Bachelorarbeit, 2021
54 Seiten, Note: 1,0
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Teil: Einleitung
2. Teil: Künstliche Intelligenz
A. Begriffserklärung
I. Multipler Intelligenzansatz
II. Neuronales Netzwerk
1. Machine Learning
a) Supervised Learning
b) Unsupervised Learning
c) Reinforcement Learning
2. Deep Learning
3. Neuro-Computing
B. Explainable Artificial Intelligence
3. Teil: Rechtliche Verantwortung
A. Status Quo
I. Einsatzfelder im Gesundheitswesen
II. Allgemeine Haftung
1. Vertragliche Haftung des Verkäufers
2. Deliktische Haftung des Herstellers
a) Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB
b) Produkthaftung nach ProdHaftG
aa) Regress
bb) Beweisfragen
3. Haftung des Nutzers
a) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB
b) Gefährdungshaftung
c) Gehilfenhaftung
d) Digitale Assistenzhaftung
III. Haftung der Netzwerke
1. Einführung einer Elektronischen Person
a) Schäden durch falsche oder schlechte Daten
b) Schäden durch falsche Entscheidungsprozesse
c) Schäden durch Hardwarefehler
2. Ökonomische Auswirkungen
3. Weisungsbefugnis
B. Umsetzungsstrategie des digitalen Haftungsrechts
4. Teil: Ergebnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Golems sind in der jüdischen Legende künstliche Gestalten, die aus Lehm und Ton bestehen und menschliche Arbeiten auf deren Anweisung verrichten. Die Legende vom Prager Golem aus dem Jahr 1580 handelt von einem Golem, der geschaffen wurde, um Morde an den Juden abzuwehren.1 Seine Anweisungen erhielt ein Golem mithilfe eines beschriebenen Zettels, der unter seine Zunge gelegt wurde. „In vielen Golem-Erzählungen gerät das Geschöpf außer Kontrolle und der Golem selbst wird zur Bedrohung für den Menschen, der ihn geschaffen hat.“2 Der Gedanke, ein künstliches Wesen zu schaffen, um den Arbeitsaufwand der Menschen effizienter zu gestalten bzw. zu verringern, entstand somit schon vor langer Zeit.
Heutzutage ist die Digitalisierung und folglich die Verbesserung der Künstlichen Intelligenz (KI) der entscheidende Faktor. Die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz, die die Software bzw. das „Gehirn“ des Roboters darstellt, erleichtert einerseits unser Leben und birgt andererseits ein hohes Risiko.
Nehmen wir zum Beispiel den medizinischen Bereich, dort verdoppelt sich das medizinische Know-how im Jahr 2020 Schätzungen zufolge alle 73 Tage.3 Diese Veränderung stellt die Menschheit vor neue Herausforderungen. Dieses Problem könnten computergestützte Systeme beheben, indem sie Patientendaten sammeln, analysieren und miteinander verknüpfen.4
Die Folgen der Digitalisierung für das Gesundheitswesen und den einzelnen Patienten sind nicht abzusehen. Das Gesundheitswesen soll zukünftig durch Big Data auf den einzelnen Patienten ausgerichtet werden. Dabei werden immer größere Datenmengen gespeichert, analysiert und überwacht, um eine Diagnose zu stellen und den Patienten eine effektive Behandlung anzubieten. Der dynamische Fortschritt in der Digitalisierung und die Selbstoptimierung der künstlichen Systeme führt dazu, dass sogar Entwickler von Soft- und Hardware nicht eindeutig bestimmen können, wie sich KI entwickeln wird.
