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Masterarbeit, 2019
85 Seiten, Note: 1,7
1 Einleitung
2 Kulturelle Dimensionen der digitalen Transformation betrieblichen Lernens
2.1 Lernzielwandel – Vom Wissenserwerb zur Kompetenzentwicklung
2.2 Lernstetting – von der Präsenz zur Entgrenzung
2.3 Die didaktische Wende - Von der Erzeugungsdidaktik zur Ermöglichungs-didaktik
2.4 Die Rolle des Lernenden – von der Fremdsteuerung zur Selbststeuerung
2.5 Die Rolle des Weiterbildungspersonals – Vom Lehrenden zum Lernprozess-begleiter
2.6 Analyserahmen – ein Zwischenfazit
3 Methodologie und methodisches Vorgehen
3.1 Qualitative Forschung
3.2 Datenerhebung
3.3 Datenauswertung
4 Beschreibung und Analyse
4.1 Bildungsziele digitaler Lernumgebungen – Setting & Didaktik
4.2 Individuelle und kulturelle Wirkfaktoren
4.3 Handlungsempfehlungen
5 Fazit und Ausblick
Inhaltsverzeichnis
Seit über 20 Jahren beschleunigt sich die Entwicklung der industriellen Gesellschaft auf globaler, nationaler und individueller Ebene durch Automation und Digitalisierung. Besonders in der Interaktion von Mensch und Maschine im wirtschaftlichen Kontext wird eine stetige Weiterentwicklung aufgrund technologischer Fortschritte verzeichnet. Das jüngste Paradigma industrieller Entwicklung wird alsIndustrie 4.0bezeichnet und gilt, als „ strategischer Leuchtturm für die deutsche Innovationspolitik. “ (Hartmann 2015, S. 9). In Deutschland ist der Einsatz moderner Technologien branchenübergreifend gekoppelt an die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe (vgl. BMAS 2017, S. 21).
Die einhergehende digitale Transformation beschreibt nicht nur einen gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Wandel auf makroökonomischer Ebene, sondern auch die Art und Weise wie Arbeits- und Lernprozesse im betrieblichen Kontext stattfinden. In diesem Zusammenhang wurde der BegriffArbeit 4.0geprägt, welcher die Einflüsse der digitalen Transformation auf betriebliche Prozesse fokussiert (vgl. ebd., S. 42f.). Hierbei ist der Wandel von Branchen und Tätigkeiten, Märkten und Arbeitsformen von Bedeutung, wobei sich ein Spannungsfeld zwischen neuen Technologien und sozialer Marktwirtschaft, welche die Beschäftigungsfähigkeit sichern und Überforderung durch flexible, entgrenzte Arbeitsprozesse vermeiden möchte, entwickelt. Es wird diesbezüglich notwendig, neue Vereinbarkeitslösungen zu schaffen, um die Zusammenarbeit von Mensch und Technologie zu optimieren (vgl. BMAS 2017, S. 42 f.)
Der BegriffDigitalisierungist allgegenwärtig und zentral in den Überlegungen zu betrieblichen Wandlungsprozessen, ausgelöst durch Entwicklungen der Industrie 4.0. In dieser Arbeit wird Digitalisierung definiert als „ Veränderung durch die Einführung digitaler Technologien bzw. der darauf aufbauenden Anwendungs-systeme (Ladel et.al. 2018, S. VII). Vor allem der Kontext des betrieblichen Lernens ist desbezüglich für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands relevant (vgl. BMBF 2016, S. 2ff).
Betriebliche Weiterbildungsarrangements verändern sich im Zuge dessen vermehrt. Durch moderne Technologien können beruflichen Lernkonzepten völlig neue Potenziale eröffnet werden. Digitale E-Learning Angebote umfassen längst mehr als einzeln abzuarbeitende Datenträger. Durch die Nutzung multimedialer Endgeräte besteht die Möglichkeit, verschiedene Technologien miteinander zu verknüpfen, um nicht nur Lerninhalte digital zu präsentieren, sondern auch Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten über Chats, Foren oder soziale Netze zu schaffen (vgl. Kutzbach 2015, S. 12). Der BegriffE-Learningwird wirtschaftspädagogisch definiert als „ die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Lernprozess. “ (Euler/ Seufert 2005, S.6) Durch diesen weiten Definitionsspielraum gilt die Bezeichnung E-Learning als Sammelbegriff für alle Bildungsangebote, welche mit digitalen Medien in Verbindung gebracht werden. Die Nutzung digitaler Elemente für die betriebliche Weiterbildung unterliegt verschiedenen Abstufungen, die je nach Kontext und Lernziel eingesetzt werden können. Klassisch werden diese nach Digitalisierungsintensität in drei Szenarien unterteilt. Das Anreicherungskonzept sieht vor, dass eine Präsenzveranstaltung nur durch Bereitstellung digitaler Materialien begleitet wird oder gegebenenfalls digitale Kommunikationsmedien nutzt. Der Großteil der Maßnahme findet in diesem Konzept jedoch in der Präsenz statt. Das Integrationskonzept umfasst eine Kombination von Online- und Präsenzphasen. Die digitalen Elemente dieser sogenannten Blended-Learning Konzepte sind nicht mehr optional, sondern starrer Teil des Gesamtkonzepts. Die dritte Dimension der Szenarienformen, die Virtualisierung, sieht den kompletten Austausch von Präsenzveranstaltungen durch reine Online-Lernangebote vor (vgl. Bachmann et. al. 2002, S. 87 f.).Lernen 4.0ist in diesem Zusammenhang ein Schlüsselbegriff. Um den komplexer werdenden digitalen Lernumgebungen gerecht zu werden, ist es notwendig, Lernprozesse problem- und handlungsorientiert zu gestalten. Informelles Lernen, definiert als Lernen im Arbeitsprozess, spielt hierbei eine wachsende Rolle. Lernen 4.0 ist demnach „ informell, kooperativ, kollaborativ und erfolgt orts- und zeitungebunden. “ (Riebe et. al. 2015, S. 22)
In neuen Formaten sollen innovative Systeme entwickelt werden, welche arbeitsprozessintegriert selbstbestimmtes Lernen unterstützen und somit betriebliches Lernen am Arbeitsplatz fördern. Digitale Medien ermöglichen im Zuge dessen bestenfalls die Flexibilisierung von Bildungsangeboten. Zeit-, Orts- und Inhaltsflexibilität sollen neue Freiheitsgrade in der Skalierbarkeit von Bildungsangeboten schaffen. Dadurch erlauben sie potenziell eine effiziente und zügige Anpassung der Inhalte an neue Entwicklungen und Anforderungen (vgl. BMAS 2016, S.7). Nicht nur die Lernmittel, sondern auch die Lernziele betrieblichen Lernens wandeln sich im Zeitalter der Digitalisierung. In Zukunft wird im Bereich der betrieblichen Bildung Kompetenzentwicklung immer bedeutsamer: „ Wir stehen vor einer der größten Revolutionen des menschlichen Lernens und damit des menschlichen Denkens. “ (Erpenbeck/ Sauter 2013, S. 3) Selbstorganisation und berufliche Handlungskompetenz in unerwarteten Situationen gelten in Zeiten des digitalen Wandels als wichtigstes Lernziel und verdeutlichen die Notwendigkeit flexibler Kompetenzaneignung statt starrer Wissensanhäufung.
