Bachelorarbeit, 2021
48 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Begriffsverständnis
2.1 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
2.2 Sport
3. Paradoxon: Nachhaltigkeit und Sport
4. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Sportunterricht der Primarstufe
4.1 Legitimation und Potenzial
4.2 Ist – Zustand: Beschreibung
4.2.1 Bildungsplan
4.2.2 Politik und Öffentliche Träger
4.2.3 Lehrer:innenbildung
4.3 Ist-Zustand: Bewertung
4.4 Umsetzbarkeit
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
„Sport has the power to change the world. It has the power to inspire. It has the power to unite people in a way that little else does. It speaks to youth in a language they understand. Sport can create hope where once there was only despair” Zitat – Nelson Mandela (Laureus, 2020).
Dieses Zitat von Nelson Mandela, einem der bedeutendsten Vertreter für Frieden und Gerechtigkeit der modernen Welt, bürdet dem Sport eine monumentale Verantwortung auf. Er habe die Kraft, die Welt zu verändern. Eine Welt, die, wie sie heute existiert, nicht auf Dauer Bestand haben wird. Zu viele ungelöste Problemlagen prognostizieren ein eher düsteres Szenario für das Leben der Menschheit auf dem Planeten Erde. Kriege, Klimawandel, extreme Ideologien, Epidemien und so weiter. Einige sind schon sehr lange Teil von menschlicher Koexistenz, andere eher neu – allerdings gleichsam drängend. Die Menschheit steht vor der Frage: Wie können wir in der Zukunft leben? und hat damit eine multidimensionale Thematik geschaffen – den Anspruch einer Nachhaltigkeit. In den letzten Jahren immer häufiger erwähnt und diskutiert, findet jene schließlich auch im Bildungswesen ihren Platz. Der Bildungsplan (der Grundschule) Baden-Württembergs, welcher 2016 reformiert und publiziert wurde, besagt, dass die Schülerinnen und Schüler durch die allgemeine Leitperspektive Bildung für nachhaltige Entwicklung als interdisziplinäre Kompetenz in allen Fächern eine Lehre erhalten sollen, welche stets den Nachhaltigkeitsaspekt im Blick hat (vgl. Pant, o.J.). Folglich auch im Sportunterricht.
Sport ist jedoch kein Stichwort, welches man zugleich mit dem Thema Nachhaltigkeit in Verbindung bringt. Im Gegenteil. Der Sport steht vielmehr oftmals in der Kritik, ob im Leistungs- oder Breitensport: Abgeholzte Regenwälder für den Bau von Olympiastätten in Brasilien, durch Korruption manipulierte Fußballspiele, unethische Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Sportkleidung, Diskriminierung und Ausgrenzung von ethnischen Minderheiten, usw. Um nur ein paar Schlagzeilen zur negativen Beziehung Sport und Nachhaltigkeit zu nennen. Demnach tut sich eine ganz grundsätzliche Frage auf: Besteht überhaupt eine Legitimität des Sports, wenn eine nachhaltige Existenz der Menschheit das erstrebenswerte Ziel ist und ist jener überhaupt lebensnotwendig oder aber ganz und gar lebensfeindlich? Auf Grundlage der Aufklärung dieser komplexen Fragestellung soll diese Arbeit schließlich die Legitimation des Sports vor dem Hintergrund der für die Grundschulen Baden-Württembergs verbindlich vorgeschriebenen Leitperspektive Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) untersuchen.
