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Bachelorarbeit, 2021
52 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Burn-Out und Selbsthilfegruppen
2.1 Das Burn-Out-Syndrom
2.2 Selbsthilfe als psychosoziale Beratungsform
3 Einführung in die Online-Beratung
3.1 Chat-Beratung
3.2 Video-Beratung
4 Methodik der Empirie
4.1 Fragestellung und Hintergrund
4.2 Die Interviewmethode
4.3 Die Auswertung
5 Ergebnisdarstellung
5.1 Burn-Out-Beratung
5.2 Rahmenbedingungen der Umgebung
5.3 Ablauf
5.4 Technik
5.5 Hilfreiche Faktoren
5.6 Vertrauen und Datenschutz
5.7 Emotionale Nähe
5.8 Zukunftsperspektive
6 Ergebnisdiskussion
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
9.1 Interviewleitfäden
9.2 Codierleitfaden Maxqda
9.3 Transkripte
Anmerkung der Redaktion: Die Transkripte sind nicht Teil dieser Publikation.
Seit dem Frühjahr 2020 hat die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff. Es gibt kaum Berufsgruppen, die nicht von der Ausnahmesituation des Virus betroffen sind und sich der veränderten Ausgangslage anpassen müssen. So auch die psychosoziale Beratung, Face-to-Face ist aufgrund der Kontaktbeschränkungen nun nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich und Einrichtungen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Online-Beratung auseinandergesetzt haben, müssen in kürzester Zeit die Umstellung meistern. Noch dazu kommt, dass in den psychosozialen Berufsgruppen der Umgang mit digitalen Medien größtenteils kritisch gesehen wird, da der Aufbau echter Beziehungen über eine Online-Kommunikation vielerseits angezweifelt wird. Doch es gibt einige Beratungssettings, die schon seit Jahren digital stattfinden, wie beispielsweise die Online-Beratungsangebote der Caritas oder die Online-Telefonseelsorge. Durch die Corona-Pandemie müssen sich nun jedoch auch die teils eingefahrenen Präsenzberatungsstellen mit digitalen Beratungsangeboten auseinandersetzen und umdenken. So entstehen zwar einige Herausforderungen in der kurzfristigen Umsetzung, jedoch bietet sich womöglich auch die Chance, eventuelle Potentiale der Online-Beratung zu entdecken (Kühne & Hinterberger, 2020). In dieser Arbeit sollen die Auswirkungen der Umstellung von Präsenz- auf Online-Beratungssettings in Hinblick auf Burn-Out Selbsthilfegruppen untersucht werden. Der Kontext Burn-Out ist in Hinblick auf das Forschungsthema besonders von aktueller Relevanz, da gerade in der Pandemie viele Menschen in berufliche Ausnahmesituationen geraten, ihre Stelle verlieren oder neue Aufgaben und/oder viele Überstunden übernehmen müssen. Somit entsteht eine neue Risikosituation tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung für viele Menschen. Des Weiteren soll besonders die Umstellung auf digitale Gruppenberatung in Selbsthilfegruppen erforscht werden, da auch dort besondere Herausforderungen wie die Auswahl der Kommunikationssysteme, der soziale Austausch oder die Koordination auftreten. Doch bietet die Umstellung von Präsenz- auf Online-Beratung nur Herausforderungen, oder eröffnet das neue Beratungssetting sogar neue Möglichkeiten?
Um sich der Thematik zu nähern, wird zunächst das Krankheitsbild des Burn-Out-Syndroms, sowie die Systematik der Selbsthilfegruppenberatung dargestellt. Als nächstes wird die Verbindung zur Onlineberatung hergeleitet und die verschiedenen Formen dieser näher erläutert.
Um der Forschungsfrage: „Inwiefern ist das Beratungssetting durch die Umstellung auf Online-Beratung positiv oder negativ verändert?“ nachzugehen, wurden insgesamt sechs halboffene Interviews mit vier KlientInnen und zwei leitenden und beratenden Personen zweier verschiedener Selbsthilfegruppen aus Nordrhein-Westfalen geführt. Eingeleitet wird die eigene Forschung dieser Bachelorarbeit mit der Vorstellung der Methodik in Hinblick auf die Forschungsfrage, die gewählte Interviewform, sowie der Auswertungsmethode. Im Anschluss daran werden die Interviewergebnisse dargestellt und bezogen auf die Forschungsfrage diskutiert. Am Ende dieser Arbeit wird daraus ein abschließendes Fazit gezogen.