Entsprechende Lernformate führen demnach theoretisch zu einem entgrenzten Lernen, welches unabhängig von speziellen Lernorten stattfinden kann, individuell arrangiert wird und kompetenzorientiert agiert. Hierbei steht „ selbstreguliertes Lernen auf Basis neuer Medien in handlungsorientierten Kontexten “ (Sindler 2004, S. 92) im Vordergrund, unter welchem auch kritische Faktoren zu berücksichtigen sind. Überforderung durch die Entgrenzung von Lern- und Arbeitsprozessen, ist eine mögliche Folge. Zeitmanagement, Zielvereinbarungen, Lerneffizienz und Qualität des Prozesses müssen hinsichtlich dieser Herausforderungen berücksichtigt werden (vgl. Severing 2001, S.154).
Versprechen bezüglich eines steigenden Lernerfolgs, allein durch das Lernen mit digitalen Medien, gründen in betriebswirtschaftlichen Argumentationsstrukturen und müssen nach Erprobung einer deutlichen Ernüchterung weichen. In verschiedenen wissenschaftlichen Studien zum Weiterbildungserfolg durch digitale Lernum-gebungen können die erhofften Potenziale kaum nachgewiesen werden: „ Der durchschnittliche Lernerfolg ist relativ unabhängig von dem gewählten Mediensystem und der eingesetzten Technologie. Das Lernen mir neuen Medien scheint im Durchschnitt nicht besser, aber auch nicht schlechter ab als konventioneller Unterricht.“ (Kerres/ Petschenka 2002, S. 240) Auch die Aspekte von Zeit- und Kostenersparnis durch den Einsatz digitale Lernumgebungen werden aufgrund von Vernachlässigung des Konstruktionsaufwands und der laufenden Kosten für tutorielle Betreuung unterschätzt: „ Nahezu alle Prognosen haben sich bislang als nicht haltbar erwiesen, der Prozess der Integration neuer Lernformen erweist sich als mühsamer und langsamer als gedacht. “ (Kraft 2015, S. 296) Zusammenfassend ist von einem „ blinden Effizienzglauben “ (Reglin 2009, S. 10) die Rede, welcher sich von dem bloßen Einsatz von multimedialen Elementen eine Verbesserung der Qualität betrieblicher Weiterbildung erhofft. Entsprechende betriebswirtschaftliche Zielreflexionen sehen E-Learning Methoden oftmals nur als Ökonomisierungsmittel, in welchem prinzipiell ein unveränderter Lerninhalt in elektronischer Nachbildung bei gleichbleibenden Bildungszielen dargeboten werden soll. Durch fehlenden Reflexionsprozesse bleibt die erwartete Wissensrevolution durch die Nutzung neuer Technologien meist aus (vgl. ebd. S, 20 f.).
Um digitale Lernumgebungen erfolgreich zu implementieren gilt es demnach, sich nicht nur auf multimediale Effekte zu verlassen, sondern die methodisch-didaktische Darbietung des Lerninhalts zu berücksichtigen und entsprechend anzupassen. Zudem erfordern digitale Lernumgebungen vielfältige Kompetenzen bei lernenden Mitarbeitern und lehrendem betrieblichen Weiterbildungspersonal, welche eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung und Betreuung virtueller Lehr-Lern-Arrangements einnehmen und somit erfolgsbestimmend sein können. Die relevanten Kompetenz-strukturen gilt es zu identifizieren und zu fördern (vgl. Kraft 2015, S. 296).
Der Einsatz digitalen Medien im Bildungsbereich steht demnach im Spannungsfeld zwischen vielfältigen technologischen Möglichkeiten und der steigenden Anforder-ungen an Lernende und Lehrende zur adäquaten Bereitstellung und Nutzung der entsprechenden Medientypen (vgl. Albrecht/ Revermann 2016, S.9). Hieraus ergibt sich der zentrale Fokus dieser Arbeit, welche sich mit den verschiedenen Dimensionen des Wandels einer betrieblichen Lernkultur und den Erfolgsfaktoren bei der Implementierung digitaler Lerninhalte befasst. Entsprechend ergibt sich die zentrale Fragestellung:
Inwiefern kann eine kompetenzförderliche digitale Lernumgebung im betrieblichen Kontext gestaltet werden?
Im Zuge der Fragestellung ergeben sich verschiedene Unterfragen:
- Welche lernkulturellen Dimensionen sind für einen erfolgreichen digitalen Wandel zentral?
- Welche förderlichen und hinderlichen Faktoren lassen sich in der Implementierung digitaler Lernumgebungen identifizieren?
