Beratungsfeld und unterstützt in ihrem Setting den Prozess der Problemlösung und Entscheidungsfindung. Wesentlich hierbei ist, dass Psychosoziale Beratung ergebnisoffen endet und Klient*innen nicht manipuliert werden (vgl. Deutsche Gesellschaft für Beratung 2003, S. 4f).
„In einer psychosozialen Beratung wird Menschen geholfen, die in ihrem psychischen und sozialen Wohlbefinden eingeschränkt sind und denen es allein nicht gelungen ist,
ihr Problem mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zufrieden stellend zu lösen. Der Form nach ist Beratung also eine zwischenmenschliche Hilfe, die auf einem helfenden Beziehungsangebot beruht und sich als sozialer Interaktions- bzw. Kommunikationsprozess [...] vollzieht“ (Schnoor 2006, S. 14).
Die Autorin Heike Schnoor verweist in ihrem obenstehenden Zitat auf die Besonderheiten der Psychosozialen Beratung. Hier wird vor allem das zwischenmenschliche Beziehungsangebot hervorgehoben, welches neben Vertrauen, auf der Kommunikation und zwischenmenschlicher Hilfe sowie sozialer Interaktion beruht.
Psychosoziale Beratung ist neben der Organisation und Erziehung eins der Kernaufgaben der Erziehungswissenschaft und ein bedeutsames Arbeitsfeld. Die SKB gehört hier zu einem spezifischen Handlungsfeld der Erziehungswissenschaft und kann somit eindeutig der psychosozialen Beratung zugeordnet werden (vgl. Schnoor 2013, S. 9f.).
Beim Versuch, Unterschiede zwischen Beratung und Therapie herauszuarbeiten fällt doch auf, dass gewisse Unterschiede bestehen, jedoch vor allem auch Gemeinsamkeiten. Gespräche, bei denen Klient*innen sowohl eine ergebnisoffene Beziehungsgestaltung angeboten bekommen und mit einem verständigungsorientierten Handeln ihrem Ziel nähergebracht werden, als auch ihr Leben nach ihren Bedürfnissen wieder gelingend selbst zu gestalten, finden sich sowohl in der Beratung als auch in der Therapie. Unterschiede wiederum finden sich im Selbstverständnis, rechtlichen Fragen sowie dem institutionellen Kontext. Ein gängiges Unterscheidungsmerkmal ist, „dass Beratung sich an gesunde Personen zur Bewältigung von alltäglichen Problemen wendet – Psychotherapie dagegen auf Menschen mit psychischen Störungen abzielt“ (Behr et. al. 2017, S. 212). Deutlich wird der Unterschied auch in ihren gesetzlichen Regelungen. Die Beratung ist keine Heilkunde, sie befasst sich nicht mit Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswerten. Therapeut*innen sowie Ärzt*innen fallen jedoch genau unter dieses Psychotherapeutengesetz. Dieses legt fest, dass Psychotherapie zur Heilkunde gehört und somit ist hier eine Abgrenzung zur Beratung eindeutig. Ein Gesetz zur Ausübung von Beratung existiert bis heute nicht (vgl. Stimmer & Ansen 2016, S. 42f.).
Carl Rogers verwendet die Begriffe Beratung und Psychotherapie weitgehend synonym. Grund hierfür ist für ihn die Tatsache, dass sich beide Begriffe auf die gleiche grundlegende Methode beziehen – „auf eine Reihe direkter Kontakte mit dem Individuum, die darauf abzielen, ihm bei der Änderung seiner Einstellungen und seines Verhaltens zu helfen“ (Behr et. al. 2017, S. 214). In der SKB geht es nicht um Linderung von Störungen oder Heilung. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit auch ausschließlich von Beratung gesprochen, da hier Bezug auf ein nicht-klinisches Anwendungsfeld genommen wird (vgl. Kunze 2008, S. 208).