Um den theoretischen Rahmen einzuleiten und einige essenzielle Hintergrundinformationen für die spätere Diskussion und Interpretation aufzuarbeiten, wird im Folgenden zunächst das Burn-Out-Syndrom klassifiziert und definiert und im Anschluss die Selbsthilfe als psychosoziale Beratungsform näher erläutert.
„Ein Mensch sagt und ist stolz darauf: Ich geh` in meinen Pflichten auf! Doch bald darauf, nicht mehr so munter, geht er in seinen Pflichten unter“. Dieses Zitat von Eugen Roth (zit. n. Haßfurter, 2018) beschreibt das Burn-Out-Syndrom in seiner Entstehung treffend. 27,8 % der erwachsenden Bevölkerung sind jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen, das entspricht rund 17,8 Millionen betroffenen Personen. Die direkten Kosten für die Volkswirtschaft aufgrund psychischer Erkrankungen belaufen sich laut DGPPN in Deutschland auf rund 44,4 Milliarden Euro pro Jahr, für Rehabilitationskosten werden jährlich zusätzlich rund 2,6 Milliarden aufgewendet. Somit belaufen sich die Gesamtkosten durch psychische Erkrankungen in Europa auf mehr als 450 Milliarden Euro (DGPPN, 2018). Noch dazu verursachen psychische Erkrankungen im Schnitt die längste, berufliche Ausfalldauer mit rund 27 Tagen pro Fall (Meyer et. al., 2020). Hierbei ist die depressive Episode laut DAK-Gesundheitsreport (2018) die häufigste Einzeldiagnose pro 100 AU-Tagen je 100 Versichertenjahren. Hierbei ist zu erwähnen, dass das Burn-Out-Syndrom bisher nicht als Krankheit, Syndrom oder gesundheitsgefährdender Faktor anerkannt wurde. Diagnostiziert wurde Burn-Out im ICD-10 unter F-32 und F-33 mit Zusatz Z-73 (Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung). 2022 wird jedoch mit dem ICD-11 eine überarbeitete Definition des Burn-Out-Syndroms in Kraft treten. Dort wird das Syndrom erstmals als gesundheitsgefährdender Faktor eingestuft, der das Leben der beeinträchtigten Personen stark einschränken kann. Das Syndrom hat laut ICD-11 drei Dimensionen: ein Gefühl von Erschöpfung, eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job und ein Gefühl von mangelnder und nicht ausreichender, beruflichen Leistung. Neu hierbei ist auch der deutliche Bezug zum beruflichen Kontext (World Health Organisation, 2019).
Das Burn-Out-Syndrom lässt sich nach Kernen & Meier (2008) in vier Symptomkomplexe einteilen. Zum einen erlebe der ausgebrannte Mensch ein Gefühl emotionaler Erschöpfung, welches sich in andauernder Müdigkeit und Frustration, sowie Ausgelaugtheit widerspiegele. Zum anderen zeige sich auch eine psychosomatische Beeinträchtigung, beispielsweise in Form von Schlafstörungen und/oder Magen-Darm-Beschwerden. Des Weiteren trete auch eine reduzierte, persönliche Leistungsfähigkeit auf, welche oft in einen Teufelskreis münde, da die eigene Anstrengung nie genug zu sein scheint. Nicht zuletzt sei auch eine Depersonalisierung der Mitmenschen beim Menschen mit Burn-Out zu beobachten. Wie auch in der neuen Definition der WHO ist erneut zu betonen, dass die Symptome eines Burn-Out-Syndroms ausschließlich auf eine beruflich konnotierte Dysbalance zurückzuführen sind.
Die Geschichte der Burn-Out-Diagnostik geht zurück bis in der 70er Jahre. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger und der Verwaltungsexperte Sigmund G. Ginsburg prägten den Terminus des Burn-Out-Syndroms, wobei Freudenberger dieses ausschließlich als Folge überengagierter Mitarbeitender im Sozialwesen verstand (Koch & Broich, 2012). Dieser teilte die Phasen des Burn-Out-Syndroms in zwölf Etappen ein. Die Entstehung beginne laut Freudenberger mit einem verstärkten Ehrgeiz und dem Zwang, sich zu beweisen, im zweiten Stadium würden daraufhin Mehrarbeit und die Übernahme von zusätzlichen Aufgaben folgen. Im Zuge dessen würden dann im dritten Stadium die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt und in Stadium vier die daraus resultierenden Konflikte vermieden. In Stadium fünf verlieren nach Freudenbergers Modell die nichtberuflichen Bedürfnisse weiter an Bedeutung, in Stadium sechs würde dieser Verzicht nicht mehr wahrgenommen und die Überarbeitung verleugnet. In Stadium sieben und acht ordnet Freudenberger Orientierungslosigkeit und Verhaltensänderungen wie emotionalen Rückzug ein, in Stadium neun und zehn Depersonalisierung und Angstgefühle, sowie Suchtverhalten. Stadium elf sei geprägt von einem Gefühl von Sinnlosigkeit und Desinteresse, worauf in Stadium zwölf die totale körperliche und geistige Erschöpfung folge (Freudenberger & North, 1992; zit. n. DGPG, o.J.).