Zunächst umfasst die Arbeit nach der Einleitung, welche einen Einblick in Industrie 4.0, Arbeit 4.0 und Lernen 4.0 sowie Digitalisierung in der betrieblichen Weiterbildung und E-Learning gibt, eine theoretische Rahmung, als Basis der weiteren Forschungsarbeit. Diese theoretische Rahmung in Kapitel zwei beleuchtet die allgemeinen Entwicklungen der betrieblichen Lernkultur hinsichtlich neuer Anforderungen in seinen einzelnen Dimensionen. Ein verändertes Lernziel im Zuge einer notwendigen Kompetenzorientierung, neue entgrenzte Lehr- und Lern-methoden durch technische Innovationen und daraus resultierende didaktische Konsequenzen im Sinne ermöglichungsdidaktischer Konzepte werden als zentrale Faktoren einer kulturellen Veränderung betrieblichen Lernens dargestellt. Auf das neue Aufgabenspektrum und die daraus resultierende Rollenveränderung lernender Individuen, sowie lehrender Lernprozessbegleiter im Zuge dieser Entwicklungen wird eingegangen. Abschließend wird ein Analyserahmen geschaffen, welcher die theoretischen Vorannahmen praxisnah in Mikro-, Meso- und Makro-Ebene des betrieblichen Bildungsmanagements einordnet und somit die Basis für eine qualitative Forschung schafft. Im dritten Teil beschreibt die Arbeit Methodologie und methodisches Vorgehen des qualitativen Forschungsprozesses. Im Zuge von fünf Leitfadeninterviews wird betriebliches Weiterbildungspersonal aus unterschiedlichen Branchen unabhängig voneinander gebeten, von ihren Praxiserfahrungen hinsichtlich des Digitalisierungsprozesses, im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung ihres Tätigkeitsfeldes, zu berichten. Anhand dieser Erfahrungen wird anschließend, durch Beschreibung und Analyse der Interviews im Zuge einer qualitativen Inhaltsanalyse, ein Vergleich von Theorie und Praxis erfolgen. Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Implementierung digitaler Lernumgebungen in Unternehmen können abschließend abgeleitet werden. Im Fazit wird ein Ausblick gegeben.
Der Begriff Lernkultur bezeichnet „ die Gesamtheit der Lernformen und Lehrstile, einschließlich der ihnen zugrunde liegenden anthropologischen, gesellschaftlichen und pädagogischen Orientierungen, die in einer bestimmten Zeit typisch sind. “ (Heidenreich 2009, S. 47) Derzeit befindet sich die Gesellschaft in einem Wandlungsprozess, wodurch die typischen Formen neu bestimmt werden. Schon seit 1999 ist, im Hinblick auf die veränderten Ansprüchen an Lernprozesse hin zur Kompetenzorientierung, von einem „ kulturellen Paradigmenwechsel “ (Pauschwein et.al. 2009, S. 85) die Rede. Im Laufe der 1990er Jahre veränderten sich die Anforderungen an Lehrende und Lernende durchtheoretischeDiskussionen um selbstgesteuerte Lernprozesse. Allgemeine Erkenntnisse der kognitionstheoretischen und konstruktivistischen Lernforschung definieren Lernende als relativ abge-schlossene, selbstorganisierte Systeme, welche nicht von außen bestimmbar sind. Lernprozesse können demnach lediglich angeregt werden. Hierbei kommt es zu einer Abwendung von der bisher vorherrschenden Belehrungsdidaktik zu ermöglichungs-didaktischen Konzepten. Diese neue Perspektive verändert den didaktischen Blick auf zukunftsweisende Lernarrangements, was zu einer Neubestimmung von Methoden und Rollenverständnissen von Lehrenden und Lernenden führt (vgl. Arnold/ Gómez Tutor 2007, S. 129). Im Fokus dieser neuen Lernkultur steht selbstorganisiertes, reflexives Handeln, welches sich durch Kompetenzzentrierung, Ermöglichungsorientierung und Selbstorganisation auszeichnet. Hierbei soll die allgemeine Handlungsfähigkeit bereichsübergreifend und lebenslang gefördert werden (vgl. Kirchhöfer 2004, S. 112 f.).
Infolge dieser theoretischen Überlegungen wird durch Arnold (2012) ein notwendiger Lernkulturwandel in derPraxisdefiniert, welcher sich vom Fokus auf Wissensvermittlungsprozesse und Lehrendenzentrierung abwendet und den neuen Fokus auf Unterstützungsprozesse legt, um Selbstlernen und Kompetenzentwicklung anzuregen, zu begleiten und zu betreuen. Klassisch herrscht in traditionellen Unternehmen aktuell noch eine prägutenbergsche Lernkultur bzw. postorale Lernkultur vor, in welcher Distribuierung von Wissen im Vordergrund steht (70%), wobei der Lehrende1 als Wissensinhaber und der Lernende als Wissensempfänger agiert. Lernbegleitung (10%) und Diskurs (20%) werden durch diese traditionelle Vermittlungs- und Lehridiologie vernachlässigt. Dadurch steht die Wissens-vermittlung im Vordergrund. Demgegenüber sollte eine Hinwendung zu einer nachhaltigen Lernkultur bzw. Independet Learning Culture geschehen. In dieser steht die Lernbegleitung (50%) im Fokus, wobei der Lehrende als Lernberater agiert, um den Selbstlernprozess des Lernenden anzuregen. Im Zuge dessen werden mehr Diskurse angeregt (30%). Die reine Distribuierung von Wissen verliert somit an Bedeutung (20%), wodurch die Basis einer Kompetenzentwicklung geschaffen werden kann (vgl. Arnold 2012, S. 47 f.).
Diese potentiell kompetenzentwickelnde Lernkultur verlangt nach entgrenzten Arrangements und ermöglichungsdidaktischen Konzepten, um umgesetzt werden zu können. Folglich verändert sich die Zentrierung im Lernprozess vom Lehrenden auf den Lernenden. Nicht nur der kulturelle Paradigmenwechsel und der daraus resultierende Rollenwandel erfordert ein kulturelles Umdenken im Bereich betrieblicher Weiterbildungsprozesse. Auch Entwicklungen der Digitalisierung wecken den Wunsch nach didaktisch aufbereiteten, individuell anpassbaren, flexiblen Lernumgebungen, welche in alltägliche Arbeitsprozesse eingebunden werden können. Besonders in E-Learning Kontexten ist diese nachhaltige Lernkultur gut anwendbar, denn in digitalen Lernumgebungen können Lerninhalte zeitlich und örtlich direkt mit realen Arbeitsprozessen verknüpft werden, wodurch das hohe Potenzial von Lernprozessen in Arbeitsplatznähe genutzt werden kann (vgl. Niedermeier/ Müller-Kreiner 2017, S.4). Lernen in Unternehmen durch digitale Lernumgebungen ist dadurch in konkrete Arbeitsplätze verortet, welche durch die dort herrschenden kulturellen Bedingungen beeinflusst sind. Die Ausprägung einer angepassten Lernkultur im Unternehmen hat Auswirkungen auf die entsprechenden Rahmenbedingungen und wirkt somit förderlich oder hinderlich auf den Lernprozess am Arbeitsplatz. Dementsprechend ist eine Anpassung der betrieblichen Lehr-Lernkultur notwendig für die erfolgreiche Implementierung digitaler Lern-umgebungen (vgl. Koring 2012, S. 80).