Deswegen werden Überlegungen angestellt, wie die geltenden Gesetze zum Schutz es Patienten verändert werden müssen, um dem digitalen Fortschritt gerecht zu werden. Das betrifft unter anderem auch das Haftungsrecht, denn fraglich ist, wer im Streitfall für Schäden die Verantwortung übernimmt, die die KI-Systeme verursacht haben. In Betracht kommen der Hersteller, der Softwareingenieur, der Operateur oder der Besitzer der Künstlichen Intelligenz. Dabei steht auch die Herstellerhaftung im Vordergrund, denn kein Haftungskonzept kann ohne die Haftung für fehlerhafte Produkte auskommen. Zudem stellt sich die Frage, wie viel Autonomie den Maschinen zugesprochen werden sollte und inwiefern sie eine Rechtsperson darstellen.5 Allerdings weist die Haftung der autonomen Systeme Schwierigkeiten im Bereich der Deliktsund Vermögensfähigkeit auf, da Künstliche Intelligenz kein Vermögen verwaltet und somit keine Haftungsmasse besitzt. Das stellt nur eine Auswahl der Fragestellungen dar, die im KI-Bereich des Gesundheitswesens von Bedeutung sind.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass autonome Systeme sich zukünftig immer stärker miteinander verknüpfen, sodass eine Zuweisung des Schadens erschwert wird. Aufgrund dessen weist z.B. die deutsche Rechtswissenschaftlerin Spiecker gen. Döhmann auf eine Haftungslücke hin. Diese entsteht auch aufgrund der Unkenntnis, welcher Prozess oder welche Komponente der Maschine für den Schaden ursächlich ist.6 Aufgrund der bestehenden Fragen muss das Recht mithilfe einer Novellierung kontinuierlich angepasst werden, die Risiken überschaubar sein und die Haftungsfragen geklärt werden.
Im Folgenden sollen die Haftungsfragen hinsichtlich entstehender Schäden durch die Verwendung von Künstlicher Intelligenz geklärt und auf die Umsetzung des zukünftigen digitalen Haftungsrechts eingegangen werden.
Zunächst werden in einem deskriptiven Teil die technischen Grundbegriffe geklärt, die für die Beurteilung der Haftungsfragen im Bereich der Künstlichen Intelligenz notwendig sind.
Künstliche Intelligenz (KI) gehört zum Bereich der Informatik. Bei diesem Teilbereich werden Maschinen mit menschlichen Verhalten versehen. Dieser Begriff verfügt über keine klare Definition, da allein der Begriff „Intelligenz“ nicht eindeutig definiert werden kann. In Betracht kommt die Definition der Encyclopaedia Britannica: „[Künstliche Intelligenz ist] die Fähigkeit digitaler Computer oder computergesteuerter Roboter, Aufgaben zu lösen, die normalerweise mit intelligenten Wesen in Verbindung gebracht werden.“7
Das Thema Künstliche Intelligenz wurde schon in den 1950er Jahren etabliert, als der Wissenschaftler und „Gründervater“ Marvin Lee Minsky den Begriff „Artficial Intelligence“ (KI) zusammen mit anderen Wissenschaftlern prägte. Dieser Begriff entstand 1956 bei der Vorbereitung eines Workshops am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire. Die Wissenschaftler hatten schon damals die Vision, dass „Artficial Intelligence“ zukünftig Konzepte erstellen, Probleme lösen und menschliche bzw. intelligente Eigenschaften besitzen wird.8
Die heutigen Ziele der Künstlichen Intelligenz können in zwei Ansätze gegliedert werden. Es wird zwischen der starken bzw. allgemeinen KI und der schwachen bzw. engen KI unterschieden. Diese Begriffe hat 1980 der US-amerikanische Philosoph John Searle geprägt. Unter starker KI wird die Fähigkeit verstanden, allgemeine Intelligenz- und Transferleistungen zu erbringen. Ziel dieses Ansatzes ist die Nachbildung und Optimierung menschlicher Fähigkeiten. Schwache Intelligenz begegnet uns im Alltag. Sie wurde für begrenzte und vordefinierte Aufgabenfelder entwickelt, um komplexe Probleme, welche die menschlichen bzw. physischen Möglichkeiten übersteigen, zu lösen. Dabei ist die Nachbildung menschlicher Fähigkeiten sekundär. Die Problemlösung erfolgt mithilfe manuell programmierter Regeln oder durch Maschinelles Lernen (Machine Learning).