Nach der Definition der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (2012) entstehe das Burn-Out-Syndrom aus einem Zusammenspiel von individuellen Faktoren wie beispielsweise genetischen Prädispositionen und Arbeitsplatzbedingungen. Dazu gehöre unter anderem das Nicht-Vorhandensein eines Gemeinschaftsgefühls, die Veränderung der Arbeitswelt, Unfairness und/oder eine nicht angemessene Höhe der Arbeitsbelastung. Das Ergebnis dieses Zusammenspiels schlage sich in einer Arbeitsüberforderung nieder, die bei anhaltender Dauer zum Burn-Out und möglicherweise zur Entstehung weiterer Folgeerkankungen führe. Joachim Bauer (2007, zit. n. Kernen & Meier, 2008) betont hinsichtlich der Arbeitsplatzbedingungen die Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Arbeit. Bei positiv wahrgenommenen Beziehungen erhöhe sich demnach die Stresstoleranz, das Gesundheitsempfinden und die Leistungsfähigkeit. Bei negativ wahrgenommenen Beziehungen hingegen würden die eben genannten Faktoren stark beeinträchtigt. Wenn im Privat- und im Berufsfeld zwischenmenschliche Beziehungen sowohl qualitativ als auch quantitativ abnehmen, nehmen demnach Gesundheitsstörungen zu. In Hinblick dessen betont Bauer die positiv tragende Beziehung zu Coaches oder TherapeutInnen in Burn-Out-Interventionen, um negativ eingebrannte Erfahrungen zu revidieren.
Als Burn-Out Interventionsmaßnahmen werden aktuell verschiedene Therapiemöglichkeiten angewandt, wie beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie. Durch die aktuell noch unscharfe Diagnostik, Symptomatik und Ursachenerklärung des Syndroms wird die Therapieanwendung erschwert (Korczak et. al., 2012). Zudem sind oftmals die Therapieplätze knapp, weshalb viele Menschen mit Burn-Out die schnelle Hilfe in einer Selbsthilfegruppe suchen, auch weil der Aspekt der Gruppenberatung für den Austausch mit Gleichgesinnten hinzukommt.
Ungefähr 3,5 Millionen Menschen befinden sich schätzungsweise aktuell in Deutschland in einer Selbsthilfegruppe, Tendenz steigend (Matzat, 2004; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Die Entstehungsgeschichte gehe zum Teil auf frühere Protestbewegungen und Bürgerinitiativen zurück, jedoch sei aber laut Haller & Gräser (2012) auch das oft nicht ausreichende Angebot an medizinischer Grundversorgung im psychischen Bereich ein treibender Faktor für die Ausweitung und Nachfrage der Selbsthilfeangebote. Die DAG-SHG (1987, S. 5; zit. n. Haller & Gräser, 2012) definiert Selbsthilfe folgendermaßen: „Selbsthilfegruppen sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten, psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie – entweder selbst oder als Angehörige – betroffen sind“. Diese Selbsthilfe finde in meist wöchentlichen Gruppensitzungen statt und unterscheiden sich durch die Fokussierung auf die Mitglieder der Selbsthilfegruppe und nicht auf Außenstehende von anderen Bürgerinitiativen. Da ein übereinstimmendes Merkmal der meisten Selbsthilfegruppen die Face-to-Face Interaktion ist, wird empfohlen, eine Gruppengröße von höchstens 20 nicht zu überschreiten, sowie eine Mitgliederanzahl von sechs nicht zu unterschreiten, um auch der Angst vor dem Zerfall der Gruppe vorzubeugen (Moeller, 1981/2007; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Levy (1979, S. 241ff.; zit. n. Haller & Gräser, 2012) unterteilt die Zielsetzungen der psychologisch-orientierten Selbsthilfegruppen noch einmal in vier Kategorien: Erstens die „behavioral control or conduct reorganisation groups“, bei welchen der Fokus besonders auf Verhaltensänderungen liegt; zweitens die „stress coping and support groups“ zur Reduzierung des Stresslevels in Lebenskrisen; drittens die „personal growth and selfactualization groups“ zur Selbstverwirklichung und für persönliches Wachstum und viertens die „survival oriented groups“, die sich besonders für die Selbstverwirklichung und gegen die Diskriminierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen einsetzen. Die Leitung der Gruppe kann ebenfalls unterschiedlich aussehen. In der Regel werden Selbsthilfegruppen nicht professionell geleitet, eine Zwischenform stellen hierbei selbst erkrankte ExpertInnen dar. In den nicht professionell geleiteten Gruppen findet aber in der Mehrheit trotzdem eine Zentrierung auf eine oder mehrere Personen mit leitenden oder moderierenden Tätigkeiten statt, welche auch für das Programm und die Einführung von Regeln, sowie die Aufnahme von Gruppenneuzugängen zuständig sind (Haller & Gräser, 2012). Das Hilfeverhalten in Selbsthilfegruppen wurde von Levy (1979; zit. n. Haller & Gräser, 2012) in einer explorativen Studie untersucht. Dazu wurden 20 Selbsthilfegruppen über mehr als drei Jahre lang beobachtet, wobei jeweils zwei teilnehmende Beobachtende den Gruppen beiwohnten und die Sitzungen protokollierten. Daraus wurden 28 Aktivitäten herausgefiltert und in einem Fragebogen den Teilnehmenden der Selbsthilfegruppen, unterteilt in verhaltensorientierte und kognitive Selbsthilfegruppen, vorgelegt. Dabei konnte eine Liste der am häufigsten angewandten Techniken erstellt werden. Daraus ergaben sich als häufigste Beratungstechniken und Verhaltensweisen Empathie, gegenseitige Wertschätzung, Erklärungen des eigenen Verhaltens oder die Reaktion auf die anderen Teilnehmende, das „Teilhabenlassen“ am eigenen Leben, Moralische Unterstützung und das Mitteilen von Privatem und Intimen. Am wenigsten genannte Aktivitäten waren hierbei Konfrontation, Bestrafung und Kritik, das Erbitten von Rückmeldungen, Handlungsvorschläge und das Ignorieren von störendem Verhalten. Somit liegt der Fokus eher weniger auf der Fremdhilfe als auf einer wertschätzenden und akzeptierenden Atmosphäre. Ein wichtiger Mechanismus in den Gruppensitzungen ist hierbei das Modelllernen nach Bandura (1976, zit. n. Haller & Gräser, 2012). Der Austausch mit den anderen Gruppenmitgliedern ermöglicht durch die Kommunikation und das Durchleben einer ähnlichen Lebenslage Vergleichs- und Imitationsgelegenheiten (Haller & Gräser, 2012).
Auf der Ebene der Soziodemografie lässt sich feststellen, dass besonders weibliche Personen am Selbsthilfeangebot teilnehmen, circa 75% der Teilnehmenden sind laut Schätzungen Frauen (Bartjes & Knab, 2003; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Begründet sein könnte dies in der grundsätzlich kommunikativen Art des weiblichen Geschlechts und der Vermutung, dass Männer sich eher einem Einzeltherapeuten öffnen als einer ganzen Gruppe, da in psychotherapeutischer Behandlung diese signifikante Ungleichheit der Geschlechter nicht vorliegt (Haller & Gräser, 2012).
Bezogen auf die Bildungsabschlüsse der Teilnehmenden führte Hartmann (2006; zit. n. Haller & Gräser, 2012) eine Befragung durch, welche ergab, dass im Gegensatz zur Psychotherapie die Selbsthilfegruppen vorwiegend von Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen genutzt werden. Mit circa 32% und 34% bilden Teilnehmende mit Haupt- und Realschulabschluss die Mehrheit. Die Ursache wird darin vermutet, dass das Gefälle zwischen TherapeutIn und PatientIn noch größer sei und für Angehörige des unteren Bildungsniveaus die Autonomie und das Mitspracherecht in Selbsthilfegruppen ansprechender sei (Haller & Gräser, 2012).
Wo früher eher Teilnehmende im Studentenalter die Mehrheit bildeten, ist nun ein Zuwachs an Personen im mittleren und hohen Alter zu beobachten (z.B. Hartmann, 2006; Janig; 1999; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Dies könnte in dem generellen Anstieg an Teilnehmenden von Selbsthilfegruppen begründet sein, sowie durch die Möglichkeit, durch die Selbsthilfegruppen an Autonomie und Mitspracherecht zu gewinnen, welches älteren Personen durch den Erwerbsausstieg und den Verlust von sozialen Bezugspunkten in der Gesellschaft oftmals erschwert wird (Haller & Gräser, 2012). Der Kern liegt jedoch häufig eher in einer Altersspanne von 40-60 Jahren (Vahnenbruck et. al., 2012).