In diesem Kapitel werden die einzelnen theoretischen Elemente des nötigen Lernkulturwandels hinsichtlich der Dimensionen Lernziel, Lernort und Didaktik und des resultierenden Rollenwandels Lernender und Lehrender in Unternehmen thematisiert und diskutiert. Zudem werden jeweils Bezüge zu E-Learning-Arrangements gezogen.
Durch die Entwicklung hin zur Industrie 4.0, welche einen „ tiefgreifenden ökonomischen Paradigmenwechsel “ (acatech 2016, S. 5) anstößt, werden Arbeitsprozesse und damit einhergehende Kompetenz- und Qualifikations-anforderungen an jeden Mitarbeiter verändert. Der digitale Wandel erfordert diesbezüglich eine kontinuierliche Weiterentwicklung durch gezielte betriebliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Im Zuge dessen ist es notwendig die Lernarrangements konzeptionell auf die Erfordernisse der Industrie 4.0 abzustimmen. Tendenziell geht es hierbei um das Zurücktreten von Fachwissen zugunsten einer Prozessorientierung, welche eine „ kompetenzorientierte Wende “ (Meyer 2010, S. 8) im Hinblick auf pädagogische Konzepte im betrieblichen Weiterbildungsbereich verlangt. Auf diesen Lernzielwandel wird im folgenden Kapitel theoretisch eingegangen.
Für eine vertiefende Betrachtung ist es notwendig, die Begriffe Wissen und Kompetenz voneinander abzugrenzen. Wissenssoziologisch und phänomenologisch wirdWissenals strukturierte und kohärente Gesamtheit definiert, durch welche einzelne Informationen eine Bedeutung erlangen. Durch die Strukturiertheit verfügt Wissen über eine innere Systematik und folgt Zu- und Unterordnungen. Zentrales Definitionselement ist die Annahme, dass Wissen extern gespeichert ist und nur über Aneignung des Individuums kompetenzbildend wirkt. Diese Aneignung wird als Lernprozess bezeichnet und setzt eine Aktivierung der kognitiven Fähigkeiten des Lernenden in den Bereichen Merken, Verstehen und Erkennen von Zusammen-hängen voraus (vgl. Arnold/ Gómez Tutor 2007, S. 19 f.). Demgegenüber stehtKompetenzfür Handlungsorientierung, welche in Reflexions-, Verhaltens- und Gestaltungsdispositionen ersichtlich wird. Hierbei werden Wissen und Können des Individuums verbunden. Kompetenzaneignung geschieht ausschließlich in Auseinandersetzung mit einer konkreten Lebenssituation. Ein Kompetenzerwerb im Lernprozess kann demnach nur angestoßen werden, wenn die Lernmethoden entsprechend handlungskompetenzfördernd ausgerichtet sind (vgl. Arnold/ Gómez Tutor 2007, S. 23). Berufspädagogisch geht der Kompetenzbegriff zurück auf das Leitbild der beruflichen Handlungskompetenz bzw. Handlungsfähigkeit, welche 1974 durch den Deutschen Bildungsrat formuliert wurde. Diese wird definiert als „ die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten “ (KMK 2011, S.30). Seit Anfang der 1970er Jahre gilt der Erwerb der beruflichen Handlungskompetenz als bildungspolitisches Leitbild beruflicher Bildung.
Selbstorganisation und kreatives Handlungswissen in unerwarteten Situationen gelten in Zeiten des digitalen Wandels als wichtigstes Lernziel und verdeutlichen geforderte Kompetenz statt starrer, unflexibler Wissensanhäufung. Ein weit verbreiteter Grundkonsens der Bildungspraxis (vgl. Schuchmann/ Seufert 2013a, S. 424) besagt, dass Fachwissenserwerb alleine nicht mehr ausreicht, um unter den Umständen der gesellschaftlichen Entwicklungen wie Globalisierung, verkürzte Halbwertszeit von Wissen, Technisierung sowie zunehmender Dynamik und Komplexität verantwortungsvoll handeln zu können. Besonders unter bildungs-wissenschaftlicher Perspektive ist der Begriff derKompetenzorientierungdies-bezüglich zentral. Im Fokus steht zunehmend die Frage, wie Lernprozesse kompetenzorientiert gestaltet werden können, um den Herausforderungen der aktuellen Arbeits- und Lernwelt gerecht zu werden. Lernprozesse werden demnach Outcome-orientiert bewertet. Hierbei steht das Lernergebnis und die praktische Umsetzung des Lernstoffs im Vordergrund (vgl. Gillen 2013, S. 1). Durch innovative Lehr-Lern-Lösungen gilt es, eine Kompetenzentwicklung bei den Mitarbeitern herbeizuführen, die über eine reine Wissensansammlung hinaus geht und sie handlungsfähig im digitalen Wandel agieren lassen kann. Das zugrundeliegende Menschenbild sieht den Menschen selbstständig handlungs- und entscheidungsfähig im gesellschaftlichen, beruflichen und politischen Kontext durch den adäquaten Einsatz der eigenen Kompetenzen (Schröder 2009, S. 3).