Das Teilgebiet KI umfasst zudem die Erforschung, wie menschliches bzw. intelligentes Verhalten zur Lösung von Problemen in verschiedenen Bereichen führt. Anhand dieser Informationen werden Systeme mithilfe von Software konstruiert, die autonom handeln und „intelligente“ Lösungskonzepte entwickeln. Dabei wird darauf abgezielt, dass die KI- Systeme menschliches Denken und Handeln übersteigen.9
Aufgrund der Selbstlernfähigkeit der KI-Systeme können die Technologien ohne externes Zutun ihr Verhalten bei der Bewältigung der Probleme optimieren. Dieser Prozess beruht auf den Erfahrungsdaten, den Beobachtungen und Implikationen. Die Selbstlernfähigkeit führt auf Dauer zur Schaffung einer „Superintelligenz“, die den Inbegriff der starken Intelligenz darstellt. Diese „Superintelligenz“ könnte neue Denkansätze und Lösungskonzepte ermöglichen, die Menschen bisher nicht erdacht haben. Die Ansätze basieren auf der größeren Datenmenge und der schnelleren Verarbeitung und Auswertung.
Angesichts dieser Tatsache hatte der britische theoretische Physiker und Astrophysiker Stephen Hawking (2014) einen denkwürdigen Satz formuliert: „KI könnte das Ende der menschlichen Rasse einläuten.“10 Stephen Hawking war der Meinung, dass KI-Anwendungen zukünftig einen schnelleren Entwicklungsprozess aufweisen, als die biologische und synthetische Evolution selbst. Diese Annahme beruht auf der Statistik, dass alle 18 Monate die KI-Fähigkeiten verdoppelt werden. Demnach besteht die reale Gefahr der Verdrängung. Allerdings profitierte der Astrophysiker zu seinen Lebzeiten von KI. Er konnte sich aufgrund seines Nervenleidens namens ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) nur mithilfe eines Sprachcomputers verständigen. Der Sprachcomputer arbeitete auf der Grundlage einer lernfähigen Software, die seine Gedanken ahnte und diese auf Befehl ausgesprochen hat.11
Schon seit langer Zeit widmen sich Wissenschaftler der Frage, wofür der Begriff Intelligenz steht.
Der Begriff „Intelligenz“ wird zwar nicht eindeutig definiert, jedoch wird er in seinen relevanten Ausprägungen als multipler Intelligenzansatz erfasst. Der multiple Intelligenzansatz deckt folgende Bereiche ab:12
- „Sprachliche Intelligenz
- Musikalische Intelligenz
- Logisch-mathematische Intelligenz
- Räumliche Intelligenz
- Körperlich-kinästhetische Intelligenz
- Intrapersonale und interpersonale Intelligenz
- Naturalistische und existenzielle Intelligenz
- Kreative/schöpferische Intelligenz“13
Ein elementares Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz sind die neuronalen Netze, welche in Anlehnung an die Neuro-Wissenschaft nachgebildet werden. Aus biologischer Sicht bezeichnet ein neuronales Netz, die Konnektivität der einzelnen Neuronen, die in bestimmten Funktionsbereichen des Nervensystems tätig sind. Im Bereich der Informationstechnik werden die Informationen in den Netzen nicht über lineare Funktionen konvertiert. Das neuronale Netzwerk verarbeitet aufgrund der verknüpften Neuronen die Informationen parallel. Neben den Ursprungsinformationen (Erfahrungsdaten), welche zu Beginn manuell eingegeben werden, verfügen die Netzwerke über nicht-lineare Abhängigkeiten, die sie selbstständig erlernen.14
Ein neuronales Netzwerk wird als System aus Hard- und Software definiert, das sich am Aufbau des menschlichen Gehirns anlehnt. Demgemäß stellen sie das Kernelement Künstlicher Intelligenz dar. Sie verfügen über eine Vielzahl von Prozessoren, die in mehrere Schichten unterteilt sind (Abb. 1). In der ersten Schicht, welche auch Input-Layer genannt wird, befinden sich die Rohdaten. Die anderen Schichten (Hidden-Layer bzw. versteckte Schichten) enthalten den Output der vorangehenden Schicht. Die Daten der einzelnen Schichten werden verarbeitet, ausgewertet und nur die Ergebnisse werden weitergegeben. Bei der Datenverarbeitung wird eine Vielzahl von Hidden-Layers eingesetzt. Während der Output an die nächste Schicht weitergegeben wird, lernen die Schichten selbstständig dazu. In der letzten Schicht der Netzwerke, welche auch Output-Layer genannt wird, entsteht das Resultat der KI-Systeme.15