Auch wenn der Vergleich naheliegt, unterscheidet sich die psychosoziale Beratung in Selbsthilfegruppen in einigen Punkten deutlich von der Psychotherapie. Einer der markantesten Unterschiede zwischen Selbsthilfe und Psychotherapie ist das Machtgefälle, welches in einer Psychotherapie zwangsläufig durch die einseitige Professionalität und Honorierung entsteht. In Selbsthilfegruppen dagegen steht das Gleichheitsprinzip und das Prinzip der Selbstbetroffenheit im Vordergrund. Somit befinden sich die Teilnehmenden in Selbsthilfegruppen oft in einer Doppelrolle als Helfende und Hilfe-Bekommende, dadurch verteilt sich der therapeutische Aspekt auf die ganze Gruppe. Somit gibt es kein Helfer-Monopol, sondern die Möglichkeit von gegenseitiger Unterstützung. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Autonomie, die den Teilnehmenden der Selbsthilfegruppe zugutekommt und das Wegfallen einer Kontrolle durch Krankenkassen oder Berufsordnungen, welche in der Psychotherapie fest verankert ist. Somit ist die Voraussetzung der Selbstwirksamkeit gegeben. Auch die Ausbildung der PsychotherapeutInnen und der leitenden Personen in Selbsthilfegruppen unterscheidet sich. Wohingegen PsychotherapeutInnen eine langjährige, professionelle Ausbildung absolviert haben müssen, ziehen die leitenden Personen in Selbsthilfegruppen ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus den selbsterlebten Konflikten und dem Umgang damit. Auch die Flexibilität ist ein Merkmal der Selbsthilfegruppe, welches die Psychotherapie aufgrund von festen Programmen und Abläufen nicht aufweisen kann. Die Flexibilität ermöglicht es jedoch, sich auf aufkommende Veränderungen schnell einzustellen (Haller & Gräser, 2012).
Eine dieser Veränderungen ist die Digitalisierung. Seit einigen Jahren nehmen Versuche zu, Selbsthilfegruppen über das Internet zu koordinieren (Giertz-Birkholtz, 2006; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Thiel (2000; zit. n. Haller & Gräser, 2012) betont hierbei besonders den Vorteil der Reduzierung von Hemmschwellen bei der Kontaktaufnahme, da beispielsweise die Möglichkeit besteht, vollständig anonym zu bleiben. Auch können so Gruppen gegründet werden, für die es in räumlicher Umgebung nicht genug Interessenten gibt und es ermöglicht auch körperlich immobilisierten Personen die Teilhabe. Jedoch eignen sich diese virtuellen Gruppen laut Haller & Gräser (2012) eher als Raum zum Informationsaustausch und weniger für die psychosoziale Beratung, da die direkte Interaktion fehle. Außerdem könne in reinen Chatgruppen ohne Video- oder Sprachfunktion das Risiko von Missverständnissen erhöht werden. Nach Weidmann (2008; zit. n. Haller & Gräser) kann aber trotz des rein virtuellen Kontaktes zumindest im Ansatz trotzdem eine helfende Beziehung aufgebaut werden. Die Möglichkeit des passiven Konsumierens in virtuellen Gruppen bietet einerseits den Vorteil, die Hemmschwelle zur generellen Teilhabe zu verringern, andererseits steht es dem Prinzip der Reziprozität entgegen (Thiel, 2000; zit. n. Haller & Gräser, 2012). Nach einer Studie von Preiß (2009, zit. n. Haller & Gräser, 2012) nutzen nur rund ein Drittel der Befragten ein Onlineangebot einer Selbsthilfegruppe, obwohl es eine Präsenzalternative in der Umgebung gebe. Viele Selbsthilfegruppen nutzen aber auch eine Zwischenform, und bieten die Beratung zwar in Präsenz an, regeln aber den Austausch zwischen den Gruppentreffen oder die Informationsbereitstellung für Nichtmitglieder über ein Online-Kommunikationsmedium (Haller & Gräser, 2012).