Zu Beginn beschäftigt sich der Text nach einer Begriffsklärung sowie einer historischen Darstellung und aktuellen Einordnung der Termini, zunächst mit den fundamentalen Fragestellungen von der Legitimität der Nachhaltigkeit und des Sports. Anschließend deckt er die vermeintliche Paradoxie derer auf, beziehungsweise beschreibt letztlich gar das in ihm schlummernde Potenzial. Im Hauptteil der Arbeit geht es explizit um den Gegenstand der Nachhaltigkeit im Sportunterricht der Primarstufe. Vorweg wird der aktuelle Stand der Implementierung der Nachhaltigkeitsthematik in den gesamten Bildungskorpus und schließlich dessen Mängel beleuchtet. Am Ende der Schrift steht ein Lösungsvorschlag für die Umsetzung und Vereinigung beider Themen, welcher schließlich zeigt, ob Mandela mit seinem Verständnis des Sports Recht behält. Kann der Sport und vor allem der Sportunterricht in der Grundschule tatsächlich ein Mittel sein, um nachhaltiges Leben zu gewährleisten, gar zu fördern? Die Arbeit schließt mit einem Fazit.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung definiert Bildung für nachhaltige Entwicklung (kurz: BNE ) als „eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung. BNE-Portal, o.J.). Der Begriff nachhaltig wurde erstmals im 18. Jahrhundert gebraucht und kann vom Wort nachhalten abgeleitet werden, welches so viel bedeutet wie andauern, wirken, anhalten (vgl. Kluge & Seebold, 2012). Diese Bedeutung kann mit dem heutigen Verständnis von Nachhaltigkeit gleichgesetzt werden. Laut Duden ist etwas nachhaltig, wenn es sich „auf eine längere Zeit stark auswirkend“ (Dudenredaktion, o.J.) zeigt. Die gegenwärtig vielfach verbundene Assoziation mit der Umweltthematik und die Narrative, die sich daraus ergeben, greifen dabei jedoch zu kurz. BNE geht vielmehr darüber hinaus. Es handelt sich um die Frage: Wie kann zukunftsfähiges Leben aussehen? Dies schließt diverse Bereiche (Soziales, Wirtschaft, Umwelt etc.) mit ein und jene bedingen sich wechselseitig. Ein Beispiel hierfür stellt die in der Politik aktuell oft verwendete Phrase eines Sozialverträglichen Klimaschutzes dar; also ein Klimaschutz, welcher sozial gerecht gestaltet werden und untere soziale Schichten nicht zusätzlich belasten soll. Dass sich eine klare Begriffs- und Zieldefinition und von BNE jedoch als schwierig herausstellt, macht unter anderem die Historie des Terminus klar.
Der Ausdruck Bildung für nachhaltige Entwicklung geht zwar nicht von einer explizit deutschen Körperschaft aus, dennoch hat sich eine solche später indes dem Konzept angenommen. Historisch betrachtet geht der Begriff auf die internationale Organisation der Vereinten Nationen (engl. United Nations) zurück, welche im Jahr 1945 gründet wurde. Die Prämisse, aus zwei dicht hintereinander folgenden Weltkriegen, zukünftige Konflikte friedlich zu lösen, führt zur Konstitution dieses Zusammenschlusses, welchem heute nahezu alle Staaten (genau 193) der Welt angehören. Oberstes Ziel, seit Gründung der Vereinten Nationen, ist die weltweite Friedenssicherung und -erhaltung. Weiterhin soll das Gesprächsforum Fortschritte in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Zusammenarbeit hervorbringen. Das Spektrum der Themen, mit welchen sich die UN beschäftigt, hat sich seitdem erweitert. So steht seit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung, welche 1992 in Rio de Janeiro tagte, auch der Aspekt der Nachhaltigkeit regelmäßig auf der Agenda (vgl. Vereinte Nationen, 1992). Die Agenda 21 schreibt die UN in ihrer Charta, also ihrer Verfassung, fest. Seit diesem Zeitpunkt besteht die von der Union eigens gestaltete internationale Bildungskampagne Bildung für nachhaltige Entwicklung, welche sich in den kommenden Jahrzehnten stets weiterentwickeln und ausdifferenzieren soll. Das 21. Jahrhundert, als das jene, welches den Begriff der Nachhaltigkeit fest verankert haben soll. Die Formulierung von ersten Leitlinien dieser Agenda dient der Präzisierung des zukünftigen Vorhabens. Der erste Satz des Beschlussdokuments, respektive der Präambel, heißt folgendermaßen:
„Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Wir erleben eine Festschreibung der Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Nationen, eine Verschlimmerung von Armut, Hunger, Krankheit und Analphabetentum, sowie die fortgesetzte Zerstörung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt. Eine Integration von Umwelt- und Entwicklungsbelangen und die verstärkte Hinwendung auf diese wird indessen eine Deckung der Grundbedürfnisse, höhere Lebensstandards für alle, besser geschützte und bewirtschaftete Ökosysteme und eine sicherere Zukunft in größerem Wohlstand zur Folge haben. Keine Nation vermag dies allein zu erreichen, während es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft im Dienste der nachhaltigen Entwicklung“ (Vereinte Nationen, 1992).