Aufgrund der Verknüpfung der Neuronen entstehen in den Knotenpunkten verschiedene Wissensbereiche, die die gewonnenen Informationen verarbeiten. Die „Verarbeitungsknoten“ umfassen die programmierten Regeln und ergänzen diese durch das Wissen, welches im Zuge des Machine Learnings erworben wird. Dieser zusätzliche Wissenserwerb dient der Erweiterung bzw. der Korrektur der ursprünglichen Regeln und führt dazu, dass sich das KI-System von den Regeln, mit denen es ursprünglich programmiert wurde, entfernen kann.16
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Input-Schicht 1. Versteckte 2. Versteckte Output-Schicht Schicht Schicht
Abb. 1 Verschiedene Schichten bei neuronalen Netzwerken17
Das Machine Learning bzw. die Selbstlernfähigkeit der KI-Systeme ist ein unverzichtbarer Bestandteil und die Schlüsseltechnologie, die im System zur Anwendung kommt. Dieser Prozess erfolgt durch die mehrfache Wiederholung von Aufgaben, in dem eine Maschine bzw. ein Algorithmus aus verfügbaren Daten bzw. Erfahrungswissen ein komplexes Konzept entwickelt. Das Konzept dient im weiteren Verlauf der Anwendung auf unbekannte Informationen.18
Machine Learning kommt zum Einsatz, wenn die Analyse von komplexen Prozessen zu aufwendig ist, aber genügend Daten zur Verfügung stehen, um daraus zu lernen. Unterteilt wird Machine Learning in „supervised learning“, „unsupervised learning“ oder „reinforced learning“.
Durch die Knotenpunkte des neuronalen Netzwerkes wird der Selbstlernprozess unterstützt, da die verschiedenen Schichten eine inkrementelle Informationsweitergabe ermöglichen.
Die verwendeten Algorithmen sind programmierte Befehle, die eingegebene Informationen in bestimmter Form in Ergebnisse umwandeln. Algorithmen, die beim Machine Learning zum Einsatz kommen sind sogenannte selbst-adaptive Algorithmen. Um den laufenden Lernprozess der Systeme zu unterstützen, greift die Maschine auf Erkenntnisse zurück, welche u.a. durch spezielle Algorithmen bzw. Deep Learning gewonnen werden. Zudem benötigt das System Trainingsdaten, die die neuen Algorithmen generieren. Diese Algorithmen werden durch weitere InputDaten überprüft und mithilfe von Feedbackdaten verbessert.19
Der Prozess des Machine Learnings wird in bestimmte Arten des Lernens unterteilt.20 Die verschiedenen Lernmethoden stellen letztlich statistische Modelle dar, die den Grundstein des Maschine Learnings bilden. Dabei kommen Wahrscheinlichkeiten zum Einsatz.21 22
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Leistungsbestandteile der Künstlichen Intelligenz[22]
Eine Lernmethode ist das überwachte Lernen bzw. „supervised learning“. Dabei wird die Maschine mit Trainingsdaten trainiert, welche die richtigen Antworten mitliefern. Die richtigen Antworten werden auch „Labels“ genannt. Supervised learning basiert auf Ein- und Ausgabepaaren. Die Eingaben erfolgen manuell durch den Programmierer und bezwecken eine systemseitige Ausgabe. Danach wird die Ausgabe mit dem dazugehörigen Ein- und Ausgabepaar verglichen. Das Ergebnis bzw. die korrekte Ausgabe wird sodann dem KI-System mitgeteilt. Aufgrund dieses Prozesses lernt das System eine richtige Aussage zu generieren. Je mehr Trainingsdaten zur Verfügung stehen, desto effizienter ist die Arbeitsweise. Zudem können durch externe Nutzer-Feedbacks Verbesserungen vorgenommen werden, um den Lernalgorithmus zu überarbeiten.