Im folgenden Kapitel soll diese eben genannte, virtuelle Art der Beratung in seiner Systematik und Wirkungsweise dargestellt werden. Zunächst wird hierbei die generelle Bedeutung von Online-Beratung im Allgemeinen erläutert und im nächsten Schritt auf die spezifischen Felder der Chat- und Videoberatung eingegangen, da dies die beiden Arten der virtuellen Beratung sind, welche für das Feld der Burn-Out-Selbsthilfegruppen primär infrage kommen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Mediennutzung in den deutschen Haushalten stark erhöht. Die digitalen Medien werden privat mittlerweile genauso selbstverständlich genutzt, wie die analogen Medien und sie gewinnen auch im beruflichen Alltag immer mehr an Bedeutung. Besonders die Quartärmedien finden aktuell zum Beispiel im E- und M-Learning (Electronic-Learning und Mobile-Learning), Online-Dating oder auch als Ratgeber bei Krankheitsfragen viele Anwendungsbereiche. Auch Online-Beratungsangebote gibt es mittlerweile einige, wie beispielsweise Angebote der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung mit einer virtuellen Beratung für Erwachsene und Jugendliche, oder auch die Telefonseelsorge, die auch eine Beratung via Chat und E-Mail anbietet. Unter dem Begriff E-Mental-Health beziehungsweise auch M-Mental-Health werden hierbei die Zusammenhänge zwischen psychischer Gesundheit und digitalen Medien zusammengefasst. Diese Verbindung ist einer kontroversen Diskussion ausgesetzt, als negative Aspekte werden beispielsweise Informationsüberflutung, Erreichbarkeitszwang und die Verschärfung sozialer Ungleichheit genannt. Optimistischere Stimmen befürworten hingegen die Flexibilität, die Individualität, die Vernetzung von Personen mit seltenen Krankheiten und die soziale Integration im Sinne des Mediengebrauchs (Eichenberg & Kühne, 2014).
Christiane Eichenberg und Cornelia Küsel haben in ihrem Artikel im E-Journal für biopsychosoziale Dialoge in Psychotherapie, Supervision und Beratung die aktuellen Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit der digitalen Beratung zusammengefasst. Generell wurde die Wirksamkeit in den meisten internationalen und nationalen Studien als positiv bewertet, die konkreten Wirksamkeitsmechanismen bleiben aber weitgehend ungeklärt, diese bedürfen also noch weiterer, empirischer Forschung (Eichenberg & Küsel, 2016). Die systematische Erforschung der Schnittstelle zwischen psychologischer Gesundheit und digitalen Medien anhand empirischer Befunde stellt allgemein ein Forschungsfeld von hoher Relevanz dar, da gerade dieser Bereich von Polarisierung und Marginalisierung geprägt ist (Eichenberg & Kühne, 2014). Die verschiedenen E-Mental-Health Angebote lassen sich in vier Subtypen unterteilen: internetbasierte Interventionsprogramme, internetgestützte therapeutische Software (zum Beispiel dialogische Expertensysteme), Online-Beratung/Therapie (singulär oder auch ergänzend) und Selbsthilfe (beispielsweise in Form von Blogs) (Eichenberg & Kühne, 2014). Ott und Eichenberg (2002; zit.n. Eichenberg & Kühne, 2014) identifizieren hierbei die Hauptschnittstellen von Betroffenen und Laien, die lediglich interessiert sind. Das Internet ist demnach zunächst ein Informationsmedium für psychische Störungen und Probleme. Auch kann es als Kommunikationsmedium die klinisch-psychologische Intervention unterstützen und hat Effekte und Wechselwirkungen in Bezug auf das menschliche Verhalten und Erleben. Nicht zuletzt kann das Internet den Forschungsprozess in diesem Bereich unterstützen. Stetina und Kryspin-Exner (2009, zit. n. Eichenberg & Kühne, 2014) führen dieses Modell weiter, indem sie den Aspekt der Beziehungsänderung besonders hervorheben. Nach deren Erweiterung beeinflusse die Mediennutzung menschliche Beziehungen einerseits in Bezug auf die therapeutische Beziehung zwischen Professionellen und Betroffenen und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen. Durch die Etablierung von Online-Angeboten würde demnach auch die Präsenzberatung beeinflusst werden, da die Möglichkeit besteht, nun auch mehrere Angebote gleichzeitig wahrzunehmen, beispielsweise während einer laufenden Psychotherapie. Zusammengefasst können also Information, Intervention, Beziehungsänderungen, Nebeneffekte und Forschung als übergeordnete Schnittstellen zwischen Psychologie und digitalen Medien identifiziert werden (Eichenberg & Kühne, 2014). Die Online-Beratung kann mithilfe von verschiedenen Kommunikationsmedien durchgeführt werden. Unterschieden wird hierbei nach synchronen Angeboten wie Videokonferenzen und asynchronen Angeboten, wie Foren oder WhatsApp-Gruppen. Auch nach dem Grad der Kommerzialisierung kann differenziert werden. Es gibt zum einen öffentlich geförderte, karitative Non-Profit Beratungsangebote mit haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und zum anderen kommerzielle, beziehungsweise semi-kommerzielle Beratungsangebote, die auf Gewinn ausgerichtet sind (Eichenberg & Kühne, 2014). Auch wenn, wie