Die personenzentrierte Beratung ist zurück zu führen auf die theoretisch und methodisch fundierten Erkenntnisse ihres Begründers Carl Ransom Rogers (1902-1989). In den vierziger Jahren in Amerika entwickelt, gehört sie seit den sechziger Jahren zu den etablierten Beratungsansätzen der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Straumann 2004, S. 641). Ausgangspunkt seiner Arbeit war die Frage: „Wie kann ich eine Beziehung herstellen, die dieser Mensch zu seiner eigenen Persönlichkeitsentfaltung benutzen kann?“ (Rogers, 1983 S. 46). Das Konzept der Personenzentrierten Beratung stellt die Person in den Mittelpunkt, nicht das Problem. Es geht darum, sich primär kognitiv sowie emotional mit sich als Person, aber auch mit seinem Problem, konstruktiv auseinanderzusetzen. Ressourcen, Potentiale, Fähigkeiten, Gefühle und Motive dürfen in den Prozess miteinfließen, um dadurch eine dynamische Veränderung der Persönlichkeit zu unterstützen. Dies kann dazu führen, dass eigene Probleme in der Gegenwart aber auch in der Zukunft eigenverantwortlich gelöst werden können. Carl Rogers personenzentrierte Beratung geht davon aus, dass der Mensch eine angeborene Tendenz hat, all seine Fähigkeiten zu seiner eigenen Förderung einzusetzen. Hierbei handelt es sich um einen Beratungsansatz, welcher bewusst auf „Experten-Besserwisserei“ (Kunze 2008, S. 209) verzichtet und stattdessen eine förderliche zwischenmenschliche Beziehung anbietet, die geprägt ist von Wertschätzung, Empathie und Echtheit auf Seiten der beratenden Person (vgl. Kunze 2008, S. 208).
Straumann betrachtete die personenzentrierte Beratung als „Entscheidungsfindungshilfe und zielorientierte Problem-, Konflikt- und lebensereignisbezogene Krisenbewältigungshilfe“ (2004, S.644f). Personenzentrierte Beratung wird wirksam, wenn „Grenzen von Ratschlägen, Empfehlungen, Wissensvermittlung und Informationsberatung erfahrbar werden“ (ebd., 2004, S. 645). Die folgenden Kapitel 2.1. bis 5 sollen tiefen Einblick geben in einen bedeutenden Beratungsansatz (vgl. Behr et. at. 2017, S. 9).
Um eine Person in Ihrer Haltung, ihren Wertevorstellungen und ihrem Handeln zu verstehen, ist es oftmals unabdingbar, biografische Erfahrungen zu kennen. Carl Rogers Lebenslauf ist eng verknüpft mit theoretischen und praktischen Erkenntnissen, welche maßgeblich zur Entwicklung des personenzentrierten Beratungsansatzes beigetragen haben. In diesem Kapitel wird sein Lebensweg betrachtet und einige Eckpunkte seines Lebens vorgestellt. Quellen hierfür sind autobiografisches Material, veröffentlichte Biografien aus Fachliteratur und wissenschaftliche Publikationen Carl Rogers (vgl. Sander 1999, S. 43).
Am 8. Januar 1902 wurde Carl Ransom Rogers in Oak Park Illinois, einem noblen Vorort von Chicago, als viertes von sechs Kindern geboren (vgl. Hinz & Behr 2002, S. 197f.). Seine Eltern strenggläubige fundamentalistische Christen, untersagten ihren Kindern gesellschaftliche Zerstreuungen. Die Kindheit war gezeichnet von dem Verehren harter Arbeit, langen Morgengebeten und den wachsamen Blicken der Eltern (vgl. Rogers 1983, S. 21). Er selbst schreibt über die Bindung zu seinen Eltern „[..] gekennzeichnet durch das völlige Fehlen dessen, was ich heute als enge und kommunikative interpersonelle Beziehung mit anderen bezeichnen würde. Meine Haltung anderen gegenüber zeichnete sich durch Distanz und Zurückhaltung aus, eine Haltung die ich von meinen Eltern übernommen hatte.“ (Rogers & Rosenberg 1980, S.185f.)