Sobald der Algorithmus fehlerfrei arbeitet, werden neue Input-Daten hinzugefügt und die passenden Output-Daten definiert.23
Überwachtes Lernen wird vor allem bei Schätzungen oder Prognosen verwendet. Des Weiteren dient es der Einteilung von Beispielen in Kategorien, wenn die Eingabe der dazugehörigen Ausgabe zugeordnet ist. Dieser Aufgabentyp wird Klassifikationsaufgabe genannt.24
Neben der überwachten Lernmethode gibt es noch das unüberwachte Lernen bzw. „unsupervised learning“. Bei dieser Methode wird das System nur mit Beispieldaten programmiert. Labels und Nutzer-Feedbacks werden nicht hinzugefügt, da das System autonom erlernen soll, welche die „richtige“ Ausgabe ist. Unsupervised learning kommt in Betracht, wenn die Beispieldaten zu komplex sind, sodass die Ausgabe bzw. das Label unbekannt ist. Diese Lernmethode wird in zwei Arten unterschieden: die Dimensionsreduktion und das Clusterverfahren.25
Die Dimensionsreduktion bezweckt die einfache Darstellung komplexer Daten, sodass der Lernalgorithmus der KI-Systeme besser verständlich dargestellt wird. Dieser Prozess erfolgt durch die Zusammenfassung der Datenmerkmale und führt zu einer Komplexitätsreduktion. Die Anwendung des unüberwachten Lernens erfolgt zudem in Vorbereitung auf ein überwachtes Lernen, da das System im Bereich der Selbstlernfähigkeit geschult wird. Dadurch wird der Speicher- und Zeitaufwand reduziert.
Clusterverfahren dienen der Einteilung von Daten in verschiedene Gruppen. Dabei entsteht ein umfänglicher Überblick bzgl. der Art und dem Inhalt der unbekannten Dokumente. Zudem können im Vorfeld bestimmte Gruppenmerkmale festgelegt werden, wie z.B. Rechtsgebiete oder Sprachen.26
Des Weiteren kann es vorkommen, dass beim „unsupervised learning" die vom System gewonnenen Erkenntnisse außerhalb des menschlichen Verstandes liegen.
Ein weiterer Lernstil ist das bestärkende Lernen bzw. „reinforcement learning“. Dabei muss das System mit seiner Umwelt interagieren und sequenzielle Entscheidungen treffen.27 Im Vordergrund steht das Erlernen einer Taktik, wie z.B. bei Online Games. Auch bei diesem Modell sind keine Labels vorgegeben, sodass das System rekurrent eigenständig verschiedene Lösungswege testen muss. Dieser rekurrente Prozess wird durch programmierte „Belohnungs- oder Bestrafungsimpulse“ weiterentwickelt. Reinforcement learning kommt zur Anwendung, wenn nur eine geringe Anzahl von Trainingsdaten vorliegt oder die Ausgabe unbestimmt ist. Das KI-System trifft anhand der Umwelteinflüsse Entscheidungen, welche vom Programmierer kontrolliert werden. Ist das Ergebnis Zielführung, so wird ein „Belohnungsimpuls“ ausgesendet. Sobald die Entscheidungen und Handlungen des Systems sich vom Ziel entfernen, erfährt es eine Bestrafung. Aufgrund der autonomen Korrektur, optimiert sich das KI-System fortlaufend.28
Eine spezielle Form des neuronalen Netzwerkes stellt „Deep Learning“ dar.29 Deep Learning wir als maschinelles Lernen in einer Vielzahl von verdeckten Zwischenschichten der neuronalen Netze verstanden.30 Dadurch erlangt das System das Verständnis für komplexe Konzepte mithilfe der Bildung von vereinfachten Modellen.