erwähnt, viele Online-Beratungsangebote von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen durchgeführt werden und daher keine offiziellen Einstellungskriterien von beruflicher Seite aus vorliegen, sind einige Kompetenzen dennoch Voraussetzungen für das Gelingen des Angebotes. Die Beraterpersonen sollten hierzu nach Eichenberg & Kühne (2014) zunächst ein Verständnis der Onlinekommunikation, beispielsweise hinsichtlich der Mediensprache mithilfe von Emoticons, mitbringen. Verschiedene Theorien zur Medienwahl und deren Merkmalen und die generellen Chancen und Grenzen von Medienkommunikation sollten außerdem bekannt sein. Auch sollte ein angemessener Umgang mit Grenzüberschreitungen und die Fähigkeit zur bedarfsgerechten Onlinekommunikation bestehen. Über diese Basiskompetenzen hinaus nennen die AutorInnen für den besonderen Bereich der Online-Beratung noch die Kenntnis der Übertragbarkeit von Beratungsansätzen in den virtuellen Raum und der theoretischen Konzepte der internetbasierten Beratung, Lese- und Schreibkompetenz, die Fähigkeit zur Gestaltung eines helfenden Prozesses online, die Kenntnis der Grenzen von Online-Interventionen, die Fähigkeit zur Krisenintervention und gegebenenfalls zur Weitervermittlung in ein adäquates, fachliches Setting sowie den Aufbaus von persönlicher Kompetenz in der Online-Beratung. Nicht außer Betracht zu lassen sind des Weiteren die Kompetenzen zu rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Um eine virtuelle Beratungsstelle zu gestalten, benötigt es die nötige, technische Kompetenz. Außerdem sollten der rechtliche Rahmen und die Datenschutzregelungen bekannt sein, besonders in Hinblick auf besonders sicherheitsrelevante Bereiche im Online-Setting. Auch sollte eine Fähigkeit zum Ressourcenmanagement gegeben sein, beispielsweise zur Verteilung der Anfragen oder zur Gestaltung des Arbeitsplatzes (Eichenberg & Kühne, 2014).
Die Online-Beratung bietet hinsichtlich verschiedener Faktoren Chancen und Grenzen. Eichenberg & Kühne (2014) listen hierzu einige der Vor- und Nachteile auf, die durch die Online-Beratung entstehen könnten. Ein Vorteil für viele Teilnehmende könne demnach im Online-Setting die Anonymität sein, je nach Angebot ist es möglich, lediglich einen Nicknamen anzugeben. Gerade bei schambehafteten Gefühlen könne dies der entscheidende Faktor sein, überhaupt an einem Beratungsangebot teilzunehmen und eine Offenheit der Beraterperson gegenüber möglich zu machen. Außerdem sind die Ratsuchenden im Online-Setting autonomer, die Beratungssitzung kann teilweise selbst gesteuert oder beendet werden, nach Eichenberg & Kühne (2014) sei das besonders für die Personen wichtig, die Grenzüberschreitungserfahrungen gemacht haben. Findet das Onlineangebot schriftlich statt, so bietet sich des Weiteren die Chance, das Geschriebene im Nachhinein noch einmal zu lesen, zu vertiefen und/oder zu reflektieren. Auch können Informationen wie Links, Dokumente oder Kontaktstellen online sehr leicht zugänglich gemacht werden, beispielsweise gesammelt auf einer Homepage. Da Online-Beratungsangebote in der Regel kostenfrei stattfinden, erleichtern sie überdies auch den Personen den Zugang, die sich eine kostenpflichtige Beratung nicht leisten wollen oder können. Da die Beratung bereits in Anspruch genommen werden kann, sobald ein Internetzugang besteht, ist ein Zugang zu einem Angebot auch möglich, wenn sich keine lokale Beratungsstelle in der Nähe befindet, eventuelle lange Fahrtwege werden so eingespart (Eichenberg & Kühne, 2014). Durch den Wegfall von Mimik und Gestik könne es zudem zu einer schnelleren und offeneren Problemkommunikation kommen (Döring, 2003; zit. n. Eichenberg & Kühne, 2014). Als Nachteil könne laut Eichenberg & Kühne (2014) die aufwändige Herstellung von Datensicherheit gewertet werden. Denn um ein Beratungsangebot online anbieten zu können, muss hierfür ein datensicherer, virtueller Raum gefunden werden. Gelangen Daten in die falschen Hände, so könne dies immense Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis der KlientInnen und auf den Beratungsprozess haben. Auch könne nicht immer akut auf Gefahrensituationen reagiert werden, da zum einen die Auswirkungen der Interventionen nicht immer beobachtbar sind und zum anderen aufgrund der räumlichen Distanz nicht immer direkt eingegriffen werden kann. Gerade im Chat oder Telefon biete sich außerdem die Gefahr von Missverständnissen, da der Beraterperson durch den Wegfall von Mimik und Gestik deutlich weniger Informationen über die ratsuchende Person bereitstehen. Für viele Hilfesuchende könne es obendrein schwierig sein, seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden, da kaum Gütesiegel bestehen. Durch die Möglichkeit eines einfachen Kontaktabbruches, zum Beispiel durch Nicht-Antworten auf Mails oder Chat-Nachrichten, könne es des Weiteren aufgrund des dann mangelnden Feedbacks an die Beraterperson zu Auswirkungen auf deren Motivation kommen (Eichenberg und Kühne, 2014).