Ein höchst wichtiges Ereignis in seinem Leben ereignete sich, als Rogers ausgewählt wird, um am christlichen Weltstudententreffen in Peking teilzunehmen. In den insgesamt 5 Monaten des Reisens, merkt Rogers immer mehr, wie er sich von den fanatisch-fundamentalistische Religiösen Ansichten seiner Familie distanziert und in ihm wächst die Überzeugung das Studium der Agrarwissenschaften gegen die moderne Theologie zu tauschen (vgl. Hinz & Behr 2002, S. 198 f.). Rogers entschied sich für ein Studium an einer liberalen Universität in New York. Neben vielen Initiativen, vor allem in der Reformpädagogik, bei denen Rogers sich beteiligt, lernt er im Rahmen seines Studiums die Seelsorge kennen und kommt das erste Mal in Berührung mit der Psychologie. 1926 schlug Rogers einen völlig neuen Weg ein. Er studierte klinische Psychologie und Erziehungswissenschaft an der Columbia University. Nach Beendigung seines Studiums und Promotion, nahm Rogers 1928 seine erste Stelle in der Erziehungsberatung in Rochester an. Hier entwickelte er erste unterschiedliche Methoden und diagnostische Verfahren (vgl. ebd. S. 198 ff.). Als Professor an der Ohio State University beginnt Rogers Therapie Sitzungen aufzunehmen und zusammen mit Studierenden zu supervidieren. Dieses Material bildet fortan die Grundlage für eine Prüfung des therapeutischen Prozesses. Rogers verließ seine Forschungsstellen um in Kalifornien zusammen mit Kollegen*innen das Center oft the Studies of the Person zu gründen (vgl. Sander 1999, S. 44f). Pionierarbeit leistete er unter anderem in der Beratung verfeindeten politischen Parteien durch Mediation von Institutionen. Für diese Arbeit wurde er 1978 für den Friedensnobelpreis nominiert. Rogers erhielt ebenfalls Auszeichnungen für seine Forschung im Bereich der Psychotherapie und für herausragende wissenschaftliche Beiträge, verliehen durch die American Psychological Assoziation. Carl Rogers stirbt am 4. Februar 1987 in Folge eines Herzstillstands. (vgl. Schmitt & Altstötter-Gleich 2010, S. 2).
Carl Rogers persönliche Überzeugung ist auf Grund seiner Arbeit in der Praxis entstanden und hat sich über die Jahre weiterentwickelt, was sich in seinem personenzentrierten Beratungsansatz wiederspiegelt. Ziel seiner Arbeit war es, all die Jahre herauszufinden, wodurch Veränderungen bei Klient*innen erreicht werden können. In Folge eines Schlüsselerlebnisses in der Erziehungsberatung festigte sich Carl Rogers Grundannahme des personenzentrierten Ansatzes und begleitet ihn als wichtige Erfahrung in seinen Forschungen. In seinem Werk „Entwicklung der Persönlichkeit“ (1983) schildert Carl Rogers ein Gespräch in einer Erziehungsberatung, welches er nach mehreren Sitzungen als zum Scheitern verurteilt bewertete. Er arbeitet mit einer Mutter und ihrem sehr verhaltensauffälligen Sohn. Grund für die Schwierigkeiten lagen laut Rogers in der frühen Abweisung der Mutter. Jedoch gelang es Carl Rogers nicht, seine Auffassung des Problems der Mutter verständlich zu machen und fand sich mit dem Ergebnis ab. Nach Beendigung der Beratung und der Verabschiedung drehte sich die Mutter in der Tür nochmals um und Fragte „Nehmen Sie auch Erwachsene zur Beratung an?“ (S. 27). Mit der Zustimmung Carl Rogers kam sie zurück in das Beratungszimmer, setzte sich und fing an von ihren Eheproblemen, Versagensängsten und ihrer Verzweiflung, frei zu erzählen. Carl Rogers erkannte den Unterschied zu dem vorherigen sterilen Gespräch. „Die wirkliche Therapie setzte in diesem Moment ein und führte schließlich zum Erfolg“ (Rogers 1983, S. 27). Die Grundannahme Carl Rogers und seinem personenzentrierten Ansatz, lassen sich im folgen Zitat darlegen, welches er aufgrund seines Schlüsselerlebnisses hatte.