Somit verändern sich nicht nur die Methoden, mit denen betriebliche Weiterbildung arbeitet, sondern auch die Lernziele der Maßnahmen. „ Gefragt ist nicht mehr der Berufsschulabgänger, der seine Prüfungen mit Glanz bestanden und (...) die Merkfähigkeit seines Gehirns unter Beweis gestellt hat, sondern solche, die sich in neuen, unerwarteten, Selbstorganisation und Kreativität fordernden Situationen, glänzend bewähren, die kompetent sind. “ (Erpenbeck/ Sauter 2013, S. 3) Aktuelle und zukünftige Bedarfe von Mitarbeiterfähigkeiten sind demnach weniger fachwissensbasiert, sondern zielen auf erforderte flexibles kreatives Handlungs-wissen im Soft-Skill Bereich, wie beispielsweise interdisziplinäres Denken und Handeln, Prozess-Know-how, Führungskompetenz, Problemlösung- und Optimierungskompetenz und eigenverantwortliche Entscheidungsfähigkeit (vgl. acatech 2016, S. 13) sowie Handlungskompetenzen im Bereich Methoden-kompetenz, Sozialkompetenz und emotionale Kompetenz (vgl. Arnold/ Lermen 2003, S. 26). Relevante Kompetenzen sind demnach „ diejenigen Fähigkeiten, die es uns ermöglichen, in unbestimmten, neuen, unstrukturierten Situationen handlungs-fähig zu sein. “ (Botthof/ Hartmann 2015, S. 14) Somit werden berufliche Handlungs-situationen und die Befähigung der Mitarbeiter durch die berufliche Handlungs-kompetenz als Ausgangspunkt und Zielsetzung der Konzeption von Lernprozessen gesehen (vgl. ebd. S.3). Die Mitarbeiterqualifizierung im Kompetenzentwicklungs-bereich gilt demnach als wichtige Zukunftsanforderung für Unternehmen im Hinblick auf die Herausforderungen durch Digitalisierung und Industrie 4.0.
Hinsichtlich der Förderung von Wissen und Kompetenzen durch digitalen Lernumgebungen können, anhand der Komplexität des Lehrziels, drei Formen unterschieden werden (vgl. Heidenreich 2009, S.77). Diedirekte Lernumgebungstellt die Erarbeitung von objektivem Wissen in den Vordergrund und eignet sich für die vorgebende Vermittlung von Orientierungswissen und Informationen. Einehandlungsorientierte Lernumgebungzielt auf die Entwicklung spezifischer Handlungskompetenz und bietet den Rahmen für eine konkrete Problemstellung, welche durch verschiedene Handlungsmöglichkeiten aktiv bearbeitet werden. Im Abschluss hat der lernende Mitarbeiter selbst ein Handlungsprodukt konstruiert, wodurch entsprechende Kompetenzen entwickelt werden können. In einerselbstgesteuerten Lernumgebungwird es dem Mitarbeiter potenziell ermöglicht, eine Selbstlernkompetenz zu entwickeln. Hierbei liegt der Fokus der digitalen Lernumgebung auf der Eigenkonstruktion von Wissen und Können durch eine hohe Komplexität der digitalen Antwortmöglichkeiten. Je höher die Komplexität der digitalen Lernumgebung ist, desto zielführender wirkt sie für die Anforderungen an die aktuelle Arbeitswelt. Jedoch erfordert eine steigende Komplexität auch entsprechende komplexe Rahmenbedingungen und eine hohe Selbstlernfähigkeit.
Einer Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften aus dem Jahr 2016 ergibt, dass der Großteil dieser Kompetenzaufbauinstrumente noch in Präsenz-veranstaltungen durchgeführt wird (67,8%). Jedoch ist die Tendenz der Nutzung digitaler Aus- und Weiterbildungsangebote steigend (aktuell bei 36,8%), da digitale Instrumente potenziell eine außerordentlich hohe Reichweite mit einem passgenauen Individualisierungsgrad verbinden. Vor allem in Großunternehmen spielt Kompetenzaufbau durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen eine große Rolle (vgl. acatech 2016, S. 16f).
Seit mehreren Jahren steigt die Kritik an formellen „ Klassenraum-Trainings “ (Schuchmann/ Seufert 2013a, S. 424) im Kontext der betrieblichen Weiterbildung, welche auf reine Wissensvermittlung angelegt sind. Entsprechende Veranstaltungen sind inhaltlich kaum an reale Unternehmensbedarfe angepasst. Zudem führen Zeit- und Ortsabhängigkeit der Maßnahme an festgelegte Rahmenbedingungen zu Unzufriedenheit, da die Lernprozesse an einem arbeitsplatzfernen Ort durchgeführt werden, wodurch Transfermöglichkeiten erschwert werden und die Bedürfnisse der lernenden Mitarbeiter nicht abdecken (vgl. ebd., S. 425). In diesem Kapitel wird diesbezüglich das Konzept entgrenzter Lernformate vertiefend analysiert.
Berufliches Wissen wird aktuell überwiegend durch intuitive Lernprozesse am Arbeitsplatz erschlossen. Eine entsprechende betriebliche Lernkultur fördert demnach Lernen am Arbeitsplatz, Erfahrungslernen oder dezentrales Lernen mit multimedialen Systemen und steht klar im Gegensatz zu einer fremdgesteuerten Weiterbildungskultur, welche auf curricular fixierten Lehrgängen basiert. Hinsicht-lich betrieblichen Lernens lässt sich, durch den Fokus auf selbstorganisierte Prozesse, in den letzten Jahren eine Entstrukturierung bzw. Entgrenzung der Lernprozesse, losgelöst von institutionalisierten Prozessen, beobachten (vgl. Arnold/ Lermen 2003, S. 24). Entgrenzung ist hierbei bezogen auf eine Erweiterung des Lernziels, welches den Fokus von Wissenserwerb auf Kompetenzerwerb erweitert, sowie die Veränderung des Lernorts an den Arbeitsplatz, wodurch lebenslanges Lernen zunehmend außerhalb traditioneller Institutionen stattfindet: „ In Zukunft wird es keinen Ort in unserer Gesellschaft geben, der nicht auch als Lernort begriffen, und keine Zeit, die nicht auch als Lernzeit verstanden werden kann. Dieses Immer und Überall wird Einstellung zu und Beschaffenheit von Bildung und Qualifikation in erheblichem Maß bestimmen. ” (Höller-Cladders, 2002, S. 73) Diese Entwicklung hat Auswirkung auf die Gestaltung betrieblicher Lernarrangements.