In besonderem Hinblick auf Online-Selbsthilfegruppen bieten sich außerdem noch weitere Risiken. Unter Umständen können sich Teilnehmende einer virtuellen Selbsthilfegruppe zum Teil so gut verstanden fühlen, dass die Notwendigkeit, sich auch in der realen Welt dem Problem zu stellen, nicht mehr gesehen wird. So kann ein Vermeidungsverhalten außerhalb der virtuellen Gruppe entstehen und sich der Krankheitsverlauf möglicherweise verlängern. Darüber hinaus kann aber auch das Gegenteil entstehen, nämlich ein fragileres Gruppengefühl als in Präsenzberatungen, aufgrund der besonderen Umstände der virtuellen Begegnung (Eichenberg & Kühne, 2014).
Mit Betrachtung der erwähnten Chancen und Risiken konnte bis dato also individuell entschieden werden, welche Form der Beratung, ob online oder in Präsenz, gewählt wird. Seit der Corona-Pandemie, welche im Frühjahr 2020 weltweit ausgebrochen ist, müssen jedoch nun so gut wie alle Beratungsangebote in Distanz angeboten werden. Somit müssen sich einerseits die Ratsuchenden, die eigentlich eine Präsenz-Beratung präferiert hätten oder schon vorher besucht haben, auf eine andere Form der Beratung einstellen. Andererseits bleibt auch den bisherigen Präsenz-Beratungsstellen keine andere Wahl, als ihr Beratungssetting der epidemiologischen Lage anzupassen und ihr Angebot umzustrukturieren. Die weiter oben genannten, erforderlichen Kompetenzen und Rahmenbedingungen für die Durchführung von Online-Beratung müssen also extrem kurzfristig erworben werden. Das Institut für E-Beratung der technischen Hochschule Nürnberg hat hierzu einen Leitfaden für die Umstellung auf Online-Beratung während der Krise verfasst. In diesem wird besonders betont, dass nicht auf Online-Beratung geschulte Beraterpersonen bestenfalls auf die Beratung per Video zurückgreifen sollten, da hier die Beratung trotz allem mündlich und per Augenkontakt stattfindet. Außerdem weisen die AutorInnen darauf hin, dass es auch für die NutzerInnen zugänglich gemacht werden sollte, für die das Angebot zu hochschwellig ist (zum Beispiel aufgrund eines nicht vorhandenen Netzanschlusses), also es auch immer beispielsweise zusätzlich zu einem Videoangebot auch ein Telefonangebot oder ein Präsenzangebot in kleinem Rahmen geben sollte. Auch die rechtlichen Voraussetzungen sind dringend zu beachten. Die beruflichen Pflichten zur Vertraulichkeit der Beratung müssen auch im Online-Setting während der Krise eingehalten werden, weshalb die Beratung nicht über unverschlüsselte Kommunikationswege, sondern über datensichere Software stattfinden sollte. Außerdem müssen Berufsgeheimnisträger technische Anbieter als „mitwirkende Dritte“ ausdrücklich zur Verschwiegenheit verpflichten, um einer Strafbarkeit aus dem Weg zu gehen. Darüber hinaus sollten die Endgeräte der Beraterpersonen über Virenprogramme verfügen, um die Daten der KlientInnen zu schützen. Der Arbeitsplatz sollte, falls dieser im Homeoffice liegen sollte, dementsprechend so eingerichtet werden, dass auch dort die Vertraulichkeit gewährt werden kann (Reindl & Engelhardt, 2020).
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