Die Jahre 2005-2014 ernennt die UN anschließend zur „Weltdekade Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (UNESCO, o.J.), für welche die UNESCO, als eine von fünfzehn Sonderorganisationen der UN, zuständig ist. Unterstützt und gefördert wird die nationale UNESCO (in Deutschland) dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Primäres Ziel der UN ist es, den Regierungen auf nationaler Ebene Zeit zu geben, um Nachhaltigkeitsstrategien für das jeweilig vorherrschende Bildungssystem zu entwickeln und zu inkludieren. Direkt im Anschluss an die Weltdekade, schließt sich 2015 das in New York verabschiedete „Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (WAP BNE) der UN an, auch bekannt als die „Agenda 2030“ (Martens & Obenland, 2017). Eine „Roadmap“ (Deutsche UNESCO-Kommission e.V., 2014). stellt dazu Zielsetzungen, prioritäre Herausforderungen, Strategien und Ähnliches auf, die als wegweisend zu verstehen sind. Damit die ausgearbeiteten Ideen und Strategien der vorangegangenen Jahre nicht umsonst sein sollten, gilt es nun auf Grundlage derer „Aktivitäten auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Bildung anzustoßen und zu intensivieren, um den Prozess hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu beschleunigen“ (Kultusministerkonferenz, o.J.). Hierzu wurden 17 Ziele, die sogenannten „Sustainable Development Goals“ (SGDs) (Martens & Obenland, 2017), formuliert. Das vierte Ziel in dieser Reihe nennt sich „Hochwertige Bildung“ und fordert eine „i nklusive, gerechte und hochwertige Bildung und lebenslanges Lernen für alle“ (ebd.). BNE wird als ein Teilziel dessen ausgewiesen und möchte
„b is 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung“ (ebd.).
Um diese Bildungsziele im deutschen Bildungssystem in die Tat umzusetzen, veröffentlichte die neu gegründete „Nationale Plattform Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (Nationale Plattform BNE, 2020) im Jahr 2017 unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung den „Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (NAP BNE), dessen vorrangiges Ziel es ist „BNE in allen Bereichen des deutschen Bildungswesens strukturell zu verankern“ (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Frühkindliche Bildung, Schule, berufliche Bildung, Hochschule, non-formales und informelles Lernen, in der Jugend, sowie Kommunen sind die zu behandelnden Bereiche mit insgesamt 130 kurzfristigen, mittel- und auch langfristigen Zielen und 349 konkreten Handlungsempfehlungen für die Praxis. Im Mai 2020 erschien der erste Zwischenbericht zum aktuellen Ist-Zustand zur nationalen Umsetzung von BNE (vgl. Nationale Plattform BNE, 2020).
Wie diese chronologische Entwicklung zeigt, haben sich mittlerweile einige Organisationen, Institutionen und Forscher:innen dem Begriff und dessen Interpretation angenommen. Umso schwieriger ist daher eine eindeutig inhaltliche Konkretisierung von BNE. Grundsätzlich können zwei Strömungen ausgemacht werden, welche den klassischen Bildungstheorien Klafkis (s. Kap. 4.4) und seiner Vordenker ähneln (vgl. Jank & Meyer, 2002). Einerseits kann der Ausdruck Bildung für nachhaltige Entwicklung nach formalen Zielformulierungen ausgelegt werden (vgl. Rieß, 2009, S. 121). Die aktuell populärste Definition dieser Lehrmeinung geht von dem deutschen Erziehungswissenschaftler Gerhard de Haan aus, welcher als wissenschaftlicher Berater der Nationalen Plattform BNE tätig ist. Er versteht unter einer gelungenen Bildung für nachhaltige Entwicklung „die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können" (De Haan & Harenberg 1999, S. 60). Hierfür verwendet er den Begriff einer „Gestaltungskompetenz“ (De Haan, 2002, S. 14). Dieser schließt konkrete Teilkompetenzen mit ein: Die Kompetenz vorausschauend zu denken, zu weltoffener Wahrnehmung, transkultureller Verständigung und Kooperation, interdisziplinär zu arbeiten, zu partizipieren, zu Planungs- und Umsetzungskompetenz, der Fähigkeit zu Empathie, Mitleid und Solidarität, die Kompetenz sich und andere motivieren zu können und zur distanzierten Reflexion über individuelle kulturelle Leitbilder (vgl. ebd.: S. 15f.).