In diesem Zusammenhang ist eine deutliche Hinwendung zu entgrenzten Lernformaten zu verzeichnen: „ Unter Entgrenzung des Lernens wird die Auflösung bisheriger Strukturen und Formen regulierender Begrenzungen von Lernen verstanden.“ (Kirchhöfer 2004, S. 109) Hierbei werden informellen, selbstorganisierten und arbeitsplatzrelevanten Lernprozessen eine hohe Bedeutung beigemessen. Im beruflichen Kontext wird informelles Lernen definiert als nicht planmäßig geregelter Selbstlernprozess „ außerhalb des formellen Bildungswesen “ (Arnold/ Lermen 2003, S. 27), wobei der Anteil an Lernprozessen, die außerhalb von traditionellen Bildungsveranstaltungen stattfindet, auf über 70% geschätzt wird (vgl. Dohmen 2001, S. 179). Es wird versucht dieses intuitive, informelle Lernen in entgrenzte, non-formale Settings zu fassen und zu fördern. Diesbezüglich ist es notwendig, in entgrenzten Settings eine adäquaten Lernumgebung zu schaffen, um das entsprechende Bildungspotential zu nutzen. Im Zuge dessen wird von einer Hinwendung zum arbeitsgebundenem Lernen gesprochen, wobei ein pädagogisch organisierter, abgesicherter, koordinierter, non-formaler Lernprozess am Arbeitsplatz im Arbeitsprozess stattfindet (vgl. Dehnbostel 2007, S. 45).
Die pädagogische Dimension der Entgrenzung berücksichtigt die „ Auflösung/ Erosion bisheriger Strukturen (Entstrukturierung), örtlicher, zeitlicher Verortungen und sozialer Muster pädagogischer Führung und deren Institutionen. “ (Kirchhöfer 2004, S. 110) Hierbei wird eine Abkehr von normativen Vorstellungen einer pädagogischen Führungskraft deutlich, wodurch ein institutioneller Strukturwandel eingeleitet wird. Im Zuge dessen verändern sich die Aufgaben des Lerndienstleisters von der Lehre hin zur Unterstützung selbstorganisierten Lernens (vgl. ebd. S.111). Im Folgenden werden traditionelle Lernformate entgrenzten Lernformaten zur Verdeutlichung der zentralen charakteristischen Faktoren gegenübergestellt. (vgl. Kirchhöfer 2001, S. 121). Im Anschluss werden Chancen und Grenzen der einzelnen Settings diskutiert.
In reintraditionellen Lernsettingsüberwiegt das institutionalisierte Lernen an gesonderten Lernorten in abgrenzbaren Zeiträumen. Traditionelles Lernen ist überwiegend analog, formell und somit qualifikations- und zertifikatsorientiert. Der Prozess findet zentralisiert in Lerngruppen statt. Der Inhalt ist curricular vorgegeben und dient dem Qualifikationserwerb. In der Evaluation steht die Teilnehmenden-zufriedenheit im Vordergrund.
Entgrenztes Lernenist zeit- und ortsunabhängig und wird oft digital bereitgestellt. Durch kleine Module werden arbeitsplatzrelevante Wissensbausteine generiert, welche kontextgebunden abgerufen werden können. Die Lernform ist eher informell und durch digitale Arrangements flexibel an die Bedürfnisse und die Arbeitsumgebung des Lernenden anpassbar. Auf sozialer Ebene wird der Prozess unabhängig von Mitlernenden individuell organisiert. Ziel des entgrenzten Lernens ist der Erwerb von arbeitsplatzrelevanten Kompetenzen. Die Evaluation richtet sich nach dem Transfererfolg des Gelernten in realen Arbeitsprozessen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Traditionelles und entgrenztes Lernen (Kirchhöfer 2001, eigene Darstellung)
Zentraler Erfolgsfaktor entgrenzter Lernformate bildet die Lernförderlichkeit2 des Arbeitsplatzes, welche den Grad der Kompetenzentwicklung im Lernprozess bestimmt. Der Wirkungsgrad der lernförderlichen Dimensionen ist abhängig von den betrieblichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise dem Betriebsklima, der Arbeitsorganisation, der individuellen Motivation sowie der Vorerfahrung der lernenden Mitarbeiter. Als zentrales Element der Darbietung arbeitsprozess-integrierter Qualifizierung werden verschiedene Formen des E-Learnings gezählt (vgl. Schröder 2009, S. 5). Im Hinblick auf die Potenziale entgrenzter Lernformate werden demnach digitalen Lernumgebungen eine hohe Bedeutung beigemessen, da diese zeit- und ortsungebunden, arbeitsplatznah und individuell implementiert werden können. Diesbezüglich gilt das Konzept agilen Lernens3 am Arbeitsplatz als bildungswissenschaftlich relevant, da es zum Ziel hat „ handlungskompetenz-orientiertes, mediengestütztes Lernen im Arbeitsprozess zu ermöglichen. “ (Höhne et. al. 2017, S. 110)
Im Rahmen des SESAM-Forschungsprojekts wurden Faktoren eines virtuellen Lernraums erschlossen, welche Lernen „ immer, überall und kontextgebunden “ (Steuer et.al. 2014, S.595) stattfinden lässt. Auf mobiler, digitaler Basis ist es möglich, eine Lernumgebung zu personalisieren und somit für den individuellen Lerner relevante Informationen zu vereinfachen, effektiver zu gestalten und direkt am Arbeitsplatz kontextgebunden bereitzustellen. Eine Analyse des Gesamtprofils des Lernenden anhand der online ausgeführten Lerninteraktion, generiert einer Bereitstellung dynamischer Lerninhalte, in welchen Vorwissen und spezielle Bedürfnisse des Nutzers einbezogen werden können. Dadurch rückt der Lernende ins Zentrum seines eigenen Lernprozesses und wird „ zum Urheber seines selbstbestimmten Lernens. “ (ebd., S. 596) Durch die Möglichkeit, Lernprozesse intuitiv und alltagsnah zu gestalten, wird entgrenzten Lernformaten ein umfangreiches Potenzial zugeschrieben. Selbstorganisation und Selbststeuerung des Lernende werden im Prozess dazu angeregt relevante Inhalte selbst auszuwählen, zu reflektieren, das eigene Wissen zu integrieren und weiterzuentwickeln.