„Dieser Vorfall war einer von mehreren, die mir zu der Erfahrung verhalfen – erst später erkannte ich sie völlig -, daß [sic.] der Klient derjenige ist, der weiß, wo der Schuh drückt, welche Richtung einzuschlagen, welche Probleme entscheidend, welche Erfahrungen tief begraben gewesen sind“ (Rogers 1983, S. 27f.).
In den darauffolgenden Jahren erarbeitete Carl Rogers anhand seiner Grundannahme das personenzentrierte Konzept mit seiner Persönlichkeitstheorie und dem Menschenbild (siehe Kapitel 2.4.).
Carl Rogers Beratungsansatz entwickelte sich im Laufe der Zeit immer weiter fort, durch neue Erkenntnisse aus der Theorie und Praxis. Diese Entwicklungsphasen lassen sich an den wechselnden Benennungen des Beratungsansatzes erkennen, welche sich in drei Phasen aufteilen: „nicht – direktiv “, „klientenzentriert“, „personenzentriert “ (vgl. Weinberger 2013. S. 22)
Die Autorin Sabine Weinberger (2013) beschreibt die erste nicht-direktive Phase, in der sich Carl Rogers eindeutig dagegen positioniert, Klient*innen Ratschläge, Ermahnungen, Erklärungen und Interpretationen zu erteilen. Die Aufmerksamkeit ist nicht, wie sonst in Beratungssettings üblich, auf das Problem und dessen Lösung gerichtet, sondern Klient*innen stehen im Zentrum „als einmaliges Individuum, das prinzipiell die Fähigkeit in sich hat, im Rahmen eines speziellen Beziehungsangebotes zu einem besseren Verständnis seiner selbst zu kommen und daraus folgend Einstellungs- und Verhaltensänderungen vorzunehmen“ (S. 22). Das Werk „Counseling and Psychotherapy“, deutsch „Die nicht - direktive Beratung“, welches 1942 erschien, dokumentiert und unterstreicht diese erste Phase. 1951 wurde die nicht-direktive Phase durch die klientenzentrierte Phase abgelöst. In dieser arbeitete Carl Rogers an seinen neuen Hypothesen, welche dazu dienten, bedeutende Einstellungs- und Verhaltensänderungen und deren zentralen Bedingungen empirisch zu untersuchen. Er arbeitete daran, die gefundenen Merkmale messbar zu machen, um neue Anwendungsbereiche des Verfahrens sichtbar machen zu können. Jedoch erwies sich die bisherige Bezeichnung „nicht-direktiv“ als missverständlich, da es häufig mit den Worten „nicht aktiv“ gleichsetzt wurde. Carl Rogers entschied sich, seinen weiter entwickelten Ansatz „client centred“, deutsch „klientenzentriert“ zu nennen. In diesem erweiterten Ansatz blieben die Kerngedanken der ersten Phase erhalten. Die Änderung beinhaltete von nun an zusätzlich, dass Klient*innen und ihr Potential im Zentrum steht (vgl. Weinberger 2013, S.23).