Dieses Modell ist eine besondere Form der Informationsverarbeitung. Dabei werden Netze aus künstlichen Neuronen und größere Menge an Datenressourcen genutzt, um den Entscheidungsfindungsprozess des menschlichen Gehirns nachzuahmen. Die Netzwerke sind darauf ausgerichtet sehr große Mengen an Eingabedaten aufzunehmen. Auch diese spezielle Lernmethode kommt ohne menschliche Hilfe aus und optimiert ihren Lernprozess selbstständig. Somit haben die Nutzer der KI den Vorteil, dass ohne weiteres Zutun eine Auswertung der Daten bzw. Fragestellungen erfolgt. Das System verbindet alle gewonnenen Daten miteinander, sodass immer mehr Verknüpfungen zwischen den einzelnen neuronalen Schichten entstehen.31
Hinzu kommen spezielle Optimierungskonzepte, deren innere Struktur umfangreicher ist, als die des herkömmlichen neuronalen Netzwerkes. Dabei erkennt das System komplexe Muster und Wechselbeziehungen, die die Datenpunkte miteinander kombinieren. Die Anzahl der Verknüpfungen innerhalb bzw. zwischen den Schichten und die Anzahl der Neuronen gibt Auskunft über die Fähigkeit komplexere Entscheidungen zu treffen. Je größer das Netzwerk, desto effizienter arbeitet das System. Folglich liefern Systeme, bei denen bestärkendes Lernen zum Einsatz kommt, genauere Ergebnisse als andere Methoden des Machine Learnings.
Deep Learning wird z.B. im Bereich der Handschrifterkennung einsetzt.32
KI-Systeme zeigen verschiedene Grundfähigkeiten der Wahrnehmung auf. Dazu gehören Verständnis, Lernen und Handeln.33 Die Systeme, die das menschliche Gehirn mithilfe von neuronalen Netzen simulieren, werden dem Bereich des Neuro-Computings zugeteilt. Ziel dieser Simulation ist die Erkennung von Informationen in Datenbanken, auch „Knowledge- Discovery“ genannt. Dabei versucht das System unbekannte Datenzusammenhänge zu erkennen. Knowledge-Discovery bewertet zudem die gewonnene Ausgabe bzw. das Ergebnis. Die reine Verarbeitung von Daten wird Data-Mining genannt.
Im Kern besteht KI aus der Verarbeitung von großen Datenmengen, der Mustererkennung und der autonomen Entscheidungsfindung. Dabei wählt das System jene Daten aus, die dazu beitragen, ein zielführendes Konzept zu generieren und die richtige Antwort bzw. das bestimmte Label zu erhalten.