Entgrenzte Lernformate, die auf Selbstorganisation basieren, bringen jedoch auch Herausforderungen mit sich, welche in der Implementierung berücksichtigt werden müssen. Eine grundsätzliche Lern- und Medienkompetenz des Lernenden ist Voraussetzung für das Gelingen des Lernprozesses und sollte im Vorfeld evaluiert werden, um mögliche Akzeptanzprobleme bei der Einführung neuer Medien zu minimieren. Um selbstgesteuerte dezentralisierte arbeitsplatzintegrierte Lernsysteme zu nutzen, muss dem Mitarbeiter die Notwendigkeit dieses Prozesses klar sein, damit dieser sich aktiv dafür entscheidet, den Lernprozess dem primären Arbeitsprozess unterzuordnen. Zudem ist ein lernfreundliches Umfeld Am Arbeitsplatz Grundlage für die Nutzung dieser Formate, da sonst entsprechend Lerneffizienz, Nachhaltigkeit und Qualität der Maßnahme sinken. Die langfristige Umsetzung bedarf somit „ einer besonderen Professionalität, die in die Produktion beständig neu hineingetragen werden muss.“ (Severing 2001, S. 154) Im Zuge dessen gilt es, die Lerneignung entsprechender digitaler Lernumgebungen sicherzustellen. Auch die Bereitstellung von Hilfssystemen und Ansprechpartnern oder tutoriellen Systemen, welche Unterstützung bei Problemen leisten können, ist notwendig, um mangelnde persönliche Interaktionsmöglichkeiten zu kompensieren (vgl. ebd., S. 157 f.). Es ist zu bedenken, dass Lernformate dieser Art nicht für alle Themenbereiche optimal geeignet sind. In interaktiven Bereichen von Vermittlung sozialer Kompetenzen, Rhetorik oder Präsentationstechniken sowie Teambuilding beispielsweise, empfiehlt es sich, traditionelle Settings mit direktem Ansprechpartner und effektiver, individueller Rückmeldung von menschlichen Kontaktpersonen bereitzustellen (vgl. Kutzbach 2015, S. 14).
Durch die Entwicklung entgrenzter Lernformaten werden traditionelle formale Bildungsangebote somit nicht gänzlich ersetzt. Vielmehr handelt es sich um eine Ergänzung zu bestehenden traditionellen Strukturen. Unterschiedliche Weiter-bildungsformen werden bestenfalls verschränkend genutzt, um von den jeweiligen Vorteilen optimal zu profitieren. Statt einer Ablösung ist vielmehr eine Doppelbewegung zu verzeichnen, welche formale, traditionelle Bildung arbeitsplatzrelevanter gestalten möchte und gleichzeitig versucht, informelle, automatische Lernprozesse durch entgrenzte Angebote tendenziell zu formalisieren (vgl. Faust/ Holm 2001, S. 68).
Im Rahmen der zunehmenden Bedeutung von Selbststeuerung und Selbstorganisation des Lernprozesses besteht die Gefahr, die Notwendigkeit der Didaktisierung der digitale Lernumgebungen zu unterschätzen. Selbstgesteuerte Lernprozesse müssen nicht nur angeboten, sondern auch professionell didaktisch aufbereitet sein, um kompetenzbildend wirken zu können. In diesem Zusammenhang ist von der „ ermöglichungsdidaktischen Wende “ (Arnold/ Lermen 2003, S. 28) die Rede, welche die Akzentverschiebung von der behavioristischen Erzeugungsdidaktik hin zur konstruktivistischen Ermöglichungsdidaktik definiert. Im folgenden Kapitel wird auf die veränderte Ausrichtung der Didaktik hinsichtlich der Ermöglichung von Lernprozessen eingegangen.
Die Basis des Wandels bildet die Annahme, dass der Prozessaspekt der Bildung, also die didaktische Inszenierung von Lernprozessen, maßgeblich für den Erfolg eines Bildungsprozesses ist. In theoretischen Kundgebungen und Produktbeschreibungen von E-Learning-Konzepten wird vielfach, in konstruktivistischer Rhetorik, von der Autonomie des Lernenden gesprochen (Reglin 2009, S. 37). Dennoch kommen behavioristische Konzepte in digitalen Lernumgebungen nach einem Information-Testfrage-Feedback-Wiederholung-Schema noch häufig zum Einsatz. Im Folgenden werden die Eigenschaften erzeugungsdidaktischer und ermöglichungsdidaktischer Konzepte stereotypisch gegenübergestellt, um die Unterschiede zu verdeutlichen. Es ist festzuhalten, dass Lernumgebungen in der Praxis meist Mischformen dieser beiden Konzepte darstellen (vgl. Stabenau/ Gergs/ Kammerer 2015, S. 201).
ErzeugungsdidaktischeArrangements basieren idealtypisch auf linearen, klaren Strukturen der Rahmenbedingungen von Wissensaufnahme und -reproduktion durch die Teilnehmenden, Hierbei gelten klaren Hierarchien im Lehr-Lernprozess. Der Lehrende übernimmt als erfahrender Experte die Rolle des Organisators und Vermittlers, welcher für den Lernerfolg der „ unmündigen “ (Stabenau/ Gergs/ Kammerer 2015, S. 199) Lernenden verantwortlich ist. Hierbei wird versucht, die Lernenden zu erziehen, zu belehren und aufzuklären, wobei vielfältige Wirklichkeitskonstruktionen normiert werden sollen (vgl. ebd., S. 197 ff. ; Schüßler 2015, S. 90 ff.). In der praktischen Umsetzung in digitalen Lernumgebungen wird der zu vermittelnde Themenbereich kleinteilig, in starrer Reihenfolge vorgegeben und in kurzen Intervallen abgefragt. Zur positiven Verstärkung eines erfolgreichen Durchgangs dient eine standardisierte lobende Rückmeldung. Hierdurch erfolgt jedoch lediglich eine lineare Wissensvermittlung, welche dem Anspruch der Kompetenzentwicklung durch digitale Lernumgebungen nicht gerecht wird, da eine intensive handlungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff ausbleibt (Reglin 2009, S. 40 f.).
ErmöglichungsdidaktischeKonzepte hingegen nehmen den Lernenden als selbstorganisiertes Subjekt wahr. Im Zuge dessen spielen Subjektsensibilität und Situationsoffenheit im Lernprozess eine tragende Rolle. Hierbei wird der Lernende als mündiges, kompetentes Individuum gesehen, welches in der Entwicklung seiner Fähigkeiten und Kompetenzen gefördert werden soll. Dabei verschiebt sich der didaktische Fokus von der Vermittlungsperspektive des Lehrenden zur Aneignungs-perspektive des Lernenden. Dieser Fokuswechsel hat seinen Ursprung in konstruktivistischen Anschauungen. Demnach ist die Welt eine selbstreferentielle Konstruktion auf Basis der individuellen Deutungen des Lernenden, welche nicht mit der Wirklichkeit des Lehrenden übereinstimmen muss. Ermöglichungsdidaktische Konzepte berücksichtigen diese Ansicht und gründen somit auf dem Leitparadigma der Selbstorganisation (vgl. Ludwig 2015, S. 262ff.). Ansätze der konstruktivistischen Pädagogik stellen das lernende Subjekt und dessen Perspektive in den Mittelpunkt.