Vertreter der gegenteiligen Lehrmeinung „empfehlen die Vermittlung von Kenntnissen über bestimmte Ideale und von Wissen darüber, welche Handlungsweisen in konkreten Alltagssituationen den wertbestimmten Idealen entsprechen“ (Rieß, 2009, S. 122). Dies meint eine auf Erziehung fußende direkte Beeinflussung der Lernenden, beispielsweise durch die Darlegung, dass es (beispielsweise unter Umwelt- oder Gesundheitsaspekten) besser sei zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad, anstatt mit dem Auto zu fahren.
Diese Arbeit orientiert sich bezüglich dem Inhalt der BNE an den von der UNESCO aufgestellten „Sustainable Development Goals“ (Martens & Obenland, 2017): Keine Armut; Kein Hunger; Gesundheit und Wohlergehen; Hochwertige Bildung; Geschlechtergleichheit; Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen; Bezahlbare und saubere Energie; Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum; Industrie, Innovation und Infrastruktur; Weniger Ungleichheiten; Nachhaltige Städte und Gemeinden; Nachhaltige/r Konsum und Produktion; Maßnahmen zum Klimaschutz; Leben unter Wasser; Leben an Land; Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen; Partnerschaften zur Erreichung der Ziele (vgl. ebd.).
Eine Einigung bezüglich einer Definition, sowie die damit einhergehenden und zu erreichenden Zielformulierungen von BNE, gibt es bislang noch nicht.
Welche Schwierigkeiten sich, auch durch die Unschärfe des Terminus und die Uneinigkeit über die Inhalte, für die konkrete Umsetzung von BNE durch die Lehrkraft im Sportunterricht der Primarstufe ergeben, wird in Kapitel 4.4 beleuchtet.
Auch für den Sportbegriff existiert eine eindeutige, allgemein anerkannte Definition so nicht. Die Sportwissenschaft tut sich schwer. Zu komplex und vielseitig ist dieses Sozial- bzw. Kulturphänomen, wie von einigen Forscherinnen und Forschern beschrieben, welches bereits seit der Antike besteht und sich seitdem immer weiter ausdifferenziert hat. Bis heute ist dieser Prozess nicht abgeschlossen. „Der Sport ist […] nicht nur quantitativ gewachsen; er hat sich auch qualitativ gewandelt“ (Grupe, 2000, S. 9). Dies wird bemerkbar, wenn man sich einmal deutlich macht, in Bezug auf welche Handlungen der Sportbegriff im heutigen „alltagstheoretischen Gebrauch“ (Röthig & Prohl, 2003, S. 493), benutzt wird. Wenngleich noch vor wenigen Jahrzehnten der (Breiten-) Sport beispielsweise hierzulande hauptsächlich zur Gesunderhaltung und Freizeitgestaltung diente, haben sich die Motive in der jetzigen Zeit dafür, eine Sportart auszuüben, weiter ausdifferenziert. Blickt man über die individuellen Beweggründe des Sporttreibens, wie Leistungssteigerung, Erreichen einer gewissen Körperästhetik oder das Schaffen einer Entspannung von Körper und Geist, hinaus, ergeben sich weitere Aspekte, die eher kollektivistisch geprägt sind. Längst ist der Sport zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor herangewachsen und kann sogar spezifisch studiert werden. Sportökonomik ist als Studiengang bereits an vielen Universitäten in Deutschland anerkannt. Mit sportlichen Großveranstaltungen intendieren die austragenden Staaten einen Prestigegewinn und die Kommerzialisierung des Sports wird weiter vorangetrieben. Die Gründe für eine sportliche Betätigung heutzutage sind also vielfältiger Art, gleichermaßen die Ausprägungen, sowie die gesellschaftlichen Themen, die der Sport miteinschließt. Sport, im umgangssprachlichen Sinne, ist mehr als das Betreiben einer bestimmten Sportart. Er ist ein öffentliches Politikum.