Die Maschine erhält neben dem Material auch sogenannte „Preloading Rules“. Diese akzelerieren den Prozess und fördern die Leistungsfähigkeit des Modells. Die Definition der Regeln, welche im Vorfeld erfolgt, ist von großer Bedeutung, da die Daten aufgrund der deployten Regeln eine Verzerrung (Bias) aufweisen können. Aufgrund dessen sollte die Objektivität im Vordergrund stehen. Ein Fall aus den USA weist einen solchen Bias auf. Ein KI-System hatte die Aufgabe Gerichtsurteile zu fällen und wurde dementsprechend mit Datenmaterial aus alten Gerichtsurteilen trainiert. Dabei wurde deutlich, dass dunkelhäutige Beklagte eine höhere Strafe bekamen, als Menschen mit weißer Hautfarbe. Diese Verzerrung lag in der Befangenheit der alten Urteile, die das System, aufgrund der Programmierung, auf die neuen Rechtsfälle übertragen hat.34
Aufgrund der Selbstlernfähigkeit der KI-Maschine, ist die Transparenz der Prozesse fraglich, z.B. stellt sich die Frage, weshalb ein bestimmtes Ergebnis gefasst wird. Dementsprechend muss die KI-Anwendung erklärbar sein. Das Stichwort ist: Explainable Artificial Intelligence (XAI). Bei XAI handelt es sich um eine Aufgabe, die die Nachvollziehbarkeit der Output-Daten ermöglicht. Dadurch soll die Entstehung einer Black Box vermieden werden. XAI lässt sich in verschiedene Bereiche unterteilen. Ein solcher Bereich stellt die Transparenz der Daten und ihrer Auslieferung dar. Dabei werden alle Input-Daten überprüft, um Verzerrungen und fehlerhafte Informationen zu erkennen bzw. zu beheben. Zudem sollen die Daten nutzerfreundlich sein, sodass der Nutzer auch ohne Vorkenntnisse, die Output-Daten versteht. Des Weiteren ist die Transparenz der Algorithmen von großer Bedeutung. Die Akzeptanz der KI-Entscheidungen bedarf einer klaren Erkennbarkeit von Einflussfaktoren, die das System zu einem Ergebnis bewegt haben.
Zudem findet XAI Anwendung auf verschiedene Technologien der Künstlichen Intelligenz. Dabei werden die Systeme verschiedenen Automatisierungsgraden zugeordnet . Der Automatisierungsgrad hängt mit der Komplexität und dem Entwicklungsstand der Maschine zusammen. Einen Überblick bietet das Fünf-Stufen-Modell (Abb. 3).
Beim teilweisen Entscheiden übernimmt die KI-Maschine, auch mit wenigen Informationen, die Entscheidungsfindung. Das System unterstützt den Nutzer. Allerdings ist dieser Prozess abhängig von der Aktivierung des Nutzers. Teilweises Entscheiden ist z.B. bei Suchprozessen im Internet zu finden. Bei komplexen Sachverhalten kann es jedoch zu fehlerhaften Ergebnissen kommen, da der Entwicklungsstand bei diesen Systemen gering ausgeprägt ist.
Beim geprüften Entscheiden, der dritten Stufe des Modells, werden die manuell eingegebenen Ergebnisse analysiert. Es entwickelt eigene Vorschläge. Die Auswahl erfolgt mithilfe eines Algorithmus, der die vorhandenen Datenquellen nutzt, um ein geeignetes Ergebnis zu generieren. Dabei hat der Nutzer die Möglichkeit, die Input-Daten zu verändern oder die Suche zu wiederholen.
Beim delegierten Entscheiden übernimmt das KI-System dauerhaft die Kontrolle in bestimmten Einsatzbereichen. Die Maschine verfügt über die Selbstlernfähigkeit und versucht dauerhaft seine Prozesse effizienter zu gestalten. Diese Art von Maschinen kommt z.B. bei der Steuerung von Kühlanlagen zum Einsatz. Problematisch kann es werden, wenn die Ergebnisse aufgrund von veränderten Umwelteinflüssen, z.B. Störung der Energiezufuhr, verzerrt werden. Eine vollkommene selbständige Arbeitsweise ist folglich ausgeschlossen.
Ein autonomer Entscheidungsprozess findet bei Systemen Anwendung, die dauerhaft und zuverlässig die Kontrolle über Entscheidungen für einen komplexe Anwendungsbereich übernehmen. Diese Systeme arbeiten ohne menschliche Hilfe. Wichtig ist nur die Sicherstellung und ggf. die Aktualisierung der relevanten Daten, da diese den Grundbaustein des Entscheidungsfindungrozesses darstellen. Die Stufe 5 beschreibt ein autark arbeitendes System, welches auch manuell bedient werden kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Das Fünf-Stufen-Modell der Künstlichen Intelligenz35
Im Folgenden werden verschiedene Konstellationen der rechtlichen Verantwortung betrachtet. Dabei wird die derzeitige Perspektive des Zivilund Deliktsrechts untersucht und Besonderheiten hinsichtlich des Bereichs der Künstlichen Intelligenz dargestellt. Im Anschluss werden neue Haftungsentwürfe erläutert.