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Tabelle 2: Erzeugungsdidaktik und Ermöglichungsdidaktik (eigene Darstellung)
Dies erfordert eine Lernumgebung, welche offene Angebote schafft und sich durch eine Vielzahl möglicher individueller Annährungen an den Lernstoff auszeichnet. Die Berücksichtigung von individuellen Assoziationen, Lerninteressen und Verknüpfung von neuem Wissen und Vorwissen dienen der Verflochtenheit von Wissenserwerb und -aktivierung mit konkreten Anwendungssituationen (vgl. Reglin 2009, S.43). In der Förderung und Unterstützung autonomen Lernens, welches bestenfalls selbstorganisiert kompetenzentwickelnd wirkt, werden didaktische potentiale im E-Learning Bereich gesehen. „ Elektronische Medien gelten geradezu als ideale Werkzeuge selbstorganisierten Lernens. “ (ebd., S.56)
Im Zuge einer konstruktivistischen Auffassung durch ermöglichungsdidaktische Überzeugungen lässt sich Lernen als aktiver, selbstgesteuerter, produktiver/ konstruktiver, situativer und sozialer Prozess definieren (vgl. Arnold/ Gómez Tutor 2007, S.41). Diese fünf Aspekte des Lernprozesses gelten als „ Kriterien einer nachhaltigen Kompetenzentwicklung “ (ebd. 2017, S.138) und sind somit relevant für betriebliche Lernprozesse in Zeiten der Digitalisierung. Die einzelnen ermöglichungsdidaktischen Kriterien eines nachhaltigen Lernens werden im folgenden genauer definiert (vgl. Arnold/ Prescher/ Stroh 2014, S. 9) und auf E-Learning-Szenarien bezogen (vgl. Arnold/ Gómez Tutor 2007, S.138).
Innerhalb einesaktivenLernprozesses wird es dem Lernenden ermöglicht, konkrete Arbeitsaufträge zu bearbeiten, welche für ihn individuell relevant sind. Dadurch wird ein praxis- und erlebnisorientierter Lernprozess angeregt, wodurch die Eigen-initiative des Lernenden gefördert wird. Hierbei wird der Lernende ermutigt, Planung, Durchführung und Überprüfung des Lösungswegs selbst durchzuführen. Im E-Learning Bereich ist die aktive Rolle des Lernenden von besonderer Bedeutung, da sie die Basis zur selbstgesteuerten Bearbeitung des Lerninhalts bildet. Das aktive Handeln in der digitalen Lernumgebung ist dementsprechend lernzielförderlicher als eine systematische Wissensvermittlung in einem Präsenzkontext.
Selbstgesteuertist ein Lernprozess wenn der Lernende die Möglichkeit hat, den Lernweg selbst zu bestimmen und die eigenen Lernergebnisse selbst zu überprüfen. Ziele, Prozesse und Lernbedingungen können selbst gewählt werden. Der Lernende erfährt Unterstützung, selbstverantwortlich zu handeln. In einer digitalen Lernumgebung ist der Selbststeuerungsaspekt durch die räumliche Distanz zur Lehr- bzw. Begleitperson zentral. Eine Förderung der Selbstlernkompetenz des Mitarbeiters im Vorfeld ist erfolgsentscheidend für den Lernprozess. Ein digitales Lernumfeld sollte Individualisierungsmöglichkeiten beinhalten, damit sie selbst-gesteuert genutzt werden kann. Dies kann beispielsweise durch Hypertextualisierung erfolgen, welche es dem Mitarbeiter ermöglicht, Lerninhalte in komplexen Zusammenhängen zu verstehen und individuell bearbeiten zu können. Ein digitales, konstruktives, individuelles Feedback im Bearbeitungsprozess stärkt den Lernenden.
Das ermöglichungsdidaktische Konzept wirdproduktiv/konstruktiv, wenn die Möglichkeit besteht, Vorwissen und Erfahrungen des Lernenden einzubinden. Es wird Raum geschaffen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und somit eigene Sichtweisen zu hinterfragen. Im E-Learning Bereich sollten dementsprechend Möglichkeiten geschaffen werden, Anwendungen und Lösungen kognitiv selbst und individuell zu konstruieren. Die Erkundung von Informationsangeboten und die Verknüpfung neuer Inhalte mit Vorwissen sollte ermöglicht werden.
EinsituativerLernprozess ist individuell auf den Lernenden abgestimmt, bezieht die aktuelle Situation des Lernenden mit ein und reflektiert diese. Anhand von Praxisbeispielen werden innerhalb der Lernumgebung Lösungen erarbeitet, welche in den eigenen Alltag übertragen werden können. Ein Entsprechender Transfer wird durch Praxisempfehlungen unterstützt. Die situative Komponente ist im E-Learning am Arbeitsplatz stark nutzbar, da sich der Lernende sowohl räumlich als auch zeitlich nah an den direkten Anwendungssituationen befindet. Zudem ist es durch den Einsatz neuer Medien möglich, Lerngegenstände in Simulationen oder Experimenten realitätsgetreu multimedial abzubilden, um Sachverhalte aus ver-schiedenen Perspektiven zu betrachten.
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1 Mit den Bezeichnungen „der Lernende“ „der Lehrende“, „der Mitarbeiter“ und „der Lernprozessbegleiter“ sind in dieser Arbeit ausdrücklich weibliche und männliche Akteure gemeint. Zum Zweck des besseren Leseflusses wird sich auf die genannten Bezeichnungen beschränkt.
2 Näheres hierzu: Dehnbostel, P. (2007): Lernen im Arbeitsprozess. Münster.
3 Näheres hierzu: Graf, N./ Gramß, D./ Edelkrat, F. (2017): Agiles Lernen. Neue Rollen, Kompetenzen und Methoden im Unternehmenskontext. Freiburg im Breisgau.