In den 1970er Jahren entstand der personenzentrierte Ansatz, wie wir ihn heute kennen und anwenden. In der letzten Phase weitete Carl Rogers seinen Ansatz auf alle Menschen in verschiedensten Lebensbereichen aus. Es ging nicht mehr nur darum, Klient*innen durch ein strukturiertes Beziehungsangebot zu helfen. Carl Rogers wollte das „innewohnende Wachstumspotenzial zum Ausdruck bringen“ (ebd., S. 23). Mit dem neuen Begriff „person-centerd“ (ebd., S. 23) wurde deutlich, dass der Mensch als Person und Individuum im Mittelpunkt steht und das „nur“ Klientel-Sein der Vergangenheit angehörte. Das 1977 erschienene Werk „One personal power- Inner strength and ist revolutionary impact“ kennzeichnet die personenzentrierte Phase. Ins Deutsche wurde das Buch 1982 übersetzt mit „Die Kraft des Guten“. Ein weiteres wichtiges Werk, welches in dieser Arbeit viel Anwendung findet ist „A way of being“, deutsch „Der neue Mensch“ (vgl. ebd., S. 22f.).
Carl Rogers geht vorurteilsfrei von den Dingen an sich aus. Mit seinem neuartigen Ansatz für Beratung und Psychotherapie vertritt er die phänomenologische Position. Der Begriff kommt aus der Philosophie (ebd., S. 23) „In diesem Kontext bedeutet das, dass die Äußerungen der Klientin in Bezug auf ihre subjektive Wahrheit hin angenommen und akzeptiert werden“ (Weinberger 2013, S. 23). Betrachtet man die Entstehung des Ansatzes als Ganzes fällt auf, dass die Grundidee Carl Rogers immer blieb. Klient*innen sind Experten und Expertinnen für ihr individuelles Empfinden und ihre gewählten Gesprächsthemen in der Beratung. Personenzentrierte Beratung trägt mit Hilfe von Selbstexploration dazu bei, dass Menschen in der Lage sind ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen (vgl. Behr et. al. 2017, S. 25).
„Dies bedeutete in der Mitte des 20. Jahrhunderts einen erdbebenartigen Wandel in der Fachwelt und machte Rogers zum berühmtesten Psychotherapeuten seiner Zeit“ (ebd., S.25). Durch seinen Einsatz als Präsident der American Psycholgical Association und als Begründer der empirischen Psychotherapieforschung schaffte Carl Rogers mit Hilfe von erworbenen Forschungsgeldern in einer heute unvorstellbaren Summe, seinen Ansatz in der ganzen Welt zu verbreiten. Neben Asien, Russland, Indien und Süd-Afrika war die personenzentrierte Beratung in der DDR die führende Methode. Die psychiatrischen Fachleute in den 1950er Jahren diskreditierten Carl Rogers damalige Behauptung: „seine Kern Bedingungen [K1] einer helfenden Beziehung seien für therapeutische Hilfe notwendig und hinreichend“ (Rogers, 1957, S. 95 ff.). Belegt wurde seine Behauptung, durch seine zu dieser Zeit einzigartige empirische Psychotherapieforschung, in welcher er Selbstheilungskräfte, Ressourcen und die Eigenverantwortung seiner Klient*innen erforschte. „Dies macht das personenzentrierte Vorgehen – darüber hinaus, dass es höchst wirksam ist – auch zu einer ideellen, humanistischen und letztlich auch politischen Idee“ (vgl. Behr et.al. 2017, S. 25).
Carl Rogers gehört mit seiner Persönlichkeitstheorie neben Charlotte Bühler und Abraham Maslow zu den bedeutenden Begründer*innen und Hauptvertreter*innen der humanistischen Psychologie. Diese kennzeichnet eine Auffassung von Psychologie, bei der auf das Wachstum und die Selbstentfaltung eines Individuums gezielt wird. Die Richtung der humanistischen Psychologie wird neben der Psychoanalyse nach Siegmund Freud und dem Behaviorismus nach Iwan Petrowitsch Pawlow auch als dritte Kraft bezeichnet (vgl. Weinberger 2013, S. 24). Im Gegensatz zum klassischen Behaviorismus betont die humanistische Psychologie immer wieder ihr „organismisches Modell“ der menschlichen Psyche, welches lebendig ist.
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