Um die Haftungsfragen hinsichtlich entstehender Schäden aufgrund der Verwendung von Künstlicher Intelligenz zu klären, sollte zunächst der Status Quo im Gesundheitswesen betrachtet werden. Dabei ist E-Health von großer Bedeutung. Dieser Begriff beschreibt den Einsatz digitaler Technologien in der Gesundheitsbranche. Dazu gehören Informationsund Kommunikationstechnologien, die der Diagnose, Behandlung und Verwaltung dienen. Es birgt ein enormes Potential für eine hochqualitative medizinische Versorgung und sinkende Kosten des Gesundheitswesens. E-Health bietet eine große Datenmenge, die in der Informationstechnik beziehungsweise beim Machine-Learning und der Entwicklung Künstlicher Intelligenz genutzt werden kann. Das Gesundheitswesen ist wohl der Bereich mit den größten Digitalisierungsvorteilen und auch der Bereich, der vor allem in Deutschland unausgeschöpft ist. Dieser Rückstand liegt unter anderem an den umfangreichen Datenschutzbedingungen und der Inakzeptanz der Bevölkerung gegenüber dem Ausbau der Künstlichen Intelligenz im medizinischen Bereich. Als Beispiel für diese Situation ist die elektronische Gesundheitskarte anzuführen, welche schon im Jahr 2006 über die Gesundheitsdaten der Patienten verfügen sollte, doch auch im
[...]
1 Vgl. Jansen 1922, 19-23.
2 Jüdisches Museum Berlin.
3 Vgl. Densen 2011, 48-58.
4 Vgl. Marx/Gilger/Deisz 2020, 1032.
5 Vgl. Könneker 2017, 275 ff.
6 Vgl. Spiecker gen. Döhmann 2016, 698-704.
7 Wagner 2020, 60.
8 Vgl. McCarthy/Minsky/Rochester/Shannon 1955, 12-14.
9 Vgl. Kreutzer 2019, 20.
10 Vgl. Kreutzer 2019, ebd.
11 Vgl. Nestler 2014.
12 Vgl. Gardner/ Davis/Christodoulou/Seider 2011, 490-498.
13 Kreutzer 2019, 2.
14 Vgl. Lackes 2018.
15 Vgl. Rouse 2016.
16 Vgl. Kreutzer 2019, 5.
17 Vgl. Kreutzer 2019, 5.
18 Vgl. Döbel/Leis et al. 2018, 9.
19 Vgl. Agrawal/Gans/Goldfarb 2018, 43.
20 Vgl. Gentsch 2018, 38 f.
21 Vgl. Döbel et al. 2018, 16.
22 Vgl. Kreutzer 2019, 4.
23 Vgl. Kreutzer 2019, 7.
24 Vgl. Döbel et al. 2018, 92.
25 Vgl. Döbel et al. 2018, 92.
26 Vgl. Wagner 2020, 64.
27 Vgl. Döbel et al. 2018, 28.
28 Vgl. Frenz 2020, 1421.
29 Vgl. Kelly 2014, 6-8.
30 Vgl. Döbel et al. 2018, 89.
31 Vgl. Frenz 2020, 1008.
32 Vgl. Kreutzer 2019, 8.
33 Vgl. Bitkom/DFKI 2017, 29.
34 Vgl. Hochreiter 2018, 3.
35 Vgl. Kreutzer 2019, 14; https://iconscout.com/icon/ai-brain-2134463, https://www.flaticon.com/de/ kostenloses-icon/gehirn_1491214, Zugegriffen: 24.09.2020.
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