Um dennoch den Versuch einer Definition des Sportbegriffs zu unternehmen, bietet es sich an, die Herkunft des Ausdrucks zu identifizieren. Betrachtet man den Sportbegriff deshalb zunächst etymologisch, so wird deutlich, dass das Wort aus dem spätlateinischen deportare stammt und schließlich über das Englische disport ins Deutsche Sport modifiziert wurde, welches übersetzt so viel bedeutet wie sich vergnügen/ sich zerstreuen (vgl. Kluge & Seebold, 2012). Diese ursprüngliche Semantik des Begriffs lässt sich wiederum wie geschaffen auf die Definition von Sport, welche auf den Sinnbegriff gründet, übertragen. Nach Grupe (vgl. Grupe, 2000) kann lediglich dann vom Begriff Sport gesprochen werden, wenn er aus einem Sinn heraus betrieben wird. Ebenso der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nutzt die Bezeichnung des „Selbstzwecks“ (Krüger, Emrich, Meier & Daumann, 2013, S. 364), welcher zunächst irreführend scheint, da unglücklicherweise das exakt gegenteilige Wortstück von Sinn, nämlich Zweck, benutzt wird, er jedoch im Grunde dasselbe meint:
„Im weitesten Verständnis entsteht Sport dann, wenn das reale Handeln hinsichtlich seines echten „Nutzens“ […] auf eine unwirkliche, an sich überflüssige und nicht notwendige, gleichsam scheinhafte Ebene bezogen wird […]. Sportliche Handlungen sind somit von den zweckhaften Bestimmungen der Alltags- und Arbeitswelt „freigesetzt“. Sie sind damit zwar nicht zwecklos, unterliegen jedoch nicht ausschließlich tradierten Nützlichkeitserwägungen“ (Volkamer, 1984, S. 195).
Heruntergebrochen kann dieses Verständnis von Sport mit einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden: Die ureigene motorische Bewegung des Menschen, nämlich das Laufen auf zwei Beinen, respektive der Variationen gehen/rennen, kann entweder zu einem zweckdienlichen Grund ausgeübt werden, wenn beispielsweise eine Person, welche sich unter freien Himmel aufhält, dem bevorstehenden starken Niederschlag entkommen möchte und sich daher durch das Rennen vor dem Regen flüchtet. Diese Person verfolgt den Zweck nicht nass zu werden. Im anderen Fall läuft eine Person exemplarisch eine Strecke von circa zehn Kilometern (ebenfalls unter freiem Himmel), einzig und allein um des Laufens Willen. Das heißt sie verfolgt im Gegensatz zur ersten Person keinen bestimmten Zweck, sondern wird lediglich vom Sinn des Laufens, also der reinen Freude beziehungsweise des Vergnügens an der Tätigkeit, angetrieben. Dieses sportliche Erlebnis, welches nur unmittelbar erlebbar und damit vergänglich ist, kann zudem lediglich individuell sinnstiftend sein. Das Reflexivpronomen sich, welches in der Übersetzung aus der Wortherkunft auftaucht, ist nicht zu vernachlässigen, da es jene Subjektivität postuliert. Streng genommen betreibt Person eins also keinen Sport, Person zwei hingegen schon. Mit der Beschäftigung um die Interpretation des Terminus Sport stellt sich also nach dieser Theorie zwangsläufig die Frage nach Sinn und Zweck. Im engen Sinne ist Sport folglich eine rein sinnhafte Handlung, im weiten Sinne aber auch eine zweckmäßige, denn selbstverständlich würde die vor dem Regen flüchtende Person das Rennen nicht als Sport bezeichnen, motorische Bewegungen indessen können nach gesamtgesellschaftlichem Verständnis von Sport in der Tat auch von anderen Zwecken geleitet sein. Eine Person, welche im Fitnessstudio auf dem Laufband läuft und dies nicht vorrangig aus Vergnügen an der Tätigkeit tut, sondern beispielsweise primär eine Steigerung ihrer Ausdauerfähigkeit oder das Verbrennen von Kalorien und somit eine Gewichtsabnahme bewirken möchte, würde man in der Regel ebenso als Sport bezeichnen.
Bilanzierend hat der Begriff Sport seine etymologische und damit ursprüngliche alias sinnbestimmte Bedeutung bis in die heutige Zeit zwar erhalten, doch ist sie keinesfalls mehr absolut zu setzen. Neben der Sinnhaftigkeit des Sports, ist die Zweckmäßigkeit, welche sich in diversen Formen ausdrückt, getreten. Gleichermaßen existent, wenngleich die Intentionen, Erwartungen und Wünsche an den Sport, welcher zweifelsfrei zu einem bedeutenden Stoff moderner Gesellschaften erwachsen ist, immer vielfältiger und komplexer werden.
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